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  • Quadri, Lorenzo (lega, TI) NR/CN
  • Porchet, Léonore (gp/verts, VD) NR/CN

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Mit einer Motion forderte Lorenzo Quadri (lega, TI) in der Wintersession 2020, dass der politische Islam als neuer Strafbestand aufgenommen wird – wie es auch die österreichische Regierung getan hatte. Der politische Islam sei eine Gefahr für die innere Sicherheit der Schweiz und müsse darum verboten werden, argumentierte der Motionär. Dafür sollten etwa Moscheen, die einen politischen Islam predigen, geschlossen und Personen ohne Schweizer Pass, die einen politischen Islam verbreiten, des Landes verwiesen werden.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion. Diese sei nicht nur diskriminierend, sondern verstosse auch gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie gegen die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Stattdessen verwies er auf die bestehenden Möglichkeiten zur Wahrung der inneren Sicherheit – etwa durch ein Verbot von Gruppierungen, welche diese konkret bedrohten. So seien etwa «Al-Quaida» und der «islamische Staat» in der Schweiz bereits verboten.
Nachdem das Geschäft während zwei Jahren nicht abschliessend im Rat behandelt worden war, wurde es in der Wintersession 2022 abgeschrieben.

Der politische Islam soll auch in der Schweiz ein Straftatbestand werden (Mo. 20.4568)

Eine in der Wintersession 2020 eingereichte Motion Quadri (lega, TI) forderte – wie eine bereits im Mai eingereichte Motion Addor (svp, VS; Mo. 20.3264) – ein Moratorium für die Erteilung von neuen Grenzgängerbewilligungen und die Wiedereinführung des Inländervorrangs in Grenzkantonen. Die Coronakrise habe zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit auf dem Schweizer Arbeitsmarkt geführt, während mehr Grenzgängerinnen und Grenzgänger in der Schweiz arbeiteten und somit zusätzlich einheimische Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt verdrängen würden, argumentierte der Motionär. Obschon der Bundesrat in seiner Stellungnahme die schwierige wirtschaftliche Lage von Bewohnerinnen und Bewohnern der Grenzkantone im Zuge der Coronakrise anerkannte, erachtete er die Aufrechterhaltung der Personenfreizügigkeit als immens wichtig, insbesondere um dem Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich während der Corona-Pandemie entgegenzuwirken. Zudem bestehe durch die Stellenmeldepflicht, durch die Stellensuchende fünf Tage vor der öffentlichen Ausschreibung einer Stelle über diese informiert werden, bereits ein effektiver inländischer Mechanismus, um arbeitssuchende Personen wieder in den Arbeitsmarkt einzubinden, so die Regierung.
Mitte Dezember 2022 wurde die Motion abgeschrieben, da sie nicht innert zwei Jahren behandelt worden war.

Coronabedingte Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise. Moratorium für die Erteilung von neuen Grenzgängerbewilligungen und Wiedereinführung des Inländervorrangs (Mo. 20.4521)

Der Nationalrat beugte sich in der Wintersession 2022 als Zweitrat über die Revision des Sexualstrafrechts. Wie bereits in der Ständekammer wurde das Ziel des Revisionsprojekts, das in die Jahre gekommene Sexualstrafrecht an die veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen, auch im Nationalrat allseits begrüsst. Eintreten war somit unbestritten.

Die Debatte um den umstrittensten Punkt der Vorlage, die Modellwahl zwischen «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein», fand in der grossen Kammer im Vergleich zum Ständerat unter umgekehrten Vorzeichen statt: Während sich in der Kantonskammer eine Minderheit der Kommission erfolglos für die Zustimmungslösung ausgesprochen hatte, beantragte im Nationalrat die Mehrheit der vorberatenden Rechtskommission die Verankerung des «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzips im Strafgesetzbuch. Gemäss Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) wolle man damit klar zum Ausdruck bringen, «dass einvernehmliche sexuelle Handlungen im Grundsatz immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen sollen» und «dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung betrachtet wird». Mit der Zustimmungslösung solle bei der Aufklärung von Sexualdelikten zudem mehr das Verhalten des Täters oder der Täterin in den Fokus rücken, und nicht die Frage, ob und wie sich das Opfer gewehrt habe. Letzteres solle sich nicht schuldig fühlen, wenn es nicht in ausreichendem Mass Widerstand geleistet habe. Demgegenüber fordere die «Nein heisst Nein»-Lösung vom Opfer weiterhin einen zumutbaren Widerstand. Bundesrätin Karin Keller-Sutter argumentierte hingegen, dass das Widerspruchsprinzip klarer sei. Jemand könne auch aus Angst oder Unsicherheit Ja sagen, ohne dies tatsächlich zu wollen, wohingegen ein explizites oder stillschweigendes Nein – etwa eine ablehnende Geste oder Weinen – nicht als Zustimmung missverstanden werden könne. Über ein geäussertes Nein könne das Opfer im Strafverfahren allenfalls aussagen, über ein fehlendes Ja jedoch nicht, denn einen Negativbeweis gebe es nicht, ergänzte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS), der mit seiner Minderheit ebenfalls für «Nein heisst Nein» eintrat. Wie schon im Ständerat herrschte derweil auch im Nationalrat weitgehende Einigkeit, dass der Unterschied zwischen den beiden Varianten juristisch gesehen «verschwindend klein» sei, wie es Tamara Funiciello (sp, BE) ausdrückte, und es vor allem um Signale gehe. Während die Advokatinnen und Advokaten der Zustimmungslösung darin eine gesellschaftliche Haltung sahen, die die sexuelle Selbstbestimmung betone, erachteten die Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchslösung das Strafrecht nicht als den richtigen Ort für Symbolik – so fasste Christa Markwalder (fdp, BE) die Positionen in ihrer gespaltenen Fraktion zusammen. Als eine Art Mittelweg bewarb eine Minderheit Nidegger (svp, GE) unterdessen die im Ständerat gescheiterte Umformulierung des Widerspruchsprinzips. Diese wollte durch die explizite Nennung von verbaler und nonverbaler Ablehnung die Fälle von sogenanntem Freezing – wenn das Opfer in einen Schockzustand gerät und dadurch widerstandsunfähig ist – besser abdecken. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte indes, auch mit der Widerspruchslösung seien Freezing-Fälle abgedeckt und die Minderheit Nidegger bringe somit keinen Mehrwert. Die Minderheit Nidegger unterlag der «Nein-heisst-Nein»-Lösung wie vom Bundesrat vorgeschlagen denn auch deutlich mit 118 zu 64 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Ebenso chancenlos blieb die Minderheit Reimann (svp, SG), die statt dem vorgesehenen Kaskadenprinzip in Art. 189 und 190 StGB – einer Definition des Grundtatbestands ohne Nötigung (Abs. 1), wobei Nötigung sowie Grausamkeit als zusätzliche Erschwernisse in den Absätzen 2 und 3 aufgeführt werden – einen eigenen Tatbestand für Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung schaffen wollte, sodass das Nötigungselement in den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bliebe. Dieses Konzept war allerdings bereits in der Vernehmlassung harsch kritisiert worden. «Nur Ja heisst Ja» setzte sich schliesslich mit 99 zu 88 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen «Nein heisst Nein» durch. Zum Durchbruch verhalfen der Zustimmungslösung neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP Minderheiten aus der FDP- und der Mitte-Fraktion sowie SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE).

Neben der Modellwahl diskutierte die grosse Kammer auch die Strafrahmen ausführlich. Hier hielt sie sich mit einer Ausnahme überall an die Vorschläge ihrer Kommissionsmehrheit und lehnte zahlreiche Minderheitsanträge aus den Reihen der SVP- und der Mitte-Fraktion ab, die schärfere Strafen forderten. Härtere Sanktionen seien ursprünglich das Ziel der Strafrahmenharmonisierung gewesen, wovon auch die vorliegende Revision Teil sei, argumentierte Barbara Steinemann (svp, ZH). Solange «Belästiger mit symbolischen Strafen aus dem Gerichtssaal davonlaufen» könnten, sei auch die Zustimmungslösung nur ein «Ablenkungsmanöver», warf sie der Ratsmehrheit vor. Letztere wollte allerdings den Ermessensspielraum der Gerichte nicht einschränken. Es wurde befürchtet, dass die Gerichte sonst höhere Massstäbe an die Beweiswürdigung setzen könnten und es damit zu weniger Verurteilungen kommen könnte. Eine Mindeststrafe müsse immer «auch den denkbar leichtesten Fall abdecken», mahnte Justizministerin Keller-Sutter. Einzig bei der Vergewaltigung mit Nötigung – dem neuen Art. 190 Abs. 2, der im Grundsatz dem heutigen Vergewaltigungstatbestand entspricht – folgte der Nationalrat mit 95 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen der Minderheit Steinemann und übernahm die bereits vom Ständerat vorgenommene Verschärfung. Damit beträgt die Mindeststrafe für diesen Tatbestand neu zwei Jahre Freiheitsstrafe, Geldstrafen sowie bedingte Strafen sind demnach ausgeschlossen. Vergewaltigerinnen und Vergewaltiger müssen damit künftig zwingend ins Gefängnis. Bisher betrug die Mindeststrafe für Vergewaltigung ein Jahr Freiheitsstrafe, wobei diese auch (teil-)bedingt ausgesprochen werden konnte.

In einem zweiten Block beriet die Volkskammer noch diverse weitere Anliegen im Bereich des Sexualstrafrechts. Die Forderung einer Minderheit Funiciello, dass verurteilte Sexualstraftäterinnen und -täter obligatorisch ein Lernprogramm absolvieren müssen, wie dies bei häuslicher Gewalt oder Pädokriminalität bereits der Fall ist, wurde mit 104 zu 85 Stimmen abgelehnt. Da die Art des Delikts nicht berücksichtigt würde, handle es sich um eine «undifferenzierte Massnahme», so Kommissionssprecherin von Falkenstein. Mit 98 zu 84 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat indessen dafür aus, die Altersgrenze für die Unverjährbarkeit von Sexualverbrechen auf 16 Jahre anzuheben. Bislang lag diese bei 12 Jahren, wie es bei der Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative festgelegt worden war. Die Mehrheit argumentierte, so falle die Grenze für die Unverjährbarkeit mit dem Alter der sexuellen Mündigkeit zusammen. Den neuen Tatbestand der Rachepornografie hiess die grosse Kammer stillschweigend gut, verfrachtete ihn aber in einen anderen Artikel innerhalb des StGB. Anders als der Ständerat nahm der Nationalrat stillschweigend auch einen Tatbestand für Grooming ins Gesetz auf. In der Vernehmlassung sei dieser Vorschlag sehr positiv aufgenommen worden, erklärte die Kommissionssprecherin. Das Anliegen einer Minderheit von Falkenstein, sexuelle Belästigung nicht nur in Form von Wort, Schrift und Bild zu bestrafen, sondern auch andere sexuell konnotierte Verhaltensweisen – beispielsweise Gesten oder Pfiffe – unter Strafe zu stellen, scheiterte mit 96 zu 93 Stimmen knapp. Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnte vor einer «uferlosen Strafbarkeit», da mit der geforderten Ergänzung die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten unklar wäre. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Einzelantrag von Léonore Porchet (gp, VD), die ein Offizialdelikt für sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum einführen wollte. Die betroffene Person solle selbst entscheiden können, ob sie eine Strafverfolgung wünsche oder an ihrer Privatsphäre festhalten möchte, argumentierte Justizministerin Keller-Sutter dagegen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Entwurf mit 127 zu 58 Stimmen bei 5 Enthaltungen an. Mit der Ausnahme von Céline Amaudruz stellte sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Sie wurde von einigen Stimmen aus der Mitte-Fraktion unterstützt, aus der auch die Enthaltungen stammten. Das Ergebnis war Ausdruck der Enttäuschung des rechtsbürgerlichen Lagers über die ablehnende Haltung des Rats gegenüber Strafverschärfungen. SVP-Vertreterin Steinemann hatte schon in der Eintretensdebatte angekündigt, dass ihre Fraktion die Vorlage ablehnen werde, «sofern nicht deutlich schärfere Sanktionen resultieren».

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Wie bereits ein Jahr zuvor forderte Lorenzo Quadri (lega, TI) im September 2020 in einer Motion, dass die Krankenversicherungen ihre übermässigen Reserven nicht mehr nur freiwillig, sondern obligatorisch an die Versicherten zurückerstatten müssen. Der Motionär störte sich – wie auch Olivier Feller (fdp, VD; Mo. 20.4199) – im Anschluss an die Präsentation der Krankenkassenprämien 2021 vor allem an den Unterschieden zwischen den Kantonen. Denn während die Prämien schweizweit nur 0.5 Prozent angestiegen waren, wurden sie im Kanton Tessin trotz sinkender Gesundheitskosten um 2.1 Prozent erhöht. Da die Krankenversicherungen ihre Reserven freiwillig nicht stark genug reduzieren würden, brauche es nun eine obligatorische Regelung, forderte Quadri. Anders als ein Jahr zuvor verzichtete er jedoch auf die Forderung, wonach die Reserven in den jeweiligen Kantonen, in denen sie geschaffen worden waren, zurückverteilt werden müssen.
Der Bundesrat zeigte sich mit dem Anliegen des Motionärs einverstanden, verwies aber auf seine geplante Änderung der KVAV, mit der die Rückerstattung erleichtert würde, und empfahl die Motion zur Ablehnung. Trotz der bis zur Herbstsession 2022 erfolgten Verordnungsänderung sprach sich der Nationalrat ohne Diskussion mit 147 zu 36 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) für eine weitere Verschärfung des Reserveabbaus aus. Ablehnend stimmten die GLP-Fraktion sowie die Mehrheit der Mitte-Fraktion. Kurz zuvor hatte auch der Kanton Basel-Stadt eine Standesinitiative eingereicht, in der er eine «rasche und proportionale Rückerstattung der Krankenkassen-Reserven an die Bevölkerung» in den jeweiligen Kantonen verlangte – damit hatte der Kanton das Anliegen von Quadris Motion aus dem Jahr 2019 aufgenommen.

Übermässige Reserven der Krankenversicherer. Obligatorische statt freiwillige Rückerstattung (Mo. 20.4123)
Dossier: Krankenkassenreserven

In der Herbstsession 2022 beschäftigte sich der Ständerat mit der Motion Quadri (lega, TI) und der Frage, ob der Abbau übermässiger Reserven der Krankenversicherer zukünftig obligatorisch erfolgen soll. Die SGK-SR hatte die Motion zuvor mit 6 zu 5 Stimmen (bei 1 Enthaltung) zur Ablehnung empfohlen, da sie einen freiwilligen Reserveabbau, wie er seit der Verordnungsänderung von Juni 2021 vorgesehen ist, bevorzuge und ein kantonal unterschiedlicher Reserveabbau überdies nicht möglich sei, da «die Reserven nicht kantonal bemessen werden». Die Kommissionsminderheit erachtete die freiwilligen Regelungen aufgrund der weiterhin ansteigenden Reserven hingegen als ungenügend. Mit 22 zu 15 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit und lehnte die Motion ab. Diese war damit erledigt.

Änderung der KVAV. Obligatorischer statt nur freiwilliger Abbau übermässiger Reserven der Krankenversicherer zugunsten der Versicherten (Mo. 19.4056)
Dossier: Krankenkassenreserven

«Wer schlägt, geht!», forderten zwei im Nationalrat von Jacqueline de Quattro (fdp, VD; Pa.Iv. 21.410) und Léonore Porchet (gp, VD; Pa.Iv. 21.411) eingereichte parlamentarische Initiativen, wobei der Titel die Forderung der Initiativen bereits ziemlich genau umschrieb: Das Zivilgesetzbuch soll dahingehend geändert werden, dass nach einer Tat von häuslicher Gewalt nicht das Opfer, sondern die verletzende Person die gemeinsame Wohnung verlassen muss. Die RK-NR gab der Forderung im Mai 2022 mit 18 zu 6 Stimmen Folge.

«Wer schlägt, geht!» (Pa.Iv. 21.410; Pa.Iv. 21.411)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

In der Sondersession vom Mai 2022 nahm der Nationalrat als Erstrat eine Motion seiner WBK-NR an, die mittels Anpassung der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen sicherstellen will, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die ihre Angestellten wirksam vor Mobbing und sexueller Belästigung schützen. Dabei berief sich die Mehrheit der Kommission – eine aus bürgerlichen Kommissionsmitgliedern bestehende Minderheit beantragte die Ablehnung der Motion – auf die nationale Studie zu sexueller Belästigung aus dem Jahr 2008, gemäss welcher zwei Drittel der befragten Personen angaben, dass ihr Arbeitgeber trotz gesetzlicher Pflicht keine Massnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung getroffen habe. Der Bundesrat hatte die Motion zur Ablehnung empfohlen, wobei er die Ansicht vertreten hatte, dass die geltenden gesetzlichen Bestimmungen im Arbeits- und Gleichstellungsgesetz sowie im Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen ausreichten, um bei der Vergabe von Aufträgen auch den Arbeitsschutz im Bereich Mobbing und sexuelle Belästigung zu beurteilen. Der Nationalrat befürwortete die Motion mit 93 zu 86 Stimmen (3 Enthaltungen). Neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und der GLP stimmte auch eine Mehrheit der Mitte-Fraktion für die Annahme des Vorstosses. Direkt im Anschluss an die nationalrätliche Behandlung zog Léonore Porchet (gp, VD) ihre parlamentarische Initiative mit demselben Anliegen zurück (Pa.Iv. 20.486). Gleichzeitig beriet der Nationalrat eine andere Motion der WAK-NR mit ähnlichem Anliegen, die er ebenfalls an den Zweitrat überwies (Mo. 22.3019).

Schutz vor sexueller Belästigung bei öffentlichen Aufträgen (Mo. 22.3020)

Im April 2022 befasste sich die SGK-NR mit einer Standesinitiative des Kantons Jura, die im September 2020 im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie eingereicht worden war und eine Preisobergrenze für Hygienemasken und hydroalkoholisches Gel in der ausserordentlichen Lage zum Gegenstand hatte. Damit sollte verhindert werden, dass Notlagen wie bei der Covid-19-Pandemie auch zukünftig wieder durch einzelne Personen oder Unternehmen ausgenutzt werden. Die Kommission sprach sich mit 14 zu 8 Stimmen gegen Folgegeben aus. In ihrer Medienmitteilung begründete die Kommissionsmehrheit ihren Entscheid damit, dass es zu Pandemiebeginn zwar tatsächlich einen Masken- und Desinfektionsmittelmangel gegeben habe, dass diese Situation allerdings nicht von anhaltender Dauer gewesen sei. Zudem habe der Preisüberwacher im Zusammenhang mit Fällen von Wucher- und Betrugsverdacht interveniert. Gemäss der Mehrheit der SGK-NR bestehe die grösste Herausforderung in der Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung mit medizinisch wichtigen Gütern – etwas, das nicht durch eine Preisbegrenzung erreicht werden könne. Obwohl sich auch die Kommissionsminderheit um Léonore Porchet (gp, VD) nicht vollständig von einer Preisobergrenze überzeugt zeigte, war sie dennoch der Meinung, dass es einer Anpassung der Rechtsgrundlagen bedürfe, um die Wiederholung einer solchen Situation in Zukunft zu verhindern. Folglich sprach sie sich für Folgegeben aus. In der Sommersession 2022 kam das Anliegen in den Nationalrat. Nach Ausführungen Lohrs (mitte, TG) und Porchets für die Kommission resp. die Kommissionsminderheit gab der Nationalrat der Standesinitiative mit 100 zu 62 Stimmen keine Folge.

Preisobergrenze für Hygienemasken und hydroalkoholisches Gel in der ausserordentlichen Lage (St.Iv. 20.327)

Zur Bereinigung der verbliebenen Differenz zu den Krediten für die Beschaffung von Medikamenten für immunsupprimierte Personen waren nochmals drei Beratungen nötig. Die Mehrheit der FK-NR beantragte in der ersten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens die Ablehnung der zwei Kredite – zumal die Kommission diese nicht vorberaten hatte. Mehrere Mitglieder der Kommission bezweifelten deren Dringlichkeit und rügten den Ständerat für deren Annahme, ohne genügend Informationen vorzulegen. Man fordere dafür wie üblich eine Botschaft des Bundesrates, betonte etwa Alois Gmür (mitte, SZ). Eine Minderheit Wyss (sp, BS) sprach sich für Annahme der Kredite aus, zumal diese Ausgabe inhaltlich unbestritten sei und man dem Bundesrat damit eine möglichst schnelle Beschaffung ermögliche. Nach langen Diskussionen lehnte der Nationalrat die zwei Kredite mit 105 zu 82 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) ab.

Die Kritik des Schwesterrates – und insbesondere der Schwesterkommission – beeindruckte die FK-SR nicht. Sie hatte das EDI in der Zwischenzeit um einen Bericht zur Präzisierung der Dringlichkeit des Bedarfs gebeten. Dieser Bericht zeigte auf, dass die Produktionskapazitäten der entsprechenden Medikamente begrenzt sind und deutlich unter der Nachfrage liegen dürften. Zudem werde die Wirksamkeit der bestehenden Medikamente heute in Frage gestellt, man suche noch nach Alternativen. Sollten solche gefunden werden, müsse der Bundesrat sofort – nicht erst im Juni nach Behandlung des zweiten Nachtrags – in der Lage sein, diese zu erwerben. Nach dem präzisierenden Bericht des EDI beantragte auch Finanzminister Maurer die Kredite neu zur Annahme. Eine Minderheit Stark (svp, TG) verlangte jedoch weiterhin, «in der Finanzpolitik und in verwaltungstechnischen Abläufen wieder zu bewährten Grundsätzen zurück[zu]finden», insbesondere da sie die Dringlichkeit der Kredite noch immer bezweifelte. Mit 29 zu 9 Stimmen sprach sich der Ständerat aber erneut für Annahme der Kredite aus.

Dieser Bericht des EDI überzeugte nun auch die Mehrheit der FK-NR. Nachdem Lars Guggisberg (svp, BE) erneut Ablehnung der Kredite beantragt hatte, begründete Felix Wettstein (gp, SO) die ambivalente Position der Grünen-Fraktion: Einerseits habe die Finanzkommission zwar zusätzliche Informationen erhalten, diese hätten aber zu mehr Verwirrung geführt – man habe zu diesem Zeitpunkt einfach nicht genug Informationen für einen fundierten Entscheid. Andererseits habe der Bundesrat die Kredite nun gutgeheissen; man könne sie also auch jetzt sprechen und müsse dadurch nicht riskieren, dass die FinDel die Kredite später bevorschussen müsse. Der Nationalrat, nahm die zusätzlichen Kredite in der Folge mit 100 zu 62 Stimmen (bei 16 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen stammten von der fast geschlossen stimmenden SVP-Fraktion – einzig Verena Herzog (svp, TG) hiess die auf ihre Motion zurückgehenden Kredite gut und Lorenzo Quadri (lega, TI) enthielt sich der Stimme – sowie von Minderheiten der Grünen-, Mitte- und der FDP.Liberalen-Fraktionen.

Nachtrag I zum Voranschlag 2022 (BRG 22.007)
Dossier: Bundeshaushalt 2022: Voranschlag und Staatsrechnung

Nachdem das Parlament in der Sondersession im Mai 2020 Corona-bedingte Kredite über CHF 16 Mrd. und Verpflichtungskredite über CHF 40 Mrd. gutgeheissen hatte, machten sich verschiedene Parlamentarierinnen und Parlamentarier Gedanken darüber, wie diese und die noch erwarteten Covid-19-Ausgaben finanziert werden könnten. Lorenzo Quadri (lega, TI) betonte in einer Motion, dass «das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in der Pandemie mehr denn je den Bedürfnissen der Schweizer Bürgerinnen und Bürger dienen» solle und man deshalb die zweite Kohäsionsmilliarde an die EU streichen sowie für das Ausland bestimmte Beiträge, Ausgaben im Asylbereich und die auf ausländische Personen zurückzuführenden Sozialausgaben deutlich reduzieren solle. Der Bundesrat empfahl die Motion zur Ablehnung, zumal eine nachhaltige Eindämmung der Pandemie sowie ein handlungsfähiges multilaterales System für die exportorientierte Schweiz wichtig seien. Die Kohäsionsmilliarde sei im Moment gesperrt, Massnahmen im Ausland seien wichtig, da ansonsten unter anderem das Fluchtrisiko steige. Im Asylbereich finanziere der Bund hauptsächlich die Massnahmen der Kantone, weshalb eine Streichung hier nur zu einer Mehrbelastung der Kantone führen würde, und die Ansprüche ausländischer Staatsangehöriger auf Sozialversicherungsleistungen seien in Abkommen und Gesetzen geregelt, wodurch die entsprechenden Ausgaben nicht einfach reduziert werden könnten. In der Frühjahrssession 2022 behandelte der Nationalrat die Motion zusammen mit anderen Vorstössen zu demselben Thema und lehnte sie mit 137 zu 51 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ab. Die befürwortenden Stimmen und Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler muss mehr denn je den Bedürfnissen der Schweizer Bürgerinnen und Bürger dienen (Mo. 20.3272)
Dossier: Mögliche Massnahmen zur Reduktion des Covid-19-bedingten Defizits

Nachdem das Parlament in der Sondersession im Mai 2020 Corona-bedingte Kredite über CHF 16 Mrd. und Verpflichtungskredite über CHF 40 Mrd. gutgeheissen hatte, machten sich verschiedene Parlamentarierinnen und Parlamentarier Gedanken darüber, wie diese und die noch erwarteten Covid-19-Ausgaben finanziert werden könnten. Ähnlich wie Lorenzo Quadri (lega, TI; Mo. 20.3272) schlug Jean-Luc Addor (svp, VS) mit seiner Motion «Wir zuerst!» vor, während der Covid-19-Pandemie alle Zahlungen ans Ausland auszusetzen und die verfügbaren Mittel stattdessen für die Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz einzusetzen. Wie alle anderen Länder müsse auch die Schweiz nun zuerst die Interessen ihrer Einwohnenden – Schweizerinnen, Schweizer sowie Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthaltstitel – vertreten. Der Bundesrat verwies auf das Interesse der exportorientierten Schweiz an einer weltweit nachhaltigen Eindämmung der Pandemie und auf die vertraglichen, rechtlichen und budgettechnischen Verpflichtungen der Schweiz zu den entsprechenden Zahlungen. Im März 2022 zog Addor die Motion zurück. Die Formulierung seiner Motion entspreche angesichts der Ukraine-Krise nicht mehr der aktuellen Situation – vielmehr gelte es jetzt für die Schweiz, welche über die entsprechenden Mittel verfüge, Hilfe vor Ort bereitzustellen.

Wir zuerst! (Mo. 20.3232)
Dossier: Mögliche Massnahmen zur Reduktion des Covid-19-bedingten Defizits

«Ce qui devait être un exercice tranquille est devenu brûlant d'actualité avec l'invasion de l'Ukraine par l'armée russe» s'est exprimé Fabien Fivaz (verts, NE), dans le cadre des discussions sur le rapport sur la politique de sécurité 2021. L'objet a été traité le 9 mars 2022 par le Conseil national et a suscité de nombreuses réactions. Après quelques interventions en début de session, où le contenu du rapport a été mis en évidence, soit pour le féliciter, soit pour le critiquer, diverses prises de parole ont donné suite à des échanges entre les députés et la conseillère fédérale Viola Amherd. On notera que les avis fondamentaux sur la politique de sécurité suisse varient énormément entre la droite et la gauche.
En effet, à droite, David Zuberbühler (udc, AR) a critiqué le manque d'ambition du Conseil fédéral. Pour lui, les capacités militaires suisses seraient trop faibles pour réussir à atteindre les objectifs fixés par la Confédération. Lors de son intervention, il a aussi évoqué la «mauvaise option» de vendre l'entreprise fournisseuse de munitions Ruag Ammotec. Pour le vert'libéral François Pointet (pvl, VD), la position soutenue par ses collègues de l'UDC ne constitue pas la solution. C'est pourquoi, au lieu d'une augmentation des effectifs de l'armée, il a mis l'accent sur d'autres éléments: les vert'libéraux prônent une «armée moderne, agile, composée de militaires bien entraînés et complètement équipés de matériel de pointe» ainsi qu'une collaboration forte avec les États voisins. Le parti a été très surpris d'apprendre que le Conseil fédéral n'est pas favorable à la création d'un état-major permanent. Cet organe militaire visant à la sécurité de la population demanderait (notamment) des connaissances techniques trop importantes. Un avis que les vert'libéraux – tout comme la PLR Jacqueline de Quattro (plr, VD) – ne partagent pas. Selon eux, cet outil pourrait être une solution adaptée pour lutter contre les états de crise futures.
La gauche, quant à elle, reconnaît la possible menace d'une attaque, mais d'après Priska Seiler Graf (ps, ZH), on ne s'attend pas à ce que des chars russes arrivent à la frontière du Rhin. Le socialiste Pierre-Alain Fridez (ps, JU) a évoqué, en raison de sa position géographique, une situation favorable pour la sécurité de la Suisse: «Paradoxalement, notre sécurité est sans doute renforcée aujourd'hui grâce au réveil de l'OTAN». De manière générale, la gauche a critiqué les dépenses demandées par la droite pour des armes qui ne déjoueraient pas les menaces cyber ou les attaques de missiles auxquelles la Suisse pourrait être sujette. Léonore Porchet (verts, VD) évoque par exemple les dépenses importantes liées aux nouveaux avions de chasse, qu'elle qualifie comme étant un «outil militaire disproportionné et inutile». Pour elle, la plus grande menace pour la Suisse reste le changement climatique et ce nouvel investissement ne permettra pas d'y faire face.
Finalement, tous les partis ont pris note du rapport. Avant les débats en plénum, la commission de la politique de sécurité du Conseil national (CPS-CN) s'était pour sa part prononcée en faveur d'une augmentation du budget de l'armée. Une minorité proposait cependant d'attendre le complément au rapport pour débattre d'une éventuelle augmentation. Ce dernier a été agendé pour fin 2022 par le Conseil fédéral.

Rapport sur la politique de sécurité de la Suisse 2021 (MCF 21.070)

Die SPK-NR reichte im Januar 2022 ein Postulat ein, mit welchem sie einen Bericht zu den Kapazitäten zur Bewältigung von klimabedingten Naturgefahren forderte. Es sei angezeigt, dass die Fähigkeiten, über die der Bevölkerungsschutz, die Armee und der Zivildienst verfügen müssten, um klimabedingte Naturgefahren wie etwa Hitzewellen oder anhaltende Trockenheit zu bewältigen, zusammengetragen und festgehalten würden. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats.
Die grosse Kammer behandelte das Postulat in der Frühjahrssession 2022 im Rahmen des Sicherheitspolitischen Berichts 2021 (BRG 21.070). Dabei betonte Léonore Porchet (gp, VD), dass auch in diesen kriegerischen Zeiten die grösste Gefahr für die Schweizer Sicherheit immer noch vom Klimawandel und seinen Auswirkungen ausgehe. Das Postulat wurde anschliessend stillschweigend angenommen.

Fähigkeiten zur Bewältigung von klimabedingten Naturgefahren (Po. 22.3007)

La motion de l'élue verte Léonore Porchet (VD), qui exigeait la mise en place d'un système de taxation au kilomètre de la nourriture importée en fonction du mode de transport, a été refusée par 127 voix contre 58 et une abstention par la chambre basse lors de la session de printemps 2022. Lors du débat, l'élu UDC Jacques Nicolet (VD) est intervenu pour questionner l'utilité de celle-ci tandis que le conseiller fédéral Guy Parmelin a proposé de la rejeter en raison de la charge administrative élevée qui résulterait de sa mise en œuvre. Au final, seuls le parti socialiste (PS) et les verts ont soutenu la motion.

Taxation au kilomètre de la nourriture importée (Mo. 20.3069)

Im Mai 2020 forderte Lorenzo Quadri (svp, TI), dass die zuständigen Behörden keine neuen Ausweise mehr für ausländische Arbeitskräfte im Tessin ausstellen sollen. Mit seiner Motion wollte er den Bundesrat beauftragen, ein Moratorium für die Erteilung von Grenzgänger- und Aufenthaltsbewilligungen zu erlassen. Damit sollte die Wiederanstellung von Tessinerinnen und Tessinern, die im Zuge der Corona-19-Pandemie ihre Arbeit verloren hatten, vereinfacht werden. Quadri argumentierte, dass das Tessin übermässig stark von den Folgen der Pandemie betroffen gewesen sei, nicht zuletzt weil der Bundesrat die Grenzen zu spät geschlossen habe. Bei der geplanten Wiedereinführung der Personenfreizügigkeit müsse der Bundesrat daher die besondere Situation des Tessins – die wirtschaftlichen Schäden und die hohe Arbeitslosigkeit – berücksichtigen. In seiner Stellungnahme zeigte der Bundesrat im Juli 2020 für die Forderung des Motionärs Verständnis und teilte dessen Sorge um die Sicherung der Arbeitsplätze. Er betonte aber auch, dass die Aufrechterhaltung der Personenfreizügigkeit eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Erholung der Schweiz sei, und merkte an, dass man weiterhin von ausländischen Arbeitskräften abhängig sei. Darüber hinaus verwies er auf die Stellenmeldepflicht, die im Juni 2020 reaktiviert wurde. Eine Einschränkung des FZA aus wirtschaftlichen Gründen sei auch vertraglich nicht legitim, erklärte der Bundesrat. Aus diesen Gründen beantragte er die Ablehnung der Motion.
Erst in der Frühjahrssession 2022, also lange nachdem die Schweiz ihre Grenzen wieder geöffnet hatte, befasste sich der Nationalrat mit dem Vorstoss. Trotz der zwischenzeitlichen Entwicklungen hielt Motionär Quadri an seinem Anliegen fest. Er beklagte, dass der Tessiner Arbeitsmarkt durch die vielen italienischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger unter Druck gerate und einheimische Arbeitskräfte aus dem Markt gedrängt würden. Daher forderte er auch knapp zwei Jahre nach der Einreichung seiner Motion die Einführung von Schutzklauseln. Diese Forderung wolle er aber in einer weiteren Motion formulieren. Die vorliegende Motion wurde mit 138 zu 54 Stimmen abgelehnt. Nur die Mitglieder SVP-Fraktion stimmten für den Vorstoss.

Keine neuen Ausweise mehr für ausländische Arbeitskräfte im Tessin
Dossier: Kontrolle der Schweizer Landesgrenzen in Covid-19-Zeiten

Die WAK-NR reichte im Februar 2022 eine Motion ein, mit der sie den Bundesrat beauftragen wollte, die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen so anzupassen, dass auch Prinzipien aus anderen von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bezüglich sozialer Mindestnormen wie zum Beispiel Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Schutz vor Mobbing und sexueller Belästigung und exzessive Arbeitszeiten eingehalten werden müssen.
In seiner Stellungnahme vom Mai 2022 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen und damit der Kommissionsminderheit zu folgen. Die Schweiz habe bereits internationale Übereinkommen, die sich mit den Themen Gesundheitsschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz und Schutz vor exzessiven Arbeitszeiten befassen, ratifiziert. Somit reichten die rechtlichen und gesetzlichen Grundlagen aus, um die sozialen Mindeststandards bei der Vergabe von Aufträgen zu gewährleisten.
Der Nationalrat beschäftigte sich im Rahmen der Sondersession 2022 mit dem Vorstoss und nahm diesen mit 103 zu 78 Stimmen (bei einer Enthaltung) an. Zuvor hatte Kommissionssprecher Martin Landolt (mitte, GL) die Wichtigkeit dieser Verordnungsanpassung betont, um gleiche soziale Arbeitsstandards sowohl für schweizerische als auch für ausländische Anbietende zu gewährleisten. Schweizer Unternehmen sind verpflichtet, soziale Mindestnormen einzuhalten. Da diese Normen jedoch nicht in internationalen Abkommen geregelt sind, müssen sich ausländische Unternehmen nicht an sie halten. Es bestehen somit unterschiedlichen Anforderungen an schweizerische und ausländische Unternehmen, die in der Schweiz tätig sind.
Thomas Burgherr (svp, AG) erachtete es hingegen als «fragwürdig und heikel», Prinzipien aus von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen in die Verordnung zu übernehmen. Gleichzeitig beriet der Nationalrat eine zweite Motion der WAK-NR mit ähnlichem Anliegen, die er ebenfalls an den Zweitrat überwies (Mo. 22.3020), sowie die parlamentarische Initiative Porchet (gp, VD; Pa.Iv. 20.486), die im Anschluss an die Behandlung von der Nationalrätin zurückgezogen wurde.

Lücken bezüglich sozialer Mindestnormen im öffentlichen Beschaffungswesen schliessen (Mo. 22.3019)

Im Dezember 2019 reichte Greta Gysin (gp, TI) eine Motion ein, mit der sie den Bundesrat beauftragen wollte, das geltende Recht so zu ändern, dass die kantonalen Behörden Mindestlöhne höher als die bedarfsdeckenden Sozialleistungen festlegen können. Seit dem Bundesgerichtsentscheid vom April 2010 seien die Kantone in der Höhe der Mindestlöhne entsprechend eingeschränkt. Damit könne aber der Druck auf die Löhne und der vermehrte Einsatz von Grenzgängerinnen und Grenzgängern, die für tiefere Löhne arbeiten, nicht bekämpft werden. Um diesem Lohndruck entgegenzuwirken, seien höhere Mindestlöhne notwendig. In seiner Stellungnahme vom Februar 2020 beantragte der Bundesrat die Ablehnung der Motion. Wie schon bei der Motion van Singer (gp, VD; Mo. 13.3614) und beim Postulat Quadri (lega, TI; Po. 15.3909) war der Bundesrat der Meinung, dass vom Staat festgelegte Mindestlöhne «einen bedeutsamen Eingriff in [die] Vertragsfreiheit und in die Wirtschaftsfreiheit» darstellten. Das Instrument der flankierenden Massnahmen sei zudem angemessen, um das Problem des Lohndumpings zu bekämpfen. Diese sähen auch die Möglichkeit vor, Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen für Branchen ohne Gesamtarbeitsverträge und wiederholten missbräuchlichen Unterbietungen der orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhne zu erlassen. Im Dezember 2021 wurde die Motion abgeschrieben, da sie nicht innerhalb der zweijährigen Frist behandelt worden war.

Motion "Bekämpfung von Lohndumping"

Mit einer Motion beabsichtigte Nationalrat Roger Golay (mcg, GE), den Bundesrat mit der Einführung eines zweijährigen Moratoriums zur Begrenzung der Anzahl Grenzgängerinnen und Grenzgänger zu verpflichten. Demnach müssten Arbeitgebende zur Neubeschäftigung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern während zwei Jahren eine Genehmigung einholen und nachweisen, dass sie in der Schweiz keine Person mit den gleichwertigen Qualifikationen gefunden haben.
In seiner Stellungnahme vom November 2019 beantragte der Bundesrat die Ablehnung der Motion, zumal eine solche Regelung und der damit verbundene Inländervorrang mit dem FZA und dem EU-Recht inkompatibel seien. Zudem bestehe ja seit dem 1. Juli 2018 bereits die Meldepflicht offener Stellen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, welche Stellensuchenden mit Wohnsitz in der Schweiz einen Zeitvorteil von fünf Arbeitstagen verschaffe und mit dem FZA kompatibel sei. Bei Bedarf hätten die Kantone zudem die Möglichkeit, dem Bundesrat zusätzliche Massnahmen vorzuschlagen. In der Nationalratsdebatte in der Herbstsession 2021 lehnte der Nationalrat die Motion, die nach Ausscheiden des Motionärs aus dem Rat von Lorenzo Quadri (lega, TI) übernommen worden war, mit 140 zu 51 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ab. Unterstützung erfuhr sie lediglich von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Motion "Zweijähriges Moratorium zur Begrenzung der Anzahl Grenzgängerinnen und Grenzgänger"

Der Nationalrat beugte sich in Herbstsession 2021 über eine Motion Wicki (fdp, NW), die gleich lange Spiesse im Strassengüterverkehr forderte. Die Motion verlangte, dass nicht nur Lastwagen, sondern auch Lieferwagen ihre externen Kosten decken sollten, beispielsweise durch die diesbezügliche Ausweitung der LSVA.
Lorenzo Quadri (lega, TI) erläuterte im Rat, weshalb die Mehrheit der vorberatenden KVF-NR zum Schluss gekommen war, die Motion zur Ablehnung zu empfehlen: Diese neue Steuer könne durch die Nutzung anderer Verkehrsmittel umgangen werden. Auch werde befürchtet, dass der Vorstoss die KMU, welche oft solche Lieferwagen einsetzten, in einer wirtschaftlich ohnehin schwierigen Zeit erheblich belasten könnte. Der zweite Kommissionssprecher Matthias Bregy (mitte, VS) fügte an, dass die Kommission verfassungsrechtliche Probleme sowohl im Bereich der Schwerverkehrsabgabe als auch im Bereich der Wirtschaftsfreiheit befürchte.
Anschliessend erläuterten die Minderheitssprecherin Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) und Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga die Argumente für die Annahme der Motion. Die derzeit vorliegende Ungleichbehandlung sei ungerecht; auch Lieferwagen müssten für ihre externen Kosten aufkommen, zumal sie sehr viel ineffizienter seien als Lastwagen. So hätten die Fahrten von Lieferwagen in den letzten Jahren stark zugenommen – sie seien mittlerweile für zwei Drittel der gefahrenen Kilometer im Strassengüterverkehr verantwortlich; ihre Transportleistung sei im Vergleich zum Schwerverkehr jedoch minim. Zudem trage die LSVA stark zur Verlagerung von der Strasse auf die Schiene bei und helfe damit, dass die Stickstoff- und Feinstaub-Emissionen zurückgingen.
Diese Worte vermochten die Mehrheit des Rates jedoch nicht zu überzeugen. Die grosse Kammer lehnte die Motion mit 103 zu 78 Stimmen ab. Die geschlossen stimmenden Fraktionen der Grünen, der SP und der GLP blieben dabei in der Minderheit.

Gleich lange Spiesse im Strassengüterverkehr
Dossier: Verlagerung von der Strasse auf die Schiene

Noch bevor fünf lateinischsprachige Kantone, darunter das Tessin, ihre Offensive für tiefere Krankenkassenprämien gestartet hatten, welche das Parlament in der ersten Hälfte des Jahres 2021 bereits zu behandeln begonnen hatte, reichte Lorenzo Quadri (lega, TI) im September 2019 seine Motion für einen obligatorischen Abbau übermässiger Reserven der Krankenversicherer ein. Demnach sollten zu hohe erhobene Krankenkassenprämien durch eine Änderung der KVAV obligatorisch an die Versicherten in denjenigen Kantonen zurückbezahlt werden müssen, in denen sie erhoben worden waren. Es soll hingegen keine Verteilung an alle Versicherten einer Versicherung unabhängig der Herkunft der Reserven mehr möglich sein. Der Bundesrat verwies in seiner ablehnenden Stellungnahme auf die Unsicherheiten bei der Festlegung der Prämien im Verhältnis zu den Kosten und erklärte, dass die Reserven 2018 im Verhältnis zur Risikodeckung erstmals wieder angestiegen seien. Er wolle verhindern, dass die Versicherungen bei einer entsprechenden Regelung zu hohe Prämien einforderten, um diese anschliessend marketingwirksam wieder zurückzahlen zu können. Zudem sei ein kantonaler Reserveabbau nicht möglich, da dies eine «Kantonalisierung der Reserven» erfordern würde. Gemäss eines Entscheids des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2008 seien die Reserven jedoch national.
In der Herbstsession 2021 behandelte der Nationalrat die Motion, nachdem der Bundesrat im April 2021 bereits seine Änderung der KVAV präsentiert hatte. Motionär Quadri betonte, dass die Verordnungsänderung mit einer freiwilligen Rückzahlung der Reserven das Problem nicht löse. Vielmehr brauche es eine verbindliche Regelung zur Rückzahlung an diejenigen Versicherten, welche die überhöhten Prämien bezahlt hatten. Mit 104 zu 81 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) sprach sich die grosse Kammer für Ablehnung des Vorstosses aus, wobei die Differenzen im Stimmverhalten quer durch die meisten Parteien verliefen. Nach einem angenommenen Ordnungsantrag von Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) wiederholte der Rat die Abstimmung, wobei die Motion neu mit 103 zu 75 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) eine Mehrheit erhielt und angenommen wurde. Hatten die Grünen die Motion zuvor fast einstimmig abgelehnt, sprachen sie sich nun mehrheitlich für Annahme aus und verhalfen dem Vorstoss damit zur Annahme im Erstrat, zumal die Mitglieder der übrigen Fraktionen mehrheitlich bei ihren Positionen blieben.

Änderung der KVAV. Obligatorischer statt nur freiwilliger Abbau übermässiger Reserven der Krankenversicherer zugunsten der Versicherten (Mo. 19.4056)
Dossier: Krankenkassenreserven

Bei einer hohen Stimmbeteiligung von 59.6 Prozent hiess eine solide Mehrheit von 56.6 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) in der Referendumsabstimmung vom 13. Juni 2021 gut. Einzig der Kanton Basel-Stadt sprach sich mit einem Ja-Anteil von 45.1 Prozent mehrheitlich gegen das Gesetz aus. Hohe Zustimmung erfuhr die Vorlage derweil in der Romandie, insbesondere im Wallis (65.0%), in Freiburg (63.6%), in Neuenburg (62.0%) und im Jura (61.0%). In den Medien wurde gemutmasst, dass die Westschweiz aufgrund der Nähe zum von Terroranschlägen stark betroffenen Frankreich das Gesetz eher für notwendig gehalten habe, während in der freiheitsliebenden Deutschschweiz die staatlichen Grundrechtseingriffe kritischer beurteilt worden seien.
Die schweizweite Zustimmung blieb damit etwas hinter den von den vorhergehenden Umfragen geschürten Erwartungen zurück. Wie die Presse berichtete, habe es das Nein-Lager kurz vor dem Abstimmungstermin doch noch geschafft, seinen Bedenken bezüglich der Rechtsstaatlichkeit der Massnahmen verstärkt Gehör zu verschaffen. So zeigte sich die Waadtländer Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet gegenüber «Le Temps» erfreut, dass man der zuständigen Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Vorfeld der Abstimmung einige Klarstellungen zu umstrittenen Punkten im Gesetz abringen konnte, etwa die Bekräftigung, dass Aktivistinnen und Aktivisten sozialer Bewegungen nicht vom Gesetz betroffen sein werden. Nichtsdestotrotz kündigten die Grünen bereits am Abstimmungssonntag an, eine parlamentarische Initiative einreichen zu wollen, mit dem Ziel, die umstrittene, in ihren Augen zu unklar gefasste Terrorismusdefinition zu konkretisieren. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International betonten, nun die konkrete Anwendung des Gesetzes genau im Auge zu behalten und Menschenrechtsverletzungen gegebenenfalls anzuprangern. Die NZZ wertete das Ergebnis denn auch als «grossen Vertrauensbeweis gegenüber der Polizei»; immerhin habe die Bevölkerung ein Gesetz angenommen, das der Polizei in zentralen Punkten einen grossen Spielraum lasse. «Die Bürgerinnen und Bürger gehen offenkundig davon aus, dass von den Befugnissen menschenrechtskonform und verhältnismässig Gebrauch gemacht wird – und die Gerichte nötigenfalls korrigierend eingreifen», kommentierte die Zeitung. Die Befürwortendenseite zeigte sich indessen zufrieden mit dem Resultat. Die Schweiz könne damit eine Lücke in ihrer Terrorismusabwehr schliessen, erklärte Justizministerin Keller-Sutter gegenüber den Medien.
Noch nicht geschlagen geben wollte sich aus dem unterlegenen Lager die Piratenpartei. Sie hoffte, berichteten «L'Express» und «Le Nouvelliste», dass die Abstimmung wiederholt werden würde. So seien beim Bundesgericht rund 600 Beschwerden gegen die Abstimmung eingereicht worden, die monierten, das Bundesbüchlein sei nicht objektiv gewesen, habe keine klare Meinungsbildung ermöglicht, irreführende Informationen enthalten und wichtige rechtliche Konsequenzen des Gesetzes verschwiegen.


Abstimmung vom 13. Juni 2021

Beteiligung: 59.6%
Ja: 1'811'795 (56.6%)
Nein: 1'390'383 (43.4%)

Parolen:
– Ja: EVP, FDP (1*), KVP, Libertäre Partei, Mitte (Junge Mitte: 1*), Piratenpartei, SVP (2*; JSVP: 2*), BastA!, CSP OW, PCSI JU
– Nein: GLP, GP, PdA, SD, SP, Jungfreisinnige; VPOD, Amnesty International, Chaos Computer Club, Demokratische JuristInnen Schweiz (DJS), Digitale Gesellschaft, Ensemble à Gauche, GSoA, Greenpeace, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV), Schweizerischer Friedensrat, Solidarité sans frontières, Verein «Freunde der Verfassung»
– Stimmfreigabe: EDU; SSV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Einigkeit bestand bei der Behandlung der AHV 21-Reform durch den Nationalrat eigentlich nur in der Feststellung, dass dies ein sehr zentrales Projekt sei – «l'un des objets majeurs de la législature», nannte es beispielsweise Kommissionssprecher Nantermod (fdp, VS). Ansonsten unterschieden sich die Positionen der links-grünen und der bürgerlichen Ratsseite ziemlich stark. Bewusst waren sich die Befürwortenden sowie die Gegnerinnen und Gegner des vorliegenden Entwurfs aber auch, dass die Revision dieses Mal auch vor dem Stimmvolk unbedingt bestehen müsse, zumal die letzte erfolgreiche AHV-Revision fast 30 Jahre zurück lag. Darüber, ob und wie das aktuelle Projekt vor den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern mehrheitsfähig wird, schieden sich jedoch die Geister. Umstritten waren nicht nur die Frage der Rentenaltererhöhung der Frauen – die der Ständerat zuvor deutlich angenommen hatte –, sondern auch die Höhe der Ausgleichsmassnahmen für die älteren Frauenjahrgänge sowie die Zusatzfinanzierung für die AHV. Kommissionssprecher Nantermod wehrte sich gegen die Formulierung, wonach die AHV 21-Reform eine Abbauvorlage sei. So würde die Erhöhung des Frauenrentenalters, welche die Ausgaben der AHV um CHF 1.2 Mrd. verringert, durch zusätzliche Leistungen in der Höhe von CHF 812 Mio. gemildert. Somit würden die Leistungskürzungen insgesamt nur etwa CHF 400 Mio. einbringen. Dabei zählte Nantermod jedoch nicht nur die Ausgleichszahlungen für die Übergangsgenerationen zu den zusätzlichen Leistungen, sondern auch die Flexibilisierung des Rentenalters und die Änderung des Selbstbehalts, die Frauen und Männern zugute kommt. Hingegen würde die Finanzierung um CHF 1.58 Mrd. erhöht (CHF 1.36 Mrd. aus der Mehrwertsteuer und CHF 222 Mio. aus den zusätzlichen Beiträgen). Somit bestehe die Reform zu 80 Prozent aus Mehreinnahmen und zu 20 Prozent aus Leistungskürzungen und sei folglich sozial ausgestaltet. Gleichzeitig sei man sich bewusst, dass der Entwurf die Problematik der AHV-Finanzierung nicht vollständig lösen könne, voraussichtlich käme der Deckungsgrad des AHV-Fonds damit im Jahr 2030 bei 88 Prozent zu liegen. Folglich habe man die Motion 21.3462 eingereicht, gemäss welcher der Bundesrat bis Ende 2026 eine neue AHV-Reform für die Jahre 2030 bis 2040 vorlegen soll.

Ihre Kritikpunkte an dieser Vorlage fassten die Frauen der links-grünen Ratsseite in verschiedene Rückweisungsanträge an den Bundesrat oder an die SGK-NR. Eine Minderheit Porchet (gp, VD) erachtete den Leistungsabbau als unnötig und schlug stattdessen vor, die Finanzierungsprobleme der AHV durch Zuweisung der SNB-Gewinne an die AHV zu lösen. Statt an Bund und Kantone, die bereits stark von den Negativzinsen profitierten, solle das Geld der SNB aus den zusätzlichen Ausschüttungen der AHV und somit den Verliererinnen und Verlierern der Negativzinsen zugutekommen. Eine alternative Finanzierungsmöglichkeit für die AHV sah auch eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) vor, die das AHV-Defizit über eine Erhöhung des Bundesbeitrags decken wollte. Das AHV-Gesetz erlaube es, den Bundesbeitrag auf 50 Prozent der jährlichen Ausgaben zu erhöhen, folglich solle dieser stärker als nur auf die vom Bundesrat vorgesehenen 20.2 Prozent angehoben werden. Ebenfalls als alternative Finanzierungsquelle stellte Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) ihren Minderheitsantrag dar, mit dem sie die Erfüllung des Gleichstellungsartikels, des Gleichstellungsgesetzes und des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) sowie eine Koppelung der AHV 21-Vorlage an «gleiche[n] Lohn bei gleichwertiger Arbeit» forderte. So führten die noch immer bestehenden Lohnunterschiede von 18.3 Prozent – 7.7 Prozent davon unerklärt – zwischen den Geschlechtern zu tieferen Lohnbeiträgen für die Frauen. Mit fairen Löhnen für die Frauen würden die AHV-Beiträge gemäss Travailsuisse um CHF 825 Mio. pro Jahr steigen. Statt an die Lohngleichheit wollte eine Minderheit um Mattea Meyer (sp, ZH) den Entwurf an die aktuelle Revision des BVG (BVG 21) koppeln. So liege das Hauptproblem in den Rentenunterschieden zwischen Frauen und Männern nicht bei der AHV, sondern bei den Pensionskassen. Die mittlere Pensionskassenrente für Frauen betrage beispielsweise CHF 1160 und diejenige der Männer CHF 2144; fast ein Drittel der Neurentnerinnen habe überdies gar keine Pensionskassenrente. Folglich müsse das BVG 21 zuerst revidiert werden, bevor die AHV 21 angegangen werden könne. Eine zweite Minderheit Prelicz-Huber verlangte schliesslich, dass die AHV so auszugestalten sei, dass sie den Verfassungsauftrag, wonach AHV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken müssen, erfüllt. Dies sei heute nicht der Fall, dafür sei die AHV-Rente zu tief – insbesondere für diejenigen 13 Prozent der Männer und über ein Drittel der Frauen, die keine zweite oder dritte Säule hätten. Über 330'000 Menschen lebten deshalb unter dem Existenzminimum und müssten Ergänzungsleistungen beziehen, betonte Prelicz-Huber.

Vor der Detailberatung und nach dem unbestrittenen Eintretensentscheid musste sich der Nationalrat mit den Rückweisungsanträgen auseinandersetzen. «Die Mehrheit der Kommission will die Vorlage zügig vorantreiben», hatte Kommissionssprecher de Courten (svp, BL) zuvor betont und daran hielt sich der Nationalrat: Er lehnte sämtliche Rückweisungsanträge ab, diese fanden über die SP- und die Grüne-Fraktion hinaus einzig bei Lorenzo Quadri (lega, TI) Unterstützung.

Die Detailberatung nahm die grosse Kammer in vier Blöcken vor, wobei sie in den zentralen Punkten Differenzen zum Ständerat schuf.
Gleich zu Beginn beschäftigte sich der Nationalrat mit der Hauptthematik der Revision: Im ersten Block debattierte der Nationalrat über die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre – das in der Zwischenzeit in «Referenzalter» umbenannt worden war. Dazu gab es noch einmal eine ausführliche und teilweise ziemlich gereizte Debatte mit zahlreichen Nachfragen, bei der verschiedene Frauen erneut die noch immer bestehende Benachteiligung der Frauen in zahlreichen Bereichen, insbesondere beim Lohn und bei der unbezahlten Arbeit, hervorhoben. Bürgerliche Sprechende verwiesen hingegen unter anderem ebenfalls auf den Gleichstellungsartikel in der Verfassung, den es nun durch eine Angleichung des Rentenalters zu erfüllen gelte. Mit 124 zu 69 Stimmen sprach sich nach dem Ständerat auch der Nationalrat für eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen aus. Abgelehnt wurde diese von der SP- und der Grünen-Fraktion sowie von Lorenzo Quadri und zwei Mitgliedern der Mitte-Fraktion (Christine Bulliard (mitte, FR) und Jean-Paul Gschwind (mitte, JU)). Nicht nur bei den Männern waren die Fronten somit deutlich nach politischen Lagern gespalten: Einzig Christine Bulliard sprach sich als bürgerliche Frau gegen die Rentenaltererhöhung für Frauen aus. Insgesamt lehnten die Frauen im Nationalrat die Erhöhung jedoch mit 38 zu 29 Stimmen ab, zumal dem links-grünen Lager deutlich mehr Frauen angehören als dem bürgerlichen Lager.
Gleich im Anschluss behandelte der Nationalrat die zweite grosse Frage der Revision: die Kompensationsmassnahmen für Frauen, die in Kürze pensioniert würden und nun ein Jahr länger arbeiten müssten als geplant. Wie bereits im Ständerat standen diesbezüglich zahlreiche verschiedene Modelle zur Debatte. Die Kommissionsmehrheit hatte sich gegen das vom Ständerat geschaffene Trapezmodell ausgesprochen und nahm stattdessen das Modell, das Damian Müller (fdp, LU) im Ständerat vertreten hatte, in modifizierter Form auf: So sollte der Zuschlag für die Frauen nach deren bisherigem Einkommen abgestuft werden, wobei die SGK-NR im Gegensatz zu Müller drei Stufen vorsah: Je nach Höhe des bisherigen Einkommens sollten die Frauen zwischen CHF 50 und CHF 150 pro Monat zusätzlich erhalten. Davon sollten sechs Jahrgänge profitieren, maximal sollte dies CHF 551 Mio. kosten. Eine Minderheit II Prelicz-Huber befürwortete hingegen die Änderung der Rentenformel, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte (Modell Bundesrat), wollte diese aber grosszügiger ausgestalten (bei Kosten von CHF 1.08 Mrd.) und 14 Jahrgänge daran teilhaben lassen. Die restlichen drei Minderheiten befürworteten das Trapezmodell, das die Rentenzuschläge nach Jahrgängen zuerst zunehmend, später absteigend abstufen wollte. Damit sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das Rentenalter schrittweise erhöht wird und somit die ersten Jahrgänge keinen vollständigen Rentenzuschlag zugute haben. Eine Minderheit II de Courten wollte dabei dem Ständerat folgen (Kosten: CHF 409 Mrd.), die Minderheiten IV Meyer und V Prelicz-Huber forderten hingegen verglichen mit dem Ständerat deutlich höhere Grundzuschläge (SR: CHF 150, Meyer: CHF 430, Prelicz-Huber: 515), zudem sollten bei der Minderheit Prelicz-Huber deutlich mehr Jahrgänge unterstützt werden (SR und Meyer: 9 Jahrgänge, Prelicz-Huber: 14 Jahrgänge), bei Kosten von CHF 1.35 Mrd. respektive CHF 1.72 Mrd. Ein Einzelantrag Bäumle wollte schliesslich dem Modell der Kommission folgen, aber die Übergangsmassnahmen acht Jahrgängen zugutekommen lassen (SGK-NR: 6 Jahrgänge), was Kosten von CHF 900 Mio. mit sich bringen sollte.
Wie das Modell des Bundesrates vorgesehen hatte, waren bei den Ausgleichsmassnahmen jedoch nicht nur Rentenzuschläge angedacht, sondern alternativ auch ein privilegierter Rentenvorbezug: Die Frauen der Übergangsgeneration sollten gemäss der Mehrheit der SGK-NR – ebenfalls abgestuft nach Einkommen – ihre Rente mit einem Kürzungssatz von 0 bis 2 Prozent (tiefere Einkommen), 1 bis 4 Prozent (mittlere Einkommen) und 2 bis 6 Prozent (höhere Einkommen) vorbeziehen können. Die Minderheit II Prelicz-Huber wollte hier auf den höchsten Kürzungssatz verzichten. Das Trapezmodell und somit auch die Modelle des Ständerats sowie der übrigen Minderheiten sahen keine Möglichkeit für einen privilegierten Vorbezug vor.
Gesundheitsminister Berset sprach sich mit deutlichen Worten gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit aus. So sei die Anzahl Jahrgänge, die von den Ausgleichsmassnahmen profitieren sollen, deutlich zu gering, insbesondere wenn die ersten Übergangsjahrgänge nur reduzierte Zuschläge erhalten sollten. Die Kompensationen seien demnach deutlich weniger grosszügig als bei der erfolgreichen 10. AHV-Reform, weshalb sich der Nationalrat für das grosszügigere Modell des Bundesrates entscheiden solle. Kommissionssprecher de Courten verwies hingegen darauf, dass die Kommissionsmehrheit zwar eine geringere Anzahl Jahrgänge berücksichtige als der Bundesrat und der Ständerat, diese aber grosszügiger behandeln wolle.
Deutlich setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit in der Ausmehrung gegen sämtliche anderen Modelle durch. Knapp wurde es einzig gegen die Minderheit II de Courten, die dem Ständerat folgen wollte (79 zu 74 Stimmen bei 40 Enthaltungen). Dabei stimmte fast die gesamte Grünen-Fraktion mit der SVP-Fraktion für die Minderheit de Courten, während sich die SP-Fraktion ihrer Stimme enthielt.

Im zweiten Block behandelte der Nationalrat die Flexibilisierung des Rentenbezugs, dessen erste Frage des privilegierten Vorbezugs der Übergangsgeneration ja bereits bei der Wahl des Kompensationsmodells geklärt worden war. Umstritten war hier – wie bereits im Ständerat – die Frage, ob der Vorbezug ab 62 oder 63 Jahren möglich sein soll. Die Kommissionsmehrheit wollte der Version des Ständerates folgen (63 Jahre). Yvonne Feri (sp, AG) argumentierte hingegen, dass Frauen neben dem Rentenalter nicht auch noch beim Zeitpunkt des Vorbezugs eine Verschlechterung erfahren sollten, und beantragte folglich Zustimmung zur bundesrätlichen Version für einen Vorbezug ab 62 Jahren. Deutlich setzte sich die Kommissionsmehrheit aber auch hier durch.
Auch bei der Frage des Freibetrags für Personen, die nach Erreichen des AHV-Alters weiterhin erwerbstätig sind, war die Kommissionsmehrheit erfolgreich. Der Ständerat hatte sich hier statt eines Betrags in der Höhe des anderthalbfachen Mindestbetrags der AHV-Rente (aktuell CHF 16’800) für einen fixen Betrag von CHF 24'000 entschieden, der jedoch an die Teuerung angepasst werden soll. Damit sollten die Bürgerinnen und Bürger motiviert werden, über das Referenzalter hinaus erwerbstätig zu bleiben. Die Kommissionsmehrheit wollte stattdessen dem Bundesrat folgen, den Freibetrag jedoch für freiwillig erklären. Erfolglos blieben diesbezüglich eine Minderheit I de Courten, die dem Ständerat folgen, aber den Zusatz der Kommission zur Freiwilligkeit des Freibetrags aufnehmen wollte, sowie eine Minderheit II Gysi (sp, SG) für die bundesrätliche Position.

In einem dritten Block fasste der Nationalrat die übrigen Themenbereiche zusammen. So hatte zum Beispiel eine Minderheit Feri im Lichte des Urteils des EGMR gegen die Schweiz vorgeschlagen, die Witwerrente der Witwenrente anzupassen und somit grosszügiger auszugestalten als bisher. Denn während Witwer nach geltendem Recht nur solange Witwerrente erhalten, wie sie minderjährige Kinder zu betreuen haben, haben Witwen bis zu ihrer Pensionierung Anrecht auf Witwenrente. Es sei höchste Zeit, die biologisch und funktional ungerechtfertigten rechtlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beheben, argumentierte Feri. Die beiden Kommissionssprecher verwiesen jedoch auf die Kosten dieser Regelung von CHF 105 Mio. pro Jahr und wollten stattdessen einen entsprechenden Vorschlag des Bundesrates abwarten. Verschiedene Sprechende hofften darauf, die Problematik nicht durch eine grosszügigere Witwerrente, sondern durch eine Einschränkung der Witwenrente zu lösen. Der Nationalrat teilte diese Einschätzung und lehnte den Antrag der Minderheit Feri ab.

Im vierten Block debattierte der Nationalrat über die dritte grosse Frage, die Zusatzfinanzierung für die AHV. Dabei lagen auch bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung unterschiedliche Konzepte vor. Die Kommissionsmehrheit schlug mit einer Erhöhung von 0.4 Prozentpunkten des Normalsatzes (sowie Erhöhungen um je 0.1 Prozentpunkte des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen und des reduzierten Satzes) eine etwas grössere Erhöhung vor als der Ständerat (0.3 und je 0.1 Prozentpunkte), blieb jedoch deutlich unter dem Vorschlag des Bundesrates (0.7 respektive 0.2 und 0.3 Prozentpunkte). Eine Minderheit II de Courten bevorzugte die ständerätliche Version, während eine weitere Minderheit IV de Courten die Mehrwertsteuer nur zeitlich begrenzt bis Ende 2030 in demselben Ausmass erhöhen wollte wie die Kommissionsmehrheit. Eine Minderheit I Maillard (sp, VD) sprach sich zwar für die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung aus, wollte jedoch auf die von der Kommission sowie von mehreren Minderheiten ebenfalls vorgesehene Verknüpfung der Mehrwertsteuererhöhung mit der Erhöhung des Rentenalters verzichten. Eine Minderheit III Gysi beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen. Gesundheitsminister Berset verwies darauf, dass die Situation für zukünftige Revisionen noch viel schwieriger werde, wenn man bereits jetzt mit einer 88-prozentigen Deckung des Fonds für das Jahr 2030 rechne – so hoch sollte der Deckungsgrad mit dem Modell der Kommissionsmehrheit sein. Folglich empfahl er dem Nationalrat die stärkere vom Bundesrat vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.7 Prozentpunkte. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen, auch in dieser Frage setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen sämtliche Minderheitsanträge durch.
Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Frage, ob der Bundesbeschluss zur Mehrwertsteuererhöhung an die AHV 21-Reform geknüpft werden soll oder nicht. Der Ständerat hatte eine solche Verknüpfung geschaffen, die Mehrheit der SGK-NR wollte ihr zustimmen, während sie eine Minderheit Maillard ablehnte. Bundesrat Berset verwies diesbezüglich auf die Altersvorsorge 2020, bei der die Verknüpfung der beiden Vorlagen für die Ablehnenden ein wichtiges Argument dargestellt habe. Dabei forderte er den Nationalrat auf, denselben Fehler nicht erneut zu begehen. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen und nahm den Mehrheitsantrag mit 124 zu 67 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.
In der Folge schlug Felix Wettstein (gp, SO) ein alternatives Finanzierungskonzept in Anlehnung etwa an die Mikrosteuer-Initiative vor, gemäss dem auf jeder Finanztransaktion an der Schweizer Börse eine Steuer von 1 Promille erhoben werden sollte. Damit könne neben den Einkommen eine weitere Finanzierungsquelle für die AHV erschlossen werden, begründete Wettstein seinen Antrag. Dieser wurde jedoch mit 120 zu 70 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Zustimmung fand der Vorschlag bei der SP- und der Grünen-Fraktion sowie bei einer Minderheit der Mitte-Fraktion.
Stattdessen schuf die Mehrheit der SVP-Fraktion unterstützt von der SP- und der Grünen Fraktion eine andere, zusätzliche Einnahmequelle für die AHV. So schlug die SVP-Fraktion in einem Einzelantrag vor, sämtliche Bruttoerträge der Schweizerischen Nationalbank aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten dem AHV-Ausgleichsfonds zukommen zu lassen. Zudem sollten die Bruttoerträge aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten, die zwischen 2015 und dem Inkrafttreten der AHV 21-Revision anfallen würden, in einer einmaligen Zahlung der AHV zugeschrieben werden. Eine Minderheit Maillard hatte zuvor einen ähnlichen Antrag gestellt, diesen aber zugusten des SVP-Antrags zurückgezogen. Pierre-Yves Maillard verwies auf die riesigen Gewinne, welche die SNB mit den Negativzinsen mache: In den ersten 60 Tagen dieses Jahres habe diese bereits die Gewinne angehäuft, welche gemäss dem Antrag der SVP der AHV zukommen würden. Alfred Heer (svp, ZH), der bereits 2018 eine entsprechende Motion (Mo. 18.4327) eingereicht hatte, verwies für die SVP-Fraktion darauf, dass die Negativzinsen zwar zur Schwächung des Frankens und als Subvention für die Exportindustrie gedacht seien, in erster Linie aber vor allem eine «Strafe für die Sparerinnen und Sparer in der Schweiz» darstellten. Folglich müssten deren Gewinne wieder an die Bevölkerung zurück verteilt werden. Kommissionssprecher Nantermod empfand es hingegen als unklug «de lier le destin de l'AVS à […] celui des intérêts négatifs». Die AHV-Finanzierung solle nicht von der SNB abhängig werden, da damit auch die Unabhängigkeit der SNB gefährdet sei. Schliesslich gehöre die SNB den Kantonen, weshalb der Bund nicht über die Verwendung ihrer Gewinne bestimmen könne. Mit 108 zu 80 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den SVP-Antrag jedoch an und verschob diese Zusatzfinanzierung in der Folge in eine neue Vorlage 3.
Erfolglos blieb hingegen ein Minderheitsantrag Prelicz-Huber für eine Erhöhung des Bundesbeitrags an die AHV von bisher 19.55 Prozent auf 25 Prozent. Stattdessen nahm die grosse Kammer die Erhöhung auf 20.2 Prozent, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte, an.

In der Gesamtabstimmung stimmte die grosse Kammer dem Revisionsentwurf für das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung mit 126 zu 67 Stimmen zu, abgelehnt wurde er von den geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen sowie von Lorenzo Quadri. Der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wurde nur von Stefania Prezioso (egsols, GE) abgelehnt, die SP-Fraktion enthielt sich jedoch ihrer Stimme. Dem vom Nationalrat auf Initiative der SVP-Fraktion neu geschaffenen Bundesbeschluss über die Zuweisung des Gewinns aus den Negativzinsen der SNB an den AHV-Ausgleichsfonds stimmte der Nationalrat mit 132 zu 60 Stimmen (bei 1 Enthaltung) zu. Zu den SP-, Grünen- und SVP-Fraktionen, die dieses Projekt bereits zuvor unterstützt hatten, gesellte sich auch eine Mehrheit der Mitte-Fraktion. Nachdem diese Abstimmung wegen unklarer Abstimmungsfrage wiederholt worden war, betrug die Unterstützung durch die Mitte-Fraktion jedoch nur noch drei Stimmen. Dennoch reichte es mit 114 zu 75 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) zur Annahme des neu geschaffenen Bundesbeschlusses.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

Einige Tage später setzte sich der Nationalrat mit der dritten Revision des Covid-19-Gesetzes auseinander. Marie-France Roth Pasquier (mitte, FR) und Matthias Aebischer (sp, BE) berichteten für die WBK-NR von den Kommissionsentscheiden: Unumstritten seien auch hier die Vorschläge des Bundesrates gewesen, da auch der Nationalrat ein abruptes Auslaufen der Covid-Hilfen verhindern wolle. Zusätzlich zu den neuen ständerätlichen Regelungen lägen jedoch auch im Nationalrat verschiedene Vorschläge von Kommissionsmehrheit und -minderheiten vor.

In der Eintretensdebatte forderten die SVP- und die FDP-Fraktion eine Rückkehr zur Normalität, während sich die GLP insbesondere gegen die Maskenpflicht im Freien aussprach. Auch die Mitte-, die SP- und die Grünen-Fraktionen zeigten sich über die bereits erfolgten Lockerungen erfreut, sprachen sich aber für einen «kontrollierten Ausstieg» aus den Covid-19-Massnahmen aus. Eintreten war in der Folge unbestritten.
Widerstandslos verlängerte der Nationalrat die Covid-19-Erwerbsausfallentschädigungen bis Ende 2021, wie es der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Stillschweigend stimmte er auch der Aufhebung der Obergrenze der A-Fonds-perdu-Beiträge für die Sportklubs zu. Gleichzeitig nahm er aber auch eine ergänzende Bestimmung der WBK-NR an, welche die Regelungen zu den A-Fonds-perdu-Beiträgen erneut ändern wollte. Ursprünglich hatte das Parlament entschieden, dass nur Klubs, die bestimmte Vorgaben erfüllen – darunter eine Reduktion der Löhne und ein Verzicht auf Lohnerhöhung während fünf Jahren – A-Fonds-perdu-Beiträge in der Höhe von 66 Prozent ihrer entgangenen Ticketeinnahmen erhalten sollen. In der Frühjahrssession 2021 hatte das Parlament diese Regelung insofern abgeschwächt, als die Sportklubs auch ohne die Erfüllung einer dieser Vorgaben, nämlich der Lohnreduktion, Finanzhilfen in der Höhe von 50 Prozent der entgangenen Ticketeinnahmen erhalten sollten – aber eben nicht die vollen 66 Prozent. Nun habe sich aber auch neben der Lohnreduktion auch die Klausel zum Verbot der Lohnerhöhungen als problematisch erwiesen, weshalb diese Regel ebenfalls geändert werden soll, wie Matthias Aebischer für die Kommission erklärte. Demnach sollen neu Sportklubs, welche die Gesamtlohnsumme aller Mitarbeitenden und aller Spielerinnen und Spieler in den nächsten fünf Jahren erhöhen, nur die erhaltenen A-Fonds-perdu-Beträge, die 50 Prozent der entgangenen Ticketeinnahmen übersteigen, – nicht aber die gesamten erhaltenen A-Fonds-perdu-Beiträge – zurückzahlen müssen.

Auch weitere Entscheidungen wurden ohne grosse Diskussionen getroffen: So entschied der Nationalrat auf Vorschlag der WBK-NR auch, die Ausnahmeregelung zur Durchführung von Generalversammlungen von Aktiengesellschaften auf schriftlichem oder elektronischem Weg bis Ende 2021 zu verlängern – der Ständerat hatte eine Verlängerung bis zum Inkrafttreten der Revision des Aktienrechts oder spätestens bis Ende 2023 vorgesehen.
Stillschweigend folgte der Nationalrat seiner Kommission zudem bei der Verlängerung der 100-prozentigen Kurzarbeitsentschädigung für Personen mit tiefen Einkommen bis Ende 2021. Hingegen lehnte die grosse Kammer einen Antrag Piller Carrard (sp, FR), basierend auf einem Mitbericht der SGK-NR, ab und sprach für die Zeit zwischen Juni und Dezember 2021 keine zusätzlichen Taggelder. Umstrittener war zudem der Antrag der Kommissionsmehrheit auf Verlängerung der Massnahmen im Kul­turbereich bis Ende April 2022: Eine Minderheit Gutjahr (svp, TG) hatte sich hier für einen Verzicht auf die vorzeitige Verlängerung ausgesprochen, war aber mit 96 zu 91 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) knapp unterlegen.

Besonders umstritten waren schliesslich die vom Ständerat eingefügten Änderungen: Die Streichung der Möglichkeit für Zugangsbeschränkungen zu öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Veranstaltungen, sobald alle impfwilligen Erwachsenen geimpft sind, hatte die Kommission zuvor mit 12 zu 10 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) abgelehnt. Auch das ähnliche Anliegen, Inhaberinnen und Inhaber eines Covid-Zertifikats von Zugangsbeschränkungen auszunehmen, hatte bei der WBK-NR mit 11 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen und Stichentscheid der Vizepräsidentin knapp keine Zustimmung gefunden. Beide Anträge würden den Handlungsspielraum des Bundesrates einschränken, kritisierte Roth Pasquier für die Kommissionsmehrheit. Man lehne zudem generell die Aufnahme von Terminen und Kriterien ins Covid-19-Gesetz ab. Christian Wasserfallen (fdp, BE) befürwortete hingegen insbesondere diesen «GGG-Ansatz» (Geimpfte, Genesene oder Getestete), mit dem man die Lockerungen vorantreiben könne. In der Folge sprach sich die grosse Kammer mit 106 zu 81 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und mit 103 zu 78 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für beide Minderheitsanträge auf Annahme der Bestimmungen aus und folgte damit dem Ständerat. Zustimmung fanden diese bei der SVP-, der FDP.Liberalen-, einer Mehrheit der Mitte-Fraktion und einem Teil der GLP-Fraktion.

Zu einer eigentlichen Antragsflut der SVP-Fraktion kam es bei den Massnahmen im Bereich der Gesundheitsversorgung sowie zum Covid-19-Zertifikat. Dabei forderten Mitglieder der Fraktion unter anderem die Aufhebung der Maskenpflicht – im Allgemeinen (Haab, svp, ZH), für Personen mit Covid-19-Zertifikat (Martullo, svp, GR), im Freien (mit Ausnahmen für Veranstaltungen; Haab), bei Kindern und Jugendlichen auf der Primar- und Sekundarstufe I und II (Haab) sowie im Aussenbereichen von Schularealen (Aeschi, svp, ZG). Erneut ging es auch um Fragen des Umgangs mit dem Covid-19-Zertifikat. So wurde beantragt, dass dieses ausschliesslich für den internationalen Reiseverkehr und für Grossveranstaltungen in Innenräumen mit mehr als 5'000 Teilnehmenden, in Diskotheken und bei Tanzveranstaltungen gelten soll, nicht aber zum Beispiel für einen Restaurantbesuch (Gutjahr, ähnlich auch Addor (svp, VS), Aeschi sowie als einziges Mitglied einer anderen Fraktion Léonore Porchet (gp, VD)). In einem weiteren Antrag sollte die Nutzung des Zertifikats in der Schweiz bis Ende September 2021 begrenzt werden (Aeschi). Des Weiteren sollten Veranstaltungen für Geimpfte von der Verpflichtung zu zusätzlichen Massnahmen wie einem Schutzkonzept oder einer Maskenpflicht befreit werden (Herzog, svp, TG). Andere Vorstösse verlangten Rechtsgleichheit für die Impfunwilligen (Gafner, edu, BE), die Auflösung des Mandats der Swiss National Covid-19 Science Task Force (Keller, svp, NW) oder ganz allgemein ein Ende der Einschränkungen – etwa der Homeofficepflicht (Gutjahr), der Personenobergrenzen bei Veranstaltungen, Versammlungen, in Läden oder beim Schulunterricht sowie der Einschränkungen für Restaurants, sobald 80 Prozent der über 65-Jährigen geimpft sind (Aeschi) –, eine Streichung der Ordnungsbussen für Maskenverweigernde (Gafner) sowie eine systematische Kontrolle der Landesgrenzen (Aeschi) und eine Einreisebeschränkung für Personen ohne Covid-19-Zertifikat (Aeschi). Keiner der Anträge fand im Nationalrat jedoch eine Mehrheit.

Mit 149 zu 39 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) verabschiedete der Nationalrat in der Folge die dritte Revision des Covid-19-Gesetzes in der Gesamtabstimmung. Sämtliche Nein-Stimmen und Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Dritte Revision des Covid-19-Gesetzes (Änderung Covid-Erwerbsersatz und Massnahmen im Sportbereich; BRG 21.033)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

L'initiative parlementaire de Roberta Pantani (lega, TI), reprise par Lorenzo Quadri (lega, TI), souhaite introduire dans le Code des obligations (CO) un mécanisme juridique pour rendre nul le transfert de manteaux d'actions. Selon l'initiative parlementaire, le transfert de manteaux d'actions, sans finalité entrepreneuriale, est dicté par des desseins frauduleux comme l'obtention de permis de séjour, ou d'indemnités chômage ou invalidité.
La Commission des affaires juridiques du Conseil national (CAJ-CN) s'est opposée à l'initiative par 17 voix contre 4 et 2 abstentions. Si la CAJ-CN a reconnu le risque d'abus, elle a estimé que le transfert de manteaux d'actions était fort utile pour les microentreprises ou le start-ups. Une inscription légale dans le CO n'est donc pas la bonne option pour la CAJ-CN.
Le Conseil national a refusé l'objet par 160 voix contre 26 et 2 abstentions. L'initiative parlementaire n'a récolté que 4 voix UDC et 22 voix des Verts.

Nullité du transfert d'un manteau d'actions (In. Pa. 19.438)

Im Rahmen der Differenzbereinigung zum Informationssicherheitsgesetz (ISG) befasste sich der Ständerat in der Wintersession 2020 abermals mit der Frage, ob zur Personenidentifikation im Zusammenhang mit dem ISG die AHV-Nummer verwendet werden darf. Schon in der ersten Beratung im Dezember 2017 hatte der Ständerat die systematische Verwendung der AHV-Nummer im ISG festschreiben wollen – ein Entscheid, der vom Nationalrat seither zweimal wieder umgestossen worden war, zuletzt im September 2020, jedoch nur noch mit sehr knapper Mehrheit. Eine Minderheit Zopfi (gp, GL) beantragte im Ständerat erneut, aus Datenschutzgründen auf die direkte Verwendung der AHV-Nummer zu verzichten und stattdessen eine aus der AHV-Nummer abgeleitete Identifikationsnummer zu verwenden. Mit 30 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung hielt der Ständerat jedoch an seinem Beschluss fest, die Nutzung der AHV-Nummer als Identifikator zu erlauben. Die gleiche Konstellation – die Kommissionsmehrheit beantragte Zustimmung zur Verwendung der AHV-Nummer, eine Minderheit Porchet (gp, VD) deren Ablehnung – zeigte sich daraufhin auch im Nationalrat. Nachdem dieser aber zwei Tage zuvor der Revision des AHV-Gesetzes zugestimmt hatte, das neu allen Behörden die systematische Verwendung der AHV-Nummer als Identifikator erlaubt, machte eine andere Entscheidung beim ISG nicht mehr viel Sinn. Diese Geschichte sei «leider gelaufen» und die Abstimmung jetzt nur noch «für die Galerie», fasste Thomas Hurter (svp, SH) als Sprecher der SVP-Fraktion, die sich bislang auch gegen die Verwendung der AHV-Nummer ausgesprochen hatte, die Lage zusammen. So schloss sich die grosse Kammer mit 140 zu 46 Stimmen dem Beschluss des Ständerates an und räumte die letzte Differenz aus. In den Schlussabstimmungen nahm der Ständerat das ISG einstimmig an, der Nationalrat hiess es mit 141 zu 53 Stimmen bei einer Enthaltung gut. Abgelehnt hatte es die geschlossene SVP-Fraktion, weil sie die Unklarheit über die Umsetzungskosten bemängelte.

Informationssicherheitsgesetz (BRG 17.028)