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  • Meyer, Mattea (sp/ps, ZH) NR/CN
  • Marti, Min Li (sp/ps, ZH) NR/CN

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In der nationalrätlichen Herbstsession 2021 wurde die Forderung nach einem ergänzenden, bezahlten Vaterschaftsurlaub von maximal 14 Wochen, eingebracht in Form einer parlamentarischen Initiative Bertschy (glp, BE), mit 38 zu 110 Stimmen (bei 38 Enthaltungen) klar abgelehnt. Unterstützung erhielt das Anliegen lediglich von der geschlossenen GLP-Fraktion, einer Mehrheit der SP-Fraktion und insgesamt drei Mitgliedern aus den Fraktionen der Grünen und der Mitte. Die Grünen-Fraktion enthielt sich beinahe gänzlich der Stimme – ebenso wie eine Minderheit der SP und zwei Ratsmitglieder der Mitte. Fünf SP-Mitglieder stellten sich gar gegen die Initiative. Die fehlende Unterstützung aus dem linken Lager war in der Ausgestaltung der Vorlage begründet. So befürchtete Flavia Wasserfallen (sp, BE) im Rat, dass bestehende, grosszügigere Urlaubsregelungen für die Mutter bei Annahme der Initiative auf 14 Wochen reduziert werden könnten. Die Bestärkungen der GLP-Nationalrätin Bertschy, dass es ihr keinesfalls um die Kürzung bestehender Lösungen gehe, sondern um eine ergänzende Lösung für den Vater im selben, bekannten Umfang, verfingen im Nationalrat auf linker Seite nicht. Min Li Marti (sp, ZH) bestätigte ferner gegenüber dem Tages-Anzeiger, dass je 14 Wochen einigen Linken zu wenig weit gingen.

14 Wochen Elternurlaub für beide Elternteile (Pa.Iv. 20.472)

Weil die Referendumsfrist zum Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative abgelaufen sei und damit ab den eidgenössischen Wahlen 2023 erstmals Transparenz hinsichtlich Finanzierung von Wahl- und Abstimmungskampagnen geschaffen werden müsse, brauche es ihr Postulat nicht mehr, gab Mattea Meyer (sp, ZH) in der Herbstsession 2021 als Begründung für den Rückzug ihres Anliegens zu Protokoll. In ihrem Postulat hätte sie eine Studie zur Wahlkampf- und Abstimmungsfinanzierung bei den eidgenössischen Wahlen 2011, 2015 und 2019 sowie bei drei umstrittenen Abstimmungsvorlagen gefordert. Der Bundesrat hatte das Postulat zur Ablehnung empfohlen, weil die Studie auf einer freiwilligen Selbstdeklaration der Kampagnenführenden beruht hätte und die Ergebnisse deshalb wohl kaum überprüfbar gewesen wären.

Studie zur Wahlkampf- und Abstimmungsfinanzierung (Po. 19.4186)

In der Herbstsession 2021 überwies der Nationalrat gemäss Mehrheitsantrag der RK-NR die Motion Caroni (fdp, AR) für eine Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe. Ihre Empfehlung begründete die zuständige Kommission damit, dass der Bundesrat in seinem Bericht zur Reform der lebenslangen Haftstrafe zwar keinen grundlegenden Handlungsbedarf erkannt hatte, jedoch punktuelle Revisionsmöglichkeiten einräumte. Sowohl aus dem Kommissionsbericht als auch aus den Erläuterungen der beiden Kommissionssprechenden Andrea Martina Geissbühler (svp, BE) und Sidney Kamerzin (mitte, VS) im Ratsplenum ging hervor, dass eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder diese Verbesserungen am bestehenden System unterstützten und als notwendig erachteten. Im Namen der starken Minderheit widersprach SP-Nationalrätin Min Li Marti (ZH): Da erstens in der Praxis weder Handlungs- noch Sicherheitsprobleme bestünden und zweitens der Bundesrat in seinem Bericht keinen akuten Reformbedarf sehe, lohne sich der Anstoss eines Gesetzgebungsprozesses nicht. Besonders schwere Straftaten könnten bereits heute angemessen bestraft und so dem Schutzbedürfnis der Gesellschaft Rechnung getragen werden. Darüber hinaus sei die generalpräventive Wirkung von langen Haftstrafen umstrittener als deren erschwerender Effekt auf die Resozialisierung. Justizministerin Karin Keller Sutter stimmte dem insofern zu, als dass die Verbesserungsmöglichkeiten von eher untergeordneter Bedeutung seien. Der Bundesrat wolle einer Gesetzesrevision jedoch nicht im Wege stehen und habe deshalb die Annahme beantragt. Der Nationalrat stimmte der Motion mit 110 zu 60 Stimmen zu.

Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe (Mo. 20.4465)

In der Herbstsession 2021 befasste sich der Nationalrat mit den parteiübergreifend gleichlautenden Motionen Flach (glp, AG; Mo. 19.4319), Mazzone (gp, GE; Mo. 19.4034; von Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) übernommen), Barazzone (cvp, GE; Mo. 19.4033; von Vincent Maitre (mitte, GE) übernommen), Fluri (fdp, SO; Mo. 19.4037), Sommaruga (sp, GE; Mo. 19.4035; von Mattea Meyer (sp, ZH) übernommen) und Quadranti (bdp, ZH; Mo. 19.4036; von Irène Kälin (gp, AG) übernommen). Diese forderten eine Beteiligung der Schweiz am Verteilungsmechanismus der «Koalition der Willigen». Nationalrat Maitre lobte den flexiblen und pragmatischen Charakter des Verteilmechanismus, bei dem Länder eigene Aufnahmekriterien festlegen und diese dem EASO melden können. Da die Teilnahme nicht verbindlich sei, müsse man auch keine Anpassung im Asylrecht vornehmen. Katharina Prelicz-Huber insistierte, dass man nicht auf eine Lösung im Rahmen des Dublin-Abkommens warten könne, «während weiterhin Tausende von Menschen ertrinken», auch wenn der Bundesrat ad-hoc-Lösungen nicht gerne sehe. Kurt Fluri, der nach eigener Aussage spontane Lösungen ebenfalls ablehne, kritisierte, dass noch immer keine gesamthafte Lösung im Rahmen des Dublin-Systems absehbar sei. Da sich die Schweiz aber bereits an den Verteilungsabläufen beteilige, wäre die Annahme der Motion nur symbolisch, weshalb er seine Motion zurückziehe. Bundesrätin Keller-Sutter wies darauf hin, dass sich die meisten EU-Staaten nie an der «Koalition der Willigen» beteiligt hätten und sich unterdessen selbst anfängliche Befürworter aufgrund der enttäuschenden Resultate daraus zurückgezogen hätten. Man wolle das Dublin-System nicht unterlaufen, indem Menschen ohne Chance auf Asyl auf verschiedene Länder verteilt würden.
Der Nationalrat lehnte die fünf verbleibenden Motionen mit 97 zu 92 Stimmen ab. SP, Grüne und Grünliberale stimmten dafür, während sich die SVP und die FDP einstimmig dagegen aussprachen. Die Mitte-Fraktion zeigte sich gespalten, wobei eine Mehrheit die Vorstösse ablehnte.

Die Schweiz soll sich am Verteilungsmechanismus der "Koalition der Willigen" beteiligen

Drei Tage nachdem die Schweizer Stimmbevölkerung am 7. März 2021 das E-ID-Gesetz an der Urne verworfen hatte, reichten Verfechterinnen und Verfechter einer staatlichen Lösung aus allen politischen Lagern sechs gleichlautende Motionen für eine «vertrauenswürdige staatliche E-ID» ein. Gerhard Andrey (gp, FR; Mo. 21.3124), Franz Grüter (svp, LU; Mo. 21.3125), Min Li Marti (sp, ZH; Mo. 21.3126), Jörg Mäder (glp, ZH; Mo. 21.3127), Simon Stadler (mitte, UR; Mo. 21.3128) sowie die FDP-Liberale-Fraktion (Mo. 21.3129) argumentierten übereinstimmend, die Volksabstimmung habe deutlich gezeigt, dass sich die Bevölkerung eine E-ID wünsche, aber deren Herausgabe und Betrieb nicht privaten Unternehmen überlassen werden dürfe. Nur wenn der Staat dafür zuständig sei, könne die E-ID Vertrauen und Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer geniessen. Die Vorstösse enthielten demzufolge den Auftrag an den Bundesrat, eine staatliche E-ID zu schaffen, die insbesondere die Grundsätze der «privacy by design», der Datensparsamkeit und der dezentralen Datenspeicherung einhalten soll.
Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motionen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter interpretierte das Abstimmungsresultat gleich wie die Motionärinnen und Motionäre und erklärte, der Bundesrat wolle so rasch wie möglich einen neuen Vorschlag für eine E-ID präsentieren. Ende Mai habe er deshalb das EJPD bereits mit der Ausarbeitung eines Grobkonzepts beauftragt. Die daraus resultierende Auslegeordnung verschiedener staatlicher Lösungsansätze befinde sich momentan in öffentlicher Konsultation. Basierend darauf wolle der Bundesrat voraussichtlich Mitte 2022 ein neues E-ID-Gesetz in die Vernehmlassung schicken, führte die EJPD-Chefin im Nationalratsplenum aus.
Für etwas Dissonanz in all dem Einklang sorgte Jean-Luc Addor (svp, VS), der die Vorstösse bekämpfte. Er sah den Ursprung des Misstrauens vonseiten der Stimmbevölkerung nicht in der privatwirtschaftlichen Natur des abgelehnten Vorschlags, weshalb es die falsche Schlussfolgerung sei, nun alles dem Staat überlassen zu wollen. Auch die Zentralisierung und der Datenschutz seien wichtige Fragen für die Konzeption der E-ID. Erfahrungen hätten zudem gezeigt, dass der Bund auch kein «unerschütterliches Vertrauen» bei der erfolgreichen Durchführung von IT-Projekten geniesse. Ausserhalb seiner eigenen Fraktion verfing die Kritik Addors allerdings nicht. Die grosse Kammer nahm die sechs Motionen in der Herbstsession 2021 mit 145 zu 39 Stimmen bei 7 Enthaltungen an. Ausser der SVP stimmten alle Fraktionen geschlossen dafür.

Vertrauenswürdige, staatliche E-ID (Mo. 21.3124, 21.3125, 21.3126, 21.3127, 21.3128 und 21.3129)
Dossier: Elektronische Identität

Als Erstrat behandelte der Nationalrat in der Wintersession 2021 die Pensionskassenreform BVG 21. Thomas de Courten (svp, BL) und Benjamin Roduit (mitte, VS) stellten dem Rat die Vorlage und insbesondere die Änderungsanträge der SGK-NR an der bundesrätlichen Version vor. Der Bundesrat hatte in der Botschaft den von den Sozialpartnern – dem SAV, dem SGB und Travail.Suisse, nicht aber vom Gewerbeverband – ausgearbeiteten Entwurf übernommen. Die Kommissionsmehrheit erachtete aber insbesondere den darin enthaltenen Rentenzuschlag als «nicht zielführend» und als Eingriff in die Selbstständigkeit der Vorsorgeeinrichtungen, wie de Courten erläuterte. Statt einem Zuschlag «nach dem Giesskannenprinzip» sollen nur die Renten einer Übergangsgeneration und von Personen «im und nahe beim BVG-Obligatorium gezielt verbessert werden». Daneben lagen verschiedene Minderheitsanträge mit Alternativmodellen zum Rentenzuschlag vor. Doch nicht nur im umstrittensten Aspekt, dem Rentenzuschlag, auch in zahlreichen weiteren Punkten wollte die Kommissionsmehrheit vom Vorschlag der Sozialpartner bzw. dem Entwurf der Regierung abweichen.
Die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen hoben in der Folge insbesondere die Relevanz der Revision hervor, zeigten sich aber bezüglich der Gründe für diese Relevanz und damit auch bezüglich der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Massnahmen gespalten. Die Mitte, die FDP und die SVP unterstützten in ihren Voten die Kommissionsmehrheit. Für sie war eine Senkung des Umwandlungssatzes dringend, wie etwa Ruth Humbel (mitte, AG) für die Mitte betonte. Man anerkenne die Wichtigkeit von Ausgleichsmassnahmen, diese müssten jedoch auf eine Übergangsgeneration beschränkt sein, erklärte Albert Rösti (svp, BE). Regine Sauter (fdp, ZH) verlangte überdies, dass die Massnahmen «innerhalb des Systems der zweiten Säule» vorgenommen werden, und sprach sich damit gegen das von den Sozialpartnern vorgeschlagene Umlageverfahren in der zweiten Säule aus. Eine Mitteposition nahm die GLP ein: Melanie Mettler (glp, BE) betonte die Wichtigkeit einer Revision, welche anschliessend eine Volksabstimmung übersteht, weil eine erneute Abstimmungsniederlage nicht nur die «teuerste Variante ist, sondern auch diejenige, die am meisten Vertrauensverlust verursacht». Deshalb werde die GLP ein Kompromissmodell zu den Ausgleichsmassnahmen präsentieren. Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) zeigte sich für die Grünen vom Mehrheitsmodell enttäuscht und bezeichnete dieses gar als «Pfusch», zumal es das Hauptziel der Vorlage – ein Ende der sinkenden Realrenten – im Gegensatz zum Sozialpartnermodell nicht erfülle. Auch Pierre-Yves Maillard (sp, VD) verwies für die SP darauf, dass die Renten 2025 bei gleichem Kapital 20 Prozent niedriger sein werden als noch 2010. Man habe in den Diskussionen zwischen den Sozialpartnern zugunsten eines Kompromisses auf viele nötigen Massnahmen verzichtet – mit ihrem Vorschlag gehe die Kommissionsmehrheit aber viel zu weit: «Mesdames et Messieurs des partis bourgeois, vous allez trop loin!» Man werde eine solche Vorlage nicht akzeptieren, betonte auch Katharina Prelicz-Huber und stellte bereits vor der Detailberatung eine Referendumsdrohung in den Raum. Auch Gesundheitsminister Berset verteidigte in der Folge ausführlich den Kompromiss der Sozialpartner. «Wenn irgendjemand hier denkt, dass es möglich sein wird, in einer so komplexen Materie ohne die Sozialpartner eine Mehrheit zu finden, dann wünsche ich viel Glück.» Eintreten war in der Folge unbestritten.

Im ersten Block behandelte der Rat vor allem Fragen zu den versicherten Einkommen und zum Sparprozess. Die Kommissionsmehrheit hatte hier vorgeschlagen, die Eintrittsschwelle, ab der Einkommen bei der Pensionskasse versichert sind, fast zu halbieren (neu: CHF 12’548), der Bundesrat und eine Minderheit de Courten wollten diese bei ihrem bisherigen Wert belassen (CHF 21’510). Mit der Beibehaltung der bisherigen Eintrittsschwelle wolle man die Personen mit tieferen Einkommen nicht durch BVG-Abgaben belasten, begründete Albert Rösti den Minderheitsantrag. Die Kommissionsmehrheit erachtete eine Senkung jedoch gerade für Personen mit Teilzeitanstellungen und niedrigen Pensen als relevant und setzte sich mit dieser Ansicht mit 141 zu 49 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen den Widerstand des Grossteils der SVP-Fraktion durch. Auch die Forderung, dass sich Arbeitnehmende mit verschiedenen Arbeitgebenden obligatorisch versichern müssen, wenn ihr Gesamteinkommen die Eintrittsschwelle übersteigt, nahm die Ratsmehrheit gegen den Willen einer Mehrheit der SVP-Fraktion an und schuf damit die ersten zwei Differenzen zum bundesrätlichen Vorschlag.
Zusammen mit der Eintrittsschwelle wollte die Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Bundesrat auch den koordinierten Lohn (und damit den Koordinationsabzug) senken. Statt wie bisher zwischen CHF 25'095 und CHF 86'040 sollten zukünftig Einkommen zwischen CHF 12'443 und CHF 85'320 versichert werden – der Koordinationsabzug würde somit annähernd halbiert. Zwei Minderheiten I Roduit und II de Courten wünschten sich einen anteilsmässigen Koordinationsabzug von 40 Prozent (Roduit) respektive 60 Prozent (de Courten), wobei der Koordinationsabzug in der Höhe begrenzt wäre, während eine Minderheit III Mettler vollständig auf den Koordinationsabzug verzichten wollte. Albert Rösti erachtete den Vorschlag de Courtens als Kompromiss zwischen dem bisherigen und dem von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen System. Erwerbstätigkeit müsse versichert sein, «egal, in welchem Erwerbsmodell sie erfolgt», begründete hingegen Melanie Mettler ihren Antrag. Die Kommissionsmehrheit setzte sich in den Abstimmungen gegen die Minderheitsanträge durch, wobei die Minderheiten nur bei der SVP-Fraktion (Minderheit II) respektive bei der GLP- und bei Teilen der FDP.Liberalen-Fraktion (Minderheit III) Anklang fanden.
Auch die Frage, ab wann sich junge Menschen für das Alter versichern müssen, war umstritten. Bisher lag die entsprechende Altersgrenze bei 24 Jahren. Während über den Versicherungsbeginn für Tod und Invalidität ab 17 Jahren kaum Worte verloren wurden, lagen zahlreiche Anträge zum Beginn des Alterssparens vor: Die Kommissionsmehrheit wollte diese Grenze auf 19 Jahre senken, während Minderheiten I Roduit und II Gysi (sp, SG) diese bei 20 respektive 24 Jahren ansetzen wollten. Durch eine Vorverlegung des obligatorischen Sparprozesses und eine Erhöhung der Altersgutschriften für Junge, wie sie ebenfalls geplant waren, würden Junge gleich doppelt belastet, kritisierte Barbara Gysi erfolglos. Die Kommissionsmehrheit setzte sich mit 122 zu 71 Stimmen und 126 zu 67 Stimmen gegen die SP, Grüne und Teile der Mitte durch. Und wie von Barbara Gysi befürchtet, erhöhte der Rat in der Folge tatsächlich auch die Altersgutschriften für Junge. Bisher waren diese in vier Stufen gestaffelt, wobei ab 55 Jahren die höchsten Altersgutschriften bezahlt werden mussten. Bundesrat und Kommissionsmehrheit sahen nun nur noch zwei Altersstufen vor (BR: 25-44 und ab 45, Kommissionsmehrheit: 20-44 und ab 45), um die Gefahr einer Entlassung für die älteren Arbeitnehmenden zu verringern. Hierzu lagen vier Minderheitsanträge vor, wobei Minderheiten Gysi und Roduit tiefere Altersgutschriften für Junge, Minderheiten de Courten und Aeschi (svp, ZG) bereits einen früheren Anstieg der Erhöhung der Altersgutschriften forderten. Erneut setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit jedoch durch.

Im zweiten Block debattierte der Rat über die zentralen Fragen der Revision, den Mindestumwandlungssatz und die Ausgleichsmassnahmen. Neben Diskussionen und Anträgen über die Häufigkeit und Breite begleitender Berichte zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes stellte Stefania Prezioso (egsols, GE) auch einen Einzelantrag, den Umwandlungssatz statt auf 6 Prozent (von 6.8 Prozent) nur auf 6.4 Prozent zu senken. Galt dieser Aspekt bisher weitgehend als unbestritten, begründete sie ihren Antrag nun mit der verbesserten Situation der Pensionskassen, aber auch mit einer Verlangsamung des Anstiegs der Lebenserwartung. Unterstützt wurde sie von der SP- und der Grünen Fraktion, wie etwa Barbara Gysi betonte: Man habe den Sozialpartnerkompromiss mitgetragen, aber wenn die Ratsmehrheit von diesem abweiche, sei man nicht mehr zu einer so starken Senkung des Umwandlungssatzes bereit. Über die SP und die Grünen hinaus fand der Antrag jedoch keine Zustimmung und wurde vom Nationalrat abgelehnt.
Bezüglich der Ausgleichsmassnahmen lagen dem Nationalrat vier Entwürfe vor: Die Kommissionsmehrheit wollte die Ausgleichsmassnahmen einer Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen zugänglich machen, wobei die Zuschüsse nach Alterskategorien abgestuft werden sollten (65-61 Jahre: CHF 2400 jährlich, 60-56 Jahre: CHF 1800, 55-51 Jahre: CHF 1200). Finanziert werden sollten die Ausgleichsmassnahmen durch eine einmalige Einlage der Vorsorgeeinrichtung zum Zeitpunkt des Altersrücktritts und durch Zuschüsse des Sicherheitsfonds, welche dieser während 15 Jahren bei den Vorsorgeeinrichtungen erhebt. Eine Minderheit I de Courten wollte die vom Bundesrat beantragten Ausgleichsmassnahmen gänzlich streichen und stattdessen den in eine Altersrente umzuwandelnden Anteil des Altersguthabens während zehn Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes im ersten Jahr um 13 Prozent und anschliessend jeweils um 1.3 Prozentpunkte weniger pro Jahr erhöhen. Eine Minderheit II Mettler wollte wie angekündigt «den Anliegen beider politischer Lager Rechnung» tragen. Mit ihrem Vorschlag sollte das Rentenniveau für zwei Drittel der Versicherten erhalten werden, aber nur für 20 Jahrgänge: So sollte der monatliche Zuschlag, der für den ersten Jahrgang CHF 200 beträgt, jeweils um CHF 10 pro Jahrgang reduziert werden. Während 20 Jahren wären dafür Beiträge über 0.3 Prozent des versicherten Lohns nötig. Eine Minderheit III Maillard beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen und für alle zukünftigen BVG-Rentnerinnen und -Rentner Ausgleichsmassnahmen zu schaffen. Denn durch den Ausschluss der wohlhabenden Arbeitnehmenden von den Ausgleichsmassnahmen trügen diese auch nicht mehr zu deren Finanzierung bei, kritisierte Pierre-Yves Maillard die übrigen Modelle. Die Höhe der Zuschläge sollte nur bereits für die nächsten 15 Jahre festgelegt werden, finanziert würden die Zuschläge durch einen Beitrag von 0.5 Prozent des massgebenden Lohns im Umlageverfahren.
Unterstützung fanden die Minderheitsanträge nur bei den Fraktionen der SVP (Minderheit I de Courten), bei der SP und den Grünen (Minderheit III Maillard) respektive bei der SP, den Grünen und der GLP (Minderheit II Mettler) – sie alle wurden folglich zugunsten des Mehrheitsantrags verworfen. In der zentralen Frage der Vorlage entschied sich der Nationalrat somit, vom Vorschlag des Bundesrates und der Sozialpartner abzuweichen.
Abgelehnt wurde in der Folge auch ein Minderheitsantrag Meyer (sp, ZH), der – in Übereinstimmung mit der Regelung zur AHV 21 – den Rentenzuschlag bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen nicht berücksichtigen wollte, da sonst «die Menschen mit tiefen Löhnen am Ende des Monats nicht mehr Geld zur Verfügung haben würden» als bisher, wie Yvonne Feri (sp, AG) erläuterte. Auch dieser Antrag fand jedoch über die SP, die Grünen und die GLP hinaus keine Zustimmung.

Im dritten Block standen noch diverse Detailfragen an, hier dominierten vor allem links-grüne Minderheitsanträge. Erfolglos verlangte etwa eine Minderheit Prelicz-Huber Erziehungs- und Betreuungsgutschriften wie in der AHV, eine Minderheit Meyer setzte sich für die Beibehaltung der Möglichkeit zur Weiterversicherung des Lohns für Personen ab 58 Jahren bei einer Lohnreduktion um die Hälfte ein und eine Minderheit Gysi wollte eine Definition von missbräuchlichen Tarifen für Todesfall- und Invaliditätsleistungen festlegen lassen. Erfolgreich war lediglich eine Minderheit Prelicz-Huber mit 112 zu 80 Stimmen gegen einen Antrag der Kommissionsmehrheit, mit dem der bisherige Steuerabzug von Beiträgen an die Altersvorsorge von CHF 6’900 auf CHF 10'000 erhöht werden sollte. Zustimmung hatte der Mehrheitsantrag bei Mitgliedern der SVP und der FDP erhalten.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat die BVG 21-Reform mit 126 zu 66 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gut. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Mit Vorlegen des Postulatsberichts erachtete der Bundesrat das Postulat von Min Li Marti (sp, ZH), das Möglichkeiten für kurzfristige Beschäftigung von IT-Spezialistinnen und -Spezialisten erarbeitet haben wollte, als erfüllt. Dies sahen in der Sommersession 2021 auch beide Räte so und schrieben den Vorstoss entsprechend ab.

Kurzfristige Beschäftigung von IT-Spezialistinnen und -Spezialisten (Po. 18.4217)

Einigkeit bestand bei der Behandlung der AHV 21-Reform durch den Nationalrat eigentlich nur in der Feststellung, dass dies ein sehr zentrales Projekt sei – «l'un des objets majeurs de la législature», nannte es beispielsweise Kommissionssprecher Nantermod (fdp, VS). Ansonsten unterschieden sich die Positionen der links-grünen und der bürgerlichen Ratsseite ziemlich stark. Bewusst waren sich die Befürwortenden sowie die Gegnerinnen und Gegner des vorliegenden Entwurfs aber auch, dass die Revision dieses Mal auch vor dem Stimmvolk unbedingt bestehen müsse, zumal die letzte erfolgreiche AHV-Revision fast 30 Jahre zurück lag. Darüber, ob und wie das aktuelle Projekt vor den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern mehrheitsfähig wird, schieden sich jedoch die Geister. Umstritten waren nicht nur die Frage der Rentenaltererhöhung der Frauen – die der Ständerat zuvor deutlich angenommen hatte –, sondern auch die Höhe der Ausgleichsmassnahmen für die älteren Frauenjahrgänge sowie die Zusatzfinanzierung für die AHV. Kommissionssprecher Nantermod wehrte sich gegen die Formulierung, wonach die AHV 21-Reform eine Abbauvorlage sei. So würde die Erhöhung des Frauenrentenalters, welche die Ausgaben der AHV um CHF 1.2 Mrd. verringert, durch zusätzliche Leistungen in der Höhe von CHF 812 Mio. gemildert. Somit würden die Leistungskürzungen insgesamt nur etwa CHF 400 Mio. einbringen. Dabei zählte Nantermod jedoch nicht nur die Ausgleichszahlungen für die Übergangsgenerationen zu den zusätzlichen Leistungen, sondern auch die Flexibilisierung des Rentenalters und die Änderung des Selbstbehalts, die Frauen und Männern zugute kommt. Hingegen würde die Finanzierung um CHF 1.58 Mrd. erhöht (CHF 1.36 Mrd. aus der Mehrwertsteuer und CHF 222 Mio. aus den zusätzlichen Beiträgen). Somit bestehe die Reform zu 80 Prozent aus Mehreinnahmen und zu 20 Prozent aus Leistungskürzungen und sei folglich sozial ausgestaltet. Gleichzeitig sei man sich bewusst, dass der Entwurf die Problematik der AHV-Finanzierung nicht vollständig lösen könne, voraussichtlich käme der Deckungsgrad des AHV-Fonds damit im Jahr 2030 bei 88 Prozent zu liegen. Folglich habe man die Motion 21.3462 eingereicht, gemäss welcher der Bundesrat bis Ende 2026 eine neue AHV-Reform für die Jahre 2030 bis 2040 vorlegen soll.

Ihre Kritikpunkte an dieser Vorlage fassten die Frauen der links-grünen Ratsseite in verschiedene Rückweisungsanträge an den Bundesrat oder an die SGK-NR. Eine Minderheit Porchet (gp, VD) erachtete den Leistungsabbau als unnötig und schlug stattdessen vor, die Finanzierungsprobleme der AHV durch Zuweisung der SNB-Gewinne an die AHV zu lösen. Statt an Bund und Kantone, die bereits stark von den Negativzinsen profitierten, solle das Geld der SNB aus den zusätzlichen Ausschüttungen der AHV und somit den Verliererinnen und Verlierern der Negativzinsen zugutekommen. Eine alternative Finanzierungsmöglichkeit für die AHV sah auch eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) vor, die das AHV-Defizit über eine Erhöhung des Bundesbeitrags decken wollte. Das AHV-Gesetz erlaube es, den Bundesbeitrag auf 50 Prozent der jährlichen Ausgaben zu erhöhen, folglich solle dieser stärker als nur auf die vom Bundesrat vorgesehenen 20.2 Prozent angehoben werden. Ebenfalls als alternative Finanzierungsquelle stellte Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) ihren Minderheitsantrag dar, mit dem sie die Erfüllung des Gleichstellungsartikels, des Gleichstellungsgesetzes und des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) sowie eine Koppelung der AHV 21-Vorlage an «gleiche[n] Lohn bei gleichwertiger Arbeit» forderte. So führten die noch immer bestehenden Lohnunterschiede von 18.3 Prozent – 7.7 Prozent davon unerklärt – zwischen den Geschlechtern zu tieferen Lohnbeiträgen für die Frauen. Mit fairen Löhnen für die Frauen würden die AHV-Beiträge gemäss Travailsuisse um CHF 825 Mio. pro Jahr steigen. Statt an die Lohngleichheit wollte eine Minderheit um Mattea Meyer (sp, ZH) den Entwurf an die aktuelle Revision des BVG (BVG 21) koppeln. So liege das Hauptproblem in den Rentenunterschieden zwischen Frauen und Männern nicht bei der AHV, sondern bei den Pensionskassen. Die mittlere Pensionskassenrente für Frauen betrage beispielsweise CHF 1160 und diejenige der Männer CHF 2144; fast ein Drittel der Neurentnerinnen habe überdies gar keine Pensionskassenrente. Folglich müsse das BVG 21 zuerst revidiert werden, bevor die AHV 21 angegangen werden könne. Eine zweite Minderheit Prelicz-Huber verlangte schliesslich, dass die AHV so auszugestalten sei, dass sie den Verfassungsauftrag, wonach AHV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken müssen, erfüllt. Dies sei heute nicht der Fall, dafür sei die AHV-Rente zu tief – insbesondere für diejenigen 13 Prozent der Männer und über ein Drittel der Frauen, die keine zweite oder dritte Säule hätten. Über 330'000 Menschen lebten deshalb unter dem Existenzminimum und müssten Ergänzungsleistungen beziehen, betonte Prelicz-Huber.

Vor der Detailberatung und nach dem unbestrittenen Eintretensentscheid musste sich der Nationalrat mit den Rückweisungsanträgen auseinandersetzen. «Die Mehrheit der Kommission will die Vorlage zügig vorantreiben», hatte Kommissionssprecher de Courten (svp, BL) zuvor betont und daran hielt sich der Nationalrat: Er lehnte sämtliche Rückweisungsanträge ab, diese fanden über die SP- und die Grüne-Fraktion hinaus einzig bei Lorenzo Quadri (lega, TI) Unterstützung.

Die Detailberatung nahm die grosse Kammer in vier Blöcken vor, wobei sie in den zentralen Punkten Differenzen zum Ständerat schuf.
Gleich zu Beginn beschäftigte sich der Nationalrat mit der Hauptthematik der Revision: Im ersten Block debattierte der Nationalrat über die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre – das in der Zwischenzeit in «Referenzalter» umbenannt worden war. Dazu gab es noch einmal eine ausführliche und teilweise ziemlich gereizte Debatte mit zahlreichen Nachfragen, bei der verschiedene Frauen erneut die noch immer bestehende Benachteiligung der Frauen in zahlreichen Bereichen, insbesondere beim Lohn und bei der unbezahlten Arbeit, hervorhoben. Bürgerliche Sprechende verwiesen hingegen unter anderem ebenfalls auf den Gleichstellungsartikel in der Verfassung, den es nun durch eine Angleichung des Rentenalters zu erfüllen gelte. Mit 124 zu 69 Stimmen sprach sich nach dem Ständerat auch der Nationalrat für eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen aus. Abgelehnt wurde diese von der SP- und der Grünen-Fraktion sowie von Lorenzo Quadri und zwei Mitgliedern der Mitte-Fraktion (Christine Bulliard (mitte, FR) und Jean-Paul Gschwind (mitte, JU)). Nicht nur bei den Männern waren die Fronten somit deutlich nach politischen Lagern gespalten: Einzig Christine Bulliard sprach sich als bürgerliche Frau gegen die Rentenaltererhöhung für Frauen aus. Insgesamt lehnten die Frauen im Nationalrat die Erhöhung jedoch mit 38 zu 29 Stimmen ab, zumal dem links-grünen Lager deutlich mehr Frauen angehören als dem bürgerlichen Lager.
Gleich im Anschluss behandelte der Nationalrat die zweite grosse Frage der Revision: die Kompensationsmassnahmen für Frauen, die in Kürze pensioniert würden und nun ein Jahr länger arbeiten müssten als geplant. Wie bereits im Ständerat standen diesbezüglich zahlreiche verschiedene Modelle zur Debatte. Die Kommissionsmehrheit hatte sich gegen das vom Ständerat geschaffene Trapezmodell ausgesprochen und nahm stattdessen das Modell, das Damian Müller (fdp, LU) im Ständerat vertreten hatte, in modifizierter Form auf: So sollte der Zuschlag für die Frauen nach deren bisherigem Einkommen abgestuft werden, wobei die SGK-NR im Gegensatz zu Müller drei Stufen vorsah: Je nach Höhe des bisherigen Einkommens sollten die Frauen zwischen CHF 50 und CHF 150 pro Monat zusätzlich erhalten. Davon sollten sechs Jahrgänge profitieren, maximal sollte dies CHF 551 Mio. kosten. Eine Minderheit II Prelicz-Huber befürwortete hingegen die Änderung der Rentenformel, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte (Modell Bundesrat), wollte diese aber grosszügiger ausgestalten (bei Kosten von CHF 1.08 Mrd.) und 14 Jahrgänge daran teilhaben lassen. Die restlichen drei Minderheiten befürworteten das Trapezmodell, das die Rentenzuschläge nach Jahrgängen zuerst zunehmend, später absteigend abstufen wollte. Damit sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das Rentenalter schrittweise erhöht wird und somit die ersten Jahrgänge keinen vollständigen Rentenzuschlag zugute haben. Eine Minderheit II de Courten wollte dabei dem Ständerat folgen (Kosten: CHF 409 Mrd.), die Minderheiten IV Meyer und V Prelicz-Huber forderten hingegen verglichen mit dem Ständerat deutlich höhere Grundzuschläge (SR: CHF 150, Meyer: CHF 430, Prelicz-Huber: 515), zudem sollten bei der Minderheit Prelicz-Huber deutlich mehr Jahrgänge unterstützt werden (SR und Meyer: 9 Jahrgänge, Prelicz-Huber: 14 Jahrgänge), bei Kosten von CHF 1.35 Mrd. respektive CHF 1.72 Mrd. Ein Einzelantrag Bäumle wollte schliesslich dem Modell der Kommission folgen, aber die Übergangsmassnahmen acht Jahrgängen zugutekommen lassen (SGK-NR: 6 Jahrgänge), was Kosten von CHF 900 Mio. mit sich bringen sollte.
Wie das Modell des Bundesrates vorgesehen hatte, waren bei den Ausgleichsmassnahmen jedoch nicht nur Rentenzuschläge angedacht, sondern alternativ auch ein privilegierter Rentenvorbezug: Die Frauen der Übergangsgeneration sollten gemäss der Mehrheit der SGK-NR – ebenfalls abgestuft nach Einkommen – ihre Rente mit einem Kürzungssatz von 0 bis 2 Prozent (tiefere Einkommen), 1 bis 4 Prozent (mittlere Einkommen) und 2 bis 6 Prozent (höhere Einkommen) vorbeziehen können. Die Minderheit II Prelicz-Huber wollte hier auf den höchsten Kürzungssatz verzichten. Das Trapezmodell und somit auch die Modelle des Ständerats sowie der übrigen Minderheiten sahen keine Möglichkeit für einen privilegierten Vorbezug vor.
Gesundheitsminister Berset sprach sich mit deutlichen Worten gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit aus. So sei die Anzahl Jahrgänge, die von den Ausgleichsmassnahmen profitieren sollen, deutlich zu gering, insbesondere wenn die ersten Übergangsjahrgänge nur reduzierte Zuschläge erhalten sollten. Die Kompensationen seien demnach deutlich weniger grosszügig als bei der erfolgreichen 10. AHV-Reform, weshalb sich der Nationalrat für das grosszügigere Modell des Bundesrates entscheiden solle. Kommissionssprecher de Courten verwies hingegen darauf, dass die Kommissionsmehrheit zwar eine geringere Anzahl Jahrgänge berücksichtige als der Bundesrat und der Ständerat, diese aber grosszügiger behandeln wolle.
Deutlich setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit in der Ausmehrung gegen sämtliche anderen Modelle durch. Knapp wurde es einzig gegen die Minderheit II de Courten, die dem Ständerat folgen wollte (79 zu 74 Stimmen bei 40 Enthaltungen). Dabei stimmte fast die gesamte Grünen-Fraktion mit der SVP-Fraktion für die Minderheit de Courten, während sich die SP-Fraktion ihrer Stimme enthielt.

Im zweiten Block behandelte der Nationalrat die Flexibilisierung des Rentenbezugs, dessen erste Frage des privilegierten Vorbezugs der Übergangsgeneration ja bereits bei der Wahl des Kompensationsmodells geklärt worden war. Umstritten war hier – wie bereits im Ständerat – die Frage, ob der Vorbezug ab 62 oder 63 Jahren möglich sein soll. Die Kommissionsmehrheit wollte der Version des Ständerates folgen (63 Jahre). Yvonne Feri (sp, AG) argumentierte hingegen, dass Frauen neben dem Rentenalter nicht auch noch beim Zeitpunkt des Vorbezugs eine Verschlechterung erfahren sollten, und beantragte folglich Zustimmung zur bundesrätlichen Version für einen Vorbezug ab 62 Jahren. Deutlich setzte sich die Kommissionsmehrheit aber auch hier durch.
Auch bei der Frage des Freibetrags für Personen, die nach Erreichen des AHV-Alters weiterhin erwerbstätig sind, war die Kommissionsmehrheit erfolgreich. Der Ständerat hatte sich hier statt eines Betrags in der Höhe des anderthalbfachen Mindestbetrags der AHV-Rente (aktuell CHF 16’800) für einen fixen Betrag von CHF 24'000 entschieden, der jedoch an die Teuerung angepasst werden soll. Damit sollten die Bürgerinnen und Bürger motiviert werden, über das Referenzalter hinaus erwerbstätig zu bleiben. Die Kommissionsmehrheit wollte stattdessen dem Bundesrat folgen, den Freibetrag jedoch für freiwillig erklären. Erfolglos blieben diesbezüglich eine Minderheit I de Courten, die dem Ständerat folgen, aber den Zusatz der Kommission zur Freiwilligkeit des Freibetrags aufnehmen wollte, sowie eine Minderheit II Gysi (sp, SG) für die bundesrätliche Position.

In einem dritten Block fasste der Nationalrat die übrigen Themenbereiche zusammen. So hatte zum Beispiel eine Minderheit Feri im Lichte des Urteils des EGMR gegen die Schweiz vorgeschlagen, die Witwerrente der Witwenrente anzupassen und somit grosszügiger auszugestalten als bisher. Denn während Witwer nach geltendem Recht nur solange Witwerrente erhalten, wie sie minderjährige Kinder zu betreuen haben, haben Witwen bis zu ihrer Pensionierung Anrecht auf Witwenrente. Es sei höchste Zeit, die biologisch und funktional ungerechtfertigten rechtlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beheben, argumentierte Feri. Die beiden Kommissionssprecher verwiesen jedoch auf die Kosten dieser Regelung von CHF 105 Mio. pro Jahr und wollten stattdessen einen entsprechenden Vorschlag des Bundesrates abwarten. Verschiedene Sprechende hofften darauf, die Problematik nicht durch eine grosszügigere Witwerrente, sondern durch eine Einschränkung der Witwenrente zu lösen. Der Nationalrat teilte diese Einschätzung und lehnte den Antrag der Minderheit Feri ab.

Im vierten Block debattierte der Nationalrat über die dritte grosse Frage, die Zusatzfinanzierung für die AHV. Dabei lagen auch bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung unterschiedliche Konzepte vor. Die Kommissionsmehrheit schlug mit einer Erhöhung von 0.4 Prozentpunkten des Normalsatzes (sowie Erhöhungen um je 0.1 Prozentpunkte des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen und des reduzierten Satzes) eine etwas grössere Erhöhung vor als der Ständerat (0.3 und je 0.1 Prozentpunkte), blieb jedoch deutlich unter dem Vorschlag des Bundesrates (0.7 respektive 0.2 und 0.3 Prozentpunkte). Eine Minderheit II de Courten bevorzugte die ständerätliche Version, während eine weitere Minderheit IV de Courten die Mehrwertsteuer nur zeitlich begrenzt bis Ende 2030 in demselben Ausmass erhöhen wollte wie die Kommissionsmehrheit. Eine Minderheit I Maillard (sp, VD) sprach sich zwar für die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung aus, wollte jedoch auf die von der Kommission sowie von mehreren Minderheiten ebenfalls vorgesehene Verknüpfung der Mehrwertsteuererhöhung mit der Erhöhung des Rentenalters verzichten. Eine Minderheit III Gysi beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen. Gesundheitsminister Berset verwies darauf, dass die Situation für zukünftige Revisionen noch viel schwieriger werde, wenn man bereits jetzt mit einer 88-prozentigen Deckung des Fonds für das Jahr 2030 rechne – so hoch sollte der Deckungsgrad mit dem Modell der Kommissionsmehrheit sein. Folglich empfahl er dem Nationalrat die stärkere vom Bundesrat vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.7 Prozentpunkte. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen, auch in dieser Frage setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen sämtliche Minderheitsanträge durch.
Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Frage, ob der Bundesbeschluss zur Mehrwertsteuererhöhung an die AHV 21-Reform geknüpft werden soll oder nicht. Der Ständerat hatte eine solche Verknüpfung geschaffen, die Mehrheit der SGK-NR wollte ihr zustimmen, während sie eine Minderheit Maillard ablehnte. Bundesrat Berset verwies diesbezüglich auf die Altersvorsorge 2020, bei der die Verknüpfung der beiden Vorlagen für die Ablehnenden ein wichtiges Argument dargestellt habe. Dabei forderte er den Nationalrat auf, denselben Fehler nicht erneut zu begehen. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen und nahm den Mehrheitsantrag mit 124 zu 67 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.
In der Folge schlug Felix Wettstein (gp, SO) ein alternatives Finanzierungskonzept in Anlehnung etwa an die Mikrosteuer-Initiative vor, gemäss dem auf jeder Finanztransaktion an der Schweizer Börse eine Steuer von 1 Promille erhoben werden sollte. Damit könne neben den Einkommen eine weitere Finanzierungsquelle für die AHV erschlossen werden, begründete Wettstein seinen Antrag. Dieser wurde jedoch mit 120 zu 70 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Zustimmung fand der Vorschlag bei der SP- und der Grünen-Fraktion sowie bei einer Minderheit der Mitte-Fraktion.
Stattdessen schuf die Mehrheit der SVP-Fraktion unterstützt von der SP- und der Grünen Fraktion eine andere, zusätzliche Einnahmequelle für die AHV. So schlug die SVP-Fraktion in einem Einzelantrag vor, sämtliche Bruttoerträge der Schweizerischen Nationalbank aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten dem AHV-Ausgleichsfonds zukommen zu lassen. Zudem sollten die Bruttoerträge aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten, die zwischen 2015 und dem Inkrafttreten der AHV 21-Revision anfallen würden, in einer einmaligen Zahlung der AHV zugeschrieben werden. Eine Minderheit Maillard hatte zuvor einen ähnlichen Antrag gestellt, diesen aber zugusten des SVP-Antrags zurückgezogen. Pierre-Yves Maillard verwies auf die riesigen Gewinne, welche die SNB mit den Negativzinsen mache: In den ersten 60 Tagen dieses Jahres habe diese bereits die Gewinne angehäuft, welche gemäss dem Antrag der SVP der AHV zukommen würden. Alfred Heer (svp, ZH), der bereits 2018 eine entsprechende Motion (Mo. 18.4327) eingereicht hatte, verwies für die SVP-Fraktion darauf, dass die Negativzinsen zwar zur Schwächung des Frankens und als Subvention für die Exportindustrie gedacht seien, in erster Linie aber vor allem eine «Strafe für die Sparerinnen und Sparer in der Schweiz» darstellten. Folglich müssten deren Gewinne wieder an die Bevölkerung zurück verteilt werden. Kommissionssprecher Nantermod empfand es hingegen als unklug «de lier le destin de l'AVS à […] celui des intérêts négatifs». Die AHV-Finanzierung solle nicht von der SNB abhängig werden, da damit auch die Unabhängigkeit der SNB gefährdet sei. Schliesslich gehöre die SNB den Kantonen, weshalb der Bund nicht über die Verwendung ihrer Gewinne bestimmen könne. Mit 108 zu 80 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den SVP-Antrag jedoch an und verschob diese Zusatzfinanzierung in der Folge in eine neue Vorlage 3.
Erfolglos blieb hingegen ein Minderheitsantrag Prelicz-Huber für eine Erhöhung des Bundesbeitrags an die AHV von bisher 19.55 Prozent auf 25 Prozent. Stattdessen nahm die grosse Kammer die Erhöhung auf 20.2 Prozent, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte, an.

In der Gesamtabstimmung stimmte die grosse Kammer dem Revisionsentwurf für das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung mit 126 zu 67 Stimmen zu, abgelehnt wurde er von den geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen sowie von Lorenzo Quadri. Der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wurde nur von Stefania Prezioso (egsols, GE) abgelehnt, die SP-Fraktion enthielt sich jedoch ihrer Stimme. Dem vom Nationalrat auf Initiative der SVP-Fraktion neu geschaffenen Bundesbeschluss über die Zuweisung des Gewinns aus den Negativzinsen der SNB an den AHV-Ausgleichsfonds stimmte der Nationalrat mit 132 zu 60 Stimmen (bei 1 Enthaltung) zu. Zu den SP-, Grünen- und SVP-Fraktionen, die dieses Projekt bereits zuvor unterstützt hatten, gesellte sich auch eine Mehrheit der Mitte-Fraktion. Nachdem diese Abstimmung wegen unklarer Abstimmungsfrage wiederholt worden war, betrug die Unterstützung durch die Mitte-Fraktion jedoch nur noch drei Stimmen. Dennoch reichte es mit 114 zu 75 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) zur Annahme des neu geschaffenen Bundesbeschlusses.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

In der Frühjahrssession 2021 begrüsste Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) seine Ratskolleginnen und -kollegen zur «kleinen Monsterdebatte» über die Revision der Strafprozessordnung. Der Nationalrat nahm sich der punktuellen Anpassung der StPO zur Verbesserung ihrer Praxistauglichkeit (in Umsetzung der Mo. 14.3383) als Erstrat an. Er trat ohne Gegenantrag auf die Vorlage ein. Zwei Minderheitsanträge Nidegger (svp, GE) und Addor (svp, VS) auf Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, noch verschiedene zusätzliche Punkte in die Revision zu integrieren, fanden ausserhalb der SVP-Fraktion keine Zustimmung und blieben damit chancenlos.
Erster Kernpunkt der Diskussion war die Einschränkung der Teilnahmerechte der beschuldigten Person. Die aktuell geltende Regelung wurde in der Debatte immer wieder als einer der Auslöser für die vorliegende StPO-Revision genannt. Der Bundesrat hatte im Entwurf vorgesehen, dass die beschuldigte Person von einer Einvernahme ausgeschlossen werden kann, solange sie sich zum Gegenstand der Einvernahme noch nicht selber einlässlich geäussert hat. Er wollte damit der Strafverfolgung die Wahrheitsfindung erleichtern, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter erklärte. Indem Beschuldigte unter bestimmten Voraussetzungen von der Einvernahme anderer Personen ausgeschlossen werden können, soll verhindert werden, dass sie ihre Aussagen einander anpassen. Befürworterinnen und Befürworter im Nationalrat argumentierten überdies, dass Zeuginnen und Zeugen durch die Anwesenheit der beschuldigten Person – oder letztere durch die Anwesenheit des «Bandenboss[es]» (Barbara Steinemann, svp, ZH) – eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden könnten, was die Qualität der Aussagen beeinträchtige. Vertreterinnen und Vertreter der Gegenseite warnten dagegen vor der Einführung einer «faktische[n] Mitwirkungspflicht» (Ursula Schneider Schüttel, sp, FR): Die neue Regelung bewirke, dass die beschuldigte Person sich zur betreffenden Sache im Detail äussern – d.h. auf ihr Aussageverweigerungsrecht verzichten – müsse, um bei den Beweiserhebungen dabei sein zu dürfen. Für jemand Unschuldiges sei das besonders schwierig, führte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus, «[d]enn der kann nämlich nichts anderes sagen, als dass er unschuldig ist». Den Beweiserhebungen nicht beizuwohnen und daher nicht genau zu wissen, was einem vorgeworfen werde, erschwere indessen die eigene Verteidigung, so Ursula Schneider Schüttel weiter. Zwar gab auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Gegenstimmen recht, dass das Teilnahmerecht der Beschuldigten «als Ausgleich für die strukturell starke Stellung der Staatsanwaltschaft notwendig» sei, hielt die vorgeschlagene Einschränkung jedoch für «massvoll und zurückhaltend». Für ihre Fraktion sei der Artikel allerdings die «Pièce de Résistance» der Vorlage, bekundete SP-Vertreterin Ursula Schneider Schüttel ebenso wie Christian Lüscher (fdp, GE), der für die Mehrheit der FDP-Fraktion sprach. Sinngleich erklärte auch Sibel Arslan (basta, BS), im Falle der Annahme der neuen Einschränkung werde die Grüne Fraktion «die ganze Vorlage infrage stellen müssen». Mit 103 zu 85 Stimmen bei zwei Enthaltungen folgte die grosse Kammer schliesslich ihrer Kommissionsmehrheit, die beim Status quo bleiben wollte. SP und Grüne setzten sich mit Unterstützung von Teilen der FDP- und der Mitte-Fraktionen durch.
Erfolgreicher war der Bundesrat mit seinem Ansinnen, die Voraussetzungen für die Untersuchungs- und Sicherheitshaft bei Wiederholungsgefahr zu lockern, wobei der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit folgend eine vom Bundesrat abweichende Formulierung wählte. Justizministerin Karin Keller-Sutter stellte im Rat jedoch fest, dass nach Ansicht des Bundesrates kein materieller Unterschied zwischen den beiden Formulierungen bestehe. Eine weitere Niederlage musste der Bundesrat bei der vorgesehenen Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts hinnehmen. Er hatte diese in der StPO festschreiben wollen, um die ohnehin bereits vom Bundesgericht angewandte Praxis gesetzlich zu verankern. «Es ist unbefriedigend, wenn sich weder die Legitimation noch das Verfahren aus dem Gesetz ergeben», begründete die Justizministerin diese Neuerung. Der Nationalrat folgte auch in dieser Frage mit 98 zu 89 Stimmen seiner Kommissionsmehrheit und strich den betreffenden Absatz aus der Vorlage. Die geschlossen für die Version des Bundesrates stimmenden Fraktionen der SVP und der FDP sowie einzelne Stimmen aus der Mitte- und der GLP-Fraktion befürchteten, ohne Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft könnte «eine zu Unrecht erfolgte Nichtanordnung von Haft» in gewissen Fällen «eine Fortsetzung der Strafuntersuchung illusorisch» machen, wie es Christa Markwalder (fdp, BE) formulierte. Die Ratsmehrheit folgte indessen der Argumentation von Mitte-Vertreter Philipp Matthias Bregy: Wenn die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Nichtanordnung, Nichtverlängerung oder Aufhebung der Untersuchungshaft einlegen könne, könne die Untersuchungshaft «durch systematische Beschwerden der Staatsanwaltschaften unnötig verlängert» werden. Selbst Bundesrätin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, es sei «alles andere als klar», ob sich die Beschwerdeberechtigung für die Staatsanwaltschaft mit den Vorgaben der EMRK vereinbaren lasse. Weil die Überführung der bundesgerichtlichen Praxis in das Gesetz von einer angenommenen parlamentarischen Initiative Jositsch (sp, ZH; Pa.Iv. 12.497) gefordert und in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst worden sei, habe sich die Regierung «trotz aller Bedenken und Unsicherheiten» entschieden, die nun im Nationalrat durchgefallene Regelung in den Entwurf aufzunehmen, so die Justizministerin.
Weiter sollten DNA-Profile gemäss dem Entwurf des Bundesrates neu auch dann erstellt werden dürfen, wenn «erhebliche und konkrete Anhaltspunkte» für eine Verwicklung der beschuldigten Person in bereits begangene oder künftige Delikte bestimmter Schwere bestünden, und nicht mehr nur zur Aufklärung von Verbrechen, die Gegenstand des aktuellen Verfahrens sind. Die Kommissionsmehrheit wollte hier einerseits einen Schritt weiter gehen und schlug vor, dass bei vergangenen Straftaten eine «gewisse Wahrscheinlichkeit» bereits genügen sollte; für die Aufklärung zukünftiger Straftaten lehnte sie andererseits die Erstellung eines DNA-Profils gänzlich ab. Die Volkskammer folgte diesen beiden Anträgen, wobei die Verschärfung bezüglich der vergangenen Straftaten gegen den Widerstand des links-grünen Lagers und die Streichung bezüglich der zukünftigen Straftaten gegen die SVP- und Teile der Mitte-Fraktion durchgesetzt wurde.
Überdies nahm der Nationalrat mit grosser Mehrheit auch einen Einzelantrag Regazzi (mitte, TI) an, der darauf zielte, die Möglichkeiten zur verdeckten Ermittlung im Bereich der Kinderpornografie zu erweitern. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass der Antrag in die sorgfältig austarierte Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen eingreife und deshalb abzulehnen sei. Ebenfalls gegen den Willen des Bundesrates fügte die grosse Kammer einen neuen Artikel über die restaurative Gerechtigkeit («justice restaurative», Wiedergutmachungsjustiz) in die StPO ein. Die Kommission habe sich mit 15 zu 6 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu diesem «mutigen Schritt» entschieden, berichtete Kommissionssprecher Beat Flach. Wenn beide Seiten damit einverstanden sind, soll neu eine Art Mediation zwischen Opfern und Tätern durchgeführt werden können. Es gehe nicht darum, wie von ablehnenden Stimmen aus SVP und Mitte kritisiert, die Verfahren zu verlängern oder «dem Straftäter gegenüber irgendwie Milde walten zu lassen», sondern dem Opfer eine Möglichkeit zu geben, sich mit dem Geschehenen zu beschäftigen und es aufzuarbeiten. Erfahrungen aus der Westschweiz und aus Belgien zeigten, dass solche Prozesse das «rein[e] Aburteilen und Strafen» gut ergänzen und vor allem für die Opfer «eine Hilfe auf dem weiteren Lebensweg» sein könnten. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, dass der Bundesrat die «justice restaurative» nicht generell ablehne, mahnte den Nationalrat aber zur Vorsicht, nicht übereilt zu handeln. Sie kritisierte die unpräzise Formulierung, die sowohl den Anwendungsbereich als auch die Folgen einer allenfalls erfolgreichen Wiedergutmachung zu stark offen lasse; das sei «unter dem Aspekt der rechtsgleichen Behandlung heikel». Auch müsste die Frage zuerst mit den Kantonen diskutiert werden, die die StPO schliesslich anwendeten. Den Einwand, das Konzept sei zu wenig ausgereift, liess Kommissionssprecher Flach nicht gelten: Der Ständerat könne als Zweitrat noch «nachjustieren». Mit 122 zu 71 Stimmen sah das auch der Nationalrat so und hiess den Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit gut, wobei sich die SVP-Fraktion geschlossen und die Mitte-Fraktion mehrheitlich gegen die Einführung der Wiedergutmachungsjustiz aussprach.
Eine weitere Neuerung, die der Bundesrat nicht durchsetzen konnte, war das Ansinnen, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die beschuldigte Person im Strafbefehlsverfahren zwingend einzuvernehmen, wenn ihr eine unbedingte Freiheitsstrafe droht. Eine Einvernahme erhöhte die Akzeptanz eines Strafbefehls, begründete die Justizministerin diesen Schritt. Während eine links-grüne Minderheit die Einvernahme auch bei hohen Geldstrafen verpflichtend machen wollte, erachtete die bürgerliche Ratsmehrheit die heutige Regelung als ausreichend und strich den Artikel gänzlich aus dem Entwurf.
Damit hatte der Nationalrat der Revisionsvorlage einige Zähne gezogen, die insbesondere den Strafverfolgungsbehörden zugute gekommen wären. Von der Ratslinken hatte sich der Bundesrat zunächst vorwerfen lassen müssen, einer «durchaus beeindruckende[n] PR-Offensive» (Min Li Marti, sp, ZH) der Staatsanwaltschaft erlegen zu sein. Gegen die Vorlage, wie sie nun vom Nationalrat angepasst worden war, regte sich in der Gesamtabstimmung von linker Seite aber kein Widerstand mehr. «Den Ton gaben Anwältinnen und Anwälte an», resümierte denn auch die NZZ die Debatte. Mit dem Ergebnis explizit unzufrieden zeigte sich die SVP-Fraktion. Die versprochene Verbesserung der Praxistauglichkeit der StPO für die Strafverfolgungsbehörden sei «heute in diesem Saal nicht passiert», so SVP-Vertreter Pirmin Schwander (svp, SZ), weil die Ratsmehrheit die zentralen Neuerungen verworfen habe. Die grosse Kammer verabschiedete den Entwurf schliesslich mit 139 zu 54 Stimmen an den Zweitrat. Stillschweigend schrieb er die Motionen 09.3443, 11.3223, 11.3911, 12.4077 und 14.3383 sowie die Postulate 15.3447 und 15.3502 ab. Die vom Bundesrat ebenfalls beantragte Abschreibung des Postulats 18.4063 zur Wiedergutmachungsjustiz lehnte er jedoch ab.

Änderung der Strafprozessordnung (BRG 19.048)
Dossier: Revision der Strafprozessordnung (Umsetzung der Mo. 14.3383)

In der Frühjahrssession nahm sich der Nationalrat der Justiz-Initiative an. Zur Debatte standen dabei drei Minderheitsanträge, welche die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags bezweckten, was der Bundesrat in seiner Vorlage abgelehnt hatte. Ein Minderheitsantrag Min Li Marti (sp, ZH) verlangte die Rückweisung des Geschäfts an die RK-NR, damit diese ihren in Form einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 20.480) bereits eingereichten indirekten Gegenvorschlag weiter ausarbeite. Zwei weitere links-grüne Minderheiten präsentierte einen eigenen direkten Gegenentwurf, der gleichzeitig mit der Initiative zur Abstimmung kommen soll.
Die RK-NR selber sehe aber keinen Handlungsbedarf mehr, berichtete Barbara Steinemann (svp, ZH) für die Kommission. Nach einigen Anhörungen sei man zum Schluss gekommen, dass sich das aktuelle System bewährt habe. Die Wahl von Richterinnen und Richtern, wie sie heute praktiziert werde, sei nicht über alle Zweifel erhaben und es gebe durchaus «diskussionswürdige Punkte», so die Kommissionssprecherin. Alle anderen Systeme seien aber «noch weniger perfekt», weshalb die Kommission mit 22 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) empfehle, die Volksinitiative ohne indirekten Gegenvorschlag und ohne direkten Gegenentwurf abzulehnen.
In der Begründung ihres Rückweisungsantrags machte Min Li Marti (sp, ZH) auf die wunden Punkte aufmerksam, auf welche die Initiative die Finger legt: Die Frage der Wiederwahl – Richterinnen und Richter müssen periodisch in ihrem Amt bestätigt werden, was in jüngerer Zeit nicht immer reibungslos vonstatten gegangen war –; die Mandatsabgaben, die von Richterinnen und Richtern an ihre Parteien bezahlt werden müssen und die auch von der Greco kritisiert werden, weil sie das bestehende Abhängigkeitsverhältnis noch verstärken; oder die Auswahl der Richterinnen und Richter durch die Gerichtskommission, die kein eigentliches Fachgremium darstellt und weniger auf Fachkompetenz als auf politische Einstellungen und Parteizugehörigkeit achtet. Diese Punkte müssten von der Rechtskommission noch einmal überdacht und in eine Gesetzesrevision gegossen werden, forderte die Zürcher Sozialdemokratin. Sibel Arslan (basta, BS) skizzierte in der Folge die beiden direkten Gegenentwürfe. Vorgesehen war eine Erhöhung der Amtsdauer von Richterinnen und Richter auf zwölf oder sechzehn Jahre in Verbindung mit einem noch zu regelnden Amtsenthebungsverfahren. Das bisherige Wiederwahlverfahren gefährde die Unabhängigkeit der Judikative, weil Richterinnen und Richter mit ihrer Wiederwahl unter Druck gesetzt werden könnten, so die Begründung der Baslerin.

In der nachfolgenden Debatte wiesen auch zahlreiche Votantinnen und Votanten auf die Mängel des bestehenden Systems hin. Freilich war umstritten, ob diese Mängel mit einem Gegenvorschlag oder einem Gegenentwurf behoben werden müssten oder ob sie sich «im Rahmen der heutigen Strukturen lösen» lassen, wie sich etwa Pirmin Schwander (svp, SZ) überzeugt zeigte. Wichtig sei freilich, dass man bereits bei der Selektion der Kandidierenden die «richtigen Persönlichkeiten» auswähle. Das System funktioniere, befand auch Christoph Eymann (ldp, BS). Änderungen seien weder auf Gesetzes- noch auf Verfassungsstufe nötig. Der von der Initiative kritisierte Parteienproporz bei Richterwahlen sei gar nicht so schlecht, führte dann Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus. Er garantiere vielmehr eine Vertretung aller «ideologischen Richtungen». Auch die regelmässigen Wiederwahlen wurden verteidigt: In Realität seien die Richterinnen und Richter unabhängig von ihren Parteien und zu einer Abwahl komme es praktisch nie, argumentierte Sidney Kamerzin (mitte, VS) gegen eine Reform des Systems. Gegen ein zu hastiges Vorgehen mit Hilfe von Gegenvorschlägen und Gegenentwürfen stellte sich auch Kurt Fluri (fdp, SO). Man müsse die bestehenden Probleme in Ruhe angehen. So sei ja etwa eine Motion von Beat Walti (fdp, ZH) für ein Verbot von Mandatssteuern bereits eingereicht worden.
Die Ratslinke – unterstützt von der GLP, für die Beat Flach (glp, AG) Handlungsbedarf aufgrund der undurchsichtigen Mandatsabgaben feststellte – hätte hingegen die Initiative gerne als Treiberin für nötige Reformen genutzt. Es sei ein Glücksfall, dass es dank der Initiative zu einer öffentlichen Debatte über die Judikative komme, lobte Matthias Aebischer (sp, BE). Wenn ein indirekter Gegenentwurf jetzt ausgearbeitet werden müsse, könnten die «kritischen und berechtigten Aspekte der Initiative» aufgenommen werden, warb auch Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) für die Rückweisung an die Kommission.

Eine solche wurde dann allerdings von der Ratsmehrheit mit 99 zu 81 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. Dabei zeigte sich der aufgrund der vorgängigen Diskussion zu erwartende Graben zwischen SVP-, FDP- und der Mehrheit der Mitte-Fraktion, die den Rückweisungsantrag ablehnten, und den Fraktionen von SP, GP und GLP sowie der EVP. Auf die beiden Vorlagen für mögliche direkte Gegenentwürfe mochte der Rat sodann gar nicht erst eintreten. Mit 102 zu 79 Stimmen (3 Enthaltungen) wurde eine mögliche Debatte abgelehnt. Dabei zeigten sich die praktisch gleichen Fronten wie bei der abgelehnten Rückweisung.

Die Initiative selber fand bei den Rednerinnen und Rednern kaum Unterstützung. Das Losverfahren sei «schlicht unseriös», urteilte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS). Der Zufall mache seine Sache nur selten gut, befand auch Nicolas Walder (gp, GE) und mit dem Los bestünde das grosse Risiko, dass nicht alle politischen Sensibilitäten in der Judikative repräsentiert seien. Auch die Idee eines Fachgremiums, mit dem die auszulosenden Kandidierenden bestimmt würden, stiess auf Kritik. Auch die Mitglieder eines solchen Gremiums könnten nicht politisch neutral sein, warnte Matthias Aebischer (sp, GE). Eine durch Los oder ein Fachgremium bestimmte Judikative sei demokratisch weniger legitimiert als durch das Parlament oder die Stimmbevölkerung gewählte Richterinnen und Richter, pflichtete Andreas Glarner (svp, AG) bei. Ein «Sympathie-Ja» erhielt das Begehren einzig von Lukas Reimann (svp, SG): Richterwahlen seien sehr wohl politisch und die Parteizugehörigkeit verhindere die Auswahl der besten Kandidierenden, begründete der St. Galler seine Unterstützung.
Der Nationalrat folgte stillschweigend dem Antrag der Kommission, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Die NZZ sprach nach der nationalrätlichen Debatte von einer verpassten Chance. Es sei fraglich, ob das Parlament ohne den Druck einer Volksinitiative gewillt sei, die Mängel im bestehenden System zu beheben.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Le 7 mars 2021, la population valaisanne renouvelait ses autorités, autant au niveau du législatif que de l'exécutif. Élue en 2009 et première femme à siéger au Conseil d'État valaisan, la ministre socialiste Esther Waeber-Kalbermatten, qui avait victorieusement défendu son siège face à la candidature de son camarade de parti Stéphane Rossini lors des élections précédentes, ne se représentait pas. Dès lors, la possibilité de revenir à un collège composé uniquement d'hommes attisait l'inquiétude d'une partie de l'électorat. Cette éventualité prenait de l'épaisseur avec la candidature du saviésan Mathias Reynard (ps) pour succéder à la haut-valaisanne. Celui-ci était l'option privilégiée des socialistes valaisans pour conserver leur siège, de par son charisme et son expérience politique, lui qui siégeait au Conseil national depuis 2011 – il avait alors 24 ans – et a manqué de peu d'accéder à la chambre haute lors des dernières élections fédérales. Reynard renonçait ainsi à briguer la co-présidence du parti socialiste suisse aux côtés de Priska Seiler Graf (ps, ZH), laissant le champ libre au duo composé de Mattea Meyer (ps, ZH) et Cédric Wermuth (ps, AG). Partant avec de maigres chances d'entrer à l'exécutif, les Vert-e-s lançaient deux femmes, Magali di Marco et Brigitte Wolf, sur une liste commune avec Mathias Reynard. Parfois critiqués pour ne pas avoir présenté de femme, les socialistes rejetaient la faute sur les autres partis, pointant en particulier l'inexistence de candidature féminine chez les démocrates-chrétiens, malgré leur majorité historique au Conseil d'État. En effet, et c'est là que se situait le deuxième grand enjeu de ce scrutin, le PDC valaisan avait jusqu'alors toujours disposé d'au moins trois mandats à l'exécutif. Cependant, sa domination s'était érodée ces dernières années, le parti ne représentant aujourd'hui plus que 35 pour cent de l'électorat. Comment dès lors justifier ces trois sièges sur cinq au gouvernement? Cela avait pour effet d'aiguiser l'appétit des autres partis, et notamment de l'UDC qui espérait reconquérir le siège perdu en 2017 suite à la non-réélection d'Oskar Freysinger (udc). Le parti agrarien misait pour cela sur le conseiller national haut-valaisan Franz Ruppen (udc). Frédéric Favre, qui avait permis au PLR de faire son entrée à l'exécutif en 2017, se représentait pour un deuxième mandat, alors que le PDC souhaitait défendre le siège laissé vacant par Jacques Melly, qui quittait le gouvernement après trois mandats, avec la candidature de Serge Gaudin, peu connu du grand public. Celui-ci se présentait aux côtés des sortants Roberto Schmidt (pdc) et Christophe Darbellay (pdc).
Les enjeux de représentation féminine et partisane, évoqués ci-dessus, ont éclipsé les arguments et les programmes des partis durant la campagne. La pandémie de Covid-19, la crise climatique, les problèmes de l'administration cantonale ou encore le dossier de la construction de l'autoroute entre le Valais romand et le Haut-Valais, serpent de mer de la politique valaisanne, n'ont ainsi pas été au centre des débats, regrettait le directeur de publication du Walliser Bote dans le Nouvelliste. Les candidates et candidats se sont néanmoins positionnés sur différentes thématiques. Dans la ligne sociale de son parti, Mathias Reynard a notamment exprimé sa volonté de revaloriser les conditions de travail du personnel de santé ainsi que d'améliorer l'accès aux aides Covid pour les entreprises. Pour sa part, le haut-valaisan Roberto Schmidt affirmait que par son entremise, le Valais avait été l'un des cantons les plus rapides à accorder les aides. Frédéric Favre et Christophe Darbellay ont aussi fait connaître leur volonté de soutenir l'économie pour sortir de la crise en limitant les dégâts. Darbellay, en tant que ministre de l'éducation, appuyait l'«excellente» qualité de l'enseignement valaisan, alors que Frédéric Favre soutenait la promotion de femmes à des postes-clés, en particulier dans l'administration cantonale. Mais encore, le candidat UDC Franz Ruppen clamait son soutien à l'agriculture et aux PME, qui étaient également défendues par Serge Gaudin. Celui-ci se positionnait aussi sur des sujets écologiques, souhaitant faire du Valais un exemple de durabilité, des thèmes évidemment exploités par les candidates vertes. Magali di Marco et Brigitte Wolf soutenaient notamment la transition énergétique et les mesures en faveur du maintien de la biodiversité.
En outre, le candidat démocrate-chrétien Serge Gaudin, originaire d'Évolène mais habitant de Grimisuat, a déménagé, durant la campagne, dans sa commune d'origine, pour éviter de se confronter à Mathias Reynard dans le district de Sion, la constitution valaisanne ne permettant qu'un seul élu par district.

Si des discussions entre le PS, le PLR et l'UDC ont eu lieu, aucune alliance officielle n'a vu le jour pour contrecarrer les plans du PDC avant le premier tour. Les deux ministres sortants Roberto Schmidt (62'031 voix) et Christophe Darbellay (56'331 voix) sont sortis en tête, pas perturbés par une affaire de dîner clandestin dans un restaurant fermé à cause de la pandémie, révélée par le Nouvelliste quelques jours avant le scrutin. Mathias Reynard réalisait le troisième meilleur score avec 51'539 voix, suivi par Frédéric Favre avec 50'199 voix. La lutte était serrée pour la cinquième place entre Serge Gaudin (45'452 voix) et Franz Ruppen (44'734 voix), alors que les deux candidates vertes terminaient sans surprise plus loin, avec 31'567 voix pour Brigitte Wolf et 30'721 pour Magali di Marco. Les espoirs de voir une femme être élue s'envolaient et l'hypothèse d'un Conseil d'État cent pour cent masculin se confirmait. Le suspens demeurait cependant quant au maintien du troisième siège PDC. Bien qu'en ballottage favorable avec sa cinquième place, Serge Gaudin semblait en danger face à Franz Ruppen, qui comptait sur la forte mobilisation du Haut-Valais lors du deuxième tour pour permettre aux germanophones de garder leurs deux sièges à l'exécutif. Les sièges de Mathias Reynard et de Frédéric Favre ne semblaient pas encore garantis, les candidats PS et PLR ayant réalisés, avec presque 40 pour cent des voix, des scores largement supérieurs à la force de leurs partis respectifs, qui plafonnent aux alentours de 20 pour cent. La participation s'est élevée à 60.84 pour cent.

Grâce au retrait de Magali di Marco avant le deuxième tour, Christophe Darbellay était déjà certain d'être élu en tant que dernier représentant du Bas-Valais. La constitution valaisanne stipule en effet que chacune des trois régions (Bas-Valais, Valais Central, Haut-Valais) doit disposer d'au moins un conseiller d'état. Comme Roberto Schmidt avait réalisé un excellent score au premier tour, c'est un match à quatre pour trois sièges qui se profilait en vue du deuxième tour. Le PS, le PLR et l'UDC du Valais romand (UDCVr) lançaient ainsi un appel à élire un gouvernement composé de deux élus PDC, un PLR, un PS et un UDC. Cherchant par tous les moyens à défendre son troisième siège, le PDC se retrouvait embourbé dans une stratégie contradictoire. Alors que le parti s'était toujours montré favorable à l'octroi de deux sièges à la minorité germanophone du canton, son adversaire le plus proche était désormais le haut-valaisan Ruppen. Pour s'éviter une déconvenue, les démocrates-chrétiens appelaient leur électorat à serrer les rangs pour éviter d'apporter des voix aux autres candidats, notamment Frédéric Favre, que Roberto Schmidt et Christophe Darbellay avaient pourtant soutenu lors du premier tour. Ce revirement était sanctionné lors du second tour le 28 mars 2021. Serge Gaudin échouait à être élu, occupant la sixième place avec 37'414 voix, alors que Christophe Darbellay terminait étonnamment cinquième, avec 43'799 voix. Massivement soutenu par le Haut-Valais, Franz Ruppen prenait la deuxième place avec 50'982 voix, seulement devancé par Roberto Schmidt (55'698 voix). Avec 49'094 voix, Mathias Reynard était troisième tandis que la quatrième place revenait à Frédéric Favre avec 48'990 voix. Pour ce deuxième tour, la participation était de 55.61 pour cent.
Pour la première fois, la population valaisanne a donc élu un gouvernement dont la majorité ne revient pas au PDC. Le parti avait perdu sa majorité au Grand Conseil en 2013.

Élection Conseil d'État valaisan 2021
Dossier: Kantonale Wahlen - Wallis
Dossier: Kantonale Regierungsratswahlen 2021

In der Volksabstimmung vom 7. März 2021 wurde das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) mit 64.4 Prozent Nein-Stimmen schweizweit wuchtig abgelehnt. Kein Kanton stimmte dem Gesetz zu; den höchsten Ja-Anteil erzielte es im Tessin mit 44.2 Prozent. Am deutlichsten fiel die «Ohrfeige», wie die Presse das Resultat vielfach betitelte, im Kanton Basel-Stadt aus, wo sich nur 29.3 Prozent der Stimmberechtigten für die Vorlage aussprachen. Die Stimmbeteiligung lag schweizweit bei 51.3 Prozent.
Das ausgesprochen klare Nein bedurfte in den Medien denn auch nicht langer Interpretation: «Durchgefallen» lautete das Verdikt im St. Galler Tagblatt und im «Corriere del Ticino»; die Stimmbevölkerung habe die E-ID «versenkt», urteilten die Westschweizer Zeitungen «La Liberté», «L'Express» und «Le Nouvelliste». Wahlweise als «Schlappe», «Klatsche», «Abfuhr», «Bruchlandung» oder «Debakel» wurde das Resultat in verschiedenen Deutschschweizer Zeitungen bezeichnet. Im Hinblick auf die vorgesehene Lösung mit privaten E-ID-Anbieterinnen und -Anbietern erkannte die NZZ darin ein «Misstrauensvotum gegen die Banken, Versicherungen und bundeseigenen Unternehmen», die sich im Konsortium SwissSign zusammengeschlossen und auf die Herausgabe der E-ID vorbereitet hatten.
Einig waren sich das unterlegene Befürwortendenlager und die siegreiche Gegnerschaft darin, dass sich das Votum nicht gegen die Idee einer E-ID an sich richtete – von der Notwendigkeit einer solchen im digitalen Zeitalter zeigten sich alle überzeugt –, sondern gegen die Ausgestaltung mit privaten Anbieterinnen und Anbietern. «Das Misstrauen gegenüber einer nicht staatlichen Lösung reichte weit ins bürgerliche Lager, obwohl die offiziellen Parteidevisen jeweils eindeutig schienen», resümierte die Aargauer Zeitung. Der «Blick» fasste zusammen: «Alle wollen die E-ID – aber vom Staat!»
So kündigte die Contra-Seite bereits am Abstimmungssonntag an, im Parlament schnellstmöglich auf ein neues Projekt mit einer staatlichen E-ID hinarbeiten zu wollen. SP, Grüne und GLP wollten in der Folgewoche zwei entsprechende Vorstösse einreichen, liess die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti in der NZZ verlauten. Die für das gescheiterte Gesetz zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter wollte ihrerseits dem Bundesrat ein Aussprachepapier vorlegen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden, wie sie gegenüber den Medien bekanntgab. Es sei nun wichtig, dass die Regierung und die Parteien die Unsicherheiten und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen würden. Unterdessen bedeute das Abstimmungsresultat aber nicht, dass eine rein staatliche Lösung automatisch eine Mehrheit erzielen würde, gab sie zu Bedenken.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.29%
Ja: 984'574 (35.6%)
Nein: 1'778'196 (64.4%)

Parolen:
– Ja: EVP (2*), FDP, KVP, Mitte (Junge Mitte: 2*), SVP (2*; JSVP: 1*); KdK, SGV, SSV, Economiesuisse, SAV, SGV, Baumeisterverband, Swissmem, SwissICT, SwissBanking, VöV
– Nein: EDU, GLP (6*; JGLP: 1*), GP (1*), PdA, Piratenpartei, SD, SP (1*); SGB, Travail.Suisse, VPOD, Syndicom, Schweizerischer Seniorenrat, Schweizerischer Verband für Seniorenfragen, Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen in der Schweiz (VASOS)
– Stimmfreigabe: Pro Senectute
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

E-ID-Gesetz
Dossier: Elektronische Identität

Der Abstimmungskampf zum Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Indonesien wurde Anfang Dezember 2020 durch Wirtschaftsminister Parmelin ins Rollen gebracht, nahm aber – wohl aufgrund der alles überschattenden Covid-Pandemie – nur langsam an Fahrt auf. Die NZZ machte in ihrer Berichterstattung schon früh klar, dass der Ausgang der Volksabstimmung über das Freihandelsabkommen als Präjudiz für künftige Abkommen gewertet werden dürfte. Palmöl, welches als Stein des Anstosses die Debatte entzündet hatte, machte dabei aber nur einen kleinen Teil des Handelsvolumens der beiden Staaten aus. So importierte die Schweiz 2019 nur 35 Tonnen Palmöl aus Indonesien, was bei einer Gesamtimportmenge von 24'000 Tonnen knapp 0.1 Prozent aller Palmölimporte ausmachte. Eine Annahme des Abkommens hätte die Senkung der Importzölle auf indonesisches Palmöl, welches gewisse Nachhaltigkeitsstandards erfüllt, bis maximal 12'500 Tonnen von 20 bis 40 Prozent zur Folge gehabt. Den Gegnern und Gegnerinnen des Freihandelsabkommens gelang es trotz dieser marginalen Importe, die Diskussion im Vorfeld der Abstimmung ausschliesslich auf die Problematik des Palmöls zu fokussieren. Sie warnten nicht nur vor der grossflächigen Zerstörung von Regenwald und vor Menschenrechtsverletzungen, sondern befürchteten auch, dass das Palmöl das Schweizer Rapsöl konkurrenzieren könnte. Zudem gaben sie sich gegenüber den im Abkommen enthaltenen Nachhaltigkeitsstandards skeptisch und lehnten den Begriff «nachhaltiges Palmöl» kategorisch ab. Der Bundesrat versuchte die Gemüter der Palmölkritiker im Dezember 2020 etwas zu beruhigen, indem er in einem ersten Entwurf zur entsprechenden Umsetzungsverordnung vier Zertifizierungsstandards für nachhaltiges Palmöl vorschlug, welche in Studien gute Resultate erzielt hatten. Mithilfe dieser sollten nicht nur Anforderungen an eine nachhaltige Produktion, sondern auch die Rückverfolgbarkeit des Palmöls sichergestellt werden. Bei der Gegenseite stiess diese Argumentation nicht auf Anklang. Das Referendumskomitee kritisierte, dass die Nachhaltigkeit selbst mit diesen Regeln nicht sichergestellt werden könne, und auch Expertinnen und Experten warnten in der NZZ, dass derartige Standards zwar gut formuliert seien, die geplante Durchsetzung aber mangelhaft erscheine.

Dem Referendumskomittee wurde zu Beginn des Abstimmungskampfs in den Medien nur wenig Chancen eingeräumt. Zu gering war die Unterstützung durch die linken Parteien, zu zersplittert die NGOs untereinander. Zwar unterstützten die Grünen, die EVP, die Juso, die EDU, Pro Natura, Uniterre und die Kleinbauern-Vereinigung das Referendum, initiiert worden war es jedoch nicht von einer Partei oder einem Verband, sondern vom Genfer Bio-Winzer Willy Cretegny. Viele Interessensgruppen, welche sich anfänglich gegen das Freihandelsabkommen gewehrt hatten, beteiligten sich zudem nicht am Abstimmungskampf. So gaben NGOs wie Public Eye, Alliance Sud und Brot für alle bekannt, weder die Ja- noch die Nein-Parole ausgeben zu wollen. Die NZZ kritisierte das fehlende Engagement vieler NGOs denn auch. Diese hätten sich im Rahmen der Konzernverantwortungsinitiative noch als Globalisierungskritiker hervorgetan, im Abstimmungskampf zum FHA hätte aber beispielsweise der WWF seine grosse Expertise im Bereich Palmöl nicht in die Debatte eingebracht. Zum einen wolle man wohl die mühsam errungenen Nachhaltigkeitskriterien des Abkommens nicht durch eine Ablehnung riskieren, andererseits seien die Kontrollmechanismen nicht strikt genug, um sich intensiv für ein Ja einzusetzen, mutmasste die NZZ. Später empfahl der WWF Schweiz gegenüber der NZZ ein «zurückhaltendes Ja», da er nachhaltiges Palmöl für umweltfreundlicher befand als eine Substitution durch weniger ertragreiches Raps-, Sonnenblumen- oder Erdnussöl. Als Mitgründer des RSPO-Nachhaltigkeitslabels, welches in der Palmölindustrie verwendet wird, verteidigte der WWF das Abkommen aber wohl auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit, mutmasste die NZZ. Auch von den linken Parteien erfuhren die Gegnerinnen und Gegner nur wenig Unterstützung. So entschied sich die SP, die im Parlament noch gegen das FHA gestimmt hatte, keine Abstimmungskampagne dazu zu führen, und liess sich auch mit der Parolenfassung viel Zeit. Für Co-Parteipräsidentin Mattea Meyer (sp, ZH) ging das Abkommen in die richtige Richtung, zudem stosse es in Indonesien und etwa auch bei Greenpeace auf breite Zustimmung. Ähnlich wie die fehlende Kampagne der SP wurde auch der geringe Ressourceneinsatz der Grünen im Abstimmungskampf von den Medien als Ursache für geringere Erfolgschancen des Referendums ausgemacht. Balthasar Glättli (gp, ZH) erklärte denn auch, dass er die Abstimmungen zur Pestizidinitiative und zum CO2-Gesetz höher gewichte als diejenige zum FHA.
Obwohl also der Vergleich mit den Befürwortenden der Konzernverantwortungsinitiative in den Medien oft bemüht wurde, war das Referendumskomitee in diesem Fall deutlich weniger geeint und potent. Diesen Eindruck bestätigten die APS-Inserateanalyse und der fög-Abstimmungsmonitor: Die in den Printmedien geschalteten Inserate stammten fast ausschliesslich von Befürwortenden, nur zwei Contra-Inserate wurden in der Analyse gezählt. Auch der fög-Abstimmungsmonitor stellte fest, dass die Medienresonanz generell gering ausfiel, was angesichts des von ähnlichen Kreisen intensiv geführten Abstimmungskampfes um die Konzernverantwortungsinitiative überrascht habe.

Die Befürworterinnen und Befürworter des Freihandelsabkommens argumentierten im Abstimmungskampf auf zwei sehr unterschiedlichen Ebenen. Umweltfreundliche Unterstützende wie SP-Nationalrat Molina (sp, ZH) erkannten im Abkommen eine Verbesserung der Handelsbedingungen, da es im Gegensatz zu den WTO-Standards auch Nachhaltigkeitsregeln umfasste. Wirtschaftsnahe Organisationen wie Economiesuisse sahen die Vorzüge des Abkommens insbesondere im Wettbewerbsvorteil, den Schweizer Firmen durch den erleichterten Zugang zum indonesischen Markt erhalten würden.

Bei der offiziellen Lancierung der Abstimmungskampagne im Januar 2021 wandte sich schliesslich der Initiator des Referendums, Willy Cretegny, an die Öffentlichkeit, um für ein Nein zum Freihandelsabkommen zu werben. Gegenüber Le Temps bezeichnete er sich zwar als Freihandels-Gegner, aber nicht grundsätzlich als Handels-Gegner. Er setze sich nach eigener Aussage für einen «fairen Handel» ein und lehne den Wunsch nach «immer mehr Wachstum des Handels, des Konsums und des Ressourcenverbrauchs» ab. Obwohl er mit seiner kritischen Haltung gegenüber dem Freihandel im ganzen Landwirtschaftssektor Zuspruch fand, teilten deshalb noch lange nicht alle seine ablehnende Haltung gegenüber dem FHA. Der Schweizer Bauernverband (SBV) unterstützte beispielsweise das Abkommen mit grosser Mehrheit, da die importierten Palmölmengen die einheimische Ölproduktion nach seiner Einschätzung nicht konkurrenzierten. Darüber hinaus stärkten die Exportmöglichkeiten die Schweizer Wirtschaft und damit indirekt die Kaufkraft der Schweizer Konsumenten, wovon auch die Schweizer Landwirtschaft profitieren würde. Auch Swiss Granum, der Interessensverband für Ölsaat (unter anderem der Rapsbauern), gab sich mit den Nachhaltigkeits- und Rückverfolgungskriterien im Abkommen zufrieden, nicht zuletzt weil man festgestellt habe, dass die Kundschaft sich sowieso allmählich von Produkten, die Palmöl enthalten, abwenden würden.

Etwas mehr als einen Monat vor der Volksabstimmung verschoben sich die Fronten zwischen den Pro- und Contra-Lagern noch einmal. So äusserte sich die SP-Fraktion im Bundeshaus positiv zur gegenwärtigen Form des Abkommens und Fabian Molina (sp, ZH) trat beim Auftakt des Ja-Komitees gar mit bürgerlichen Politikern vor die Presse, wie der SonntagsBlick berichtete. Dieser Meinungsumschwung führte innerhalb der SP zu einer Spaltung, da mehrere Kantonalsektionen und auch die Juso trotz abweichender Signale der Parteiführung die Nein-Parole beschlossen. Und selbst Maya Graf, eine Kritikerin des FHA der ersten Stunde, verkündete Anfang Februar in der AZ, sie sei «überhaupt nicht glücklich mit dem Referendum». Stattdessen zeigte sie sich zufrieden mit dem Erreichten der sogenannten «Palmöl-Koalition», die beispielsweise die Verknüpfung von Importmengen mit Nachhaltigkeitskriterien im Abkommen hatte unterbringen können. Anfang Februar meldete sich zudem Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie, in Le Temps zu Wort und warnte vor dramatischen Auswirkungen auf die Uhrenindustrie durch Ablehnung des Freihandelsabkommens. Pasche erklärte, dass die Schweizer Uhrenindustrie 95 Prozent ihrer Waren in Länder exportiere, mit denen die Schweiz ein FHA unterhält. Zwar sei Indonesien 2020 noch ein kleiner Absatzmarkt, doch in einer derart schnell wachsenden Volkswirtschaft müsse man möglichst schnell Fuss fassen. Dabei helfe ein Abkommen beispielsweise durch den Schutz von geistigem Eigentum.

Die letzten Umfragen des Tagesanzeigers und des SRG-Abstimmungsmonitors Ende respektive Mitte Februar wiederspiegelten die in der Politik feststellbaren Verschiebungen zugunsten des Ja-Lagers. Gegenüber Januar stieg die Zustimmung für das Freihandelsabkommen laut Tagesanzeiger von 41 auf 52 Prozent an und auch die SRG meldete eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für das FHA. Insbesondere Parteiungebundene hätten im Monat vor der Abstimmung in grösserem Ausmass vom Nein- ins Ja-Lager gewechselt.

Genehmigung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und Indonesien (BRG 19.036)
Dossier: Palmöl im Mittelpunkt der Freihandelsverhandlungen mit Malaysia und Indonesien
Freihandelsabkommen

In der Wintersession 2020 befasste sich der Nationalrat mit dem Rechtshilfeabkommen in Strafsachen mit Indonesien, welches bei einem Teil der SVP-Fraktion auf Widerstand stiess. Eine Minderheit Reimann (svp, SG) wollte nicht auf das Geschäft eintreten, weil man sich damit zum «Handlanger von Menschenrechtsverletzungen» mache. Nationalrat Reimann befürchtete auch einen Missbrauch der Rechtshilfe durch die indonesischen Behörden und schlug stattdessen vor, dass man Indonesien in seiner Entwicklung helfe, indem man die Menschenrechte und die Religionsfreiheit stärke. Die Bedenken der Minderheit stiessen bei den anderen Fraktionen zwar auf Gehör, vermochten diese aber nicht zur Ablehnung des Abkommens zu bewegen. Min Li Marti (sp, ZH) und Nicolas Walder (gp, GE) argumentierten, dass die Schweiz bei Anzeichen von Menschenrechtsverstössen gemäss Abkommen sowieso keine Rechtshilfe leisten dürfe. Laut Sidney Kamerzin (cvp, VD) würde man den Kampf gegen das Verbrechen in Indonesien mit dem Rechtshilfeabkommen gar stärken. Und auch die FDP sprach sich für die Annahme des Abkommens aus. Wenn man Freihandel mit Indonesien haben könne, dann könne man auch Rechtshilfe mit klaren Rechtsmitteln unterhalten, so Christian Lüscher (fdp, GE). Bundesrätin Karin Keller-Sutter fügte an, dass neben reinen Sicherheitsbedenken auch weitere Gründe für das Abkommen sprächen. So solle die internationale Staatengemeinschaft nicht als Hort für illegale ausländische Gelder dienen, deren Rückgabe im Vertrag vorgesehen seien. Die Abstimmung über den Nichteintretensantrag fiel entsprechend deutlich aus: Er wurde mit 153 zu 32 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Das Rechtshilfeabkommen selber wurde dann vom Nationalrat mit 150 zu 32 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) verabschiedet.

Abkommen mit Indonesien über Rechtshilfe in Strafsachen (BRG 19.084)

Lors de la session d'hiver 2020, le Conseil national a rejeté sans débat une motion Meyer, qui demandait la mise en place de mesures pour faire cesser les noyades de personnes migrantes en Méditerranée. La socialiste demandait à la Suisse de prendre part à la mise en place d'une structure civile de sauvetage en mer au niveau européen, de soutenir un système de répartition des personnes sauvées en mer, d'offrir l'appui nécessaire aux communes prêtes à accueillir des personnes réfugiées arrivées par bateau et enfin de tout mettre en œuvre pour que les personnes sur la route de l'exil internées en Libye soient libérées sans délai, en soutenant une prise en charge dans le cadre du programme de réinstallation des Nations Unies. Le texte a rencontré une opposition de la droite et du centre, avec toutefois 5 voix PDC et 3 voix PLR favorables. Le score final s'élevait à 81 voix pour, 99 contre et 4 abstentions.

Sterben im Mittelmeer stoppen! (Mo. 19.3479)

Die Vorlage zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen den verschiedenen EU-Informationssystemen gelangte in der Herbstsession 2020 in den Nationalrat. Die Vorlage beinhaltete zwei EU-Verordnungen zur Vernetzung der europäischen Informationssysteme. Einerseits ging es um das Europäische Suchportal, welches die parallele Abfrage unterschiedlicher Informationssysteme ermöglicht. Andererseits ging es um einen gemeinsamen Dienst für den Abgleich biometrischer Daten, einen Speicher für Identitätsdaten und einen Detektor für Mehrfachidentitäten. Die vorberatende SiK-NR hatte vorgeschlagen, auch das ETIAS-System in die Vorlage aufzunehmen, da die ETIAS-Vorlage bei der Verabschiedung des vorliegenden Geschäfts durch den Bundesrat noch nicht vom Parlament beschlossen worden war und deshalb nicht hatte aufgeführt werden können. Kommissionssprecherin Doris Fiala (fdp, ZH) betonte in der Ratsdebatte die Wichtigkeit der Interoperabilität zwischen den EU-Informationssystemen für die innere Sicherheit der Schweiz. Durch die dadurch möglichen vernetzten Abfragen würden die Informationssysteme der Polizei, der Grenzkontrolle und der Migrationsbehörden verbessert. Bundesrätin Keller-Sutter habe gegenüber der Kommission überzeugend dargelegt, dass Schwerstkriminalität und Terrorismus global sind und die Schweiz daher ein Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur sein müsse. Mauro Tuena (svp, ZH) äusserte sich zur Ambivalenz der SVP-Fraktion in ihrer Entscheidungsfindung. Einerseits befürworte die SVP Sicherheit, andererseits lehne sie die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes – also die automatische Rechtsübernahme – ab. Eine Minderheit Marti (sp, ZH) wollte den Diskriminierungsschutz in der Vorlage stärken. Zwar gebe es einen Verweis darauf, dass in der nationalen Gesetzgebung Massnahmen zur Vorbeugung von Diskriminierung beschlossen werden müssten, doch ein blosser Verweis habe nicht den gleichen Stellenwert wie eine explizite Verankerung, bemängelte Marti. Sie merkte darüber hinaus an, dass für die SP Grund- und Menschenrechte im Zentrum stünden und dass die Bekämpfung illegaler Migration gleichzeitig auch reguläre Migration ermöglichen und das Recht auf Asyl gewährleisten müsse. Zudem kritisierte sie «die Entwicklung Europas zu einer Festung», wo doch die EU «nicht als eine Festung, sondern als Friedensprojekt entstanden» sei. Die Fraktion der Grünen beschloss, den Minderheitsantrag von Nationalrätin Marti zu unterstützen, sich in der Gesamtabstimmung aber zu enthalten, insbesondere wegen Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und des Grundrechtschutzes. Die anwesende Bundesrätin Karin Keller-Sutter versuchte die Befürchtungen bezüglich Datenschutz zu zerstreuen und erklärte, dass durch die Vernetzung der Informationssysteme nicht mehr Daten erhoben oder gespeichert würden als bisher. Auch die Zugriffsrechte der nationalen Behörden blieben unverändert, nur die Datenverfügbarkeit werde verbessert, stellte die Bundesrätin klar. Das Anliegen der Minderheit Marti begrüsste die Bundesrätin zwar inhaltlich, doch sie argumentierte, dass es durch die EU-Verordnungen bereits erfüllt werde. Der Minderheitsantrag wurde in der Folge mit 124 zu 64 Stimmen abgelehnt. Den Entwurf nahm der Nationalrat in der Gesamtabstimmung mit 156 zu 5 Stimmen (bei 27 Enthaltungen der Grünen) an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Da die grosse Kammer, wie von der SiK-NR vorgeschlagen, auch das ETIAS in die Vorlage aufnahm, wich der Beschluss geringfügig vom Entwurf des Bundesrats ab.

Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen

En s'appuyant sur la modernisation et la numérisation des douanes helvétiques, et citant notamment le système QuickZoll, la majorité de la Commission des finances du Conseil national (CdF-CN) recommande la suppression ou l'abaissement de la franchise-valeur sur l'importation de marchandise afin de garantir l'équité fiscale et de lutter contre le tourisme d'achat. Cette motion poursuit les objectifs des initiatives cantonales 18.300 et 18.316 des cantons de St-Gall et Thurgovie. A l'opposé, une minorité Meyer (ps, ZH) recommande le rejet de la motion. Elle estime que seule l'initiative pour des prix équitables répond à la problématique du tourisme d'achat.
Le Conseil fédéral s'est opposé à la motion. Il a mis en avant les arguments présentés dans le rapport sur le postulat 17.3360. Pour être précis, il a cité le risque de surcharge administrative, l'objectif contradictoire à la lutte contre l'îlot de cherté et l'impact négatif sur les consommateurs et consommatrices helvétiques.
Lors du vote, la motion a été adoptée par 115 voix contre 54 et 10 abstentions. Le parti socialiste, opposé à la motion, n'a su convaincre que des voix éparses dans les rangs des autres partis politiques: 1 voix Verts, 4 voix PLR, 12 voix Vert'libéraux et 8 voix UDC. Les abstentions sont majoritairement issues des rangs des Verts (8 abstentions).

Améliorer l'égalité fiscale en ce qui concerne le flux de marchandises du petit trafic frontalier (Mo.19.3975)
Dossier: Einkaufstourismus

Le 25 septembre, le Conseil national a traité simultanément quatre initiatives (parlementaires et cantonale) qui souhaitaient mettre en œuvre des mécanismes contraignants pour atteindre l'égalité salariale, principe inscrit dans la Constitution depuis 1981 (art. 8, al. 3) et évoqué dans une modification de la loi sur l'égalité (LEg) en 2018. Aux yeux des différents initiants et initiantes, les mécanismes que la modification prévoit ne sont pas suffisamment efficaces. Le premier objet avait été déposé par le canton de Vaud en 2018 et souhaitait des dispositions légales pour instaurer un contrôle institutionnel des entreprises et entités privées (Iv.ct. 18.323). Le député socialiste Mathias Reynard (ps,VS) a lui proposé deux textes, visant à obliger les entreprises à se soumettre à un contrôle des salaires (Iv.pa. 19.453) (également celles de moins de 100 employé-e-s), ceci afin d'établir une liste noire des entreprises ne respectant pas l'égalité (Iv.pa. 19.452). Enfin, Min Li Marti (ps, ZH) avait demandé des sanctions en cas de non respect du principe de l'égalité salariale (Iv.pa. 19.444).
Chargée de l'examen, la CSEC-CN a proposé de rejeter les initiatives, estimant qu'il était d'une part trop tôt pour estimer les effets de la modification de la LEg, entrée en vigueur dans sa nouvelle mouture seulement au printemps 2020, et d'autre part que ce résultat est celui d'un compromis démocratique, qu'il convient de respecter. Chaque objet a ainsi été refusé en commission par une quinzaine de voix contre une dizaine et de rares abstentions. La CSEC-CN a cependant décidé de lancer – le jour même de la parution du rapport sur les quatre textes – sa propre initiative sur le sujet, qui vise à déterminer une obligation de transmission des résultats des enquêtes sur les disparités salariales au sein des entreprises.
Le Conseil national a suivi l'avis de la commission et refusé d'entrer en matière sur les quatre textes, avec des scores toutefois variables. L'initiative cantonale a été refusée par 126 voix, contre 65 et 3 abstentions; le texte Reynard qui visait une liste noire a essuyé le plus petit camouflet du groupe avec seulement 108 oppositions, qui ont tout de même suffi à contrer les 80 voix favorables et les 5 abstentions; l'objet qui voulait obliger le contrôle des salaires aux entreprises de moins de 100 employé-e-s a été rejeté par 108 voix contre 86 et 2 abstentions; et enfin, l'initiative parlementaire Min Li a échoué à 114 voix contre 74 et 3 abstentions. Les variations de score sont imputables aux parlementaires des groupes vert'libéral et du centre.

Parlamentarische Initiativen fordern Sanktionen bei Lohnungleichheit
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

In der Herbstsession 2020 behandelte der Nationalrat die Motion Maury Pasquier (sp, GE; Mo. 19.4270), inzwischen übernommen von Liliane Baume-Schneider (sp, JU), für die Schaffung einer Betriebszulage bei Mutterschaftsentschädigung von Selbständigerwerbenden, obwohl er die gleichlautende Motion Marti (sp, ZH; Mo. 19.4110) bereits im Vorjahr angenommen hatte. Weder im Kommissionsbericht noch im Rat wurde jedoch die Annahme der Motion Marti durch den Nationalrat erwähnt. Im Unterschied zu damals lag nun ein Minderheitsantrag der Kommission auf Ablehnung vor: Die Minderheit erachtete eine weitere Belastung der EO finanzpolitisch als nicht tragbar. Mit 128 zu 44 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat aber erneut für das Anliegen aus; die ablehnenden Stimmen stammten von der Mehrheit der SVP-Fraktion sowie von zwei Mitgliedern der CVP.

Betriebszulage bei Mutterschaftsentschädigung von Selbstständigerwerbenden

In der Herbstsession 2020 stand der erste Teil der Erbrechts-Revision, mit der in erster Linie die Verfügungsfreiheit von Erblassern und Erblasserinnen vergrössert werden sollte, auf der Tagesordnung des Nationalrats, der die Vorlage als Zweitrat behandelte. Einige Mitglieder der SVP-Fraktion beantragten Nichteintreten, weil sie es für falsch hielten, die Pflichtteile der Eltern und Kinder zugunsten des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin zu verringern. Diese Bevorzugung der horizontalen und temporären gegenüber der vertikalen und beständigen Beziehung stelle «die traditionellen Linien auf den Kopf», begründete Yves Nidegger (svp, GE) die Ablehnung der Vorlage. Ausserhalb der SVP-Fraktion fand der Antrag jedoch keine Unterstützung, sodass der Nationalrat mit 142 zu 48 Stimmen bei einer Enthaltung auf das Geschäft eintrat.
Inhaltlich hatte sich die grosse Kammer mit drei Minderheitsanträgen aus ihrer vorberatenden Rechtskommission zu befassen. Der erste betraf eine Bestimmung, die der Ständerat noch stillschweigend durchgewunken hatte, die in der RK-NR jedoch für heftige Diskussionen gesorgt hatte: Hat ein Ehepaar nichts anderes vereinbart, kommt grundsätzlich die Hälfte der Errungenschaft (d.h. des während der Ehe gebildeten Vermögens) der verstorbenen Person dem überlebenden Ehegatten zugute, während die andere Hälfte zusammen mit dem Eigengut (d.h. des vor der Ehe gebildeten Vermögens) in den Nachlass fällt und unter den Erben aufgeteilt wird. Mit einem Ehevertrag kann ein Ehepaar von dieser Regel abweichen und den überlebenden Ehegatten stärker oder sogar maximal begünstigen, indem ihm die gesamte Errungenschaft zugewiesen wird, sodass nur noch das Eigengut der verstorbenen Person in den Nachlass fällt. In der juristischen Lehre und Literatur sei nun seit längerem umstritten, erläuterte Bundesrätin Karin Keller-Sutter, ob eine solche Bevorzugung des Ehegatten für die Berechnung der Pflichtteile der gemeinsamen Kinder berücksichtigt werden muss oder nicht. Der Bundesrat hatte hier darum eine klärende Regelung vorgeschlagen, wonach der überhälftige Teil der Errungenschaft, der an den überlebenden Ehegatten geht, bei der Berechnung der Pflichtteilsmasse zu berücksichtigen wäre. Konkret müsste der Pflichtteil berechnet werden, bevor die zusätzliche Begünstigung gemäss Ehevertrag angewandt wird, sodass die Basis zur Berechnung der Pflichtteile damit grösser wäre, als wenn die ehevertragliche Bevorzugung nicht berücksichtigt wird. In der Kommission wurde kritisiert, dass in der Praxis eine andere Interpretation des geltenden Rechts vorherrsche und diese Berücksichtigung bei der Berechnung der Pflichtteile üblicherweise gerade nicht gemacht werde, sodass in der Folge zahlreiche bestehende Verfügungen an das neue Recht angepasst werden müssten, was zu noch mehr Rechtsunsicherheit führe. Die Justizministerin erklärte, der Bundesrat habe sich dabei auf die Analyse einer Expertengruppe aus juristischer Lehre und Praxis gestützt, die ein grosses Interesse an der Klärung der Rechtslage kundgetan habe. Eine Minderheit der Kommission wollte eine in der Formulierung verbesserte Version des bundesrätlichen Vorschlags übernehmen, währenddessen die Kommissionsmehrheit beantragte, beim geltenden Recht zu bleiben. Der Nationalrat folgte mit 106 zu 80 Stimmen bei einer Enthaltung dem Mehrheitsantrag. Da dieser Entscheid aber ohnehin zu einer Differenz mit dem Ständerat führte, könne der Bundesrat gemäss Karin Keller-Sutter auch damit gut leben; wichtig sei, dass sich der Ständerat noch einmal mit der Thematik befasse.
Mit einem zweiten Minderheitsantrag brachte Nationalrätin Min Li Marti (sp, ZH) die im Ständerat bereits gescheiterte Idee erneut ein, dass die erblassende Person den Pflichtteil weiter, d.h. bis auf die Hälfte des neu im Gesetz vorgeschriebenen Werts, verringern können sollte, um so den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin in grösserem Umfang zu begünstigen. Diese noch grössere Verfügungsfreiheit als vom Bundesrat vorgesehen ging jedoch auch dem Nationalrat zu weit; er lehnte den Minderheitsantrag mit 106 zu 81 Stimmen ab.
Bei der dritten Minderheit ging es um den vom Bundesrat neu ins Gesetz eingebrachten Unterstützungsanspruch für faktische Lebenspartnerinnen und Lebenspartner, der von der Kommissionsmehrheit wie vom Ständerat abgelehnt worden war und für dessen Beibehaltung die Minderheit Arslan (basta, BS) eintrat. Der Unterstützungsanspruch sei gedacht, um Notlagen zu verhindern, beispielsweise weil der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin die verstorbene Person gepflegt und darum kein Erwerbseinkommen hatte, und entspreche damit der Gerechtigkeit, so das Argument der Minderheit. Die Kommissionsmehrheit war dagegen der Ansicht, dass die Verringerung der Pflichtteile und die damit erweiterte Verfügungsfreiheit eine ausreichende Möglichkeit schaffe, den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin zu begünstigen, wie Kommissionssprecher Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) ausführte. Eine knappe Mehrheit aus den geschlossenen Fraktionen der SVP und der Mitte sowie zwei Dritteln der FDP-Fraktion besiegelte schliesslich das Aus für diese Idee. Sie wurde von der Volkskammer mit 94 zu 90 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt, womit die entsprechenden Artikel definitiv aus dem Gesetzesentwurf gestrichen sind.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 140 zu 48 Stimmen bei einer Enthaltung an, wobei alle Opposition aus der SVP-Fraktion kam. Stillschweigend schrieb er zudem die Motion Gutzwiller (fdp, ZH; Mo. 10.3524) für ein zeitgemässes Erbrecht und das Postulat Nantermod (fdp, VS; Po. 16.3416) betreffend eine gesetzliche Regelung der Erbfolge in Patchworkfamilien ab.

Revision des Erbrechts (BRG 18.069)
Dossier: Revision des Erbrechts (2016– )

Zwischen dem 14. und dem 21. September 2020 fand das Differenzbereinigungsverfahren zum Covid-19-Gesetz statt. Dabei blieb das Programm der beiden Räte sehr gedrängt. Gleich zu Beginn des Verfahrens nahm der Nationalrat einen Ordnungsantrag Weichelt-Picard (al, ZG) an und verschob wie darin gefordert die Behandlung des Geschäfts auf den Folgetag, um der Kommission eine ausführlichere Diskussion der Differenzen zu ermöglichen.
Bei den Beratungen selber konnten die Räte dann die meisten Aspekte bereinigen, einzelne Fragen zu den Härtefallmassnahmen und zur Erwerbsersatzordnung blieben jedoch bis zum Schluss offen.

Bereinigen konnte das Parlament unter anderem die Fragen zum Gegenstand des Gesetzes. Hier pflichtete der Nationalrat dem Vorschlag des Ständerats bei, wonach der Bundesrat seine aussergewöhnlichen Befugnisse nur dann einsetzen darf, wenn eine Behandlung durch das Parlament zeitlich nicht möglich ist. Bezüglich des Einbezugs von Sozialpartnern, Gemeinden und Städten bei der Erarbeitung von Massnahmen brachte die Mehrheit der SGK-NR ihren anfänglichen Vorschlag erneut vor: So sollten zwar die Sozialpartner, nicht aber die Verbände von Gemeinden und Städten einbezogen werden. Entgegen anderen Anträgen der Minderheiten Prelicz-Huber (gp, ZH) im Nationalrat und Dittli (fdp, UR) im Ständerat stimmten beide Parlamentskammern diesem Vorschlag zu.

Bezüglich des Gesundheitsbereichs war lediglich die Frage nach dem Verbot von medizinischen Tätigkeiten noch offen. Hier wollte der Ständerat ausdrücklich festhalten, dass eine solche Einschränkung nur bei nicht dringenden Behandlungen möglich sein soll. Dem stimmte der Nationalrat zu, packte die Bestimmung aber in eine schlankere Formulierung.

Auch bei den ALV-Massnahmen, spezifisch bezüglich der Entschädigung von Lohnfortzahlungen durch die Arbeitgebenden, wurden sich die Räte einig. Der Ständerat hatte diesbezüglich zuvor kritisiert, dass der Bundesrat in den meisten Fällen Massnahmen vorschlage, welche eine Weiterarbeit der Betroffenen ermögliche, und es für diese Fälle keine Entschädigung brauche. Der Nationalrat nahm folglich den Vorschlag seiner Kommission an, wonach die Entschädigungen ausdrücklich auf Fälle eingegrenzt werden sollten, bei denen die Arbeit aufgrund behördlicher Massnahmen eingestellt werden muss. Dieser Formulierung konnte sich in der Folge auch der Ständerat stillschweigend anschliessen.

Bei den Ausländer- und Asylmassnahmen folgte der Nationalrat dem Ständerat bezüglich der Möglichkeit zur Fristerstreckung bei Ausreise, dem Erlöschen von Asyl und von vorläufigen Aufnahmen, obwohl er in der ersten Debatte einen entsprechenden Minderheitsantrag Crottaz (sp, VD) noch abgelehnt hatte. Diese Massnahme sei nötig, falls die epidemiologische Lage eine Ausreise aufgrund geschlossener Grenzen nicht erlaube, erklärte Kommissionssprecherin Humbel (cvp, AG). Der Nationalrat lehnte den Minderheitsantrag de Courten (svp, BL), der an der bisherigen Entscheidung des Nationalrats festhalten wollte, ab. Auch den ständerätlichen Vorschlag, wonach der Bundesrat bei Grenzschliessungen die Reisefreiheit der Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie von Einwohnerinnen und Einwohnern gewährleisten solle, hiess die grosse Kammer entgegen einem Minderheitsantrag Aeschi (svp, ZG) gut.

Bei den insolvenzrechtlichen Massnahmen stimmte der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission der vom Ständerat geschaffenen Regelung, wonach auch bei Überschuldung eine Abweichung vom Gesetz möglich sein soll, stillschweigend zu. Hingegen beharrte er darauf, dass Transporteure nicht für Zollschulden, welche durch den Covid-19-bedingten Konkurs von Empfängern oder Importeuren entstanden ist, haftbar gemacht werden können. Hier gab sich der Ständerat in der nächsten Behandlungsrunde geschlagen.

Eine Lösung fand man auch bei den Massnahmen in der ALV. Offen war hier noch die Frage, ob Mitarbeitenden auf Abruf, in einem zeitlich begrenzten Arbeitsverhältnis, in einem Lehrverhältnis oder Temporärarbeitskräften ebenfalls Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigungen zugesprochen werden kann. Der Nationalrat beharrte auf dieser Ausweitung, worauf die SGK-SR einen Kompromissvorschlag machte: Mitarbeitende auf Abruf in unbefristeten Arbeitsverhältnissen sollten EO beantragen können, nicht aber die übrigen aufgezählten Gruppen. Trotz anderslautenden Minderheitsanträgen im Ständerat (Graf, gp, BL) und Nationalrat (Prelicz-Huber) willigten beide Räte in diesen Kompromiss ein.

Bis zum Schluss umstritten waren Aspekte des Kulturbereichs. Zwar konnten die Räte auch in diesem Bereich zahlreiche Differenzen ausräumen. So einigten sie sich darauf, die Leistungsvereinbarungen der Kantone mit CHF 100 Mio. zu unterstützen, wie es der Nationalrat vorgeschlagen hatte. Zudem willigte der Nationalrat ein, dass der Bund bei den Sportvereinen keine Rangrücktritte machen soll. Bei der Unterstützung für besonders stark betroffene Unternehmen setzte sich der Nationalrat bezüglich der Kann-Formulierung durch: Die Unterstützung bleibt somit für den Bundesrat freiwillig. Zudem kann der Bundesrat diesbezüglich zukünftig A-Fonds-perdu-Beiträge ausrichten. Man einigte sich überdies darauf, dass Unternehmen zwar prinzipiell nur Härtefallmassnahmen beanspruchen können, wenn sie keine anderen Finanzhilfen beanspruchen, schränkte diese Regelung aber noch etwas ein: KAE, EO und die Covid-Kredite sollen dabei nicht berücksichtigt werden. Dass teilweise nur um einzelne Ausdrücke gestritten wurde, zeigte die Frage, wie «fit» die Unternehmen zum Erhalt von Härtefallmassnahmen sein müssen. Einig war man sich, dass Unternehmen ohne Zukunftsperspektive keine Hilfe mehr erhalten sollten. Die Räte entschieden sich jedoch gegen die Begriffe «gesund» (Ständerat, erste Behandlung), «profitabel» (Nationalrat, zweite Behandlung) und «profitabel und überlebensfähig» (Ständerat, zweite Behandlung) und bevorzugten stattdessen «profitabel oder überlebensfähig» (Nationalrat, dritte Behandlung). Ein weiterer Versuch durch eine Minderheit Weichelt-Picard, Unterstützung für die Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung zu erhalten, diesmal über deren Aufführung bei den besonders stark betroffenen Branchen, scheiterte erneut.
Bis zum Schluss des Differenzbereinigugsverfahrens umstritten blieb schliesslich die Frage der Definition eines Härtefalls und seiner Bedingungen. Kann ein Härtefall als Rückgang des Jahresumsatzes auf unter 60 Prozent des mehrjährigen Durchschnitts (Ständerat) definiert werden, wobei auch die Gesamtvermögenssituation berücksichtigt werden soll, oder müssen dafür vielmehr die Zahlen zur Umsatzeinbusse und zum Insolvenzrisiko betrachtet werden (Nationalrat)? Diese Frage musste in der Einigungskonferenz entschieden werden, die gleich im Anschluss an die Differenzbereinigung stattfand.

Ebenfalls keine Einigung im Differenzbereinigungsverfahren fand man bei einzelnen Massnahmen zur Entschädigung des Erwerbsausfalls. Einig wurde man sich zwar bezüglich der Frage, ob Selbständigerwerbende und Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung ebenfalls Anspruch auf EO erhalten sollten. Hier setzte sich der Nationalrat durch, der eine entsprechende Regelung gefordert hatte. Die Schaffung einer Obergrenze des anzurechnenden Betrags bei EO (erste Behandlung des Nationalrats) respektive eine Obergrenze des anrechenbaren Einkommens (zweite Behandlung des Nationalrats) legten die Räte jedoch nicht fest, weil sie die Schaffung eines Schwellenwertes verhindern wollten; diese Fragen soll der Bundesrat in entsprechenden Verordnungen entscheiden. Des Weiteren war umstritten, ob ein Erwerbsausfall nachgewiesen werden muss und ob die selbstdeklarierte Höhe des Erwerbsausfalls ausbezahlt werden soll. Dies wollte der Nationalrat aufgrund eines breit abgestützten Einzelantrags Mettler/Meyer/Rösti/Roduit durch Stichproben sicherstellen, was der Ständerat mit einer etwas abgeänderten Formulierung akzeptierte. Schliesslich gab sich der Ständerat auch bei der Verwendung der Arbeitgeberbeitragsreserven durch die Arbeitgeber zur Bezahlung der BVG-Beiträge geschlagen.
Nicht einig wurde man sich auch bei der Frage, wer EO erhalten soll. Anfänglich stritten sich die Räte diesbezüglich darüber, ob nur bei Unterbrechung oder auch bei massgeblicher Einschränkung der Erwerbstätigkeit Erwerbsersatz ausgerichtet werden kann. Dann schlug der Ständerat vor, die Einschränkungen zu beziffern: Bei Umsatzeinbussen von mindestens 60 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren soll ein EO-Bezug möglich sein. Der Nationalrat fürchtete sich jedoch diesbezüglich vor Schwelleneffekten und nahm einen entsprechenden Einzelantrag Mettler/Meyer/Prelicz-Huber/Roduit/Rösti/Sauter an, weshalb der Ständerat die Regelung präzisierte: Bei einer Umsatzeinbusse von mindestens 65 Prozent gilt man als «massgeblich eingeschränkt», bei Umsatzeinbussen zwischen 60 und 65 Prozent können Erwerbsausfallentschädigungen dann beantragt werden, wenn das durchschnittliche massgebliche Einkommen 2015 bis 2019 unter CHF 90'000 liegt. Ansonsten wird ein Einkommen von CHF 90'000 angerechnet. Wichtig sei der Kommissionsmehrheit, dass die gesamte Vermögens- und Kapitalsituation berücksichtigt werde, betonte Kommissionssprecher Rechsteiner (sp, SG). Über diesen Vorschlag musste entsprechend ebenfalls die Einigungskonferenz entscheiden.
Umstritten war diesbezüglich auch die Frage, bis wann Artikel 10 zum Erwerbsausfall gelten soll. Der Bundesrat hatte eine Geltungsdauer bis Ende 2022 vorgeschlagen, der Nationalrat wollte diese aber auf Juni 2021 beschränken. Aufgrund eines Einzelantrags Feller (fdp, VD) erlaubte die grosse Kammer überdies eine rückwirkende Inkraftsetzung dieses Artikels auf den 17. September 2020. Damit wollte er die Möglichkeit auf Rückwirkung schaffen, welche der Bundesrat in einer Medienmitteilung angekündigt hatte, aber die ohne Rechtsgrundlage nicht möglich sei, betonte Feller. Nachdem die SGK-SR noch die Kann-Formulierung zur Rückwirkung gestrichen hatte, willigten beide Räte ein.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Mitte September 2020 legte der Bundesrat den Bericht in Erfüllung des Postulats von Min Li Marti (sp, ZH) vor, mit dem diese die Möglichkeiten für eine kurzfristige Beschäftigung von IT-Spezialistinnen und -Spezialisten beleuchtet haben wollte. Die Möglichkeit für sogenannte «Fellowship-Programme», also befristete Anstellungen von jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, Technikerinnen und Technikern oder ganz allgemein von «Personen, mit Potential die Innovation zu fördern», bestehe bereits heute, wurde im Bericht ausgeführt. Hochschulpraktika, aber auch die gut funktionierende Zusammenarbeit mit Hochschulen und mit Unternehmen würden bereits heute gefördert und stellten auch ein spezifisches Ziel der Personalstrategie «Bundesverwaltung 2020-2023» dar. Bestehende Netzwerke würden im Rahmen dieser Strategie adaptiert, ergänzt und weiterentwickelt, schloss der Bericht.

Kurzfristige Beschäftigung von IT-Spezialistinnen und -Spezialisten (Po. 18.4217)

Bei der Behandlung der Änderung des EOG bezüglich der Verlängerung der Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen lag dem Nationalrat bei seiner Behandlung in der Herbstsession 2020 ein Minderheitsantrag Schläpfer (svp, ZH) auf Nichteintreten vor. Grundgedanke des Mutterschaftsurlaubs sei die Erholung der Mutter und das Zusammensein mit dem Neugeborenen – und dies sei auch im Spital möglich, argumentierte Schläpfer. In dieser wirtschaftlich schwierigen Situation solle der Bund stärker ans Sparen denken und auf diese Mehrkosten verzichten. Dem stellte Mattea Meyer (sp, ZH) das Beispiel eines in der 28. Woche geborenen Kindes gegenüber. In diesem Fall hätte die Mutter, wenn sie und das Kind das Spital endlich verlassen könnten, nur noch drei bis vier Wochen Zeit, bis sie wieder zur Arbeit müsste. In dieser Situation wolle man die Mütter unterstützen, so dass sie nicht individuelle Lösungen mit ihren Arbeitgebenden suchen müssen. Betroffen seien jährlich rund 1300 Kinder und ihre Mütter. Mit 131 zu 35 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat für Eintreten aus. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.
Bei der Detailberatung stand dieselbe Frage zur Diskussion, die auch den Ständerat am stärksten beschäftigt hatte, nämlich ob die Mütter nachweisen müssen, dass sie bereits vor der Niederkunft beabsichtigt hatten, die Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen. Die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission befürwortete eine solche Nachweispflicht, während eine Minderheit Porchet (gp, VD) hier dem Ständerat folgen wollte, welcher sich dagegen ausgesprochen hatte. Die Kommissionssprechenden, Philippe Nantermod (fdp, VS) und Flavia Wasserfallen (sp, BE), setzten diesen Entscheid mit der Frage nach der Bedeutung des Mutterschaftsurlaubs in Verbindung: Der Mutterschaftsurlaub sei eine Verdienstausfallentschädigung, sie solle den Müttern helfen, ihre Rolle in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt beizubehalten. Zudem sei diese Änderung Teil eines Kompromisses, in dessen Rahmen auch die Mindestdauer des für die Verlängerung nötigen Spitalaufenthalts von drei auf zwei Wochen reduziert worden sei. Mit 124 zu 64 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit und führte damit die Nachweispflicht wieder ein, senkte aber gleichzeitig die Mindestdauer des Spitalaufenthalts. Für den Minderheitsantrag hatten die Mehrheit der SP-Fraktion, die gesamte Grünen-Fraktion sowie je ein Mitglied der SVP- und der Mitte-Fraktion gestimmt.

Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen (BRG 18.092)

Das Thema Digitalisierung des Service public stand im Mittelpunkt eines Postulates von Min Li Marti (sp, ZH), eingereicht im Sommer 2019. Bisher sei bei der Digitalisierung das Thema öffentliche Güter und Dienste vernachlässigt worden, so Marti in der Begründung ihres Vorstosses. Es sei nun an der Zeit, sich darüber auszutauschen, wie ein bürgernaher, digitaler Service public in Zukunft aussehen könnte. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulates und führte aus, dass er sich im Rahmen der Erneuerung seiner Strategie Digitale Schweiz mit der Digitalisierung des Service public auseinandersetzen werde. Das Postulat wurde im Herbst 2019 von Matthias Jauslin (fdp, AG) bekämpft. Bei der Behandlung in der Herbstsession 2020 monierte Jauslin, dass dieses Postulat keinen Mehrwert bringe, da in der Strategie Digitale Schweiz bereits eine Art Anleitung für das staatliche Handeln vorgegeben sei und aufgezeigt werde, wie die betroffenen Akteure zusammenarbeiten müssten, um den Prozess der Digitalisierung für das Gemeinwesen gewinnbringend zu gestalten. Diese Bedenken überzeugten die Mehrheit des grossen Rates nicht; bei der Abstimmung sprachen sich 103 Anwesende für die Annahme des Postulates aus, 72 stimmten dagegen und 6 Personen enthielten sich der Stimme. Die ablehnenden Stimmen stammten allen voran von Seiten der SVP- und der FDP.Liberale-Fraktionen.

Offensive für einen digitalen Service public (Po. 19.3574)

In der Herbstsession 2020 machte sich der Nationalrat an die Beratung des Covid-19-Gesetzes, was mit 10 Mehrheits-, 33 Minderheits- und 27 Einzelanträgen eine lange Sache zu werden versprach. Für die Kommission erklärten Philippe Nantermod (fdp, VS) und Ruth Humbel (cvp, AG) den Rahmen des Gesetzes. Dieses definiere, «was der Bundesrat tun darf, um die Auswirkungen der Covid-19-Epidemie auf Gesellschaft, Wirtschaft und Behörden zu bekämpfen», fasste Ruth Humbel seinen Inhalt zusammen. Damit würde «Notrecht in ordentliches Recht überführt» und entsprechend für einen Teil der 18 seit März 2020 geschaffenen Verordnungen, die sich direkt auf die Verfassung gestützt hatten, eine gesetzliche Grundlage geschaffen, erklärte Bundeskanzler Walter Thurnherr, der den Bundesrat in der Debatte vertrat. Das Covid-19-Gesetz solle gemäss den Kommissionssprechenden überdies dringlich erklärt, aber nur bis Ende 2021 (einzelne Ausnahmen bis Ende 2022) gültig sein; hier war der Bundesrat den Vernehmlassungsteilnehmenden entgegengekommen. Einerseits stellte Philippe Nantermod das Gesetz als Rückkehr zum «normalen Recht» dar, betonte jedoch auch, dass es dem Bundesrat sehr wichtige Kompetenzen erteile. Die SGK-NR sei sich aber einig gewesen, dass das Gesetz nötig sei; entsprechend sei sie einstimmig darauf eingetreten und habe die Vorlage schliesslich mit 18 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen. Ruth Humbel ergänzte ausdrücklich, dass es – entgegen der zahlreichen Briefe, die sie diesbezüglich empfangen habe – im Covid-19-Gesetz weder um Impfungen im Allgemeinen noch um eine Impfpflicht im Speziellen gehe.
In der nachfolgenden Behandlung nahm der Nationalrat zahlreiche Änderungen am bundesrätlichen Entwurf vor und nahm die neue Version zum Schluss deutlich an.

Vor der Detailberatung lagen dem Nationalrat aber ein Antrag Addor (svp, VS) auf Nichteintreten sowie ein Antrag Schwander (svp, SZ) auf Rückweisung des Gesetzes an den Bundesrat vor. Jean-Luc Addor begründete seinen Nichteintretensantrag damit, dass dem Bundesrat keine Blankovollmacht ausgestellt werden dürfe, sondern dass das Parlament nötige Massnahmen per ordentlichem Gesetz erlassen solle. Die aktuellen Massnahmen seien unverhältnismässig und nur aufgrund künstlich aufrechterhaltener Angst durchsetzbar, kritisierte er. Diese «Gesundheitsdiktatur» müsse entsprechend beendet werden. Pirmin Schwander begründete seinen Ordnungsantrag ähnlich: Der Bundesrat solle sich zukünftig nicht auf Notrecht stützen, sondern die Bundesversammlung für dringende Bundesbeschlüsse einberufen. Dabei ging er davon aus, dass die bestehenden Bundesbeschlüsse zu den Finanzausgaben zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie ausreichten, und betonte, dass der Bundesrat ansonsten dort Lücken schliessen solle, wo dies noch nötig sei. Philippe Nantermod entgegnete im Namen der Kommission, dass es im Gesetz eben nicht nur um Budgets und Haushaltsbefugnisse gehe, sondern auch um den Rahmen für die Umsetzung der finanziellen Bestimmungen. Entschiede sich der Rat für Nichteintreten, würden überdies alle geltenden Bundesratsverordnungen hinfällig, wodurch die entsprechenden Entlastungsmassnahmen – zum Beispiel im Rahmen der EO – entfallen würden. Mit 173 zu 18 Stimmen sprach sich der Rat in der Folge gegen den Ordnungsantrag Addor und mit 163 zu 26 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gegen den Ordnungsantrag Schwander für Eintreten aus. Die ablehnenden Stimmen stammten jeweils aus der SVP-Fraktion.

Anschliessend folgte die Detailberatung, bei der die verschiedenen Artikel in unterschiedlichem Masse umstritten waren. Bereits beim ersten Artikel, welcher den Gegenstand des Gesetzes zum Inhalt hatte, nahm der Nationalrat einige Änderungen vor. In der bundesrätlichen Version besagte der Artikel nur, dass es im Gesetz ausschliesslich um die Bewältigung der Covid-19-Pandemie geht und dass der Bundesrat auch die Kantone in die Erarbeitung von Massnahmen einbezieht, wenn sie in ihrer Zuständigkeit betroffen sind – eine Konzession, die der Bundesrat nach der Vernehmlassung an die Kantone gemacht hatte. Diesen Einbezug wollte die SGK-NR auf die Sozialpartner, eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) sowie Einzelanträge der SPK-NR und der KVF-NR auch auf Verbände der Gemeinden und Städte ausdehnen. Damit die Massnahmen zufriedenstellend umgesetzt werden könnten, sei es wichtig, dass alle wichtigen Akteure einbezogen würden, erklärte Katharina Prelicz-Huber. Für den Bund seien bei der Umsetzung nur die Kantone direkte Ansprechpartner, zudem seien Gemeinden und Städte vom Covid-19-Gesetz gar nicht direkt betroffen, erwiderte hingegen der Kommissionssprecher. Dennoch folgte der Rat sowohl der Kommissionsmehrheit bezüglich der Kantone als auch der Minderheit Prelicz-Huber sowie den Einzelanträgen bezüglich der Städte und Gemeinden deutlich (191 zu 3 Stimmen; 150 zu 43 Stimmen bei 2 Enthaltungen). Doch nicht nur Kantone, Städte und Gemeinden, auch die Organe der Bundesversammlung sowie die Präsidentinnen oder Präsidenten der zuständigen Kommission wollte der Nationalrat in dringlichen Fällen einbezogen wissen. Er folgte dabei zwei Einzelanträgen Rutz (svp, ZH) und stellte sich damit gegen Anträge seiner Kommission (153 zu 39 Stimmen bei 1 Enthaltung; 192 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung). Kommissionssprecher Nantermod hatte diese Forderungen zuvor mit der Begründung abgelehnt, dass die Anhörung des Parlaments beim ordentlichen Recht, um das es hier gehe, bereits im Parlamentsgesetz geregelt sei.
Erfolgreich waren auch die Einzelanträge Glättli (gp, ZH) und Grüter (svp, LU), welche die Einreichung von fakultativen Referenden temporär ohne Stimmrechtsbescheinigungen möglich machen und die Bundeskanzlei mit der nachträglichen Bescheinigung der Stimmen bei den Gemeinden beauftragen wollten (140 zu 52 Stimmen bei 2 Enthaltungen). Stillschweigend nahm der Rat zudem einen Vorschlag der Kommission an, wonach sich der Bundesrat zum Erlass seiner Massnahmen an verfügbare Daten bezüglich Überlastung des Gesundheitssystems, Sterblichkeit sowie schwerer Krankheitsverläufe orientieren solle. Abgelehnt wurden hingegen eine Änderung des Ziels des Gesetzes hin zu einer Bekämpfung der Übersterblichkeit infolge der Covid-19-Epidemie anstelle der Bekämpfung der Epidemie selber, wie es der Bundesrat formuliert hatte (Einzelantrag Nidegger, svp, GE: 141 zu 52 Stimmen) sowie ein Minderheitsantrag Glarner (svp, AG; 137 zu 54 Stimmen), der das Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich im Gesetz verbriefen wollte. Zuerst müsse auf Eigenverantwortung und kantonale Mittel gesetzt werden, bevor der Bund eingreife, begründete Thomas de Courten (svp, BL) diesen Minderheitsantrag. Die Kommissionsmehrheit erachtete eine solche Klarstellung als unnötig, zumal das Subsidiaritätsprinzip bereits in der Verfassung verankert sei.

Besonders umstritten waren die Bestimmungen zum Ausländer- und Asylbereich, die mit zahlreichen Minderheits- und Einzelanträgen hinterfragt wurden. Hier sah das Covid-19-Gesetz vor, dem Bundesrat die Kompetenz zu erteilen, vom AIG und Asylgesetz abweichende Bestimmungen bezüglich Einreise, gesetzlicher Fristen und Unterbringung von Asylsuchenden zu erlassen. Eine erfolgreiche Kommissionsmehrheit wollte jedoch die Einreisebeschränkungen beim Familiennachzug und bei Konkubinatspartnerinnen und -partnern und ihren Kindern von dieser Möglichkeit ausschliessen, um übermässig lange Familientrennungen wie beim Lockdown im Frühling zu verhindern. Zudem wollte eine Minderheit Meyer (sp, ZH) den Zugang zu Asylverfahren ausdrücklich gewährleisten, um zu verhindern, dass die Möglichkeiten für Asylsuchende, einen Asylantrag zu stellen, wie im Frühling eingeschränkt würden. Dies widerspreche dem zwingenden Völkerrecht, betonte sie. Die Kommissionssprechenden Nantermod und Humbel lehnten eine entsprechende Regelung ab, zumal sie dem zwingenden Völkerrecht angehöre und somit in jedem Fall anwendbar sei. Entsprechend sprach sich der Nationalrat auch mit 122 zu 71 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für den Vorschlag der Kommission und gegen den Minderheitsantrag Meyer aus.
Die übrigen Anträge in diesem Themengebiet waren ebensowenig erfolgreich. Eine Minderheit Crottaz (sp, VD) schlug vor, die Fristen nicht nur wie vom Bundesrat beantragt beim Familiennachzug, dem Erlöschen von Aufenthaltsbewilligungen und der Erneuerung von biometrischen Ausweisen verlängern zu können, sondern auch bei der Ausreise, beim Erlöschen von Asyl und bei vorläufigen Aufnahmen. Man könne die betroffenen Personen nicht zwingen, in ihr Heimatland zurückzukehren, wenn die Epidemie dort unkontrolliert wüte. Bei der Unterbringung von Asylsuchenden solle zudem gemäss einer weiteren Minderheit Crottaz der nötigen physischen Distanz Rechnung getragen werden, weshalb im Gesetz nicht nur Unterbringungszentren des Bundes, sondern auch alle anderen Strukturen, die Migranten aufnehmen können, erwähnt werden sollen. Zu beiden Vorschlägen lagen gleichlautende Einzelanträge aus der SPK-NR vor, dennoch lehnte der Nationalrat beide Anliegen ab (123 zu 72 Stimmen, 122 zu 72 Stimmen). Ebensowenig von Erfolg gerkrönt war eine Minderheit Glarner (141 zu 54), die verlangte, die Ausschaffungshaft verurteilter krimineller Ausländerinnen und Ausländer verlängern zu können, wenn ihre Ausreise im Moment nicht möglich sei. Gemäss Gesetz müssten diese aus der Haft entlassen werden. Zusätzliche Unterstützung für Flüchtlinge und Sans-Papiers, die wegen Covid-19 besonderer Unterstützung bedürften, forderte hingegen eine Minderheit Prelicz-Huber. Dies liege jedoch in der Zuständigkeit der Kantone, betonte Nantermod für die Kommission. Mit 128 zu 69 Stimmen wurde auch dieser Vorschlag abgelehnt.

Ebenfalls für ausführliche Diskussionen sorgten die Bestimmungen zur Entschädigung des Erwerbsausfalls. Diese wollte der Bundesrat ausschliesslich für Personen vorsehen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgrund von Corona-Massnahmen unterbrechen müssen, und dafür Bestimmungen zu Beginn und Ende des Anspruchs, zur Höhe der Taggelder und Bemessung sowie zum Verfahren erlassen können. Albert Rösti (svp, BE) schlug in einem Einzelantrag vor, die Entschädigungen nicht nur bei Unterbrechung, sondern auch bei Einschränkung der Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Die bundesrätliche Kann-Formulierung zur Entschädigung wollte eine Minderheit Meyer zudem in eine Pflicht umwandeln: In gewissen, in einer Liste aufgeführten Fällen soll eine Erwerbsausfallentschädigung zwingend anfallen. In gemeinsamen Einzelanträgen schlugen Melanie Mettler (glp, BE), Mattea Meyer und Albert Rösti sowie Sidney Kamerzin (cvp, VS) und Marie-France Roth Pasquier zudem vor, EO-Entschädigungen auch an Selbstständige in arbeitgeberähnlicher Position auszubezahlen. Hier zeigte sich der Nationalrat zu einem gewissen Ausbau gewillt: Er bevorzugte den Einzelantrag Rösti gegenüber dem Minderheitsantrag Meyer (108 zu 86 Stimmen) und nahm die Anträge Mettler/Meyer/Rösti sowie Kamerzin/Roth Pasquier mit 191 zu 3 Stimmen deutlich an. Damit schuf er eine allgemeine Möglichkeit zur Entschädigung bei Einschränkungen der Erwerbstätigkeit und eine spezifische Entschädigungsmöglichkeit für einen Teil der Selbständigen.
Nicht nur bezüglich der Antragsberechtigten, auch bezüglich der Höhe des Anspruchs auf EO nahm der Nationalrat Änderungen vor. So beschränkte er die Obergrenze des anzurechnenden Betrags auf CHF 90'000 (Einzelantrag Badran, sp, ZH: 103 zu 90 Stimmen bei 1 Enthaltung) und schränkte die Entschädigung im Umfang des selbstdeklarierten Erwerbsausfalls auf Fälle ein, bei denen ein Erwerbsausfall nachgewiesen wurde (Einzelantrag Grossen, glp, BE: 164 zu 29 Stimmen). Schliesslich entschied sich die grosse Kammer für den Mehrheitsantrag und gegen eine Minderheit Gysi (sp, SG) und erlaubte den Arbeitgebenden weiterhin, bei Liquiditätsengpässen ihre Arbeitgeberbeitragsreserven zur Bezahlung der Pensionskassenbeiträge zu verwenden (130 zu 64). Barbara Gysi hatte sich an dieser Möglichkeit gestört, da solche Reserven zukünftig abziehbar von den Steuern wiederaufgebaut werden könnten, dies also ein «Vehikel zur Steuerersparnis» darstelle.

Umstritten waren auch die Massnahmen zur ALV; hier übernahm der Bundesrat die Regelungen aus der neusten Version der Covid-19-ALV-Verordnung. So sollte er die Möglichkeit erhalten, vom AVIG abweichende Bestimmungen bezüglich Anspruch auf KAE, Ablauf des Anmeldungs- und Abrechnungsverfahrens zu KAE, Berücksichtigung von Abrechnungsperioden und zur Rahmenfrist bei der ALV zu erlassen. Die Kommissionsmehrheit, verschiedene Minderheiten und Einzelanträge bemühten sich insbesondere darum, den Kreis der Unterstützten innerhalb und ausserhalb der KAE zu vergrössern. Die Kommission wollte etwa den Anspruch auf Mitarbeitende auf Abruf, Personen im Lehrverhältnis und Angestellte bei Temporärfirmen ausdehnen, eine Minderheit Prelicz-Huber wollte Personen mit verschiedenen Arbeitgebenden, Projektaufträgen oder Gagen sowie Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung miteinbeziehen. Die Kommission setzte sich gegen eine Minderheit Dobler (fdp, SG), welche die Ausdehnung des Anspruchskreises verhindern wollte, mit 111 zu 81 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) durch, eine weitere Ausdehnung im Sinne der Minderheit Prelicz-Huber lehnte der Nationalrat aber mit 110 zu 85 Stimmen ab. Eine Minderheit Feri (sp, AG) beantragte darüber hinaus die Schaffung einer Möglichkeit für eine von KAE-unabhängige Unterstützung für Institutionen der familienergänzenden Betreuung, da diese systemrelevant seien. Zwar hätten viele Kantone, Städte und Gemeinden das Problem «an die Hand genommen», es bestehe aber noch immer Unsicherheit bezüglich Zuständigkeit und Finanzierung. Eine Minderheit Weichelt-Picard (al, ZG) wollte die Regierung sogar zur Unterstützung dieser Institutionen verpflichten. Der Rat bevorzugte zwar die Kann-Formulierung von Yvonne Feri gegenüber der Muss-Formulierung von Manuela Weichelt-Picard (140 zu 46 Stimmen bei 8 Enthaltungen), lehnte Erstere anschliessend aber mit 100 zu 93 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) knapp ab.
Auch die übrigen Anträge in diesem Themenbereich waren allesamt erfolglos: Die grosse Kammer lehnte zwei Vorschläge einer Minderheit Maillard (sp, VD) ab: Einerseits sollten Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen unterstützt werden, indem ihr Lohnersatz auf 100 Prozent erhöht werden sollte (126 zu 68 Stimmen bei 1 Enthaltung). Andererseits sollten die Reserven der Krankenkassen auf 150 Prozent der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe gesenkt und der frei werdende Betrag den Versicherten im ersten Halbjahr 2021 ausbezahlt werden, um die Kaufkraft allgemein zu stärken (117 zu 77 Stimmen bei 1 Enthaltung). Abgelehnt wurde überdies auch eine Minderheit Glarner (135 zu 59 Stimmen bei 1 Enthaltung), die freiwillige Leistungen an juristische Personen mit Sitz in der Schweiz zu deren Unterstützung während der Corona-Krise steuerlich abzugsfähig machen wollte.

Eine ähnliche Stossrichtung wie die Massnahmen zur ALV hatte der Artikel zum Arbeitnehmerschutz, der Massnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmenden zum Inhalt hatte, mit denen Arbeitgebenden zusätzliche Pflichten auferlegt werden können sollten. Diesbezüglich wollte die Kommission einen Anspruch auf Rückerstattung der Kosten bei Lohnfortzahlung durch die Arbeitgebenden einführen. Würde also aufgrund des Gesetzes eine Quarantäne beschlossen, müsste das Gehalt der Arbeitnehmenden womöglich vom Staat übernommen werden, erklärte Philippe Nantermod. Eine Minderheit I Aeschi (svp, ZG) lehnte diese Forderung ab: Dadurch auferlege man dem Bund neue Pflichten, obwohl man nicht wisse, was die Massnahme kosten würde. Eine Minderheit II Prelicz-Huber wollte den Artikel hingegen so umformulieren, dass nicht nur besonders gefährdete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterstützt werden sollten, sondern auch andere Arbeitnehmende. Die Kommissionsmehrheit setzte sich mit 134 zu 61 Stimmen und 126 zu 66 Stimmen gegen die beiden Minderheiten durch; der Nationalrat schuf folglich einen entsprechenden Anspruch für die Unternehmen.

Eine breite Palette an Handlungsmöglichkeiten behielt sich der Bundesrat im Kulturbereich vor. So wollte er die Möglichkeiten behalten, Unternehmen und Kulturschaffende zu unterstützten, sich weiterhin mit maximal CHF 80 Mio. an Leistungsvereinbarungen der Kantone zu beteiligen, Suisseculture im Jahr 2021 mit CHF 20 Mio. zu unterstützen, einen Anteil an die Lebenshaltungskosten für Kulturschaffende zu zahlen, Entschädigungen für Kulturvereine im Laienbereich zu erbringen sowie die Beitragskriterien und Bemessungsgrundlagen für Finanzhilfen im Kulturbereich festzulegen. Trotz dieser vielen Massnahmen wurden in diesem Bereich zahlreiche Minderheits- und Einzelanträge von Personen gestellt, welchen die Massnahmen des Bundesrates zu wenig weit gingen. So wollte eine Kommissionsmehrheit den Kredit für die Leistungsvereinbarungen auf CHF 100 Mio. und eine Minderheit II Porchet (gp, VD) gar auf CHF 150 Mio. erhöhen, während eine Minderheit Glarner den bundesrätlichen Vorschlag bevorzugte. Mit 117 zu 78 Stimmen und 127 zu 68 Stimmen setzte sich die Kommissionsmehrheit diesbezüglich durch. Mehr Geld forderte eine weitere Minderheit Porchet auch für Suissculture (CHF 50 Mio.), was der Nationalrat jedoch ablehnte. Minderheits- und Einzelanträge Rytz (gp, BE), Roduit (cvp, VS) und Paganini (cvp, SG) forderten überdies eine Unterstützung des Bundesrates im Eventbereich (Rytz), in der Reisebranche (Roduit) sowie allgemein für von den Folgen von Covid-19 besonders stark betroffene Unternehmen in verschiedenen, abschliessend aufgelisteten Branchen (Paganini). Nachdem Rytz und Roduit ihre Anträge zugunsten des Antrags Paganini zurückgezogen hatten, stimmte der Nationalrat Letzterem mit 192 zu 1 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) überdeutlich zu und löste die nötige Ausgabenbremse. Auch die Fussball- und Eishockeyvereine sollten beruhend auf Einzelanträgen von Matthias Aebischer (sp, BE), Philipp-Matthias Bregy (cvp, VS), Jürg Grossen, Diana Gutjahr (svp, TG) und Christian Wasserfallen (fdp, BE) mit zinslosen Darlehen unterstützt werden, welche in zehn Jahren zurückgezahlt werden müssen (135 zu 34 Stimmen bei 19 Enthaltungen). Dazu müssten die Vereine Sicherheiten im Umfang von 25 Prozent vorlegen, dafür wären Rangrücktritte durch den Bund – also eine Einwilligung des Bundes, dass seine Forderungen im Falle einer Insolvenz letzte Priorität hätten – möglich. Nicht erfolgreich waren hingegen Minderheitsanträge von Barbara Gysi für einen Einbezug der Dachverbände im Kulturbereich bei der Erarbeitung der entsprechenden Beitragskriterien (112 zu 83 Stimmen bei 1 Enthaltung) sowie von Léonore Porchet für eine Ausfallversicherung für Veranstaltungen im Stile von Versicherungen gegen Nuklear- oder Elementarschäden (124 zu 68 Stimmen bei 2 Enthaltungen).

Bezüglich der Massnahmen im Bereich der Grundversorgung bestanden zwar weniger Minderheits- oder Einzelanträge, dennoch nahm dieser Bereich gemäss zahlreichen Sprechenden in der öffentlichen Kritik am Covid-19-Gesetz eine wichtige Rolle ein. So wollte der Bundesrat die Gesundheitsbranche verpflichten können, den Bestand an Heilmitteln und Gütern der Gesundheitsversorgung zu melden, und verlangte verschiedene Ausnahmekompetenzen zur Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung. Dabei standen gemäss Regierung vor allem die Bewilligungspflicht für Tätigkeiten und Medikamente im Mittelpunkt. Die Kritikerinnen und Kritiker – vor allem ausserhalb des Parlaments – werteten dies aber als Möglichkeit, einen Impfzwang einzuführen. Entsprechend häufig verwiesen auch verschiedene Sprechende während der Debatte darauf, dass es hier nicht um Impfungen gehe und dass beruhend auf dem Covid-19-Gesetz auch kein Impfzwang eingeführt werden könne. Doch auch Mitglieder des Parlaments zeigten sich kritisch gegenüber der Möglichkeit, dass Arzneimittel unter Umgehung eines Teils der bisherigen Bedingungen zugelassen werden könnten. Eine Minderheit Weichelt-Picard forderte entsprechend, dass die Arzneimittel, deren Zulassungsverfahren angepasst werden könnten, im Gesetz ausdrücklich aufgezählt würden. Ein Einzelantrag Gafner (edu, BE) wollte die Ausnahme bei der Zulassungspflicht gar ganz aus dem Gesetz streichen. Dem entgegnete Kommissionssprecher Nantermod, dass schnelles Handeln bei der Medikamentenzulassung zentral sei, damit man Patientinnen und Patienten nicht hoffnungsvolle, wirksame Therapien vorenthalten müsse. Mit 153 zu 33 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und 140 zu 48 Stimmen lehnte der Nationalrat sowohl den Minderheitsantrag als auch den Einzelantrag Gafner ab. Manuela Weichelt-Picard beantragte des Weiteren, dass der Bundesrat wichtige medizinische Güter, die er zuvor beschafft hatte, lagern solle und dass er die Kostenübernahme für Covid-Analysen regeln müsse, nicht könne, wie der Bundesrat in seinem Entwurf vorgeschlagen hatte. Auch diese Minderheitsanträge waren nicht von Erfolg gekrönt: Mit 126 zu 69 Stimmen sprach sich die grosse Kammer dagegen aus, dass der Bundesrat die dringenden medizinischen Güter selber lagere, und blieb mit 127 zu 68 Stimmen bei der Kann-Formulierung zur Übernahme der Covid-Analyse-Kosten.

Keine Änderungen nahm der Nationalrat am bundesrätlichen Vorschlag zum Medienbereich vor, wo Grundlagen geschaffen werden sollten, mit denen die Kosten der Tageszustellung der Regional- und Lokalpresse bis zum Inkrafttreten des Massnahmenpakets zur Förderung der Medien vollständig übernommen werden und sich der Bund an den Kosten der Tageszustellung der überregionalen- und nationalen Presse mit 27 Rappen pro Exemplar beteiligen könnte. Dies war insbesondere aufgrund eines Einbruchs der Werbeeinnahmen bei den Printmedien nötig geworden und von zwei Motionen der KVF-NR und KVF-SR (Mo. 20.3145 und Mo. 20.3154) verlangt worden. Überdies sollte ein Teil der Abonnementskosten von Keystone-SDA durch den nicht verwendeten Betrag der Radio- und Fernsehabgabe bezahlt werden. Als Voraussetzung für die Unterstützung sollten sich die Unternehmen jedoch verpflichten, während des aktuellen Geschäftsjahrs keine Dividenden auszuschütten. Während eine Minderheit Glarner die Massnahmen im Medienbereich vollständig ablehnte, um die Medienfreiheit und -unabhängigkeit zu wahren, wie Thomas de Courten erklärte, wollte eine Minderheit Aeschi nicht nur abonnierte, sondern auch nicht abonnierte Zeitungen, also die Gratiszeitungen, unterstützen. Es gebe auch viele Gratiszeitungen mit guter Qualität, argumentierte Aeschi. Beide Anträge lehnte der Nationalrat ab (Antrag Glarner: 124 zu 69 Stimmen bei 3 Enthaltungen, Antrag Aeschi: 116 zu 77 Stimmen bei 3 Enthaltungen). Auch einer Ausdehnung der Unterstützung bei den Abonnementskosten auf Onlinemedien, wie sie eine Minderheit Porchet vorschlug, konnte der Rat nichts abgewinnen (127 zu 67 Stimmen).

Nur eine Anpassung der deutschsprachigen an die französischsprachige Version nahm der Nationalrat bei den justiziellen und verfahrensrechtlichen Massnahmen vor. Hier beantragte der Bundesrat, im Justizbereich Fristen oder Termine stillzulegen oder wiederherzustellen, technische Hilfsmittel in Verfahren zu erlauben und andere Formen von Eingaben und Entscheiden zu ermöglichen. Mit seinem Einzelantrag wollte Jean-Philippe Maître (fdp, GE) dabei sicherstellen, dass die behördlichen, nicht nur die gesetzlichen Fristen und Termine auch in der deutschsprachigen Version verändert werden könnten (141 zu 49 bei 2 Enthaltungen).

Keine Änderungen oder Änderungsanträge gab es bei den Massnahmen im Bereich von Versammlungen von Gesellschaften, wo der Bundesrat die Möglichkeiten der schriftlichen oder elektronischen Form bei der Ausübung der Rechte sowie durch unabhängige Stimmrechtsvertretende ausdrücklich festhielt.

Bei den insolvenzrechtlichen Massnahmen schlug die SGK-NR eine Ergänzung vor: So soll der Bundesrat die Haftung für Zollschulden durch die die Zollanmeldung ausstellenden Personen aufgrund von Konkursen von Empfängerinnen und Importeuren wegen Corona-Massnahmen aussetzen können. Mit 191 zu 1 Stimme bei 2 Enthaltungen nahm der Nationalrat die entsprechende Bestimmung an.

Eine Änderung fügte der Rat schliesslich auch bei den Strafbestimmungen an, bei denen der Bundesrat bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Zuwiederhandlung Ordnungsbussen bis CHF 300 einführen können wollte: Die grosse Kammer entschied sich hier stillschweigend, nur bei vorsätzlichen Zuwiederhandlungen Bussen zu ermöglichen.

Zwei Minderheitsanträge für Änderungen in anderen Gesetzen lehnte der Nationalrat hingegen ab: So forderte Andreas Glarner einen Verzicht auf das frühzeitige Inkrafttreten der Regelung, wonach Personen, welche ab dem Alter von 58 Jahren entlassen werden, bei ihrer Pensionskassen verbleiben können (Minderheit Glarner: 139 zu 55 Stimmen), und Katharina Prelicz-Huber wollte die soziale Abfederung von Massenentlassungen strenger regeln (Minderheit Prelicz-Huber: 127 zu 67 Stimmen bei 1 Enthaltung).

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat seinen Entwurf mit 144 zu 35 Stimmen (bei 16 Enthaltungen) an. Sowohl die Gegenstimmen als auch die Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Ganz abgeschlossen war die Debatte damit aber noch nicht, am Folgetag brachte Thomas Aeschi einen Ordnungsantrag ein, in dem er forderte, dass anstelle des Bundeskanzlers ein Bundesrat das Geschäft in der nächsten Sitzung vertreten solle und dass auf eine Blockbildung in der Beratung verzichtet wird. Mit 100 zu 89 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) stimmte der Nationalrat ersterer Forderung zu, lehnte letztere aber mit 103 zu 85 Stimmen ab.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen