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  • Rösti, Albert (svp/udc, BE) NR/CN
  • Walti, Beat (fdp/plr, ZH) NR/CN

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Nachdem die beiden Kammern in der Sommersession 2021 einen Gegenvorschlag verworfen und die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» fast einstimmig zur Ablehnung empfohlen hatten, setzte der Bundesrat den Termin für die Abstimmung über das Volksbegehren auf den 28. November 2021 fest.

Das Ziel der Initiative war eine Reform des Wahlsystems der Bundesrichterinnen und Bundesrichter. Am aktuellen Vorgehen wurde kritisiert, was in der Zeitung «Republik» als «Unheilige Dreifaltigkeit» bezeichnet wurde: Parteizugehörigkeit, Mandatssteuer und Wiederwahl. In der Tat bedingt die Idee des Parteienproporz, also die Verteilung der Sitze an den höchsten eidgenössischen Gerichten entsprechend der Stärke der Parteien im Parlament, dass Kandidierende für höchste Richterämter einer Partei angehören sollten, um gewählt werden zu können. Alle Parteien fordern zudem von ihren Mandatsträgerinnen und -trägern eine Abgabe, die Mandatssteuer. In den Medien wurden zu diesem Obolus von Gerichtspersonen verschiedene Zahlen herumgereicht: Eine Befragung der CH-Medien bei den Parteien wies ein Total aller Abgaben von allen Richterinnen und Richtern aus allen Bundesgerichten zwischen CHF 30'000 bei der GLP und CHF 265'000 bei der SP aus (FDP: CHF 35'000; Grüne: CHF 100'000; Mitte: CHF 65'000; SVP: CHF 172'000). Das aktuelle Wahlsystem sieht schliesslich vor, dass Bundesrichterinnen und -richter nicht nur vom Parlament gewählt, sondern alle sechs Jahre bestätigt werden müssen. Das Initiativkomitee kritisierte, dass diese drei Elemente letztlich die Unabhängigkeit der Judikative gefährdeten, und forderte deshalb mit seinem Begehren, dass ein vom Bundesrat ernanntes Fachgremium Kandidierende nach fachlicher Eignung auswählt und dass die Bundesrichterinnen und Bundesrichter aus einem mit diesen Kandidierenden gefüllten Pool per Losverfahren gezogen werden. Die Gewählten sollen zudem keiner Amtszeitbeschränkung mehr unterliegen, sondern bis maximal fünf Jahre nach Pensionsalter in ihrem Amt verbleiben dürfen, falls sie nicht mittels eines neu einzuführenden Abberufungsverfahrens aufgrund von Fehlverhalten abgesetzt würden. Beim Losverfahren würde einzig eine sprachliche Repräsentation berücksichtigt.

Das Initiativkomitee – neben dem «Vater» der Initiative, dem Multimillionär und Unternehmer Adrian Gasser, sassen der Politikwissenschafter Nenad Stojanovic und die Mitte-Politikerin Karin Stadelmann (LU, mitte) federführend im Komitee – lancierte den Abstimmungskampf am 30. September 2021. An einer Pressekonferenz und in späteren Interviews betonten die Initiantinnen und Initianten, dass mit Annahme ihres Begehrens der Pool an geeigneten Richterinnen und Richtern vergrössert würde: Auch Parteilose könnten am Bundesgericht Einsitz nehmen und es müssten zukünftig nicht mehr zahlreiche geeignete Kandidierende hintanstehen, wenn eine Partei – wie aktuell etwa die Grünen nach ihren Wahlerfolgen 2019 – stark untervertreten sei und deshalb bei Vakanzen lediglich Kandidierende dieser Partei berücksichtigt würden. Adrian Gasser strich in mehreren Interviews das in seinen Augen grosse Problem der Parteiabhängigkeit und der Mandatssteuer hervor: «Die politischen Parteien haben sich die Macht angeeignet, diese Ämter unter sich aufzuteilen, dafür Geld zu verlangen und eine opportun erscheinende Gesinnung einzufordern [...] Vorauseilender Gehorsam ist garantiert», klagte er etwa in einem NZZ-Meinungsbeitrag. In Le Temps behauptete er, dass die fehlende Unabhängigkeit der Gerichte dazu führe, dass in 95 Prozent der Fälle Individuen vor Gericht verlieren würden, wenn sie gegen den Staat antreten müssten.

Obwohl keine einzige etablierte Partei und kein Verband das Begehren unterstützte, wollte keine Organisation die Federführung für eine Nein-Kampagne übernehmen. Ende September gründete deshalb Andrea Caroni (fdp, AR) ein «überparteiliches Nein-Komitee». Weil er wie bereits 2014 bei der sogenannten «Pädophileninitiative» den liberalen, demokratischen Rechtsstaat bedroht sehe, wolle er sich wehren, betonte der FDP-Ständerat im Sonntags-Blick. Im Komitee sassen Mitglieder aller grossen Parteien: Heidi Z’graggen (mitte, UR); Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE), Nicolas Walder (gp, GE), Beat Flach (glp, AG) und Yves Nidegger (svp, GE). In den Medien tat sich freilich vor allem Andrea Caroni mit Stellungnahmen hervor. Mit dem Slogan «Wählen statt würfeln, Demokratie statt Lotterie» griff er vor allem das Losverfahren an, das auf Glück beruhe und deshalb nicht geeignet sei, fähige Kandidierende auszuwählen. Darüber hinaus habe sich das bestehende System, das eine repräsentative Vertretung unterschiedlicher politischer Grundhaltungen in der Judikative garantiere, bewährt. Im Verlauf der Kampagne warf Andrea Caroni den Initiantinnen und Initianten zudem auch vor, «falsch und verleumderisch» zu argumentieren.

Am 11. Oktober erörterte Karin Keller-Sutter an einer Pressekonferenz die Position des Bundesrats, der die Initiative zur Ablehnung empfahl. Das Volksbegehren sei «zu exotisch» und stelle das politische System und die demokratische Tradition der Schweiz «auf fundamentale Weise» in Frage, so die Justizministerin. Die Wahl durch das Parlament würde durch Losglück ersetzt, womit die demokratische Legitimation Schaden nehme. Das Losverfahren sei zudem ein «Fremdkörper im institutionellen Gefüge», so die Bundesrätin. Mit dem heute angewandten Parteienproporz werde hingegen gewährleistet, dass politische Grundhaltungen, aber auch das Geschlecht und die regionale Herkunft am Bundesgericht «transparent und ausgewogen» vertreten seien, war in der Medienmitteilung zu lesen. Die Praxis zeige zudem, dass die Unabhängigkeit gewährleistet sei und kein Druck von Parteien auf die Bundesrichterinnen und Bundesrichter ausgeübt werde. Noch nie in der jüngeren Geschichte sei ein Richter oder eine Richterin aus politischen Gründen abgewählt worden, so Karin Keller-Sutter, was zeige, dass der von den Initiantinnen und Initianten kritisierte Konformitätsdruck aufgrund der Angst vor einer Wiederwahl gar nicht bestehe. Es sei zudem falsch anzunehmen, dass parteilose Richterinnen und Richter nicht ebenfalls Werte vertreten würden, die allerdings nicht so transparent seien, wie bei Parteimitgliedern. Die Justizministerin nahm schliesslich auf die aktuelle Pandemie-Diskussion Bezug: Viele Stimmen kritisierten momentan demokratisch nicht legitimierte Gremien aus Expertinnen und Experten. Mit Annahme der Initiative würde mit der vorgesehenen Fachkommission aber ein weiteres solches Gremium geschaffen.

In den Medien wurde laut APS-Analyse und FöG-Abstimmungsmonitor nur selten über die Justizinitiative berichtet. Dies war einerseits dem Umstand geschuldet, dass vor allem das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes sehr viel Platz in der medialen Berichterstattung einnahm, andererseits ist dies aber wohl auch der Komplexität des Themas zuzuschreiben. In der Tat kamen in den Printmedien neben Adrian Gasser und Andrea Caroni vor allem Expertinnen und Experten, aber auch ehemalige Richterinnen und Richter zu Wort.
Auffällig war, dass die meisten dieser Expertinnen und Experten der Initiative relativ wohlwollend gegenüberstanden. So wurden etwa Studien zitiert, die zeigten, dass eine längere Amtszeit zu mehr richterlicher Unabhängigkeit führe. Kurze Amtszeiten und vor allem die Wiederwahl könnten hingegen als Disziplinierungsmöglichkeit von Parteien erachtet werden, mit der Linientreue von Richterinnen und Richtern erzwungen werde, so etwa der Politikwissenschafter Adrian Vatter in der NZZ. Die Wiederwahl sichere Bodenhaftung der Richter und trage dazu bei, dass «sich die Justiz nicht verselbständigt» und dass Richterinnen und Richter nicht zu einer «Elite ohne Legitimation» würden, meinte hingegen Katharina Fontana, ehemalige Mitarbeiterin im BJ und NZZ-Journalistin für das Themengebiet Recht und Gesellschaft. Bemängelt wurde zudem der Umstand, dass parteilose Kandidierende aktuell keine Chance hätten, gewählt zu werden. Wenn wirklich Repräsentation das Ziel sei, dann dürften in den Gerichten nicht nur Parteimitglieder sitzen, da die grosse Mehrheit der Bevölkerung keine Parteibindung aufweise, so die Argumentation. Adrian Vatter schlug entsprechend ein Modell mit 50 Prozent Parteilosen und 50 Prozent Parteimitgliedern vor. Debattiert wurde auch über die Frage, ob Richterinnen und Richter überhaupt ideologisch neutral sein könnten oder ob Gerichte eben nicht auch genuin politische Institutionen seien. In diesem Falle wäre aber der Parteienproporz folgerichtig, so die NZZ. Auch das Losverfahren erhielt einige Aufmerksamkeit – einige Expertinnen und Experten erachteten es als geeignetes Mittel zur Auswahl von Richterinnen und Richtern. Es sei schliesslich schon von Aristoteles als «Grundlage wahrer Demokratie» betrachtet worden, warb der Ökonom Bruno S. Frey. Das Los sei über längere Frist ebenso repräsentativ wie das momentane Auswahlverfahren, funktioniere aber wesentlich unabhängiger, argumentierte die Ökonomin Margit Osterloh, die zudem betonte, dass das Losverfahren nicht einfach eine Lotterie sei, sondern dass durch das qualitative Losverfahren mit Vorselektion letztlich geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt würden als von menschlichen Expertinnen und Experten, die in ihrer Wahl eben nicht frei seien von Beeinflussung. Die anfänglich wohl geringere Akzeptanz des Losverfahrens würde rasch zunehmen und das Vertrauen in die Judikative dadurch gar noch verstärkt, so die Ökonomin. In den medialen Kommentaren stand hingegen die Fachkommission, die gemäss der Justizinitiative vom Bundesrat zusammengestellt werden müsste, eher in der Kritik. Die Diskussion um eine optimale Besetzung würde sich von der Richterinnen- und Richterwahl auf die Bestellung dieser Fachkommission verschieben. Es sei nicht klar, wie diese zusammengesetzt werden solle und ob diese eben nicht auch wiederum politisch agieren würde, so der Tenor der Kritikerinnen und Kritiker. Die Weltwoche sprach gar von einer «brandgefährlichen Illusion», zu meinen, es könne ein Gremium eingesetzt werden, das «objektive Qualifikationsmerkmale» bestimmen könne. Andrea Caroni warnte vor «einer obskuren, bundesratsnahen Kommission [...], die weder Qualität noch Vielfalt noch demokratische Legitimation gewährleisten kann». Allerdings stand auch die Frage im Raum, ob die parlamentarische Gerichtskommission (GK), die momentan mit der Auswahl der Kandidierenden betraut ist, fachlich wirklich dafür geeignet sei. Ein eher pragmatisches Argument gegen die Initiative wurde schliesslich von Rechtsprofessor Lorenz Langer vorgebracht: Da sich die Initiative auf das Bundesgericht beschränke, stelle sich die Frage, woher bei Annahme der Initiative die Kandidierenden kommen sollen, da Bewerbende für einen Bundesgerichtsposten in der Regel an anderen Bundesgerichten (Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) oder an kantonalen Gerichten tätig seien, wo aber meist noch nach Parteienproporz gewählt würde. Es gäbe somit nicht mehr viele der verlangten «objektiven», also eben parteiunabhängigen Kandidierenden.

In der medialen Diskussion wurde von Seiten der Befürworterinnen und Befürworter auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das aktuelle System – auch im internationalen Vergleich – sehr gut funktioniere. Die Geschichte zeige, dass Richterinnen und Richter unabhängig seien und sich nicht vor einer Wiederwahl fürchteten. In der Tat wurden bisher lediglich drei Bundesrichter abgewählt – zwei aus Altersgründen zu Beginn der modernen Schweiz sowie Bundesrichter Martin Schubarth 1990, der freilich sofort wiedergewählt worden war.
Diskutiert wurde zudem der «Fall Donzallaz»: Die SVP hatte «ihren Bundesrichter» nicht mehr zur Wiederwahl empfohlen, weil er in einigen Urteilen nicht mehr die Parteilinie verfolgt habe. Yves Donzallaz wurde aber in der Folge von allen anderen Fraktionen bei seiner Wiederwahl unterstützt und schliesslich gar zum Bundesgerichtspräsidenten gewählt. Dies zeige, dass sich Richterinnen und Richter nicht von den eigenen Parteien unter Druck setzen liessen. Die Aargauer Zeitung kritisierte freilich, dass sich bei Yves Donzallaz das Problem der Parteifarbe besonders gut zeige: Um Bundesrichter zu werden, habe er einen Parteiwechsel von der CVP zur SVP vorgenommen. Dies komme häufig vor, so die Zeitung: Kandidierende wechselten ihre «Parteifarbe wie Chamäleons», um ihre Wahlchancen zu steigern.
Der einzige Nationalrat, der die Initiative unterstützt hatte, kam ebenfalls in den Medien zu Wort. Lukas Reimann gab zu Protokoll, dass er die Arbeit der GK als deren Mitglied als wenig seriös erlebt habe, da die Kandidierendenauslese eher eine politische als eine fachliche Frage gewesen sei. Einmal habe die Kommission einem sehr geeigneten, aber parteilosen Kandidaten gar offen empfohlen, der GLP oder der BDP beizutreten, damit er zur Wahl eingeladen werden könne.

Für Gesprächsstoff sorgten zudem einige pensionierte Richterinnen und Richter, die den Medien Red und Antwort standen. Praktisch unisono gaben alt-Bundesstrafrichter Bernard Bertossa sowie die alt-Bundesrichter Jean Fonjallaz, Karl Hartmann, Ulrich Meyer und Hans Wiprächtiger, aber auch die Luzerner alt-Oberrichterin Marianne Heer (fdp) zu Protokoll, von ihrer Partei nie auch nur irgendeinen Druck verspürt zu haben – auch ihre Kolleginnen und Kollegen nicht. Angesprochen auf die Angst vor einer Nicht-Wiederwahl erzählte Hans Wiprächtiger, dass sich das Bundesgericht viel mehr vor schlechter Presse als vor dem Parlament fürchte. Zur Sprache kam auch die von der Greco kritisierte Mandatssteuer. Man müsse die Parteien unterstützen, damit die Demokratie in der Schweiz funktioniere, äusserte sich Jean Fonjallaz hierzu. Er habe vielmehr das Gefühl, dass die Partei mehr von ihm als Beitragszahlendem abhängig sei als er von ihr, so der alt-Bundesrichter. Von Ämterkauf könne nur die Rede sein, wenn Höchstbietende einen Posten kriegten; die Abgaben seien aber innerhalb einer Partei für alle gleich.
Eine gegenteilige Meinung vertrat einzig der Zürcher alt-Oberrichter Peter Diggelmann. Es gebe zwar keine offenen Drohungen, den Druck der Parteien spüre man aber etwa an Fraktionsausflügen oder Parteianlässen. Er selber sei zudem zu einer Mandatssteuer gezwungen worden und wäre wohl nicht mehr nominiert worden, wenn er der entsprechenden Mahnung nicht nachgekommen wäre. Im Gegensatz zu Kolleginnen und Kollegen, die momentan im Amt seien und deshalb aus Angst keine öffentliche Kritik anbrächten, sei es ihm als pensioniertem Richter und aufgrund seines Parteiaustritts möglich, Kritik zu äussern. Das Interview von Peter Diggelmann im Tages-Anzeiger blieb nicht unbeantwortet. Andrea Caroni sprach tags darauf in der gleichen Zeitung von «verleumderischen Unterstellungen». Er kenne keinen Richter und keine Richterin, die sich unter Druck gesetzt fühlten.

Beliebtes Mediensujet war auch der Kopf der Initiative, Adrian Gasser. Der Multimillionär und Chef der Lorze Gruppe, einem Firmenkonglomerat mit Sitz in Zug, habe sich seit seiner Jugendzeit für richterliche Unabhängigkeit interessiert. Als Wirtschaftsprüfer habe er einige Fälle erlebt, bei denen diese Unabhängigkeit nicht gegeben gewesen sei, sagte er in einem Interview. 1987 habe Adrian Gasser im Kanton Thurgau erfolglos für den National- und 1999 für den Ständerat kandidiert – als Parteiloser. Erst 40 Jahre nach diesen Erlebnissen könne er sich nun aber die Finanzierung einer Volksinitiative leisten. In der Tat soll Adrian Gasser laut Medien rund CHF 1 Mio für die Sammlung der Unterschriften aufgeworfen haben. «Andere haben ein Motorboot in Monaco, ich habe mir eine Initiative im Interesse der Schweiz geleistet», so Gasser bei der Einreichung seiner Initiative im St. Galler Tagblatt.

Auch für die Abstimmungskampagne schien das Initiativkomitee einiges an Geld aufgeworfen zu haben. Im Sonntags-Blick wurde vermutet, dass Adrian Gasser für die Kampagne kaum weniger aufgewendet haben dürfte als für die Unterschriftensammlung, was Andrea Caroni in derselben Zeitung zum Vorwurf verleitete, dass sich «eine Einzelperson [...] praktisch eine Initiative gekauft und die Schweiz zuplakatiert» habe. Der Gegnerschaft fehle es hingegen an spendablen Geldgebenden. Bei der APS-Inserateanalyse zeigt sich zwar in der Tat ein Ungleichgewicht zugunsten der Befürwortenden, allerdings finden sich von beiden Lagern kaum Inserate in den grössten Schweizer Printmedien.

Bei den Abstimmungsumfragen im Vorfeld des Urnengangs vom 28. November zeigte sich ein für Initiativen typisches Bild. Hätten Mitte Oktober noch 48 Prozent der Befragten Ja oder eher Ja zur Initiative gesagt, lag dieser Anteil rund zwei Wochen vor der Abstimmung noch bei 37 Prozent. Für eine inhaltlich komplexe Vorlage ebenfalls gängig war der hohe Anteil Befragter, die sich zu Beginn der Kampagne noch keine Meinung gebildet hatten (Anteil «weiss nicht» am 15.10.2021: 19%; 17.11.2021: 7%).

Wie aufgrund der Umfragewerte zu vermuten, wurde die Initiative am Abstimmungssonntag deutlich verworfen. Bei einer wohl vor allem dem gleichzeitig stattfindenden Referendum gegen das Covid-19-Gesetz, aber auch der «Pflegeinitiative» geschuldeten aussergewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von fast 65 Prozent lehnten mehr als zwei Drittel der Stimmberechtigten eine Reform des geltenden Systems der Wahlen von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern ab.


Abstimmung vom 28. November 2021

Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)»
Beteiligung: 64.7%
Ja: 1'382'824 Stimmen (31.9%) / 0 Stände
Nein: 2'161'272 Stimmen (68.1%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
-Ja: Piratenpartei
-Nein: EDU, EVP, FDP, GLP (2), GPS (2), Mitte, PdA, SD, SP, SVP; SGV
-Stimmfreigabe: BastA
* in Klammern Anzahl abweichende Kantonalsektionen


Die Medien sprachen am Tag nach der Abstimmung von einer deutlichen Niederlage. Das Resultat zeige, dass die Stimmberechtigten mit dem System zufrieden seien, liessen sich die Gegnerinnen und Gegner vernehmen. «Das Volk hält den Wert der Institutionen hoch», interpretierte Justizministerin Karin Keller-Sutter das Resultat. Die Initiative habe zwar einige wunde Punkte aufgezeigt, sei aber zu extrem gewesen, um diese Probleme zu lösen, meinte Matthias Aebischer (sp, BE) in La Liberté. Die Initiantinnen und Initianten erklärten sich die Niederlage mit der zu wenig gut gelungenen Information der Bürgerinnen und Bürger über die Probleme des jetzigen Systems. Adrian Gasser machte zudem die einseitige Information durch die Bundesbehörden und die öffentlich-rechtlichen Medien, welche die Meinungsbildung beeinträchtigt habe, für das Scheitern der Initiative verantwortlich. Er kündigte zudem noch am Abend des Abstimmungssonntags einen weiteren Anlauf an. Innert zwei bis drei Jahren könne die Bevölkerung für die Fehlfunktionen im Justizsystem besser sensibilisiert werden. Er wolle deshalb bald mit der Sammlung von Unterschriften für eine identische Initiative beginnen.
Diskutiert wurden in den Medien freilich auch noch einmal die Schwachstellen des Systems, die nun angegangen werden sollten. Die Justizinitiative habe eine «Debatte rund um das Schweizer Justizsystem ausgelöst und uns zu Verbesserungen angespornt», lobte etwa Andrea Caroni im St. Galler-Tagblatt. So dürften die Diskussionen um mehr Transparenz bei den Parteienfinanzen zu einer Offenlegung der Mandatssteuern führen. Im Parlament hängig war zudem die in einer parlamentarischen Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) aufgeworfene Frage, ob diese Mandatssteuern nicht gänzlich abgeschafft werden sollen. Mit der Ablehnung eines Gegenvorschlags zur Justizinitiative schien hingegen die Frage einer Amtszeitverlängerung der Bundsrichterinnen und Bundesrichter vom Tisch, wie sie von der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richtern am Tag nach der Abstimmung erneut gefordert wurde. Eine mögliche Professionalisierung der Kandidierendenauswahl bzw. die Ergänzung der GK durch eine Fachkommission, die Bewerbungen für Richterinnen- und Richterämter mitsichten soll, war ebenfalls Gegenstand einer noch hängigen parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 21.452).

Die VOX-Analyse fand nur schwache Muster, mit denen das Abstimmungsverhalten bei der Justizinitiative erklärt werden könnte. Personen mit einer Berufsbildung sagten etwas stärker Nein als andere Bildungskategorien. Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen sagten mehrheitlich Ja – im Gegensatz zu den Anhängerinnen und Anhänger aller anderer Parteien. Hohes Vertrauen in die Judikative ging zudem eher mit einem Nein einher. Bei den Motiven für ein Ja zeigte sich der Wunsch nach Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern von den Parteien sowie nach einem System, das auch für Parteilose Chancen einräumt, als zentral. Ein Nein wurde hingegen laut VOX-Analyse eher mit der Skepsis gegenüber dem Losverfahren und der Meinung, dass das bisherige System gut funktioniere, begründet.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Im Jahr 2021 drehte sich die mediale Debatte im Energiebereich stark um die Frage, wie die Stromproduktion der Schweiz in Zukunft aussehen soll. Es kam die Befürchtung auf, dass künftig eine Strommangellage entstehen könnte. Dies war insbesondere auf drei Entwicklungen zurückzuführen: Erstens werden durch die schrittweise Ausserbetriebnahme der Schweizer Atomkraftwerke rund 40 Prozent der heutigen Schweizer Stromproduktion wegfallen, wie die NZZ schrieb. Zweitens wird durch den Ausbau der erneuerbaren Energien eine unregelmässigere Stromproduktion stattfinden, die speziell in den Wintermonaten zu einem Nachfrageüberhang führen könnte. Diese Lücke könnten womöglich zukünftig auch umliegende Länder nicht schliessen, da sich diese in einer ähnlichen Situation befinden und ihre Energieproduktion mittel- bis langfristig ebenfalls CO2-neutral gestalten möchten, erklärte die Argauer Zeitung. Drittens führte der Entscheid des Bundesrates, die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen abzubrechen, dazu, dass vorerst auch kein sektorielles Stromabkommen mit der EU abgeschlossen werden kann. Die EU hatte den Abschluss des Stromabkommens an das Zustandekommen des Rahmenabkommens geknüpft. Die Stromversorgungssicherheit leidet damit insofern, als die Schweiz von wichtigen Gremien und Plattformen des EU-Strombinnenmarktes ausgeschlossen wird und Stromlieferungen in die Schweiz teilweise unsicherer werden. Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens sei deshalb klar geworden, dass die Situation schwierig werde, resümierte der Tages-Anzeiger. Die Schweizer Energiestrategie 2050 basiere auf der Annahme, dass ein Stromabkommen mit der EU bestehe, erklärte Ex-Nationalrat und heutiger ElCom-Präsident Werner Luginbühl anlässlich der jährlichen Medienkonferenz der nationalen Regulierungsbehörde. Ohne Abkommen werde es daher zunehmend schwierig, die Nachfrage jederzeit decken zu können. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz schätzte 2020 einen längeren Stromausfall als eine der derzeit grössten Gefahren für das Land ein.

Durch das Ausbleiben eines solchen bilateralen Abkommens droht der Schweiz – als erste Folge – der Ausschluss vom Regelenergiemarkt. So können kurzfristige Strom-Reservekapazitäten nicht mit den EU-Ländern gehandelt werden, was insbesondere die Stromversorgungssicherheit tangiert. Dies wiederum habe finanzielle Folgen, da die Stromkonzerne ihren Trumpf in den Alpen, die Pumpspeicherkraftwerke, nicht vollständig ausspielen können, um bei Spitzenzeiten mit abrufbarem Stromangebot mitmischen zu können, berichtete die NZZ. Gemäss dem Tages-Anzeiger warte Swissgrid seit Oktober 2020 auf ein Signal aus Brüssel, um die Handelsplattform formell nutzen zu können. Wie dieselbe Zeitung weiter schrieb, sei es aber vornehmlich der EU-Kommission ein Anliegen, die Schweiz von dieser Plattform auszuschliessen. Sie setze deshalb Druck auf Länder wie Deutschland und Frankreich auf, um die Schweiz nicht mehr an den Verhandlungstisch einzuladen. Als zweite Folge eines fehlenden bilateralen Abkommens kann Swissgrid auch nicht in wichtigen regulatorischen Gremien mit anderen Übertragungsnetzbetreibern Einsitz nehmen. Dies führe zu fehlender Koordination und ungeplanten Lastflüssen, respektive zur Situation, dass plötzlich unerwartet eine gewisse Strommenge durch die Schweiz fliesst und eine flexible und ineffiziente Ausgleichsmassnahme durch die Zuschaltung von Schweizer Wasserkraftkapazitäten nötig wird, erklärte die NZZ. BFE-Sprecherin Marianne Zünd resümierte, dass sich die Situation für alle Akteure in der Schweiz verschlechtern werde. «Trotz physischer Verbundenheit wird die Schweiz aber zunehmend zu einer Strominsel», schrieb die NZZ im April 2021.

Als Rezept gegen die drohende Strommangellage präsentierte der Bundesrat im Sommer unter der Federführung von Energieministerin Simonetta Sommaruga die Botschaft zur Revision des EnG und des StromVG. Die darin vorgesehenen Massnahmen waren in den entsprechenden Vernehmlassungen (Vernehmlassung des EnG; Vernehmlassung des StromVG) – zumindest im Falle des EnG – mehrheitlich auf positive Resonanz gestossen. Dieser Mantelerlass für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sah nebst dem Ausbau und der Förderung der erneuerbaren Energien im Inland die Schaffung einer zusätzlichen Speicherreserve für die Wintermonate vor. Der Bundesrat wollte damit als Lösung für den Wegfall der Bandenergie aus den Atomkraftwerken die Kapazitäten im Inland stark mit erneuerbaren Energien ausbauen und eigenständig für mehr Versorgungssicherheit im Winter sorgen. Gleichzeitig gab Energieministerin Simonetta Sommaruga bekannt, den inländischen Strommarkt liberalisieren zu wollen. Der Strommarkt soll damit dank den Marktkräften effizienter werden, die erneuerbaren Energien besser integrieren, innovative Geschäftsmodelle ermöglichen und gleichzeitig den Konsumentinnen und Konsumenten bei der Stromanbieterwahl Wahlfreiheit lassen, wie der Bundesrat in einer Medienmitteilung bekannt gab.

Frischen Schub verlieh der medialen Debatte im Herbst 2021 eine Videobotschaft des Wirtschaftsministers Guy Parmelin. Darin richtete sich der Waadtländer Bundesrat an Unternehmerinnen und Unternehmer in der Schweiz mit der Bitte, sich auf allfällige Strommangellagen vorzubereiten und Konzepte auszuarbeiten, um in Notsituationen rasch stromintensive Aktivitäten kurzfristig aussetzen zu können. Konkret richtete sich diese Botschaft an rund 30'000 Unternehmen in der Schweiz, die einen jährlichen Stromverbrauch von über 100'000 kWh aufweisen. Solche Firmen könnten durch eine allfällige Anordnung des Bundesrates dazu verpflichtet werden, einen gewissen Prozentsatz am Stromverbrauch während einer Strommangellage einzusparen, erklärte der Tages-Anzeiger. Die Warnung des Wirtschaftsministers basierte auf einer Studie zur Versorgungssicherheit, die der Bundesrat in Auftrag gegeben hatte. In dieser Analyse war insbesondere ein Faktor dafür verantwortlich, dass gerade ab 2025 mit einem Engpass zu rechnen sei: Eine Vorgabe der EU, wonach ab 2025 mindestens 70 Prozent der grenzüberschreitenden Kapazitäten zwischen den EU-Staaten gehandelt werden müssen. Diese Regelung habe zur Folge, dass Exporte in Nicht-EU-Länder wie die Schweiz verringert würden und die inländische Netzstabilität hierzulande stark sinke, schlussfolgerte die Studie. Um ungeplante Lastflüsse auszugleichen, würden Wasserkraftreserven aufgebraucht werden müssen, die eigentlich für den Winter wichtig wären, um die dann anfallende Nachfrage decken zu können. In der politischen Debatte musste Energieministerin Simonetta Sommaruga viel Kritik einstecken und die Situation erklären. Sie habe sich über das alarmistische Vorpreschen ihres Amtskollegen Parmelin geärgert, folgerte beispielsweise der Tages-Anzeiger.

Nicht sehr verwunderlich präsentierten verschiedenste Politikerinnen und Politiker einen bunten Strauss an möglichen Massnahmen, um eine solche Strommangellage zu verhindern. Während die einen darauf beharrten, nun endlich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien vorwärts zu machen, forderten andere die Wiederbelebung der totgesagten Atomkraft, wie es beispielsweise der grosse Nachbar Frankreich unter Präsident Emanuel Macron tat. Schon im Sommer, nachdem das Schweizer Stimmvolk das CO2-Gesetz in einem Referendum knapp versenkt hatte und das Stromabkommen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag («aux calendes grecques») verschoben worden war, wie «Le Temps» witzelte, berichtete dieselbe Zeitung von einer Wiederentdeckung der Atomenergie: Einerseits würde ein Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen die Stromversorgungsknappheit entschärfen, andererseits eine relativ CO2-neutrale Energie liefern, so das Blatt. Weiter gingen Exponentinnen und Exponenten der SVP, die den Bau von neuen Atomkraftwerken auf das politische Parkett brachten. Die Atomkraft sei plötzlich wieder «en vogue», schrieb der Tages-Anzeiger dazu. Der Berner Nationalrat Albert Rösti wollte deshalb im Rahmen der Beratungen zum bereits erwähnten Mantelerlass für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien eine dahingehende Änderung des KEG beantragen, die das Neubauverbot für AKWs kippen würde. Auch Alt-Bundesrat Christoph Blocher weibelte in den Medien für neue AKWs, doch alle grossen Stromkonzerne in der Schweiz winkten bei der Frage nach neuen Anlagen ab; zu teuer, betriebswirtschaftlich nicht rentabel und gesellschaftlich nicht erwünscht, war der Tenor. Einen etwas anderen Ansatz wählte die Mitte-Partei: Parteipräsident Gerhard Pfister (mitte, ZG) brachte die Idee von einer Strom-Neat auf, die sich Parteikollege Beat Rieder (mitte, VS) ausgedacht habe. So könnte die EU von einer starken Stromleitung durch die Schweiz profitieren. Im Gegenzug würde die Schweiz bei wichtigen Gremien mitmachen dürfen, sodass die Versorgungssicherheit und die Netzstabilität verbessert würden, erhoffte sich Pfister von der Idee. Wie verschiedenste Medien schrieben, sei es aber fraglich, wie zentral die Schweiz als Stromdrehscheibe in Europa überhaupt noch sein werde. Derzeit sei es vor allem Italien, das ein starkes Interesse an einer funktionierenden Durchleitung durch die Schweiz habe. Mit dem Forcieren einer Starkstrom-Erdverkabelung zwischen Italien und Österreich schwinde allerdings diese Schweizer Trumpfkarte. Wichtig sei die Schweiz jedoch vorwiegend in Sachen Stromspeicherung, da dank den Pumpspeicherkraftwerken überschüssiger Strom auf dem EU-Markt gespeichert werden könnte. Eine andere Forderung, die auch schon länger in den politischen Debatten kursierte, war die Forderung für den Bau von Gaskraftwerken, die bei einer Strommangellage kurzfristig mit abrufbaren Kapazitäten einspringen könnten. Wie die Westschweizer Zeitung «24 heures» schrieb, schlage die Vereinigung Powerloop, der Fachverband für Energiefragen der Energiestrategie 2050, den Bau von rund 2000 kleinen Gaskraftwerken vor. Diese könnten einfach realisiert werden, bräuchten wenig Platz und könnten bei Bedarf einfach abgebaut werden, wenn dies die Situation verlange. Gemäss Aargauer Zeitung betrachtete auch der Bund CO2-kompensierte Gaskraftwerke als eine mögliche Übergangslösung. Allgemein stellt die Situation den Schweizer Strommarkt vor «riesige[...] Herausforderungen», prophezeite etwa die Aargauer Zeitung. Handkehrum könne die Gefahr eines Stromengpasses aber auch als Chance gesehen werden, damit sich das Land in eine nachhaltigere Energiewirtschaft bewege, sinnierte beispielsweise «Le Temps».

Strommangellage ab 2025
Dossier: Stromabkommen mit der EU

Ein «Harakiri für die Presse» seien ihre «Fake News über den Rücktritt von Ueli Maurer» gewesen, urteilte die Weltwoche über eine recht eindrückliche Zeitungsente Ende Oktober 2021. Zwar gab es in den Medien spätestens seit dem siebzigsten Geburtstag Maurers Ende 2020 immer wieder Spekulationen über eine mögliche Demission des SVP-Finanzministers. Bereits Ende 2020 hatten von Maurer etwas überraschend vorgenommene Personalrochaden im Finanzdepartement (Sonntagsblick) oder Informationen von «bundesratsnahe[n] Quellen» (Blick) zu Spekulationen um einen Rücktritt geführt. Letztere Quellen hatten angegeben, Maurer trete zurück, sollte das Rahmenabkommen mit der EU durchkommen, um dann den Widerstand der SVP anzuführen (Weltwoche). Maurer selber schloss damals freilich in Interviews nicht aus, 2023 gar noch eine weitere Legislatur anzuhängen.
Ende Oktober 2021 brachte die Aargauer Zeitung in einem Online-Artikel erneut das Gerücht in Umlauf, Ueli Maurer werde tags darauf zurücktreten. Sie stützte sich dabei auf einen nicht genannten Nationalrat, der zu Protokoll gab, dass es «klare Anzeichen dafür [gebe], dass die Bundesratssitzung vom Freitagmorgen anders ablaufen werde als gewöhnlich». Weil Maurer am Vortag nicht am SVP-Fraktionsausflug teilgenommen habe, scheine eine Demission naheliegend, urteilte daraufhin der Blick. Am folgenden Tag übernahmen sämtliche Leitmedien – mit Ausnahme der NZZ – die Meldung und vermuteten, dass der Finanzchef gleichentags seinen Rücktritt wohl auf Ende 2021 ankündigen werde. Der Tages-Anzeiger und die Aargauer Zeitung präsentierten gar mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger Maurers und porträtierten Albert Rösti (svp, BE), Franz Grüter (svp, LU), Gregor Rutz (svp, ZH) oder Natalie Rickli (ZH, svp) als Favoritinnen und Favoriten. Auch bei der SP tuschle man über mögliche Rücktritte, ging die Aargauer Zeitung gar noch einen Schritt weiter. Le Temps vermutete, dass es Maurer müde sei, seine Kritik an den Corona-Massnahmen wegen des Kollegialprinzips zurückhalten zu müssen.
Allerdings blieb die von den zahlreich anwesenden Medienschaffenden erwartete Rücktrittsankündigung nach der Bundesratssitzung aus. Dies sei keine «Sternstunde des Journalismus» gewesen, bilanzierte der Sonntagsblick. Die Aargauer Zeitung sprach von Gerüchten, die sich «zerschlugen». Maurer habe zudem stets gesagt, nur auf das Ende einer Legislatur zurücktreten zu wollen. Auch die NZZ meldete sich zu Wort. In einem Interview in der NZZ am Sonntag erklärte Maurer, dass ein Rücktritt «kein Thema» sei. Ausgiebig sezierte die Neue Zürcher Zeitung die «Zeitungsente des Jahres», wie sie vom Nebelspalter betitelt wurde. Am Freitag nach dem ersten Gerücht seien in der Schweizerischen Mediendatenbank über drei Dutzend Beiträge zum Rücktritt registriert worden und die grüne Fraktion habe gar eigens eine Sondersitzung einberufen, um darauf «vorbereitet» zu sein, einen Bundesratssitz anzugreifen. Als Ursprung des Gerüchts machte die NZZ einen Journalisten des Tages-Anzeigers aus, der mehrere Nationalratsmitglieder über mögliche Nachfolger Maurers befragt habe, was diese wohl zur irrigen Meinung geführt habe, der Finanzminister trete zurück. Denkbar sei auch, dass die SVP das Gerücht gestreut habe, um die eigenen Kandidierenden zu testen, so die NZZ. Die Weltwoche vermutete hingegen, dass SP-Politikerinnen und -Politiker darin eine Chance gewittert hätten, mit dem Gerücht von der «Affäre Berset» abzulenken.

Rücktritt von Ueli Maurer?

Ende August 2021 legte die UREK-NR einen Entwurf für die Revision des CO2-Gesetzes vor, mit welcher die Kommissionsinitiative «Verlängerung des Reduktionsziels im geltenden CO2-Gesetz» umgesetzt werden soll. Der Bundesrat gab im September 2021 bekannt, dass er den Kommissionsentwurf vollumfänglich unterstütze. Dieser werde aber nicht reichen, um die Emissionen bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren (im Vergleich zu 1990) und das netto Null Ziel bis 2050 zu erreichen.
Gegen Ende der Herbstsession 2021 und damit keine zwei Wochen nach der bundesrätlichen Stellungnahme wurde die Vorlage bereits im Nationalrat diskutiert, wo sich eine intensive Debatte mit zahlreichen Wortmeldungen entwickelte. Kommissionssprecher Bäumle (glp, ZH) erläuterte den Zweck der Gesetzesrevision. Dieser bestehe darin, «das Reduktionsziel des bestehenden Gesetzes bis Ende 2024» fortzuschreiben, sowie wichtige Massnahmen weiterzuführen – insbesondere die Rückerstattung der CO2-Abgabe an Betreiber mit Verpflichtung zur Verminderung der Treibhausgasemissionen. Auf weiterführende Massnahmen habe die Kommission verzichtet, um das Gesetz nicht zu überladen und so ein Referendum abzuwenden. Weiterführende Massnahmen seien gemäss Bäumle unumgänglich, gehörten aber in eine andere Vorlage, beispielsweise in den Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Anschliessend präsentierten die verschiedenen Fraktionen ihre Positionen und ihre entsprechenden Minderheitsanträge. Dabei lagen Anträge von links-grüner Seite, welche die Vorlage ausbauen wollten, sowie Anträge von rechts-bürgerlicher Seite, die die Vorlage straffen wollten, vor. Eine Minderheit Clivaz (gp, VS) verlangte beispielsweise die regelmässige Überprüfung der klimabedingten finanziellen Risiken durch die FINMA und die SNB und eine Minderheit Klopfenstein Broggini (gp, GE) forderte eine Lenkungsabgabe auf private Flüge. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums trat Albert Rösti (svp, BE) dafür ein, dass der maximal zulässige Kompensationszuschlag von 5 auf 1,5 Rappen pro Liter Benzin gesenkt wird. Bei den anschliessenden Abstimmungen wurden jedoch alle diese Minderheitsanträge abgelehnt. Einzig ein Einzelantrag Regazzi (mitte, TI) fand mehrheitlich Zustimmung. Mit der Annahme dieses Antrags entschied die grosse Kammer, dass die Mandate für die derzeit mit der Umsetzung der Zielvereinbarungen betrauten Agenturen bis 2024 verlängert werden sollen. In der Schlussabstimmung votierten 143 Mitglieder des Nationalrats für die Annahme des Entwurfs; einzig die SVP-Fraktion stimmte geschlossen dagegen (53 Stimmen). Als nächstes wird sich der Ständerat mit der Vorlage befassen.

Verlängerung des Reduktionszieles im geltenden CO2-Gesetz (Pa. Iv. 21.477)
Dossier: Wie geht es nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes an der Urne im Juni 2021 weiter?

Erst Anfang September 2021 und damit kurz vor Beginn der Herbstsession veröffentlichte der Bundesrat seine Stellungnahme zur Motion der WAK-NR bezüglich der Schweizer Beteiligung am Grenzausgleichssystem der EU. Diese forderte nicht nur die Partizipation am CO2-Grenzausgleichssystem der EU, sondern auch die Garantie, dass Schweizer Unternehmen durch die Teilnahme am internationalen Wettbewerb nicht benachteiligt würden. Durch das Grenzausgleichssystem versucht die EU, ihre CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu verringern. Das Ausgleichssystem soll die Verlagerung von CO2-Emissionen in Nicht-EU-Länder verhindern. Importeure müssen für ausserhalb des EU-Raums produzierte Waren Zertifikate kaufen, die dem CO2-Preis entsprechen, der gezahlt worden wäre, wenn die Waren nach der in der EU geltenden Preisordnung für CO2-Emissionen produziert worden wären. Können Nicht-EU-Produzenten nachweisen, dass sie bereits eine CO2-Abgabe bezahlt haben, so kann der EU-Importeur sich die entsprechenden Kosten anrechnen lassen.
Der Bundesrat befürwortete die Prüfung aller Handlungsoptionen, da sich das Ausgleichssystem aufgrund der engen wirtschaftlichen Beziehungen und der verknüpften Emissionshandelssysteme auch auf die Schweiz auswirken werde. Zur Erfüllung des inhaltlich verwandten Postulats der APK-NR (Po. 20.3933) sei bereits eine interdepartementale Arbeitsgruppe eingerichtet worden. Zudem befinde sich der Bundesrat seit Frühling 2021 im Austausch mit der Europäischen Kommission und werde diesen Prozess Ende 2022 abschliessen. Aufgrund der noch laufenden Arbeiten sei die Motion jedoch verfrüht, unter anderem auch weil die genaue Umsetzung des EU-Ausgleichssystems und die Teilnahmebedingungen für Drittstaaten noch nicht geklärt seien, so der Bundesrat. Aus diesem Grund beantragte er die Ablehnung der Motion.

Knapp zwei Wochen später gelangte das Geschäft bereits in den Nationalrat, wo Kommissionssprecher Beat Walti (fdp, ZH) die Motivation der Kommission für die Motion erklärte: Im Rahmen der Beratung über die Abschaffung der Industriezölle im Zolltarifgesetz habe eine Sistierung gedroht, bis man ersatzweise eine CO2-Grenzabgabe einführt. Da diese Geschäfte jedoch keinen Sachzusammenhang aufwiesen, habe man auf eine Verknüpfung verzichtet und stattdessen die vorliegende Motion eingereicht. Da Schweizer Unternehmen ohnehin von diesem EU-System betroffen sein dürften, müsse man sich frühzeitig vorbereiten, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden, erklärte Walti. Eine Kommissionsminderheit Martullo (svp, GR) setzte sich ganz im Sinne des Bundesrates gegen die Motion ein. Nationalrätin Martullo argumentierte, der Grenzausgleich verstosse gegen das Pariser Klimaabkommen und gegen WTO-Regeln und stiesse daher bei vielen Ländern auf Ablehnung. Sie warnte vor einer Abwanderung der Industrie und einer Verteuerung von Konsumgütern und lehnte daher das «Bürokratiemonster» ab. Bundesrat Parmelin beonte, dass der Bundesrat alle Optionen prüfen werde, wobei die Teilnahme am EU-System nur eine von vielen sei. Produkte der EFTA-Staaten würden vom System ausgenommen und die Beteiligung von Drittstaaten sei bisher auch gar nicht vorgesehen. Für weitere Schritte sei es noch zu früh, weshalb man die Motion ablehne. Die grosse Kammer liess sich von den Gegenargumenten jedoch nicht überzeugen und nahm die Motion mit 113 zu 69 Stimmen (bei 1 Enthaltung) deutlich an.

Schweizer Beteiligung am Grenzausgleichssystem der EU

Als Erstrat behandelte der Nationalrat in der Wintersession 2021 die Pensionskassenreform BVG 21. Thomas de Courten (svp, BL) und Benjamin Roduit (mitte, VS) stellten dem Rat die Vorlage und insbesondere die Änderungsanträge der SGK-NR an der bundesrätlichen Version vor. Der Bundesrat hatte in der Botschaft den von den Sozialpartnern – dem SAV, dem SGB und Travail.Suisse, nicht aber vom Gewerbeverband – ausgearbeiteten Entwurf übernommen. Die Kommissionsmehrheit erachtete aber insbesondere den darin enthaltenen Rentenzuschlag als «nicht zielführend» und als Eingriff in die Selbstständigkeit der Vorsorgeeinrichtungen, wie de Courten erläuterte. Statt einem Zuschlag «nach dem Giesskannenprinzip» sollen nur die Renten einer Übergangsgeneration und von Personen «im und nahe beim BVG-Obligatorium gezielt verbessert werden». Daneben lagen verschiedene Minderheitsanträge mit Alternativmodellen zum Rentenzuschlag vor. Doch nicht nur im umstrittensten Aspekt, dem Rentenzuschlag, auch in zahlreichen weiteren Punkten wollte die Kommissionsmehrheit vom Vorschlag der Sozialpartner bzw. dem Entwurf der Regierung abweichen.
Die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen hoben in der Folge insbesondere die Relevanz der Revision hervor, zeigten sich aber bezüglich der Gründe für diese Relevanz und damit auch bezüglich der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Massnahmen gespalten. Die Mitte, die FDP und die SVP unterstützten in ihren Voten die Kommissionsmehrheit. Für sie war eine Senkung des Umwandlungssatzes dringend, wie etwa Ruth Humbel (mitte, AG) für die Mitte betonte. Man anerkenne die Wichtigkeit von Ausgleichsmassnahmen, diese müssten jedoch auf eine Übergangsgeneration beschränkt sein, erklärte Albert Rösti (svp, BE). Regine Sauter (fdp, ZH) verlangte überdies, dass die Massnahmen «innerhalb des Systems der zweiten Säule» vorgenommen werden, und sprach sich damit gegen das von den Sozialpartnern vorgeschlagene Umlageverfahren in der zweiten Säule aus. Eine Mitteposition nahm die GLP ein: Melanie Mettler (glp, BE) betonte die Wichtigkeit einer Revision, welche anschliessend eine Volksabstimmung übersteht, weil eine erneute Abstimmungsniederlage nicht nur die «teuerste Variante ist, sondern auch diejenige, die am meisten Vertrauensverlust verursacht». Deshalb werde die GLP ein Kompromissmodell zu den Ausgleichsmassnahmen präsentieren. Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) zeigte sich für die Grünen vom Mehrheitsmodell enttäuscht und bezeichnete dieses gar als «Pfusch», zumal es das Hauptziel der Vorlage – ein Ende der sinkenden Realrenten – im Gegensatz zum Sozialpartnermodell nicht erfülle. Auch Pierre-Yves Maillard (sp, VD) verwies für die SP darauf, dass die Renten 2025 bei gleichem Kapital 20 Prozent niedriger sein werden als noch 2010. Man habe in den Diskussionen zwischen den Sozialpartnern zugunsten eines Kompromisses auf viele nötigen Massnahmen verzichtet – mit ihrem Vorschlag gehe die Kommissionsmehrheit aber viel zu weit: «Mesdames et Messieurs des partis bourgeois, vous allez trop loin!» Man werde eine solche Vorlage nicht akzeptieren, betonte auch Katharina Prelicz-Huber und stellte bereits vor der Detailberatung eine Referendumsdrohung in den Raum. Auch Gesundheitsminister Berset verteidigte in der Folge ausführlich den Kompromiss der Sozialpartner. «Wenn irgendjemand hier denkt, dass es möglich sein wird, in einer so komplexen Materie ohne die Sozialpartner eine Mehrheit zu finden, dann wünsche ich viel Glück.» Eintreten war in der Folge unbestritten.

Im ersten Block behandelte der Rat vor allem Fragen zu den versicherten Einkommen und zum Sparprozess. Die Kommissionsmehrheit hatte hier vorgeschlagen, die Eintrittsschwelle, ab der Einkommen bei der Pensionskasse versichert sind, fast zu halbieren (neu: CHF 12’548), der Bundesrat und eine Minderheit de Courten wollten diese bei ihrem bisherigen Wert belassen (CHF 21’510). Mit der Beibehaltung der bisherigen Eintrittsschwelle wolle man die Personen mit tieferen Einkommen nicht durch BVG-Abgaben belasten, begründete Albert Rösti den Minderheitsantrag. Die Kommissionsmehrheit erachtete eine Senkung jedoch gerade für Personen mit Teilzeitanstellungen und niedrigen Pensen als relevant und setzte sich mit dieser Ansicht mit 141 zu 49 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen den Widerstand des Grossteils der SVP-Fraktion durch. Auch die Forderung, dass sich Arbeitnehmende mit verschiedenen Arbeitgebenden obligatorisch versichern müssen, wenn ihr Gesamteinkommen die Eintrittsschwelle übersteigt, nahm die Ratsmehrheit gegen den Willen einer Mehrheit der SVP-Fraktion an und schuf damit die ersten zwei Differenzen zum bundesrätlichen Vorschlag.
Zusammen mit der Eintrittsschwelle wollte die Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Bundesrat auch den koordinierten Lohn (und damit den Koordinationsabzug) senken. Statt wie bisher zwischen CHF 25'095 und CHF 86'040 sollten zukünftig Einkommen zwischen CHF 12'443 und CHF 85'320 versichert werden – der Koordinationsabzug würde somit annähernd halbiert. Zwei Minderheiten I Roduit und II de Courten wünschten sich einen anteilsmässigen Koordinationsabzug von 40 Prozent (Roduit) respektive 60 Prozent (de Courten), wobei der Koordinationsabzug in der Höhe begrenzt wäre, während eine Minderheit III Mettler vollständig auf den Koordinationsabzug verzichten wollte. Albert Rösti erachtete den Vorschlag de Courtens als Kompromiss zwischen dem bisherigen und dem von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen System. Erwerbstätigkeit müsse versichert sein, «egal, in welchem Erwerbsmodell sie erfolgt», begründete hingegen Melanie Mettler ihren Antrag. Die Kommissionsmehrheit setzte sich in den Abstimmungen gegen die Minderheitsanträge durch, wobei die Minderheiten nur bei der SVP-Fraktion (Minderheit II) respektive bei der GLP- und bei Teilen der FDP.Liberalen-Fraktion (Minderheit III) Anklang fanden.
Auch die Frage, ab wann sich junge Menschen für das Alter versichern müssen, war umstritten. Bisher lag die entsprechende Altersgrenze bei 24 Jahren. Während über den Versicherungsbeginn für Tod und Invalidität ab 17 Jahren kaum Worte verloren wurden, lagen zahlreiche Anträge zum Beginn des Alterssparens vor: Die Kommissionsmehrheit wollte diese Grenze auf 19 Jahre senken, während Minderheiten I Roduit und II Gysi (sp, SG) diese bei 20 respektive 24 Jahren ansetzen wollten. Durch eine Vorverlegung des obligatorischen Sparprozesses und eine Erhöhung der Altersgutschriften für Junge, wie sie ebenfalls geplant waren, würden Junge gleich doppelt belastet, kritisierte Barbara Gysi erfolglos. Die Kommissionsmehrheit setzte sich mit 122 zu 71 Stimmen und 126 zu 67 Stimmen gegen die SP, Grüne und Teile der Mitte durch. Und wie von Barbara Gysi befürchtet, erhöhte der Rat in der Folge tatsächlich auch die Altersgutschriften für Junge. Bisher waren diese in vier Stufen gestaffelt, wobei ab 55 Jahren die höchsten Altersgutschriften bezahlt werden mussten. Bundesrat und Kommissionsmehrheit sahen nun nur noch zwei Altersstufen vor (BR: 25-44 und ab 45, Kommissionsmehrheit: 20-44 und ab 45), um die Gefahr einer Entlassung für die älteren Arbeitnehmenden zu verringern. Hierzu lagen vier Minderheitsanträge vor, wobei Minderheiten Gysi und Roduit tiefere Altersgutschriften für Junge, Minderheiten de Courten und Aeschi (svp, ZG) bereits einen früheren Anstieg der Erhöhung der Altersgutschriften forderten. Erneut setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit jedoch durch.

Im zweiten Block debattierte der Rat über die zentralen Fragen der Revision, den Mindestumwandlungssatz und die Ausgleichsmassnahmen. Neben Diskussionen und Anträgen über die Häufigkeit und Breite begleitender Berichte zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes stellte Stefania Prezioso (egsols, GE) auch einen Einzelantrag, den Umwandlungssatz statt auf 6 Prozent (von 6.8 Prozent) nur auf 6.4 Prozent zu senken. Galt dieser Aspekt bisher weitgehend als unbestritten, begründete sie ihren Antrag nun mit der verbesserten Situation der Pensionskassen, aber auch mit einer Verlangsamung des Anstiegs der Lebenserwartung. Unterstützt wurde sie von der SP- und der Grünen Fraktion, wie etwa Barbara Gysi betonte: Man habe den Sozialpartnerkompromiss mitgetragen, aber wenn die Ratsmehrheit von diesem abweiche, sei man nicht mehr zu einer so starken Senkung des Umwandlungssatzes bereit. Über die SP und die Grünen hinaus fand der Antrag jedoch keine Zustimmung und wurde vom Nationalrat abgelehnt.
Bezüglich der Ausgleichsmassnahmen lagen dem Nationalrat vier Entwürfe vor: Die Kommissionsmehrheit wollte die Ausgleichsmassnahmen einer Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen zugänglich machen, wobei die Zuschüsse nach Alterskategorien abgestuft werden sollten (65-61 Jahre: CHF 2400 jährlich, 60-56 Jahre: CHF 1800, 55-51 Jahre: CHF 1200). Finanziert werden sollten die Ausgleichsmassnahmen durch eine einmalige Einlage der Vorsorgeeinrichtung zum Zeitpunkt des Altersrücktritts und durch Zuschüsse des Sicherheitsfonds, welche dieser während 15 Jahren bei den Vorsorgeeinrichtungen erhebt. Eine Minderheit I de Courten wollte die vom Bundesrat beantragten Ausgleichsmassnahmen gänzlich streichen und stattdessen den in eine Altersrente umzuwandelnden Anteil des Altersguthabens während zehn Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes im ersten Jahr um 13 Prozent und anschliessend jeweils um 1.3 Prozentpunkte weniger pro Jahr erhöhen. Eine Minderheit II Mettler wollte wie angekündigt «den Anliegen beider politischer Lager Rechnung» tragen. Mit ihrem Vorschlag sollte das Rentenniveau für zwei Drittel der Versicherten erhalten werden, aber nur für 20 Jahrgänge: So sollte der monatliche Zuschlag, der für den ersten Jahrgang CHF 200 beträgt, jeweils um CHF 10 pro Jahrgang reduziert werden. Während 20 Jahren wären dafür Beiträge über 0.3 Prozent des versicherten Lohns nötig. Eine Minderheit III Maillard beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen und für alle zukünftigen BVG-Rentnerinnen und -Rentner Ausgleichsmassnahmen zu schaffen. Denn durch den Ausschluss der wohlhabenden Arbeitnehmenden von den Ausgleichsmassnahmen trügen diese auch nicht mehr zu deren Finanzierung bei, kritisierte Pierre-Yves Maillard die übrigen Modelle. Die Höhe der Zuschläge sollte nur bereits für die nächsten 15 Jahre festgelegt werden, finanziert würden die Zuschläge durch einen Beitrag von 0.5 Prozent des massgebenden Lohns im Umlageverfahren.
Unterstützung fanden die Minderheitsanträge nur bei den Fraktionen der SVP (Minderheit I de Courten), bei der SP und den Grünen (Minderheit III Maillard) respektive bei der SP, den Grünen und der GLP (Minderheit II Mettler) – sie alle wurden folglich zugunsten des Mehrheitsantrags verworfen. In der zentralen Frage der Vorlage entschied sich der Nationalrat somit, vom Vorschlag des Bundesrates und der Sozialpartner abzuweichen.
Abgelehnt wurde in der Folge auch ein Minderheitsantrag Meyer (sp, ZH), der – in Übereinstimmung mit der Regelung zur AHV 21 – den Rentenzuschlag bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen nicht berücksichtigen wollte, da sonst «die Menschen mit tiefen Löhnen am Ende des Monats nicht mehr Geld zur Verfügung haben würden» als bisher, wie Yvonne Feri (sp, AG) erläuterte. Auch dieser Antrag fand jedoch über die SP, die Grünen und die GLP hinaus keine Zustimmung.

Im dritten Block standen noch diverse Detailfragen an, hier dominierten vor allem links-grüne Minderheitsanträge. Erfolglos verlangte etwa eine Minderheit Prelicz-Huber Erziehungs- und Betreuungsgutschriften wie in der AHV, eine Minderheit Meyer setzte sich für die Beibehaltung der Möglichkeit zur Weiterversicherung des Lohns für Personen ab 58 Jahren bei einer Lohnreduktion um die Hälfte ein und eine Minderheit Gysi wollte eine Definition von missbräuchlichen Tarifen für Todesfall- und Invaliditätsleistungen festlegen lassen. Erfolgreich war lediglich eine Minderheit Prelicz-Huber mit 112 zu 80 Stimmen gegen einen Antrag der Kommissionsmehrheit, mit dem der bisherige Steuerabzug von Beiträgen an die Altersvorsorge von CHF 6’900 auf CHF 10'000 erhöht werden sollte. Zustimmung hatte der Mehrheitsantrag bei Mitgliedern der SVP und der FDP erhalten.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat die BVG 21-Reform mit 126 zu 66 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gut. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Der Schweizerische Freibergerverband (Fédération suisse du franches-montagnes), der sich für die Zucht von Freiberger-Pferden einsetzt, wählte im Juli 2021 den Berner SVP-Nationalrat Albert Rösti (svp, BE) zu seinem neuen Präsidenten. Rösti stammt selbst aus einer Bauernfamilie, die Freiberger-Pferde züchtete. Nachdem der bisherige Vizepräsident Christoph Haefeli seine Kandidatur fürs Präsidium zur Vermeidung einer Kampfwahl zurückgezogen hatte, war die Wahl an der Delegiertenversammlung letztlich unumstritten – Röstis Berner Herkunft und SVP-Mitgliedschaft wurden ihm im stark im Jura verankerten Verband offenbar nicht zur Last gelegt, wie der Quotidien Jurassien feststellte. Mit Rösti steht nach dem jurassischen Mitte-Nationalrat Jean-Paul Gschwind (mitte, JU) somit weiterhin ein nationaler Parlamentarier an der Spitze des Verbands. Laut Quotidien Jurassien trat Rösti sein Amt in einer für den Verband schwierigen Zeit an, die von einem deutlichen Rückgang der Anzahl Freiberger-Fohlen, Nachwuchsproblemen und verbandsinternen Spannungen geprägt sei.
Im Weiteren stimmte die Delegiertenversammlung für den Beitritt ihres Verbands zum Dachverband Schweizer Pferdezuchtorganisationen (VSP), während sie eine Angliederung an den Schweizerischen Verband für Pferdesport (SVPS) ablehnte.

Albert Rösti als neuer Präsident des Schweizerischen Freibergerverbands

In der Sommersession 2021 beriet der Ständerat die Justiz-Initiative. Im Vorfeld hatte die RK-SR die Initiative einstimmig zur Ablehnung empfohlen. Allerdings lag – wie bereits in der Frühjahrssession im Nationalrat – ein Minderheitenantrag auf einen direkten Gegenentwurf vor, mit dem die Möglichkeit für eine stille Wiederwahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern geschaffen werden sollte. Diesen Antrag empfahl die Kommission mit 9 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung zur Ablehnung.
In der Ratsdebatte führte der Präsident der RK-SR, Beat Rieder (mitte, VS), als Kommissionssprecher die Argumente aus, mit welcher seine Kommission ihre Ablehnung gegen das Begehren begründete. Mit dem Losverfahren würde ein direktdemokratisches Wahlverfahren durch ein «aleatorisches» ersetzt, was der Tradition der Schweiz widerspreche. Ein solches Verfahren würde nicht nur die Legitimation der Gerichte untergraben, sondern auch die Vereinigte Bundesversammlung eines ihrer Rechte berauben und sie so schwächen. Darüber hinaus sehe die Initiative zwar eine angemessene sprachliche Verteilung vor, eine Repräsentation der Geschlechter oder verschiedener Landesteile und Regionen sei aber nicht vorgesehen und würde durch das Los wohl kaum abgedeckt. Eine möglichst repräsentative Vertretung sei aber eben Bedingung für eine hohe Akzeptanz der Judikative. Auch eine Expertenkommission, die gemäss der Initiative anstelle der Gerichtskommission (GK) die geeigneten Richterinnen und Richter bestimmen soll, die dann zum Losverfahren zugelassen würden, bestehe aus Mitgliedern, die «persönliche und gesellschaftspolitische Ansichten» hätten. Politische Neutralität, wie sie vom Begehren angestrebt werde, sei auch von einem solchen Gremium nicht zu erwarten. Zudem hätten auch ausgeloste Richterinnen und Richter politische Grundhaltungen, die per Los aber nicht unbedingt ausgewogen verteilt wären. Nicht das Los, sondern der freiwillige Parteienproporz sorge eben dafür, dass unterschiedliche politische Werthaltungen möglichst ausgewogen vertreten seien. Zwar könne ein Expertengremium nach objektiven Kriterien wohl über fachliche Eignung und Qualität von Gerichtspersonen befinden. Innerhalb dieser Qualifikationen dürfte es aber Unterschiede geben und mit dem Losverfahren würden dann eben wahrscheinlich nicht die Personen mit der besten Eignung gewählt. Allerdings sei die Idee, mehr Expertise in die Auswahl der Richterinnen und Richter aufzunehmen, gut. Die RK-SR habe deshalb eine parlamentarische Initiative für einen Fachbeirat eingereicht, der die GK beim Auswahlverfahren unterstützen solle. Ein weiteres Problem der Justizinitiative sei, dass sie keine Wiederwahl, sondern lediglich eine Amtsenthebung von Richterinnen und Richtern durch Bundesrat und Parlament vorsehe. Auch hier gebe es viel Potenzial für Misstrauen und Legitimationsverlust. Das jetzige System habe sich bewährt, schloss Rieder sein Plädoyer gegen die Initiative; das «Schweizerische Bundesgericht kann als eines der weltweit besten angesehen werden».
Lisa Mazzone (gp, GE) warb für den Gegenvorschlag. Einen solchen brauche es nur schon, um der Initiative möglichst viel Unterstützung zu entziehen. Jedes Ja-Prozent sei nämlich ein Zeichen für schädliches Misstrauen gegen die Judikative. Das Parlament dürfe nicht so tun, als gäbe es keine Probleme. Ein solches Problem stelle die Wiederwahl der Richterinnen und Richter dar, die immer wieder von unschönen Tönen begleitet werde und stark politisiert sei. Der Gegenvorschlag, der freilich im Nationalrat abgelehnt worden sei und deshalb von der Kommission noch verbessert werden müsste, müsse ein Verfahren anstreben, mit dem die Wiederwahl durch das Parlament und die damit verbundenen, in der Bevölkerung Misstrauen schürenden, politischen Spielchen vermieden werden. Andrea Caroni (fdp, AR) nahm den Ball auf und erwähnte, dass es in der Geschichte lediglich in drei Fällen zu Abwahlen gekommen sei. Im 19. Jahrhundert sei dies aufgrund des Alters zweier Richter geschehen. Dem sei mit der gesetzlich geregelten Alterslimite – Amtsausübung bis längstens fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters – begegnet worden. «Das institutionelle Immunsystem» habe aber auch im dritten Fall, bei der «persönlich motivierten» Abwahl von Bundesrichter Schubarth 1990, funktioniert, weil dieser anschliessend sofort wiedergewählt worden sei. Das System sei nicht perfekt, aber sehr gut und es brauche entsprechend auch keinen Gegenvorschlag. In der Debatte wurden weitere Analogien zur Geschichte gezogen: Heidi Z'graggen (mitte, UR) führte die ausgelosten Richter ins Feld, die Sokrates zum Tod verurteilt hatten, und Mathias Zopfi (gp, GL) berichtete, dass das Losverfahren im Kanton Glarus bis ins 17. Jahrhundert angewendet worden sei, sich aber nicht bewährt habe. Justizministerin Karin Keller-Sutter schloss die Debatte schliesslich mit dem Hinweis, dass eine einmalige Wahl und eine lange Amtsdauer die Unabhängigkeit der Judikative in der Tat grundsätzlich stärken und Parteilose mit dem Losverfahren eher eine Richterstelle erhalten würden. Trotzdem sei der Bundesrat gegen das Begehren, weil das Losverfahren nicht dem Leistungsprinzip entspreche, die demokratische Legitimation der Judikative untergrabe und die Vorzüge des tief im System der Schweiz verankerten freiwilligen Parteienproporz, wie etwa Transparenz und Repräsentativität, ohne Not verschenke. Auch das Bundesgericht selber sehe zudem keinen Handlungsbedarf und sei mit der Stellungnahme des Bundesrats einverstanden. Die Magistratin verwies schliesslich auf die bereits angestossenen Revisionen, die auf Teilforderungen der Initiative eingingen – etwa die Diskussionen in der GK für ein besseres Auswahlverfahren, das auch Parteilose berücksichtigen könnte, die parlamentarische Initiative der RK-SR für einen Fachbeirat oder die parlamentarische Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468), mit der die Mandatssteuern geregelt werden sollen. Eine stille Wahl – so das Argument des Bundesrats gegen den Antrag für einen Gegenvorschlag – wäre zudem weniger demokratisch und transparent als eine Wiederwahl. Und auch eine von einer Expertenkommission beantragbare Nichtwiederwahl mache «sogenannte Denkzettel» möglich. Ein solcher Gegenvorschlag würde zudem den Erwartungen der Initiantinnen und Initianten wohl zu wenig stark entgegenkommen und sei deshalb nicht geeignet, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. In der darauffolgenden Abstimmung lehnte der Ständerat Eintreten auf den Minderheitenantrag für einen Gegenvorschlag mit 26 zu 8 Stimmen (0 Enthaltungen) ab und empfahl die Initiative zur Ablehnung.

In den am Ende der Sommersession 2021 abgehaltenen Schlussabstimmungen zum Bundesbeschluss über die Justizinitiative, mit dem die Initiative zur Ablehnung empfohlen werden sollte, waren die Verhältnisse dann sehr deutlich. Im Nationalrat stimmte einzig Lukas Reimann (svp, SG) für eine Empfehlung auf Annahme der Initiative. Er stand 191 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen gegenüber. Im Ständerat fiel die Empfehlung zur Ablehnung des Begehrens mit 44 Stimmen einstimmig aus (0 Enthaltungen).

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Im März 2021 reichte die SGK-NR eine Motion ein, mit der sie die Vergütung von Dienstleistungen von Dritten in der Invalidenversicherung neu regeln wollte. Zur Eingliederung von IV-beziehenden Menschen in den Arbeitsmarkt kann die IV Hilfsmittel bezahlen, wozu teilweise auch Dienstleistungen Dritter gezählt werden – etwa Gebärdensprachdolmetschende, Schriftdolmetschende, Vorlesedienste oder Transportdienste. Aktuell werden solche Dienste monatlich durch die IV vergütet, wobei der Höchstbeitrag beim anderthalbfachen Mindestbetrag der ordentlichen Altersrente liegt. Diese Regelung erachtete die Kommission als zu starr, da es den Betroffenen dadurch nicht möglich sei, «arbeitsintensivere Monate mit weniger intensiven Monaten zu kompensieren». Dadurch seien die Betroffenen in ihrer Arbeitstätigkeit eingeschränkt, schlimmstenfalls drohe ihnen dadurch gar der Arbeitsplatzverlust. Neu sollen die entsprechenden Mittel folglich jährlich ausbezahlt werden, wodurch die Betroffenen die Nutzung der Dienstleistungen selbständig planen könnten.
Bei der Behandlung der Motion im Nationalrat in der Sommersession 2021 lag ein Minderheitsantrag Rösti (svp, BE) auf Ablehnung der Motion vor. Der Minderheitensprecher hob ebenfalls die Wichtigkeit dieser Instrumente für die Integration der betroffenen Personen hervor, scheute sich aber aus Finanzierungsgründen vor einem «zusätzlichen Ausbau» bei der IV. Durch die Änderung könnte der tiefere Bedarf gewisser Monate, wie er bisher aufgetreten sei, über ein Jahr hinweg kompensiert werden, was insgesamt zu höheren Kosten führen könne. Zudem habe die Verwaltung in Aussicht gestellt, dass eventuell eine beschränkte Umsetzung auf Verordnungsebene möglich sei. Gesundheitsminister Berset unterstützte die Motion im Namen des Bundesrates, schätzte die maximalen Mehrkosten auf CHF 350'000 pro Jahr und hob entsprechend den geringen Anteil dieser Änderung an den Gesamtkosten der IV hervor. Mit 133 zu 50 Stimmen nahm der Nationalrat die Motion an, abgelehnt wurde sie von einer Mehrheit der SVP-Fraktion.

Auszahlungsmodell für Dienstleistungen von Dritten im Bereich der Invalidenversicherung

In einer Monsterdebatte setzte sich der Nationalrat in der Sommersession 2021 als Erstrat mit dem Entwurf zur parlamentarischen Initiative Girod (gp, ZH) zur Förderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien auseinander. Insgesamt gab es zur Frage der Gestaltung der Übergangslösung für die Förderung der erneuerbaren Energien 58 Wortmeldungen und 24 Abstimmungen bei 13 Minderheitsanträgen. Der Nationalrat trat ohne Gegenantrag auf die Debatte ein. Der Bundesrat hatte ihm zuvor geraten, nicht auf das Geschäft einzutreten, da er die Thematik im Rahmen des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien behandeln wollte. Die Regierung erachtete die vorgesehenen Massnahmen im Erlassentwurf der Initiative Girod – insbesondere auch im Hinblick auf das Ausbleiben eines Stromabkommens mit der EU nach dem Aus des Rahmenabkommens – als nicht ausreichend. Namentlich die Sicherstellung der inländischen Stromversorgungssicherheit und der Netzstabilität durch Ausbauschritte und Speicherkapazitäten für die Wintermonate kam nach Ansicht des Bundesrates im vorliegenden Entwurf zu kurz. Abgesehen davon stehe der Bundesrat der Vorlage inhaltlich nicht allzu fern, wie Energieministerin Simonetta Sommaruga im Rat erklärte. Bis auf zwei Punkte – namentlich bei der Marktprämie und der unbefristeten Gestehungskostenüberwälzung – sei der Bundesrat mit dem Vorschlag der Kommissionmehrheit einverstanden. Sie zeigte sich erfreut, dass die UREK-NR mit dieser Vorlage zentrale Elemente aus dem Bundesratsgeschäft zur Revision des EnG und des StromVG aufgenommen hatte, fand es aufgrund des genannten Zeithorizonts aber fraglich, ob es sich hierbei wirklich nur um eine «Lückenfülllösung» handle oder ob nicht eher eine ausgedehnte «Übergangslösung» beschlossen werde. Wie Kommissionsprecherin Susanne Vincenz-Stauffacher (fdp, SG) betonte, sei dieses Massnahmenpaket als Begleitmassnahme zum genannten zweiten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 zu betrachten und ziele darauf ab, eine gesetzliche Förderungslücke ab 2023 zu verhindern. Die Kommission anerkenne die Ansicht des Bundesrates, die Massnahmen im Rahmen des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien behandeln zu wollen, sehe aber eine zeitliche Dringlichkeit, sodass nicht auf die Ausarbeitung einer Übergangslösung verzichtet werden könne.

In der Detailberatung stimmte der Nationalrat dem Entwurf der Kommission in allen Punkten zu und lehnte die verschiedenen Minderheitsanträge ab. So beschloss er erstens, den Investitionsbeitrag für kleine Fotovoltaikanlagen bei 30 Prozent der Investitionskosten zu belassen und damit die bestehende Regelung zu verlängern. Für grössere Fotovoltaikanlagen, die ihre ganze produzierte Strommenge einspeisen und nicht von den finanziellen Vorteilen des Eigenverbrauchs profitieren können, erhöhte der Nationalrat die Einmalvergütung auf maximal 60 Prozent der Investitionskosten. Eine SVP-Minderheit Rösti (svp, BE) verlangte, dass dies nur solchen Anlagen zugute kommen soll, die einen hohen Anteil an Winterstrom produzieren und damit der Stromknappheit in der kalten Jahreszeit entgegenwirken. Rösti erklärte im Rat, es sei sehr wichtig, hier auf die Produktion von Bandenergie zu achten, worauf vonseiten der SP- und der FDP-Fraktionen entgegnet wurde, dass auch nicht speziell auf die Wintermonate ausgerichtete Fotovoltaikanlagen Strom in der kalten Jahreszeit lieferten und jede zusätzliche Kilowattstunde die Versorgungssicherheit verbessere. Martin Bäumle (glp, ZH) räumte zwar ein, dass das Problem mit der Winterstromknappheit angegangen werden müsse, dies aber nach Ansinnen der GLP-Fraktion nicht im Rahmen dieser Vorlage gelöst werden solle.
Zweitens nahm die grosse Kammer Auktionen für die Vergabe von Einmalvergütungen bei grossen Fotovoltaikanlagen ins Gesetz auf, sodass jene Projekte den Zuschlag erhalten, die das effizienteste Angebot unterbreiten können. Die genaue Ausgestaltung der marktwirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen soll der Bundesrat bestimmen können. Solche Ausschreibungen waren zuvor schon von der UREK-NR im Rahmen der parlamentarischen Initiative 20.401 gefordert und insbesondere auch von der FDP-Fraktion gelobt worden, die eine marktnahe Ausgestaltung des Förderwesens unterstütze, wie beispielsweise Matthias Jauslin (fdp, AG) erläuterte. Eine unterlegene Minderheit Müller-Altermatt (mitte, SO), die von den Fraktionen der Mitte und der SVP unterstützt wurde, verlangte hingegen den Verzicht auf solche Auktionen. Der Mitte-Politiker erklärte im Rat, dass mit dieser parlamentarischen Initiative keine Weichen gestellt, sondern vielmehr eine Übergangslösung gefunden werden sollte. Es gehe bei dem vorliegenden Geschäft nur um die Verhinderung einer Förderlücke. Alles, was darüber hinaus gehe, solle im Rahmen der Beratungen des zweiten Massnahmenpaketes zur Energiestrategie beraten werden. «Wenn nun aber über die Einführung von Auktionen entschieden wird, dann nehmen wir die Beratung des halben Energiegesetzes vorweg», kritisierte Mike Egger (svp, SG) diesen Beschluss in gleicher Weise.
Drittens sollen neben Fotovoltaikanlagen auch Windkraftprojekte von Investitionsbeiträgen in der Höhe von bis zu 60 Prozent der anrechenbaren Kosten profitieren können. Die bestehenden und auslaufenden Einspeisevergütungen sollen damit ersetzt werden. Nach Ansicht der unterlegenen Minderheit Rösti sollte dieser Beitrag maximal bei 30 Prozent angesetzt werden, was aus Sicht der SP-Fraktion zum «ökonomischen Tod der Windkraft» führen würde, so Gabriela Suter (sp, AG) im Rat. Auch die Grünen erachteten es als wichtig, dass alle Technologien gleich stark unterstützt werden, betonte Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE). Aus Sicht der SVP-Fraktion stössen die Windturbinen in der Bevölkerung jedoch auf zu grossen Widerstand, weshalb das Geld besser in anderen Bereichen ausgegeben werden sollte, wie Mike Egger erklärte.
Viertens beschloss der Nationalrat, Biomasseanlagen – dazu gehören Biogasanlagen, Holzkraftwerke, Klärgasanlagen sowie Kehrichtverbrennungsanlagen – ebenfalls durch Investitionsbeiträge in der Höhe von maximal 60 Prozent zu fördern und das bestehende Einspeisevergütungssystem auslaufen zu lassen. Solche Anlagen könnten insbesondere im Winterhalbjahr für eine verbesserte Stromversorgungssicherheit sorgen. Zusätzlich zum Investitionsbeitrag sollen Biomasseanlagen, welche besonders hohe Betriebskosten aufweisen, von einem Betriebskostenbeitrag profitieren können. Eine stärkere finanzielle Unterstützung war von den beiden Räten bereits im Rahmen einer Motion Fässler (mitte, AI; Mo. 20.3485) gefordert worden. Eine FDP-Minderheit unter der Federführung von Matthias Jauslin hätte es bevorzugt, die Betriebskostenbeiträge nur an jene Anlagen zu vergüten, die bisher am Einspeisevergütungssystem teilgenommen hatten und deren Vergütungsdauer abgelaufen war. Er erklärte, dass mit einem Betriebskostenbeitrag für neue Anlagen erstens der anstehenden Revision des Energiegesetzes vorgegriffen und zweitens eine Technologie den anderen vorgezogen werde. Damit würden sowohl bestehende als auch neue Biomasseanlagen am «Subventionstopf» hängen. Befürwortende, wie etwa Christine Bulliard-Marbach (mitte, FR), entgegneten, dass gerade diese Chance nicht verpasst werden dürfe, sowohl den Fortbestand als auch den Zubau solcher Anlagen zu fördern, weshalb ein Betriebskostenbeitrag auch für neue Anlagen gesprochen werden müsse.

In einem zweiten Block diskutierte der Nationalrat die Wasserkraftförderung. Neue kleine Wasserkraftanlagen (bis 10 MW Leistung) sollen künftig mit bis zu 60 Prozent der Investitionskosten gefördert werden. Neue grosse Wasserkraftanlagen sollen nicht mehr wie bisher mit 40 Prozent, sondern ebenfalls mit 60 Prozent der Investitionskosten unterstützt werden und damit einen wesentlichen Beitrag zur Stromversorgungssicherheit der Schweiz leisten, entschied die Mehrheit des Nationalrates. Eine Minderheit Bäumle (glp, ZH) hätte den Beitrag für alle Wasserkraftanlagen generell bei 40 Prozent ansetzen wollen. Damit sollte weder auf die kleinen noch auf die grossen Anlagen explizit gesetzt werden, sondern vielmehr das Kosten-Nutzen-Verhältnis ins Zentrum gerückt werden, erklärte er seinen Antrag im Rat. Albert Rösti kritisierte, dass dies im Sinne einer «wahren Technologieneutralität» nicht zu befürworten sei, da damit die Wasserkraft gegenüber den anderen Energieträgern zurückgestuft würde. Eine Minderheit Kurt Egger (gp, TG) verlangte indes, dass Investitionsbeiträge bei neuen Wasserkraftanlagen erst ab einer Leistung von 3 MW gesprochen werden können, das heisst bei Anlagen, die aufgrund ihrer Grösse der Umweltverträglichkeitsprüfung unterstellt sind. Damit sollten kleine, aus ökologischen Gründen oft problematische Anlagen weniger im Förderfokus stehen. Weder die Kommissions- noch die Nationalratsmehrheit konnten sich jedoch für diese Klausel erwärmen und so wurde als allgemeine Bedingung für einen Förderbeitrag eine Leistung von mindestens 1 MW festgelegt.
Neben neuen Anlagen sollen auch erhebliche Erweiterungen und Erneuerungen bestehender Anlagen mit einer Leistung nach dem Bauprojekt von mindestens 300 kW mit Investitionsbeiträgen unterstützt werden. Eine Minderheit Munz (sp, SH) beantragte, dass solche Beiträge erst gesprochen werden können, wenn die Anlage nach dem Um- oder Weiterbau eine Leistung von mindestens 1 MW vorweist. Damit würde die gleiche Leistungsschwelle verwendet wie für die Vergabe von Investitionsbeiträgen bei Neuanlagen. Nach Ansicht der Sozialdemokratin würden Kleinwasserkraftanlagen bei hohen Kosten wenig Energie liefern und gleichzeitig grosse ökologische Schäden anrichten, weshalb eine Anhebung der Förderschwelle nötig sei. Der Nationalrat beliess die Grenze jedoch beim tieferen Wert von 300 kW.
Bei bestehenden Grosswasserkraftanlagen verlängerte der Nationalrat die ursprünglich Ende 2022 auslaufende Marktprämie, die als Reaktion auf die Preisbaisse im letzten Jahrzehnt und die damit verbundenen finanziellen Schwierigkeiten beschlossen worden war, bis Ende 2030. Die Rentabilität der bestehenden Grosswasserkraftanlagen soll damit optimiert werden, indem Marktpreise unter den Gestehungskosten korrigiert werden. Eine linke Minderheit Munz forderte analog zum Bundesrat vergebens, auf die Verlängerung zu verzichten, damit die finanziellen Mittel in den Zubau von neuen, zusätzlichen Produktionskapazitäten fliessen können. Zudem müssten die Konsumentinnen und Konsumenten als gebundene Endverbraucher mit der Marktprämie dafür sorgen, dass den Kraftwerkbetreibern eine «Optimierung der Gewinne» gewährleistet werde, erklärte die Schaffhauserin ihr Anliegen. Der Nationalrat sah vor, für die Marktprämie bei bestehenden Grosswasserkraftanlagen sowie für Investitionen und Ausbauprojekte in neue Anlagen mit einer Leistung von über 10 MW neu 0.2 Rappen pro kWh aus dem Netzzuschlagsfonds zur Verfügung zu stellen. Die unterlegene Minderheit Kurt Egger hätte diesen Höchstanteil bei den bisherigen 0.1 Rappen belassen wollen. Insgesamt sollen gemäss dem Nationalratsentscheid die Unterstützungsmassnahmen wie bisher mit 2.3 Rappen Netzzuschlag pro kWh von den Konsumentinnen und Konsumenten finanziert werden. Eine Erhöhung dieser Beiträge war im Entwurf nicht vorgesehen und wurde auch von keiner Minderheit beantragt.

Schliesslich wandte sich die grosse Kammer der Tarifgestaltung für die Endverbraucher im StromVG zu. Hier entschied sie, dass Stromversorgungsunternehmen ihre Gestehungskosten für erneuerbare, inländische Stromproduktion in die Tarife einberechnen dürfen und dies nicht mehr an das Vorhandensein einer Marktprämie gekoppelt ist. Eine Minderheit Bäumle, welche unter anderem von der SVP-Fraktion unterstützt worden war, beantragte jedoch, die Gestehungskostenüberwälzung weiterhin an die Markprämie zu knüpfen und damit indirekt mit einem Enddatum von 2030 zu versehen. Auch Simonetta Sommaruga versuchte vergeblich, die grosse Kammer davon zu überzeugen, hier nur eine Übergangslösung zu schaffen und keine unbeschränkte Verlängerung einzuführen.

Nach dreistündiger Diskussion und der mehrmaligen Erreichung des qualifizierten Mehrs bei der Ausgabenbremse verabschiedete die grosse Kammer den Entwurf zuhanden des Ständerates und der zuständigen UREK-SR.

Erneuerbare Energien einheitlich fördern. Einmalvergütung auch für Biogas, Kleinwasserkraft, Wind und Geothermie (Pa. Iv. 19.443)
Dossier: Wasserzins nach 2019

Die Einführung eines konstruktiven Referendums sei bereits zuvor zweimal Thema gewesen, versuchte Cédric Wermuth (sp, AG) in der Sommersession 2021 im Nationalrat Werbung für seine parlamentarische Initiative zu machen. 1992 hatte die SP die Idee im Rahmen der EWR-Diskussionen ins Spiel gebracht und 1995 hatten die Sozialdemokraten im Rahmen der Debatte um die 10. AHV-Revision gar eine Initiative für ein «Referendum mit Gegenvorschlag» lanciert, die 2000 an der Urne abgelehnt worden war. Auch aktuell hätte dieses Instrument das Potenzial, Blockaden zu lösen, führte der Aargauer Sozialdemokrat aus. So sei etwa bei der Abstimmung über die E-ID allen klar gewesen, dass es eine elektronische Identität brauche. Hätte neben dem mit einem Referendum bekämpften Vorschlag ein konstruktives Referendum vorgelegen, mit dem etwa eine vom Staat organisierte E-ID gefordert worden wäre, so hätte ein Zeitverlust bei der notwendigen Einführung vermieden werden können. Das konstruktive Referendum sei darüber hinaus «der logische kleine Bruder des Gegenvorschlags des parlamentarischen Rechts und damit die Vollendung der direkten Demokratie» – so Wermuth. Beat Walti (fdp, ZH) wendete ein, dass dieses Instrument im Kanton Zürich zu grosser Verwirrung geführt habe – bei einer Abstimmung über die Spitalfinanzierung seien vier konstruktive Referenden zur Abstimmung gestanden, die «dreissig oder mehr Antwortvarianten» zugelassen hätten. Es sei deshalb wieder abgeschafft worden. Wermuth wiederum konterte mit einem Zitat aus dem Kanton Bern, der das Instrument in Form eines Volksvorschlags kennt: Der Vizepräsident der damaligen Berner Verfassungskommission habe bei der Einführung des Volksvorschlags gesagt, «wer den Schweizerinnen und Schweizern nicht zumute, die Komplexität des konstruktiven Referendums zu verstehen, unterschätze, dass diese Menschen jeden Tag beim Jassen schwierigere strategische Entscheidungen als beim konstruktiven Referendum fällen würden». Michaël Buffat (svp, VD) und Samira Marti (sp, BL) setzten sich in der Folge im Namen der SPK-NR, die sich mit einer 14 zu 10-Stimmen-Mehrheit für Folgegeben ausgesprochen hatte, ebenfalls für das Anliegen ein. Meinungen könnten von den Stimmenden differenzierter eingebracht werden und die Interpretation eines Abstimmungsresultates sei dank Varianten einfacher, argumentierten sie. Zudem könnten Referendumskomitees mit diesem «Gewinn für das direkt-demokratische Instrumentarium» stärker in die Entscheidunsgsfindung einbezogen werden, fasste Samira Marti die Kommissionsmeinung zusammen. Trotz aller befürwortender Voten setzte sich allerdings die starke bürgerliche Kommissionsminderheit durch, die sich nicht zu Wort gemeldet hatte: Mit 109 zu 82 Stimmen entschied sich die Mehrheit der grossen Kammer, der Initiative keine Folge zu geben. Die geschlossen stimmenden Fraktionen von SVP, FDP und Mitte standen den ebenfalls geschlossenen Fraktionen von SP, GLP und GP gegenüber.

Einführung eines konstruktiven Referendums (Pa. Iv. 18.446)

In der Frühjahrssession 2021 folgte der Nationalrat stillschweigend dem Antrag seiner UREK und verlängerte die Behandlungsfrist der parlamentarischen Initiative Rösti (svp, BE) zur Sicherung der Selbstversorgung mit Strom aus Wasserkraft zur Überbrückung der aktuellen Preisbaisse um zwei Jahre bis zur Wintersession 2022. In der Zwischenzeit wird sich das Parlament mit den Vorschlägen des Bundesrates zur Förderung der Wasserkraft im Rahmen des Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien beschäftigen können.

Sicherung der Selbstversorgung mit Strom aus Wasserkraft zur Überbrückung der aktuellen Preisbaisse (Pa.Iv. 16.448)
Dossier: Sicherungsmassnahmen für den Erhalt der Schweizer Wasserkraft ab dem Jahr 2015

In der Frühjahrssession nahm sich der Nationalrat der Justiz-Initiative an. Zur Debatte standen dabei drei Minderheitsanträge, welche die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags bezweckten, was der Bundesrat in seiner Vorlage abgelehnt hatte. Ein Minderheitsantrag Min Li Marti (sp, ZH) verlangte die Rückweisung des Geschäfts an die RK-NR, damit diese ihren in Form einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 20.480) bereits eingereichten indirekten Gegenvorschlag weiter ausarbeite. Zwei weitere links-grüne Minderheiten präsentierte einen eigenen direkten Gegenentwurf, der gleichzeitig mit der Initiative zur Abstimmung kommen soll.
Die RK-NR selber sehe aber keinen Handlungsbedarf mehr, berichtete Barbara Steinemann (svp, ZH) für die Kommission. Nach einigen Anhörungen sei man zum Schluss gekommen, dass sich das aktuelle System bewährt habe. Die Wahl von Richterinnen und Richtern, wie sie heute praktiziert werde, sei nicht über alle Zweifel erhaben und es gebe durchaus «diskussionswürdige Punkte», so die Kommissionssprecherin. Alle anderen Systeme seien aber «noch weniger perfekt», weshalb die Kommission mit 22 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) empfehle, die Volksinitiative ohne indirekten Gegenvorschlag und ohne direkten Gegenentwurf abzulehnen.
In der Begründung ihres Rückweisungsantrags machte Min Li Marti (sp, ZH) auf die wunden Punkte aufmerksam, auf welche die Initiative die Finger legt: Die Frage der Wiederwahl – Richterinnen und Richter müssen periodisch in ihrem Amt bestätigt werden, was in jüngerer Zeit nicht immer reibungslos vonstatten gegangen war –; die Mandatsabgaben, die von Richterinnen und Richtern an ihre Parteien bezahlt werden müssen und die auch von der Greco kritisiert werden, weil sie das bestehende Abhängigkeitsverhältnis noch verstärken; oder die Auswahl der Richterinnen und Richter durch die Gerichtskommission, die kein eigentliches Fachgremium darstellt und weniger auf Fachkompetenz als auf politische Einstellungen und Parteizugehörigkeit achtet. Diese Punkte müssten von der Rechtskommission noch einmal überdacht und in eine Gesetzesrevision gegossen werden, forderte die Zürcher Sozialdemokratin. Sibel Arslan (basta, BS) skizzierte in der Folge die beiden direkten Gegenentwürfe. Vorgesehen war eine Erhöhung der Amtsdauer von Richterinnen und Richter auf zwölf oder sechzehn Jahre in Verbindung mit einem noch zu regelnden Amtsenthebungsverfahren. Das bisherige Wiederwahlverfahren gefährde die Unabhängigkeit der Judikative, weil Richterinnen und Richter mit ihrer Wiederwahl unter Druck gesetzt werden könnten, so die Begründung der Baslerin.

In der nachfolgenden Debatte wiesen auch zahlreiche Votantinnen und Votanten auf die Mängel des bestehenden Systems hin. Freilich war umstritten, ob diese Mängel mit einem Gegenvorschlag oder einem Gegenentwurf behoben werden müssten oder ob sie sich «im Rahmen der heutigen Strukturen lösen» lassen, wie sich etwa Pirmin Schwander (svp, SZ) überzeugt zeigte. Wichtig sei freilich, dass man bereits bei der Selektion der Kandidierenden die «richtigen Persönlichkeiten» auswähle. Das System funktioniere, befand auch Christoph Eymann (ldp, BS). Änderungen seien weder auf Gesetzes- noch auf Verfassungsstufe nötig. Der von der Initiative kritisierte Parteienproporz bei Richterwahlen sei gar nicht so schlecht, führte dann Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus. Er garantiere vielmehr eine Vertretung aller «ideologischen Richtungen». Auch die regelmässigen Wiederwahlen wurden verteidigt: In Realität seien die Richterinnen und Richter unabhängig von ihren Parteien und zu einer Abwahl komme es praktisch nie, argumentierte Sidney Kamerzin (mitte, VS) gegen eine Reform des Systems. Gegen ein zu hastiges Vorgehen mit Hilfe von Gegenvorschlägen und Gegenentwürfen stellte sich auch Kurt Fluri (fdp, SO). Man müsse die bestehenden Probleme in Ruhe angehen. So sei ja etwa eine Motion von Beat Walti (fdp, ZH) für ein Verbot von Mandatssteuern bereits eingereicht worden.
Die Ratslinke – unterstützt von der GLP, für die Beat Flach (glp, AG) Handlungsbedarf aufgrund der undurchsichtigen Mandatsabgaben feststellte – hätte hingegen die Initiative gerne als Treiberin für nötige Reformen genutzt. Es sei ein Glücksfall, dass es dank der Initiative zu einer öffentlichen Debatte über die Judikative komme, lobte Matthias Aebischer (sp, BE). Wenn ein indirekter Gegenentwurf jetzt ausgearbeitet werden müsse, könnten die «kritischen und berechtigten Aspekte der Initiative» aufgenommen werden, warb auch Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) für die Rückweisung an die Kommission.

Eine solche wurde dann allerdings von der Ratsmehrheit mit 99 zu 81 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. Dabei zeigte sich der aufgrund der vorgängigen Diskussion zu erwartende Graben zwischen SVP-, FDP- und der Mehrheit der Mitte-Fraktion, die den Rückweisungsantrag ablehnten, und den Fraktionen von SP, GP und GLP sowie der EVP. Auf die beiden Vorlagen für mögliche direkte Gegenentwürfe mochte der Rat sodann gar nicht erst eintreten. Mit 102 zu 79 Stimmen (3 Enthaltungen) wurde eine mögliche Debatte abgelehnt. Dabei zeigten sich die praktisch gleichen Fronten wie bei der abgelehnten Rückweisung.

Die Initiative selber fand bei den Rednerinnen und Rednern kaum Unterstützung. Das Losverfahren sei «schlicht unseriös», urteilte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS). Der Zufall mache seine Sache nur selten gut, befand auch Nicolas Walder (gp, GE) und mit dem Los bestünde das grosse Risiko, dass nicht alle politischen Sensibilitäten in der Judikative repräsentiert seien. Auch die Idee eines Fachgremiums, mit dem die auszulosenden Kandidierenden bestimmt würden, stiess auf Kritik. Auch die Mitglieder eines solchen Gremiums könnten nicht politisch neutral sein, warnte Matthias Aebischer (sp, GE). Eine durch Los oder ein Fachgremium bestimmte Judikative sei demokratisch weniger legitimiert als durch das Parlament oder die Stimmbevölkerung gewählte Richterinnen und Richter, pflichtete Andreas Glarner (svp, AG) bei. Ein «Sympathie-Ja» erhielt das Begehren einzig von Lukas Reimann (svp, SG): Richterwahlen seien sehr wohl politisch und die Parteizugehörigkeit verhindere die Auswahl der besten Kandidierenden, begründete der St. Galler seine Unterstützung.
Der Nationalrat folgte stillschweigend dem Antrag der Kommission, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Die NZZ sprach nach der nationalrätlichen Debatte von einer verpassten Chance. Es sei fraglich, ob das Parlament ohne den Druck einer Volksinitiative gewillt sei, die Mängel im bestehenden System zu beheben.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Der Nationalrat behandelte die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes in einer Open-End-Sitzung, an deren Ende er gar noch den Nachtrag I zum Voranschlag 2021 anhängte. Mit einer Dauer von 10 Stunden und 10 Minuten (von 14:30 Uhr bis 00:40 Uhr) sei dies die längste Debatte der jüngeren Parlamentsgeschichte gewesen, wie die Parlamentsdienste auf Medienanfrage bestätigten. In dieser «Monsterdebatte» (SRF Online) hatte die grosse Kammer neben der Grundsatzdebatte und unzähligen Mehrheitsanträgen auch 54 Minderheitsanträge und 25 Einzelanträge zu behandeln. Die Relevanz dieser Debatte zeigte sich auch daran, dass drei Mitglieder des Bundesrates zugegen waren: Neben Finanzminister Maurer, der auch die erste Revision sowie die Debatte im Ständerat begleitet hatte, begründete Gesundheitsminister Berset die bundesrätlichen Positionen zum umstrittensten ersten Block der Vorlage und Wirtschaftsminister Parmelin diejenigen im vierten Block zum Thema der Arbeitslosenversicherung. Dabei schuf der Nationalrat zahlreiche Differenzen zum Ständerat, insbesondere im Bereich der Härtefallhilfen, verzichtete aber auf die umstrittensten Anträge der Kommissionsmehrheit.

Eintreten war unbestritten. Insbesondere der erste Block hatte es in der Folge aber in sich, wurde hier doch die zuvor medial stark diskutierte Frage des Endes der Corona-bedingten Schliessungen in verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen behandelt. Bereits in der Grundsatzdebatte wiesen Esther Friedli (svp, SG) und Fabio Regazzi (mitte, TI) für die Kommission auf die Unzufriedenheit der Mehrheit der WAK-NR mit den jüngsten Handlungen des Bundesrat hin: Die Kommission habe den Bundesrat brieflich darauf hingewiesen, dass sie «eine Schliessung der Läden als nicht zielführend erachte […]; dies, weil neben den gesundheitlichen auch die wirtschaftlichen Folgen im Auge behalten werden müssen», und eine umfassende Öffnung gefordert. Trotz dieser Forderung der WAK-NR sowie weiterer Kommissionen hatte sich der Bundesrat bisher gegen kurzfristige Öffnungen entschieden, hatte aber auf den 1. März 2021 einen ersten kleineren Öffnungsschritt vorgenommen. Folglich versuchte die Kommissionsmehrheit ihre Anliegen mithilfe des Covid-19-Gesetzes durchzusetzen.
Das zentrale Anliegen der Kommissionsmehrheit stellte die Öffnung der Restaurationsbetriebe sowie der öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Betriebe in den Bereichen Kultur, Unterhaltung, Freizeit und Sport auf den 22. März 2021 – den Tag nach den Schlussabstimmungen zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes – dar. Diese Öffnungen sollten entsprechend ins Covid-19-Gesetz aufgenommen werden. Die WAK-NR hatte sich zuvor knapp mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung zu diesem medial vieldiskutierten und -kritisierten Entscheid durchgerungen. Der Öffnungsplan des Bundesrates sei der Kommissionsmehrheit zu zaghaft, betonte Friedli. Die epidemiologische Lage erlaube die Öffnung der Betriebe. Die Schutzkonzepte, Massentests und Impfungen zeigten Wirkung und die Spitäler seien weniger ausgelastet; folglich seien die Schliessungen «nicht mehr verhältnismässig». Eine Minderheit I Burgherr beantragte sogar, den Öffnungstermin auf den 1. März 2021 zu legen, womit der Antragssteller zwar keine rückwirkende, jedoch eine sofortige Öffnung erreichen wollte. Alle Indikatoren zeigten – «unabhängig von den harten Massnahmen» von Dezember 2020 und Januar 2021 – eine Verbesserung der Situation an, gleichzeitig stiegen die staatlichen Ausgaben stündlich um CHF 6 Mio., ergänzte Burgherr die Argumente der Kommission. Damit zerstöre man den Schweizer Wohlstand, die Wirtschaft, die Existenzen von Menschen sowie deren Gesundheit. Es sei zwar «irgendwie verrückt, dass wir die Termine in dieses Gesetz schreiben müssen, aber leider ist das inzwischen nötig geworden». Dies sahen eine Minderheit II Grossen (glp, BE; Art. 8a) und eine Minderheit II Rytz (gp, BE; Art. 8b) anders: Sie beantragten, auf die Aufnahme dieser zwei Bestimmungen ins Covid-19-Gesetz zu verzichten. Jürg Grossen bezeichnete ein fixes Öffnungsdatum als «unverantwortlich». Er hatte in den Tagen zuvor die Schaffung einer Erklärung des Nationalrats, in welcher dieser eine Öffnung auf den 22. März 2021 forderte, initiiert, eine Verpflichtung zur Öffnung ging ihm aber zu weit. Auch er wünsche sich den Normalzustand zurück, dieser müsse aber «auch langfristig Bestand haben. Wir haben es hier aber eben mit einem Virus zu tun, das nicht das macht, was wir uns wünschen oder was wir ins Gesetz schreiben». Auch Gesundheitsminister Berset sprach sich gegen die entsprechende Regelung aus: Der Bundesrat gehe in dieselbe Richtung, in die die Kommission gehen wolle, nehme aber eine risikobasierte Öffnung vor. Der Unterschied liege entsprechend in der Geschwindigkeit. Er wolle nicht das Risiko eingehen, «dass es wieder explodiert, mit allen Konsequenzen auch für die Spitäler, für die Intensivpflegestationen». Folglich forderte er weiterhin die Möglichkeit für den Bundesrat, «in Abhängigkeit von der Situation» über eine Weiterführung der verschiedenen Massnahmen entscheiden zu können. Der Nationalrat bevorzugte in der Folge in beiden Fragen den Öffnungstermin des 22. März 2021 gegenüber einer Öffnung auf den 1. März 2021, sprach sich jedoch anschliessend für die beiden Minderheitsanträge Grossen und Rytz aus und verzichtete auf die Festschreibung fixer Öffnungstermine (121 zu 69 Stimmen bei 4 Enthaltungen respektive 122 zu 70 Stimmen bei 3 Enthaltungen). Die Position der Kommissionsmehrheit fand in der SVP fast vollständig Anklang und wurde überdies von Minderheiten der FDP.Liberalen- sowie der Mitte-Fraktion unterstützt.
Neben diesen zwei Hauptartikeln hatte die Kommissionsmehrheit in diesem Block noch zwei weitere Änderungen vorgeschlagen, nämlich einerseits eine Wiedereröffnung von Schiessständen mit Schutzkonzepten auf den 22. März 2021, die eine Minderheit Birrer-Heimo (sp, LU) ablehnte. Die Minderheitensprecherin zeigte sich genervt darüber, dass «Schiessstände […] noch einen separaten Passus [im Covid-19-Gesetz] erhalten» sollten. Auch dieser Mehrheitsantrag fand im Plenum nur bei der SVP-Fraktion und einzelnen FDP.Liberalen- und Mitte-Mitgliedern Zustimmung. Als allgemeinere Regelung wollte die Kommission andererseits festhalten, dass der Bundesrat einen Lockdown und eine Homeoffice-Pflicht nur noch «in begründeten Ausnahmefällen» und maximal für 90 Tage erlassen können sollte. Da diese Regelung rückwirkend auf den 1. Dezember 2020 in Kraft treten sollte, wäre die maximale Dauer für Lockdown und Homeoffice-Pflicht bereits am 28. Februar 2020 abgelaufen – die aktuellen Einschränkungen hätten folglich auch hier sofort aufgehoben werden müssen. Fabio Regazzi begründete diesen Entscheid der Kommissionsmehrheit damit, dass ein Lockdown und eine Homeoffice-Pflicht so weitreichende Massnahmen seien, dass man einerseits eine rechtliche Grundlage dafür schaffen, diese aber andererseits auch zeitlich begrenzen wolle. Auch diesen Vorschlag der Kommissionsmehrheit lehnte der Nationalrat jedoch ab; Zustimmung fand er bei der Mehrheit der SVP- sowie bei Minderheiten der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion.
Schliesslich beantragte die WAK-NR auch eine vom Ständerat eingefügte Bestimmung, wonach Kantonen mit guter epidemiologischer Lage und geeigneten Massnahmen Erleichterungen bezüglich des Lockdowns gewährt werden sollten, zur Annahme. Mit dieser «Lex Grischun», wie sie der Finanzminister im Rahmen der ständerätlichen Debatte bezeichnet hatte, sollte die Massentest-Strategie des Kantons Graubünden gewürdigt werden. Prisca Birrer-Heimo lehnte diesen Antrag ab und erinnerte an den «Beizen- und Einkaufstourismus in den Kantonen […], gefolgt vom Virustourismus» im Herbst 2020, als kantonal unterschiedliche Lösungen vorgelegen hatten. Damals sei bald eine national einheitliche Regelung gefordert worden, weshalb die Kantone gemäss Schreiben der GDK in dieser Frage mehrheitlich einheitliche Regeln befürworteten. Hier setzte sich jedoch die Kommissionsmehrheit, unterstützt von der SVP, den FDP.Liberalen und einer Mehrheit der Mitte-Fraktion, durch.
Darüber hinaus lagen zahlreiche weitere Öffnungsanträge von Kommissionsminderheiten oder Einzelpersonen vor. Eine Minderheit Friedli forderte ein Ende der Homeoffice-Pflicht auf den 22. März 2021 und ein Einzelantrag Aeschi (svp, ZG) die Wiedereröffnung der Aussenbereiche von Restaurants. In fünf Einzelanträgen forderte Jean-Luc Addor (svp, VS) ein Ende der Einschränkungen bei politischen Versammlungen, Versammlungen im Familien- und Freundeskreis oder im öffentlichen Raum, bei Präsenzveranstaltungen in Bildungseinrichtungen oder bei Gottesdiensten. Sämtliche Anträge blieben erfolglos und fanden nur bei der SVP-Fraktion sowie teilweise bei Minderheiten der FDP.Liberalen- und/oder der Mitte-Fraktion Zustimmung. Hingegen sprach sich der Nationalrat für eine Regelung aus einem Einzelantrag Rüegger (svp, OW) aus, die es Berufsleuten aus der Landwirtschaft, dem Bausektor sowie Handwerkerinnen und Handwerkern auf Montage erlaubt, sich in Gastrobetrieben zu verpflegen. Dies hatte zuvor auch die Petition «Beizen für Büezer» gefordert.

Ein weiteres medial stark diskutiertes Thema betraf die Rolle der Covid-19-Task Force. Die Kommissionsmehrheit wollte die Mitglieder der Task Force im Covid-19-Gesetz zur Wahrung ihres Rahmenmandats verpflichten. Demnach sollte die nach aussen gerichtete Kommunikation der Task Force nur noch durch deren Präsidentinnen oder Präsidenten erfolgen, während die übrigen Mitglieder bei öffentlicher Kommunikation deklarieren müssten, dass dies ausserhalb ihres Mandats geschehe. Dies sei gemäss Kommissionssprecher Regazzi nötig, zumal die Task Force ihr Mandat überschreite oder gar missbrauche, wenn sie den Bundesrat öffentlich belehre oder das Parlament kritisiere. Eine Minderheit Rytz, welche die Streichung dieser Regelung beantragte, fürchtete den Glaubwürdigkeitsverlust einer «aufgeklärte[n], liberale[n] Demokratie […], wenn sie der Wissenschaft einen Maulkorb umhängen will und naturwissenschaftliche Tatsachen ignoriert». Balthasar Glättli (gp, ZH) stellte zudem den Nutzen davon, die bisherige kritisierte Regelung telquel ins Covid-19-Gesetz aufzunehmen, in Frage. Mit 116 zu 78 Stimmen (bei 1 Enthaltung) setzten sich SP, GPS, GLP und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion durch und lehnten die entsprechende Bestimmung der Kommissionsmehrheit ab. Erfolglos blieb auch eine ergänzende Forderung von David Zuberbühler (svp, AR), den Zugang zu den bundesrätlichen Medienkonferenzen in der Corona-Thematik allen Schweizer Medien, also auch den im Bundeshaus nicht akkreditierten kantonalen, regionalen oder lokalen Medien, zu eröffnen. Den Kantonen komme eine wichtige Rolle zu, weshalb auch die entsprechenden Medien die Möglichkeiten für direkte Rückfragen haben müssten.

Nicht nur an der Kommunikation durch die Task Force, auch an der Berechnung der Covid-19-Zahlen störte sich die Kommissionsmehrheit. Entsprechend forderte sie, dass in die Berechnung der Positivitätsrate neu auch die Resultate von Massentests in Unternehmen einfliessen sollten. Bisher waren diese nicht integriert worden, weil man gemäss Bundesrat Berset die administrativen Hürden für die Unternehmen nicht habe vergrössern wollen. Zudem solle über rückwirkende Korrekturen der Covid-19-Kennzahlen «offen und transparent» informiert werden. Damit solle die Sicherheit und die Sichtbarkeit der vorhandenen Informationen gewährleistet werden, argumentierte Regazzi. Zudem wollte ein Einzelantrag Humbel (cvp, AG) zur Berechnung der Positivitätsrate ausschliesslich auf PCR-Tests setzen. Eine Minderheit Gysi (sp, SG) tat diese Anträge der Kommissionsmehrheit und von Ruth Humbel jedoch als Mikromanagement ab und setzte sich mit dieser Ansicht auch durch.
Darüber hinaus störten sich die Kommission sowie Thomas Aeschi, Thomas Burgherr und Nicolo Paganini (mitte, SG) auch allgemein an den Masszahlen, auf denen der Bundesrat seine Entscheidungen basierte. Die WAK-NR schlug deshalb vor, die zu berücksichtigenden Masszahlen im Gesetz festzuhalten und dem Bundesrat die Verwendung eines Ampelsystems mit Grenzwerten, welche eine Verschärfung oder Lockerung der Massnahmen anzeigen sollten, festzuschreiben. Diese Liste von Masszahlen der Kommission wollten die Minderheiten- und Einzelanträge weiter einschränken. Gesundheitsminister Berset wehrte sich insbesondere gegen das Ampelsystem, zumal der Bundesrat anfänglich Automatismen ausprobiert habe, aber schnell festgestellt habe, dass er Flexibilität brauche. Stattdessen setze man auf Richtwerte als Entscheidungshilfen, aber nicht als automatische Entscheidungsgrundlagen. Zudem seien eben – wie zum Beispiel Thomas Aeschi seine Forderung, auf die Berücksichtigung der Positivitätsrate zu verzichten, begründet hatte – die Zahlen nicht immer korrekt; entsprechend brauche es einen «Strauss von unterschiedlichen Kriterien, und dann braucht es einfach gesunden Menschenverstand [...], um zu versuchen, einen Entscheid zu fällen». Sowohl der Mehrheitsantrag als auch sämtliche Minderheits- und Einzelanträge zu diesem Thema wurden abgelehnt, womit es bei der bundesrätlichen Fassung blieb.
In eine ähnliche Richtung ging die Idee der Kommissionsmehrheit, dem Bundesrat Massnahmen wie Contact Tracing, ein tägliches Monitoring als Entscheidungsgrundlage, Orientierung an nationalen und internationalen Erfahrungen, die Erstellung eines Impfplans oder Möglichkeiten für Quarantänelockerungen vorzuschreiben. Trotz Ablehnungsantrag des Bundesrates stimmte die grosse Kammer dieser Regelung zu. Eine Minderheit Martullo-Blocher (svp, GR) und ein Einzelantrag Addor wollten darüber hinaus den Bundesrat bei der Ergreifung weiterer Massnahmen mit bedeutenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen dazu zwingen, vorgängig die Zustimmung der zuständigen parlamentarischen Kommissionen einzuholen. Als Alternative schlug Philipp-Mathias Bregy (cvpo, VS) in Übereinstimmung mit den parlamentarischen Initiativen 20.418 und 20.414 vor, eine neue gemeinsame Kommission beider Räte zu schaffen, die Empfehlungen an den Bundesrat ausspricht, die Sachkommissionen informiert und die bundesrätlichen Massnahmen evaluiert. Die «politische Eskalation» verdeutliche die Notwendigkeit einer «zusätzliche[n] legislative[n] Institution». Der Nationalrat lehnte den Minderheitsantrag Martullo-Blocher sowie den Einzelantrag Addor ab, während Philipp-Mathias Bregy seinen Antrag zurückzog. Stattdessen folgte der Nationalrat einem Vorschlag des Ständerates, wonach neu nicht mehr «die Kantone», also faktisch die KdK/GDK, sondern die einzelnen Kantonsregierungen in die Entscheidungen einbezogen werden müssen. Dagegen hatte sich der Bundesrat gewehrt, zumal es ihm wichtig sei, eine konsolidierte Meinung der Kantone anzutreffen.

Daneben beschäftige den Rat insbesondere auch die Frage der Impfungen, respektive der Folgen für die Geimpften und Ungeimpften. Der Ständerat wollte bei mit zugelassenen Covid-19-Impfstoffen Geimpften auf Quarantänemassnahmen verzichten, was die Kommissionsmehrheit jedoch streichen wollte, zumal nicht alle Impfstoffe gleich wirksam seien und die Regelung Ungleichheiten schaffe. Eine Minderheit Aeschi, die dem Ständerat beipflichten wollte, setzte sich äusserst knapp mit 96 zu 96 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) und Stichentscheid von Präsident Aebi (svp, BE) durch. Mit Minderheits- und Einzelanträgen wollten Thomas Aeschi und Jean-Luc Addor zudem sicherstellen, dass niemand zu einer Impfung gezwungen oder aufgrund einer fehlenden Impfung diskriminiert werden darf und die entsprechenden Impfdaten ausschliesslich für medizinische Zwecke genutzt werden dürfen. Für die Kommission sprach sich Esther Friedli gegen eine solche Einschränkung aus, zumal diesbezüglich zuerst noch viele offene Fragen geklärt werden müssten. Die grosse Kammer lehnte beide Anträge ab und sprach sich stattdessen für zwei Anträge von Regine Sauter (fdp, ZH) und Lorenz Hess (bdp, BE) aus, wonach der Bundesrat ein international kompatibles Covid-19-Zertifikat – einen Impf- und Testnachweis (Sauter) – respektive die rechtlichen Grundlagen für ein solches Zertifikat (Hess) erstellen sollte.

Auch eine Ausweitung des vereinfachten Verfahrens zur Unterschriftenbeglaubigung auf Volksinitiativen hiess der Nationalrat gut. Schliesslich war auch ein Minderheitsantrag Glättli auf Verpflichtung der Kantone zu Contact Tracing und auf Gewährung von Bundesgeldern zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Contact Tracing-Systems erfolgreich.
Im medial viel diskutierten ersten Block waren somit nur sehr wenige Anträge erfolgreich: In den meisten Fällen folgte der Nationalrat hier dem Ständerat. Erfolglos blieben sämtliche Kommissionsanträge, welche die Handlungsfreiheit des Bundesrates einschränken wollten.

Im zweiten Block, dem gemäss Finanzminister Maurer «teuersten Teil der Vorlage», beschäftigte sich der Nationalrat mit den Härtefall-Massnahmen für Unternehmen und den Verpflichtungskrediten. Dabei bereiteten die Anträge der Kommissionsmehrheit dem Finanzminister ziemlich sicher Kopfzerbrechen, beantragte sie doch Mehrausgaben von insgesamt CHF 9 Mrd. Wie bereits in früheren Debatten zum Covid-19-Gesetz verwies Finanzminister Maurer nochmals darauf, dass der Bund nicht sämtliche entgangenen Einnahmen, sondern lediglich Härtefälle abgelten könne – die hier gestellten Anträge würden aber weit über eine Härtefallabgeltung hinausgehen. Überdies prophezeite er mögliche Rechtsstreitigkeiten in anderen Bereichen, die weniger grosszügig behandelt würden, zum Beispiel bei den KAE, Studierenden oder Lernenden. Dabei kritisierte er auch das Vorgehen der Kommission, die teilweise «wirklich faktenfrei» gehandelt habe, indem sie Entscheidungen getroffen habe, ohne deren Kosten zu kennen. Nun seien die Kosten aber bekannt, weshalb die Entscheidungen korrigiert werden müssten. Schliesslich verwies er auf die Beteiligung der Kantone an diesen Entscheidungen und auf deren starke Belastung durch die Mehrausgaben. Neben dem Finanzminister störte sich auch die SVP an diesen Zusatzausgaben und forderte in mehreren Minderheitsanträgen einen Verzicht auf eine Aufstockung der Härtefallmassnahmen. Er begreife nicht, «dass man auf der einen Seite, bei den gesundheitspolitischen Massnahmen, dem Bundesrat vollumfänglich vertraut und daran nichts ändern will, während man auf der anderen Seite den finanzpolitisch austarierten Stützungsmassnahmen dann derart misstraut», fasste Albert Rösti (svp, BE) den Unmut der SVP zusammen. Im Gegenzug verwies Esther Friedli für die Kommissionsmehrheit auf die Probleme bei den Härtefallprogrammen. Diese habe man nun erkannt und müsse sie folglich beheben.
Die folgende Beratung des zweiten Blocks wurde dann in der Tat zum Albtraum des Finanzministers. In einem ersten Schritt beschloss der Nationalrat, Härtefallhilfen unabhängig vom Gründungsdatum der Unternehmen zu sprechen. Der Bundesrat hatte, unterstützt vom Ständerat, vorgeschlagen, Unternehmen, die nach dem 1. Oktober 2020 gegründet worden waren, nicht zu unterstützen, weil diese mit einem Anstieg der Covid-19-Erkrankungen hätten rechnen müssen. Der Finanzminister beschilderte diese Zusatzausgabe der Kommissionsmehrheit mit CHF 300 Mio.
Darüber hinaus entschied sich der Nationalrat, Härtefallhilfen neu auch Unternehmen, deren Umsatz während der Covid-19-Pandemie 75 statt 60 Prozent des durchschnittlichen Umsatzes beträgt, zukommen zu lassen. Gleichzeitig sollten nicht mehr die gesamte Vermögens- und Kapitalsituation der Unternehmen, sondern nur noch ihre ungedeckten Fixkosten berücksichtigt werden. In der Praxis sei festgestellt worden, dass auch Unternehmen mit einem Umsatz leicht unter 75 Prozent des früheren Umsatzes grosse Probleme hätten und ebenfalls Härtefallunterstützung benötigten, um überleben zu können. Die Konzentration auf die nicht gedeckten Fixkosten begründete die Kommissionsmehrheit damit, dass aufgrund der Berücksichtigung der Vermögens- und Kapitallage «vor der Krise gesunde Unternehmen faktisch erst unterstützt werden, wenn sie schon fast in Konkurs sind». Dieser Entscheid des Nationalrats koste CHF 3.5 Mrd., rechnete der Finanzminister vor, damit würden 17'000 zusätzliche Betriebe berücksichtigt.
Etwa CHF 500 Mio. würde der Antrag der Kommissionsmehrheit kosten, die vom Ständerat geschaffene Pflicht zu streichen, wonach sich Eignerinnen und Eigner von Unternehmen an den Härtefallleistungen beteiligen müssen, wenn diese CHF 5 Mio. übersteigen. «Wer ein Härtefall ist, hat ja wohl kaum noch Möglichkeiten, Eigenmittel einzubringen», argumentierte Esther Friedli für die Kommission und verwies auf die Ungleichbehandlung gegenüber Unternehmen mit tieferem Jahresumsatz. Auch diesen Vorschlag der Kommissionsmehrheit nahm der Nationalrat an.
Eine Gewinnbeteiligung des Bundes bei denjenigen Unternehmen mit Jahresumsatz von über CHF 5 Mio., die A-Fonds-perdu-Beiträge erhalten hatten, hatte der Ständerat tags zuvor eingeführt. Im Geschäftsjahr der entsprechenden Härtefallhilfe sollen die Unternehmen in der Folge ihren gesamten Gewinn (maximal jedoch den Betrag, den sie vom Bund erhalten hatten minus CHF 1 Mio.) dem Bund abgeben müssen. Dagegen wehrte sich eine Minderheit Badran (sp, ZH), die auf die Definition von «A Fonds perdu» hinwies, die entsprechenden Leistungen als «Abgeltung für unverschuldeten Schaden» verstand und sich dagegen wehrte, Unternehmen, die fleissig arbeiteten, dafür zu bestrafen. Damit würge man Investitionen in die Zukunft ab. Finanzminister Maurer zeigte gewisses Verständnis für die Argumentation von Badran, sorgte sich jedoch insbesondere um die Akzeptanz dieser Massnahmen in der Bevölkerung. Auch hier zeigte sich der Nationalrat grosszügig und folgte dem Antrag Badran, der die entsprechenden Rückzahlungen auf Unternehmen ab einem Jahresumsatz von CHF 250 Mio. beschränken wollte.
Überdies folgte die Mehrheit des Nationalrats dem Ständerat auch bezüglich der Erhöhung der Höchstbeiträge bei den Härtefallhilfen für Unternehmen mit einem Umsatzrückgang von über 70 Prozent – eine Minderheit Aeschi hatte 80 Prozent gefordert. Finanzminister Maurer hatte die Zusatzkosten der beiden Anträge auf CHF 540 Mio. (Mehrheit) und CHF 470 Mio. (Aeschi) beziffert und deren Ablehnung beantragt.
Damit hatte der Nationalrat in wenigen Geschäften Zusatzausgaben in Milliardenhöhe geschaffen. Der Finanzminister sprach einige Tage später davon, dass sich der Nationalrat «in einen Ausgabenrausch gesteigert» habe – zum Ende der Beratung des Covid-19-Gesetzes durch den Nationalrat beliefen sich die Zusatzausgaben auf fast CHF 10 Mrd.

Doch nicht nur aus monetären Gründen lehnte der Bundesrat verschiedene von der Kommissionsmehrheit in diesem Block vorgeschlagene Anträge ab. So störte sich beispielsweise der Finanzminister bezüglich der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Präzisierung des Dividendenverbots weniger an deren Kosten als daran, dass damit im Vollzug Rechtsunsicherheit geschaffen würde – Maurer sprach gar von einem «Gummiparagrafen». So sollten zwar die Ausschüttung von Dividenden und die Rückerstattung von Kapitaleinlagen verboten bleiben, aber Ausschüttungen mit Finanzierungscharakter, für Nachfolgelösungen oder an nicht-mitarbeitende Familienangehörige, Darlehen oder Lohnvorschüsse erlaubt bleiben. Die aktuelle Regelung war vor weniger als drei Monaten beschlossen worden, dennoch sprach sich die Mehrheit des Nationalrats gegen den Widerstand von SVP und FDP für die Änderung aus.
Eine weitere Änderung an Massnahmen, die erst gerade in der letzten Session beschlossen worden waren, schlug die Kommissionsmehrheit beim Handlungsspielraum der Kantone vor. So hatte das Parlament im Dezember entschieden, dass die Kantone bei den Härtefallmassnahmen nur Mindestanforderungen des Bundes einhalten müssen. Nun sollte jedoch eine Pflicht für den Bund zu einer koordinierten Umsetzung der Massnahmen und für Mindeststandards der Leistungen geschaffen werden. Darüber zeigte sich der Finanzminister ziemlich verärgert: «Meiner Meinung nach ist dieser Absatz so ziemlich das Dümmste, was Sie jetzt noch machen können». Der Bund sei seit dem 1. Dezember 2020 gemeinsam mit den Kantonen dabei, die entsprechenden Massnahmen auszuarbeiten – das Vorgehen erfolge somit bereits koordiniert. Es habe lange gedauert, nun sei man aber soweit; folglich mache es keinen Sinn, die Kantone zu zwingen, jetzt noch einmal von vorne zu beginnen. Die Kommissionsmehrheit störte sich jedoch an den unterschiedlichen kantonalen Regelungen und setzte sich mit ihrer Forderung im Nationalrat gegen die SVP, fast die ganze Mitte-Fraktion und einzelne Mitglieder der FDP-Fraktion durch.
Abgelehnt wurden hingegen zahlreiche Minderheitsanträge in diesem Block, etwa eine Minderheit Grossen für eine Erleichterung der Anspruchsvoraussetzungen für Unternehmen mit sehr hohen Umsatzausfällen, einer Minderheit Regazzi für eine neue Unterstützungsmassnahme in Form von A-Fonds-perdu-Beiträgen für Betriebe, die aufgrund von behördlichen Anordnungen geschlossen worden waren, oder eine weitere Minderheit Grossen für eine Wiederaufnahme des Solidarbürgschaftsprogramms.
Einsparungen konnte der Finanzminister schliesslich aufgrund eines Einzelantrags Markwalder (fdp, BE) verzeichnen: Darin wurde gefordert, dass die A-Fonds-perdu-Beiträge maximal den belegten ungedeckten Fixkosten entsprechen dürfen, bei Unternehmen mit über CHF 250 Mio. Jahresumsatz maximal 30 Prozent der ungedeckten Fixkosten. Damit sollten die Härtefallhilfen auf KMU fokussiert werden, da diese auch besonders stark von den Restriktionen betroffen seien. Zudem sollte eine staatliche «Überentschädigungen» verhindert werden. Gegen den Willen von SP, GLP und GP nahm der Rat diesen Antrag an.
Nicht umstritten war in diesem Block hingegen die Frage zu den Härtefallmassnahmen: Diesbezüglich schlug der Bundesrat vor, die finanzielle Beteiligung des Bundes an den Härtefallmassnahmen nicht mehr im Rahmen des Covid-19-Gesetzes, sondern neu in einem separaten Bundesbeschluss über die Finanzierung der Härtefallmassnahmen zu regeln. Mit diesem sollte ein Verpflichtungskredit von CHF 8.2 Mrd. genehmigt werden, wobei CHF 4.2 Mrd. für Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis CHF 5 Mio., CHF 3 Mrd. für grössere Unternehmen und CHF 1 Mrd. als Bundesratsreserve eingesetzt werden sollten. Mit 192 zu 4 Stimmen nahm der Nationalrat den neuen Bundesbeschluss deutlich an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

In einem dritten Block zum Thema «Arbeitslosenversicherung» vertrat Wirtschaftsminister Parmelin die Position des Bundesrates. Bei den Bestimmungen im Bereich der ALV lagen verschiedene Änderungsanträge vor. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Höchstdauer für Kurzarbeitsentschädigung zu erhöhen, zumal Unternehmen, die seit März 2020 ohne Unterbrechung auf KAE angewiesen waren, die bisherige Höchstdauer Ende August 2021 erreichen würden. Nach dem Ständerat sprach sich auch der Nationalrat für die Erhöhung aus. Überdies schlug der Bundesrat eine Streichung der Voranmeldefrist für KAE und rückwirkende Anmeldungsmöglichkeiten ab dem 18. Dezember 2020 vor, die WAK-NR wollte diese Rückwirkung bereits ab dem 1. September 2020 ermöglichen und gleichzeitig bis Ende April 2021 beschränken. Die Unternehmen seien im Dezember 2020 von den schnellen Schliessungen «überrumpelt» worden, betonte Bundesrat Parmelin, nun sollten sie die verpassten Anmeldungen nachholen können. Um die kantonalen Ämter zu schonen, begrenzte der Bundesrat die Rückwirkung aber stärker als die Kommissionsmehrheit, die sich in dieser Frage jedoch durchsetzte.
Bezüglich der ordentlichen Leistungen der ALV wollte die Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Bundesrat und dem Ständerat 66 zusätzliche ALV-Taggelder für die Monate März bis Mai 2021 schaffen, um der schwierigen Arbeitsmarktsituation Rechnung zu tragen. Eine Minderheit Ryser (gp, SG) wollte jedoch auch die Monate Januar und Februar in diese Bestimmung aufnehmen und die zusätzliche Anzahl Taggelder auf 107 erhöhen. Damit würden auch Personen unterstützt, die im Januar ausgesteuert wurden, zumal diese in der Folge kaum Stellen im Detailhandel oder im Gastgewerbe hätten finden können. «Wären [diese Personen] erst im März ausgesteuert worden, würden sie von einer Verlängerung profitieren», begründete Ryser den Antrag. Bundesrat Parmelin und mit ihm auch die Mehrheit des Nationalrats lehnten diese rückwirkende Massnahme aus Rücksicht auf die ohnehin schon überlasteten Durchführungsstellen und auf die zusätzlichen Kosten von CHF 1.3 Mrd. ab. Die Kommissionsmehrheit setzte sich diesbezüglich durch.
Neben diesen Änderungsvorschlägen des Bundesrates lagen erneut zahlreiche Anträge links-grüner Minderheiten auf einen Ausbau der KAE vor. Im Zentrum stand diesbezüglich die Aufstockung der KAE auf 100 Prozent für Einkommen bis CHF 3'470, wie sie im Dezember 2020 temporär bis Ende März 2021 geschaffen worden war. Eine Minderheit Ryser verlangte in Übereinstimmung mit mehreren Motionen, die Grenze für einen 100-prozentigen Anspruch auf CHF 4'000 zu erhöhen. Es habe sich gezeigt, dass die bisherige Grenze gerade für Familien zu tief liege, «das zieht eine Familie unter die Armutsgrenze». Ein Einzelantrag von Flavia Wasserfallen (sp, BE) verlangte gar 100-prozentige KAE für Einkommen bis CHF 4'412, dem Medianlohn im Gastgewerbe. Der Bundesrat verwies hingegen auf die wachsende Ungleichheit bei der Entschädigung von Arbeitslosen und Personen mit KAE und lehnte nicht nur die Erhöhung des entsprechenden Grenzbetrags, sondern auch die Verlängerung dieser Erhöhung bis Ende Dezember 2021 ab. Thomas Aeschi verwies in der Begründung seines Minderheitsantrags, mit dem er die entsprechende Regelung im März 2021 auslaufen lassen wollte, erneut auf die Öffnung der Gastronomie, welche eine solche Lösung überflüssig mache. Für die Kommission betonte Esther Friedli, dass noch immer viele Arbeitnehmende von Kurzarbeit betroffen seien und diese Massnahme folglich bis Ende Juni 2021, nicht aber bis Ende 2021 weiterlaufen soll. Diesem Votum pflichtete der Nationalrat bei und verlängerte die Dauer der bisherigen Lösung auf Ende Juni 2021. Sämtliche Minderheitsanträge lehnte er folglich ab.
Stattdessen sah eine Minderheit Bendahan (sp, VD) ein Dividendenverbot für den Zeitraum des Bezugs von KAE vor: Solange ein Unternehmen von öffentlichen Geldern profitiere, sollten die Aktionärinnen und Aktionäre keine Dividende erhalten, argumentierte er. Bisher bestand ein Dividendenverbot bereits beim Bezug von Härtefallhilfe. Bundesrat Parmelin verwies denn auch darauf, dass KAE keine Subvention, sondern eine Versicherungsleistung seien. Da damit insbesondere die Arbeitsplätze erhalten werden sollen, wäre eine Regelung, gemäss der ein Unternehmen zwischen Kurzarbeit und Dividendenzahlungen wählen muss, kontraproduktiv. Zudem müssten die Unternehmen gerade jetzt Investoren anlocken können. Wie bereits der Ständerat bei der Schaffung des Covid-19-Gesetzes sprach sich nun auch der Nationalrat gegen eine solche Regelung aus, die von der SP, der GP und zwei Mitgliedern der GLP unterstützt wurde.
Auf grossen Widerstand stiess schliesslich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit, zur Stärkung des Detailhandels an 12 zusätzlichen Terminen Sonntagsverkäufe durchführen zu können. Deutliche Worte fand die Sprecherin des Minderheitsantrags, Prisca Birrer-Heimo, die den Antrag als «zynisch» und als «Missbrauch der Covid-19-Gesetzgebung» bezeichnete. Das Verkaufspersonal, das unter normalen Bedingungen sehr viel leiste, habe während der Pandemie «noch einen zusätzlichen Effort für die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln geleistet». Dafür seien sie in der ersten Welle beklatscht worden, während man nun von ihnen verlange, noch verstärkt am Sonntag zu arbeiten. Und dies ohne dass die Sozialpartner konsultiert worden seien. Auch Wirtschaftsminister Parmelin verwies auf den starken Widerstand gegen Sonntagsarbeit in Teilen der Bevölkerung und empfahl den Verzicht auf eine solche Regelung. Knapp setzten sich die Minderheit und der Bundesrat mit 96 zu 93 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) durch, womit der Nationalrat zusätzliche Sonntagsverkäufe ablehnte.
In der Folge sprach sich der Nationalrat mit 139 zu 54 Stimmen (bei 1 Enthaltung) dafür aus, dem ALV-Ausgleichsfonds CHF 6 Mrd. zur Deckung der Kosten für KAE für die Jahre 2020 und 2021 zukommen zu lassen und die entsprechende Ausgabenbremse zu lösen. Damit sollte verhindert werden, dass sich der ALV-Fonds überschuldet und die automatische Schuldenbremse in Kraft tritt. Einzig die Mitglieder der SVP lehnten die entsprechende Regelung ab respektive enthielten sich der Stimme.

In einem vierten Block behandelte der Nationalrat sämtliche übrigen im Covid-19-Gesetz geregelten Aspekte der Pandemie.
Bei den Geschäftsmieten etwa beantragte eine Minderheit Badran, die Kündigungsfristen bei Mietzinsrückständen auf 90 Tage und bei Pachtzinsrückständen auf 120 Tage zu verlängern. Im Dezember 2020 sei das Parlament davon ausgegangen, dass Vermietende und Mietende eine Lösung finden würden, was eine gesetzliche Regelung unnötig gemacht hätte – dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Insbesondere grosse Vermietende hätten sich in der Folge «darauf berufen, dass das Parlament hier offensichtlich keine Einigung wünsche», und den Mietenden bei Verzug mit Kündigung gedroht. Man müsse nun die Mietenden «bis zum Eintreffen der Härtefallgelder» vor Kündigungen schützen. Finanzminister Maurer erachtete diese Regelung als mit dem Covid-19-Gesetz nicht kompatibel, zumal entsprechende Härtefälle in der Härtefallverordnung geregelt seien – das Anliegen solle folglich dort aufgenommen werden. Die Minderheit setzte sich jedoch mit 98 zu 90 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) durch.

Daneben beantragte die Kommissionsmehrheit, die Übernahme von Betriebsstätten durch ausländische Käuferinnen und Käufer erneut einer Bewilligung zu unterstellen. Damit solle verhindert werden, dass ausländische Personen die Notverkäufe von Betrieben während der Pandemie nutzten und dadurch viele Objekte in der Schweiz in fremde Hände gerieten. Bundesrat Maurer lehnte eine solche Regelung im Covid-19-Gesetz ab, nicht zuletzt, weil diese Regelung nur bis zum 31. Dezember 2021 in Kraft sein würde – anschliessend tritt das Gesetz ausser Kraft. Zudem könne eine solch gravierende materielle Änderung nicht ohne Vernehmlassung und breite Abstützung ins Gesetz aufgenommen werden. Schliesslich verwies er auf die parlamentarische Initiative 21.400, der die RK-NR bereits Folge gegeben hatte. Einen Minderheitsantrag Leo Müller (mitte, LU) auf Streichung der Massnahme war anfangs erfolgreich, nach einem Ordnungsantrag und einer Wiederholung der Abstimmung sprach sich der Nationalrat mit 113 zu 80 Stimmen (bei 1 Enthaltung) jedoch für die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Regelung aus.

Im Kulturbereich wollte die Kommissionsmehrheit dem Ständerat beipflichten, der die bisher geltende Beschränkung der Höhe der Kulturleistungen aufheben wollte. Man brauche hier analog zu den Härtefallhilfen Flexibilität, argumentierte Esther Friedli. Finanzminister Maurer fürchtete sich jedoch davor, mit dieser Ausweitung «Tür und Tor für Forderungen» zu öffnen. Die Mehrheit setzte sich aber gegen einen Minderheitsantrag Aeschi, der bei der bisherigen Regelung bleiben wollte, durch und strich die Beschränkung für Härtefallhilfen im Kulturbereich. Zudem beantragte die Kommissionsmehrheit, bei der Hilfe für Kulturschaffende die Freischaffenden ausdrücklich zu erwähnen, was eine weitere Minderheit Aeschi ablehnte. Der Finanzminister verwies auf die schwierige Definition von «freischaffende[n] Angestellte[n]» und betonte, dass die selbständigerwerbenden Freischaffenden bereits Anspruch auf den Corona-Erwerbsersatz, Ausfallentschädigung und Notfallhilfe hätten. Auch hier setzte sich die Kommissionsmehrheit jedoch durch.
Darüber hinaus schuf der Nationalrat einen von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Paragraphen, der eine Ausfallentschädigung für abgesagte oder verschobene Veranstaltungen, Messen, Gewerbeausstellungen und Jahrmärkte zwischen dem 1. Juni 2021 und dem 30. April 2022 vorsah. Damit wollte die Kommissionsmehrheit einen «Schutzschirm für die Veranstaltungsbranche», wie es Esther Friedli nannte, schaffen. Dies sollte Kulturunternehmen zur Planung neuer Veranstaltungen motivieren. Der Finanzminister bekundete zwar seine Sympathie für die Idee, verwies aber erfolglos auf die daraus resultierenden Vollzugsprobleme.
Angenommen wurde überdies ein Verbot finanzieller Beiträge an kantonale Grundeinkommen, womit die Kommission insbesondere die Bundesfinanzierung des Zürcher Modells der Ausfallentschädigung für Kulturschaffende verhindern wollte. Jedoch entsprächen weder das Zürcher noch das Basler Modell einem Grundeinkommen, betonte Prisca Birrer-Heimo, die diesen Artikel wieder streichen wollte. Durch die Annahme eines befristeten Pauschalbetrags solle lediglich eine administrative Erleichterung geschaffen werden. Zudem widerspreche der in diesem Artikel ebenfalls vorgeschriebene detaillierte Nachweis der finanziellen Einbussen der bisherigen Praxis, wonach finanzielle Einbussen nur plausibilisiert werden müssen. Knapp setzte sich die Kommissionsmehrheit mit 100 zu 92 Stimmen (bei 1 Enthaltung) durch.
Einig waren sich Kommissionsmehrheit und Bundesrat schliesslich bei der Frage der Rückwirkung im Kulturbereich: Hier gäbe es eine Lücke in der bisherigen Gesetzgebung, die durch eine Rückwirkungsklausel geschlossen werden müsse, erklärte der Bundesrat und der Nationalrat stimmte ihm zu.

Bei den Härtefallmassnahmen für Sportklubs hatte sich der Ständerat zuvor entschieden, auf die für den Erhalt von A-Fonds-perdu-Beiträgen nötigen Einkommensreduktionen bei den Sportklubs zu verzichten. Dieses Vorgehen unterstützte eine Minderheit Regazzi gegen den Willen der Kommissionsmehrheit, welche die Einkommensreduktionen beibehalten wollte. Regazzi verwies auf die Probleme von Klubs mit geringerem Budget. Diese müssten Verträge mit ihren Topspielern auflösen, welche den Klub in der Folge ablösefrei verlassen könnten, wodurch diesem Transfereinnahmen entgingen und er an Wettbewerbsfähigkeit verliere. Deshalb hätten auch kaum Super League-Klubs entsprechende Anträge gestellt. Mit 130 zu 48 Stimmen blieb der Nationalrat zwar deutlich bei der im Dezember 2020 getroffenen Regelung, der Minderheitsantrag fand jedoch in allen Fraktionen Zustimmung.

Im Medienbereich hatte der Ständerat zuvor eine Möglichkeit zur Unterstützung für private Radio- und Fernsehunternehmen geschaffen, welche auch in der Kommission nicht umstritten war. Jedoch verlangte eine Minderheit I Rytz statt einer Kann-Formulierung eine Verpflichtung, während eine Minderheit II Birrer-Heimo die entsprechenden Zahlungen nicht aus der RTVG-Abgabe tätigen wollte. Regula Rytz verwies insbesondere auf die Corona-bedingt fehlenden Werbeeinnahmen der Medienunternehmen, deren Einnahmen trotz zunehmender Mediennachfrage sänken. Prisca Birrer-Heimo wehrte sich dagegen, dass die privaten Haushalte die Medienunterstützung durch eine Erhöhung der RTVG-Abgabe finanzieren müssten. Der Nationalrat lehnte die Änderungsvorschläge von Rytz und Birrer-Heimo indes ab und folgte damit dem Ständerat.

Neu hinzugekommen war im Covid-19-Gesetz eine Regelung für Kitas. So schlug der Bundesrat in Übereinstimmung mit der angenommenen Motion 20.3917 Finanzhilfen für Kantone vor, welche die entgangenen Betreuungsbeiträge von öffentlich geführten Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung übernommen hatten. Eine Minderheit Aeschi lehnte die neue Finanzhilfe ab, scheiterte damit jedoch.

In diesem vierten Block behandelte der Nationalrat auch das Thema des Erwerbsersatzes. Im Dezember hatte das Parlament die Zugangsgrenze zu EO von Umsatzeinbussen von 55 Prozent auf 40 Prozent reduziert, nun wollte die WAK-NR einen Schritt weitergehen und Selbständigerwerbstätigen ab Umsatzeinbussen von 20 Prozent Erwerbsersatz bezahlen. Eine Minderheit Mettler (glp, BE) forderte überdies, die Geltungsdauer des Erwerbsersatzes von Ende Juni 2021 bis Ende Dezember 2021 zu verlängern. Einmal mehr verwies Minderheitensprecher Aeschi auf die Kosten von «mehrere[n] hundert Millionen Franken» – CHF 200 Mio. bis Ende Juni 2021, gar zwischen CHF 600 Mio. und CHF 1 Mrd. bis Ende 2021, wie der Finanzminister daraufhin auswies. Die Kommissionsmehrheit setzte sich jedoch mit dem Argument durch, dass auch Personen mit Erwerbsausfall bis 20 Prozent «in ihrer Erwerbstätigkeit als massgeblich eingeschränkt gelten». Erfolglos blieb hingegen der Antrag auf eine zeitliche Verlängerung der Massnahme.
Für Diskussionen sorgte auch der Antrag, den im Dezember 2020 geschaffenen Anspruch auf Überbrückungsleistungen für Personen, die ab dem 1. Januar 2021 ausgesteuert würden (statt erst ab dem 1. Juli 2021), wieder zu streichen. Stattdessen wollte die Kommissionsmehrheit erreichen, dass diese Personen nicht ausgesteuert werden, bis sie Anfang Juli 2021 ÜL beziehen können. Eine Minderheit Aeschi beantragte hingegen, sowohl die im Dezember geschaffene Lösung zu streichen als auch auf die neue Lösung der Kommission zu verzichten. So seien die für einen rückwirkenden Anspruch auf ÜL nötigen Strukturen gemäss der Verwaltung noch nicht vorhanden, unterstützte Daniela Schneeberger (fdp, BL) die Minderheit. Dennoch hiess der Nationalrat den Antrag der Kommissionsmehrheit gut.
Eine Regelung für verschiedene Bereiche – KAE, EO, Härtefall, sektorielle Unterstützung – schlug schliesslich die Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit einem Antrag der SGK-NR vor: Neu sollte ein Anspruch auf unverzügliche Vorschüsse geschaffen werden, wenn Gesuche nicht innert 30 Tagen bearbeitet werden. Bundesrat Parmelin verwies auf das bereits bestehende beschleunigte, summarische Verfahren bei den KAE und betonte, eine verzögerte Auszahlung von KAE liege häufig daran, dass die von den Unternehmen zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht vollständig seien. Er unterstrich zudem die Schwierigkeit, später allfällige zu Unrecht bezahlte Leistungen wieder zurückzufordern. Der Nationalrat folgte hier dem Antrag der Kommissionsmehrheit und lehnte einen Antrag Aeschi auf Streichung ab.

Nach über 10-stündiger Debatte schritt der Nationalrat schliesslich zur Gesamtabstimmung zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes, das in der grossen Kammer auf deutliche Zustimmung stiess: Mit 143 zu 35 Stimmen (bei 17 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den Entwurf an. Sämtliche Enthaltungen und ablehnenden Stimmen stammten aus der SVP-Fraktion, von der nur zwei Personen für den Entwurf stimmten. Als weniger kritisch erachtete die SVP-Fraktion in den Gesamtabstimmungen den Bundesbeschluss über die Finanzierung der Härtefallmassnahmen nach dem Covid-19-Gesetz sowie das Bundesgesetz über die obligatorische ALV und die Insolvenzentschädigung, mit dem der ausserordentliche Beitrag 2021 an den Ausgleichsfonds geregelt wurde: Diesen Vorlagen stimmten erneut die Mitglieder aller anderen Fraktionen sowie 11 respektive 25 Mitglieder der SVP-Fraktion zu (150 zu 26 Stimmen (bei 16 Enthaltungen) respektive 165 zu 23 Stimmen (bei 6 Enthaltungen)).

Zweite Revision des Covid-19-Gesetzes (Änderung und Zusatzkredit; BRG 21.016)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Anfang Februar 2021 entschied die RK-NR mit 13 zu 11 Stimmen (1 Enthaltung), dem Nationalrat die Ablehnung der Justizinitiative zu beantragen und auf einen eigenen indirekten Gegenvorschlag zu verzichten. Zwei Minderheiten beantragten allerdings die Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags oder gar eines direkten Gegenentwurfs. Die Anträge fussten auf einem Arbeitspapier des BJ, das Vorschläge für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative der Kommission für einen Gegenvorschlag zur Justizinitiative beinhaltet und das die Kommission trotz ihres ablehnenden Entscheids einige Tage später publizierte. Das Arbeitspapier erörtert konkret die zentralen Vorschläge der Kommissionsinitiative: Die Schaffung eines Fachbeirats, verschiedene Varianten für die Wiederwahl von Richterinnen und Richtern, Fragen zur Amtszeit, das Verfahren für eine Amtsenthebung und ein Verbot der Mandatsabgabe, also der finanziellen Beiträge, die Richterinnen und Richter an Parteien bezahlen.
Die Schaffung eines Fachbeirats, der die fachliche (inkl. sprachliche) Eignung von Kandidierenden zuhanden der GK beurteilen solle, wurde im Arbeitspapier als einfach umsetzbar erachtet. Dessen Umsetzung in Form eines indirekten Gegenvorschlags sei mit einer Änderung des Parlamentsgesetzes leicht möglich. Als «wenig sinnvoll» wurde im Papier hingegen die Idee einer stillen, also automatischen Wiederwahl beurteilt. Weil das Parlament, ein Teil des Parlaments oder gar ein einzelnes Parlamentsmitglied die verfassungsrechtlich garantierte Kompetenz behalten müsse, eine Wiederwahl zu fordern und so Druckversuche durch Parteien weiterhin möglich wären, wäre die Einführung einer stillen Wahl keine Verbesserung im Sinne von mehr Unabhängigkeit der Judikative. Wenn alleine die GK die Kompetenz erhalten solle, die Wiederwahl zu beschliessen (auch unter Beizug der Fachkommission), wäre eine Verfassungsänderung und entsprechend ein direkter Gegenentwurf (statt eines indirekten Gegenvorschlags) nötig. Auch für eine Neuregelung des Amtsenthebungsverfahrens und für die Verlängerung der Amtszeit (also die einmalige Wahl einer Richterin oder eines Richters bis zu einem bestimmten Altersjahr oder aber die Verlängerung der Amtsperiode von 6 auf 12 oder 16 Jahre) bräuchte es laut Arbeitspapier eine Verfassungsänderung. Ein indirekter Gegenvorschlag wäre hingegen möglich für eine Regelung hinsichtlich Mandatsabgabe, die nicht gesetzlich verankert ist. Das Arbeitspapier schlägt ein Verbot vor, das im Bundesgerichtsgesetz verankert werden könnte: Richterinnen und Richter dürften demnach keine finanziellen Beiträge an politische Parteien leisten. Ein Verbot auf Verfassungsstufe sei freilich vorzuziehen, weil so eine schweizweit einheitliche Regelung (auch auf Kantonsebene) garantiert und den Empfehlungen der GRECO für eine bessere Unabhängigkeit der Gerichte in der Schweiz entsprochen werden könnte. Dazu wäre jedoch wiederum ein direkter Gegenentwurf erforderlich. Im Arbeitspapier wurde für diesen Punkt auf die parlamentarische Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) verwiesen, die ein solches Verbot von Mandatsabgaben fordert.

Unabhängige und kompetente Richterinnen und Richter des Bundes. Indirekter Gegenvorschlag zur Justizinitiative (Pa.Iv. 20.480)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

La conseillère fédérale Viola Amherd a répondu à une lettre ouverte signée par une soixantaine de personnes au sujet de l'évacuation du dépôt de munitions de Mitholz. Par souci de transparence, elle propose aux habitant.e.s de la commune des consultations pour qu'ils obtiennent des réponses à leurs questions et les détails des scénarios envisagés. Elle a également nommé le conseiller national Albert Rösti (udc, BE) pour présider le nouveau groupe d'accompagnement, chargé d'assurer le suivi critique du projet et l'implication des groupes d'intérêts externes.

Les tests hydrologiques réalisés à l'aide de traceurs, effectués le 11 mai 2020, visaient à déterminer les conditions hydrogéologiques à l'intérieur et à l'extérieur du dépôt de munitions. Les résultats indiquent une faible infiltration dans les eaux souterraines. S'agissant des résultats liés à la surveillance des eaux souterraines, des traces de TNT ont été observées à des concentrations infimes dans le Stägebach, dans la Kander et dans d'autres lieux de prélèvement. De ce fait, l'OFEV et le DDPS informent que les restes de munitions n'ont actuellement aucun effet nocif ou nuisible sur l'environnement. A l'avenir, des examens complémentaires et des investigations techniques dans le domaine de l'hydrogéologie sont prévus.

Standort Mitholz – Pläne zum Umgang mit dem ehemaligen Munitionslager

Mehr Flexibilität beim Netzzuschlagsfonds forderte eine Motion Müller (fdp, LU), die in der vorberatenden UREK-NR im Februar 2020 mit 18 zu 7 Stimmen mehrheitlich auf Zuspruch gestossen war. Eine Minderheit Rösti (svp, BE) aus SVP-Vertretenden erachtete eine mögliche Verschuldung des Fonds als nicht erforderlich und zu riskant. Nach dreifacher Verschiebung befasste sich der Nationalrat in der Wintersession 2020 als Zweitrat mit der Motion. Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) erklärte, dass sich die Kommission mit der Verwaltung beraten habe und eine Flexibilisierung des Fonds hinsichtlich kurzfristiger Verschuldung als sinnvoll erachte. Damit könne mehr Planungssicherheit für Ausbauprojekte von erneuerbarer Energie geschaffen werden. Energieministerin Simonetta Sommaruga zeigte sich nach wie vor von der Motion überzeugt, deutete aber darauf hin, dass das Anliegen des Motionärs bereits in die Revision des EnG aufgenommen worden sei. Finanziell gesehen sei zudem zu erwarten, dass die Einnahmen die Ausgaben langfristig decken würden. Mit 130 zu 50 Stimmen bei einer Enthaltung folgte die grosse Kammer schliesslich deutlich der Kommissionsmehrheit und dem Ständerat und nahm die Motion an.

Mo. 19.3742, Finanzielle Überbrückung für den Wartelistenabbau bei erneuerbaren Energien

Anfang November 2020 reichte die RK-NR eine parlamentarische Initiative ein, mit der eine Grundlage für einen indirekten Gegenvorschlag zur Justizinitiative geschaffen werden soll. Der Vorschlag sah vor, dass die Richterinnen und Richter für alle Gerichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Bundesgericht, Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) nach wie vor von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden sollen. Allerdings soll die Wahl nicht mehr nur auf einem Antrag der Gerichtskommission (GK) beruhen, sondern zusätzlich auf einer Vorselektion, die durch eine zu bestimmende Fachkommission getroffen wird, welche die fachliche und persönliche Eignung der Kandidierenden evaluiert. Die Amtsdauer aller nationalen Richterinnen und -richter soll auf sechs Jahre festgelegt werden, wobei die Wiederwahl automatisch geschehen soll – allenfalls durch die GK auf Empfehlung der genannten Fachkommission. Dies stellte eine Konzession an die Initianten dar, da im aktuellen Verfahren das Parlament die Wiederwahl vornimmt. Auch zukünftig soll Abberufung jedoch bei schwerer Pflichtverletzung möglich sein, wobei die Fachkommission den Sachverhalt zu klären hätte. Die Parteien selber müssten gemäss Vorschlag der RK-NR die Unabhängigkeit ihrer Richterinnen und Richter gewährleisten, wobei explizit Alternativen zu Mandatsabgaben gefordert werden. Letzteres wurde auch von einer noch nicht behandelten parlamentarischen Initiative Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) vorgeschlagen.
Anfang Dezember stimmte die RK-SR dem Begehren ihrer Schwesterkommission knapp mit 6 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung und Stichentscheid des Präsidenten Beat Rieder zu. Die Kommission sei der Ansicht, dass sich das aktuelle Wahlsystem für Bundesrichterinnen und -richter bewährt habe, dass es aber prüfenswerte Fragen gebe. Die RK-NR solle aber nur «die für absolut notwendig erachteten Verbesserungen» ausarbeiten.

Unabhängige und kompetente Richterinnen und Richter des Bundes. Indirekter Gegenvorschlag zur Justizinitiative (Pa.Iv. 20.480)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Mit 16 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen beantragte die UREK-NR im November 2020 ihrem Rat, die Behandlungsfrist der parlamentarischen Initiative Rösti (svp, BE) für die Sicherung der Selbstversorgung mit Strom aus Wasserkraft zur Überbrückung der aktuellen Preisbaisse um zwei Jahre zu verlängern. Die Kommission begründete ihr Vorgehen damit, dass sich die Preissituation seit dem Einreichen der Initiative im Jahr 2016 verbessert habe, sich daher der Handlungsdruck als weniger dringlich herausstelle und eine Mehrheit der Kommission zuerst die angekündigte Botschaft des Bundesrates zum Mantelerlass «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» abwarten möchte, welche Mitte 2021 vorliegen werde und zentrale Massnahmen im Bereich der Wasserkraftförderung vorsehe.

Sicherung der Selbstversorgung mit Strom aus Wasserkraft zur Überbrückung der aktuellen Preisbaisse (Pa.Iv. 16.448)
Dossier: Sicherungsmassnahmen für den Erhalt der Schweizer Wasserkraft ab dem Jahr 2015

Im Juni 2020 reichte die SVP-Fraktion eine parlamentarische Initiative ein, mit der sie Selbständigerwerbende von der ALV-Beitragspflicht entbinden wollte; gemäss der aktuellen Regelung müssen Selbständige in arbeitgeberähnlicher Stellung ALV-Beiträge bezahlen. Da diese keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hätten, sei es «nur gerecht», sie auch von der Beitragspflicht zu befreien. Die Problematik sei durch die Corona-Krise noch einmal verdeutlicht worden, als der Bundesrat Selbständigerwerbenden zeitlich befristet Zugang zu Erwerbsersatz gewährt hatte. Damit habe er «die diskriminierende Behandlung von Selbständigerwerbenden bestätigt», betonte die SVP-Fraktion in der Begründung ihrer Initiative.
Anfang November 2020 beschäftigte sich die SGK-NR mit der Problematik der ALV-Beitragspflicht für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung und diskutierte neben der Initiative der SVP-Fraktion auch eine parlamentarische Initiative Silberschmidt (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.406). Diese wollte die Beitragspflicht beibehalten, aber im Gegenzug auch die entsprechenden Unternehmerinnen und Unternehmer gegen Arbeitslosigkeit versichern. Letzterem Vorschlag konnte eine Kommissionsmehrheit von 18 zu 7 Stimmen mehr abgewinnen als dem Vorschlag der SVP-Fraktion, zu dem die Kommission kein Folgegeben riet.
In der Wintersession 2020 behandelte der Nationalrat die Initiative der SVP, wobei Thomas Aeschi (svp, ZG) und Albert Rösti (svp, BE) die eigene Initiative bewarben und die Initiative Silberschmidt kritisierten. Letztere öffne dem «Missbrauch Tür und Tor». Dennoch gab der Nationalrat mit 90 zu 84 Stimmen der parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion knapp keine Folge. Neben sämtlichen Mitgliedern der SVP-Fraktion sprach sich auch fast die gesamte FDP.Liberale-Fraktion und eine Minderheit der Mitte-Fraktion für die Initiative aus.

Stopp der ALV-Zwangsabgabe für Selbstständigerwerbende

Anders als der Ständerat, welcher der Motion Noser (fdp, ZH) für eine Ausnahme von Anlageprodukten, die eine umweltverträgliche Entwicklung fördern, von der Verrechnungssteuer und der Stempelabgabe zugestimmt hatte, lehnte der Nationalrat die Motion ab. Im Mai 2020 hatte eine Mehrheit der WAK-NR mit 14 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung) aufgrund der schwierigen Definition von nachhaltigen Finanzprodukten Ablehnung der Motion empfohlen. Dadurch könnte einerseits Greenwashing steuerlich begünstigt werden, andererseits entstünde den Banken und Zertifizierungsstellen ein grosser Mehraufwand. Die Minderheit Walti (fdp, ZH) verwies hingegen darauf, dass die Motion der Schweiz die Möglichkeit biete, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern; das sei zudem die ideale Gelegenheit zur Ausarbeitung einer glaubwürdigen Definition. Mit 139 zu 40 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) lehnte der Nationalrat die Motion gegen den Willen der geschlossen stimmenden FDP.Liberale- und der GLP-Fraktion ab.

Green-Finance-Produkte. Steuerstrafe beseitigen (Mo. 19.4372)

Ein Verbot von Mandatssteuern und Parteispenden für Mitglieder der Gerichte des Bundes forderte Beat Walti (fdp, ZH) in einer parlamentarischen Initiative, die er Ende September 2020 einreichte. Die FDP wolle die «Richtersteuer abschaffen», titelte in der Folge die Aargauer Zeitung. Zwar habe die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO) die Schweiz bereits vor Jahren gemahnt, dass die Unabhängigkeit der Judikative gefährdet sei, weil Richterinnen und Richter einer Partei angehören müssten, aber auch weil sie ihrer Partei Abgaben zu entrichten hätten, um die eigene Wiederwahl nicht zu gefährden. Von CHF 20'000 (GP) bis CHF 30'000 (FDP) pro Jahr und Bundesrichter wusste die Aargauer Zeitung zu berichten. Bei den Grünen hätten die Einnahmen 2015 zu 10 Prozent aus Mandatsabgaben ihrer Richterinnen und Richter bestanden. Ein Verbot könne dem Eindruck entgegenwirken, dass zwischen politischen Parteien und Mitgliedern von Gerichten eine Abhängigkeit bestehe, gab Beat Walti der Zeitung zu Protokoll.
Die RK-NR gab Mitte Januar 2021 bekannt, dass sie mit der Beratung der parlamentarischen Initiative Walti noch zuwarten wolle, bis die auf die Frühjahrssession 2021 terminierten Diskussionen im Nationalrat über die Justizinitiative und über einen allfälligen indirekten Gegenvorschlag geführt worden seien.

Verbot von Mandatssteuern und Parteispenden für Mitglieder der Gerichte des Bundes (Pa.Iv. 20.468)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Zwischen dem 14. und dem 21. September 2020 fand das Differenzbereinigungsverfahren zum Covid-19-Gesetz statt. Dabei blieb das Programm der beiden Räte sehr gedrängt. Gleich zu Beginn des Verfahrens nahm der Nationalrat einen Ordnungsantrag Weichelt-Picard (al, ZG) an und verschob wie darin gefordert die Behandlung des Geschäfts auf den Folgetag, um der Kommission eine ausführlichere Diskussion der Differenzen zu ermöglichen.
Bei den Beratungen selber konnten die Räte dann die meisten Aspekte bereinigen, einzelne Fragen zu den Härtefallmassnahmen und zur Erwerbsersatzordnung blieben jedoch bis zum Schluss offen.

Bereinigen konnte das Parlament unter anderem die Fragen zum Gegenstand des Gesetzes. Hier pflichtete der Nationalrat dem Vorschlag des Ständerats bei, wonach der Bundesrat seine aussergewöhnlichen Befugnisse nur dann einsetzen darf, wenn eine Behandlung durch das Parlament zeitlich nicht möglich ist. Bezüglich des Einbezugs von Sozialpartnern, Gemeinden und Städten bei der Erarbeitung von Massnahmen brachte die Mehrheit der SGK-NR ihren anfänglichen Vorschlag erneut vor: So sollten zwar die Sozialpartner, nicht aber die Verbände von Gemeinden und Städten einbezogen werden. Entgegen anderen Anträgen der Minderheiten Prelicz-Huber (gp, ZH) im Nationalrat und Dittli (fdp, UR) im Ständerat stimmten beide Parlamentskammern diesem Vorschlag zu.

Bezüglich des Gesundheitsbereichs war lediglich die Frage nach dem Verbot von medizinischen Tätigkeiten noch offen. Hier wollte der Ständerat ausdrücklich festhalten, dass eine solche Einschränkung nur bei nicht dringenden Behandlungen möglich sein soll. Dem stimmte der Nationalrat zu, packte die Bestimmung aber in eine schlankere Formulierung.

Auch bei den ALV-Massnahmen, spezifisch bezüglich der Entschädigung von Lohnfortzahlungen durch die Arbeitgebenden, wurden sich die Räte einig. Der Ständerat hatte diesbezüglich zuvor kritisiert, dass der Bundesrat in den meisten Fällen Massnahmen vorschlage, welche eine Weiterarbeit der Betroffenen ermögliche, und es für diese Fälle keine Entschädigung brauche. Der Nationalrat nahm folglich den Vorschlag seiner Kommission an, wonach die Entschädigungen ausdrücklich auf Fälle eingegrenzt werden sollten, bei denen die Arbeit aufgrund behördlicher Massnahmen eingestellt werden muss. Dieser Formulierung konnte sich in der Folge auch der Ständerat stillschweigend anschliessen.

Bei den Ausländer- und Asylmassnahmen folgte der Nationalrat dem Ständerat bezüglich der Möglichkeit zur Fristerstreckung bei Ausreise, dem Erlöschen von Asyl und von vorläufigen Aufnahmen, obwohl er in der ersten Debatte einen entsprechenden Minderheitsantrag Crottaz (sp, VD) noch abgelehnt hatte. Diese Massnahme sei nötig, falls die epidemiologische Lage eine Ausreise aufgrund geschlossener Grenzen nicht erlaube, erklärte Kommissionssprecherin Humbel (cvp, AG). Der Nationalrat lehnte den Minderheitsantrag de Courten (svp, BL), der an der bisherigen Entscheidung des Nationalrats festhalten wollte, ab. Auch den ständerätlichen Vorschlag, wonach der Bundesrat bei Grenzschliessungen die Reisefreiheit der Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie von Einwohnerinnen und Einwohnern gewährleisten solle, hiess die grosse Kammer entgegen einem Minderheitsantrag Aeschi (svp, ZG) gut.

Bei den insolvenzrechtlichen Massnahmen stimmte der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission der vom Ständerat geschaffenen Regelung, wonach auch bei Überschuldung eine Abweichung vom Gesetz möglich sein soll, stillschweigend zu. Hingegen beharrte er darauf, dass Transporteure nicht für Zollschulden, welche durch den Covid-19-bedingten Konkurs von Empfängern oder Importeuren entstanden ist, haftbar gemacht werden können. Hier gab sich der Ständerat in der nächsten Behandlungsrunde geschlagen.

Eine Lösung fand man auch bei den Massnahmen in der ALV. Offen war hier noch die Frage, ob Mitarbeitenden auf Abruf, in einem zeitlich begrenzten Arbeitsverhältnis, in einem Lehrverhältnis oder Temporärarbeitskräften ebenfalls Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigungen zugesprochen werden kann. Der Nationalrat beharrte auf dieser Ausweitung, worauf die SGK-SR einen Kompromissvorschlag machte: Mitarbeitende auf Abruf in unbefristeten Arbeitsverhältnissen sollten EO beantragen können, nicht aber die übrigen aufgezählten Gruppen. Trotz anderslautenden Minderheitsanträgen im Ständerat (Graf, gp, BL) und Nationalrat (Prelicz-Huber) willigten beide Räte in diesen Kompromiss ein.

Bis zum Schluss umstritten waren Aspekte des Kulturbereichs. Zwar konnten die Räte auch in diesem Bereich zahlreiche Differenzen ausräumen. So einigten sie sich darauf, die Leistungsvereinbarungen der Kantone mit CHF 100 Mio. zu unterstützen, wie es der Nationalrat vorgeschlagen hatte. Zudem willigte der Nationalrat ein, dass der Bund bei den Sportvereinen keine Rangrücktritte machen soll. Bei der Unterstützung für besonders stark betroffene Unternehmen setzte sich der Nationalrat bezüglich der Kann-Formulierung durch: Die Unterstützung bleibt somit für den Bundesrat freiwillig. Zudem kann der Bundesrat diesbezüglich zukünftig A-Fonds-perdu-Beiträge ausrichten. Man einigte sich überdies darauf, dass Unternehmen zwar prinzipiell nur Härtefallmassnahmen beanspruchen können, wenn sie keine anderen Finanzhilfen beanspruchen, schränkte diese Regelung aber noch etwas ein: KAE, EO und die Covid-Kredite sollen dabei nicht berücksichtigt werden. Dass teilweise nur um einzelne Ausdrücke gestritten wurde, zeigte die Frage, wie «fit» die Unternehmen zum Erhalt von Härtefallmassnahmen sein müssen. Einig war man sich, dass Unternehmen ohne Zukunftsperspektive keine Hilfe mehr erhalten sollten. Die Räte entschieden sich jedoch gegen die Begriffe «gesund» (Ständerat, erste Behandlung), «profitabel» (Nationalrat, zweite Behandlung) und «profitabel und überlebensfähig» (Ständerat, zweite Behandlung) und bevorzugten stattdessen «profitabel oder überlebensfähig» (Nationalrat, dritte Behandlung). Ein weiterer Versuch durch eine Minderheit Weichelt-Picard, Unterstützung für die Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung zu erhalten, diesmal über deren Aufführung bei den besonders stark betroffenen Branchen, scheiterte erneut.
Bis zum Schluss des Differenzbereinigugsverfahrens umstritten blieb schliesslich die Frage der Definition eines Härtefalls und seiner Bedingungen. Kann ein Härtefall als Rückgang des Jahresumsatzes auf unter 60 Prozent des mehrjährigen Durchschnitts (Ständerat) definiert werden, wobei auch die Gesamtvermögenssituation berücksichtigt werden soll, oder müssen dafür vielmehr die Zahlen zur Umsatzeinbusse und zum Insolvenzrisiko betrachtet werden (Nationalrat)? Diese Frage musste in der Einigungskonferenz entschieden werden, die gleich im Anschluss an die Differenzbereinigung stattfand.

Ebenfalls keine Einigung im Differenzbereinigungsverfahren fand man bei einzelnen Massnahmen zur Entschädigung des Erwerbsausfalls. Einig wurde man sich zwar bezüglich der Frage, ob Selbständigerwerbende und Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung ebenfalls Anspruch auf EO erhalten sollten. Hier setzte sich der Nationalrat durch, der eine entsprechende Regelung gefordert hatte. Die Schaffung einer Obergrenze des anzurechnenden Betrags bei EO (erste Behandlung des Nationalrats) respektive eine Obergrenze des anrechenbaren Einkommens (zweite Behandlung des Nationalrats) legten die Räte jedoch nicht fest, weil sie die Schaffung eines Schwellenwertes verhindern wollten; diese Fragen soll der Bundesrat in entsprechenden Verordnungen entscheiden. Des Weiteren war umstritten, ob ein Erwerbsausfall nachgewiesen werden muss und ob die selbstdeklarierte Höhe des Erwerbsausfalls ausbezahlt werden soll. Dies wollte der Nationalrat aufgrund eines breit abgestützten Einzelantrags Mettler/Meyer/Rösti/Roduit durch Stichproben sicherstellen, was der Ständerat mit einer etwas abgeänderten Formulierung akzeptierte. Schliesslich gab sich der Ständerat auch bei der Verwendung der Arbeitgeberbeitragsreserven durch die Arbeitgeber zur Bezahlung der BVG-Beiträge geschlagen.
Nicht einig wurde man sich auch bei der Frage, wer EO erhalten soll. Anfänglich stritten sich die Räte diesbezüglich darüber, ob nur bei Unterbrechung oder auch bei massgeblicher Einschränkung der Erwerbstätigkeit Erwerbsersatz ausgerichtet werden kann. Dann schlug der Ständerat vor, die Einschränkungen zu beziffern: Bei Umsatzeinbussen von mindestens 60 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren soll ein EO-Bezug möglich sein. Der Nationalrat fürchtete sich jedoch diesbezüglich vor Schwelleneffekten und nahm einen entsprechenden Einzelantrag Mettler/Meyer/Prelicz-Huber/Roduit/Rösti/Sauter an, weshalb der Ständerat die Regelung präzisierte: Bei einer Umsatzeinbusse von mindestens 65 Prozent gilt man als «massgeblich eingeschränkt», bei Umsatzeinbussen zwischen 60 und 65 Prozent können Erwerbsausfallentschädigungen dann beantragt werden, wenn das durchschnittliche massgebliche Einkommen 2015 bis 2019 unter CHF 90'000 liegt. Ansonsten wird ein Einkommen von CHF 90'000 angerechnet. Wichtig sei der Kommissionsmehrheit, dass die gesamte Vermögens- und Kapitalsituation berücksichtigt werde, betonte Kommissionssprecher Rechsteiner (sp, SG). Über diesen Vorschlag musste entsprechend ebenfalls die Einigungskonferenz entscheiden.
Umstritten war diesbezüglich auch die Frage, bis wann Artikel 10 zum Erwerbsausfall gelten soll. Der Bundesrat hatte eine Geltungsdauer bis Ende 2022 vorgeschlagen, der Nationalrat wollte diese aber auf Juni 2021 beschränken. Aufgrund eines Einzelantrags Feller (fdp, VD) erlaubte die grosse Kammer überdies eine rückwirkende Inkraftsetzung dieses Artikels auf den 17. September 2020. Damit wollte er die Möglichkeit auf Rückwirkung schaffen, welche der Bundesrat in einer Medienmitteilung angekündigt hatte, aber die ohne Rechtsgrundlage nicht möglich sei, betonte Feller. Nachdem die SGK-SR noch die Kann-Formulierung zur Rückwirkung gestrichen hatte, willigten beide Räte ein.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

In der Herbstsession 2020 befasste sich der Nationalrat mit der Übernahme der Rechtsgrundlagen über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des SIS, nachdem die SiK-NR das Geschäft mit 15 zu 3 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) zur Annahme empfohlen hatte. Eine Minderheit Fivaz (gp, NE) wollte nicht auf das Geschäft eintreten, eine zweite Minderheit Addor (svp, VS) verlangte die Rückweisung an den Bundesrat. Kommissionssprecher Thomas Rechsteiner (cvp, AI) begründete die Ablehnung des Antrags auf Nichteintreten in der Kommission damit, dass das SIS ein sehr erfolgreiches Instrument für die Zusammenarbeit von Migrations-, Polizei-, Zoll- und Justizbehörden in der EU und den assoziierten Schengen-Staaten sei und es einen wichtigen Beitrag zur Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus in der Schweiz leiste. Auch den Rückweisungsantrag lehnte die Kommission ab, da sie die Sorge, dass die von der Verfassung und den Gesetzen vorgegebenen Grundsätze der Landesverweisung bei der Anwendung der neuen SIS-Verordnungen verletzt werden könnten, nicht teile. Fabien Fivaz kritisierte im Namen seiner Minderheit und der Grünen Partei die zunehmend striktere Migrationspolitik und die Stärkung der polizeilichen Massnahmen der EU, die mit der Angst vor Kriminalität begründet werde. Der Vorschlag der weiteren Einschränkung der Ausländerrechte verstosse aus Sicht der Grünen zudem gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Zudem seien die Datenschutzprobleme im Zusammenhang mit der SIS-Datenbank ebenfalls inakzeptabel. Auch der zweite Minderheitenführer, Jean-Luc Addor, verteidigte seinen Antrag. Zwar hege die SVP wenig Sympathie für das Schengen-System, man wolle aber für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger trotzdem auf das Geschäft eintreten. Eine Rückweisung sei gemäss Addor aber unumgänglich, da die Schweiz ihre legislative Autonomie zu verlieren drohe, weil man bei der Frage der Landesverweisungen der Praxis des EuGH unterstünde. Bundesrätin Karin Keller-Sutter beschwichtigte, dass der Datenschutz beim Erarbeitungsprozess umfassend berücksichtigt worden sei und man für die Umsetzung in Schweizer Recht auch den EDÖB involviert habe. Sie wies zudem darauf hin, dass für die Umsetzung der Schengen-Weiterentwicklung eine Frist von zwei Jahren gelte, die aufgrund der Verschiebung im parlamentarischen Prozess bereits um fünf Monate überzogen worden sei. Hinsichtlich der Minderheit Addor machte die Bundesrätin klar, dass die Vorlage keine Auswirkung auf die Anordnung einer Landesverweisung habe, die weiterhin autonom von der Schweiz ausgesprochen würde. Der Rat beschloss mit 154 zu 33 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) auf das Geschäft einzutreten und lehnte den Rückweisungsantrag mit 140 zu 51 Stimmen (bei 0 Enthaltungen) ab.
In der Folge lehnte der Rat einen weiteren Minderheitsvorschlag der SVP ab, der eine Nichtanwendung der Rückführungsrichtlinie auf die strafrechtliche Landesverweisung vorsah. Mehrere Minderheiten der SP und Grünen forderten verschiedene Änderungen, unter anderem zu Einreiseverboten, Sozialhilfe und Datenschutz. Bundesrätin Keller-Sutter versuchte die Argumente der Minderheiten mit ihren Ausführungen zu entkräften, was zumindest teilweise gelang, da sämtliche Minderheiten abgelehnt wurden. Die Fraktionen der Minderheitsführenden konnten sich jedoch in der Gesamtabstimmung durchsetzen, in welcher der Entwurf mit 79 zu 74 Stimmen (bei 38 Enthaltungen) knapp abgelehnt wurde. Die Nein-Stimmen stammten von der SVP und der Grünen Partei, während sich die SP fast gänzlich enthielt.
Damit nahm der Nationalrat eine Konfrontation mit der EU in Kauf, da die Schweiz als Schengen-Staat zur Übernahme des neuen EU-Rechts verpflichtet ist. Die FDP übte am Tag darauf lautstark Kritik an der SVP und vor allem an der SP. Beat Walti (fdp, ZH) warf der SP vor, «auf verantwortungslose Weise mit der Sicherheit der Schweiz zu taktieren», und die NZZ schrieb von einem «Coup der Sozialdemokraten». Die eigentliche Frist im November 2020 sei sowieso nicht mehr zu erreichen und mit dem taktischen Spiel der SP und dem Nein im Nationalrat werde sich die Umsetzung noch weiter verzögern, so die Zeitung weiter.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes: Schengener Informationssystem

Die Motion Rösti (svp, BE) zur Reduktion des Bürokratieaufwands bei der Lehrlingsausbildung wurde 2020 in Zusammenhang mit der Beratung der BFI-Botschaft 2021-2024 (BRG 20.028) sowohl vom Ständerat als auch vom Nationalrat abgeschrieben.

Réduction des charges administratives formation des apprentis