Suche zurücksetzen

Inhalte

Akteure

  • Pasquier-Eichenberger, Isabelle (gp/verts, GE) NR/CN
  • Thurnherr, Walter (Bundeskanzler / Chancelier de la Confédération)

Prozesse

104 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Trotz unterschiedlicher Standpunkte arbeiteten die sieben Bundesratsmitglieder gut zusammen und setzten sich für die Schweiz ein. Dies war die Botschaft, die der amtierende Bundespräsident Alain Berset mit dem neuen Bundesratsfoto 2023 laut offizieller Medienmitteilung vermitteln wollte. Die in eher klassisch dunklen Oberteilen gekleidete neu zusammengesetzte Regierung ist zusammen mit dem Bundeskanzler um einen gossen Konferenztisch angeordnet, in Gruppen miteinander diskutierend. Vor den acht Personen steht jeweils ein Weinglas gefüllt mit Wasser. Auf dem Tisch liegen zudem ein Kompass, eine Karte und die Bundesverfassung. Über den Köpfen der Bundesrätinnen und Bundesräte schweben einzelne Papierseiten und durch die mit weissen Tüllgardinen bevorhangten Fenster ist eine Landschaft sichtbar. Die Verfassung auf dem Tisch stehe für das sich im kommenden Jahr zum 175. Mal jährende Bestehen der Schweiz. Auf den Papierseiten, die das zunehmende Chaos auf der Welt symbolisieren würden, sei ein Gedicht von Charles-Ferdinand Ramuz abgedruckt. Die im Hintergrund sichtbare Landschaft wiederum verweise auf die Verbindung zwischen Bundesrat und Volk, so die Medienmitteilung.

Noch selten habe ein Bundesratsfoto so viele Fragen aufgeworfen, betonte die Sonntagszeitung, der der Veröffentlichung des Bundesratsfotos jeweils folgenden medialen Parodie frönend. Man frage sich, ob die schwebenden Papierseiten wohl ein Zeichen dafür seien, dass schon vor dem offiziellen Antritt der beiden neuen Mitglieder, Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti, die Fetzen geflogen seien, oder ob der Kompass darauf hinweise, dass der Bundesrat orientierungslos sei. Das Bild erinnere zudem stark an Leonardo Da Vincis «Abendmahl», wobei sich der in der Mitte sitzende Bundespräsident wohl «endgültig als göttliche Lichtgestalt» sehe. Es frage sich in diesem Fall allerdings, wer denn Judas sei, der ihn ans Messer liefere – eine Frage, die sich tags darauf auch der Blick stellte. Auch den Sonntags-Blick erinnerte das Foto an das Fresko von Leonardo Da Vinci. Wer das Sakrale nicht möge, dürfe sich aber auch «an eine dezente Firmenfeier» erinnert fühlen. Mit Verweis auf die Departementsverteilung, die nach den Bundesratsersatzwahlen vom Dezember 2022 nötig geworden war und bei der die Medien vermutet hatten, dass Alain Berset gerne das Finanzdepartement übernommen hätte, witzelte der Sonntags-Blick zudem, dass es der Bundespräsident nun doch in sein Lieblingsdepartement geschafft habe. Das Foto wurde nämlich im Bernerhof, dem Sitz des Finanzministeriums, geschossen. Der NZZ am Sonntag fiel hingegen auf, dass die «Bundesräte aus der lateinischen Schweiz sitzen, jene aus der Deutschschweiz stehen». Die Zeitung fragte sich, ob die Deutschschweizer dynamischer oder dominanter seien oder als «neue Minderheit» nicht einmal mehr Platz nehmen dürften.

Das jährliche Bundesratsfoto

Die Ankündigung der ersten von insgesamt vier von-Wattenwyl-Gesprächen im Jahr 2022 im Februar 2022 glich derjenigen des Vorjahres. Nicht nur der Ort war aufgrund der Covid-19-Pandemie noch immer nicht das namengebende Von-Wattenwyl-Haus, sondern erneut der Bernerhof, sondern auch die hauptsächlichen Traktanden der Gespräche zwischen den Parteispitzen und einer Bundesratsdelegation – im Februar bestehend aus dem frisch gekürten Bundespräsidenten und Aussenminister Ignazio Cassis, Gesundheitsminister Alain Berset und Energieministerin Simonetta Sommaruga sowie dem Bundeskanzler Walter Thurnherr – waren gleich wie im Vorjahr. Diskutiert wurde nämlich über die sich langsam entspannende gesundheitspolitische Lage sowie das in seiner neuen Stossrichtung formulierte Ziel der Regierung, die bilateralen Beziehungen zur EU zu stabilisieren. Einen weiteren aussenpolitischen Diskussionspunkt stellte der geplante Sitz der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat (2023–2024) dar. Simonetta Sommaruga informierte über die geplanten Vorhaben zur Senkung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis 2050 (Revision des CO2-Gesetzes und Schaffung des Bundesgesetzes über sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien).
Im Mai 2022 fanden die Gespräche nach über zwei Jahren wieder im Von-Wattenwyl-Haus statt. Und auch die Themen hatten sich innert Monaten aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs stark verschoben. Bundespräsident Ignazio Cassis, Simonetta Sommaruga, Guy Parmelin sowie Walter Thurnherr diskutierten mit den Vertretungen der Bundesratsparteien über die aussenpolitischen, wirtschaftlichen und energiepolitischen Auswirkungen des Konflikts. Konkrete Diskussionsgegenstände waren die neutralitätspolitische Ausrichtung der Schweiz, die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Lugano, der weltweite Teuerungsdruck und die Energieversorgungssicherheit – neben dem bereits im Februar diskutierten Stromversorgungsgesetz, dessen Umsetzung beschleunigt werden sollte, informierte die Energieministerin dabei über die geplanten Massnahmen zur Gasversorgungssicherheit.
Wie vor der Covid-19-Pandemie üblich traf sich die Landesregierung für die Von-Wattenwyl-Gespräche im Herbst in corpore und in Klausur mit den Parteispitzen. Neben dem Krieg und seinen Auswirkungen standen die Versorgungssicherheit, die Finanzplanung, wirtschaftspolitische Folgen der Inflation, die gesundheitspolitische Lage sowie einmal mehr die Europapolitik auf der Traktandenliste. In der bundesrätlichen Bilanz zu sechs Monaten Krieg nahm Justizministerin Karin Keller-Sutter Stellung zu den Migrationsbewegungen und dem Schutzstatus S, der rund 62'000 Personen gewährt worden sei; Verteidigungsministerin Viola Amherd betonte ihrerseits den Wandel der «europäischen Sicherheitsarchitektur» und die Bedeutung multilateraler Organisationen auch für die Schweiz; Aussenminister Ignazio Cassis berichtete über die Lugano-Konferenz. Die energetische Versorgungssicherheit wurde von Energieministerin Simonetta Sommaruga erörtert. Massnahmen seien etwa eine Wasserkraftreserve, Einrichtung von Reservekraftwerken und Plänen zur Bewältigung einer möglichen Gasmangellage; die Stromversorgung sei momentan aber sichergestellt. Wirtschaftsminister Guy Parmelin erklärte die steigenden Energiepreise zur Hauptursache für die ansteigende Inflation, die zwar mit 3.4 Prozent unter dem europäischen Mittel liege, aber auch in der Schweiz auf die Kaufkraft drücke. Über die schwierige Lage der Bundesfinanzen, denen ab 2024 strukturelle Defizite in Milliardenhöhe drohten, berichtete Finanzminister Ueli Maurer. Auch in der sich momentan beruhigenden Situation in der Covid-19-Pandemie gehe es weiterhin darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, gab Gesundheitsminister Alain Berset zu bedenken. Schliesslich informierte Aussenminister Ignazio Cassis auch über die Sondierungsgespräche mit der EU: Es bestünden weiterhin erhebliche Differenzen.
Die vierte Gesprächsrunde der Von-Wattenwyl-Gespräche fand am 11. November statt. Die Bundesratsparteispitzen liessen sich dabei über die Reise von Bundespräsident Ignazio Cassis in die Ukraine und die Weiterführung des Schutzstatus S informieren. Erneut wurde auch über die Massnahmen zur Verhinderung einer Strommangellage diskutiert, darunter etwa das Reservekraftwerk in Birr oder der Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmungen, aber auch über den Verzicht, Unternehmen oder Private aufgrund der hohen Energiepreise oder der Inflation zu unterstützen. Auch die laufenden Sondierungsgespräche mit der EU, die «besorgniserregende Haushaltsentwicklung» und die nach wie vor angespannte gesundheitspolitische Lage waren wie schon im Herbst Gegenstand der Diskussionen.

Von-Wattenwyl-Gespräche seit 2013

Als «formalistischen Leerlauf» bezeichnete Hans Stöckli (sp, BE) den aktuellen Rechtsmittelweg im Falle einer Beschwerde zu einer eidgenössischen Abstimmung. In der Tat sind Beanstandungen zuerst an eine Kantonsregierung zu richten, die dann in der Regel einen formellen Nichteintretensentscheid wegen Nichtzuständigkeit fällen muss, der in der Folge beim Bundesgericht angefochten werden kann. Stöckli forderte mittels Motion eine Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte, mit der neue Rechtsmittelwege für Abstimmungsbeschwerden geschaffen werden sollen, die den Zeitverlust beseitigen. Es sei zielführender, wenn eine Abstimmungsbeschwerde, die ein Kanton nicht beurteilen kann – z.B. der Antrag auf Ungültigerklärung eines Abstimmungsentscheids oder auf Rüge von Falschinformation durch die Bundesbehörden –, direkt ans Bundesgericht gelangen könne.
In der Wintersession 2022 wies Bundeskanzler Walter Thurnherr im Ständerat darauf hin, dass das Bundesgericht bereits mehrmals gerügt habe, dass das aktuelle Beschwerdeverfahren nicht zweckmässig sei. Der Bundesrat beantrage auch deshalb die Annahme der Motion. Es müsse bei der Umsetzung allerdings berücksichtigt werden, dass die Kantone nicht gänzlich ausgenommen würden, seien sie doch durchaus zuständig bei beanstandeten Unregelmässigkeiten hinsichtlich Vorbereitung und Durchführung von Urnengängen (z.B. Versand von Stimmmaterial, Auszählung der Stimmen). Der Ständerat überwies die Motion stillschweigend an den Nationalrat.

Abstimmungsbeschwerden – neuer Rechtsmittelweg (Mo. 22.3933)

Die 182 zu 1 Stimmen im Nationalrat liessen darauf schliessen, dass die Motion Dobler (fdp, SG), die bei eidgenössischen Abstimmungen auf dem Stimmzettel einen Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge verlangt, auf den ersten Blick «nachvollziehbar und sympathisch» sei, führte Mathias Zopfi (gp, GL) als Sprecher der SPK-SR die ständerätliche Debatte zum Vorstoss in der Wintersession 2022 ein. Der Kommission habe allerdings ein zweiter Blick genügt, um die Ablehnung der Motion zu beantragen. Im Gegensatz zum Motionär sei die Kommission der Meinung, dass die Willensbildung durch zusätzliche Informationen auf dem Stimmzettel nicht gefördert, sondern im Gegenteil gefährdet werde. Ein indirekter Gegenvorschlag sei ein politisches Argument und gehöre deshalb sicher nicht auf den Stimmzettel, der möglichst schlicht bleiben und nicht mit Hinweisen überladen werden soll. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger seien sehr wohl in der Lage, sich zum Beispiel im Abstimmungsbüchlein über bestehende Gegenvorschläge zu informieren. In der Tat war die Information über indirekte Gegenvorschläge in den Abstimmungserläuterungen mit deren Überarbeitung 2018 stark verbessert worden. Einen Minderheitsantrag auf Annahme gab es nicht, obwohl die SPK-SR die Ablehnungsempfehlung mit 9 zu 1 Stimmen und 1 Enthaltung beschloss. Weil er als Einziger in der Kommission für die Motion gestimmt habe, habe er auf einen Antrag verzichtet, so Thomas Minder (parteilos, SH). Er fände es aber eigentlich «logisch», wenn auf dem Stimmzettel vermerkt würde, über welche Alternativen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verfügten beziehungsweise welche Folgen die Ablehnung einer Initiative habe. Er denke nicht, dass alle Stimmberechtigten wüssten, was ein indirekter Gegenvorschlag sei. Auch Bundeskanzler Walter Thurnherr ergriff das Wort und führte für den Bundesrat, der die Motion ebenfalls zur Ablehnung empfohlen hatte, aus, dass das geltende Recht vorsehe, dass Abstimmungsfragen neutral formuliert sein und keinen Informationsauftrag erfüllen müssen. Es wäre unzulässig, ein Argument für oder gegen eine Vorlage in die Abstimmungsfrage einzufügen, und auch «demokratiepolitisch problematisch», wenn Hinweise auf Stimmzetteln die Meinungsbildung beeinflussen würden. Ohne Abstimmung lehnte die kleine Kammer die Motion in der Folge ab.

Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge auf dem Abstimmungszettel (Mo. 22.3132)
Dossier: Stimmzettel als Informationsträger?

Die SPK-SR beantrage dem Ständerat einstimmig, die Motion der Mitte-Fraktion, die Fristenstillstand und Verschieben von Wahlterminen in Krisenzeiten gesetzlich regeln will, aus formalen Gründen abzulehnen, führte Mathias Zopfi (gp, GL) für die Kommission in der Wintersession 2022 aus. Zwar habe der Nationalrat diese Motion in der Sommersession angenommen, das Anliegen entspreche aber wortwörtlich einer Motion Rieder (mitte, VS, Mo. 20.3419), die von beiden Räten bereits früher angenommen worden sei. Der Auftrag an den Bundesrat müsse nicht ein zweites Mal erteilt werden. Auch Bundeskanzler Walter Thurnherr ersuchte den Ständerat, die Motion aus «verfahrensökonomischen Gründen» abzulehnen. Dies tat die kleine Kammer in der Folge diskussionslos.

Bewahrung der demokratischen Rechte auch in Krisenzeiten (Mo. 20.3314)

In der Wintersession 2022 befasste sich der Nationalrat mit drei Vorstössen der GPK-NR zum Thema Grundwasserschutz. Es handelte sich dabei neben der Motion «Fristen für die Umsetzung der Massnahmen des planerischen Grundwasserschutzes» (Mo. 22.3873) um die Motion «Klärung und Stärkung der Aufsichtsinstrumente und Interventionsmöglichkeiten des Bundes im Bereich des Grundwasserschutzes» (Mo. 22.3874) sowie um das Postulat «Erhöhung der Wirksamkeit des Gewässerschutzprogramms in der Landwirtschaft» (Po. 22.3875).
Die Kommissionssprechenden de Courten (svp, BL) und Pasquier-Eichenberger (gp, GE) wiesen bezüglich der Motion zu den Umsetzungsfristen darauf hin, dass das Bundesrecht bezüglich der Ausscheidung von Gebieten zum Grundwasserschutz bislang durch die Kantone nur ungenügend umgesetzt werde und daher die Qualität des Grundwassers nicht überall gewährleistet sei. Folglich brauche der Bund stärkere Durchsetzungsinstrumente. Nachdem auch Umweltministerin Sommaruga die Unterstützung des Bundesrates für die Motion 22.3873 signalisiert hatte, nahm der Nationalrat diese stillschweigend an.

Fristen für die Umsetzung der Massnahmen des planerischen Grundwasserschutzes (Mo. 22.3873)
Dossier: Grundwasserschutz in der Schweiz

Zu Beginn der Wintersession 2022 machte sich der Nationalrat an die Beratung des Voranschlags 2023 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2024–2026. Anna Giacometti (fdp, GR) und Jean-Pierre Grin (svp, VD) präsentierten dem Rat das Budget und die Änderungsvorschläge der Kommissionsmehrheit. Beide betonten die «düsteren finanzpolitischen Aussichten» (Giacometti), welche in den Finanzplanjahren grosse Korrekturmassnahmen nötig machen würden. Besser sehe es noch für das Jahr 2023 und somit für den Voranschlag aus, hier schlug die Kommissionsmehrheit gar Mehrausgaben von CHF 11.2 Mio. vor, womit die Schuldenbremse immer noch eingehalten werden könne. Insgesamt beantragte die Kommission sieben Änderungen am bundesrätlichen Voranschlag, welche der Rat allesamt annahm. Kaum Erfolg hatten hingegen die Minderheitsanträge.

Das geplante Defizit in den Finanzplanjahren war auch Thema in den folgenden Fraktionsvoten. Als besonders dramatisch erachtete etwa Lars Guggisberg (svp, BE) die finanzielle Situation des Bundes: Man befinde sich «finanzpolitisch seit Jahren im freien Fall», zumal das Parlament immer mehr Geld ausgebe als vorhanden sei. Nun müsse man Prioritäten setzen, weshalb die SVP insbesondere im Finanzplan entsprechende Kürzungsanträge stelle. Ähnlich formulierte es Alex Farinelli (fdp, TI) für die FDP-Fraktion, der die Bundesfinanzen mit der Titanic verglich – zwar scheine alles ruhig, bei genauerer Betrachtung sei «das Bild, insbesondere das mittelfristige, [aber] wesentlich problematischer und beunruhigender». Auch er verlangte daher die Setzung von Prioritäten. Demgegenüber hob Jean-Paul Gschwind (mitte, JU) das positive strukturelle Saldo des Voranschlags hervor, betonte aber auch, dass man für die Finanzplanjahre Korrekturmassnahmen einbringen müsse – insbesondere auch, weil die Gewinnausschüttung durch die SNB ausbleiben könne.
Deutlich weniger besorgt zeigten sich die Sprechenden der anderen Fraktionen über die finanzpolitische Situation. Roland Fischer (glp, LU) erachtete in Anbetracht der tiefen Schuldenquote des Bundes nicht in erster Linie die Defizite als problematisch, sondern die Ausgestaltung der Schuldenbremse, die es nicht erlaube, Schulden zu machen, um Investitionen zu tätigen. Auch Sarah Wyss (sp, BS) zeigte sich durch die «Mehrbelastungen ab 2024 [...] nicht besonders beunruhig[t]». Man müsse zwar reagieren, dabei aber vor allem auf Nachhaltigkeit setzen und von «kurzfristige[r] Sparwut» absehen. Gerhard Andrey (gp, FR) sah die Schuld für die finanzpolitischen Probleme vor allem bei denjenigen Mitgliedern des Parlaments, welche das Armeebudget stark aufgestockt und einen Abbau der Corona-Schulden über zukünftige Überschüsse durchgesetzt hätten. Statt über Sparmassnahmen solle man aber nun über zusätzliche Einnahmen, etwa im Rahmen einer Erbschaftssteuer, sprechen.

In der Folge behandelte der Nationalrat den Voranschlag 2023 in sechs Blöcken, beginnend mit einem ersten Block zu den Beziehungen zum Ausland und zur Migration. Hierbei lagen dem Rat keine Mehrheitsanträge der Kommission vor, jedoch zahlreiche Minderheitsanträge von Mitgliedern der Polparteien. Einerseits verlangten Minderheiten Badertscher (gp, BE), Friedl (sp, SG), Wettstein (gp, SO) sowie zwei Einzelanträge Pasquier-Eichenberger (gp, GE) etwa eine Aufstockung der Beiträge für humanitäre Aktionen oder an die Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Ostens, teilweise auch in den Finanzplanjahren. Andererseits forderten Minderheiten Grin (svp, VD), Guggisberg (svp, BE), Fischer (svp, ZH) sowie ein Einzelantrag der SVP-Fraktion etwa eine Reduktion des Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten, an die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit oder an die Integrationsmassnahmen für Ausländerinnen und Ausländer (teilweise auch oder nur in den Finanzplanjahren) sowie die ordentliche Verbuchung der Ausgaben für Kriegsvertriebene aus der Ukraine. Die Minderheitsanträge blieben jedoch allesamt erfolglos.

Im zweiten Block zu Kultur, Bildung, Forschung, Familie und Sport lagen dem Nationalrat vier Kommissionsanträge vor. Im Sportbereich wollte die Kommission einerseits einen Kredit für die Sportverbände zugunsten der nationalen Meldestelle von Swiss Sport Integrity um CHF 360'000 aufstocken, zumal seit deren Schaffung Anfang 2022 dreimal mehr Meldungen eingegangen seien, als erwartet worden waren. CHF 650'000 sollten zudem für die Ausrichtung der Staffel-Weltmeisterschaft 2024 in Lausanne gesprochen werden, wobei der Bund einen Drittel der Gesamtfinanzierung übernehmen würde. Keine Aufstockung, sondern eine ausdrückliche Verwendung der CHF 390'000, welche der Bundesrat im Bereich Kinderschutz/Kinderrechte veranschlagt hatte, für eine Übergangslösung zur Stärkung der Kinderrechte verlangte die Kommission bei den Krediten des BSV. Eine Übergangslösung war nötig geworden, weil die Ombudsstelle für Kinderrechte, für die der Betrag gedacht war, noch nicht über eine gesetzliche Grundlage verfügte. Schliesslich verlangte die Kommission, dass CHF 35 Mio., welche nach dem Ausschluss der Schweiz aus Horizon Europe bei den EU-Forschungsprogrammen nicht benötigt werden, stattdessen Innosuisse zugesprochen werden. Der Nationalrat hiess alle vier Kommissionsanträge stillschweigend gut.
Weitere CHF 50 Mio. aus dem Kredit der EU-Forschungsprogramme zum Kredit für die Institutionen der Forschungsförderung verschieben wollte eine Minderheit Munz (sp, SH). Zudem verlangten zwei weitere Minderheiten Munz Aufstockungen bei der internationalen Mobilität Bildung zugunsten des Programms Erasmus+. Die Kredite gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag reduzieren wollten hingegen eine Minderheit I Grin bei den Institutionen der Forschungsförderung sowie eine Minderheit Guggisberg in den Finanzplanjahren bei der internationalen Mobilität Bildung und bei den Stipendien an ausländische Studierende. Mit 123 zu 68 Stimmen kürzte der Nationalrat in Übereinstimmung mit der Minderheit Munz den Kredit der EU-Forschungsprogramme zugunsten der Institutionen der Forschungsförderung, lehnte aber ansonsten sämtliche Minderheitsanträge ab. Dazu gehörten auch zwei Minderheiten Nicolet (svp, VD), welche bei Pro Helvetia (auch in den Finanzplanjahren) und bei der familienergänzenden Kinderbetreuung kürzen wollten.

Im Block 3 zu Umwelt und Energie hiess der Nationalrat die veranschlagten CHF 42 Mio. für Programme von EnergieSchweiz für den Heizungsersatz, zur Dekarbonisierung von Industrie und Gewerbe, zur Einführung von neuen Technologien und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sowie CHF 4 Mrd. für den Rettungsschirm Elektrizitätswirtschaft, welchen der Bundesrat in einer Nachmeldung beantragt hatte, gut. Eine Minderheit Schilliger (fdp, LU) hatte erfolglos eine Kürzung bei den Programmen von EnergieSchweiz im Voranschlag und in den Finanzplanjahren gefordert. Erfolglos blieben auch alle anderen Minderheiten etwa zur Streichung von CHF 10 Mio. für eine Winter-Energiespar-Initiative, zur Reduktion des Kredits für die Reservekraftwerke, aber auch für eine Erhöhung des Kredits für die Reservekraftwerke um CHF 100 Mio., um eine Erhöhung der Energiekosten für die Bevölkerung zu verhindern.

Erfolglos blieben auch sämtliche Minderheitsanträge im vierten Block zu den Themen «soziale Wohlfahrt, Gesundheit und Sicherheit», wo etwa eine Minderheit Wettstein (gp, SO) eine Erhöhung des Bundesbeitrags an das Schweizerische Rote Kreuz oder verschiedene Minderheiten Kürzungen beim Rüstungsaufwand oder bei verschiedenen Positionen zur Verteidigung beantragten.

Im fünften Block zu Standortförderung, Steuern und Landwirtschaft gab es nur einzelne Forderungen zu den ersten beiden Bereichen, etwa verlangte eine Minderheit Gysi (sp, SG) zusätzliche Mittel und Stellen in der Steuerverwaltung für mehr Mehrwertssteuerkontrollen und eine Minderheit Guggisberg eine Streichung der Neuen Regionalpolitik, da diese Aufgabe der Kantone sei. Das Hauptinteresse des Nationalrats galt in diesem Block aber der Landwirtschaft, zu der zahlreiche Mehr- und Minderheitsanträge vorlagen: Die Kommissionsmehrheit verlangte eine Erhöhung des Kredits für die Qualitäts- und Absatzförderung zugunsten des Schweizer Weins um CHF 6.2 Mio. (in Umsetzung einer Motion 22.3022, die vom Nationalrat angenommen, aber vom Ständerat an die WAK-SR verwiesen worden war). Eine Minderheit Munz wollte stattdessen einen Teil der bereits veranschlagten Mittel zur Umsetzung der Motion einsetzen, der Nationalrat folgte jedoch seiner Kommissionsmehrheit und beschloss die Krediterhöhung. Weiter beantragte die Kommissionsmehrheit, in den Planungsgrössen zu den Direktzahlungen die Höhe der Versorgungssicherheitsbeiträge auf CHF 1.1 Mrd. festzuschreiben, so dass diese entgegen der Absicht des Bundesrates nicht gekürzt werden könnten. Der Nationalrat folgte auch dieser Kommissionsmehrheit, während eine Minderheit Munz besagte Planungsgrösse erfolglos streichen wollte. Schliesslich sollten die Mittel für Wildtiere, Jagd und Fischerei gemäss Kommissionsmehrheit um CHF 4 Mio. zugunsten von Sofortmassnahmen für den Herdenschutz aufgestockt werden, wobei der Nationalrat auch hier der Komissionsmehrheit und nicht einer Minderheit Schneider Schüttel (sp, FR) auf Beibehalten des bundesrätlichen Betrags folgte. Erfolgreich war zudem eine Minderheit Grin für eine Erhöhung des Kredits für die Pflanzen- und Tierzucht um CHF 3.9 Mio. zugunsten einheimischer Nutztierrassen, nicht aber ein weiterer Minderheitsantrag Grin für einen Verzicht auf die Aufstockung des Funktionsaufwands beim Bundesamt für Landwirtschaft um CHF 900'000 zur Umsetzung einer parlamentarischen Initiative zur Verminderung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln.

Im sechsten Block ging es abschliessend um den Eigenaufwand des Bundes und um die Schuldenbremse, wobei die Kommissionsmehrheit nur einen Antrag auf Änderung gegenüber der bundesrätlichen Version stellte: Bei den Planungsgrössen zum BABS sollte der Soll-Wert der Kundenzufriedenheit bei den Ausbildungsleistungen von 80 auf 85 Prozent und in den Finanzplanjahren auf 90 Prozent erhöht werden. Stillschweigend hiess der Nationalrat die Änderung gut. Zudem lagen zahlreiche Minderheitsanträge Nicolet auf Kürzungen im Personalbereich verschiedener Bundesämter (BAFU, BAG, BAK, BAV, BFS) sowie beim UVEK vor, die jedoch allesamt abgelehnt wurden – genauso wie weitere Kürzungsanträge im Personalbereich sowie bei den Sach- und Betriebsausgaben des SEM, zur Kürzung des Personalaufwands im Bereich der Social-Media-Strategie und der Digitalisierung sowie für Querschnittskürzungen beim BBL. Abgelehnt wurde aber auch ein Minderheitsantrag Schneider Schüttel zur Schaffung von zwei zusätzlichen Stellen beim BLV im Bereich Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Schliesslich scheiterte auch ein Antrag der SVP-Fraktion, die aus der Gewinnausschüttung der SNB veranschlagten Einnahmen von CHF 666.7 Mio. zu streichen, da die SNB diese nach ihren Verlusten voraussichtlich nicht würde tätigen können.

Nach langen Diskussionen, bei denen sämtliche Mehrheits- sowie einzelne Minderheitsanträge angenommen worden waren, hiess der Nationalrat den Voranschlag in der Gesamtabstimmung mit 137 zu 49 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gut. Die ablehnenden Stimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion sowie von einem Mitglied der Grünen. Angenommen wurden in der Folge auch der Bundesbeschluss über die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2023 (138 zu 50 Stimmen bei 2 Enthaltungen), der Bundesbeschluss über den Finanzplan für die Jahre 2024-2026 (179 zu 12 Stimmen) sowie der Bundesbeschluss über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2023 (191 zu 0 Stimmen).

Voranschlag 2023 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2024-2026 (BRG 22.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2023: Voranschlag und Staatsrechnung

Mittels einer parlamentarischen Initiative forderte Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) im Juni 2022, dass in der Werbung für Motorfahrzeuge jeweils auch auf eine alternative Mobilitätsform aufmerksam gemacht wird. Als Alternativen schlug die grüne Nationalrätin den Langsamverkehr, Fahrgemeinschaften oder den öffentlichen Verkehr vor. Begründet wurde die Initiative nicht nur mit klimapolitischen Überlegungen, sondern auch mit Hinweisen auf die Lärmbelastung und die Luftverschmutzung, welche durch den motorisierten Verkehr entstehen, sowie auf die Vorteile des gesünderen Lebensstils, der mit dem Langsamverkehr einhergehe.
Die KVF-NR befasste sich Mitte Oktober 2022 mit dem Anliegen. Die Kommission beantragte mit 16 zu 7 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben. Für die Kommissionsmehrheit stellten Eingriffe in die Werbefreiheit in diesem Bereich kein zielführendes Mittel und keine staatliche Aufgabe dar. Eine Minderheit hingegen sah in der Initiative eine Chance, das Kauf- und Konsumverhalten im Bereich der Mobilität positiv zu beeinflussen.

In der Werbung für Motorfahrzeuge auf Alternativen aufmerksam machen (Pa.Iv. 22.436)

Der Ständerat beriet in der Herbstsession 2022 die Vorlage der SPK-NR, mit der die Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessert werden soll. Im Grossen und Ganzen bestehe «grosse Harmonie» innerhalb der Kommission und gegenüber dem Nationalrat, leitete Kommissionssprecher Andrea Caroni (fdp, AR) die Anträge der SPK-SR ein. Er erinnerte daran, dass es in der Vorlage nicht darum gehe, die Kompetenzen des Bundesrats in Krisensituationen zu beschneiden, wie dies von vielen ursprünglichen Vorstössen gefordert worden sei, die es nicht in die Schlussvorlage geschafft hätten. Vielmehr solle das Parlament dank einer Klärung von Regeln und dank moderner Technik auch in Notsituationen weiterhin rasch und flexibel handeln können.
In der Folge beschloss der Ständerat Korrekturen einiger Details. Zu diskutieren gab dabei auch in der kleinen Kammer die Ermöglichung virtueller Teilnahme. Im Gegensatz zum Nationalrat wollte eine Minderheit Stöckli (sp, BE), dass Parlamentsmitglieder, die durch höhere Gewalt oder behördliche Anordnung nicht physisch an Sitzungen teilnehmen können, nicht nur virtuell an Abstimmungen, sondern auch an Wahlen teilnehmen können. Mit 29 zu 15 Stimmen wurde dieser Antrag allerdings abgelehnt. Wenn hingegen das gesamte Parlament aufgrund höherer Gewalt nicht physisch tagen kann, sollen virtuelle Teilnahmen gemäss der Kommissionsmehrheit sowohl bei Abstimmungen als auch bei Wahlen möglich sein. So müsse gerade bei Bundesratsrücktritten in Krisen sichergestellt werden, dass ein neuer Bundesrat gewählt werden könne, so die Argumentation von Kommissionssprecher Caroni. Eine Minderheit Fässler (mitte, AI), welche die nationalrätliche Fassung vorziehen und auf virtuelle Wahlen verzichten wollte, setzte sich hier allerdings durch. Darüber hinaus entschied der Ständerat, dass Abstimmungen nicht wiederholt werden sollen, wenn ein virtuell an einer Sitzung teilnehmendes Mitglied aus technischen Gründen nicht abstimmen kann.
Eine gewichtige Differenz zum Nationalrat sah die SPK-SR bei der vom Nationalrat beschlossenen Etablierung einer ständigen Verwaltungskommission vor – sie wollte gänzlich auf diese verzichten. Die Kommission sehe hier keine Vorteile und auch der Bezug zu einer Krisensituation erschliesse sich ihr nicht, begründete Andrea Caroni den Kommissionsantrag. Die heutige Verwaltungsdelegation könne auch in Krisenzeiten die Aufgaben einer Verwaltungskommission übernehmen. Der Ständerat folgte dem Antrag stillschweigend.
Bei der Frage der Fristen für die Stellungnahme bei Kommissionsmotionen durch den Bundesrat nahm die kleine Kammer nach kurzer Diskussion die von der Kommission empfohlene Position des Nationalrats ein und lehnte den Antrag von Bundeskanzler Walter Thurnherr, beim Status quo zu bleiben, ab. Kommissionssprecher Caroni wies darauf hin, dass es hier eine Regelung brauche, obwohl man während der Pandemie «das Glück [gehabt habe], auf einen Bundesrat zu stossen, der Motionen sehr schnell beantwortete», dies aber eben freiwillig getan habe. Mit der neuen Regelung müsste der Bundesrat bis zur nächsten Session Stellung nehmen, wenn Kommissionsmotionen spätestens eine Woche vor Beginn der Session eingereicht würden. Bisher liege diese Frist bei einem Monat vor Sessionsbeginn. Wenn man bedenke, dass mit der neuen Regelung ein entsprechender Vorstoss «rücksichtsvollerweise» wohl gegen Ende der Session traktandiert würde, blieben der Regierung also mit der neuen Regelung rund vier Wochen für eine Stellungnahme, so Caroni. Der Minderheitsantrag von Thomas Minder (parteilos, SH), der nicht nur für Kommissionsmotionen, sondern auch für dringliche Einzelmotionen kürzere Fristen für Regierungsstellungnahmen vorsehen wollte, wurde jedoch mit 29 zu 12 Stimmen abgelehnt.
Die Gesamtabstimmung passierte die Vorlage mit 39 zu 4 Stimmen. Die Verordnung wurde mit 41 zu 1 Stimme angenommen und das Geschäftsreglement des Ständerats erhielt oppositionslos 42 Stimmen. Da für Letzteres lediglich die kleine Kammer zuständig ist, wurde noch in der Herbstsession eine Schlussabstimmung abgehalten, in der das Geschäft mit 45 zu 0 Stimmen gutgeheissen wurde.

Kontrolle von Notrecht und Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern (Pa.Iv. 20.437, Pa.Iv 20.438))
Dossier: Parlament in Krisensituationen

In der Herbstsession 2022 nahm auch der Ständerat die Motion der SPK-NR zur Wahrung des Stimmgeheimnisses für Menschen mit Sehbehinderung an. Die SPK-SR befürworte das Anliegen einstimmig, berichtete Kommissionssprecher Daniel Fässler (mitte, AI) der kleinen Kammer. Viele Kommissionsmitglieder seien sich nicht bewusst gewesen, dass Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung bei der Wahrnehmung ihres Stimmrechts eingeschränkt seien. Über 250'000 Stimmberechtigte müssten deswegen Hilfe von Dritten annehmen. Die Kommission unterstütze die Forderung nach Abstimmungsschablonen, weil damit das Stimmgeheimnis für Menschen mit Sehbehinderung gewahrt werden könne. Diese einfache und pragmatische Lösung sei ein Beitrag zum Abbau der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, wie dies vom Behindertengleichstellungsgesetz und vom internationalen Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verlangt werde. Bundeskanzler Walter Thurnherr bekräftigte, dass auch der Bundesrat den Vorstoss unterstützte, und erinnerte daran, dass grundsätzlich die Kantone dafür verantwortlich seien, dass politische Rechte von allen Stimmberechtigten wahrgenommen werden können. Die kleine Kammer überwies die Motion in der Folge ohne Diskussion.

Wahrung des Stimmgeheimnisses für Menschen mit Sehbehinderung (Mo. 22.3371)
Dossier: Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen

Im Mai 2022 reichten die GPK beider Räte je eine gleichlautende Motion ein, mit denen sie Rechtsgrundlagen für einen Fach-Krisenstab forderten. Das Krisenmanagement müsse ergänzt und Grundlagen für einen Krisenstab – als Beispiel wurde die Covid-19-Taskforce vorgebracht – geschaffen werden, mit denen verschiedene Modalitäten geregelt würden, wie etwa die Organisation der Führungsstrukturen oder die Festlegung der konkreten Aufgaben eines solchen Krisenorgans. Die Motionen waren Resultat des GPK-Berichts zur Krisenorganisation des Bundes während der Covid-19-Pandemie. Dort sei festgestellt worden, dass viele Aktivitäten der Covid-Taskforce einer rechtlichen Grundlage entbehrt hatten, obwohl das Krisenorgan eine zentrale Stellung im Krisenmanagement des Bundes eingenommen habe. Es brauche deshalb eine Anpassung und Erweiterung der bestehen Rechtsgrundlagen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Anliegens. Die berechtigte Forderung werde bereits «in laufenden Arbeiten überprüft». Allerdings sollten nicht nur Krisenstäbe, sondern die gesamte Krisenorganisation betrachtet werden. Er warnte davor, alle Eventualitäten regeln zu wollen, weil eine Krise «Flexibilität und Agilität» erfordere und die Handlungsfähigkeit durch zu viele Rechtsvorschriften eingeschränkt würde.
Im Nationalrat beantragte Thomas Aeschi (svp, ZG) zu Beginn der Herbstsession 2022 die Ablehnung der Motion (22.3506). Statt dem Bundesrat mit einem Fachgremium noch mehr Macht zu gewähren, müsse vielmehr die Handlungsfähigkeit des Parlaments gestärkt werden, so die schriftliche Begründung. Mit 129 zu 51 Stimmen hiess die grosse Kammer die Motion jedoch gut. Der Grossteil der SVP-Fraktion und eine kleine Minderheit der Mitte-Fraktion lehnten den Vorstoss ab.
Im Ständerat stiess Bundeskanzler Walter Thurnherr, der die Position des Bundesrats vertrat, Mitte der Herbstsession 2022 mit seinem Argument auf mehr Wohlwollen: Jedes Mal nach einer Krise – es habe ja in den letzten Jahren nicht nur die Pandemie gegeben – würden ganz viele Evaluationen und Berichte verfasst, bloss um dann trotzdem wieder zum Alltag zurückzukehren. Er plädiere im Namen des Bundesrats für weniger Berichte und dafür für eine grössere Konzentration auf die Umsetzung verschiedener Empfehlungen. Mit 24 zu 20 Stimmen hiess dann aber doch eine knappe Mehrheit des Ständerats die Motion (22.3507) gut. Weil damit beide konnexen Motionen angenommen wurden, wird der Bundesrat Rechtsgrundlagen für Krisenstäbe schaffen müssen.

Fach-Krisenstab (Mo 22.3507 und Mo 22.3506)
Dossier: Institutionelle Krisenresistenz des Bundesrats

Eine Motion Würth (mitte, SG) zur finanziellen Unterstützung von «digitalen Leuchtturmprojekten» mit öffentlichem Interesse stand in der Herbstsession 2022 auf der Traktandenliste des Nationalrats. Die Mehrheit der vorberatenden WBK-NR beantragte die Ablehnung der Motion, da der Anwendungsbereich der Forderung zu wenig genau abgegrenzt sei und ein Kriterienkatalog fehle. Des Weiteren bestünden bereits entsprechende Förderinstrumente. Kommissionssprecherin Verena Herzog (svp, TG) erklärte im Rat des Weiteren, dass der Ständerat beim Entwurf zum Bundesgesetz über den Einsatz von elektronischen Mitteln zur Erfüllung von Behördenaufgaben (BRG. 22.022) die Forderungen der Motion bereits teilweise aufgenommen habe. Eine Minderheit Kutter (mitte, ZH) beklagte hingegen den Rückstand der Schweiz im Bereich der Digitalisierung und wollte, wie der Bundesrat auch, an der Motion festhalten. Die Minderheit argumentierte zudem, dass die gleichlautende Motion Guggisberg (svp, BE; Mo. 21.4490) ebenfalls angenommen worden sei, weshalb man die vorliegende Motion aus Kohärenzgründen auch annehmen müsse. Bundeskanzler Walter Thurnherr versicherte zudem, dass bei einer Annahme keine Doppelspurigkeit zu bestehenden Förderinstrumenten geschaffen würde, sondern die geforderten Instrumente nur subsidiär Anwendung fänden. Während jeweils eine grosse Mehrheit der SP-, der GLP- und der Mitte-Fraktion sowie einige Abgeordnete der Grünen Fraktion (23 enthielten sich der Stimme) dieser Argumentation mit 87 Stimmen folgten, votierten die grossen Mehrheiten der SVP- sowie der FDP.Liberalen-Fraktion mit 72 Stimmen gegen Annahme der Motion. Damit überwies der Nationalrat die Motion an den Bundesrat.

Die Schweiz voranbringen. Digitale Leuchtturmprojekte mit öffentlichem Interesse anschieben (Mo. 21.4377)
Dossier: Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG)

Als «Schattenparlamente» bezeichnete Marcel Dettling (svp, SZ) die sogenannten «Bürgerräte» – ein Gefäss, in dem ein Dialog zwischen häufig zufällig ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern zu politischen Themen ermöglicht wird. Solche Projekte würden in Ländern Sinn machen, in denen nicht so ausgebaute Beteiligungsrechte wie in der Schweiz bestünden, so der Motionär. Es sei zu befürchten, dass solche Bürgerräte die Institutionen in der Schweiz untergraben könnten. Es gebe solche Gremien, die nachher mit Abstimmungsempfehlungen in die Debatte eingreifen würden. Es sei deshalb mittels eines Gesetzes zu verbieten, dass sich der Bund an solchen «Schattenparlamenten» finanziell beteilige. In der Ratsdebatte während der Herbstsession 2022 vertrat Bundeskanzler Walter Thurnherr die ablehnende Empfehlung des Bundesrats. Es handle sich bei Bürgerräten um niederschwellige Partizipationsinstrumente, die «weit davon entfernt sind, Parlamente zu konkurrenzieren oder sogar deren Aufgaben und Kompetenzen zu übernehmen»; sie hätten auch keinerlei rechtliche Entscheidungskompetenz. Die finanzielle Unterstützung solcher Projekte durch den Bund sei zudem eng begrenzt – der Bund könne etwa im Rahmen des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes solche Projekte unterstützen –, weshalb der Bundesrat keinen Handlungsbedarf sehe. Gegenteiliger Meinung schienen die 48 bzw. 23 Mitglieder der geschlossen stimmenden SVP- bzw. Mitte-EVP-Fraktion zu sein. Die insgesamt 71 Stimmen reichten aber gegen die ablehnenden 102 Stimmen aus den anderen Fraktionen nicht aus und die Motion wurde entsprechend abgelehnt.

Keine finanzielle Beteiligung an Schattenparlamenten (Mo. 22.3823)

Wie kann die institutionelle Krisenresistenz des Bundesrates verbessert werden? Diese Frage stellt die GLP-Fraktion dem Bundesrat, indem sie ihn mittels Postulat beauftragte, einen entsprechenden Bericht zu verfassen. Tiana Angelina Moser (glp, ZH) führte in der Herbstsession 2022 im Nationalrat aus, dass der Bundesrat nicht nur auf die Covid-19-Pandemie, sondern auch auf den Ausbruch des Ukraine-Krieges unvorbereitet gewesen sei. Es habe an Szenarien und vorbereiteten Massnahmen gefehlt, die man in Krisen rasch herbeiziehen könnte. Im Gegenteil habe der Bundesrat «orientierungslos» gewirkt und habe «erst auf Druck von aussen wieder Tritt» gefasst. Es brauche deshalb dringend eine «Gesamtstrategie des Führungsgremiums Bundesrat», so Moser. Die Ratsdebatte war nötig geworden, weil das vom Bundesrat eigentlich zur Annahme empfohlene Postulat von Gregor Rutz (svp, ZH) bekämpft worden war. Er teile zwar die Ansicht, dass der Bundesrat nicht vorbereitet gewesen sei, aber vorausschauendes Regieren könne nicht gesetzlich verordnet werden, sondern funktioniere nur, wenn «man die richtigen Leute in die Gremien» wähle. Das System funktioniere im Gegenteil selbst in einer Krise trotz eines schwachen Bundesrats sehr gut. Wenn man die Führung verbessern wolle, müsse man neue Leute wählen und nicht teure Berichte verfassen, schloss Rutz. Bundeskanzler Walter Thurnherr schliesslich wies darauf hin, dass der Bundesrat bereits daran sei, einen Bericht der Bundeskanzlei zum Krisenmanagement in der Covid-19-Pandemie umzusetzen, weshalb er das Postulat als ergänzenden Auftrag zur Annahme empfehle. Dieser Empfehlung kam eine 115 zu 47 Stimmen-Mehrheit (3 Enthaltungen) der Volksvertreterinnen und Volksvertreter nach. Einzig die geschlossen stimmende SVP-Fraktion (42 Stimmen), vier Mitglieder der Mitte-Fraktion sowie ein Mitglied der FDP-Fraktion lehnten das Postulat ab.

Institutionelle Krisenresistenz des Bundesrates (Po. 22.3343)
Dossier: Institutionelle Krisenresistenz des Bundesrats

La commission de gestion du Conseil national (CDG-CN) a profité du dépôt de deux motions (Mo. 22.3873 et Mo. 22.3874) sur la protection des eaux pour exiger du Conseil fédéral un rapport sur le programme de protection des eaux dans l'agriculture, aussi appelé programme 62a. Isabelle Pasquier-Eichenberger (verts, GE), rapporteuse de commission, note que « le programme ne rencontre pas le succès attendu ». La question se pose donc de savoir comment renforcer son attractivité. Le Conseil fédéral s'est dit opposé au postulat, les offices fédéraux de l'environnement (OFEV) et de l'agriculture (OFAG) s'étant déjà emparés de cette problématique et travaillant sur des mesures pour que ce programme soit davantage utilisé. L'objet a été accepté par 124 voix contre 62 et 2 abstentions. Les voix s'y opposant sont principalement venues de l'UDC, quelques élu.e.s du Centre et du PLR s'y additionnant.

Améliorer l'efficacité du programme de protection des eaux dans l'agriculture (Po. 22.3875)
Dossier: Grundwasserschutz in der Schweiz

In der Sommersession 2022 behandelte der Nationalrat das von Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) geforderte Verbot des sogenannten Greenwashing. Die Initiantin kritisierte, dass Greenwashing («écoblanchiment») dazu führe, dass sich Konsumentinnen und Konsumenten für Produkte oder Dienstleistungen entschieden, die in Wahrheit nicht nachhaltig seien. Dies habe zur Konsequenz, dass der notwendige ökologische Wandel gebremst werde. Zudem führe Greenwashing auch zu einer Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten von Marken und Firmen, welche tatsächlich den ökologischen Fussabdruck ihrer Produkte verringern. Florence Brenzikofer (gp, BL) ergänzte für die Kommissionsminderheit, die sich für die Initiative einsetzte, dass eine kürzlich in der EU durchgeführte Studie zum Schluss gekommen sei, dass rund zwei Drittel der Konsumentinnen und Konsumenten kaum in der Lage seien, «falsche Aussagen über die Klimaeigenschaften gewisser Produkte von Fakten zu unterscheiden». Brenzikofer wies auch darauf hin, dass die Schweiz insbesondere im Finanzbereich noch Aufholbedarf aufweise; es sei für die Kundinnen und Kunden sehr schwierig herauszufinden, ob ein als nachhaltig angepriesener Fonds auch tatsächlich klimafreundlich sei. Die Mehrheit der RK-NR, welche der Initiative keine Folge geben wollte, sei der Meinung, dass die geltende Gesetzgebung für die Ahndung von Greenwashing genüge, betonte Patricia von Falkenstein (ldp, BS). Zudem habe die Verwaltung darauf hingewiesen, dass das Thema Greenwashing eher im USG als im UWG behandelt werden solle. Die geforderte Ergänzung sei schliesslich kaum mit dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip in Einklang zu bringen, da die Ergänzung nicht genügend präzise formuliert sei. Konkret sei das Kriterium «Verschleierung von Auswirkungen auf das Klima» kaum messbar und ein Verstoss gegen dieses könne daher nicht sanktioniert werden, fasste von Falkenstein die Anmerkungen der Bundesverwaltung zusammen. Die Mehrheit der grossen Kammer schloss sich diesem Votum an und entschied mit 141 zu 67 Stimmen (bei 1 Enthaltung), der Initiative keine Folge zu geben. Die geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen sowie 3 Mitglieder der Mitte-Fraktion unterlagen somit.

Stopp dem Greenwashing (Pa. Iv. 21.457)

Man würde «zur Transparenz in der Demokratie beitragen», wenn auf dem Abstimmungszettel ein Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge angebracht würde, begründete Marcel Dobler (fdp, SG) seine im März 2022 eingereichte Motion. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger müssten bei der Abstimmung über eine Volksinitiative wissen, ob das Parlament einen alternativen Gesetzesvorschlag geschaffen habe. Dies sei aber auf dem Stimmzettel, der ja lediglich die Abstimmungsfrage enthalte, nicht ersichtlich, weil über einen indirekten Gegenvorschlag – im Gegensatz zum direkten Gegenentwurf – nicht gleichzeitig mit der Initiative abgestimmt werde.
Der Bundesrat begründete seine Empfehlung auf Ablehnung der Motion damit, dass die Informationen zu einem indirekten Gegenvorschlag in den Abstimmungsunterlagen festgehalten werden. Der Stimmzettel bzw. die darauf formulierte Abstimmungsfrage dürfe hingegen auch keinen Informationsauftrag erfüllen. Es bestehe sonst sogar die Gefahr, dass die freie Willensbildung der Stimmberechtigten eingeschränkt würde.
In der Ratsdebatte in der Sommersession 2022 verwies Dobler auf die Pflegeinitiative. Er vermutete, dass zahlreiche Stimmberechtigte nicht gewusst hätten, dass im Fall einer Ablehnung der Initiative der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments in Kraft getreten wäre. Ein Vermerk auf diesen Gegenvorschlag auf dem Stimmzettel hätte also wohl eine Verbesserung der Abstimmungsinformation dargestellt. Der Umstand, dass nicht weniger als 83 Parlamentsmitglieder seine Motion mitunterzeichnet hätten, sei zudem Beleg, dass sein Vorstoss weder links noch rechts anzusiedeln sei, sondern lediglich die Information verbessern wolle. Bundeskanzler Walter Thurnherr betonte die zunehmende Bedeutung des indirekten Gegenvorschlags. Rund der Hälfte aller Initiativen habe das Parlament in den letzten Jahren ein alternatives Gesetz entgegengestellt, aber nicht immer würden die Initiantinnen und Initianten ihr Volksbegehren in der Folge zurückziehen. In diesem Fall sei für die Meinungsbildung in der Tat wichtig, dass über einen indirekten Gegenvorschlag informiert werde. Dies sei aber nicht nur bei den behördlichen Informationen, sondern in der Regel in den meisten übrigen Informationsquellen tatsächlich auch der Fall. Der Bundeskanzler betonte zudem explizit das Argument des Bundesrats, dass eine Information auf dem Stimmzettel als Stellungnahme gewertet werden könnte, was die Willensbildung in unzulässiger Weise beeinträchtigen würde. Nur gerade Greta Gysin (gp, TI) liess sich von diesem exekutiven Argument überzeugen. Die restlichen Parlamentsmitglieder aus allen Lagern stimmten für die Motion (182) oder enthielten sich der Stimme (5).

Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge auf dem Abstimmungszettel (Mo. 22.3132)
Dossier: Stimmzettel als Informationsträger?

Benjamin Roduit (mitte, VS) forderte in der Sommersession 2022 in Form einer Motion, dass in Zukunft bei Texten auf Bundesebene die Regeln und Weisungen der französischen Sprache eingehalten werden und dafür auf die Nutzung einer inklusiven oder geschlechtergerechten Sprache verzichtet wird. Die Debatte rund um die inklusive Sprache werde überall geführt und sei stark politisiert, deshalb müsse die Bundesverwaltung nun ein Machtwort sprechen und Regeln im Sinne einer klaren und effektiven Sprache festlegen, wie Roduit sein Anliegen erklärte. Bundeskanzler Walter Thurnherr hielt fest, dass die Bundeskanzlei diverse Weisungen und Hilfsmittel für offizielle Texte in allen vier Amtssprachen entwickelt habe, weshalb er einen weiteren solchen Auftrag als unnötig erachte. Auch der Bundesrat sprach sich gegen die Motion aus. Der Nationalrat nahm die Motion jedoch mit 98 zu 77 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) an. Die Stimmen für den Vorstoss stammten aus den geschlossen stimmenden Fraktionen der SVP, FDP.Liberalen und der Mitte sowie von einer Person aus dem Lager der GLP.

Die Beachtung der Regeln der französischen Sprache ist wichtiger als Ideologie (Mo. 21.3143)

Mit ihrer Forderung nach Wahrung des Stimmgeheimnisses für Menschen mit Sehbehinderung stiess die SPK-NR auf offene Ohren. Konkret forderte die Kommission einstimmig, dass Abstimmungsschablonen eingeführt sowie eine Standardisierung der Stimmzettel durchgesetzt werden, mit denen sehbehinderte Menschen selbständig abstimmen können. Aktuell sind Menschen mit Sehbehinderung auf die Unterstützung einer nicht sehbehinderten Person angewiesen. Sie müssen der helfenden Person nicht nur vertrauen können, auch das Wahl- und Stimmgeheimnis ist damit für sehbehinderte Personen nicht gewahrt. Die geforderte technische Lösung müsste laut SPK-NR etwa 80'000 bis 100'000 Betroffenen von den Gemeinden zur Verfügung gestellt werden, wobei mit einem Anschaffungspreis von CHF 35 bis CHF 50 zu rechnen sei.
In der Ratsdebatte wiesen die Kommissionssprecherin Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE) und der Kommissionssprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) darauf hin, dass es noch eine Reihe von offenen Fragen gebe. So biete eine Abstimmungsschablone bei Wahlen keine Lösung, zudem sei nicht klar, wer die Kosten zu tragen habe. Um das Stimmgeheimnis auch Menschen mit Behinderungen zu gewähren, müsse man aber Lösungen finden. Bundeskanzler Walter Thurnherr sicherte die Unterstützung des Bundesrats zu, der die Motion zur Annahme empfahl. Man werde mit den Kantonen Lösungen suchen. Er wies zudem darauf hin, dass sich auch dank E-Voting Lösungen ergeben könnten. Der Nationalrat nahm die Motion in der Folge stillschweigend an.

Wahrung des Stimmgeheimnisses für Menschen mit Sehbehinderung (Mo. 22.3371)
Dossier: Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen

Mit 117 zu 66 Stimmen nahm der Nationalrat in der Sommersession 2022 ein Postulat von Christian Dandrès (sp, GE) an, das einen Bericht darüber verlangte, wie bundesrätliche Fehlinformationen während Abstimmungskampagnen angefochten und korrigiert werden könnten. Es gehe ihm um die Gewährleistung der freien Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger, wie Dandrès seinen Vorstoss begründete. Er warf dem Bundesrat etwa vor, bei der Abstimmung über das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) im Abstimmungsbüchlein Fehlinformationen verbreitet zu haben. Zudem habe er dort auch unterschlagen, dass das PMT mit den Menschenrechten unvereinbar sei. Behördeninformationen seien zentral für die Meinungsbildung. Wenn sie aber falsch und nicht transparent seien, sei dies auch deshalb ein Problem, weil bundesrätliche Information nicht von einem Gericht überprüft werden könnten. Mit dem Postulat solle nun insbesondere untersucht werden, wie solche Fehlinformationen angefochten werden könnten. Bundeskanzler Walter Thurnherr vertrat in der Debatte die Empfehlung des Bundesrats, das Postulat abzulehnen. Die Bundeskanzlei habe bereits seit einigen Jahren verschiedene Massnahmen ergriffen, um die Qualität der Informationen in den Abstimmungserläuterungen zu sichern – eine enge Zusammenarbeit mit den Departementen, Checklisten zur Qualitätssicherung durch das federführende Departement und Ämterkonsultationen. Fehler, die passieren könnten, würden zudem in standardisierten Prozessen aufgearbeitet, um das Verfahren weiter zu verbessern. Die geschlossen stimmenden Fraktionen von SP, GP und SVP erachteten diese Massnahmen wohl als zu wenig griffig und verhalfen dem Anliegen zum Erfolg.

Gewährleistung der freien Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger (Po. 21.4168)
Dossier: Abstimmungserläuterungen des Bundesrats

Die Mitte-Fraktion wollte mit einer Motion die Bewahrung der demokratischen Rechte in Krisenzeiten sicherstellen. Konkret wurde einerseits ein Bundesgesetz gefordert, mit dem ein Stillstand von Fristen und das Verschieben von Abstimmungen und Wahlen, wie dies während der Corona-Pandemie verordnet worden war, geregelt wird. Andererseits soll eine «eReadiness», also digitale Mittel, gefördert werden, dank denen politische Rechte auch in Krisenzeiten ausgeübt werden können.
In der Debatte präzisierte Marco Romano (mitte, TI) für seine Fraktion, dass es nicht darum gehe, E-Voting oder E-Collecting zu unterstützen, sondern eher darum, dass der Bund digitale Entwicklungen in den Kantonen koordiniere. Bundeskanzler Walter Thurnherr argumentierte vergeblich, dass beide Räte bereits eine gleichlautende Motion von Beat Rieder (mitte, VS; Mo. 20.3419) angenommen hätten und der Bundesrat die Aufträge somit bereits erhalten habe. Mit 107 zu 74 Stimmen (1 Enthaltung) hiess die grosse Kammer das Anliegen noch einmal gut. Die Nein-Stimmen stammten von den geschlossen stimmenden Fraktionen der SVP und der FDP.

Bewahrung der demokratischen Rechte auch in Krisenzeiten (Mo. 20.3314)

Wie könnte die Stimm- und Wahlbeteiligung gefördert werden? Um diese Frage zu beantworten, beantragte Gabriela Suter (sp, AG) mittels eines Postulats beim Bundesrat einen Bericht. Die politische Partizipation sei in der Schweiz «chronisch tief», begründete die Sozialdemokratin ihr Anliegen und führte in der Debatte in der Sommersession 2022 ein paar aktuelle kantonale und kommunale Wahlen auf, bei denen nicht einmal ein Drittel aller Wahlberechtigten ihr Wahlrecht genutzt hatten. Es stelle sich nicht nur die Frage der demokratischen Legitimation bei solch geringer Beteiligung, sondern diese gehe auch mit Ungleichheit einher, so die Postulantin. Junge, Frauen und Angehörige unterer Bildungs- und Einkommensschichten beteiligten sich weniger stark und würden entsprechend auch weniger gut repräsentiert. Der Bundesrat solle deshalb in einem Bericht mögliche Massnahmen aufzeigen, mit denen die zu geringe politische Partizipation wieder erhöht werden könnte. Zu denken sei etwa an eine Einführung der Stimmpflicht wie im Kanton Schaffhausen, an die Etablierung von sogenannten Super Sundays, an denen mehrere Kantone gleichzeitig Regierung und Parlament wählen, eine gezielte Sensibilisierung von Bevölkerungsgruppen, die Belohnung der Teilnahme mittels eines Steuerabzugs oder die Erweiterung der Zahl der Stimmberechtigten. Bundeskanzler Walter Thurnherr vertrat die ablehnende Position des Bundesrats. Dieser teile die Einschätzung über die grosse Bedeutung der politischen Beteiligung für eine Demokratie. Diese könne in der Schweiz aber nicht nur sehr häufig ausgeübt werden, sondern sei gemessen an nationalen Wahlen und Abstimmungen auch nicht rückläufig. Zahlreiche Studien hätten zudem gezeigt, dass der Verzicht auf das Stimm- und Wahlrecht kein Zeichen für «Politikverdrossenheit» sei, sondern es vielmehr Anzeichen dafür gebe, dass viele Personen selektiv teilnehmen würden. Bereits heute fördere der Bund die Mobilisierung mittels verschiedener Kommunikationsinstrumente und auch die vom Bund finanzierten VOX-Abstimmungsanalysen trügen «zum besseren Verständnis der politischen Beteiligung bei». Aus Sicht des Bundesrats würden schliesslich weder Stimmpflicht noch monetäre Anreize zur «Qualität der politischen Partizipation» beitragen. Dies habe der Nationalrat bereits vor sechs Jahren bei der Ablehnung einer entsprechenden parlamentarischen Initiative von Lorenz Hess (bdp, BE; Pa.Iv. 15.498) so gesehen. Eine bürgerliche Mehrheit des Nationalrats folgte dem Bundesrat und lehnte das Postulat mit 103 zu 80 Stimmen ab. Die geeinten Fraktionen von SP, GP und GLP standen den geschlossenen Fraktionen von FDP, Mitte-EVP und SVP gegenüber.

Stimm- und Wahlbeteiligung fördern (Po. 20.4720)

Die Sonderprivilegien für Magistratspersonen und Parlamentsmitglieder in Form des Ruhegehaltes für erstere bzw. der Überbrückungsleistung für zweitere seien abzuschaffen, forderte Mike Egger (svp, SG) in einer Motion. Ehemalige Bundesrats- und Bundesgerichtsmitglieder sowie ehemalige Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler erhielten jährlich fast CHF 200'000 Rente und Parlamentarierinnen und Parlamentarier erhielten auf Antrag Überbrückungsleistungen, obwohl sie auch eine Arbeitslosenentschädigung beantragen könnten. Abgewählte Parlamentsmitglieder können sogenannte Überbrückungsleistungen im Umfang von CHF 2'450 pro Monat für maximal zwei Jahre beantragen. Sowohl die Ruhegehälter als auch die Überbrückungsleistungen kämen einer Besserstellung gegenüber der Bevölkerung gleich und müssten gestrichen werden, so der Motionär. Zudem schieden Bundesrats- und Parlamentsmitglieder häufig noch in arbeitsfähigem Alter aus ihrem Amt. Sie dürften vor allem dank ihrer guten Vernetzung durchaus in der Lage sein, eine neue berufliche Tätigkeit zu finden, mit der sie weder auf Überbrückungsleistungen noch Ruhegehälter angewiesen seien. Auch damit würden sie der arbeitenden Bevölkerung gleichgestellt, führte Egger in der Sommersession 2022 aus. Bundeskanzler Walter Thurnherr nahm für den Bundesrat Stellung und verwies auf den Bericht zu einem Postulat von Peter Hegglin (mitte, ZG): Dort würden mögliche Alternativen zur heutigen Ruhestandsregelung aufgezeigt, aber auch argumentiert, dass solche Neuerungen einen wesentlich höheren administrativen Aufwand und komplexe Regelungen nach sich ziehen würden. Es sei am Parlament, hier mögliche Alternativen zu finden. Eine ersatzlose Streichung einer Rente, wie sie von der Motion gefordert werde, lehne der Bundesrat hingegen ab. In der schriftlichen Stellungnahme zur Motion hatte der Bundesrat zudem auf einen erst kürzlich getroffenen Entscheid des Parlaments verwiesen, die Überbrückungshilfe für Ratsmitglieder beizubehalten. Man sei damals zuerst für eine Verschärfung gewesen, dann aber nicht auf die Vorlage eingetreten.
Mit 131 zu 51 Stimmen lehnte der Nationalrat die Motion ab. Neben der geschlossenen SVP-Fraktion hatten auch Roger Nordmann (sp, VD) und Sidney Kamerzin (mitte, VS) den «Ja»-Knopf gedrückt.

Keine Sonderprivilegien für Magistratspersonen und Parlamentsmitglieder (Mo. 20.4698)

Wer ist verantwortlich für die Aufsicht über Projekte, an denen mehrere Staatsebenen oder kantonale bzw. nationale Unternehmen beteiligt sind? Diese Frage stelle sich nicht nur bei Bauvorhaben – zur Diskussion stand im Rahmen des Postulats von Jürg Grossen (glp, BE) die Problematik im Steinbruch Blausee-Mitholz –, sondern bei zahlreichen Staatstätigkeiten, führte Bundeskanzler Walter Thurnherr die bundesrätliche Stellungnahme zum Vorstoss aus. So sei die Frage nach Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten hinsichtlich Aufsicht und Kontrolle auch relevant bei der Organisation von Grossveranstaltungen oder bei komplexen, alle staatlichen Ebenen betreffenden Gesetzgebungs- oder Beschaffungsprojekten. Da es aber unterschiedliche nationale und kantonale gesetzliche Grundlagen gebe und die Kantone über Organisationsautonomie verfügten, sei die Frage nach Zuständigkeiten jeweils nur fallspezifisch zu beantworten. Auch «Blausee-Mitholz», wo die GPK des Kantons Bern festgestellt habe, dass es sich um eine Kantonsangelegenheit handle, könne nicht Anlass für einen Bericht zu einer allgemeinen Regelung sein, wie er vom Postulat gefordert werde, schloss Thurnherr. Jürg Grossen, der vor der Klarstellung durch den Bundeskanzler im Fall «Blausee-Mitholz» vor einem möglichen Schwarzpeterspiel gewarnt hatte, das bei einer eindeutigen Regelung von Zuständigkeiten eben nicht nötig wäre, zeigte sich von der exekutiven Stellungnahme überzeugt und zog sein Postulat entsprechend noch während der Debatte in der Sommersession 2022 zurück.

Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten bei der Aufsicht durch die Bundesverwaltung (Po. 20.4628)

Im Mai 2020 reichte Nationalrätin Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) ein Postulat ein, mit dem sie den Bundesrat beauftragen wollte, die «Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf die [Verkehrs-]Infrastrukturen zu untersuchen» und «die positiven Auswirkungen dieser neuen Arbeitsformen auf die Gemeinschaft zu implementieren». So habe der Corona-bedingte Lockdown die Mobilität stark verändert, diese Veränderungen seien nun eine Möglichkeit, die Zunahme der Mobilität durch Telearbeit zu bremsen. Entsprechend sollten die zur Umsetzung dieser neuen Arbeitsformen nötigen Rahmenbedingungen geschaffen und die dafür nötige Infrastruktur optimiert werden. Schliesslich forderte sie auch eine Untersuchung der Folgen für die Gesellschaft.
Der Bundesrat beantragte, das Postulat abzulehnen und verwies stattdessen auf einen «Monitoringbericht über die relevanten Entwicklungen im Kontext der Digitalisierung des Arbeitsmarktes». Er befürworte zwar flexible Arbeitsformen, für welche Arbeiten diese angebracht sind, müssten jedoch die Arbeitgebenden entscheiden.
Im Rahmen der Sondersession im Mai 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit dem Vorstoss. Postulantin Pasquier-Eichenberger betonte in der Debatte, dass es nicht nur nötig sei, die Auswirkungen der digitalen Veränderungen auf den Arbeitsmarkt zu untersuchen, sondern auch diejenigen auf die Infrastruktur und die Mobilität. Entsprechende Untersuchungen würden jedoch bereits in den Verkehrsperspektiven 2050 vorgenommen, erwiderte Bundesrat Guy Parmelin. Mit 93 zu 93 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) und Stichentscheid von Ratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) nahm der Nationalrat die Motion an. Unterstützt wurde sie von der SP-, der Mitte- und der Grünen-Fraktion.

Die Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf die Infrastrukturen (Po. 20.3265)
Dossier: Regelung von Homeoffice