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  • Portmann, Hans-Peter (fdp/plr, ZH) NR/CN
  • Nidegger, Yves (svp/udc, GE) NR/CN

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In der Wintersession 2022 gelangte die parlamentarische Initiative Molina (sp, ZH) betreffend die Verbesserung des Abwehrdispositivs gegen Potentatengelder ins Plenum des Nationalrats. Die Mehrheit der vorberatenden RK-NR beantragte, der Initiative keine Folge zu geben. Gemäss Kommissionssprecher Yves Nidegger (svp, GE) befürchtete sie einen Widerspruch der Forderung zur grundrechtlichen Eigentumsgarantie. Der Vorstoss schaffe zudem eine generelle Korruptionsvermutung gegenüber Personen, die aus einem Land stammten, welches unter Korruption leide oder dessen Rechtsstaat in den Augen der Schweiz ungenügend ausgebaut sei. Eine Minderheit Dandrès (sp, GE) beantragte, der Initiative Folge zu geben. Aufgrund ihrer Stellung im internationalen Finanzplatz sehe sich die Schweiz dem grossen Risiko ausgesetzt, zum sicheren Hafen für Gelder von Potentaten oder diktatorischen Regimen zu werden. Die präventive Blockierung von Gütern oder Vermögenswerten aus illegalem Handel oder Korruption reduziere dieses geopolitische Risiko, so Dandrès. Ausserhalb der sozialdemokratischen, der grünen und der grünliberalen Fraktionen überzeugten diese Argumente allerdings nicht; der Nationalrat gab der parlamentarischen Initiative mit 108 zu 81 Stimmen bei einer Enthaltung keine Folge.

Améliorer le dispositif de lutte contre les avoirs de potentats (In. Pa. 21.523)

In der Wintersession 2022 stand die parlamentarische Initiative von Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) mit dem Titel «Anreizsystem beim Umweltschutz verfassungsrechtlich verankern» auf der Traktandenliste des Nationalrates. Der Initiant legte dem Plenum dar, dass er und einige weitere «ökologisch-liberale Persönlichkeiten» zum Schluss gekommen seien, dass die Kosten, die durch umweltschädigendes Verhalten entstehen, solidarisch von den Verursachenden und von der Allgemeinheit zu tragen seien, denn die Verursachenden alleine könnten realiter schon lange nicht mehr selber für die Kosten aufkommen. Im Gegenzug solle umweltfreundliches Verhalten belohnt werden. Portmann zeigte sich überzeugt, dass dieser liberale Ansatz in Zukunft zu mehrheitsfähigen Gesetzen und Regelungen führen würde. Eine deutliche Mehrheit der zuständigen UREK-NR sei jedoch nicht bereit gewesen, der FDP in Zeiten des Wahlkampfs Zustimmung in Umweltfragen zu geben, und habe die Initiative daher mit «irgendwelche[n] Begründungen» abgelehnt, kritisierte Portmann. Er zog seine Initiative deshalb in der Folge zurück.

Anreizsystem beim Umweltschutz verfassungsrechtlich verankern (Pa.Iv.21.456)

In der Wintersession 2022 stimmte der Nationalrat erstmals über ein gesetzliches Verbot von Konversionsmassnahmen ab. Obschon bereits einige Vorstösse zur gesetzlichen Regelung von Konversionstherapien im Parlament eingereicht worden waren, wurden diese angesichts der vorliegenden Kommissionsmotion der RK-NR allesamt in der Herbstsession 2022 zurückgezogen. Die Motion der RK-NR beabsichtigt, eine Gesetzesgrundlage für ein Verbot von Konversionstherapien und eine entsprechende Strafnorm zu erschaffen. Als Konversionsmassnahmen werden Methoden bezeichnet, die auf eine Veränderung der Geschlechteridentität oder der sexuellen Orientierung einer Person abzielen. Die RK-NR hob insbesondere die Notwendigkeit einer einheitlichen, bundesweiten Regelung hervor, um einen kantonalen Flickenteppich zu vermeiden. Der Bundesrat argumentierte, dass lieber zuerst ein Bericht des EDI zur Erfüllung eines Postulats von Siebenthal (svp, BE; Po. 21.4474) abgewartet werden sollte, da dieser eine Einschätzung zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung von Konversionsmassnahmen enthalten werde. Ebenso stellte sich eine Minderheit Nidegger (svp, GE) gegen den Vorstoss. Der Nationalrat sprach sich hingegen mit 143 zu 37 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) klar für ein Verbot von Konversionsmassnahmen aus, wobei mehr als die Hälfte der SVP-Fraktion sowie je zwei Mitglieder der FDP- respektive Mitte-Fraktion den Vorstoss ablehnten.

Kommissionsmotion verlangt Verbot von Konversionsmassnahmen (Mo. 22.3889)
Dossier: Verbot von Konversionstherapien

Der Nationalrat befasste sich in der Wintersession 2022 mit fünf gleichlautenden parlamentarischen Initiativen mit dem Titel «Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur» von Vertreterinnen und Vertretern der Grünen-, der GLP-, der FDP.Liberalen-, der SP- sowie der Mitte-Fraktion. Marionna Schlatter (gp, ZH) und Jon Pult (sp, GR) erläuterten den Initiativtext und setzten sich dafür ein, dass in der Bundesverfassung ein Grundrecht auf eine gesunde Umwelt festgeschrieben wird. Zudem solle in der BV auch eine Grundlage dafür geschaffen werde, dass die Natur zumindest teilweise eine Rechtspersönlichkeit erhält. Nur dadurch könne der ungenügende Schutz der Natur justiziabel gemacht werden. Anschliessend empfahl Yves Nidegger (svp, GE) im Namen der Mehrheit der RK-NR, den fünf Initiativen keine Folge zu geben. Zum einen sei die Bestimmung des Rechts auf eine gesunde Umwelt zu unbestimmt, um dieses zu einem Verfassungsrecht zu erklären. Zum anderen sei die Forderung, die Natur zum Rechtssubjekt zu machen, in der Schweizer Rechtsordnung nicht vorgesehen, denn einem Rechtssubjekt stünden gemäss der hiesigen Rechtsordnung nicht nur Rechte zu, sondern oblägen auch gewisse Pflichten, die man der Natur nicht auferlegen könne. In der Abstimmung sprachen sich 87 Mitglieder des Nationalrates für Folgegeben aus, 101 votierten dagegen und 1 Person enthielt sich der Stimme. Gegen Folgegeben stimmten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion sowie die fast geschlossen stimmenden Fraktionen der FDP.Liberalen und der Mitte. Die fünf parlamentarischen Initiativen sind damit erledigt.

Fünf gleichlautende parlamentarische Initiativen mit dem Titel "Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur"

In der Wintersession 2022 gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Dandrès (sp, GE), wonach Entschädigungen und Kosten bei Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen von Massenentlassungen von der öffentlichen Hand getragen werden sollen, mit 125 zu 69 Stimmen keine Folge. Eine Mehrheit des Rates war der Ansicht, dass private Schiedsgerichtsverfahren nicht durch die öffentliche Hand bezahlt werden sollten. Nachdem bereits im Mai 2022 eine Mehrheit der vorberatenden RK-NR die vorgeschlagene Anpassung des OR mit 16 zu 9 Stimmen abgelehnt hatte, war die Initiative damit erledigt.
Man müsse nicht eine Lösung suchen, wo kein Problem bestehe, meinte Kommissionssprecher Yves Nidegger (svp, GE) im Rat. Mehrere Kantone böten bereits öffentliche Schiedsgerichte an, welche die Kosten auf die Arbeitgebenden überwälzen könnten. Seit der Einführung der entsprechenden Bestimmung im OR sei es zudem zu verhältnismässig wenigen Schiedsgerichtsfällen gekommen, weshalb eine Gesetzesänderung nicht notwendig sei. Der Initiant erläuterte das aktuelle System: Bei Massenentlassungen in Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden – in diesen Fällen greift die 2014 eingeführte Pflicht zur Findung eines Sozialplans – würden die Kosten eines Schiedsgerichts den beiden Parteien auferlegt. Dies führe dazu, dass Arbeitnehmende eher auf unvorteilhafte Konditionen eingingen, um lange und teure Verfahren zu vermeiden. Würde hingegen die öffentliche Hand diese Kosten tragen, so könnte dieser Missstand behoben werden. Schliesslich sei es normal, dass die Allgemeinheit für die Kosten einer gesetzlichen Pflicht aufkomme, versuchte Dandrès vergeblich, den Rat zu überzeugen.

Entschädigungen und Verfahrenskosten bei Verfahren vor einem Schiedsgericht nach Massenentlassungen (Pa.Iv. 21.430)

Der Nationalrat beugte sich in der Wintersession 2022 als Zweitrat über die Revision des Sexualstrafrechts. Wie bereits in der Ständekammer wurde das Ziel des Revisionsprojekts, das in die Jahre gekommene Sexualstrafrecht an die veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen, auch im Nationalrat allseits begrüsst. Eintreten war somit unbestritten.

Die Debatte um den umstrittensten Punkt der Vorlage, die Modellwahl zwischen «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein», fand in der grossen Kammer im Vergleich zum Ständerat unter umgekehrten Vorzeichen statt: Während sich in der Kantonskammer eine Minderheit der Kommission erfolglos für die Zustimmungslösung ausgesprochen hatte, beantragte im Nationalrat die Mehrheit der vorberatenden Rechtskommission die Verankerung des «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzips im Strafgesetzbuch. Gemäss Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) wolle man damit klar zum Ausdruck bringen, «dass einvernehmliche sexuelle Handlungen im Grundsatz immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen sollen» und «dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung betrachtet wird». Mit der Zustimmungslösung solle bei der Aufklärung von Sexualdelikten zudem mehr das Verhalten des Täters oder der Täterin in den Fokus rücken, und nicht die Frage, ob und wie sich das Opfer gewehrt habe. Letzteres solle sich nicht schuldig fühlen, wenn es nicht in ausreichendem Mass Widerstand geleistet habe. Demgegenüber fordere die «Nein heisst Nein»-Lösung vom Opfer weiterhin einen zumutbaren Widerstand. Bundesrätin Karin Keller-Sutter argumentierte hingegen, dass das Widerspruchsprinzip klarer sei. Jemand könne auch aus Angst oder Unsicherheit Ja sagen, ohne dies tatsächlich zu wollen, wohingegen ein explizites oder stillschweigendes Nein – etwa eine ablehnende Geste oder Weinen – nicht als Zustimmung missverstanden werden könne. Über ein geäussertes Nein könne das Opfer im Strafverfahren allenfalls aussagen, über ein fehlendes Ja jedoch nicht, denn einen Negativbeweis gebe es nicht, ergänzte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS), der mit seiner Minderheit ebenfalls für «Nein heisst Nein» eintrat. Wie schon im Ständerat herrschte derweil auch im Nationalrat weitgehende Einigkeit, dass der Unterschied zwischen den beiden Varianten juristisch gesehen «verschwindend klein» sei, wie es Tamara Funiciello (sp, BE) ausdrückte, und es vor allem um Signale gehe. Während die Advokatinnen und Advokaten der Zustimmungslösung darin eine gesellschaftliche Haltung sahen, die die sexuelle Selbstbestimmung betone, erachteten die Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchslösung das Strafrecht nicht als den richtigen Ort für Symbolik – so fasste Christa Markwalder (fdp, BE) die Positionen in ihrer gespaltenen Fraktion zusammen. Als eine Art Mittelweg bewarb eine Minderheit Nidegger (svp, GE) unterdessen die im Ständerat gescheiterte Umformulierung des Widerspruchsprinzips. Diese wollte durch die explizite Nennung von verbaler und nonverbaler Ablehnung die Fälle von sogenanntem Freezing – wenn das Opfer in einen Schockzustand gerät und dadurch widerstandsunfähig ist – besser abdecken. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte indes, auch mit der Widerspruchslösung seien Freezing-Fälle abgedeckt und die Minderheit Nidegger bringe somit keinen Mehrwert. Die Minderheit Nidegger unterlag der «Nein-heisst-Nein»-Lösung wie vom Bundesrat vorgeschlagen denn auch deutlich mit 118 zu 64 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Ebenso chancenlos blieb die Minderheit Reimann (svp, SG), die statt dem vorgesehenen Kaskadenprinzip in Art. 189 und 190 StGB – einer Definition des Grundtatbestands ohne Nötigung (Abs. 1), wobei Nötigung sowie Grausamkeit als zusätzliche Erschwernisse in den Absätzen 2 und 3 aufgeführt werden – einen eigenen Tatbestand für Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung schaffen wollte, sodass das Nötigungselement in den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bliebe. Dieses Konzept war allerdings bereits in der Vernehmlassung harsch kritisiert worden. «Nur Ja heisst Ja» setzte sich schliesslich mit 99 zu 88 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen «Nein heisst Nein» durch. Zum Durchbruch verhalfen der Zustimmungslösung neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP Minderheiten aus der FDP- und der Mitte-Fraktion sowie SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE).

Neben der Modellwahl diskutierte die grosse Kammer auch die Strafrahmen ausführlich. Hier hielt sie sich mit einer Ausnahme überall an die Vorschläge ihrer Kommissionsmehrheit und lehnte zahlreiche Minderheitsanträge aus den Reihen der SVP- und der Mitte-Fraktion ab, die schärfere Strafen forderten. Härtere Sanktionen seien ursprünglich das Ziel der Strafrahmenharmonisierung gewesen, wovon auch die vorliegende Revision Teil sei, argumentierte Barbara Steinemann (svp, ZH). Solange «Belästiger mit symbolischen Strafen aus dem Gerichtssaal davonlaufen» könnten, sei auch die Zustimmungslösung nur ein «Ablenkungsmanöver», warf sie der Ratsmehrheit vor. Letztere wollte allerdings den Ermessensspielraum der Gerichte nicht einschränken. Es wurde befürchtet, dass die Gerichte sonst höhere Massstäbe an die Beweiswürdigung setzen könnten und es damit zu weniger Verurteilungen kommen könnte. Eine Mindeststrafe müsse immer «auch den denkbar leichtesten Fall abdecken», mahnte Justizministerin Keller-Sutter. Einzig bei der Vergewaltigung mit Nötigung – dem neuen Art. 190 Abs. 2, der im Grundsatz dem heutigen Vergewaltigungstatbestand entspricht – folgte der Nationalrat mit 95 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen der Minderheit Steinemann und übernahm die bereits vom Ständerat vorgenommene Verschärfung. Damit beträgt die Mindeststrafe für diesen Tatbestand neu zwei Jahre Freiheitsstrafe, Geldstrafen sowie bedingte Strafen sind demnach ausgeschlossen. Vergewaltigerinnen und Vergewaltiger müssen damit künftig zwingend ins Gefängnis. Bisher betrug die Mindeststrafe für Vergewaltigung ein Jahr Freiheitsstrafe, wobei diese auch (teil-)bedingt ausgesprochen werden konnte.

In einem zweiten Block beriet die Volkskammer noch diverse weitere Anliegen im Bereich des Sexualstrafrechts. Die Forderung einer Minderheit Funiciello, dass verurteilte Sexualstraftäterinnen und -täter obligatorisch ein Lernprogramm absolvieren müssen, wie dies bei häuslicher Gewalt oder Pädokriminalität bereits der Fall ist, wurde mit 104 zu 85 Stimmen abgelehnt. Da die Art des Delikts nicht berücksichtigt würde, handle es sich um eine «undifferenzierte Massnahme», so Kommissionssprecherin von Falkenstein. Mit 98 zu 84 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat indessen dafür aus, die Altersgrenze für die Unverjährbarkeit von Sexualverbrechen auf 16 Jahre anzuheben. Bislang lag diese bei 12 Jahren, wie es bei der Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative festgelegt worden war. Die Mehrheit argumentierte, so falle die Grenze für die Unverjährbarkeit mit dem Alter der sexuellen Mündigkeit zusammen. Den neuen Tatbestand der Rachepornografie hiess die grosse Kammer stillschweigend gut, verfrachtete ihn aber in einen anderen Artikel innerhalb des StGB. Anders als der Ständerat nahm der Nationalrat stillschweigend auch einen Tatbestand für Grooming ins Gesetz auf. In der Vernehmlassung sei dieser Vorschlag sehr positiv aufgenommen worden, erklärte die Kommissionssprecherin. Das Anliegen einer Minderheit von Falkenstein, sexuelle Belästigung nicht nur in Form von Wort, Schrift und Bild zu bestrafen, sondern auch andere sexuell konnotierte Verhaltensweisen – beispielsweise Gesten oder Pfiffe – unter Strafe zu stellen, scheiterte mit 96 zu 93 Stimmen knapp. Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnte vor einer «uferlosen Strafbarkeit», da mit der geforderten Ergänzung die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten unklar wäre. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Einzelantrag von Léonore Porchet (gp, VD), die ein Offizialdelikt für sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum einführen wollte. Die betroffene Person solle selbst entscheiden können, ob sie eine Strafverfolgung wünsche oder an ihrer Privatsphäre festhalten möchte, argumentierte Justizministerin Keller-Sutter dagegen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Entwurf mit 127 zu 58 Stimmen bei 5 Enthaltungen an. Mit der Ausnahme von Céline Amaudruz stellte sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Sie wurde von einigen Stimmen aus der Mitte-Fraktion unterstützt, aus der auch die Enthaltungen stammten. Das Ergebnis war Ausdruck der Enttäuschung des rechtsbürgerlichen Lagers über die ablehnende Haltung des Rats gegenüber Strafverschärfungen. SVP-Vertreterin Steinemann hatte schon in der Eintretensdebatte angekündigt, dass ihre Fraktion die Vorlage ablehnen werde, «sofern nicht deutlich schärfere Sanktionen resultieren».

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Im November 2022 reichten die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte zwei fast gleichlautende Kommissionsmotionen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft ein. Während sowohl die APK-NR (Mo. 22.4278) als auch die APK-SR (Mo. 22.4274) den Bundesrat damit beauftragen wollten, angemessene Massnahmen zu ergreifen, um die iranische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf für Frauen- und Menschenrechte zu unterstützen, forderte die nationalrätliche Motion zusätzlich die vollständige Übernahme der EU-Sanktionen gegen Mitglieder des iranischen Regimes. Beide Kommissionen begründeten ihre Vorstösse damit, dass das iranische Regime mit physischer Gewalt gegen die zivilgesellschaftlichen Proteste vorgehe und iranische NGOs daher finanziell und durch weitere geeignete Massnahmen unterstützt werden müssten.
Eine Kommissionsminderheit Nidegger (svp, GE) in der APK-NR und eine Kommissionsminderheit Chiesa (svp, TI) in der APK-SR beantragten, die Motionen abzulehnen. Auch der Bundesrat sprach sich für die Ablehnung beider Motionen aus, da die Schweiz bereits mit mehreren diplomatischen Interventionen auf bilateraler und multilateraler Ebene auf die jüngsten Entwicklungen reagiert habe. Das EDA führe zudem einen Menschenrechtsdialog mit dem Iran und spreche dabei auch Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen gezielt und offen an. Eine Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen sei mit erheblichen Risiken verbunden, da Vergeltungsmassnahmen gegen diese Organisationen ergriffen werden könnten, argumentierte der Bundesrat weiter. Die Schweiz arbeite gemäss dem Vorsorgeprinzip mit internationalen Organisationen zusammen, unter anderem unterstütze das EDA Projekte des UNICEF und des OHCHR im Bereich der Jugendjustiz. Die Schweizer Botschaft in Teheran fördere zudem NGO-Projekte in den Bereichen Entwicklung, humanitäre Hilfe und menschliche Sicherheit zugunsten der iranischen Bevölkerung. Der Bundesrat gewichte schliesslich die besondere Rolle der Schweiz mit ihren Schutzmachtmandaten höher als den möglichen Effekt zusätzlicher Sanktionen gegen den bereits stark sanktionierten Iran.

Während der Ständerat die Motion seiner APK in der Frühjahrssession mit 20 zu 19 Stimmen (bei 1 Enthaltung) aufgrund der Gegenstimmen der FDP-, SVP- und einiger Mitte-Mitglieder knapp ablehnte, beschloss der Nationalrat mit 105 zu 65 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gegen den Willen der SVP- und der FDP-Fraktion die Annahme der Motion seiner Kommission. Im Ständerat standen vor allem die wichtige Rolle der Schweiz mit ihren Schutzmachtmandaten im Iran und der privilegierte diplomatische Zugang zum Regime im Vordergrund. Auch in der nationalrätlichen Debatte wurden diese Bedenken aufgeworfen, verfingen aber bei der Ratsmehrheit nicht. Nationalrat Walder (gp, GE) warnte etwa davor, dass der Iran nicht davon ausgehen dürfe, dass ihm die Gewährung von Schutzmachtmandaten eine Vorzugsbehandlung durch die Schutzmächte garantiere. Die Menschenrechtsbilanz des Iran sei seit Jahren dramatisch und ein Verzicht auf weitere Sanktionen könnte als Unterstützung des Regimes interpretiert werden.

Kommissionsmotionen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft (Mo. 22.4278 & Mo. 22.4274)

Am 15. Oktober 2022 enstand aus der Fusion der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns)», dem «Komitee Nein zum schleichenden EU-Beitritt (EU-No)» und der «Unternehmer-Vereinigung gegen den EU-Beitritt» ein neuer nationalkonservativer und EU-skeptischer Verein namens «Pro Schweiz». An dessen Gründungsversammlung beschlossen die anwesenden Mitglieder, die von Alt-Bundesrat Christoph Blocher lancierte Neutralitätsinitiative inhaltlich sowie finanziell zu unterstützen. Die Volksinitiative entstand in Reaktion auf die Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland und die neue Auslegung der Neutralitätspolitik. Die Initiative wurde am 19. Oktober lanciert und hat das Ziel, eine «immerwährende» und «bewaffnete» Neutralität in der Verfassung zu verankern. Das Begehren will der Schweiz den Beitritt zu Militär- und Verteidigungsbündnissen und die Beteiligung an militärischen Auseinandersetzungen verbieten. Auch nichtmilitärische Zwangsmassnahmen wie Wirtschaftssanktionen sollen laut Initiative tabu werden. Die einzigen Ausnahmen bilden die Verpflichtungen gegenüber der UNO und Massnahmen zur Verhinderung der Umgehung von Sanktionen von Drittstaaten. Eine weitere Forderung der Initiative beinhaltet, dass die Schweiz ihre Neutralität nutzt, um Konflikte zu verhindern oder aufzulösen, indem sie sich als Vermittlerin einsetzt. Erstaunlicherweise war Christoph Blocher, der die Initiative massgebend vorangetrieben hatte, nicht Teil des Initiativkomitees. Blocher liess verlauten, dass er in seinem Alter keinen Abstimmungskampf mehr führen wolle. Präsidiert wurde das Initiativkomitee von SVP-Nationalrat Walter Wobmann (svp, SO), der in der Rolle des Abstimmungskämpfers schon bei der Minarett- und der Burka-Initiative erfolgreich gewesen war. Die Frist für das Sammeln der nötigen 100'000 Unterschriften läuft bis zum 8. Mai 2024.

Die Initiative stiess bei den Parlamentariern und Parlamentarierinnen anderer Parteien auf wenig Gegenliebe. Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) sprach sich gegen das Begehren aus, da sich die Schweiz nicht «in jeder Krise hinter der Neutralität verstecken» dürfe. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) erachtete die SVP-Initiative als falschen Weg.

Lancierung der Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität (Neutralitätsinitative)»

Die Motion für eine kohärente, umfassende und eigenständige Sanktionspolitik gelangte in der Sommersession 2022 in den Nationalrat; zuvor war sie von einer Mehrheit der APK-NR zur Annahme empfohlen worden. Deren Sprecher, Gerhard Pfister (mitte, ZG), bezeichnete das Vorgehen des Bundesrats als inkohärent, da dieser einerseits die Übernahme der EU- und UNO-Sanktionen als «eigenständig» bezeichne und gleichzeitig eine verstärkte nationale und internationale Zusammenarbeit angekündigt habe, ohne diese weiter auszuführen. Auch habe der Bundesrat in der Kommissionsberatung versprochen, im angekündigten Neutralitätsbericht auf das Anliegen einzugehen, auf diesen habe der Bundesrat in der Zwischenzeit aber verzichtet. Pfisters Kommissionskollege Nicolas Walder (gp, GE) erklärte, dass die Thematik einer transparenten und proaktiven Sanktionspolitik aktuell bleibe, auch wenn man dem Bundesrat im Rahmen der Änderung des Embargogesetzes bereits mehr Flexibilität zusprechen wolle. Walder nannte die Sanktionspolitik des Bundesrats «unklar» und «wenig kohärent» und meinte, dass der Spielraum des Bundesrats bei der Übernahme von Sanktionen das Risiko einer gewissen Undurchsichtigkeit mit sich bringe, sofern man die Sanktionspolitik der Schweiz nicht in eine klare Strategie einbette. Hans-Peter Portmann (fdp, ZH), der eine Kommissionsminderheit auf Ablehnung anführte, bemängelte, dass in den Überlegungen der Kommissionsmehrheit die Nachteile von eigenständigen Sanktionen zu wenig gewichtet würden. Man bürde dem Bundesrat auch eine zu grosse Arbeitslast auf, wenn dieser eigenständig Analysen durchführen müsste, um zu entscheiden, wer alles sanktioniert werden müsse. Bundesrat Guy Parmelin wiederum drückte sein Unverständnis darüber aus, dass der Nationalrat in der Debatte zum Embargogesetz die Möglichkeit autonomer Sanktionen in Bezug auf schwere Menschenrechtsverletzungen abgelehnt habe, mit der vorliegenden Motion jedoch autonome Sanktionen in allen Bereichen zulassen möchte. Er machte klar, dass der Gesamtbundesrat bei einer Annahme der Motion grosse Risiken für die Schweiz auf mehreren Ebenen befürchte. Nicht nur würde die Neutralität der Schweiz in Frage gestellt, darüber hinaus müsse man auch Gegenmassnahmen direkt gegen die Schweiz befürchten. Autonome Sanktionen haben laut Parmelin auch nur eine begrenzte Wirkung, wenn diese nicht mit jenen der wichtigsten Partnerstaaten koordiniert würden. Zudem sei der Nachrichtendienst personell gar nicht dafür ausgestattet, eigene Sanktionen umzusetzen. Auch auf technischer Ebene sei eine solche Umsetzung nicht machbar, weil man beispielsweise Gas aus den Nachbarländern ankaufe und dessen Herkunft nicht eindeutig bestimmbar sei. Die von der Motion geforderten Ausgleichsmassnahmen für Bevölkerung und Wirtschaft seien ebenfalls nicht umsetzbar, da man nicht zweifelsfrei bestimmen könne, welche finanziellen Einbussen von den Schweizer Sanktionen und welche von der allgemeinen Wirtschaftslage, dem Ukrainekrieg oder den internationalen Sanktionen stammten. Aus diesen Gründen beantragte er die Ablehnung der Motion. Der Nationalrat setzte sich jedoch über die Meinung des Bundesrats hinweg und nahm die Motion mit 101 zu 84 Stimmen an. Die Gegenstimmen stammten von der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion sowie einigen Mitgliedern der Mitte-Fraktion.

Kohärente, umfassende und eigenständige Sanktionspolitik (Mo. 22.3395)
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)
Dossier: Die Schweizer Neutralität

Im Juni 2022 reichte die APK-NR eine Motion ein, mit der sie sich für sozialpartnerschaftliche Lösungen im EU-Dossier einsetzte. Sie wollte den Bundesrat damit beauftragen, im EU-Dossier mit den Sozialpartnern eine tragfähige Einigung zu finden, wie den Schweizer Anliegen beim Lohnschutz und beim Schutz der Sozialwerke Rechnung getragen werden kann. Zudem sollte der Bundesrat dem Parlament regelmässig Bericht über die Entwicklungen der Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern erstatten und Schutzklauseln in den zentralen Fragen der Personenfreizügigkeit – insbesondere den flankierenden Massnahmen – mit der EU prüfen und diese dem Parlament vorlegen. Die Kommissionsmehrheit sah den Hauptgrund für den Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen in der «einseitigen Aufkündigung der sozialpartnerschaftlichen Rahmenbedingungen und Verpflichtungen in der Europapolitik [...] durch den Bundesrat», indem sich dieser entschied, das Verhandlungsergebnis zum institutionellen Rahmenabkommen aufgrund offener Punkte bei den flankierenden Massnahmen und der Unionsbürgerrichtlinie vorerst nicht zu paraphieren. Nun müsse der sozialpartnerschaftliche Konsens wiederhergestellt werden, bevor eine breite inländische Abstützung für weitere Schritte hin zu einem guten bilateralen Verhältnis hergestellt werden könne, so die APK-NR. Es brauche ein «inländisches Commitment» zwischen Sozialpartnern und jenen Parteien, die an einer Weiterführung des institutionellen Verhältnisses mit der EU interessiert seien, damit der Schutz der Löhne und des Sozialsystems in künftigen Abkommen gesichert seien. Eine Kommissionsminderheit Portmann (fdp, LU) beantragte die Ablehnung der Motion.

In seiner Stellungnahme anerkannte der Bundesrat zwar die Bedeutung der Sozialpartner in der Europapolitik, hielt jedoch entgegen, dass er deren Anliegen bereits bei den Verhandlungen über das InstA Rechnung getragen habe. Sie seien auch in allen Verhandlungsschritten involviert gewesen, unter anderem bei der 2019 durchgeführten Konsultation. Ab Mitte 2019 habe man die Sozialpartner zudem bei der Lösungssuche in den drei noch offenen Punkten miteinbezogen. Auch nach dem Abbruch der Verhandlungen seien ihre Positionen berücksichtigt worden, zuletzt bei einem Austausch mit Bundesrätin Keller-Sutter und Bundesrat Parmelin im Mai 2022.
Zur zweiten Forderung – der Information des Parlaments – erklärte der Bundesrat, dass die aussenpolitischen Kommissionen laufend über europapolitische Aktualitäten informiert und gegebenenfalls sogar konsultiert würden. Eine regelmässige Berichterstattung im Parlament würde jedoch die Schweizer Verhandlungspositionen offenlegen und damit die Verhandlungsposition der Schweiz schwächen. Zusätzliche Schutzklauseln seien nicht nötig, da die Schweiz bereits jetzt für den Fall von «schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Störungen» temporär vom FZA abweichende Massnahmen ergreifen könne, sofern die EU damit einverstanden sei. Der Bundesrat beantragte dementsprechend die Ablehnung der Motion.

In der Herbstsession 2022 befasste sich der Nationalrat mit der Motion seiner aussenpolitischen Kommission. Gerhard Pfister (mitte, ZG) erklärte im Namen der APK-NR, dass ein europapolitischer Konsens zwischen Sozialpartnern und Parteien der Grundstein für eine glaubwürdige und verbindliche Verhandlungsposition der Schweiz darstelle. Nur so könne eine erarbeitete Lösung auch einem allfälligen Referendum standhalten. Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) forderte den Nationalrat im Namen seiner Minderheit hingegen auf, den Kommissionsvorstoss abzulehnen. Er resümierte, dass die Arbeitgeberschaft zu Konzessionen bereit sei, während die Gewerkschaften nicht von ihrer Maximalforderung abrückten, den gesamten Personenfreizügigkeitskreis von der Streitschlichtung auszunehmen. Er warb daher dafür, dass man auch ohne Gewerkschaften eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung für gute flankierende Massnahmen gewinnen könne. Bundesrat Parmelin stellte zu Beginn seiner Stellungnahme klar, dass die Einbeziehung aller relevanten Interessengruppen in der Europapolitik grosses Gewicht besässe. Die im Motionstext erwähnte Aufkündigung der sozialpartnerschaftlichen Rahmenbedingungen sei denn auch nicht einseitig gewesen. Er versprach, dass der Gesamtbundesrat den Dialog mit den Sozialpartnern im Hinblick auf die zukünftigen Verhandlungen mit der EU fortführen werde, und beantragte die Ablehnung der Motion. Die grosse Kammer nahm diese mit 104 zu 80 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) gegen der Willen der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion jedoch an.

Sozialpartnerschaftliche Lösungen im EU-Dossier (Mo. 22.3871)

In der Herbstsession 2022 behandelte der Nationalrat ein Postulat seiner aussenpolitischen Kommission, welches sich mit den «Unterschiede[n] zwischen dem Schweizer und dem EU-Recht im Bereich des Arbeitnehmerschutzes» beschäftigte. Die APK-NR verlangte vom Bundesrat einen Bericht, in dem dieser aufzeigen sollte, welche Anpassungen nötig wären, um das Schweizer Recht im Bereich des Arbeitnehmendenschutzes demjenigen der EU anzugleichen. Ausserdem sollte der Bericht aufzeigen, ob eine derartige Angleichung den Arbeitnehmendenschutz verbessern oder verschlechtern würde. Kommissionssprecher Molina (sp, ZH) erklärte, dass der Bundesrat nach dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen autonome Anpassungen des nationalen Rechts an dasjenige der EU geprüft habe, sich dabei aber auf die fünf vom damaligen InstA betroffenen Marktzugangsabkommen beschränkt habe. Die APK-NR wolle jedoch diese Untersuchungen auf weitere Bereiche ausweiten. Seine Kommissionskollegin Bulliard-Marbach (mitte, FR) fügte an, dass das Parlament eine gute Entscheidungsgrundlage für die anstehenden Verhandlungen mit der EU benötige und die Themen Personenfreizügigkeit und Arbeitnehmendenschutz im Mittelpunkt der Diskussionen stehen dürften. Eine Kommissionsminderheit Portmann (fdp, ZH) beantragte der grossen Kammer, den Vorstoss abzulehnen. Portmann vertrat die Ansicht, dass der Sozialbereich nicht Teil der Binnenmarktabkommen mit der EU sei und die Schweiz zurzeit eine liberale Regulierung des Arbeitsmarktes praktiziere. Eine derartige Analyse sei dementsprechend nicht relevant. Der Minderheitssprecher bezeichnete das Postulat als «Frontalangriff auf unseren noch halbwegs liberalen Arbeitsmarkt» und fürchtete sich vor einem «sozialistischen Arbeitsmarkt». Auch der Bundesrat zweifelte den Nutzen des Postulates an, da eine derartige Analyse lückenhaft ausfallen würde. Bundesrat Guy Parmelin wies darauf hin, dass das Schweizer System auf einer starken Sozialpartnerschaft und einem gemeinsamen Dialog mit allen Anspruchsgruppen beruhe, mithilfe derer man spezifische Branchenlösungen suche. Man beobachte die Entwicklungen im EU-Recht aufmerksam und berücksichtige diese, sofern sie zur Erreichung der Schweizer Ziele beitragen. Der Nationalrat stimmte schliesslich mit 90 zu 90 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nach Stichentscheid von Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) für die Annahme des Postulats. SP, Grüne und Grünliberale stimmten dafür, SVP und FDP dagegen, die Mitte zeigte sich gespalten.

Unterschiede zwischen dem Schweizer und dem EU-Recht im Bereich des Arbeitnehmerschutzes

Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) intendierte mit einer im Juni 2021 eingereichten parlamentarischen Initiative, ein neues Anreizsystem beim Umweltschutz in der Verfassung zu verankern. Gemäss Portmann sei es angezeigt, dass die Umweltpolitik nicht nur die Verursachenden von Schäden an der Umwelt bestrafe (Verursacherprinzip), sondern auch dem Umweltschutz förderliches Verhalten begünstige. Beispiele aus der Vergangenheit hätten gezeigt, dass ein Anreizsystem, welches vorbildliches Verhalten finanziell belohnt, erfolgversprechend sei. Zudem sollten die Kosten, welche durch schädliche Einwirkungen an der Umwelt entstehen, solidarisch von den Verursachenden und der Allgemeinheit getragen werden. Dies im Gegensatz zur aktuellen Rechtslage, wo alleine die Verursachenden dafür aufkommen müssen.
Die UREK-NR beugte sich im August 2022 über das Geschäft und beschloss mit 19 zu 2 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben. Zum einen sei unklar, wie die Initiative genau umgesetzt werden solle, zum anderen stiess die Idee einer Solidarhaftung der Allgemeinheit bei Umweltschäden auf Kritik.

Anreizsystem beim Umweltschutz verfassungsrechtlich verankern (Pa.Iv.21.456)

In der Sommersession 2022 folgte der Nationalrat seiner SPK-NR und gab der parlamentarischen Initiative Nidegger (svp, GE) keine Folge. Die Initiative forderte, dass Härtefallbewilligungen nur dann gewährt werden können sollen, wenn die Kontingente für Aufenthaltsbewilligungen für Personen aus Drittstaaten noch nicht ausgeschöpft sind. Damit gilt der Vorstoss als erledigt. Für Folgegeben hatte sich lediglich die SVP-Fraktion eingesetzt.

Härtefälle den kantonalen Höchstzahlen für Bewilligungen anrechnen (Pa.Iv. 21.433)

In der Sommersession 2022 beriet der Ständerat eine Motion Portmann (fdp, ZH), die für ökologische Kompensation beim Freihandel warb. Die WAK-SR hatte die Motion in der Kommissionssitzung vom 9. Mai 2022 beraten und diese ihrem Rat nach Stichentscheid ihres Präsidenten Alex Kuprecht (svp, SZ) zur Ablehnung beantragt. Trotz der knappen Entscheidung in der Kommission wurde kein Minderheitsantrag auf Annahme der Motion gestellt. In ihrem Kommissionsbericht erklärte die Kommission, dass man zwar Handlungsbedarf gesehen habe, auf Bundesebene aber keine neuen Instrumente zur Förderung des Verkaufs von regionalen und nachhaltig produzierten Produkten schaffen, sondern stattdessen auf den bestehenden Instrumenten aufbauen wolle. Die Kommission erachtete vor allem regionale Initiativen als besonders unterstützenswert. Aus diesem Grund habe sie einstimmig ein Kommissionspostulat (Po. 22.3407) verabschiedet, welches den Bundesrat damit beauftrage zu prüfen, inwiefern die bestehenden Instrumente zur Stärkung der Marktposition von Schweizer Produkten gegenüber importierten Lebensmitteln weiterentwickelt werden könnten.
Kommissionssprecher Kuprecht empfahl dem Rat im Namen der WAK-SR, die Motion abzulehnen und dafür das Postulat anzunehmen. Der anwesende Bundesrat Parmelin befürwortete zwar die Stossrichtung von Portmanns Motion, empfahl aber ebenfalls deren Ablehnung und zwar gleich aus mehreren Gründen: Nicht nur existierten bereits diverse Instrumente, die zur Erreichung des Motionsanliegens genutzt werden könnten; die in der Motion genannten Ideen könnten darüber hinaus auch bei einer Ablehnung des Vorstosses geprüft werden. Schliesslich zeigte sich Parmelin nicht mit Portmanns Argumentation einverstanden, dass sich von der Länge des Transportweges direkt eine Aussage über die Nachhaltigkeit eines Produkts ableiten liesse. Er begrüsste hingegen das Kommissionspostulat der WAK-SR, da dieses im Rahmen der Weiterentwicklung der Agrarpolitik berücksichtigt werden könne. Die kleine Kammer folgte diesen Empfehlungen, lehnte die Motion stillschweigend ab und nahm das Postulat an.

Ökologische Kompensation beim Freihandel (Mo. 19.4018)

En lieu et place de la Mo. 19.4018 Portmann (plr, ZH) demandant que les produits agricoles suisses soient mieux mis en valeur face à la concurrence étrangère, notamment dans une perspective de durabilité, le Conseil des Etats a préféré à l'unanimité un postulat élaboré par la CER-CE. Le Conseil fédéral est chargé d'analyser les instruments existants qui permettraient de renforcer la position des produits suisses dans le sens de la motion Portmann. Les sept sages se sont prononcés pour une acceptation de l'objet, se disant prêts à répondre à ce mandat dans le cadre des travaux sur l'évolution future de la politique agricole.

Consolider la position des produits suisses sur le marché. Examen des instruments (Po. 22.3407)

In der Sommersession 2022 nahm der Nationalrat Kenntnis vom Aussenpolitischen Bericht 2021. APK-NR-Sprecher Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) bedankte sich bei Aussenminister Cassis für den «aussagekräftigen Bericht und für die mehrheitlich kohärente Umsetzung der aussenpolitischen Strategie des Bundesrates». In Bezug auf den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen habe der Bundesrat im Bericht erläutert, dass nur in zwei zentralen Bereichen des Abkommens substanzielle Differenzen – beim Lohnschutz und der Auslegung des Freizügigkeitsabkommens – bestanden hätten, wobei die EU nicht bereit gewesen sei, der Schweiz die nötigen Ausnahmen zu gewähren. Eine Minderheit der Kommission unterstütze den Abbruchsentscheid des Bundesrats, obwohl sie nie zu dieser Entscheidung konsultiert worden sei, teilte Portmann mit. Die Mehrheit der Kommission habe sich sehr kritisch darüber geäussert, dass sich der Bundesrat in seinem Bericht – rund zehn Monate nach Verhandlungsabbruch – nach wie vor optimistisch zeige, dass die Freigabe des geschuldeten Kohäsionsbeitrags und der autonome Nachvollzug von EU-Recht zu einer Stabilisierung der bilateralen Beziehungen führen könnten. Portmann monierte, dass diesen Aussagen eine «totale Fehleinschätzung seitens des Bundesrates zugrunde liegt», der die Erosion der bilateralen Verträge nicht wahrhaben wolle.
Ein weiteres Kapitel des Berichts widmete sich dem Thema «Frieden und Sicherheit». Darin ging es vor allem um das Engagement der Schweiz auf multilateraler Ebene, unter anderem in der UNO. Angesichts der erfolgreichen Wahl in den UNO-Sicherheitsrat wünschten sich verschiedene Kommissionsmitglieder, dass die Schweiz weiterhin an der Reform für eine UNO ohne Vetorecht arbeite und dazu beitrage, eine Vereinigung von mittelgrossen und kleinen Staaten mit ähnlich gelagerten Anliegen und Wertehaltungen zu schaffen, so Portmann. Weitere Minderheiten der APK-NR forderten vom Bundesrat die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags und eine aktivere Politik im UNO-Menschenrechtsrat. Trotz der durchaus auch kritischen Stimmen beantragte die APK-NR den Bericht einstimmig zur Kenntnisnahme. Denis de la Reussille (pda, NE), ebenfalls Kommissionssprecher, lobte seinerseits den Bericht und hob die Bedeutung der Armutsbekämpfung und des Zugangs zu Wasser in den kommenden Jahren hervor.
Verschiedene Fraktionssprecherinnen und -sprecher drückten anschliessend ihren Unmut über den Abbruch der InstA-Verhandlungen mit der EU und die daraus erwachsenen negativen Konsequenzen in Form von fehlender Teilnahme an wichtigen Kooperationsprogrammen wie Erasmus und Horizon aus. Sie kritisierten auch die fehlenden Bemühungen des Bundesrats, die Beziehungen schnellstmöglich zu verbessern, beispielsweise durch die Aushandlung eines neuen Rahmenabkommens.
Bundesrat Cassis fühlte sich angesichts der insgesamt doch eher positiven Einschätzungen des Berichts in der Wahl eines neuen methodischen Ansatzes innerhalb des EDAs bestätigt, wie er in der Folge erklärte. Dieser neue Ansatz beinhaltete einerseits die engere Kooperation zwischen den sieben Departementen bei der Gestaltung der Aussenpolitik, die er zu Beginn der Legislatur in der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 angekündigt hatte, und andererseits die Entscheidung, den aussenpolitischen Bericht möglichst knapp zu halten. Zur Kritik an der EU-Politik des Bundesrats bezog der Bundespräsident hingegen keine Stellung. Der Nationalrat nahm den Bericht auf Antrag seiner Kommission zur Kenntnis.

Aussenpolitischer Bericht 2021
Dossier: Aussenpolitische Berichte (ab 2009)

Die APK-NR begann im Juni 2021 mit der Vorberatung der Änderung des Embargogesetzes. Der Bundesrat beantragte mit der Gesetzesänderung, das Verbot der Einfuhr von Feuerwaffen, Waffenbestandteilen und Munition sowie weiterer Güter für militärische Zwecke aus Russland und der Ukraine aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus schlug er eine gesetzliche Grundlage vor, um in vergleichbaren Fällen nicht auf Basis der Bundesverfassung Entscheide fällen zu müssen. Die Kommission beschloss, sich mittels Anhörungen vertieft mit der Sanktionspolitik der Schweiz auseinanderzusetzen und die Beratung des Entwurfs auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. In einer weiteren Sitzung im August 2021 entschied sie sich, die neusten Erwägungen der bundesrätlichen Koordinationsgruppe Sanktionspolitik abzuwarten, um den bundesrätlichen Entwurf dann gemeinsam mit der themenverwandten parlamentarischen Initiative Molina (sp, ZH; Pa.Iv. 19.501) zu behandeln. Erst im Mai 2022 stimmte die APK-NR der Revision des Embargogesetzes mit 19 zu 6 Stimmen zu. Eine Mehrheit sah darin die Möglichkeit einer kohärenten und ganzheitlichen Schweizer Sanktionspolitik, während eine Minderheit eine Verletzung des Neutralitätsgebots und eine Bedrohung für die Glaubwürdigkeit der Schweiz befürchtete.

In der Sommersession 2022 befasste sich der Nationalrat mit dem Geschäft, das für allerlei Diskussionen sorgte. APK-NR-Sprecher Gerhard Pfister (mitte, ZG) verwies auf die lange Vorberatung in der Kommission, die dem sich wandelnden Kontext geschuldet gewesen sei. Der Kriegsausbruch im Februar 2022 habe die Beratungsweise des Geschäfts verändert und neue Fragen hinsichtlich der Kompatibilität mit der Neutralität und einer eigenständigen Sicherheitspolitik aufgeworfen. In Abweichung zur Vorlage des Bundesrats und der Erweiterung, die der Ständerat geschaffen hatte, schlug die Kommission ihrem Rat daher einen weiteren Absatz vor. Durch diesen sollte der Bundesrat ermächtigt werden, eigenständig Sanktionen gegen Personen oder Entitäten erlassen zu können, die schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte oder ähnliche Verbrechen angeordnet oder begangen haben. Der Bundesrat hatte ursprünglich nur vorgeschlagen, Sanktionen auch auf Staaten ausweiten zu können, die bisher nicht von den Zwangsmassnahmen betroffen gewesen sind, sofern die Interessen der Schweiz dies erforderten. Der Ständerat hatte diesen Geltungsradius in der Folge auf «Personen oder Entitäten» ausgeweitet, wovon die APK-NR mit ihrem neuen Absatz zum autonomen Sanktionserlass deutlich abwich und stattdessen das Anliegen der oben erwähnten parlamentarischen Initiative Molina (Pa.Iv. 19.501) aufnahm.
Zahlreiche Ratsmitglieder nutzten die Eintretensdebatte, um allgemeine Überlegungen zur Schweizer Neutralität anzustellen. Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) meinte, dass die Möglichkeit zu eigenständigen Sanktionen die Handlungsfähigkeit des Landes erhöhe, und sah darin keinen Widerspruch zur Neutralität. Die Schweiz könne als vernetztes Land nicht zuschauen, denn auch ein neutraler Staat müsse Partei ergreifen, wenn die Demokratie und ihre Grundwerte bedroht würden. Diesen Standpunkt vertrat auch Sibel Arslan (basta, BS) im Namen der Grünen. Die grüne Fraktion sähe «keine Missachtung des Neutralitätsgebotes», wenn es dem Bundesrat frei stehe, Sanktionen Dritter auf Akteure seiner Wahl auszuweiten. Stattdessen erlaube die Vorlage eine kohärente und ganzheitliche Sanktionspolitik unter «Wahrung einer Neutralität, die Unrechtmässigkeit nicht duldet». Und auch FDP-Fraktionssprecherin Petra Gössi (fdp, LU) plädierte für Eintreten, da das Neutralitätskonzept des Bundes von 1993 eine Sanktionsteilnahme erlaube. Sie forderte, dass die Schweiz als neutrales Land eine Interessenabwägung machen müsse, statt eine Maximepolitik zu betreiben. Kritisch gegenüber dem Bundesrat zeigte sich Nationalrat Molina, der den ursprünglichen Entwurf der Revision als «Minireförmli» bezeichnete, die der gegenwärtigen Lage nicht gerecht werde. Tiana Angelina Moser (glp, ZH) vertrat die Meinung, dass die Revision eigentlich der Einhaltung und Sicherstellung der Neutralität diene, denn die eigenständige Anpassung eines Sanktionsregimes sei unter Umständen im Landesinteresse, insbesondere in Fällen, in denen die Neutralität ansonsten verletzt würde. Die SVP-Fraktion, allen voran Roger Köppel (svp, ZH), forderte hingegen eine Rückbesinnung auf die bewaffnete und umfassende Neutralität der Schweiz. Wirtschaftssanktionen seien mit dieser Neutralität nicht vereinbar, stattdessen schade man im Endeffekt allen Parteien, da Russland die Schweiz auch nicht mehr als Vermittlerin akzeptiere.
Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) verlangte, überhaupt nicht auf die Änderung des Embargogesetzes einzutreten. Laut Nidegger sind Sanktionen nur dann zu rechtfertigen, wenn sie zur Einhaltung des Völkerrechts beitragen, so wie in Artikel 1 des Embargogesetzes festgehalten. Er argumentierte, dass die vorgeschlagenen Änderungen der Kommission zur Folge hätten, dass Sanktionen auf Staaten ausgeweitet werden könnten, die das Völkerrecht gar nicht verletzt hätten. Denn da die Schweiz sowieso die Sanktionen der UNO und ihrer wichtigsten Handelspartner (also der EU) übernehme, sei es aus seiner Sicht unmöglich, dass zusätzliche von der Schweiz sanktionierte Staaten überhaupt gegen das Völkerrecht verstossen würden. Dadurch würde man also unschuldige Staaten bestrafen, weshalb die Vorschläge der APK-NR gegen Artikel 1 des Embargogesetzes verstiessen. Die grosse Kammer beschloss jedoch mit 131 zu 51 Stimmen, gegen den Widerstand der SVP, auf das Geschäft einzutreten.

In der Detailberatung musste sich der Nationalrat mit mehreren Minderheitsanträgen auseinandersetzen. Zwei davon stammten von Yves Nidegger, der die Bewahrung der Neutralität als gewichtigsten Faktor beim Erlass von Sanktionen festlegen lassen wollte. Darüber hinaus beantragte er auch die Streichung des von der APK-NR vorgeschlagenen Absatzes, mit dem der Bundesrat die Kompetenz zum eigenständigen Sanktionserlass erhalten hätte, sowie in einem Einzelantrag die Streichung des vom Bundesrat eingebrachten Artikels zur Ausweitung von Sanktionen. Zwei weitere Minderheiten Portmann (fdp, ZH) richteten sich ebenfalls gegen den neu vorgeschlagenen Artikel der APK-NR. Portmann wollte den Erlasstext insofern präzisieren, dass eine Ausweitung von Sanktionen nur möglich sein sollte, wenn die Schweiz unmittelbar bedroht ist oder mutmassliche Völkerrechtsvergehen vorliegen. Des Weiteren verlangte er, dass der Bundesrat den zuständigen Parlamentskommissionen im Falle einer Sanktionsausweitung einen Analysebericht zur Kompatibilität seiner Entscheidungen mit der schweizerischen Neutralität vorlegen müsse. Nationalrat Portmann warnte davor, das Embargogesetz drastisch zu ändern, bevor nicht eine ausführliche Debatte über die Neutralitätsfrage geführt worden ist. Schliesslich sei die Neutralität für die Schweizer Bevölkerung ein parteiübergreifender Grundwert, den man nicht ohne darüber zu sprechen «in den Kübel werfen» sollte. Eine letzte Minderheit Fischer (glp, LU) forderte schliesslich die Streichung eines vom Ständerat eingefügten Artikels, wonach Schweizer Unternehmen bei der Umsetzung von Sanktionen im internationalen Vergleich nicht benachteiligt werden dürfen. Diese Minderheit Fischer deckte sich mit der Forderung von Bundesrat Parmelin, der bereits im Ständerat vergeblich gegen diesen Artikel angekämpft hatte. Der WBF-Vorsteher sprach sich zudem gegen den Vorschlag der Kommission aus, dem Bundesrat die Kompetenz eigenständiger Sanktionserlasse zu verleihen, da dies eine radikale Änderung der Schweizer Sanktionspolitik bedeuten würde. Er lehnte sämtliche Minderheiten ab und empfahl die Annahme des bundesrätlichen Originalentwurfs.
In der Folge lehnte der Nationalrat sämtliche Minderheitsanträge ab. Den Minderheitsanträgen von Yves Nidegger stimmte jeweils nur die SVP-Fraktion zu, einzig beim Antrag zur Streichung der eigenständigen Sanktionserlasse erhielt die SVP Unterstützung durch die FDP, blieb mit 107 zu 82 Stimmen aber dennoch erfolglos. Auch der Minderheitsantrag Fischer wurde abgelehnt – jedoch mit umgekehrter Rollenverteilung – entgegen dem Willen der SP, der Grünliberalen und der Grünen. Die zwei Minderheiten Portmann wurden zwar von der SVP unterstützt, dies reichte jedoch gegen die geschlossene Ablehnung der Ratslinken und der Mitte nicht aus.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Vorschlag seiner aussenpolitischen Kommission mit 136 zu 53 Stimmen an und schuf damit eine Differenz zum Ständerat, der sich somit ein zweites Mal mit dem Entwurf befassen musste.

Änderung des Embargogesetzes (BRG 19.085)
Dossier: Von der Schweiz ergriffene Sanktionen gegen andere Staaten
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

In der Sommersession schrieben National- und Ständerat die Motion Nidegger (svp, GE) zu den Auswirkungen der Marginalisierung der EU durch das Duopol China-USA auf die Schweiz ab. Der Bundesrat hatte in seinem Bericht über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2021 mitgeteilt, dass er sich in seiner China-Strategie 2021-2024 explizit mit den Themenstellungen der Motion befasst habe. Zusätzliche Ausführungen fänden sich in der Aussenwirtschaftsstrategie und in den jährlichen Aussenpolitischen Berichten des Bundesrats.

Duopol China-USA. Internationale Positionierung und Freihandelsabkommen der Schweiz überprüfen (Mo. 20.3738)
Dossier: Aussenpolitische Strategie in den bilateralen Beziehungen mit China

In der Frühjahrssession 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit der parlamentarischen Initiative Molina (sp, ZH) zur Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen. Die APK-NR hatte der Initiative im Vorfeld der Session mit 13 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung) Folge gegeben. Kommissionssprecher und Initiant Fabian Molina argumentierte, dass die Sanktionen der europäischen Länder in Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine Wirkung gezeigt hätten. Sanktionen seien das einzige Mittel zwischen Krieg und Frieden, um «Regelbrecher zur Raison zu bringen». Um die Zivilbevölkerung dadurch aber nicht zu schädigen, müsse man «smart sanctions» nutzen, die gezielt die Verantwortlichen von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen strafen. Die Schweiz tue sich generell schwer mit der Übernahme von Sanktionen, es fehle aber auch die rechtliche Grundlage für eigenständige Sanktionen, erläuterte Molina. Molina bezeichnete den Umstand, dass die Schweiz UNO-Sanktionen und Massnahmen der OSZE und der EU übernehmen müsse als «nicht neutral und noch weniger souverän». Die APK-NR habe daher auch bei der Revision des Embargogesetzes einen Artikel vorgeschlagen, der es dem Bundesrat bei Menschenrechtsverletzungen erlauben soll, eigenständige Sanktionen gegen Personen oder Entitäten anzuordnen. Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) kritisierte Molina dafür, dass er die Forderung seiner parlamentarischen Initiative bereits im Embargogesetz eingebracht habe und somit dem Rat zweimal das gleiche Anliegen vorlege und forderte den Rückzug der Initiative. Fabian Molina erklärte, dass dies gemäss Parlamentsrecht nicht möglich sei, weil sie bereits in der Kommission beraten worden war, er wolle aber insbesondere auch im Hinblick auf die Beratung im Ständerat an der Initiative festhalten. Eine Kommissionsminderheit Nidegger (svp, GE) forderte die Ablehnung der Initiative, einerseits weil der Begriff «Menschenrechtsverbrechen» eine Verurteilung nach eingehender Untersuchung voraussetzen würde, andererseits weil die Schweiz dadurch zur aktiven Akteurin im Sanktionsbereich und somit zu einer an internationalen Konflikten beteiligten Partei werden würde. Nidegger befürchtete auch, dass der Rechtsstaat geschwächt werden könnte und die Schweiz im Ausmass der Sanktionen sogar weiter gehen könnte, als die UNO und die wichtigsten Handelspartner. Der Minderheitsführer argumentierte in der Ratsdebatte, dass nur Staaten als Völkerrechtssubjekte das Völkerrecht verletzen könnten und daher auch nur Staaten Gegenstand von Sanktionen sein könnten. Der Nationalrat gab der Initiative schliesslich mit 104 zu 74 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) Folge. Die SVP-Fraktion, sowie die FDP.Liberale-Fraktion stimmten fast geschlossen dagegen.

Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen (Pa.Iv. 19.501)

Die APK-NR verlangte im Mai 2022 in einer Kommissionsmotion die Entwicklung einer kohärenten, umfassenden und eigenständigen Sanktionspolitik. Der Bundesrat sollte dem Parlament basierend auf Artikel 184 der Bundesverfassung – der die Kompetenzen des Bundesrats hinsichtlich der Beziehungen zum Ausland festlegt – eine eigenständige Sanktionspolitik und entsprechende Massnahmen vorlegen, die zur Wahrung des Landesinteresses nötig seien. Die Kommissionsmehrheit argumentierte, dass der blosse Nachvollzug der EU-Sanktionen nicht ausreichend sei, um die Landesinteressen in den Bereichen Sicherheit, Versorgungssicherheit/-abhängigkeit sowie Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit im Finanz- und Handelsplatz Schweiz zu gewährleisten. Der Bundesrat solle daher Sanktionsmassnahmen vorschlagen und zugleich eine Einschätzung vornehmen, ob diese international koordiniert werden müssten oder ob die Schweiz sie eigenständig umsetzen könnte. Darüber hinaus müsse der Bundesrat weitere Massnahmen vorlegen, die die negativen Konsequenzen der jetzigen Sanktionspolitik gegen Russland und der Kriegsfolgen für die Schweizer Bevölkerung kompensieren würden.
Eine Kommissionsminderheit Portmann (fdp, ZH) beantragte, die Motion abzulehnen. Auch der Bundesrat beantragte die Ablehnung, da die Schweiz gestützt auf das Embargogesetz bereits eine kohärente und eigenständige Sanktionspolitik verfolge. Man könne auf Basis dieser rechtlichen Grundlagen die Sanktionen der UNO, der OSZE und der wichtigsten Handelspartner (also der EU) nachvollziehen. Der Bundesrat gab zu bedenken, dass der Erlass eigener Sanktionen mehrheitlich Nachteile mit sich brächte. Einerseits hätten sie eine verminderte Effektivität, da sie über das Ausland einfach zu umgehen wären. Andererseits könne die Schweiz ihre Partner nicht dazu zwingen, derartige Sanktionen zu übernehmen, und müsste dementsprechend mit Gegenreaktionen der sanktionierten Länder rechnen. Gewisse Sanktionen wären darüber hinaus technisch nicht umsetzbar, beispielsweise ein Gasimport-Embargo. Der Bundesrat vertrat die Ansicht, dass sich die jetzige Praxis der Sanktionsübernahme bewährt habe und es keinen Bedarf für eigenständige Sanktionen gebe. Er störte sich auch an einer Formulierung im Motionstext, wonach der Bundesrat eigenständige Sanktionen ergreifen müsse, sofern diese den nationalen Interessen entsprächen. Dadurch seien nämlich die gleichzeitig geforderten Ausgleichsmassnahmen zur Abfederung der Folgen einzelner Sanktionen nicht gerechtfertigt. Die Exekutive sei sich jedoch der «neuen Herausforderungen im Bereich der Sanktionspolitik durchaus bewusst» und nehme regelmässig Lagebeurteilungen vor, um das aktuelle Sanktionssystem zu stärken. Verschiedene Optionen würden derzeit geprüft, darunter eine intensivere Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden auf internationaler und nationaler Ebene; eine verstärkte Kooperation zwischen den neu betroffenen Behörden wie der FINMA und den Botschaften oder auch eine Stärkung der Strafbestimmungen nach dem Modell des Güterkontrollgesetzes oder des Kriegsmaterialgesetzes.

Kohärente, umfassende und eigenständige Sanktionspolitik (Mo. 22.3395)
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)
Dossier: Die Schweizer Neutralität

Ende April 2022, also rund drei Monate nach Beginn des russischen Aggressionskriegs in der Ukraine, berichteten der SonntagsBlick und verschiedene Tamedia-Zeitungen, dass die höchste SchweizerinNationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) – einen offiziellen Besuch in Kiew plane. Begleitet wurde Kälin von den Nationalratsmitgliedern Roger Nordmann (sp, VD), Nik Gugger (evp, ZH), Yves Nidegger (svp, GE) und dem Schweizer Botschafter in der Ukraine, Claude Wild. Die NZZ sprach von einer «Rumpf-Delegation», da wichtige Parlamentarierinnen und Parlamentarier – wie die Präsidenten der Aussenpolitischen Kommissionen – nicht an der Reise teilnehmen wollten und sich auch keine Mitglieder der Grünliberalen, der FDP oder der Mitte dafür gefunden hätten. Gegenüber SRF gab Kälin zu verstehen, dass sie mit dem Besuch der Schweizer Solidarität Ausdruck verleihen wolle. Sie sei jedoch nicht diejenige, die Aussenpolitik mache, «dafür müsste Bundespräsident und Aussenminister Cassis vor Ort gehen». In einem Beitrag für den Blick schrieb Kälin im Vorfeld der Reise, dass ihr die Entscheidung zu gehen, leicht gefallen sei, da sie es «als Pflicht der höchsten Schweizerin» erachte, «die Solidarität nach Kiew zu tragen, die ich täglich sehe und erlebe». Sie habe zudem keine Angst, dass die Ukraine ihren Besuch für Propagandazwecke missbrauchen werde, stellte sie klar, um den Vorwürfen einzelner Medienhäuser den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Blick begleitete Kälin während ihrer ganzen Reise und berichtete ausführlich darüber. Auf dem Reiseprogramm standen Besuche in den Kiewer Vororten Hostomel und Irpin, die vorübergehend von Russland besetzt waren, sowie eine Rede vor dem ukrainischen Parlament. Die angedachte Rede musste aus Sicherheitsgründen jedoch abgesagt werden, dafür kam es zu einem kurzen Treffen zwischen Kälin und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj.
Im Nachgang der Ukraine-Reise wurde bekannt, dass das Fedpol der Nationalratspräsidentin von der Reise abgeraten und ihr keine Zivilpolizisten zur Verfügung gestellt hatte. Ein Fedpol-Sprecher erklärte, dass die Risikoanalyse ergeben habe, dass die Bundespolizei weder über die Ausbildung, noch über die Ausrüstung verfüge, um Personen in einem Kriegsgebiet zu schützen. Irène Kälin brachte für diesen Entscheid gegenüber BlickTV wenig Verständnis auf.
Kälin lieferte dem Blick auch einen Rückblick ihres Besuchs, in dem sie unter anderem Aussenminister Ignazio Cassis dazu aufrief, ebenfalls in die Ukraine zu reisen und sich mit seinem ukrainischen Gegenüber zu treffen. Die Kritik an ihrem Besuch – unter anderem wurde ihr in den Medien Selbstprofilierung vorgeworfen – konnte sie nach eigenen Aussagen nicht nachvollziehen.

Ukraine-Reise von Nationalratspräsidentin Irène Kälin
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

Nur zwei Tage nach deren Behandlung im Ständerat kamen der Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2021, der Bundesbeschluss zur Änderung des Handelsabkommens mit dem Vereinigten Königreich sowie der Bundesbeschluss über die Genehmigung über zolltarifarische Massnahmen im Jahr 2021 in der Frühjahrssession 2022 in den Nationalrat. Claudia Friedl (sp, SG) beantragte dem Rat im Namen der APK-NR die Annahme der beiden Bundesbeschlüsse sowie die Kenntnisnahme des Berichts. Eine starke Kommissionsminderheit Nussbaumer (sp, BL) – unterstützt von der SP-Fraktion – verlangte die Rückweisung von Kapitel 4 des Berichts zu den Wirtschaftsbeziehungen mit der EU an den Bundesrat, damit dieser den Bericht bis zur Sommersession 2022 um einen Umsetzungs- und Verhandlungsplan für die Zukunftsfähigkeit des bilateralen Wegs ergänzt. Nationalrat Nussbaumer bedauerte, dass der Bundesrat den bilateralen Weg mit dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen blockiert habe. Er mahnte, dass man durch die Kenntnisnahme des Berichts die «Strategielosigkeit des Bundesrates» abnicken würde. Unterstützung erhielt Nussbaumer von der Fraktion der Grünen: Christine Badertscher (gp, BE) erklärte, dass ein zusätzlicher Bericht mit möglichen Lösungswegen sinnvoll sei. Zudem kritisierte sie, dass der Bundesrat wie schon im Aussenwirtschaftsbericht keine Zielkonflikte erwähnt habe – beispielsweise zwischen der Stärkung von Handel und der nachhaltigen Entwicklung – und dass die Themen Menschenrechte und Nachhaltigkeit generell zu wenig präsent seien. Auch die GLP-Fraktion erachtete das umstrittene Kapitel 4 des Berichts als unbefriedigend, weshalb sie die Minderheit unterstützen wollte.

Die Mehrheit der Kommission wollte jedoch von dieser Rückweisung absehen, da sich der Bundesrat sowieso dazu verpflichtet habe, den bilateralen Weg fortzuführen und weiterzuentwickeln, wie Kommissionssprecherin Friedl erklärte. Zwar bedauerte es die Mitte-Fraktion gemäss Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL), dass der Bericht wenig Informationen zu den Wirtschaftsbeziehungen mit der EU enthielt, dennoch wollte sie die Minderheit nicht unterstützen. Auch Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) – und mit ihm die FDP-Fraktion – störten sich am EU-Kapitel des Berichts, weil der Bundesrat darin verlangte, dass schweizerisches Recht als gleichwertig zum EU-Recht anerkannt werden soll. Man könne von der EU nicht verlangen, die Schweiz nicht zu diskriminieren, während die Schweiz die EU beispielsweise beim Entsendegesetz seit Jahren diskriminiere. Trotz aller Kritik unterstützte aber auch die FDP-Fraktion den Rückweisungsantrag nicht. Zudem liess Portmann auch an der aktualisierten Version der Aussenwirtschaftsstrategie des Bundesrats, die im Bericht Erwähnung fand, kein gutes Haar. Diese sei «so ungenügend, wie nur etwas ungenügend sein kann», insbesondere weil sich die Strategie nicht zur Beziehung mit der EU äussere.
Aktiv gegen den Rückweisungsantrag wehrten sich hingegen Roland Rino Büchel (svp, SG) und mit ihm die gesamte SVP-Fraktion.
Der Nationalrat lehnte den Minderheitsantrag schliesslich mit 101 zu 76 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) ab und nahm den Bericht, der ansonsten unbestritten war, zur Kenntnis. Die beiden Bundesbeschlüsse zum Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich und über die Genehmigung zolltarifarischer Massnahmen wurden einstimmig angenommen.

In den Schlussabstimmungen stimmten beide Räte dem Bundesbeschluss über die Genehmigung der Änderung des Handelsabkommens mit dem Vereinigten Königreich einstimmig zu. Keine Schlussabstimmungen bedurfte es zum Bundesbeschluss über die Genehmigung zolltarifarischer Massnahmen, da es sich hierbei um einen einfachen Bundesbeschluss handelt.

Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2021 und Botschaften zu Wirtschaftsvereinbarungen sowie Bericht über zolltarifarische Massnahmen

Im Juni 2021 forderte die APK-NR mittels einer parlamentarischen Initiative die Schaffung eines Bundesgesetzes für die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union. Der Vorstoss wurde in Reaktion auf den einseitigen Abbruch der Verhandlungen über ein Institutionelles Rahmenabkommen mit der EU formuliert. Der Bundesrat solle die Eckwerte für den strukturierten politischen Dialog mit der EU zur Klärung der institutionellen Regeln in diesem Gesetz festhalten. Die Kommission argumentierte, dass eine Klärung der institutionellen Regeln für die bestehenden und zukünftigen bilateralen Abkommen grundlegend für den kontinuierlichen und ausgewogenen Ausbau der Wirtschafts- und Kooperationsbeziehungen mit der EU und ihren Mitgliedstaaten sei. Vier Forderungen sollten im Bundesgesetz berücksichtigt werden: die Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens zur Klärung der institutionellen Fragen oder einer anderen zukunftsfähigen institutionellen Lösung müssen zum nächstmöglichen Termin aufgenommen werden; der Bundesrat muss die Grundlage für den Verhandlungsbeginn mit einem regelmässigen strukturierten politischen Dialog auf ministerieller Ebene schaffen; die Aussenpolitischen Kommissionen sowie die Kantone müssen zeitnah über den politischen Dialog informiert werden und sollen Leitlinien zur Stärkung von Demokratie und Souveränität empfehlen können; der Bundesrat muss die Rechtsharmonisierung rasch und umfassend vornehmen und legt dabei auch die Prioritäten für künftige Marktzugangsabkommen und den Abschluss anderer Kooperationsabkommen fest.
Da die APK-SR der parlamentarischen Initiative im Oktober 2021 knapp keine Folge gab, musste die APK-NR darüber entscheiden, ob an der Initiative festgehalten werden soll. In ihrem Kommissionsbericht Ende November 2021 gab sie dieser mit 17 zu 8 Stimmen Folge, da eine Mehrheit der Meinung war, dass mithilfe der bewusst «nicht ausformulierten Initiative» eine europapolitische Leitlinie zur Weiterführung der bilateralen Beziehungen mit der EU geschaffen werden müsse. Eine Kommissionsminderheit Nidegger (svp, GE) sorgte sich hingegen, dass dadurch die Handlungsfähigkeit des Bundesrats eingeschränkt werden könnte.
In der Frühjahrssession 2022 beriet der Nationalrat die Initiative seiner Aussenpolitischen Kommission. Kommissionssprecher Eric Nussbaumer (sp, BL) räumte zwar ein, dass die auswärtigen Angelegenheiten Sache des «Bundes» seien, dieser Begriff umfasse jedoch nicht nur die Exekutive sondern auch die Legislative. Es sei demnach die Aufgabe der Legislative, die «Leitlinien eines aussenpolitischen Handlungsfeldes in einem Gesetz als Handlungsanweisung für die Exekutive zu verankern». Nussbaumer versicherte, dass das Gesetz keinen umfassenden Integrationsschritt, wie zum Beispiel einen EWR-Assoziierungsvertrag, vorschreiben würde, sondern nur dafür sorgen solle, den bisherigen Weg zukunftsfähig weiterzuführen. Da aus Basis der parlamentarischen Initiative zudem ein Gesetz ausgearbeitet würde, das dem fakultativen Referendum unterstehe, sei eine direkt-demokratische Auseinandersetzung möglich, ohne dass der bilaterale Weg dadurch bedroht werde. Minderheitssprecher Nidegger, der beantragte, der parlamentarischen Initiative nicht Folge zu geben, störte sich daran, dass diese zwingend eine Klärung der institutionellen Regeln vorsehe, wo doch derzeit unüberbrückbare Differenzen zur EU bestünden, namentlich beim Lohnschutz, der Unionsbürgerschaft und dem Verbot der staatlichen Beihilfen. Er bezeichnete den Vorstoss als «Putsch» gegen das Vorrecht des Bundesrats, die Schweizer Aussenpolitik gestalten zu können. Die grosse Kammer gab der Initiative ihrer Kommission trotz dieser Einwände mit 127 zu 58 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) Folge. Die SVP-Fraktion, sowie vereinzelte Mitglieder der FDP.Liberale- und der Mitte-Fraktion stimmten dagegen.

Bundesgesetz über die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union (Pa.Iv. 21.480)
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

In einem Bericht solle der Bundesrat zeigen, ob in der Bundesverwaltung selbstorganisierte Arbeitsformen eingeführt werden könnten. «Holokratie» oder «Soziokratie 3.0» – also dezentrale und agile Organisationsformen – gewännen an Beliebtheit, bewährten sich bei fortschreitender Digitalisierung und seien geeignet, um Innovation zu fördern, so Min Li Marti (sp, ZH), die Urheberin des Vorstosses. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats. Bereits heute würden in der Bundesverwaltung teilweise solche agilen Organisationsformen angewendet und ein stärkerer Einsatz sei prüfenswert.
Nachdem der Vorstoss durch Yves Nidegger (svp, GE) bekämpft worden war, brauchte es eine Ratsdebatte, die in der Frühjahrssession 2022 stattfand. Da sich Min Li Marti wegen Covid in Isolation befand, erhielt gleich der Gegner des Vorstosses das Wort: Er habe das Gefühl, es sei vielmehr die Verwaltung, die den Bundesrat leite, statt umgekehrt. Es brauche folglich nicht noch mehr Selbstverwaltung. Die eidgenössische Verwaltung sei zudem kein Start-up, nicht etwas Amerikanisches und entwickle auch keine Software – in solchen Unternehmen würde Holokratie angewendet. Schliesslich würden solche Arbeitsformen den Finanzhaushalt noch stärker belasten. Ueli Maurer widersprach Nydegger: Es sei im Nachgang der Corona-Krise wichtig, nicht nur Homeoffice, sondern möglichst viele neue Arbeitsformen zu prüfen. Die Bundesverwaltung sei eben keine Einheit, stattdessen gebe es in den verschiedenen Bundesämtern ganz unterschiedliche Bedürfnisse an die Arbeitsplatzgestaltung. Der Bundesrat arbeite bereits in die Richtung des Postulats, weshalb er es zur Annahme beantrage. Nur die geschlossen stimmende SVP-Fraktion stellte sich gegen diese Empfehlung, sodass das Postulat mit 137 zu 53 Stimmen (3 Enthaltungen aus der SP-Fraktion) angenommen wurde.

Selbstorganisierte Arbeitsformen in der Bundesverwaltung einführen (Po. 21.4162)

Internationale oder völkerrechtliche Erklärungen, Empfehlungen, Pakte oder Aktionspläne, die rechtlich nicht bindend sind – also sogenanntes «Soft Law» sollen vom Parlament genehmigt werden, bevor sie der Bundesrat unterzeichnen darf. Dies forderte die SVP-Fraktion Ende 2018 mit einer parlamentarischen Initiative. Die Nichteinhaltung von Bestimmungen von Soft Law ziehe zwar keine völkerrechtlichen Konsequenzen nach sich, weshalb sie vom Bundesrat selbständig ratifiziert werden können. Nicht selten würden damit aber Verpflichtungen eingegangen, deren Nichtbeachtung international angeprangert oder gar als Verstoss gegen Treu und Glauben interpretiert würden. Die SVP forderte deshalb, dass Soft Law gleich zu handhaben sei wie völkerrechtliche Verträge und entsprechend von der Bundesversammlung genehmigt werden müsse.
Die APK-NR gab der parlamentarischen Initiative im Januar 2020 mit 14 zu 11 Stimmen Folge. Gestützt auf den Bericht des Bundesrats zur Erfüllung des Postulats 18.4104 und im Wissen darüber, dass die APK-SR aufgrund dieses Berichts eine Subkommission einsetzen wollte, die sich mit einer besseren Mitwirkung des Parlaments bei Soft Law auseinandersetzt, sah die Mehrheit der APK-NR ebenfalls Handlungsbedarf, so ihre Begründung in einer Medienmitteilung.
Weil die APK-SR dann allerdings rund ein Jahr später der parlamentarischen Initiative einstimmig (11 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung) keine Folge gab, lag der Ball wieder bei der nationalrätlichen Kommission. Diese entschloss sich, wiederum ein Jahr später, mit 17 zu 6 Stimmen ebenfalls gegen Folgegeben. Man habe in der Zwischenzeit gemeinsam mit der APK-SR die Subkommission «Soft Law» eingesetzt, die aktuell bereits untersuche, ob und wie Soft Law von der Bundesversammlung genehmigt werden soll. Man wolle den Resultaten dieser Arbeiten nicht vorgreifen und der parlamentarischen Initiative deshalb auch aus «prozessökonomischen Gründen» keine Folge geben.
Weil die sechsköpfige SVP-Kommissionsminderheit allerdings Folgegeben beantragte, kam der Vorstoss in der Frühjahrssession 2022 zur Behandlung in die grosse Kammer. Dort brachte Yves Nidegger (svp, GE) den Migrationspakt, die Rügen der Greco hinsichtlich der Parteienfinanzierung oder die Klimakonferenz als Beispiele vor, die zeigten, wie stark Soft Law Auswirkungen auf die schweizerische Politik habe, ohne dass das Parlament dazu etwas zu sagen gehabt hätte. Dem Argument der APK-NR, den Arbeiten der Subkommission nicht vorgreifen zu wollen, könne die Kommissionsminderheit nicht folgen: Mit der zielgerichteten parlamentarischen Initiative könne vielmehr der Druck in dieser Sache aufrechterhalten werden. Kommissionssprecherin Sibel Arslan (basta, BS) begründete die ablehnende Empfehlung der Kommissionsmehrheit auch damit, dass es bei der momentanen Arbeit der Subkommission auch um eine inhaltliche Mitwirkung des Parlaments bei der Aushandlung von Soft Law gehe und nicht bloss um eine Genehmigung, wie dies von der SVP-Initiative gefordert wurde. Die Kommissionsmehrheit fand im Nationalrat 138 unterstützende Stimmen. Die 55 Gegenstimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und von drei Mitgliedern der Mitte-EVP-Fraktion. Damit war die Initiative vom Tisch, nicht aber die Diskussionen um die Mitwirkung des Parlaments bei Soft Law.

Das Parlament soll Soft Law genehmigen (Pa.Iv. 18.466)
Dossier: Soft Law - Mitwirkung des Parlaments