Suche zurücksetzen

Inhalte

Akteure

  • Poggia, Mauro (GE, mcg)
  • Maudet, Pierre (GE, fdp/plr)

Prozesse

31 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Im Durchschnitt stieg die mittlere Prämie der Krankenkassen-Grundversicherung 2020 nur um 0.2 Prozent. Dies stellte den zweitniedrigsten Anstieg seit der Einführung des KVG 1996 dar – auch wenn die Werte aufgrund der Änderung der Berechnungsmethode 2018 nicht direkt mit den Vorjahren vergleichbar sind. Dieser vergleichsweise tiefe Wert wäre an sich eine gute Nachricht, jedoch war man sich in Medien und Politik einig: Um auch zukünftig einen tiefen Prämienanstieg zu verzeichnen, brauche es weitere Massnahmen. Man dürfe jetzt keinesfalls nachlassen, erklärte auch Gesundheitsminister Berset. Es brauche immer wieder neue Massnahmen zur Dämpfung der Kosten, zumal ein gewisses Wachstum aufgrund der Alterung der Gesellschaft und des medizinisch-technischen Fortschritts unausweichlich sei. Dieses Ergebnis zeige aber, dass sich das Kostenwachstum eindämmen lasse. Als Mitgrund für diese Eindämmung erwähnte er explizit den Tarmed-Eingriff sowie die regelmässigen Preisreduktionen bei Medikamenten des Bundesrates seit 2012, mit denen CHF 500 Mio. respektive CHF 1 Mrd. hätten eingespart werden können.
Getrübt wurde die Freude durch die Tatsache, dass sich der Prämienanstieg zwischen Krankenversicherungen, Franchisen, Versicherungsmodellen und zwischen den Kantonen stark unterschied. So sank die mittlere Prämie zwar in zehn Kantonen, in acht Kantonen stieg sie aber gar um mehr als 1 Prozent an. Besonders kritisch war die regionale Verteilung dieser Unterschiede: Während die Prämien in der Deutschschweiz durchschnittlich um 0.15 Prozent anstiegen, nahmen sie in der Romandie um 0.5 Prozent und im Tessin um 2.5 Prozent zu. Den höchsten Anstieg verzeichnete der Kanton Neuenburg mit 2.9 Prozent. «Les Romands perdants», betonte Le Temps in der Folge. Entsprechend schlecht war auch die Stimmung in der Romandie, insbesondere im Kanton Genf, der zusammen mit dem Kanton Basel-Stadt die höchsten Prämien aufweist. Der Genfer Staatsrat Mauro Poggia (GE, mcg) verwies darauf, dass die Reserven der Krankenversicherungen stark angestiegen seien und 2018 mit CHF 9.4 Mrd. rund CHF 4.6 Mrd. höher gewesen seien als gesetzlich vorgeschrieben. Mit diesem Geld hätte man den Prämienanstieg vollständig verhindern können, betonte er. Als «Skandal» bezeichnete auch Jean-Paul Derouette, Präsident der Sektion Romande des Schweizerischen Verbands der Versicherten (Assuas) den Anstieg, zumal die Romands für die kleinen Deutschschweizer Kantone zahlen müssten. Damit verwies er auf den Vorwurf, dass die Krankenversicherungen die überschüssigen Reserven einzelner Kantone zum Ausgleich fehlender Reserven in anderen Kantonen nutzten, wie es der Kanton Genf bereits in einer Standesinitiative angeprangert hatte (Kt.Iv. 17.306). Dem widersprach Santésuisse, die betonte, der Prämienanstieg in den entsprechenden Kantonen sei auf steigende Gesundheitskosten zurückzuführen; so seien zum Beispiel die Gesundheitskosten in Neuenburg zwischen 2017 und 2018 um 4.6 Prozent gewachsen.
Doch nicht nur die ungleiche Verteilung der Prämienanstiege führte zu Kritik. «On paiera cela en 2021», vermutete Mauro Poggia zudem und warf dem Gesundheitsminister vor, die Prämien vor den eidgenössischen Wahlen 2019 absichtlich nicht stärker zu erhöhen – zumal die Krankenkassen gemäss Sorgenbarometer im Jahr 2019 die grösste Sorge der Bevölkerung gewesen seien (in der Tat belegten sie jedoch den zweiten Platz). Auch Nationalrat Samuel Bendahan (ps, VD) stellte in seinem Blog in «Le Temps» einen Zusammenhang zwischen dem geringen Prämienanstieg und den Wahlen fest. Die Tribune de Genève errechnete zudem mit den für die Änderung der Berechnungsart korrigierten Zahlen des BAG, dass in der Tat im Wahlherbst 2007 zum einzigen Mal überhaupt ein Prämienrückgang verzeichnet worden war. Nur in zwei von sechs Fällen seit 1997 hätten die Prämien vor den nationalen Wahlen den langjährigen Durchschnitt übertroffen.

Krankenkassenprämien 2020
Dossier: Prämien- und Kostenentwicklung in der Krankenversicherung (seit 2010)

In einem Wahljahr werden die Abstimmungstermine im September und im November in der Regel nicht wahrgenommen. Dies dürfte mit ein Grund sein, dass 2019 nur über ein einziges Volksbegehren abgestimmt wurde, nämlich über die Zersiedelungsinitiative. Die Initiative der Jungen Grünen fand nur bei etwas mehr als einem Drittel der Stimmbevölkerung Unterstützung. Mit der Ablehnung dieses Begehrens an der Urne war zudem klar, dass in der ausklingenden 50. Legislatur (2015–2019) keine einzige der insgesamt 16 Volksinitiativen, die in diesen vier Jahren zur Abstimmung gekommen waren, angenommen wurde. Dies war weder in der 49. Legislatur (2011–2015; 4 von 25 angenommen), in der 48. Legislatur (2007–2011; 3 von 13 angenommen), in der 47. Legislatur (2003–2007; 2 von 5 angenommen), oder in der 46. Legislatur (1999–2003; 1 von 30 angenommen) der Fall gewesen.

In der anstehenden 51. Legislatur dürften einige Volksbegehren an die Urne gelangen. Ende 2019 waren nicht weniger als zehn Volksbegehren hängig; also abstimmungsreif, in parlamentarischer Behandlung oder beim Bundesrat, der eine entsprechende Botschaft zu verfassen hatte. Das Parlamentsgesetz sieht vor, dass die Bundesversammlung innert 30 Monaten nach Einreichung einer Initiative eine Abstimmungsempfehlung abzugeben hat. Diese Frist kann sich um ein Jahr verlängern, falls ein Gegenvorschlag oder ein Gegenentwurf ausgearbeitet wird. Dies war bei sechs der zehn hängigen Begehren der Fall – was als ein Zeichen dafür gewertet werden kann, dass das Zusammenspiel zwischen Bevölkerung und Parlament durchaus funktioniert: Anliegen von Initiantinnen und Initianten werden vom Parlament zwar abgeschwächt, aber immerhin ernst genommen und verarbeitet. Diese indirekte Wirkung von Volksinitiativen ist im halbdirektdemokratischen politischen System der Schweiz nicht zu unterschätzen. Bei drei Initiativen hatte das Parlament in Form einer parlamentarischen Initiative einen indirekten Gegenvorschlag eingebracht: bei der «Konzernverantwortungsinitiative» (Pa. Iv. 17.498), der «Transparenz-Initiative» (Pa. Iv. 19.400) und der «Pflegeinitiative» (Pa. Iv. 19.401). Bei der Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» hatte der Bundesrat der Botschaft den Vorschlag für ein Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung als indirekten Gegenvorschlag beigelegt und auch bei der «Fair-Preis-Initiative» sah die Regierung die Möglichkeit eines indirekten Gegenvorschlags in Form einer Änderung des Kartellrechts. Einen direkten Gegenentwurf beriet das Parlament bei der Initiative «für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide». Ende 2019 lag zudem die Botschaft des Bundesrats zur Initiative «für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» vor und die Räte berieten bereits die Initiative «für sauberes Trinkwasser». Ebenfalls Ende 2019 waren die Initiative für «mehr bezahlbare Wohnungen» und die «Begrenzungsinitiative» abstimmungsreif. Erstere wurde für den Urnengang von Februar 2020 terminiert und über letztere soll im Mai 2020 abgestimmt werden.

Wie eine Zusammenarbeit zwischen Parlament und Initiativkomitees funktionieren kann, zeigten auch die Beratungen um die Initiative «für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub». Diese hätte vier Wochen Vaterschaftsurlaub gefordert. Das Parlament legte in Form einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 18.441) einen indirekten Gegenvorschlag vor, der zwei Wochen forderte. Da sich das Parlament auf diesen Gegenvorschlag einigen konnte, zog das Initiativkomitee seine Initiative zurück. Im Jahr zuvor waren zwei Volksbegehren zurückgezogen worden.

2019 waren zudem acht neue Volksinitiativen erfolgreich zustande gekommen (2018: 5). Innert Jahresfrist wird sich der Bundesrat mit der Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung», der «Massentierhaltungsinitiative», der «Justiz-Initiative», der «Gletscher-Initiative», der Initiative «gegen Waffenexporte (Korrektur-Initiative)», der «99%-Initiative», der Initiative «Organspende fördern - Leben retten» und der Initiative für ein «Tier- und Menschenversuchsverbot» auseinandersetzen und eine Botschaft vorlegen müssen.

Im Sammelstadium befanden sich 2019 total 16 Volksbegehren, nicht weniger als 14 davon wurden erst 2019 neu lanciert, deutlich mehr als noch 2018 als acht verschiedene Komitees die Unterschriftenjagd begonnen hatten. Interessanterweise waren es 2019 vor allem Komitees und nicht – wie man in einem Wahljahr vielleicht erwarten würde – ausschliesslich Parteien, die Volksbegehren lancierten. Zu den wenigen Ausnahmen zählte die junge FDP, die ihre «Renteninitiative» lancierte. Sie war mit dem Thema Altersvorsorge freilich nicht alleine. «Für eine generationengerechte Altersvorsorge» oder für «steuerfreie AHV- und IV-Renten» setzten sich zwei weitere Komitees ein. Bereits 2018 war eine Initiative für «berufliche Vorsorge – Arbeit statt Armut» lanciert worden. Vier weitere Begehren zielten auf Reformen bei der Finanzierung des Gesundheitssystems ab: Die «Pflegefinanzierungs-Initiative», die von der EDU lanciert wurde, die «Gesundheits-Mitbestimmungs-Initiative», die «Prämien-Entlastungs-Initiative» der SP und die bereits 2018 von der CVP lancierte «Kostenbremse-Initiative» wollten etwas gegen die steigenden Krankenkassenkosten unternehmen. Ein Komitee «Mobilfunk-Initiative» lancierte gleich zwei Begehren: Mit der «Mobilfunkhaftungs-Initiative» und der Initiative «für einen gesundheitsverträglichen und stromsparenden Mobilfunk» sollen vor allem aus gesundheitlichen Gründen dem Ausbau der Mobilfunkgeneration 5G Einhalt geboten werden. Umweltschutzkreise lancierten die «Landschaftsinitiative» und die «Biodiversitätsinitiative», um dem Aussterben von Tier- und Pflanzenarten Einhalt zu gebieten. Mit der «Kontrollschild-Initiative» sollen der CH-Kleber abgeschafft und die Nummernschilder neu designt werden. Das «E-Voting-Moratorium» möchte die Tests zur elektronischen Stimmabgabe einschränken und mit der Initiative «Hilfe vor Ort im Asylbereich» sollen die im Asylwesen verwendeten Gelder für Schutzgebiete oder Hilfsprojekte im Ausland statt für Migrantinnen und Migranten in der Schweiz ausgegeben werden. Die Initiative «Ja zur Abschaffung der Zeitumstellung» schliesslich forderte, dass auf eine Anpassung der Uhren auf die sogenannte Sommerzeit in Zukunft verzichtet werde.

Voraussichtlich werden es nicht alle dieser Begehren schaffen, die gesetzlichen Fristen oder die verlangten 100'000 Unterschriften einzuhalten. Im langjährigen Schnitt scheiterte nämlich rund ein Drittel aller lancierter Volksbegehren an diesen Hürden. Dieses Schicksal ereilte 2019 drei Begehren (2018: 2): Die von einem Komitee rund um die SVP-Nationalräte Pirmin Schwander (svp, SZ) und Hans Egloff (svp, ZH) lancierte «Kindes- und Erwachsenenschutz-Initiative», mit der die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb hätte entmachtet werden sollen, aber auch die beiden Initiativen des Komitees rund um die Regierungsräte Pierre-Yves Maillard (VD, sp) und Mauro Poggia (GE, mcg), die ein «von den Krankenkassen unabhängiges Parlament» und die «Organisationsfreiheit der Kantone bei der Krankenversicherung» gefordert hätten, scheiterten 2019 offiziell im Sammelstadium.

Volksbegehren im Jahr 2019
Dossier: Lancierte Volksinitiativen von Jahr zu Jahr (ab 2007)

In der Romandie lösten verschiedene «Polit-Affären», wie sie die Aargauer Zeitung bezeichnete, Diskussionen über die Rechte und Pflichten von Regierungsmitgliedern hinsichtlich Spesen und Annahme von Geschenken, aber auch über die Abwählbarkeit von Exekutivmitgliedern aus.
Der einstige Bundesratskandidat und Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet (GE, fdp) musste zugeben, dass er sich mit seiner Familie 2015 nach Abu Dhabi hatte einladen lassen, obwohl die Annahme von Geschenken für Genfer Staatsräte verboten ist. Weil gegen ihn ein Strafverfahren wegen Vorteilnahme eingeleitet wurde und später auch noch der Verdacht auf Steuerhinterziehung auftauchte, musste er nicht nur als Regierungspräsident zurücktreten, sondern auch Teile seines Departements aufgeben. Weil Maudet lange über die Affäre gelogen und damit sehr viel Vertrauen verloren hatte, legte ihm die FDP Schweiz gar einen Parteiaustritt nahe. Allerdings «krallt sich Pierre Maudet an sein Amt» kommentierte die Sonntags-Zeitung und schloss einen Rücktritt aus.
Nicht nur die Reisen in den nahen Osten – unter anderen wie Maudet ebenfalls nach Abu Dhabi –, sondern vor allem die Spesen des Genfer Nationalrats und Mitglieds der Genfer Stadtregierung Guillaume Barazzone (cvp), wurden Gegenstand medialer Berichterstattung: Die CHF 40'000 pro Jahr, wovon CHF 17'000 alleine für Mobiltelefonkosten verbucht wurden, veranlassten wütende Genferinnen und Genfer dazu, auf die Strasse zu gehen.
Auch der Waadtländer Finanzdirektor Pascal Broulis (VD, fdp) geriet in den Fokus der Strafbehörden. Er soll auf Reisen eingeladen worden sein, und zwar von niemand geringerem als «einem der reichsten Einwohner seines Kantons», der von einer «umstrittenen Pauschalbesteuerung» profitiere (Blick). Für Fragezeichen sorgte jedoch die tiefe Steuerrechnung von Broulis, die in der Folge publik gemacht wurde. Die vermutete unrechtmässige Optimierung konnte zwar nicht nachgewiesen werden, kosteten den FDP-Politiker aber viel Vertrauen.
Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen zog Géraldine Savary (sp, VD), der gute Chancen auf einen Bundesratssitz nachgesagt wurden, sollte Alain Berset einst zurücktreten, und die 2020 als erste Frau SP-Ständeratspräsidentin hätte werden sollen, die Konsequenzen aus einer Wahlspendenaffäre und beendete ihre politische Karriere. Sie hatte vom gleichen Unternehmer, der die Reisen vieler Westschweizer Politiker bezahlt hatte und im Kanton Waadt pauschalbesteuert wird, eine Wahlkampfspende von CHF 7'500 angenommen. Die informellen Richtlinien der SP Waadt erlauben jedoch lediglich CHF 5'000. Obwohl ihr Rücktritt auch von zahlreichen Genossinnen und Genossen bedauert wurde und sie nichts Widerrechtliches getan habe, sei sie letztlich «über den Klassenfeind gestolpert» und habe das Pech gehabt, dass die Geschichte in dem Moment publik wurde, «als die halbe welsche Politprominenz wegen ähnlicher Geschenke, undurchsichtiger Steuerarrangements und exorbitanter Spesenbezüge am Pranger» stünden, so der Tages-Anzeiger.

Die «Affären» lösten einige Recherchen und Diskussionen aus. So listete etwa der Sonntags-Blick die Spesenrechnungen aller Kantonsregierungen für das Jahr 2017 auf. Auch wenn die Vergleichbarkeit schwierig sei, da unterschiedliche Zulagen in diesen Abrechnungen geregelt werden und die Regierungen unterschiedlich viele Mitglieder haben, überrasche die Bandbreite, die zwischen CHF 50'000 (Kanton Schaffhausen) und CHF 241'356 (Kanton Bern) variiere. Die Aargauer Zeitung vermutete, dass die «Affäre Maudet» den Forderungen nach mehr Transparenz Flügel verleihen werde. In der Tat hatte das Parlament beschlossen, dass Parlamentsmitglieder, die auf Staatskosten ins Ausland reisen, dies publik machen müssen. Allerdings galt dies nicht für Reisen auf Einladung von Interessengruppen. Die Sonntags-Zeitung brachte mit dem Thema «Ruhegehälter» einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein. Sie vermutete, dass Maudet auch deshalb nicht zurücktreten wolle, weil in diesem Fall sein Anspruch auf eine lebenslange Rente verfallen würde. Die Zeitung listete alle Kantone auf, die entweder gar keine Entschädigung (VS, OW), eine befristete Entschädigung im Sinne eines «goldenen Fallschirms» (AG, JU, SG, NW, UR, TG, SO, BL, ZG, SH, GL, ZH, BS, AI, AR, LU) oder eine lebenslange Rente (TI, VD, GE, FR, NE, BE, GR, SZ, inkl. Bund) ausrichteten. Neben dem augenfälligen Unterschied zwischen Deutsch- und Westschweiz überraschte auch die Varianz der kantonalen Gesamtbeträge, die zum Zeitpunkt der Befragung (Juni 2019) an «Polit-Rentner» – so die Sonntags-Zeitung – ausgerichtet werden und die sich von CHF 153'000 (AR) bis CHF 4 Mio. (TI) pro Jahr erstreckten. Laut Sonntags-Zeitung bezahlt der Bund für total 23 Personen (inkl. 4 Bundeskanzler und 2 Witwen) CHF 4.4 Mio. Die Basler Zeitung schliesslich machte sich Gedanken über das Volksrecht auf Abwahl der Regierung. In der Tat könne Maudet nicht zu einem Rücktritt gezwungen werden: «Nur ein einziger Mensch entscheidet, ob ich zurücktrete oder nicht – ich selbst», zitierte die Zeitung. Im Extremfall könne Maudet gar noch im Gefängnis Regierungsrat bleiben. Die Abwahl eines Regierungsrats sei in sechs Kantonen möglich: In den Kantonen Bern, Schaffhausen, Solothurn, Tessin und Thurgau kann mittels kantonaler Volksinitiative eine Abstimmung über die Absetzung der Regierung (in corpore) verlangt werden. Im Kanton Uri können einzelne Amtsträger – also auch Ständerätinnen und -räte oder der Landamman – per Volksinitiative abgesetzt werden. In Neuenburg wurde 2014 mit der so genannten Lex Hainard ein Amtsenthebungsverfahren eingesetzt. Hier hat das Parlament die Möglichkeit, ein Regierungsmitglied abzusetzen.

Affäre Maudet

Ein Westschweizer Komitee um die Regierungsräte Pierre-Yves Maillard (VD, sp) und Mauro Poggia (GE, mcg) lancierte 2017 gleich zwei eidgenössische Volksinitiativen zum Thema Krankenkassen. Die erste Initiative «Für ein von den Krankenkassen unabhängiges Parlament» verlangte, dass die Mitglieder der Bundesversammlung zukünftig keinen Einsitz in Organen von Krankenversicherungen oder wirtschaftlich mit ihnen verbundenen Organisationen haben und von diesen keine Vergütungen mehr annehmen dürfen. Bei schweren Verstössen dagegen verlören die Parlamentsmitglieder ihr parlamentarisches Mandat. Der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und der öffentlichen Aufgabe müsse beendet werden, da er bisher «echte» Fortschritte in der Gesundheitspolitik verhindert habe, argumentierte das Komitee. Zudem dürften Parlamentarierinnen und Parlamentarier auch keine Verbindungen zur SBB oder zur Post haben, betonten die Initianten. Auf die Kritik, wonach die Leistungserbringenden erstens deutlich besser im Parlament vertreten und zweitens deutlich stärker für die Kosten im Gesundheitswesen verantwortlich seien, entgegnete das Komitee, dass diese – anders als die Krankenkassen – kein Mandat des Staates hätten, sondern rein wirtschaftliche Akteure darstellten.

Die zweite Initiative «Für die Organisationsfreiheit der Kantone bei den Krankenversicherungen» möchte den Kantonen die Möglichkeit geben, kantonale oder interkantonale Einheitskrankenkassen zu schaffen. Diese würden die Prämien festlegen und erheben sowie die zulasten der OKP anfallenden Kosten übernehmen. Die Krankenversicherungen wären weiterhin für die Administration zuständig, würden aber von dieser Einrichtung kontrolliert. Die Medien sprachen von einer «Einheitskasse light», welche die Kantone freiwillig einführen könnten. Letzteres werteten die Medien als grosses Plus dieser Vorlage, zumal die Initiative für eine öffentliche Krankenkasse, welche die Kantone zur Einführung von Einheitskassen verpflichten wollte, in der Westschweiz auf Zustimmung gestossen, von der Deutschschweiz jedoch deutlich abgelehnt worden war.

Die Unterschriftensammlung für beide Initiativen startete im Oktober 2017. Vier Monate vor Ablauf der Sammelfrist berichtete der Tagesanzeiger, dass die Initianten für beide Initiativen erst 30'000 der nötigen 100'000 Unterschriften zusammen hätten. In der Deutschschweiz seien die Initiativen kaum auf Interesse gestossen, erklärte Maillard. Rund 20'000 Unterschriften habe man stattdessen alleine im Kanton Waadt gesammelt. Jean Blanchard, Generalsekretär des Mouvement Populaire des Familles, kritisierte insbesondere die SP, die Grünen und die Gewerkschaften, die sich kaum an der Unterschriftensammlung beteiligt hätten. Nach Ablauf der Sammelfrist im April 2019 gab die Bundeskanzlei schliesslich das Scheitern der beiden Initiativen bekannt.

Eidgenössische Volksinitiativen «für ein von den Krankenkassen unabhängiges Parlament» und «für die Organisationsfreiheit der Kantone bei den Krankenversicherungen»
Dossier: Vorstösse zur Ermöglichung kantonaler Einheitskassen
Dossier: Vorstösse zur Ermöglichung von Einheitskrankenkassen (seit 1998)
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Das Medienjahr 2019 war geprägt von Beschwerden, Klagen und Urteilen zur Frage, was Medien dürfen und wo das Öffentlichkeitsprinzip den Persönlichkeitsrechten von öffentlichen Personen untergeordnet werden muss. Den Anfang machte im Januar 2019 der Genfer Staatsrat Pierre Maudet (GE, fdp), der die Tamedia beim Zivilgericht des Kantons Genf wegen eines Artikels vom November 2018 verklagte. Darin hatte ein Tamedia-Journalist die gemäss RTS krankheitsbedingte Abwesenheit einer RTS-Journalistin mit Maudet, über den die Journalistin zuvor kritisch berichtet hatte, in Zusammenhang gebracht. Dieser habe Druck auf sie ausgeübt. Maudet bestand auf einer von ihm verfassten Gegendarstellung, lehnte die Bedingung der Tamedia, seine Version nur zusammen mit einer Stellungnahme der Journalistin abzudrucken, ab und schlug in der Folge den gerichtlichen Weg ein, um den Abdruck seiner Stellungnahme durchzusetzen. Auch der waadtländische Staatsrat Pascal Broulis (VD, fdp) reichte im April eine Zivilklage gegen die Tamedia, die Chefredaktorin des Tages-Anzeigers sowie gegen den Westschweiz-Korrespondenten der Tamedia ein. Die Beschuldigten hätten in mehreren Artikeln seine Persönlichkeitsrechte verletzt, wofür er eine Genugtuungszahlung von CHF 75'000, eine Entfernung der Artikel aus dem Archiv sowie eine Publikation des Gerichtsurteils verlangte. Ende März erzielte der Walliser Staatsrat Christophe Darbellay (VS, cvp) eine superprovisorische Verfügung des Zürcher Bezirksgerichts gegen den Druck eines Artikels in der Weltwoche über die Unterhaltszahlungen an sein uneheliches Kind. Da sich die Printversion der Weltwoche jedoch bereits im Postversand befand, kam die Verfügung zu spät, so dass die Weltwoche nur noch die Onlineversion zensierte. Etwa zeitgleich verhinderte die Waadtländer Staatsrätin Jacqueline de Quattro (VD, fdp) ebenfalls mit einer superprovisorischen Verfügung vorläufig die Publikation eines Buches über sie. Die Aufmachung des Umschlags und die Werbung für das Buch würden den Eindruck vermitteln, dass sie die Autorin sei oder aktiv mit dem Werk in Verbindung stehe, erklärte de Quattro.
Diese vier Gerichtsverfahren in kurzer Zeit liessen die Presse die Frage aufwerfen, ob zunehmende Beschwerden gegen Journalistinnen und Journalisten eine allgemeine Entwicklung seien und ob diese Entwicklung eine Gefahr für die Pressefreiheit darstelle. Das sei ein schlechtes Signal für die Medien, urteilte Denis Masmejan, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen Schweiz. Solche Klagen stellten generell Einschüchterungsversuche dar, die dazu dienten, dass Journalisten das nächste Mal eher zögerten, bevor sie über etwas Kritisches berichteten. Diese Meinung teilte auch der Journalistenverband Impressum, der die Klage von Broulis als unverhältnismässig bezeichnete. In der Sonntagszeitung führte der ehemalige Chefredaktor von «Le Matin», Peter Rothenbühler, die Reaktion der vier Staatsrätinnen und Staatsräte darauf zurück, dass es sich die Politikerinnen und Politiker der Westschweiz weniger gewohnt seien, von den Medien kritisiert zu werden als ihre Kolleginnen und Kollegen der Deutschschweiz; vielmehr kenne man sich und sei generell nett zueinander. Dies ändere sich nun aber, was insbesondere die Affäre Maudet gezeigt habe, in der die Journalistinnen und Journalisten sehr gut gearbeitet hätten.
In drei der vier Fälle ergingen die Urteile noch vor Ende 2019, in zwei Fällen bekamen die Medien vor Gericht recht. So hob das Bezirksgericht Zürich im Mai die von Darbellay verlangte Verfügung gegen die Weltwoche auf, da der Walliser Regierungsrat zwar eine Persönlichkeitsverletzung, aber keinen besonders schweren Nachteil habe glaubhaft machen können. Darbellay musste der Weltwoche CHF 9’700 bezahlen sowie die Gerichtskosten über CHF 8'000 übernehmen. In der Folge reichte Darbellay aufgrund desselben Artikels Klage gegen die Weltwoche wegen Persönlichkeitsverletzung ein. Im September 2019 entschied auch das Genfer Gericht im Fall Maudet, dass der von Pierre Maudet verfasste Gegendarstellungstext an sechs Stellen geändert werden müsse. Die Tamedia verbuchte dies als Erfolg und publizierte die vom Gericht genehmigte Version kurz nach Erscheinen des Urteils.
Recht bekam hingegen Jacqueline de Quattro: Ende April bestätigte das zuständige Gericht, dass die superprovisorische Massnahme bezüglich des Buches über sie aufrechterhalten werden solle. Das Buch dürfe nicht veröffentlicht werden, solange der Bucheinband nicht geändert werde.

Grosse mediale Wellen warf 2019 auch die Klage von Jolanda Spiess-Hegglin gegen den «Blick». Bei einer Feier Ende 2014 war es zwischen der damals grünen Kantonsrätin Spiess-Hegglin und dem SVP-Kantonsrat Markus Hürlimann zu sexuellen Handlungen gekommen, worauf Spiess-Hegglin Hürlimann beschuldigt hatte, sie geschändet zu haben. Nach der darauffolgenden grossen medialen Kampagne darüber hatte Hürlimann Spiess-Hegglin wegen übler Nachrede und Verleumdung angezeigt. Er sei zum Opfer einer «beispiellosen medialen und öffentlichen Vorverurteilung geworden, die phasenweise einer eigentlichen Hetzjagd glich» (NZZ). Im August 2015 hatte die Zuger Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Hürlimann eingestellt, kurz darauf waren auch alle Verfahren gegen Spiess-Hegglin wegen falscher Beschuldigungen eingestellt worden. Im Fokus der Medien blieb die Geschichte bis 2019 aufgrund einer Klage von Spiess-Hegglin gegen den «Blick». Dieser hatte Spiess-Hegglin und Hürlimann 2015 als erste Zeitung beim Namen genannt und ihre Fotos gezeigt, was zu einer «Medienlawine» (CH-Media) geführt hatte, an der sich der «Blick» selber mit über 200 Berichten stark beteiligt hatte. Spiess-Hegglin klagte nun gegen den ersten Artikel des «Blicks», den zuvor auch der Presserat als Verletzung der Privat- und Intimsphäre verurteilt hatte. Es solle geklärt werden, ob der «Blick» ihren Namen habe veröffentlichen dürfen oder nicht, erklärte Spiess-Hegglin. Das Urteil könnte grosse «medienpolitische Bedeutung» haben, vermutete CH-Media. So gehe es um die Frage, ob eine Zeitung das Geld, das sie durch eine Persönlichkeitsverletzung verdient hat, abgeben müsse oder nicht. Bereits 2006 sei im Falle des Vaters der Tennisspielerin Patty Schnyder ein solches Urteil ergangen, damals sei es aber um vergleichsweise wenig Geld gegangen. Heute könne es gemäss einer Expertise von Hansi Voigt, dem ehemaligen Chefredaktor von 20 Minuten Online und Watson, bei den über 200 im «Blick» erschienenen Artikeln zum Thema um über CHF 1 Mio. gehen. In der Tat behielt es sich Spiess-Hegglin vor, bei einer Verurteilung des «Blicks» später Forderungen nach Gewinnherausgabe zu stellen. Man müsse das System ändern, damit Klick-Orgien den Tätern nicht auch noch Gewinn einbringen würden, erklärte sie.
Im Mai 2019 verurteilte das Zuger Kantonsgericht den «Blick» wegen einer «schweren, nicht gerechtfertigten Verletzung der Persönlichkeit» und eines «krassen Eingriff[s] in die Intimsphäre». Ein öffentliches Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung, wie es der «Blick» angeführt hatte, habe nicht bestanden. Ringier musste Spiess-Hegglin in der Folge eine Genugtuung von CHF 20'000 sowie eine Parteientschädigung von CHF 20'000 bezahlen und die Gerichtskosten von CHF 6'000 übernehmen. Spiess-Hegglins Forderung nach einer Entschuldigung lehnte das Gericht jedoch ab; eine solche sei rechtlich nicht durchsetzbar, erklärte es. Dies sei unter Juristen jedoch umstritten, kommentierten die Medien. Sowohl Spiess-Hegglin, die auf eine Entschuldigung durch den «Blick» pochte, als auch Ringier, das sich mit den wesentlichen Punkten des Urteils nicht einverstanden zeigte, zogen das Urteil ans Zuger Obergericht weiter.
In der Zwischenzeit bestätigte das Zürcher Obergericht auch ein Urteil des Bezirksgerichts gegen den Weltwoche-Journalisten Philipp Gut wegen übler Nachrede. Gut hatte Spiess-Hegglin in einem Artikel beschuldigt, sich die mutmassliche Schändung durch Markus Hürlimann nur ausgedacht zu haben, um ihren Seitensprung zu vertuschen. Anders als zuvor das Bezirksgericht entschied das Obergericht jedoch, dass die Weltwoche das Gerichtsurteil nicht abdrucken und den entsprechenden Artikel nicht aus den Archiven löschen muss. Stattdessen muss Gut Spiess-Hegglin neben einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je CHF 130 CHF 2'500 Genugtuung bezahlen und ihre Anwaltskosten übernehmen. Wiederum kündigte Spiess-Hegglin an, zivilrechtlich eine Publikation des Urteils durch die Weltwoche erreichen zu wollen.

Weniger mediale Aufmerksamkeit erhielt eine Klage der ETH gegen die Online-Zeitung «Republik». Letztere hatte den Mobbing-Fall an der ETH, bei dem bekannt wurde, dass eine Professorin während Jahren Doktoranden schikaniert haben soll, mit angeblichen Verfahrensfehlern und Kompetenzüberschreitungen an der Hochschule in Zusammenhang gesetzt. Die ETH verlangte eine umfassende Gegendarstellung, welche die «Republik» ablehnte. Diese Gegendarstellung wollte die Hochschule in der Folge auf dem Rechtsweg erzwingen.
Bereits abgeschlossen war 2019 der Prozess von Carl Hirschmann gegen die Tamedia. Letztere hatte gemäss einem Bundesgerichtsurteil mit Zeitungsberichten zwischen 2009 und 2012 Hirschmanns Persönlichkeit verletzt, unter anderem durch spekulative, vor Gericht nicht belegbare Vorwürfe. Im Mai 2019 publizierte die Tamedia nun eine Entschuldigung. Damit wurde gemäss NZZ der Rechtsstreit um die Frage, ob die Tamedia die durch die Berichterstattung erzielten Gewinne herausgeben müsse, beigelegt. Bereits 2012 habe sich Ringier aus demselben Grund bei Hirschmann entschuldigt, so die NZZ weiter.
Leitcharakter attestierte die Basler Zeitung schliesslich einem Urteil der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Demnach hatte die Strafkammer desselben Gerichts im Januar 2019 selbst die Medienfreiheit verletzt, indem sie Journalistinnen und Journalisten in einem Bankdatendiebstahl-Prozess auf Verlangen eines Beschuldigten vor einer Befragung unangekündigt und ohne Begründung des Saales verwiesen habe.

Beschwerden über Medien

Nach den Rücktrittsankündigungen von Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard nahmen zwar die Rücktrittsspekulationen ein Ende, dafür kurbelten die Medien das Kandidatenkarussell umso schneller an und lancierten im Vorfeld der Ersatzwahlen in den Bundesrat fleissig mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger.
Die von vielen Seiten geforderte Doppelvakanz liess zahlreiche Szenarien möglich erscheinen, klar schien aber, dass mindestens eine Frau in die Landesregierung einziehen sollte, damit das Gremium nicht nur durch eine Bundesrätin – Simonetta Sommaruga – repräsentiert werde. Die grössten Chancen wurden nicht nur deshalb Karin Keller-Sutter (fdp, SG) eingeräumt. Die Ständerätin (seit 2011) wurde auch als Top-Favoritin gehandelt, weil sie aus der Ostschweiz stammt, derjenigen Region also, die seit längerem nicht mehr im Bundesrat vertreten war. Zwar war die St. Gallerin bereits 2010 als Regierungsrätin zu Bundesratswahlen angetreten, unterlag damals allerdings Schneider-Ammann. In der Zwischenzeit hatte sich die Ständerätin in Bern aber einen Namen gemacht und wurde auch von politischen Gegnern gelobt. Auch die Parteipräsidentin der FDP, Petra Gössi (fdp, SZ), wurde von den Medien auf den Schild gehoben, obwohl sie bereits früher bekannt gegeben hatte, nicht als Bundesratskandidatin zur Verfügung zu stehen. Weitere in den Medien gehandelte FDP-Kandidatinnen waren Regine Sauter (fdp, ZH), Doris Fiala (fdp, ZH) oder Christa Markwalder (fdp, BE). Männliche Kandidierende schienen es neben der Favoritin Keller-Sutter, die Anfang Oktober als eine der ersten offiziell ihre Kandidatur bekannt gab, ebenfalls schwierig zu haben. Zwar wurden Ruedi Noser (fdp, ZH), Martin Schmid (fdp, GR) oder Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) von den Medien früh ins Spiel gebracht, diese hätten aber neben der St. Galler Ständerätin lediglich eine Rolle als «Winkelried» – sie opferten sich also selbst, damit ein Zweierticket aufgestellt werden könnte – wie etwa das St. Galler-Tagblatt schrieb. Statt Ankündigungen von Kandidaturen kamen denn aus den Reihen der FDP vielmehr Absagen: Sauter, Schmid, Portmann und Noser – alle winkten mit dem Verweis auf die ideale Kandidatur von Keller-Sutter ab. Schliesslich stellten sich neben Keller-Sutter der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler (SH, fdp) und Ständerat Hans Wicki (fdp, NW) zur Verfügung.
Auch bei der CVP wurden einer Frau und langjährigen eidgenössischen Parlamentarierin sehr gute Chancen eingeräumt, Nachfolgerin von Doris Leuthard zu werden: Viola Amherd (cvp VS). Die Walliserin – seit 2005 in Bern – sei im Parlament beliebt. Allerdings wurde in den Medien auch ein Rechtsstreit bekannt, in den Amherd verwickelt sei. Es handle sich dabei freilich nicht um ein Strafverfahren, sondern um eine zivilrechtliche Auseinandersetzung. Eine Erbengemeinschaft aus Amherd und ihrer Schwester soll über Jahre zu hohe Mietzinsen kassiert haben. Bei den christlichdemokratischen Männern machten die Medien mehr Potenzial aus als bei der FDP: Weil Karin Keller-Sutter als Kronfavoritin galt, könnten sich die CVP-Männer wohl mehr Chancen ausrechnen, so der Tenor. Obwohl auch er schon lange abgesagt hatte, galt Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) deshalb vielen als Geheimfavorit. Häufig genannt wurden auch Stefan Engler (cvp, GR), Daniel Fässler (cvp, AI), Pirmin Bischof (cvp, SO), Peter Hegglin (cvp, ZG) und Erich Ettlin (cvp, OW). Auch der amtierende Bundeskanzler Walter Thurnherr wurde – trotz seiner deutlichen Absage – in den Medien immer wieder als Wunschkandidat bezeichnet. Mit Elisabeth Schneider-Schneiter (cvp, BL) wurde von der Basler Zeitung eine weitere mögliche Frauenkandidatur ins Spiel gebracht, die zudem den Vorteil hätte, den Kanton Basel-Landschaft zu vertreten, der seit 1897 auf eine Vertretung in der Landesregierung warte. Auch dem St. Galler Regierungsrat Benedikt Würth (SG, cvp) wurden gute Chancen eingeräumt. Weil die Ersatzwahl von Doris Leuthard aufgrund des Anciennitätsprinzips zuerst stattfinden würde, galt Würth in den Medien zudem als potenzieller Verhinderer von Karin Keller-Sutter, wäre doch eine St. Galler-Doppelvertretung in der Landesregierung kaum haltbar. Die Urner Zeitung brachte schliesslich die Urner Regierungsrätin Heidi Z'graggen (UR, cvp) ins Spiel, die zu Protokoll gab, dass es wichtig sei, dass die Zentralschweiz einen Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat erhebe. Früh machte die CVP zudem klar, dass sie mit mindestens einer Frau auf einem Doppelticket antreten werde. Mitte Oktober gab Peter Hegglin als erster aus dem Kreis der CVP seine Kandidatur bekannt. Nur wenige Tage später warfen auch Heidi Z'graggen und Elisabeth Schneider-Schneiter ihren Hut in den Ring. Und auch Viola Amherd gab Ende Oktober, also kurz vor Meldeschluss, bekannt, für die Nachfolge von Doris Leuthard bereit zu sein. Aus dem Rennen nahmen sich hingegen Erich Ettlin und Pirmin Bischof. Und auch Gerhard Pfister und Bundeskanzler Walter Thurnherr wurden nicht müde, zu betonen, dass sie nicht zur Verfügung stünden, was von einzelnen Medien prompt kritisiert wurde. Der Blick mahnte etwa, dass die CVP nicht die besten Kandidierenden aufstellen würde.

Sowohl die FDP als auch die CVP liessen durch die Medien verlauten, dass sie sehr viel Wert auf die Prüfung der Kandidierenden legen würden. Diese Verlautbarung drängte sich insbesondere auch deshalb auf, weil der ehemalige FDP-Bundesratskandidat und Genfer Regierungspräsident Pierre Maudet (GE, fdp) wegen einiger Ungereimtheiten im Zusammenhang mit seinem Regierungsmandat in die Schlagzeilen geraten war. Die Westschweizer Zeitungen Tribune de Genève und Le Temps schrieben deshalb von einer eigentlichen «Lex Maudet». Noch einen Schritt weiter ging die CVP, die die Kandidierenden nicht von einem eigenen Parteigremium prüfen lassen wollte, wie dies die FDP vorsah, sondern von einem externen, aus Juristinnen und Juristen geleiteten Prüforgan.

Die Fraktionen entschieden sich dann am 16. November je für ein Doppelticket. Die FDP hob wie erwartet Karin Keller-Sutter zusammen mit Hans Wicki auf den Schild. Wie wenig umstritten die St. Galler Ständerätin war, zeigte der Umstand, dass sie von 41 FDP-Fraktionsmitgliedern im ersten Wahlgang 38 Stimmen erhalten hatte, wie das St. Galler Tagblatt zu berichten wusste. Für Wicki sprachen sich 29 FDP-Parlamentsmitglieder aus, Amsler erhielt 12 Stimmen. Dies zeige deutlich, dass die FDP die von vielen Seiten proklamierte zusätzliche Bundesrätin aus der eigenen Partei wolle.
Der Entscheid der CVP wurde als eigentlicher Überraschungscoup gehandelt. Zwar hatte man mit der Nomination von Viola Amherd gerechnet, aber die Kandidatur von Heidi Z'graggen hatte niemand erwartet. Die BaZ sprach gar von einer Desavouierung gegen die bekannteren Hegglin und Schneider-Schneiter. Letztere witterte gar eine «Verschwörung der Berggebiete gegen die Nordwestschweiz». Z'graggen habe bei der Anhörung am meisten überzeugt und den Favoriten Hegglin schon im ersten Wahlgang aus dem Rennen geworfen, wie einzelne Fraktionsmitglieder gegenüber den Medien aussagten. Fraktionspräsident Filippo Lombardi (cvp, TI) wollte allerdings keine Zahlen publik machen. Das reine Frauenticket der CVP wurde als starkes Signal gewertet, mit dem der FDP ziemlich der Wind aus den Segeln genommen werde, so der Kommentar zahlreicher Medien. Statt über die Kronfavoritin Keller-Sutter zu schreiben, nahmen diese nun vielmehr die unbekanntere Heidi Z'graggen in ihren Fokus. Die wie schon bei der Nachfolge von Didier Burkhalter geplante Roadshow der FDP, mit der man in diversen Kantonen die Kandidierenden vorstellen wollte, verkam so zu einem eigentlichen Rohrkrepierer und verbrauchte – ganz im Gegensatz zur Wahl von Ignazio Cassis vor einem Jahr – kaum mehr Druckerschwärze.

Die «drei Frauen und der Quotenmann», wie der Blick titelte, wurden in der Folge von allen Medien durchleuchtet. Während sich die Medienschaffenden und Kommentatoren bei der FDP einig waren, dass Karin Keller-Sutter praktisch bereits gewählt sei, betrachtete man das Rennen bei der CVP als offen im Ausgang. Den Medien ging es in den darauffolgenden Tagen insbesondere darum, die in Bern noch ziemlich unbekannte Heidi Z'graggen zu präsentieren. Die Urner Regierungsrätin sah sich selber eher am rechten Flügel ihrer Partei. Sie galt vor allem in der Sozial- und Migrationspolitik als konservativer, aber auch als wirtschaftsnäher als die vor allem gesellschaftspolitisch eher linker eingeschätzte Viola Amherd. Damit begannen die Mutmassungen, dass Z'graggen von der SVP allenfalls zur Favoritin gemacht werden könnte. Weil Z'graggen als Präsidentin der Eidgenössischen Heimatschutzkommission auch eine «linke Ader» habe, so die Urner Zeitung, könnte sie allenfalls auch bei links-grün punkten. Amherd sah sich hingegen immer wieder aufgrund des vor allem von der Weltwoche befeuerten Rechtsstreits in ein schiefes Licht gerückt. Aber auch Z'graggen verfolgte ein Vorfall, der sich an einer Podiumsveranstaltung abgespielt hatte: Sie hatte einen Zuhörer im Saal als «Depp» bezeichnet, dies dann aber beharrlich als akustisches Missverständnis abgetan.

Die Hearings der verschiedenen Fraktionen nahmen dem Ausgang dann etwas die Spannung. Schon eine Woche vor den Wahlen gab die SVP die Resultate ihrer Anhörungen bekannt. Sie unterstützte zwar mehrheitlich Z'graggen, vor allem die Bauern in der Volksparteifraktion sprachen sich aber für Amherd aus, was in den Medien als steigende Wahlchancen für die Walliserin interpretiert wurde. Karin Keller-Sutter erhielt beim Hearing bei der SVP mehr Stimmen als Hans Wicki. Eine Wahlempfehlung wollte die SVP allerdings intern nicht vorgeben. Bei der FDP-Fraktion, die die Hearings einen Tag vor der Bundesratsersatzwahl durchführte, gab man zwar ebenfalls keine Empfehlung ab, die Mehrheit der Mitglieder sprach sich aber für Amherd aus, die vor allem mit ihren Dossierkenntnissen überzeugen konnte, die bei ihr als Nationalrätin grösser seien als bei der Urner Regierungsrätin. Z'graggen sei zwar gut gewesen, aber Amherd sei besser gewesen, zitierte die NZZ ein Fraktionsmitglied, das nicht genannt werden wollte. Auch die SP liess verlauten, man habe die Qual der Wahl zwischen zwei exzellenten Politikerinnen. Bei den Grünen, die ihre Überlegungen einen Tag vor den Wahlen bekannt gaben, konnte Z'graggen mit authentisch vorgetragenen Sorgen um den Klimawandel punkten, aber auch bei ihnen sei Amherd eher im Vorteil, wie Balthasar Glättli (gp, ZH) zu Protokoll gab. Klarer waren die Stellungnahmen zu den FDP-Kandidierenden. Die SP sprach sich klar für Keller-Sutter aus, die zwar deutlich rechts positioniert, aber sehr offen für Kompromisse sei. Bei der CVP, die keine Wahlempfehlung abgeben wollte, dürfe die St. Gallerin ebenfalls mit mehr Stimmen rechnen als Wicki, so ein CVP-Fraktionsmitglied. Die Fraktionen der GLP und der BDP sprachen sich für Amherd aus. Ausschlaggebend sei unter anderem auch die offenere europapolitische Haltung Amherds, gaben Vertreterinnen der beiden Parteien bekannt. Die beiden kleinen Fraktionen empfahlen zudem Karin Keller-Sutter. In den Medien ging man einen Tag vor der Wahl davon aus, dass Amherd und Keller-Sutter wohl gewählt würden. Z'graggen sei zwar politisch nicht so weit von Amherd entfernt, für Letztere spreche aber wohl die grössere Erfahrung.

Die «überschätzte Show», wie die Basler Zeitung die Wahl im Vorfeld bezeichnete, oder «die inszenierte Volkswahl», wie die NZZ titelte, sei in den letzten 40 Jahren zu einem «publikumswirksamen Spektakel geworden». Nicht nur die Medien, sondern auch die Parteien forcierten den Wettbewerb lange im Vorfeld. Der Wahlakt selber war dann allerdings alles andere als ein Spektakel.
Zuerst wurden die Verabschiedungen von Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann vorgenommen. Nationalratspräsidentin Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) lobte die Verdienste Leuthards im Volkswirtschaftsdepartement und im UVEK sowie die «Verbindung ihrer Popularität mit einem ausgeprägten politischen Instinkt». Die scheidende CVP-Magistratin sei nicht nur eine «Grand Dame politique», sondern ganz einfach eine «Grande Dame», die ein Stück Geschichte mitbestimmt habe. Leuthard selber rief das Parlament auf, auch in Zukunft auf Konkordanz, Konsens und Kompromiss zu setzen. Die Schweiz gebe es nur einmal und es lohne sich, für das schöne Land zu kämpfen. Die von 2006 bis 2018 dem Bundesrat angehörende Aargauerin erhielt zum Abschied stehende Ovationen. Johann Schneider-Ammann – seit 2010 im Bundesrat – wurde von der Nationalratspräsidentin in ihrer Abschiedsrede mit dem Namenswechsel des Volkswirtschaftsdepartement (EVD) 2013 in Verbindung gebracht. Dass aus dem EVD das WBF, das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung geworden sei, zeige, wie sehr dem Berner Magistraten vor allem das duale Berufsbildungssystem am Herzen gelegen habe. Die Abschiedsrede Schneider-Ammanns löste einige Heiterkeit aus. Sein Lieblingsmöbel sei sicher nicht dieses Rednerpult. Es seien acht emotionale Jahre gewesen, auch wenn man ihm das nicht immer angesehen habe. Er wünsche sich, dass alle Parlamentsmitglieder den Mut haben, das Wohl des Landes vor das eigene zu stellen. Auch der scheidende FDP-Magistrat erhielt stehende Ovationen.
Im Gegensatz zu früheren Jahren sprachen nicht alle Fraktionschefinnen und -chefs im Vorfeld der einzelnen Wahlgänge. Einzig für die CVP begab sich Filippo Lombardi nach vorne, um den Zweierticketvorschlag seiner Partei zu präsentieren. Für viele überraschend stand dann bereits im anschliessenden 1. Wahlgang fest, dass Viola Amherd neue Bundesrätin und Nachfolgerin von Doris Leuthard werden würde. Im Vorfeld war man von mindestens zwei Wahlgängen ausgegangen. Die Mehrheit des Parlaments hatte allerdings augenscheinlich keine Lust auf Spielchen. Mit 148 Stimmen übersprang Viola Amherd das absolute Mehr von 121 Stimmen souverän. Auf Heidi Z'graggen entfielen 60 der 244 ausgeteilten Wahlzettel. Gerhard Pfister erhielt 17 Stimmen, 15 Stimmen entfielen auf Diverse und 4 Wahlzettel blieben leer. Amherd erklärte Annahme der Wahl und dankte Heidi Z'graggen für den fairen Wahlkampf. Sie sei gerne bereit, sich für die Zukunft des Landes einzusetzen.
Auch die anschliessende Ersatzwahl für Johann Schneider-Ammann ging in Rekordzeit über die Bühne. Auch hier ergriff lediglich der Fraktionssprecher der FDP, Beat Walti (fdp, ZH) das Wort. Auch Karin Keller-Sutter wurde bereits im ersten Wahlgang zur Magistratin gekürt. Sie erhielt 154 Stimmen, nötig gewesen wären 119. Zwar gingen zahlreiche Stimmen auf Diverse (27) und 6 der 243 eingelangten Wahlzettel blieben leer, Hans Wicki konnte aber lediglich 56 Parlamentsmitglieder von sich überzeugen. Auch Karin Keller-Sutter erklärte Annahme der Wahl und wies darauf hin, dass damit ein «dornenvolles Kapitel in der Geschichte der freisinnigen Frauen» beendet werde: Nach fast dreissigjähriger Absenz dürfe sie nun als zweite Frau die FDP im Bundesrat vertreten.

In den Medien wurden die Bundesrätinnen Nummer acht und neun gefeiert. Zwar seien der Kanton Uri und der Kanton Nidwalden, die neben den Kantonen Jura, Schaffhausen und Schwyz noch nie einen Bundesrat gestellt haben, erneut leer ausgegangen. Dass die nationale Exekutive aber wieder mit drei Frauen besetzt werde, sei aus verschiedenen Gründen eine Zäsur. Erstens dürfte die «Konkordanz der Geschlechter» (Tages-Anzeiger) nun wohl zum Normalfall werden, zweitens seien in der Geschichte der Schweiz noch nie zwei Bundesrätinnen gleichzeitig gewählt worden und drittens sei es in den letzten 30 Jahren nur zwei Exekutivmitgliedern gelungen, gleich im ersten Wahlgang das absolute Mehr zu überspringen – Doris Leuthard und Kaspar Villiger. Auf den Frauen ruhe die Hoffnung und die Wahl würde wohl auch mehr Frauen für eine Kandidatur für die nationalen Wahlen 2019 motivieren, betonten die Medien. Die Auffrischung im Bundesrat komme zudem angesichts wichtiger anstehender Probleme – erwähnt wurden die gescheiterten Abstimmungen zur Altersreform 2020 und zur USR III – zum richtigen Moment. Das «unspektakuläre Spektakel» (St. Galler Tagblatt) habe aber auch die momentane Harmonie im Bundeshaus widerspiegelt, was sich auch in der gleichzeitig stattfindenden Wahl des Bundespräsidenten und der Vizepräsidentin gezeigt habe. Die Weltwoche hoffte allerdings, dass die Politik nicht so brav werde, wie im Wahlkampf beschworen. Und die Hoffnung der WoZ war, dass die Frauenwahl bewirke, dass sich der Bundesrat nun nicht noch weiter nach rechts bewege, sondern dass es zu einer Aufweichung der Fronten kommen könnte.

Für die Medien gab es nach den Wahlen freilich neue Nahrung für Spekulationen, ging es doch nun um die Frage, wer welches Departement übernehmen wird. Der wirkliche Krimi folge erst – so die NZZ. Darüber hinaus wurde spekuliert, dass auch die SVP, die als einzige Regierungspartei noch nie eine Frau im Bundesrat hatte, wohl jetzt mehr Nachwuchsarbeit verrichten müsse. Die Aargauer Zeitung zitierte Parteistrategen und Beobachter – ohne freilich Namen zu nennen – die erwarteten, dass Ueli Maurer 2019 zurücktreten werde und von Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) beerbt werden würde.

Bundesratsersatzwahlen 2018 – Nachfolge Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

Pour le renouvellement du Conseil d'Etat genevois, 31 candidates et candidats étaient en lice en 2018. Tous les ministres sortants, sauf François Lonchamp (plr), briguaient un mandat supplémentaire. Ainsi, aux côtés de la conseillère d'Etat Anne Emery-Torracinta, le Parti socialiste proposait Thierry Apothéloz et Sandrine Salerno. Le parti espérait placer deux de ses membres au gouvernement cantonal. Chez les Verts, Antonio Hodgers était accompagné par Marjorie de Chastonay et Yvan Rochat. Les Verts et les socialistes se sont rassemblés sur une liste commune. Le PDC ne présentait que ses magistrats, Serge Dal Busco et Luc Barthassat. Son objectif était de maintenir ses deux sièges à l'exécutif cantonal. Le PLR, pour conserver le fauteuil laissé vacant par François Lonchamp, présentait, outre son représentant Pierre Maudet, Alexandre de Senarclens et Nathalie Fontanet. Le PDC et le PLR ont inscrit les noms de leurs poulains sur une seule liste, intitulée «Entente». Finalement, comme colistiers de Mauro Poggia, le MCG lançait Ana Roch et Daniel Sormanni. Le PBD, absent en 2013, concourait avec Thierry Vidonne et André Leitner. L'UDC soumettait les candidatures d'Yves Nidegger, Stéphane Florey et Thomas Bläsi. Les Vert'libéraux avançaient Jérôme Fontana et Susanne Amsler. Eric Stauffer se représentait, cette fois sous la bannière de son nouveau parti «Genève en Marche (GeM)», avec Ronald Zacharias. Ensemble à Gauche avançait trois candidatures, Jocelyne Haller et Jean Burgermeister pour solidaritéS, et Salika Wenger pour le Parti du travail. Pablo Cruchon, secrétaire de solidaritéS, a retiré sa candidature en raison du conflit qui l'opposait à une autre membre du parti. D'autres candidates et candidats étaient en lice sur leur propre liste, Paul Aymon avec sa liste «Santé», Willy Cretegny avec sa liste «Prospérité maîtrisée», Axel Amberger pour la liste «Rien pas grand chose» et, finalement, Magali Orsini et Pierre Gauthier pour la «Liste pour Genève». Contrairement à l'exécutif vaudois, les magistrates et magistrats sortants n'ont pas fait de campagne unie. Le budget de campagne a été estimé à 3.3 millions de francs. Genève en marche a joué la carte de la transparence et a révélé avoir reçu le soutien de privés de l'immobilier ainsi que de deux milliardaires étrangers. Des partis politiques ont réclamé l'annulation de l'élection, dénonçant une inégalité de traitement, en raison de la brochure éditée par la Chancellerie cantonale. Le document électoral était illustré d'un exemple de bulletin à remplir sur lequel figuraient les noms de candidates et candidats aux côtés de noms de fiction. La Chancellerie a corrigé le document en ligne, par contre les références à la réalité subsistaient dans la brochure écrite. Toutefois, le format de l'illustration rendait le bulletin illustratif peu lisible. Le Conseil d'Etat a demandé à la Chambre constitutionnelle de rejeter le recours de Genève en Marche, puisque le document avait été corrigé et que l'annulation de l'élection était jugée disproportionnée. La RTS a effectué un sondage auprès de 2'830 personnes. Les résultats prédisaient l'éviction du gouvernement de Luc Barthassat. Tous les autres membres sortants de l'exécutif devaient être réélus. Thierry Apothéloz et Nathalie Fontanet entreraient au gouvernement cantonal.

Lors du premier tour, avec une participation de 38.8%, en parallèle de l'élection du Grand Conseil, Pierre Maudet est élu avec 50'180 suffrages. Il franchit la majorité absolue fixée à 49'011 voix. Il est suivi par Mauro Poggia (43'728 voix), Serge Dal Busco (40'836), Antonio Hodgers (40'754), Anne Emery-Torracinta (33'350), Thierry Apothéloz (32'982), Nathalie Fontanet (31'504) et Sandrine Salerno (30'016). Le sortant, Luc Barthassat est arrivé en neuvième position avec 27'133 voix. Venaient ensuite Alexandre de Sernaclens (22'820 voix), Marjorie de Chastonay (20'370), Yvan Rochat (19'814), Yves Nidegger (19'575), Jocelyne Haller (17'774), Eric Stauffer (13'406), Salika Wenger (12'102), Ana Roch (10'597), Jean Burgermeister (10'126), Thomas Bläsi (9'798), Ronald Zacharias (9'394), Willy Cretegny (9'157), Daniel Sormanni (8'915), Stéphane Florey (7'455), Susanne Amsler (7'300), Jérôme Fontana (7'228), Magali Orsini (4'893), Paul Aymon (3'853), Thierry Vidonne (3'600), Pierre Gauthier (3'399), Axel Amberger (3'132) et André Leitner (1'986).
Pour le second tour, seulement 11 candidates et candidats étaient en course. Antonio Hodgers figurait sur une liste commune avec Anne Emery-Torracinta et Thierry Apothéloz. Jocelyne Haller demeurait sur la liste d'Ensemble à Gauche. Sur la liste de l'Entente, concouraient Nathalie Fontanet, Serge Dal Busco et Luc Barthassat. L'objectif n'était plus la quête d'un cinquième siège, mais de conserver la majorité des sièges au gouvernement cantonal. Vu le score de Luc Barthassat, le second siège PDC était en péril. Luc Barthassat a promis de changer, à savoir de se concentrer davantage sur ses dossiers. Il a reçu un avertissement des agriculteurs, qui se sont déclarés prêts, tout de même, à l'appuyer. Mauro Poggia et Yves Nidegger faisaient cavalier seul, tout comme Willy Cretegny et Paul Aymon. A quelques jours du second tour, Antonio Hodgers a été accusé par le PLR, le PDC et l'UDC de désinformation. Les pourcentages présentés lors du point de presse du gouvernement au sujet de la loi nouvelle loi PAV, relative à l'aménagement des quartiers de la Praille-Acacias-Vernets et soumise à votation le 10 juin, différaient des chiffres de la brochure de vote. Le gouvernement cantonal a rétorqué que les chiffres étaient exacts.
Avec une participation à 35%, le PDC a perdu le siège de Luc Barthassat au profit du PS, dès lors occupé par Thierry Apothéloz. Le PLR a conservé ses deux fauteuils. Nathalie Fontanet a fait son entrée au gouvernement cantonal avec 45'522 suffrages. Mauro Poggia est arrivé en première position avec 51'015 voix. Serge Dal Busco a totalisé 50'141 voix, il est suivi par Antonio Hodgers avec 49'684 voix. Anne Emery-Torracinta était en cinquième position, après la nouvelle élue PLR. Thierry Apothéloz a comptabilisé 44'884 voix. Luc Barthassat avait plus de 10'000 voix de retard par rapport à Thierry Apothéloz, il a rassemblé 34'357 voix. Le candidat PDC n'a pas été soutenu par les électrices et électeurs de l'Entente. Jocelyne Haller a dévancé cette fois Yves Nidegger (23'940 suffrages), avec ses 27'121 voix. Willy Cretegny a obtenu 20'600 voix et Paul Aymon 9'428. Il semble que les résultats du sondage de la RTS avaient vu juste.

Election Conseil d'Etat genevois 2018
Dossier: Kantonale Wahlen - Genf
Dossier: Kantonale Regierungswahlen 2018

Eine gerechte Verwaltung der KVG-Reserven strebte der Kanton Genf im April 2017 mit einer Standesinitiative an, die zuvor im Grossen Rat einstimmig angenommen worden war. Demnach sollte der Anteil Reserven einer versicherten Person bei einem Krankenkassenwechsel an die neue Krankenkasse überwiesen und zusätzlich zum gesetzlichen Minimal- auch ein Maximalbetrag bei den Reserven definiert werden. Der Kanton Genf kritisierte insbesondere, dass bei der Prämienberechnung die Kosten eines Kantons berücksichtigt würden, bei den Reserven jedoch nicht. Dies erlaube es den Krankenkassen, „die überschüssigen Reserven gewisser Kantone zum Ausgleich der fehlenden Reserven in anderen Kantonen zu nutzen.“ Die Debatte zum Anstieg der Krankenkassenprämien war zu dem Zeitpunkt im Kanton Genf besonders virulent, da der Kanton schweizweit die zweithöchsten Prämien aufwies (nach Basel-Stadt) und diese fürs Jahr 2017 erneut um 5.7 Prozent angestiegen waren. Bereits im September 2016 hatte der Genfer Regierungsrat Mauro Poggia erklärt, dass das BAG hätte überprüfen sollen, ob die Prämien für die Solvenzsicherung der Kassen ausreichen würden. Stattdessen habe es einen stärkeren Prämienanstieg veranlasst, als von den Krankenkassen gefordert worden war. Die Genfer seien aber nicht dafür verantwortlich, dass die Reserven der Krankenkassen geschmolzen sind, da ihre Prämien – zusammen mit denjenigen von acht anderen Kantonen – zwischen 1996 und 2013 stärker angestiegen seien als ihre Kosten. Die Standesinitiative sollte somit dazu dienen, diesen gemäss Poggia ungerechtfertigt grossen Anteil, den die Genfer an die Reservenbildung zahlen müssen, zukünftig zu reduzieren.

Die SGK-SR verwies in ihrem Kommissionsbericht auf frühere, ähnliche Vorschläge (z.B. Mo. 08.3737, Kt.Iv. 09.320, BRG 12.026) sowie auf die unterschiedlichen Logiken von Prämien und Reserven: Der Sinn von Reserven sei es, die Zahlungsfähigkeit eines Krankenversicherers insgesamt aufrechtzuerhalten, während die Prämien die kantonal unterschiedlichen Kosten decken müssten. Zudem bestehe kein persönliches Deckungskapital, das bei einem Krankenkassenwechsel mitgenommen werden könnte. Um es zu erstellen, müssten die Krankenkassen eine aufwändige und komplexe individuelle Kontoführung einrichten. Dieser Systemwechsel würde aber neue Probleme bezüglich der Risikoselektion schaffen, da insbesondere gute Risiken die Kassen wechselten. Gemäss SGK-SR reiche die Bemächtigung des BAG aus, Prämien nicht zu genehmigen, die „unangemessen hoch über den Kosten liegen oder zu übermässigen Reserven führen“. Folglich lehnte sie die Standesinitiative mit 9 zu 0 Stimmen ab. Diese Position verdeutlichte Alex Kuprecht (svp, SZ) auch in der Ständeratsdebatte. Liliane Maury Pasquier (sp, GE) beschrieb jedoch noch einmal die Problematik aus Genfer Sicht: Es könne nicht sein, dass einige Krankenversicherer mehr als dreimal so hohe Reserven aufwiesen, als zur Wahrung der finanziellen Sicherheit notwendig wären, wenn gleichzeitig in einigen Kantonen der Prämienanstieg deutlich grösser sei als der Anstieg der Gesundheitskosten. Da sie jedoch nicht an der Kommissionssitzung habe teilnehmen können und der Vorstoss kaum Unterstützung in der Kommission erfahren habe, verzichte sie auf einen Antrag auf Folge geben. Die kleine Kammer folgte der Standesinitiative entsprechend nicht.

Standesinitiative des Kantons Genf für eine gerechte Verwaltung der KVG-Reserven (Kt.Iv. 17.306)
Dossier: Krankenkassenreserven

En marge de la conférence nationale Santé 2020, dont l’objectif était de trouver des pistes afin de réduire les coûts de la santé, le conseiller fédéral Alain Berset a pointé du doigt les salaires de certains médecins spécialistes. Il a réagi suite à l'annonce du conseiller d'Etat Mauro Poggia (GE, mcg), selon laquelle les revenus annuels estimés des chirurgiens seraient proche du million. Alain Berset juge cette situation inadmissible vis-à-vis des patientes et patients qui paient des primes. Jean-Marc Heinicke, président de l'Ordre des chirurgiens genevois, a réfuté en rappelant que les spécialistes exerçant dans des cliniques privées ne participaient pas à la hausse des coûts de la santé et que le chiffre avancé était «fantaisiste».
Les jours suivants, les organisations des médecins ont contesté que les médecins étaient les responsables de la perpétuelle hausse des primes de l’assurance maladie obligatoire. Sur le plateau de l'émission Infrarouge, Pascal Strupler, directeur de l'Office fédéral de la santé publique (OFSP) a précisé qu'il y avait 140 médecins spécialistes qui gagneraient un revenu avoisinant 850'000 francs sur le compte de l'assurance-maladie obligatoire (LaMal).
Cette polémique fait surtout ressortir le manque de transparence, également dénoncé par Alain Berset, concernant les salaires des médecins. La Confédération a toutefois lancé plusieurs projets en parallèle pour contrer l'absence de collectes et de statistiques publiques actuelles, ainsi que pour que soient apportés des éclaircissements y relatifs. Avec ce débat public, il est possible que le monde politique et l’opinion publique réclament à l’avenir davantage de transparence en matière de salaires des médecins.

Polémique sur les salaires des médecins

Seit der sogenannten «Kasachstan-Affäre» waren einige Monate vergangen und im Parlament schien das Thema Lobbying im Jahr 2017 – mit Ausnahme einer parlamentarischen Initiative Berberat (sp, NE) mit der Forderung nach transparenterem Lobbying, die von den Räten wie eine heisse Kartoffel hin- und hergeschoben wurde – an Priorität verloren zu haben. Dies sah in der gesellschaftlichen Debatte allerdings etwas anders aus.

Im Frühling sorgte eine Idee von Pierre-Yves Maillard (VD, sp) und Mauro Poggia (GE, mcg) für Schlagzeilen. Die beiden Regierungs- und ehemaligen Nationalräte wollten mit einer Volksinitiative dafür sorgen, dass Parlamentsmitglieder nicht mehr im Verwaltungsrat einer Krankenkasse sitzen oder anderweitig mit einer solchen verbunden sein dürfen. Damit sollten die steigenden Krankenkassenprämien gebremst werden. Die Idee stiess bei betroffenen Parlamentsmitgliedern auf Gegenwehr: Konrad Graber (cvp, LU), Verwaltungsrat der CSS, und Heinz Brand (svp, GR), Präsident des Krankenkassen-Dachverbandes Santésuisse, hielten die Idee für nicht zielführend. Es handle sich um eine «Verunglimpfung der Krankenkassen», gaben sie der Luzerner Zeitung zu Protokoll. Die Unterschriftensammlung für das Begehren wurde im Oktober 2017 gestartet.

Mitte März legte die Staatengruppe gegen die Korruption (Greco), bei der die Schweiz seit 2006 Mitglied ist, einen Bericht vor, der mehrere Schwachstellen im Schweizer Lobbyismussystem aufzeigte und Empfehlungen abgab. Unter anderem sollten Parlamentsmitglieder verpflichtet werden, bei Ratsverhandlungen Interessenkonflikte aktiv offenzulegen. Das Register der Interessenbindungen reiche nicht aus. Zudem müssten finanzielle Interessen von Parlamentarierinnen und Parlamentariern transparent gemacht werden. Dies ist in der Schweiz nach wie vor freiwillig. Die Organisation Lobbywatch veröffentlichte eine Liste, mit der aufgezeigt wurde, dass lediglich 37 Parlamentsmitglieder die Einkünfte aus ihren Mandaten vollständig deklarierten.

Eine Analyse von Forschern der Universitäten Lausanne und Genf um André Mach wurde Mitte Mai von der Sonntags-Zeitung breit aufgemacht. Erstens zeigten die Daten, dass sich die relevanten Interessenbindungen von Parlamentsmitgliedern zwischen 1992 und 2015 mehr als verdoppelt hatten, zwischen 2007 – seit dann müssen auf der Basis des 2002 revidierten Parlamentsgesetzes alle Interessenbindungen obligatorisch angegeben werden – und 2015 haben sie um 20 Prozent zugenommen. Für die Analyse gilt eine Verbindung dann als relevant, wenn ein Mandat einem Sachgebiet zugeordnet werden kann, zu dem das Parlamentsmitglied einen Bezug hat, etwa weil es in einer entsprechenden Kommission sitzt. Zugenommen haben laut der Studie insbesondere Verbindungen zu Interessenverbänden, welche die Parlamentarierinnen und Parlamentarier für Sitzungen, die laut Sonntags-Zeitung auch in Sitzungszimmern im Bundeshaus selber stattfanden, mit «vielen Tausend Franken pro Jahr» entschädigten – der Sonntags-Blick sprach von CHF 20'000 für vier Sitzungen, die Parlamentsmitglieder etwa von der Groupe Mutuel erhalten haben sollen. Der Austausch von Expertenwissen sei zwar für Milizparlamentarier wichtig, allerdings sei nicht klar, weshalb dies entlohnt werden müsse, fragte die Sonntags-Zeitung rhetorisch. Die Zunahme der Bindungen könne freilich durchaus auch als Zeichen für mehr Transparenz gelesen werden, befanden die Forscher. Früher habe Interessenvertretung eher informell und im vorparlamentarischen Prozess stattgefunden. Heute sei die Einflussnahme während des parlamentarischen Prozesses wohl auch aufgrund des grösseren Parteienwettbewerbs wichtiger und werde hier auch etwas transparenter.
Eine Analyse der NZZ, die auf den gleichen Daten des «Observatoriums der Schweizer Eliten (Obelis)» beruhte, brachte ein weiteres Argument für ein zunehmend professionalisiertes Lobbying ins Spiel. Die Zeitung zeigte auf, dass sich die Wirtschaft in den letzten 60 Jahren stark von der Politik entflechtet habe. Vor 60 Jahren habe jedes vierte Parlamentsmitglied ein Spitzenamt in der Wirtschaft belegt, was heute nicht mehr so sei. Die Überlegung liegt nahe, dass das damalige unmittelbare Lobbying durch eine stärker mittelbares und organisierteres abgelöst wurde.

Auf Antrag von Thomas Minder (parteilos, SH) wurde in der Sommersession 2017 von den Parlamentsdiensten eine «Lobbyistenzählung» durchgeführt, wie dies der «Blick» betitelte. Zugang zum Parlament erhält, wer einen der beiden Dauerzutrittsausweise (Badges) besitzt, die jedes Parlamentsmitglied vergeben darf, oder wer einen Tagesausweis erhält, der ebenfalls von Parlamentsmitgliedern ausgestellt werden kann. Während der 11 Tage der Sommersession wurden 127 Lobbyierende mit Dauerzutritt und 386 mit Tagesausweis gezählt. Während die einen die Zahl als «an der oberen Grenze» beurteilten (Pirmin Bischof; cvp, SZ), fanden Lobbyistenkreise die rund 50 Personen pro Tag angemessen (z.B. Andreas Hugi; CEO eines Beratungsbüros). Zu reden gab aber die hohe Zahl an Tageskarten. Damit würden die Transparenzregeln unterlaufen, befürchtete Didier Berberat in der Zeitung Le Temps.

Dass Interessengruppen gezielt auf Kommissionsmitglieder zugehen, zeigte eine Mitte Juli 2017 veröffentlichte Untersuchung des Sonntags-Blick zur Gesundheitspolitik. Allerdings – so das Sonntagsblatt – seien es nicht so sehr die Krankenkassen, sondern die Ärzte, Spitäler und Patientenorganisationen sowie die Pharmaindustrie, die viele Mandate vergeben hätten. «Die Genossen mit den Ärzten, die Liberalen mit der Pharma, die CVP mit allen» fasste der Sonntagsblick den Befund zusammen, «wer mit wem im Krankenbett» stecke.

Lobbying aus gesellschaftlicher Perspektive (2017)
Dossier: Lobbyismus im Bundeshaus

Seit 1983 war es nie mehr vorgekommen, dass in einem Jahr über kein einziges Volksbegehren abgestimmt wurde. Dies war allerdings 2017 wieder der Fall. Zu diesem Umstand beigetragen hatte nicht nur der in den letzten Jahren zu verzeichnende leichte Rückgang der Zahl lancierter Initiativen – in den Medien war nach der «Initiativenflut» eine eigentliche «Initiativenflaute» beklagt worden –, sondern auch, dass im Jahr 2017 gleich drei Begehren zurückgezogen wurden (2016: 1). Im Falle der «Rasa-Initiative», mit der die Masseneinwanderungsinitiative wieder aus der Verfassung hätte gestrichen werden sollen, war lange unklar, ob sie nicht doch an die Urne gelangen wird. Bei der «Wiedergutmachungsinitiative» hatte das Parlament in Form des Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 einen indirekten Gegenvorschlag verabschiedet, der die Initianten zufrieden stellte. Der Bauernverband schliesslich zog seine Initiative «für Ernährungssicherheit» zurück, weil das Parlament eine Verfassungsänderung als direkten Gegenvorschlag ausgearbeitet hatte, der mittels obligatorischem Referendum Ende September 2017 angenommen wurde.
Allerdings dürfte es in den folgenden Jahren kaum mehr ausschliesslich zu Abstimmungswochenenden ohne Volksinitiativen kommen, waren doch 2017 zwölf Begehren abstimmungsreif bzw. beim Bundesrat oder im Parlament hängig (2016: 8). Zudem hatten die Komitees in diesem Jahr für vier Initiativen (2016: 8) die nötigen Unterschriften in der 18-Monate-Frist zusammengebracht, nämlich für die Initiative «für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub», die «Transparenz-Initiative» sowie die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Auch die «Pflegeinitiative» war 2017 zustande gekommen, also noch im gleichen Jahr, in dem sie vom Schweizerischen Berufsverband für Pflegefachpersonal (SBK) lanciert worden war.
Darüber hinaus wurden im Jahr 2017 für zwölf Begehren Unterschriften gesammelt (2016: 7). Neben den bereits 2016 lancierten Initiativen «für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide" und «Fair-Preis-Initiative» wurden also im Berichtsjahr zehn neue Volksinitiativen lanciert (2016: 6), fünf davon innerhalb eines Monats, was in einigen Medien und bei Politikerinnen und Politikern die Angst vor einer neuerlichen Initiativenflut heraufbeschwor – insbesondere, weil im Jahr vor den Wahlen wohl noch zahlreiche Parteien wieder Initiativen als Wahlkampfvehikel einreichen würden. Yannick Buttet (cvp, VS) sprach sogar von einem Systemfehler, da Initiativen immer mehr als Blockadeinstrumente gebraucht würden. Interessant waren freilich die Forderungen der neu lancierten Begehren. Drei liessen sich dem Gesundheitswesen zuschreiben (die oben erwähnte «Pflegeinitiative», die Initiative «Organspende fördern» und die Initiative für die «Organisationsfreiheit der Kantone für die Krankenversicherung»), drei stammten von Umwelt- bzw. Tierschutzkreisen («Trinkwasser-Initiative», «Atomkraftwerke abschalten» und «Tier- und Menschenversuchsverbot»), zwei von links («99 Prozent-Initiative» und «Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten») und eines von rechts («Zuerst Arbeit für Inländer»). Das zehnte neu lancierte Begehren, die Initiative für ein «von den Krankenkassen unabhängiges Parlament» richtete sich gegen die Krankenkassenlobbys im Parlament und stammte von demselben Komitee wie die Initiative, mit welcher gefordert wurde, dass die Kantone in der Organisation der Krankenkassen frei sind. Bekannte Köpfe in diesem Komitee waren Pierre-Yves Maillard (VD, sp) und Mauro Poggia (GE, mcg), ehemals Nationalräte und aktuell Regierungsräte in den Kantonen Waadt und Genf.
Dass das Sammeln von 100'000 Signaturen in 18 Monaten nach wie vor kein Kinderspiel ist, zeigten die beiden Initiativen, die 2017 gescheitert waren (2016: 1): Die Initiativen «Stopp den Auswüchsen von Via sicura» und «Ja zur Bewegungsmedizin».

Volksbegehren im Jahr 2017
Dossier: Lancierte Volksinitiativen von Jahr zu Jahr (ab 2007)

Am 14. Oktober 2017 trat ProTell, die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht, in den Fokus der Öffentlichkeit, weil bekannt wurde, dass Bundesratskandidat Ignazio Cassis (fdp, TI) im September 2017, rund eine Woche vor seiner Wahl in den Bundesrat, dem Verein beigetreten war. ProTell hatte die drei FDP-Bundesratskandidaten Pierre Maudet (GE, fdp), Isabelle Moret (fdp, VD) und Ignazio Cassis vor der Bundesratswahl zu ihrer Haltung zum Waffenrecht befragt und sie eingeladen, Vereinsmitglied zu werden. Cassis hatte dem Verein mitgeteilt, dass er gerne Mitglied werde, und war ProTell am 11. September 2017 beigetreten, wie der Generalsekretär von ProTell, Robin Udry, der Nachrichtenagentur SDA mitteilte. Brisant war diese Meldung, weil ProTell vehement die Übernahme der verschärften EU-Waffenrichtlinie bekämpft und bei deren Nicht-Übernahme ein Ausschluss der Schweiz aus dem Schengen-Raum drohen würde. Bisher hatte sich Cassis jedoch stets für die bilateralen Verträge mit der EU und das Schengen-Abkommen ausgesprochen. Politiker jeglicher Couleur reagierten prompt. CVP-Präsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) etwa zeigte sich „erstaunt“, dass Cassis ProTell so kurz vor der Bundesratswahl beigetreten war. Als Aussenminister müsse Cassis die Bilateralen vertreten, dazu gehöre auch Schengen, sagte Pfister im St. Galler Tagblatt und schlussfolgerte: „Eine Mitgliedschaft bei ProTell ist mit dem Amt eines Bundesrates nicht kompatibel.“ Die FDP bemühte sich derweil, die Wogen zu glätten: Die Partei stehe weiterhin zu Schengen, versicherte FDP-Präsidentin Petra Gössi im gleichen Artikel.
Nur wenige Tage nach dem öffentlichen Bekanntwerden seiner ProTell-Mitgliedschaft kündigte Cassis diese am 17. Oktober 2017 wieder. „Angesichts der laufenden öffentlichen Diskussion und der Instrumentalisierung seines damaligen Beitritts hat Bundesrat Cassis seine Mitgliedschaft bei ProTell und Libertà e valori (Freiheit und Werte, das Tessiner Pendant zu ProTell; Anmerkung des Autors) aufgegeben“, liess Cassis über die Bundeskanzlei ausrichten. Es folgte erneut Kritik von Medien und Politikern: Die Zeitung Nordwestschweiz und der Tages-Anzeiger warfen Cassis Opportunismus vor, Beat Arnold (svp, UR) äusserte Zweifel an Cassis' Rückgrat, weil er im Vorfeld der Wahl „den Rechten“ habe gefallen wollen und jetzt „den Linken“. Silvia Schenker (sp, BS) verglich Cassis mit einer „Fahne im Wind“. Nur Cassis' Parteikollegen zeigten Verständnis: Der Beitritt und Austritt bei ProTell sei ein „Lapsus, der aufgrund der enormen Drucksituation während des Wahlkampfs verzeihbar ist“, so Joachim Eder (fdp, ZG) in der „Nordwestschweiz“. Auch ProTell wollte die Kündigung ihres prominentesten Mitglieds nicht überbewerten. ProTell-Vizepräsident Jean-Luc Addor (svp, VS) sagte gegenüber dem St. Galler Tagblatt, dass Cassis aufgrund seines langjährigen Engagements für Libertà e valori echte Überzeugungen für ein liberales Waffenrecht habe. Es gebe keinen Grund zu glauben, dass sich das ändern werde, so Addor.

Pro Tell und Cassis

Ziemlich überraschend – sogar für seine eigene Partei – gab Didier Burkhalter Mitte Juni 2017 seinen Rücktritt bekannt. Nach acht Jahren im Bundesrat – zwei Jahre als Innen- und sechs Jahre als Aussenminister – und vorher sechs Jahren im Nationalrat habe er das Bedürfnis, etwas anderes zu machen: „J'ai ressenti le besoin de changer de vie”. In den Medien war Burkhalter seit einiger Zeit zwar als etwas amtsmüde dargestellt worden – insbesondere seine häufige Absenz in Bundesbern und der Umstand, dass er lieber von Neuenburg aus arbeite, wurden moniert –, zudem habe er zunehmend den Rückhalt für das Europadossier verloren, der Rücktritt war aber doch nicht erwartet worden. Insbesondere auch, weil er wenige Tage vor einer EU-Standortbestimmung im Bundesrat erfolgte. Der Zeitpunkt des Rücktritts wurde denn auch als äusserst ungünstig bezeichnet, weil die Regierung dadurch aussenpolitisch während Monaten gelähmt sei, so etwa die Reaktion von CVP-Präsident Gerhard Pfister.
Die Bilanz zu Burkhalters Wirken, die in den Medien im Anschluss an die Rücktrittserklärung gezogen wurde, war gemischt. Burkhalter sei ein guter Bundesrat gewesen, „weltoffen und weltfremd zugleich” so etwa die BaZ. Zwar habe Burkhalter auf dem internationalen Parkett brilliert – von praktisch allen Medienbeiträgen erwähnt wurde immer wieder seine Rolle als Vorsitzender der OSZE in der Ukraine-Krise –, in der Innen- bzw. Europapolitik habe er sich aber immer wieder selbst ins Abseits gestellt. Die Erwartungen, die man in ihn gesetzt habe, etwa als Gegenspieler von Christoph Blocher das Rahmenabkommen mit der EU abzuschliessen, habe er nicht erfüllt. Dass das EU-Dossier an einem toten Punkt angelangt sei, sei „le gros point noir de son bilan”, schlussfolgerte die Tribune de Genève. Darüber hinaus habe er sich von seiner Partei immer mehr distanziert. Als Westschweizer Liberaler habe er eine Mitte-Links-Politik priorisiert, was ihm in der Partei angekreidet worden sei, so die NZZ. Als Indiz für das schlechte Verhältnis zwischen Partei und Magistrat wurde der Umstand gedeutet, dass die FDP erst rund zwei Stunden vor der Ankündigung vom Rücktritt in Kenntnis gesetzt worden sei. Vor allem von rechtsbürgerlicher Seite wurde der Vorwurf immer lauter, dass Burkhalter daran schuld sei, dass sich die SVP-FDP-Mehrheit in der Exekutive nicht deutlicher zeige.

Bereits am Tag der Rücktrittsmeldung stellten die Medien Spekulationen bezüglich potenzieller Nachfolger an. Gute Karten habe vor allem Ignazio Cassis, der aktuelle Fraktionspräsident der FDP, da der Anspruch des Kantons Tessin, nach 1999 wieder einen Sitz in der Regierung zu haben, kaum mehr umgangen werden könne und die Westschweiz auch mit nur noch zwei Magistraten adäquat vertreten sei. Werde der Sitz jetzt nicht dem Tessin zugesprochen, würden wohl weitere 10 Jahre vergehen, bis es eine neue Chance gäbe, rechnete Ex-FDP-Präsident Fulvio Pelli vor. Neben Cassis wurden auch dem Tessiner Staatsrat Christian Vitta und der ehemaligen National- und Staatsrätin Laura Sadis sowie Karin Keller-Sutter und Martin Schmid als Vertreterin oder Vertreter der Ostschweiz, die ebenfalls seit längerem Anspruch auf einen Bundesratssitz erhebt, gute Chancen eingeräumt. Die Romandie sei aber nicht zum Vornherein auszuschliessen, weil die Freisinnig-Liberalen in der Westschweiz deutlich auf dem Vormarsch seien. Den verlorenen Sitz werde die französische Schweiz wohl nicht kampflos preisgeben, war in den Medien zu lesen. Aus der Westschweiz fielen denn auch rasch die Namen des Genfer Regierungsrats Pierre Maudet und des Nationalrats Christian Lüscher. Die beiden Waadtländer Staatsräte Jacqueline de Quattro und Pascal Broulis, aber auch Nationalrätin Isabelle Moret und Ständerat Olivier Français wurden trotz ihres Handicaps, wie bereits Guy Parmelin aus dem Kanton Waadt zu stammen, ebenfalls als valable Kandidatinnen und Kandidaten auf das sich drehende Karussell gesetzt. Auch der Name Raphaël Comte wurde für den Kanton Neuenburg ins Spiel gebracht.

Dass die FDP einen Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz hat, war kaum umstritten. Die Parteileitung machte rasch klar, dass es sich beim Nachfolger von Burkhalter um einen „Lateiner” handeln soll – ob Tessiner oder Romand liess man bewusst offen. Die FDP-Frauen, die seit 1989 keine Vertretung mehr in der Landesregierung gehabt hatten, forderten per Kommuniqué bei dieser oder spätestens der nächsten Vakanz eine Bundesrätin. Auch die Grünen verlangten, dass die FDP eine Frau portiere. Die SVP forderte einen Kandidaten mit klar bürgerlichem Profil. Die Mitte-Rechts-Mehrheit müsse jetzt endlich auch im Bundesrat durchgesetzt werden. Die FDP machte früh deutlich, dass man sicher kein Einerticket präsentieren wolle. Bis Mitte August hatten die Kantonalsektionen Zeit, Vorschläge zu machen. Die Fraktion wollte sich dann Anfang September entscheiden.

Die Tessiner Kantonalsektion portierte – nach langer Diskussion, ob man ein Einer- oder ein Zweierticket präsentieren wolle – am 1. August einzig Ignazio Cassis. Sowohl Sadis als auch Vitta sagten Cassis ihre Unterstützung zu. Obwohl Sadis sowohl die Ansprüche aus dem Tessin, als auch der Frauenvertretung hätte erfüllen können, wurde sie nicht berücksichtigt. Vor allem ihre (zu) lange Absenz von der (nationalen) Politik dürfte hierfür mitentscheidend gewesen sein. Mit nur einem Kandidaten aus dem Tessin würde zudem das Risiko von Stimmenaufteilung minimiert, so die kantonale Parteileitung. Das Einerticket wurde auch als Referenz an die Romandie interpretiert; der Weg sei jetzt offen, um eine Frau aus der Romandie zu portieren. Die Frauenfrage wurde auch deshalb noch virulenter, weil Doris Leuthard ebenfalls am 1. August ihren Rücktritt ankündigte. Als Kandidatinnen aus der Romandie gerieten insbesondere Isabelle Moret und Jacqueline de Quattro in den Fokus. Der zweite offizielle Kandidat war dann allerdings doch wieder ein Mann: Am 8. August wurde Pierre Maudet von der Genfer Kantonalsektion einstimmig auf den Schild gehoben. Der Genfer Regierungsrat rechnete sich zwar nur geringe Chancen aus, wollte aber mit Jugend, Modernität und Urbanität punkten. Der zweite, lange ebenfalls als Kandidat gehandelte Genfer, Christian Lüscher, hatte sich kurz zuvor aus persönlichen Gründen selber aus dem Rennen genommen und eine Lanze für seinen jüngeren Genfer Parteikollegen gebrochen. Komplizierter gestaltete sich die offizielle Nominierung der dritten potenziellen Kandidatin. In der Presse wurde ein parteiinterner Zwist über und zwischen den drei Papabili der FDP-Sektion Waadt vermutet. Jacqueline de Quattro und Olivier Français zogen sich dann allerdings zurück, um den Platz für Isabelle Moret frei zu machen, die sich zwar erst spät – und später als die beide anderen – für eine Kandidatur entschieden hatte, am 10. August von ihrer Kantonalsektion aber als einzige Kandidatin aufgestellt wurde.

Nach Ablauf der Meldefrist standen also drei Kandidierende aus drei Kantonen fest. Sofort gingen die Spekulationen los, ob die FDP ein Zweierticket oder ein Dreierticket aufstellen würde. Dabei schien klar, dass Cassis gesetzt war, folglich entweder nur gegen Moret oder aber gegen Moret und Maudet antreten würde. Der Umstand, dass Moret zwar aus dem Kanton Waadt kommt, die FDP aber nicht auf eine mögliche Frauenvertretung verzichten konnte, sowie der umtriebige „Wahlkampf” von Maudet – der Blick sprach von schlechten Karten, die der Genfer aber brillant spiele – waren wohl die Hauptgründe für das Dreierticket, das die FDP-Fraktion offiziell am 1. September aufstellte. Das „tricket” (LT), das in der Fraktion knapp mit 22 zu 19 Stimmen beschlossen worden sei, stosse niemanden vor den Kopf, sei aber auch der Weg des geringsten Widerstands (NZZ) und ein klarer Etappensieg für Maudet (BaZ). Das Dreierticket wurde auch als gute Kunde für den Favoriten Cassis gewertet, dessen Chancen sich dadurch noch weiter erhöhten, weil sich die Stimmen seiner Gegner aufteilen dürften.

Die Kandidatin und die beiden Kandidaten wurden in der Presse unterschiedlich porträtiert. Cassis galt von Anfang an als eigentlicher Kronfavorit. Einziges Manko des in Bundesbern bestens vernetzten Tessiner Arztes sei seine mit der Präsidentschaft beim Krankenkassenverband Curafutura verbundene Nähe zu den Krankenkassen. Insbesondere der Lega, aber auch der SP, war dieses Amt von „Krankencassis” (SGT, So-Bli, TA, WW) ein Dorn im Auge. Ausführlich diskutiert wurde zudem die politische Position des Tessiners. Das Parlamentarierrating der NZZ zeigte, dass er seit seinem Amtsantritt als Fraktionspräsident der FDP vom linken Rand der Partei leicht in die Mitte gerückt war. Insbesondere die SVP betrachtete Cassis freilich als den ihr am nächsten stehenden der drei Kandidierenden. Letztlich gab es aber kaum etwas, was die „occasione d'oro per il Ticino” (CdT) behindert hätte. Die zahlreichen giftigen Angriffe auf die Gesundheitspolitik von Cassis konnten ihm scheinbar nichts anhaben. Auch seine doppelte Nationalität bzw. der Umstand, dass er seinen italienischen Pass abgab und damit zwar Applaus von rechts, aber auch Kritik von links erhielt und eher unfreiwillig eine Debatte um die doppelte Nationalität von Mitgliedern von Bundesbehörden lancierte – diskutiert wurde sogar die Frage, ob man als Doppelbürger loyal sein könne –, schadete dem Südschweizer nicht.
Der grosse Trumpf von Isabelle Moret sei, dass sie eine Frau sei, war den Medien zu vernehmen. Die dezidiert bürgerlich politisierende 46-Jährige spreche drei Landessprachen fliessend, sei gut vernetzt, in den über 10 Jahren im Nationalrat aber kaum aufgefallen. Dies beinhalte immerhin auch, dass sie bisher keine Fehler gemacht habe (TA). Moret selber betonte von Anfang an, dass „Frausein” kein politisches Argument sei. Sie wolle lieber mit ihrer Dynamik punkten und frischen Wind ins Europadossier bringen. Sie betonte allerdings auch, dass sie die erste Mutter mit Schulkindern in der Exekutive wäre. Allerdings hinterliess die Anwältin laut verschiedenen Medien in ihrem Wahlkampf keinen überzeugenden Eindruck (WW), wurde von vielen Seiten angegriffen und wirkte ab und zu nicht wirklich souverän (NZZ). Ihr Wahlkampf sei „ungenügend” (SGT) und „harzig” (AZ) und wurde gar als chaotisch bezeichnet (24 Heures).
Pierre Maudet, 39 Jahre alt, wurde als politisches Naturtalent beschrieben. Der forsche und ambitionierte Regierungsrat habe sich innert kurzer Zeit vom Stadtpräsidenten zum Aushängeschild der Kantonsregierung entwickelt, was ihm auch Vergleiche mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einbringe (AZ). Sein Nachteil sei allerdings die schwache Vernetzung in Bundesbern. In der Regel würden die Bundesparlamentarierinnen und -parlamentarier einen Bundesrat oder eine Bundesrätin aus den eigenen Reihen vorziehen. Sein Wahlkampf wurde hingegen als exzellent bezeichnet (Blick). Maudet sei vor allem in der Deutschschweiz unterschätzt worden, was das Beste sei, was einem Politiker passieren könne (TA). Vor allem inhaltlich konnte Maudet mit verschiedenen originellen Positionen überzeugen: Er spreche als einziger wirklich „Klartext” (BaZ), gelte in der Europafrage aber als EU-Turbo (WW), was ihn bei der Ratsrechten wohl Stimmen kosten werde.

Die „Kampagne” vor den Bundesratswahlen – eigentlich ein Unding, wenn man bedenkt, dass der Bundesrat von der Vereinigten Bundesversammlung und nicht von der Bevölkerung gewählt wird – nahm ein Ausmass an, das angesichts der Ausgangslage erstaunte. Da die Bundesratswahlen eine in der Schweizer Politik eher seltene Chance für eine Personalisierung der Politik bieten, liefen die Medien auf Hochtouren. In der APS-Zeitungsdokumentation finden sich von Burkhalters Rücktrittsankündigung Mitte Juni bis Ende September mehr als 800 Zeitungsartikel zum Thema Bundesratswahlen. Die FDP selber trug freilich mit geschicktem Politmarketing das Ihre dazu bei, dass die Berichterstattung am Kochen blieb. Mit einer FDP-Roadshow tingelten die Kandidierenden durch die Schweiz. Zahlreiche Homestories, Lifechats, Bevölkerungsbefragungen und gar graphologische Gutachten fanden den Weg in die Presse. Inhaltlich ging es letztlich primär um die Frage, ob die Vertretung der Sprachregion oder die Vertretung der Frauen höher gewichtet werden soll. Oder mit anderen Worten: ob die 20 Jahre Bundesrat ohne Tessiner oder die 30 Jahre ohne FDP-Frau beendet werden sollten. Wirklich inhaltliche Diskussionen wurden hingegen kaum geführt, auch wenn die Aussen- bzw. Europapolitik bzw. der Reset-Knopf, den Cassis in den Verhandlungen mit der EU zu drücken angekündigt hatte, sich angeboten hätten.

Nach der offiziellen Bekanntgabe des Dreiertickets standen am 12. und am 19. September die Hearings auf dem Programm, womit auch die anderen Parteien wieder stärker in den medialen Fokus gerieten. Den Auftakt machte die SVP, deren Parteipräsident Albert Rösti die beiden Romand.e.s stark kritisierte und sich früh für Cassis aussprach. Wichtigstes Kriterium für die Volkspartei sei die Haltung zum Rahmenabkommen mit der EU. Allerdings wurde gemutmasst, dass die Bauern in der SVP-Fraktion wohl eher auf Moret setzen würden, da diese mehr Sympathien für die Anliegen der Landwirtschaft gezeigt habe. Unzufrieden mit dem Dreierticket zeigte sich die SP: „Zwei Super-Lobbyisten und ein Hardliner in der Aussenpolitik” weckten keine Begeisterung (SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann in der BZ). Inhaltliche Kriterien stellten die Genossen aber – wie auch die CVP und die GP – nicht auf. Der CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister hatte sich allerdings ebenfalls schon früh für die Ansprüche des Tessins, also für Cassis, ausgesprochen. Dieser sei allerdings für einige CVP-Mitglieder zu weit rechts, mutmasste die Zeitung LeTemps. Nach den Hearings zeigten sich die Parteien zwar noch bedeckt – mit Ausnahme der SVP, die demonstrativ für Cassis Stellung bezog –, die Favoritenrolle des Tessiner Kandidaten schien sich allerdings noch einmal verstärkt zu haben. Maudet schien hingegen eher nicht auf Wohlwollen gestossen zu sein. Die SP und die CVP konnten sich nicht auf einen der drei Kandidierenden einigen und gaben entsprechend keine Wahlempfehlung ab – anders als die FDP- und die GLP-Fraktion, die alle drei Kandidierenden empfahlen, die SVP-Fraktion, die sich für Cassis aussprach, die GP-Fraktion, die Moret empfahl, und die BDP-Fraktion, die Maudet auf den Schild hob.

Kurz vor der Ersatzwahl bilanzierte die WOZ die vorherrschende Meinung, dass sich grundsätzlich keine Überraschung abzeichne: Die Bundesratswahlen hätten bisher viel Tamtam, aber nur wenig Spannung verheissen. Mit der Diskussion verschiedener Szenarios versuchten die Medien dieser Spannungslosigkeit entgegenzuwirken. Drei Möglichkeiten, Cassis zu verhindern, seien denkbar: Isabelle Moret könne dank ihrem Frauenbonus und der Unterstützung aller Bauernvertreter sowie mit Hilfe der Stimmen all jener Parlamentarierinnen und Parlamentarier, welche die Frauenfrage möglichst rasch klären wollten, gewinnen; ein Sieg von Pierre Maudet wäre dann möglich, wenn sich die Mehrheit der Bundesversammlung von seinen Fähigkeiten überzeugen liesse. Dies sei durchaus möglich, wenn es ab dem dritten Wahlgang zu einem Zweikampf zwischen Cassis und Maudet kommen würde. Ins Spiel gebracht wurde mit Laura Sadis auch eine Sprengkandidatin, die vor allem bei der Linken auf Unterstützung zählen könnte. Roger Nordmann gab zu Protokoll, dass die Tessinerin in der Tat die Synthese der drei aktuell Kandidierenden gewesen wäre: „Elle a une expérience d’exécutif, elle est italophone et elle a la capacité d’être une femme” (LT). Die Lust der SP auf Experimente halte sich allerdings in Grenzen.

Die Ersatzwahl am 20. September war schliesslich noch weniger spannend, als von den zahlreichen Medien vor Ort befürchtet worden war. Schon im zweiten Wahlgang wurde Ignazio Cassis zum 87. Bundesrat gewählt und zum Nachfolger von Didier Burkhalter gekürt. Der achte Bundesrat aus dem Kanton Tessin hatte bereits im ersten Wahlgang 109 Stimmen erhalten, damit allerdings das absolute mehr von 122 Stimmen verfehlt. Weil die Basler Nationalrätin Sibel Arslan (basta, BS) im ersten Durchgang fehlte, waren lediglich 245 Wahlzettel eingegangen. Die Baslerin erklärte ihr Fernbleiben als stillen Protest gegen den Rücktritt von Bundesrat Burkhalter, dessen Abschiedsrede sie bewegt habe. Wie erwartet splitteten sich die Stimmen für Maudet (62 Stimmen) und Moret (55 Stimmen) auf. Diverse erhielten 16 Stimmen und drei Stimmzettel waren leer geblieben. Weil von den Diversen niemand zehn Stimmen erreicht hatte, wurden keine Namen genannt. Ob also beispielsweise Laura Sadis im Rennen war oder nicht, wird das Geheimnis des Stimmbüros bleiben. Im zweiten Umgang fielen zahlreiche Stimmen für Moret auf Cassis. Die 125 Stimmen reichten dem Tessiner knapp für die absolute Mehrheit. Maudet konnte zwar noch einmal zulegen und erhielt 90 Stimmen, dies reichte allerdings nicht für einen dritten Wahlgang. Moret ihrerseits erhielt lediglich noch 28 Stimmen. Eine Stimme entfiel auf Diverse und zwei Stimmzettel blieben erneut leer – wahrscheinlich stammten sie von den beiden Lega-Parlamentariern, die zwar für eine Tessiner Vertretung waren, nicht aber für Cassis stimmen wollten.
In den Medien wurde gemutmasst, dass vor allem die Stimmen der SVP entscheidend gewesen seien, von denen im ersten Durchgang vereinzelte noch an Moret gegangen, dann aber geschlossen für Cassis eingelegt worden seien. Weil Moret im ersten Wahlgang auch von ihrer eigenen Partei zu wenig Unterstützung erhalten habe, hätte die SP im zweiten Wahlgang umgeschwenkt und ziemlich geschlossen für Maudet gestimmt, um die Wahl von Cassis zu verhindern. Den Namen Moret hätten lediglich noch die Grünen sowie einige Ratsmitglieder aus der BDP, der CVP, der GLP und der SVP auf den Wahlzettel geschrieben.

Cassis erklärte die Annahme der Wahl und bedankte sich bei allen Ratsmitgliedern, auch bei denen, die ihm die Stimme verwehrt hätten. Man könne anderer Meinung sein, letztlich würden aber alle die gleichen übergeordneten Ziele für die Schweiz anstreben. Freiheit sei auch immer die Freiheit der anders Denkenden, zitierte er Rosa Luxemburg, womit er vor allem die Ratslinke überraschte und sichtlich erfreute. Er verspreche vor allem seiner Frau, der Gleiche zu bleiben wie vor der Wahl. Er fühle sich vor allem der Kollegialität verpflichtet und werde als Brückenbauer die ganze Schweiz vertreten. Bereits um 9.30 nahm die Sitzung mit der Vereidigung des neuen Bundesratsmitglieds ihr Ende.

Die Regionen- und Sprachenfrage sei letztlich stärker gewichtet worden als die Frauenfrage, so die Bilanz in den Medien am Tag nach der Wahl. „E la Svizzera è più svizzera”, die Schweiz sei wieder ein bisschen mehr Schweiz, titelte der Corriere del Ticino. Die Wahl von Cassis sei keine Überraschung und Maudet habe eine ehrenvolle Niederlage eingefahren, so die ziemlich einhellige Meinung in den Deutsch- und Westschweizer Medien. Vor wenigen Wochen hätte niemand in Bundesbern den Genfer gekannt und jetzt habe er 90 Stimmen erhalten. Allerdings zeige seine Nichtwahl auch die Schwierigkeiten für einen Kandidierenden, der nicht der Bundesversammlung angehört. Für Moret hingegen, sowie für die Vertretung der Frauen im Bundesrat im Allgemeinen, sei der Ausgang der Wahlen eine Schmach. Verschiedene Politikerinnen kritisierten, dass das Beispiel Moret gezeigt habe, dass an Frauen wesentlich höhere Massstäbe gesetzt würden als an Männer. Die SP habe Cassis nicht verhindern können und müsse sich nun Vorwürfe gefallen lassen, weshalb sie auf Maudet gesetzt und so die Vertretung der Frauen hintergangen habe. Die SP wies die Kritik allerdings an die FDP zurück: Wäre Laura Sadis portiert worden, hätte die SP sie unterstützt. Während sich die Rechte auf einen Mitte-Rechts-Bundesrat freute – Cassis wisse, wem er seine Wahl zu verdanken habe, liess sich SVP-Präsident Rösti nach der Wahl zitieren –, winkte die Linke ab: Es müssten auch im neuen Gremium nach wie vor unterschiedliche Koalitionen geschmiedet werden, so etwa SP-Parteipräsident Christian Levrat. Die WOZ befürchtete allerdings eine Zunahme der Polarisierung. Mit der Wahl von Cassis sei die Kirche aber wieder im Dorf und die Sprachenfrage für eine Weile geregelt. Jetzt müssten die Regionen wieder besser vertreten werden – so der Tenor vor allem aus der Ostschweiz. Verschiedene Politikerinnen forderten zudem eine adäquatere Vertretung von Frauen. Die Idee einer parlamentarischen Initiative, mit der eine angemessene Frauenvertretung in der Verfassung festgeschrieben werden soll, verdichtete sich. Die FDP-Frauen forderten zudem bei der nächsten FDP-Vakanz ein Frauen-Zweierticket.

Über die nach der Ersatzwahl anstehende Departementsverteilung war bereits früh spekuliert worden. Insbesondere Alain Berset waren Ambitionen auf das frei gewordene EDA nachgesagt worden. Allerdings hätte der Departementswechsel von Berset einen unangenehmen Beigeschmack gehabt, weil kurz nach der Departementsverteilung die Abstimmung zur Altersreform 2020 anstand, für die Berset mit Herzblut geworben hatte. Der Wechsel ins Aussendepartement hätte von der Stimmbevölkerung als Flucht interpretiert werden können. Der Bundesrat solle deshalb mit der Departementsverteilung warten, forderte der ehemalige SVP-Präsident Toni Brunner (svp, SG) kurz vor den Bundesratswahlen in der Presse. Wenn nämlich die AHV-Vorlage verloren ginge, wäre Berset nicht mehr der richtige Innenminister. Ende September kam es dann aber schliesslich zur mehrheitlich erwarteten Departementsverteilung. Das freie EDA wurde vom neuen Kollegiumsmitglied Ignazio Cassis übernommen. Er setzte damit eine eigentliche Tradition fort, da Tessiner Bundesräte sehr häufig als Aussenminister amteten. Die Italianità und seine Vielsprachigkeit dürften Vorteile des neuen EDA-Chefs sein. Mit ein Grund dafür, dass sonst alles beim Alten blieb, dürfte auch die im Vorfeld der Bundesratswahl gemachte Aussage von Cassis gewesen sein, dass es vielleicht nicht gut sei, wenn er mit seinen Verbindungen das Innendepartement übernehmen würde. Cassis werde als Aussenminister „der bessere Burkhalter” sein, weil er mehr Verständnis für die Deutschschweiz habe, besser kommuniziere und mehr Kampfgeist habe, urteilte der Tages-Anzeiger. Auf ihn wartet nun das komplexe Europadossier – und zahlreiche Erwartungen von links bis rechts.

Bundesratsersatzwahl 2017 – Nachfolge Didier Burkhalter
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

Mit Thomas Egger (cvp, VS) und Samuel Bendahan (sp, VD) wurden in der Sommersession 2017 zwei neue Nationalratsmitglieder willkommen geheissen. Beide rutschten nach, weil die Vorgängerin bzw. der Vorgänger in kantonale Regierungen gewählt worden waren. Egger, der in der CSP-Oberwallis ist und damit im Nationalrat der CVP-Fraktion angehört, wurde als Nachfolger des in die Walliser Regierung gewählten Roberto Schmid vereidigt. Bendahan - Nachfolger der in die Waadtländer Exekutive bestellten Cesla Amarelle - legte das Gelübde ab. In den letzten Jahren kamen Wechsel aus dem Bundeshaus in kantonale oder kommunale Exekutiven relativ häufig vor: Neben Schmid und Amarelle waren auch Jean-François Steiert (Staatsrat in Fribourg, SP), Alec von Graffenried (Stadtpräsident in Bern, Grüne), Filippo Leutenegger (Stadtrat in Zürich, FDP), Antonio Hodgers oder Mauro Poggia (beide Conseiller d'Etat in Genf, Grüne bzw. MCG) diesen Weg gegangen.

Mutationen 2017
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Die Zusammensetzung des Bundesrates ist immer wieder Gegenstand von Debatten. Sei es die regionale, die sprachliche oder eine gendergerechtere Vertretung – die Diskussionen drehen sich in der Regel um die deskriptive Repräsentation des Exekutivgremiums und weniger um die substanzielle, also die Frage, ob das Kollegium inhaltlich die Interessen der Bevölkerung zu vertreten im Stande ist.
Besonders virulent und medial begleitet werden diese Debatten jeweils bei anstehenden Bundesratswahlen. Bei der Wahl von Guy Parmelin 2015 machte sich etwa Unmut in der Ostschweiz breit, da die sieben Kantone der Ostschweiz (SG, TG, GR, SH, GL, AR, AI), und damit rund 1.1 Mio. Einwohner, zum zweiten Mal seit 1848 nicht in der Bundesregierung vertreten sind, wohingegen die Romandie mit etwa der Hälfte an Einwohnerinnen und Einwohnern mit Parmelin, Burkhalter und Berset sogar dreifach vertreten sei. Roland Eberle (svp, TG) gab in der NZZ zu Protokoll, dass fünf der sieben Bundesräte nun „Burgunder” seien, die wesentlich zentralistischer und etatistischer dächten als „Alemannen”. Die Ostschweiz, die sich „an den Rand gedrängt” fühle (SGT), fordere deshalb eine Korrektur bei der nächsten Vakanz. In der Tat stellte die Ostschweizer Regierungskonferenz diese Forderung in einem Schreiben, um die Parteispitzen zu sensibilisieren.

Bei der Sprachenfrage drehte sich die Debatte bis zur Wahl von Ignazio Cassis 2017 lange um den Aspekt der Vertretung des Tessins in der Landesregierung. Der Südkanton war seit 1999 und dem Rücktritt von Flavio Cotti nicht mehr im Bundesrat vertreten. Zwar hatte die SVP mit Norman Gobbi (TI, lega) bei der Besetzung des leer gewordenen Sitzes von Eveline Widmer-Schlumpf auch einen Tessiner Kandidaten aufgestellt, um die Untervertretung der Südschweiz beheben zu helfen. Weil es sich um einen Lega-Politiker handelte – der im Parlament als kaum wählbar galt –, wurde dieses Manöver allerdings als „wenig glaubhaft” bezeichnet (NZZ). Mit der Wahl von Cassis ebbte die Diskussion um die Vertretung der Sprachregion wieder ab.

Ein zentraler Bestandteil der Debatten ist schliesslich die Frage der Vertretung der Frauen im Bundesrat. Waren Ende September 2010 die Frauen im Bundesrat erstmals in der Mehrheit – das Interregnum dauerte allerdings lediglich 14 Monate –, sieht es nach dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf Ende 2015 und der Rücktrittsankündigung von Doris Leuthard Mitte 2017 so aus, als könnte Simonetta Sommaruga bald die einzige Frau im Kollegium sein. Ein Bundesrat mit nur einer Frau sei kein Abbild der Gesellschaft mehr, liess sich Yvonne Feri (sp, AG), Präsidentin der SP-Frauen, in der NZZ protokollieren. Bereits nach der Wahl von Guy Parmelin hegte Alliance F – der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen – die Idee einer Verfassungsbestimmung, gemäss der nicht nur die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen im Bundesrat vertreten sein sollen, wie dies die Verfassung bereits vorsieht, sondern auch die Frauen. Zwar hatte die GP bei der Wahl von Parmelin versucht, mit ihren Stimmen für Viola Amherd (cvp, VS) ein Zeichen zu setzen, und die FDP hatte neben dem gewählten Ignazio Cassis und Pierre Maudet (GE) mit Isabelle Moret (VD) auch eine Frau auf das Dreierticket gesetzt – was von verschiedener Seite mit Nachdruck gefordert worden war –, die Wahl fiel letztlich aber in beiden Fällen auf einen Mann. Damit der Bundesrat seine Vorbildfunktion wahrnehmen könne – nur eine ausreichende Frauenvertretung zeige, dass Regieren kein Männerberuf sei – setzte Alliance F Anfang 2017 ihre Idee in die Tat um: Maya Graf (gp, BL), die Präsidentin von Alliance F, reichte eine entsprechende parlamentarische Initiative ein.

Freilich gibt es in diesen Debatten allerdings auch immer wieder etwas leisere Stimmen, die eher den substanziellen Aspekt der Vertretung betonen und die Qualifikation der Magistratinnen und Magistraten höher gewichten als deren regionale oder sprachliche Herkunft. Das beste Argument einer regionalen Vertretung sei eine überzeugende Kandidatur – so etwa ein Kommentar in der NZZ. Darüber hinaus zeigt eine langfristige Betrachtung, dass von einer Untervertretung der verschiedenen Landesteile kaum gesprochen werden kann. Eine stärkere Betonung substanzieller Repräsentation würde auch den Zugang zur Exekutive für andere Parteien öffnen. Mit den Erfolgen der Grünen in den kantonalen Wahlen und einer möglichen „Öko-Allianz” (AZ) zwischen GP und GLP, die nach den Wahlen 2015 zusammen über 11.7 Wähleranteil verfügen, also 0.1 Prozent mehr als die CVP, könnte aus einer Umweltschutz-Perspektive auch ein Anspruch dieser beiden Parteien auf einen Regierungssitz erhoben werden. Auch in dieser Hinsicht werden die eidgenössischen Wahlen 2019 spannend werden.

Nächster Bundesrat aus der Ostschweiz

Lange bevor der Bundesrat Mitte Juni 2016 mit seiner Medienkonferenz den Abstimmungskampf zum Nachrichtendienstgesetz offiziell eröffnete, wurde das Thema breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Anlass dazu boten etwa die Terroranschläge in Brüssel vom 22. März 2016, in deren Nachgang bürgerliche Sicherheitspolitikerinnen und -politiker den Bundesrat dazu aufforderten, dem Nachrichtendienst per dringlichem Bundesbeschluss schleunigst zu den notwendigen Kompetenzen zu verhelfen. Man könne nicht warten, bis das neue NDG nach der Referendumsabstimmung vom September in Kraft treten könne; die jüngsten Anschläge hätten gezeigt, «dass die Bedrohung durch Terrorismus real ist», erklärte die Präsidentin der SiK-NR, Ida Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU), gegenüber der NZZ. In Zeiten wie diesen sei es «unsinnig», dass der NDB in seiner Arbeit behindert werde, zitierte die «Tribune de Genève» dazu SiK-SR-Präsident Isidor Baumann (cvp, UR). Der NDB sei momentan «blind und taub», mahnte der Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet (GE, fdp) an gleicher Stelle. Obschon die Forderung unerfüllt verhallte, lagen die Hauptargumente für das neue Nachrichtendienstgesetz damit schon einmal auf dem Tisch.

Dass ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung ähnlich dachte, zeigte die im Mai veröffentlichte Studie «Sicherheit 2016» der ETH Zürich. Darin schätzten rund drei Viertel der Befragten die weltpolitische Lage (eher) pessimistisch ein, wobei die Erhebungen bereits im Januar und damit vor den Terrorattacken in Brüssel stattgefunden hatten. Damit einher gingen ein gegenüber dem Vorjahr gestiegenes subjektives Unsicherheitsempfinden sowie die klare Unterstützung von Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit wie Datensammlungen über verdächtige Personen, Armeeeinsätze zur Sicherstellung von Ruhe und Ordnung, die Aufstockung der Polizeikorps, Videoüberwachung im öffentlichen Raum oder vorsorgliche Verhaftungen. Von einer gewissen Ambivalenz zeugten die Antworten zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit: 55 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass der Staat die Sicherheit der Bevölkerung auch auf Kosten der persönlichen Freiheit garantieren solle, gleichzeitig würden sich aber ebenfalls 55 Prozent für Freiheit statt Sicherheit entscheiden, wenn sie gezwungen wären, eins der beiden zu wählen. Zwei Drittel befürworteten aber die Terrorismusbekämpfung auch unter Einschränkung der persönlichen Freiheit – ein Ergebnis, das «Wasser auf die Mühlen der Befürworter» des neuen NDG sei, wie das St. Galler Tagblatt resümierte.

Weiteren Impetus fand die Befürworterseite in der Tatsache, dass sich offenbar auch der IZRS an der Unterschriftensammlung gegen das NDG beteiligt hatte, wie die Luzerner Zeitung Mitte Juni bekannt machte. Die umstrittene islamische Organisation sehe im NDG ein «Vehikel gegen Muslime», in dessen Fokus «je nach politischem Klima» auch andere Gruppen geraten könnten, weshalb Mediensprecher Qaasim Illi zur Unterschrift gegen das NDG aufgerufen habe. Im Einsatz für das NDG sah man sich dadurch bestätigt, denn es sei «bezeichnend», dass «ein Verein wie der IZRS, der selber im Fokus des NDB stehen könnte», gegen das Gesetz mobil mache, zitierte die Zeitung Ida Glanzmann-Hunkeler. Sogar Bundesrat Guy Parmelin sollte den Widerstand des IZRS einige Tage später vor den Medien lakonisch als «beste Werbung für das Gesetz» bezeichnen. Die Gegenseite distanzierte sich derweil von «diesen Extremisten», wie SP-Sprecher Michael Sorg betonte; man sei nicht verbündet und stehe in keinerlei Kontakt. Aus dem Abstimmungskampf wollte sich der IZRS denn auch heraushalten, wie er über eine Sprecherin verlauten liess.

Auf der Pro-Seite stand neben dem Bundesrat ein überparteiliches Ja-Komitee, das Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller grösseren Parteien ausser den Grünen vereinte. Im Laufe der Kampagne sprachen sich zudem die Ost- und Westschweizer Konferenzen der Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren sowie die Regierungsräte der Kantone Zürich und Schaffhausen für das NDG aus. Das Hauptargument für das neue Gesetz war, dass die Mittel des schweizerischen Nachrichtendienstes an die aktuelle Bedrohungslage angepasst werden müssten, denn mit seinen heutigen Instrumenten könne er die Schweiz nicht ausreichend vor den sich ständig verändernden und komplexer werdenden Gefahren schützen. Der NDB sei schlicht «überholt», konstatierte FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger (fdp, AG) gegenüber der Presse. Klar könne das Risiko nicht vollständig eliminiert werden, aber es seien schon viele Attentate dank Überwachung verhindert worden, pries SVP-Ratskollege Raymond Clottu (svp, NE) die neuen Überwachungsmöglichkeiten an. Als die Ziele des NDG nannte Verteidigungsminister Guy Parmelin einerseits die präventive Überwachung der «gefährlichsten Individuen» (NZZ) sowie andererseits die Erschwerung von Cyberangriffen und -spionage, wie im Fall der Ruag, der Anfang 2016 aufgedeckt worden war. Als weiteren Vorzug des neuen Gesetzes hob NDB-Chef Markus Seiler die Vereinfachung der internationalen Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung hervor. Gleichzeitig warnte er vor einer Schwächung der internationalen Stellung der Schweiz, sollte das Gesetz abgelehnt werden, denn je weniger eigene nachrichtendienstliche Erkenntnisse die Schweiz habe, umso grösser sei die Gefahr, von ausländischen Geheimdiensten instrumentalisiert zu werden. Es sei aber mitnichten die Absicht des neuen Gesetzes, alle Bürgerinnen und Bürger zu überwachen und selbstverständlich müsse Missbrauch verhindert werden, betonte Bundesrat Parmelin weiter. Auch das Komitee erklärte, umfassende Kontrollmechanismen und eine gut ausgebaute Aufsicht über den Nachrichtendienst verhinderten, dass ein Überwachungsstaat geschaffen werde. Die Befürworterinnen und Befürworter wurden nicht müde zu betonen, dass das NDG das Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und Sicherheit wahre und letztlich schlicht notwendig sei – oder mit den Worten von SP-Nationalrätin Rebecca Ruiz (sp, VD) in der «Tribune de Genève»: «Wir können nicht bei Windows 95 und Walkie-Talkies bleiben.» Der Status quo sei eine Reaktion auf den Fichenskandal in den 1990er-Jahren gewesen, erklärte auch EDÖB Adrian Lobsiger gegenüber der Sonntagszeitung. Seither hätten sich die Welt verändert und die Sicherheitslage verschärft. Auch er bezeichnete das NDG als «Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit», liess sich aber nicht auf eine explizite Abstimmungsempfehlung hinaus. Zum frühen Zeitpunkt des offiziellen Kampagnenstarts Mitte Juni sagte Bundesrat Parmelin, er wolle eine «pädagogische» Abstimmungskampagne führen, um der Bevölkerung angesichts des heiklen und komplexen Themas genau zu erklären, was die Neuerungen seien und warum sie nötig seien.

Die Kontra-Seite bestand hauptsächlich aus dem Referendumskomitee «Bündnis gegen den Schnüffelstaat», das von den Grünen, der SP, den Juso, der Piratenpartei, der Gewerkschaft Syndicom, der Digitalen Gesellschaft, dem Verein Grundrechte.ch sowie dem Chaos Computer Club unterstützt wurde. Ein bürgerlich geprägtes Gegenkomitee um die bürgerlichen Jungparteien, kritische Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP bis GLP sowie die Operation Libero, das liberale Argumente gegen das NDG anführen wollte, zerbrach hingegen, bevor es sich formieren konnte. Man habe das NDG gleichzeitig mit dem BÜPF bekämpfen wollen, aber mit dem Scheitern des BÜPF-Referendums sei die Gruppe auseinandergefallen, schilderte der Koordinator und stellvertretende SGV-Direktor Henrique Schneider dem St. Galler Tagblatt. So dominierten denn auch die von links geäusserten Bedenken das Argumentarium der Gegnerschaft. Weil es dem NDB erlaube, auf Basis blosser Vermutungen zu agieren, gehe das neue Nachrichtendienstgesetz zu weit, so das Hauptargument des Nein-Lagers. Juso-Präsidentin Tamara Funiciello nannte das NDG einen «Schritt Richtung Massenüberwachung». Mit dem Gesetz würden alle Bürgerinnen und Bürger zu Verdächtigen gemacht, sodass der NDB letztlich jeden zum potenziellen Terroristen «emporstilisieren» könne, kritisierte der Präsident des Vereins Grundrechte.ch, Viktor Györffy. Das von der Befürworterseite propagierte Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und Sicherheit konnte die Gegnerschaft nirgends erkennen. Mit der Stärkung des Nachrichtendienstes kreiere man nur eine «Illusion von Sicherheit», bemängelte der Grüne Nationalrat Balthasar Glättli (gp, ZH). Die Attentäter von Paris und Brüssel seien sehr wohl nachrichtendienstlich oder polizeilich bekannt gewesen, aber nichtsdestotrotz hätten die Anschläge nicht verhindert werden können. Dass eine parlamentarische oder juristische Kontrolle die Aktivitäten des NDB und damit die Eingriffe in die Grundrechte wirklich begrenzen könne, sei ebenfalls «illusorisch», so Györffy weiter. Glättli sah das Gesetz ausserdem – sowohl aufgrund der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten als auch wegen der Möglichkeit zum Eindringen in ausländische Computersysteme – als Gefahr für die Neutralität der Schweiz. Zudem missbilligte die Gegnerschaft, dass der Staat durch den Kauf von Trojanern den Schwarzmarkt für Sicherheitslücken und das organisierte Verbrechen fördere.

Insgesamt verlief die öffentliche Debatte über lange Zeit unaufgeregt und angesichts der Tragweite des Themas eher spärlich. Erst rund drei Wochen vor dem Abstimmungssonntag, im Anschluss an die SRF-«Arena» zum NDG, gewann sie «doch noch etwas an Temperatur», wie der Tages-Anzeiger kommentierte. Dabei stand das Instrument der Kabelaufklärung im Fokus, in der die Gegenseite nichts anderes als die verdachtsunabhängige Massenüberwachung erkannte. Die Beteuerung, es werde nur der grenzüberschreitende, nicht aber der inländische Internetverkehr überwacht, sei bedeutungslos, da etwa sehr viele E-Mails über ausländische Server verschickt würden, auch wenn sich Sender und Empfänger in der Schweiz befänden. Ein viel genanntes Argument gegen diese Art der Überwachung war die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen, die eben nicht einfacher werde, wenn man den Heuhaufen vergrössere. NDG-Fürsprecherin Corina Eichenberger hielt dem in der «Tribune de Genève» entgegen, man werde im Internetverkehr schon nach sehr eng definierten Schlagworten suchen, und nicht einfach nach «Islam» oder «Bombe». Ausserdem führte die Pro-Seite an, der NDB verfüge gar nicht über genug Ressourcen für eine solche Massenüberwachung. Der Bundesrat sprach bis zuletzt von rund zehn Fällen pro Jahr, in denen bewilligungspflichtige Beschaffungsmassnahmen eingesetzt würden, wie er auch schon dem Parlament erklärt hatte. In den Medien wurde diese Zahl jedoch in Zweifel gezogen, da sich seit den parlamentarischen Beratungen die Bedrohungslage durch vermehrte Anschläge in Europa – die bisher folgenschwersten in Paris und Brüssel – und die zunehmende Anzahl Dschihad-Reisender aus der Schweiz verschärft habe. Während das VBS die Zahl als Durchschnittswert, der mit der Bedrohungslage variieren könne, verteidigte, sprach Ida Glanzmann-Hunkeler eher von 20 bis 25 Fällen pro Jahr, wobei diese Schätzung nicht statistisch extrapoliert, sondern «mehr ein Gefühl» sei, wie sie gegenüber dem Tages-Anzeiger erklärte. NDG-Gegner Balthasar Glättli sah in diesem Zahlenwirrwarr gemäss St. Galler Tagblatt ein Indiz dafür, dass «die staatlichen Schnüffler wesentlich hungriger» seien, als sie es «vor der Abstimmung zugeben» wollten. Wie der Tages-Anzeiger feststellte, wurde der Abstimmungskampf gegen Ende zum «Streit der Begrifflichkeiten», der sich vor allem um die Definition von Massenüberwachung drehte. Es sei die Antwort auf die von Beat Flach (glp, AG) in der «Arena» gestellte Frage, ob es wirklich so furchtbar sei, dass in Zukunft alles zuerst durch den Filter des NDB gehe, die Befürworter und Gegner des NDG trenne, konstatierte dieselbe Zeitung.

Die ab Mitte August durchgeführten Umfragen zeigten schon von Anfang an eine breite Unterstützung von knapp 60 Prozent für das NDG, die bis zur letzten Umfragewelle Mitte September ungefähr konstant blieb. Als wichtigste Argumente identifizierten die Befragungen die Befürchtung möglichen Missbrauchs neuer Technologien auf der Pro- sowie den mangelhaften Schutz der Privatsphäre auf der Kontra-Seite. Bei den bürgerlichen Parteien wollte die Mehrheit der Basis Ja stimmen, während die Anhängerschaft der linken Parteien mehrheitlich ein Nein einlegen wollte. Damit hatte das NDG gute Voraussetzungen, das Referendum ungefährdet zu passieren.

Neues Nachrichtendienstgesetz (BRG 14.022)
Dossier: Staatliche Überwachung
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Zumindest in der Genfer Presse wurde gemutmasst, dass dem MCG ein ähnliches Schicksal bevorstehe wie allen Parteien, die zum ersten Mal in die Exekutive eingebunden werden: Ein zunehmend schwieriger Spagat zwischen Regierungsverantwortung und Oppositionsgebahren. Indizien dafür fanden sich etwa in der abweichenden Haltung des alt-National- und Neo-Regierungsrates Mauro Poggia zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP, welche der MCG zur Annahme empfohlen hatte. Auch in der Nicht-Berücksichtigung von Eric Stauffer für eine Spitalkommission, bei der sich Poggia der Stimme enthalten haben soll, wurde als Störung der Idylle zwischen Partei und Exekutivmitglied interpretiert. Poggias Gene würden eher einem CVP-Mitglied als einem „citoyen genevois“ entsprechen, interpretierte etwa "Le Temps" die innerparteiliche Gemütslage.

MCG Spagat zwischen Regierungsverantwortung und Oppositionsgebahren

Im Berichtjahr wurden nicht weniger als elf Parlamentsmandate neu besetzt. Die Mutationen waren einerseits Folgen kantonaler Wahlen. Gleich drei Genfer Nationalräte – Luc Barthassat (cvp), Antonio Hodgers (gp) und Mauro Poggia (mcg) – wurden in den Genfer Regierungsrat gewählt. Auch Yvan Perrin (svp) und Alain Ribaux (fdp) zogen das kantonale Exekutivamt in Neuenburg dem nationalen Parlamentsmandat vor. Für die fünf abtretenden Parlamentarier rutschten Guillaume Barazzone(cvp/pdc GE), NR/CN] (cvp, GE), Anne Mahrer (gp, GE), Roger Golay (mcg, GE), Raymond Clottu (svp, NE) und Sylvie Perrinjaquet (fdp, NE) nach. Golay wurde – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Poggia – in die SVP-Fraktion aufgenommen. Bereits 2012 waren Franziska Teuscher (gp, BE) und Ursula Wyss (sp, BE) in die Stadtberner Regierung gewählt worden. Sie traten ebenfalls von ihren Nationalratsmandaten zurück und wurden im Berichtjahr durch Aline Trede (gp, BE) und Nadine Masshardt (sp, BE) ersetzt. Bereits 2012 ihren Rücktritt angekündigt hatten Hildegard Fässler-Osterwalder (sp, SG) und Peter Spuhler (svp, TG), nach 16 resp. 13 Jahren Tätigkeit im nationalen Parlament. Hans-Jürg Fehr (sp, SH), ein weiterer lang gedienter Parlamentarier, trat nach 14 Jahren zurück. Für die SP St. Gallen wurden Claudia Friedl, für die SP Schaffhausen Martina Munz und für die SVP Thurgau Verena Herzog neu vereidigt. Seinen Rücktritt für 2014 kündigte Fulvio Pelli (fdp, TI) an. Auch im Ständerat wird es noch vor den Gesamterneuerungswahlen 2015 zu Veränderungen kommen. Für den verstorbenen Pankraz Freitag (fdp, GL) musste im Kanton Glarus eine Ersatzwahl durchgeführt werden, die auf das Frühjahr 2014 angesetzt wurde.

Mutationen 2013
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Die Bundeshausfraktion der SVP wuchs im Berichtjahr um einen Sitz auf 63 Mitglieder an. Nach der Wahl von Mauro Poggia (mcg, GE) in die Genfer Kantonsexekutive wurde der nachrutschende Roger Golay (mcg, GE) in die SVP-Gruppe aufgenommen. Dies war Poggia noch verweigert worden, weil er in wichtigen Fragen als zu links wahrgenommen worden war.

Die Bundeshausfraktion der SVP wuchs im Berichtjahr um einen Sitz auf 63 Mitglieder an

Der neue Nationalrat Roger Golay, Nachfolger des in die Genfer Regierung gewählten Mauro Poggia, wurde, anders als sein Vorgänger, als Mitglied in die SVP-Fraktion aufgenommen. Die SVP-Fraktion zählte damit neu 63 Mitglieder. Poggia wurde die Mitgliedschaft noch verweigert, weil er in Sozial- und Sicherheitsfragen von der SVP als zu links betrachtet worden war. Fraktionslose Ratsmitglieder haben es im Parlament sehr schwer. Dieses Schicksal wird dem als Hardliner geltenden Golay nun nicht zuteil.

Golay als Mitglied in die SVP-Fraktion aufgenommen

Nicht weniger als 29 Kandidierende traten zu den Genfer Regierungswahlen an, die erstmals gleichzeitig mit den Parlamentswahlen durchgeführt wurden, eine Änderung die mit der 2012 angenommenen Kantonsverfassungsrevision eingeführt worden war. Die hohe Zahl an Kandidaturen lässt sich mit einer weiteren Änderung erklären: neu bedingt eine Wahl in der ersten Runde das Überspringen einer absoluten Mehrheit, die neu unter Einbezug der leeren Stimmen errechnet wird und deshalb schwerer zu überschreiten ist. Erst in einer zweiten, rund einen Monat später stattfindenden Runde liegt das Quorum wie bis anhin bei einem Drittel der Stimmen. Der erste Wahlgang verkam so zu einer eigentlichen Aufwärmrunde, da die Parteien eine Aufsplitterung der Stimmen weniger fürchten mussten. Unter den 29 Kandidierenden waren die vier Bisherigen Michèle Künzler (gp), François Longchamp (fdp), Isabel Rochat (fdp) sowie Pierre Maudet (fdp), der 2012 bei Ersatzwahlen in die Genfer Kantonsregierung gewählt worden war. Nicht mehr antreten wollten Charles Beer (sp), David Hiler (gp) und Pierre-François Unger (cvp). In der komfortabelsten Lage befand sich die FDP, die ihre drei Sitze nach einigen Diskussionen über eine mögliche Fünferliste schliesslich mit den drei Bisherigen verteidigen wollten. Die CVP trat mit einem nationalen Parlamentarier an: neben Luc Barthassat sollte zudem Serge Dal Busco für Stimmen sorgen. Auch innerhalb der CVP wurde lange diskutiert, ob man mit vier oder gar fünf Kandidierenden antreten solle. Zugunsten einer gemeinsamen Entente-Liste mit der FDP verzichteten die Christdemokraten allerdings auf diese Strategie und traten mit zwei Kandidaten zur Wahl an. Auch die Grünen schickten neben der bisherigen Künzler einen Nationalrat, nämlich den Fraktionschef der Grünen im eidgenössischen Parlament, Antonio Hodgers, ins Rennen. Die SP verzichtete trotz Aufforderung der Grünen auf eine gemeinsame linke Liste und trat gleich mit vier Kandidierenden an, um ihren frei gewordenen Sitz zu verteidigen und den vor vier Jahren verlorenen zweiten Sitz wieder zurückzuerobern. Neben Anne Emery-Torracinta, die im Vorjahr bei den Ersatzwahlen Pierre Maudet überraschend deutlich unterlegen war, setzten die Sozialdemokraten die Genfer Stadträtin Sandrine Salerno sowie Roger Deneys und Thierry Apothéloz auf ihre Liste. Die amtierenden Regierungsparteien traten somit mit total elf Kandidierenden an. Die Bedeutung der Wahlen in den Conseil d’Etat zeigte sich auch im Umstand, dass von den Herausforderern drei weitere amtierende Nationalräte ins Rennen geschickt wurden. Die SVP trat mit Céline Amaudruz (im Nationalrat seit 2011) und Yves Nidegger (seit 2007) und der MCG mit Mauro Poggia (seit 2011) an. Die beiden rechten Parteien, denen Aussenseiterchancen eingeräumt wurden, präsentierten eigene Listen mit jeweils einem Trio. Auf der Liste der Volkspartei fand sich zusätzlich Grossrat Eric Leyvraz und die MCG-Dreierliste wurde komplettiert von Delphine Perrella Gabus sowie von Parteipräsident und enfant terrible Eric Stauffer. Ensemble à Gauche (EaG), die extreme Linke, füllte gleich eine ganze Siebnerliste mit dem ehemaligen Staatsrat Christian Grobet, dem Genfer Maire Rémy Pagani den beiden Stadtgenfer Gemeinderäten Salika Wenger (PdA) und Pierre Gauthier sowie Magali Orsini, Gian-Thierry Sparacino und David Andenmatten. Man hoffte, mit einer vollen Liste zu einem Linksrutsch der Regierung beitragen zu können. Mit einer Einerliste trat die GLP an: der umtriebige Kantonalpräsident Laurent Seydoux wollte die Grünliberalen im Conseil d’Etat vertreten; ein zweiter Kandidierender konnte jedoch nicht gefunden werden. Das Kandidatenfeld wurde komplettiert mit drei Vertretern der Piratenpartei – dem Präsidenten Alexis Roussel, dem Grossrat Didier Bonny sowie Daniel Ceszkowski – und einem Unabhängigen (Pierre Jenni). Fragen, welche die Parteistrategen umtrieben, betrafen die optimale Anzahl Kandidierender auf einer Liste und allfällige gemeinsame Liste in der ersten Runde. Zu viele Kandidierende und gemischte Listen könnten von der Wählerschaft als zu heterogen wahrgenommen werden. Hingegen konnte man sich mit einer geschickten Listenkombination in eine gute Ausgangslage für einen fast sicheren zweiten Wahlgang bringen. Mit Ausnahme der Entente entschieden sich letztlich alle Parteien für eigene Listen. Das Genfer Wahlsystem sieht vorgedruckte Listen vor. Die Wählerinnen und Wähler haben die Möglichkeit, eine Liste unverändert abzugeben, zu panaschieren oder aber eine neutrale Liste auszufüllen. Insgesamt wurden deshalb 30 Listen mit unterschiedlichen Kombinationen aus 1 bis 7 Kandidierenden abgegeben. So trat etwa die Entente zwischen FDP und CVP mit wechselnder Reihenfolge auf sieben verschiedenen Listen an (Libéraux-Radicaux, Démocrate-Chretien, Entente, Loger nos enfants, Action sécurité, Emploi pour tous, Ceux qui agissent) und die Sozialdemokraten empfahlen ihre vier Kandidierenden auf fünf verschiedenen Listen (Socialiste, Dictat des assurances, Défense des aîné-e-s, Emploi, pour des PME). Der MCG benutzte seine fünf eingereichten Listen gleich als Parteiprogramm, hiessen die Listen doch etwa „Pour la priorité de l’emploi aux résidents genevois“, Tolérance zéro: Stop cambrioleur, dealers, mendiants, voleurs“ oder „Pour circuler sans galérer – Stop aux bouchons“.

Dank der zunehmend aggressiven Stimmungsmache des MCG gegen Grenzgänger, für mehr Sicherheit und weniger Stau verbuchte die Genfer Bewegung nicht nur bei den Parlamentswahlen (siehe oben), sondern auch bei den Exekutivwahlen im ersten Wahlgang überraschende Erfolge. Mauro Poggia (26'024 Stimmen) erzielte am sechstmeisten Stimmen und Eric Stauffer (20'445 Stimmen) lag auf Platz acht. Wie erwartet erzielte aber keiner der 29 Kandidierenden in der ersten Runde das absolute Mehr (49'051 Stimmen). Am besten schnitten die beiden bisherigen FDP-Kandidierenden, Pierre Maudet (46'921 Stimmen) und François Longchamp (42'136 Stimmen) ab. Isabel Rochat (fdp) lag mit 27'597 Stimmen auf Platz fünf. Der Vorwurf, dass sie sich während des Wahlkampfes zu wenig präsentiert habe, schien sich damit nicht zu bewahrheiten. Von der gemeinsamen Entente-Liste profitierten gleich beide neu antretenden CVP-Kandidaten: Serge Dal Busco (35'309 Stimmen) und Luc Barthassat (33'863 Stimmen) lagen auf Platz drei und vier. Zwischen die beiden MCG-Kandidaten schob sich Anne Emery-Torracinta (sp, 20'950 Stimmen), die sich damit für die Verteidigung des SP-Sitzes in eine gute Ausgangslage bringen konnte. Eine schwere Schlappe mussten hingegen die Grünen hinnehmen. Die bisherige Michèle Künzler wurde als Verkehrsministerin für die schwierige Situation im Genfer Strassenverkehr und ihre Neuerungen im öffentlichen Verkehr abgestraft und erhielt – abgeschlagen auf Rang 17 – lediglich 9 937 Stimmen. Antonio Hodgers (18'789 Stimmen) konnte sich zwar auf Rang 10 hinter dem zweiten SP-Kandidierenden Thierry Apothéloz (19'424 Stimmen), aber noch vor Delphine Perrella-Gabus (18'145 Stimmen), der dritten MCG-Kandidatin, Hoffnung auf die Verteidigung zumindest eines grünen Sitzes machen. Der GP wurde aber insgesamt ein wenig sichtbarer Wahlkampf zum Verhängnis. Geschlagen geben musste sich auch die SVP, bei der die beiden Nationalräte Céline Amaudruz (13'417 Stimmen) und Yves Nidegger (13'180 Stimmen) lediglich auf den Rängen 14 und 15 und Eric Leyvraz (9'977 Stimmen) auf Rang 16 lagen. Damit fielen sie hinter die beiden anderen SP-Kandidierenden Sandrine Salerno (16'996 Stimmen) und Roger Deneys (14'726 Stimmen) zurück. Die Kandidierenden von EaG, der Piratenpartei und der GLP erhielten alle weniger als 8 000 Stimmen. Einzig der Genfer Gemeindepräsident Rémy Pagani konnte mit 9 844 Stimmen einen kleinen Achtungserfolg erzielen. Damit war die Ausgangslage für den zweiten Wahlgang klar: wollte die Linke ihre drei Sitze halten, musste sie zusammenspannen, insbesondere nachdem Michèle Künzler aufgrund ihres schlechten Abschneidens ihren Rücktritt bekannt gab. Auch die Rechte wollte ihre Kräfte bündeln. Für die zweite Runde galt es nun, das richtige Mass an Kandidierenden zu finden, damit die Wählerstimmen nicht zu stark zersplitterten. Obwohl die FDP eher für ein Viererticket optiert hätte, trat die Entente noch einmal mit allen fünf Kandidierenden (3 FDP, 2 CVP) an. Insbesondere die amtierende Rochat stand auch aufgrund ihres schlechten Abschneidens in der Kritik; es wurde kolportiert, dass sie viele Wählerinnen und Wähler aus der bürgerlichen Liste gestrichen hätten. Die SP und die Grünen, bei denen Apothéloz (sp), Emery-Torracinta (sp) und Hodgers (gp) ins Rennen geschickt wurden, konnten EaG davon zu überzeugen, dass lediglich ein geeintes Auftreten wenigstens die drei bisherigen Sitze in der Genfer Regierung sichern könnte. EaG trat deshalb in der Folge nicht mehr an, unterstützte aber das links-grüne Dreierticket. Die Frage war, wie gut diese linke Allianz nach der ersten Runde noch spielen und ob die linke Wählerschaft vom schlechten Abschneiden in der ersten Runde aufgeschreckt und besser mobilisiert würde. Die beiden erfolgreichen Kandidaten des MCG traten auf einem rechten Dreierticket zusammen mit SVP-Aushängeschild Amaudruz an. Diskutiert wurde, ob das konziliantere Auftreten von Poggia oder das prononciert-provozierende Verhalten von Stauffer oder allenfalls die Kombination Erfolg versprechend sein würden. Darüber hinaus war nicht klar, ob der Schulterschluss mit der SVP von der Wählerschaft goutiert würde. Zwar seien sich die beiden Parteien in vielen Punkten einig – die Situation wurde vielerorts mit dem Kanton Tessin vergleichen – die SVP sei aber insgesamt eher national-konservativ und der MCG kantonal-sozialistisch. Nicht mehr antreten wollte die GLP, die für keines der drei Blocktickets eine Empfehlung abgab. Auch die Piratenpartei und der unabhängige Kandidat zogen sich für die zweite Runde zurück, so dass für den zweiten Wahlgang noch elf Kandidierende zur Wahl standen, die sich auf gesamthaft 20 Listen als links-grüne, rechts-bürgerliche und harte rechte Regierung anpriesen. Fünf Wochen nach dem ersten Wahlgang – eine Zeitdauer, die von vielen als zu lange bezeichnet wurde – fand Anfang November schliesslich der entscheidende zweite Wahlgang statt. Lag die Stimmbeteiligung beim ersten Umgang noch bei 41,0%, mobilisierte die zweite Runde hohe 46,4% der Stimmberechtigten. Alle drei Blöcke schafften den Sprung in die Regierung. Bei den Bürgerlichen waren es erwartungsgemäss die beiden bisherigen Freisinnigen Pierre Maudet (59'057 Stimmen) und François Longchamp (55'126 Stimmen). Beide wurden erneut als Erst- bzw. Zweitplatzierte gewählt. Ebenfalls wie in der ersten Runde erhielten Serge Dal Busco (49'941 Stimmen) und Luc Barthassat (46'301 Stimmen) – beide CVP – am dritt- bzw. viertmeisten Stimmen. Nicht wiedergewählt wurde Isabel Rochat (fdp), die mit 37'024 Stimmen nur auf Rang neun zu liegen kam. Damit wurden nicht nur zwei Frauen aus der Genfer Regierung verdrängt (Rochat und Künzler), sondern auch die ehemalige Liberale Partei (die FDP und die Liberalen hatten 2011 fusioniert). Rochat wurde mit Abstand am häufigsten von der Liste gestrichen und profitierte kaum von Panaschierstimmen. Das erlaubte der CVP einen Sitzgewinn auf Kosten der FDP. Die Regierung machte insgesamt einen Rechtsrutsch, da Mauro Poggia als siebter (41'170 Stimmen) den Sprung in die Regierung schaffte. Die SP konnte ihren Sitz mit Anne Emery-Torracinta (43'505 Stimmen) verteidigen und für die Grünen holte Antonio Hodgers (44'132) mit einem Glanzresultat wenigstens einen Sitz. Thierry Apothéloz (39'914 Stimmen) verpasste den Einzug in die Regierung knapp. Wie das gesamte Dreierticket konnte er im Vergleich zum ersten Umgang seine Stimmen zwar mehr als verdoppeln, lag aber schliesslich rund 1200 Stimmen hinter Poggia zurück. Insgesamt hatte sich der Zusammenschluss von Links-Grün also gelohnt. Hinter Rochat lagen Céline Amaudruz (35'010 Stimmen) und Eric Stauffer (32'008 Stimmen). Damit bewahrheitete sich auch in Genf, dass nur in die Regierung gewählt wird, wer als konziliante Persönlichkeit – als halber Populist, wie die NZZ Poggia bezeichnete – wahrgenommen wird. In der Presse wurde der Erfolg des MCG breit diskutiert und gar als schweizweites Zeichen für ein Weitererstarken rechtskonservativen Gedankenguts interpretiert. Zwar sei Poggia ein gemässigter Vertreter des MCG, die Regierung müsse sich aber wohl auf interne Opposition gefasst machen. Es sei nun an der Entente, Mehrheiten zu schaffen. Einzigartig war auch, dass gleich drei amtierende Nationalräte in ein kantonales Exekutivamt gewählt wurden, wurde doch bisher in der Regel eher der umgekehrte Weg gewählt. Die drei Gewählten traten aus dem Nationalrat zurück. Die Genfer Regierung wurde somit stark verändert: fünf neue Gesichter, nur ein Mitglied, dass bereits eine ganze Legislatur hinter sich hatte (Longchamp), ein Rechtsrutsch durch den Einzug eines extremen Rechten, nach 2009 weitere Verluste von Links-Grün und statt zwei nur noch eine Frau in der Exekutive. Das Département présidentiel, eine weitere Neuerung der revidierten Kantonsverfassung, wurde Longchamp übertragen, der zwar weniger Stimmen als Maudet erhalten hatte, aber mehr Erfahrung vorweisen konnte. Maudet behielt das Sicherheitsdepartement, das neu mit dem Wirtschaftsdepartement verknüpft war. Poggia wurde Vorsteher des Departements Gesundheit, Arbeit und Soziales, Emery-Torracinta erhielt das Erziehungsdepartement und Hodgers wurde Chef für Raumplanung, Stadtplanung und Energie. Dal Busco war neu zuständig für die Finanzen und Barthassat wurde das Departement für Verkehr, Transport, Umwelt und Landwirtschaft übertragen. Die als passend befundene Departementsverteilung wurde in der Presse als gutes Zeichen für ein funktionierendes Kollegium gewertet.

Regierungsratswahlen Genf 2013
Dossier: Kantonale Regierungswahlen 2013
Dossier: Kantonale Wahlen - Genf

Gesamterneuerungswahlen für die Regierung standen in den Kantonen Solothurn, Wallis, Neuenburg und Genf gleichzeitig mit den Parlamentswahlen an. Zusätzlich zu diesen vier Kantonen wählte die Stimmbevölkerung von Appenzell Innerrhoden eine neue Exekutive. Insgesamt brachten die Wahlen einige Veränderungen, die vor allem zulasten der FDP gingen. Einzig im Kanton Solothurn kam es zu keiner Sitzverschiebung: die deutliche bürgerliche Mehrheit aus je zwei FDP- und CVP-Sitzen wurde gegenüber einem SP-Mandat erfolgreich verteidigt. Die SVP scheiterte dabei erneut relativ deutlich während die Grünen nur knapp nicht in die Regierung einzogen. In den restlichen vier Kantonen kam es hingegen zu Verschiebungen. Wenig spektakulär waren diese im Kanton Appenzell Innerrhoden, wo Carlo Schmid (cvp) nach 29 Jahren Kantonalpolitik durch einen Unabhängigen ersetzt wurde. Kein Stein auf dem anderen blieb dagegen im Kanton Neuenburg, der in der vergangenen Legislatur von mehreren politischen Krisen durchgeschüttelt worden war. Die Neuenburgerinnen und Neuenburger wählten zwei Bisherige ab, gewährten der SVP zum ersten Mal Einsitz in der Regierung, verschafften der SP eine Regierungsmehrheit und versetzten der FDP eine veritable Schlappe: statt 3 FDP und 2 SP-Sitze wie bis anhin, setzt sich der Neuenburger Staatsrat neu aus drei SP, einem FDP und einem SVP-Vertreter zusammen. Ein Rechtsrutsch war in der Regierung des Kantons Genf zu verzeichnen: Mit Mauro Poggia konnte der MCG erstmals in den Staatsrat einziehen. Die Linke verfügt hingegen nur noch über zwei Sitze – je einen für die SP und für die GP, welche damit einen Sitzverlust hinnehmen musste. Auch in Genf wurden zwei Bisherige abgewählt. Neben der Grünen Michèle Künzler musste auch die zweite Frau in der Regierung, Isabel Rochat (fdp), den Hut nehmen. Ihr Mandat eroberte die CVP. Damit verfügt die Entente in Genf zwar immer noch über vier Sitze (je zwei CVP und FDP), wird neu aber nicht mehr nur von links (1 SP, 1 GP), sondern auch von rechts (1 MCG) bedrängt. Einen Erfolg konnte die SVP auch im Kanton Wallis feiern, wo sie mit Nationalrat Oskar Freysinger erstmals einen Regierungssitz erobern konnte. Freysinger war verantwortlich dafür, dass die FDP auch im Wallis Federn lassen musste. Erstmals seit einem Dreivierteljahrhundert ist der Freisinn im Kanton nicht mehr an der Regierung beteiligt.

Die Verschiebungen aufgrund der zahlreichen Ersatzwahlen 2013 mitberücksichtigend präsentierte sich die Verteilung der total 156 kantonalen Regierungsratssitze per Ende 2013 wie folgt: Trotz der Niederlagen im Jahr 2013 ist die FDP nach wie vor die stärkste Regierungskraft in den Kantonen. 26.9% der Exekutivsitze (42 Sitze) waren in Freisinniger Hand (2012: 29.5%). Die CVP hatte Ende 2013 jeden vierten kantonalen Regierungssitz (39 Sitze) inne. Die SP folgt mit 33 Mandaten auf Rang drei (21.2%). Mit 21 Sitzen nach wie vor etwas abgeschlagen stand die SVP (13,5% aller Sitze) da. Die Grünen mussten sich neu noch mit acht Regierungsmandaten begnügen, während sich sechs weitere Parteien total 13 Sitze teilten (BDP: 4 Sitze, Parteilose: 3 Sitze, Lega: 2 Sitze, AL, CSP, LP und MCG je 1 Sitz). Nach wie vor nicht an kantonalen Regierungen beteiligt ist die GLP.

Im Vergleich zu Ende 2012 haben die Frauen einen Regierungssitz verloren. 35 der schweizweit 156 Regierungssitze waren Ende 2013 in Frauenhand (22,4%). In 19 Kantonen sitzt wenigstens eine Frau in der Exekutive und sechs Kantone kennen zwei Regierungsrätinnen. Einzig im Kanton Waadt regiert eine Frauenmehrheit (4 Mandate). Während bei der SP 42,4% der sozialdemokratischen Regierungsmandate von Frauen besetzt werden und bei den Grünen immerhin noch ein gutes Drittel des Regierungspersonals weiblich ist (37,5%), sitzen die FDP-Frauen nur auf gut jedem vierten freisinnigen Regierungssessel (26,2%). Bei der SVP werden gar nur zwei der 21 SVP-Regierungssitze von Frauen gehalten (9,5%). Noch schlechter schneidet die CVP ab, bei der 5,1% ihrer 39 Regierungsmandate weiblich besetzt sind.

In einigen Kantonen wurden im Berichtjahr Reformen der politischen Rechte vorgenommen, welche die Bestellung der kantonalen Exekutiven beeinflussen. Im Kanton Zug hiessen die Stimmberechtigten mit einem Ja-Anteil von 62.8% die Initiative „Ja zur Personenwahl“ gut. Ab sofort wird die Regierung im Kanton Zug damit also nicht mehr mittels Proporz- sondern mittels Majorzwahlsystem bestimmt. Bereits zum dritten Mal wurde im Kanton Zug über eine entsprechende Änderung abgestimmt, für die sich vor allem die CVP, die FDP und die GLP einsetzten, während sich die kleineren Parteien, aber auch die SP, die SVP und die GP, gegen die Einführung von Majorzwahlen aussprachen. Die Gegner kritisierten, dass sich die CVP und die FDP ihren Machtanspruch sichern wollten. Hauptargumente der Befürworter waren, dass Vakanzen während der Legislatur Neuwahlen nach sich ziehen würden und nicht die jeweilige Partei selber durch Nachrücker über die Nachfolge entscheiden solle. Majorzwahlen seien dagegen Persönlichkeitswahlen, bei denen der Zufall keine Rolle spiele. Auch das Kantonsparlament und die Regierung hatten die Vorlage zur Annahme empfohlen. Mit einer Stimmbeteiligung von 44% wurde damit eine 119jährige Tradition und Zuger Spezialität abgeschafft. Mit dem Zuger Entscheid bleibt das Tessin der einzige Kanton, der seine Regierung noch nach dem Proporzwahlsystem bestimmt, was – wie das Berichtjahr zeigt – auch sehr spezielle Folgen nach sich ziehen kann (siehe unten). Im Kanton Appenzell Ausserrhoden wurde im Rahmen einer Staatsleitungsreform eine Verkleinerung der Exekutive von sieben auf fünf Mitglieder, die Einführung eines Vollamtes, eine Amtszeitbeschränkung auf 16 Jahre und die Abschaffung der Volkswahl des Landammanns beschlossen. Der Kantonsrat beschloss mit 32 zu 28 Stimmen knapp, „die Schatten der Landsgemeinde“ abzustreifen.

Übersicht 2013
Dossier: Kantonale Regierungswahlen 2013

Die Wahl von Pierre Maudet (fdp) in den Genfer Regierungsrat zog Ersatzwahlen für die Stadtregierung nach sich. Schon kurz nach der Wahl des früheren Maire in die kantonale Exekutive fing sich das Kandidatenkarussell für die Nachfolge zu drehen. Die SVP, die als Gegenzug für ihre Unterstützung für Stauffer (mcg) bei den Ersatzwahlen in den Genfer Staatsrat vom MCG unterstützt wurde, nominierte den Gemeinderat Eric Bertinat. Aber auch die FDP und die CVP kündigten ihre Absicht an, den bürgerlichen Sitz in der linksgrün dominierten Stadtregierung verteidigen zu wollen – erst vor einem Jahr war die Zusammensetzung 2 SP, 1 GP, 1 Ensemble à Gauche (EaG), 1 FDP bestätigt worden. Die Linke hatte damals allerdings auf Kosten des MCG die Mehrheit im Parlament der Stadt verloren. Trotz dieses Umstandes und der deutlichen Regierungsmehrheit kündigte die Partei der Arbeit die Kandidatur von Salika Wenger an, die allerdings mit Ausnahme der Juso auf keine grosse Unterstützung seitens der SP und der GP stiess. Für einige Diskussionen sorgte auch die Kandidatenkür der bürgerlichen Entente aus CVP und FDP. Zwar war man sich einig, dass nur eine Kandidatur aufgestellt werden soll, aber sowohl in der FDP als auch in der CVP gab es valable Kandidaten. Erst Mitte August entschloss sich die FDP, ihren Sitz nicht zu verteidigen und stattdessen den CVP-Kandidaten Guillaume Barazzone zu unterstützen. Der FDP gleich tat es die GLP. Die bürgerliche Einheit wurde allerdings noch vor den Wahlen auf eine harte Probe gestellt: bei der einem Gemeindereferendum unterstellten Frage zum Bau von 50 Fussgängerzonen waren die beiden Bündnispartner nicht gleicher Meinung. Als vierter Kandidat und als Unabhängiger stieg Didier Bonny ins Rennen. Bonny war ein Jahr zuvor aus der CVP ausgetreten nachdem ihm Michel Chevrolet als Kandidat für die damaligen Gesamterneuerungswahlen in den Genfer Stadtrat vorgezogen worden war. Es wurde erwartet, dass der eher links der Mitte politisierende Bonny einige Stimmen aus dem linken Lager auf sich vereinen und dass deshalb ein zweiter Wahlgang möglich werden könnte. Dazu kam es dann aber nicht. Guillaume Barazzone konnte – erstmals nach 22 Jahren – für die Christdemokraten den frei gewordenen Sitz und eine Regierungsbeteiligung in der Genfer Stadtexekutive gewinnen. Er erhielt die Unterstützung von 44,7% der Stadtgenfer Wahlberechtigten (13'232 Stimmen) und damit mehr als doppelt so viele Stimmen wie der zweitplatzierte Eric Bertinat (6'461 Stimmen). Keine Chancen auf einen Wahlsieg hatten auch Salika Wenger (5'963 Stimmen) und Didier Bonny (3'915 Stimmen). Nach dem Wahlerfolg der Entente bei den kantonalen Ersatzwahlen, spielte die Zusammenarbeit also auch auf kommunaler Ebene. Während Bertinat die mangelnden finanziellen Ressourcen beklagte und darauf hinwies, dass die geringe Partizipationsrate – lediglich 27% hatten an den Ersatzwahlen teilgenommen – ein Zeichen für einen Protest gegen die Stadtregierung und die Entente sei, freute sich Wenger über die 20% Wählerstimmen, die einen neuen Rekord für die PdA bedeuteten.

Ersatzwahl Stadtregierung Genf 2012
Dossier: Kommunale Wahlen 2012

Eine markante Verschärfung der Gesetze forderte die FDP in der Sicherheitspolitik. Bisher Domäne der SVP, wollte die FDP auch in diesem Politikfeld Präsenz markieren. Mit Schnellverfahren gegen Kleinkriminelle, einer Aufstockung der Polizeicorps, härteren Urteilen gegen Drogenkriminelle und einer Erhöhung der Gefängnisstrafen wollen die Freisinnigen die steigende Kriminalität in den Griff bekommen. In einer Medienpräsentation zeichneten die beiden in ihren Kantonen für die Sicherheit zuständigen Regierungsräte Jacqueline de Quattro (VD) und Pierre Maudet (GE) sowie Nationalrat und Stadtpräsident von Solothurn Kurt Fluri ein düsteres Bild von der Sicherheitslage in der Schweiz. Problem seien insbesondere die laschen nationalen Gesetze. Nur mit Repression und einer härteren Gangart durch die Justiz könne die Sicherheit im Land verbessert werden.

Sicherheitspolitik

Auf kantonaler Ebene machte vor allem der Parteichef des MCG Eric Stauffer auf sich aufmerksam. Weil er während einer Kantonsratssitzung im Genfer Parlament ein Glas Wasser gegen einen Ratskollegen warf, wurde er für fünf Monate aus allen Kommissionen ausgeschlossen. Stauffer trat zudem als Kandidat für die Regierungsrats-Ersatzwahlen des zurückgetretenen Mark Muller an. Dort erzielte er zwar respektable 27,6% der Stimmen, hatte aber gegen Pierre Maudet (fdp) keine Chance. In der Folge rekurrierte Stauffer beim Genfer Verwaltungsgericht gegen die Entscheidung aufgrund von „Unregelmässigkeiten bei der Auszählung der Wahlzettel“. Schliesslich wurde gegen Stauffer Ende August Strafanzeige wegen Körperverletzung eingereicht.

Eric Stauffer