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  • Reynard, Mathias (sp/ps, VS) NR/CN
  • Rutz, Gregor (svp/udc, ZH) NR/CN

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Auf Antrag des Bundesrates oder eines Viertels der Mitglieder des Nationalrats – sowie seit 2000 auch auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Ständerats – werden beide eidgenössischen Räte zu einer ausserordentlichen Session einberufen. Seit 2000 verlangten die Mitglieder des Nationalrats insgesamt beinahe 40 Mal eine ausserordentliche Session, jedoch nur einmal ein Viertel der Ständeratsmitglieder und zwar im Frühling 2020 zur Bewältigung der Covid-19-Krise. Das Einberufungsrecht von fünf Kantonen war bis zu seiner Abschaffung im Jahr 1999 nie benutzt worden. Seit einer Revision des Parlamentsgesetzes (Pa.Iv. 10.440) können ausserordentliche Sessionen, sofern sie zu Vorstössen und nicht zu Erlassentwürfen, Wahlen oder Erklärungen des Bundesrates oder der Räte verlangt werden, nur beantragt werden, wenn in beiden Parlamentskammern gleichlautende Motionen hängig sind. Damit sollte gewährleistet werden, dass sich – wie es die Verfassung verlangt – beide Räte zur ausserordentlichen Session versammeln. In der Vergangenheit war es vereinzelt vorgekommen, dass der Ständerat zur ausserordentlichen Session zusammenfand, jedoch in diesem Rahmen gar keine Beschlüsse zu fassen hatte. Durch diese neue Regelung liegt die Traktandierung der ausserordentlichen Sessionen zumindest teilweise bei der Ratsminderheit, die diese beantragt: Neben den von den Antragsstellenden ausgewiesenen, in beiden Räten hängigen Beratungsgegenständen können die Büros der beiden Räte die ausserordentliche Session um weitere Beratungsgegenstände erweitern.

Im Jahr 2023 fanden in den eidgenössischen Räten insgesamt sechs ausserordentliche Sessionen statt. Damit schliesst das Jahr 2023 zu den Spitzenreitern auf; im Wahljahr 2011 sowie im Vorjahr 2022 gab es ebenso viele ausserordentliche Sessionen. Neben der dreitägigen ausserordentlichen Session zur CS im April 2023 wurden fünf weitere ausserordentliche Sessionen einberufen, die jedoch – was dem Regelfall entspricht – an eine ordentliche Session angehängt werden konnten. Neben einer ausserordentlichen Session zur Gleichstellung am Tag des feministischen Streiks vom 14. Juni sowie einer ausserordentlichen Session zum Thema «Wohnen und Mieten» angehängt an die Herbstsession 2023 führten National- und Ständerat auf Verlangen der SVP im Jahr 2023 drei ausserordentliche Sessionen zum Thema Asyl durch. Dies stellt einen alleinigen Rekord dar; bisher war es erst im Jahr 2015 beim Höchstwert an Asylgesuchen seit 1999 zu mehr als einer ausserordentlichen Session zu diesem Thema im gleichen Jahr gekommen.

Die während den drei ausserordentlichen Sessionen zum Thema Asyl behandelten Vorstösse aus der Feder der SVP waren kaum von Erfolg gekrönt. In der ausserordentlichen Session «Migration» im Anschluss an die Sommersession 2023 waren insgesamt fünf gleichlautende Motionen der SVP-Fraktion oder von deren Mitgliedern in beiden Räten traktandiert. Von diesen fünf Vorstössen wurden drei von beiden Räten abgelehnt (Mo. 22.4397 und Mo. 23.3086; Mo. 23.3074 und Mo. 23.3085; Mo. 23.3200 und Mo. 23.3211). Zwar vermochten die zwei verbleibenden Forderungen der SVP zur Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/25 (Mo. 23.3096) und zur Erhöhung der Rückführungen und Ausweisungen (Mo. 23.3082) jeweils eine bürgerliche Mehrheit im Ständerat zu überzeugen, nicht so jedoch im Nationalrat, der die Forderungen ablehnte (Mo. 23.3072; Mo. 23.3073). Darüber hinaus behandelte der Nationalrat im Rahmen dieser ausserordentlichen Session drei weitere Vorstösse von Mitgliedern anderer Parteien, die allesamt angenommen wurden, darunter eine Motion Romano (mitte, TI; Mo. 22.4186) für ein Rückübernahmeabkommen mit Österreich, ein Postulat Marti (sp, BL; Po. 23.3203) zur Evaluation der privaten Unterbringung von Flüchtlingen oder vorläufig Aufgenommenen sowie ein Postulat Bellaiche (glp, ZH; Po. 23.3042) zum Aufzeigen von Chancen und Herausforderungen einer 10-Millionen-Schweiz.

In der im Anschluss an die Herbstsession 2023 stattfindenden ausserordentlichen Session «Zuwanderung und Asyl» lagen dem Ständerat zwei Motionen von Marco Chiesa (svp, TI) vor, während im Nationalrat zwei gleichlautende Vorstösse der SVP-Fraktion respektive von Gregor Rutz (svp, ZH) traktandiert waren. Weder die Forderung mit dem Titel «Keine 10-Millionen-Schweiz!» (Mo. 23.3777 und Mo. 23.3832) – ebenso lautet der Titel einer von der SVP aktuell lancierten Volksinitiative – noch die Forderung nach der Durchführung von Asylverfahren ausserhalb der Schweiz (Mo. 23.3851 und Mo. 23.3950) fanden in den Räten breitere Zustimmung über die Fraktionsgrenzen hinaus. Erfolgreich waren im September 2023 die beiden anderen, in der ausserordentlichen Session des Nationalrats traktandierten Geschäfte: eine Motion der FDP-Fraktion zur Verringerung der irregulären Sekundärmigration (Mo. 23.3533) sowie ein Postulat Pfister (mitte, ZG; Po. 23.3859) zur Auslotung der Chancen, die eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems für die Schweiz brächte. Vier weitere Vorstösse von Mitte-Links, insbesondere zur Erhöhung der humanitären Hilfe an die Ukraine – drei davon gleichlautend – waren vom Büro-NR ursprünglich ebenfalls für die ausserordentliche Session im Nationalrat traktandiert gewesen, wurden aufgrund eines erfolgreichen Ordnungsantrags Bregy (mitte, VS) jedoch zunächst an die zuständige Kommission zur Vorberatung zugewiesen (Mo. 23.3422; Mo. 23.3423; Mo. 23.3425; Mo. 23.3255).

Die in der Wintersession 2023 von Mitgliedern der SVP-Fraktion einberufene ausserordentliche Session war gegen eine im Sommer vom SEM beschlossene Praxisänderung gerichtet, gemäss welcher weiblichen afghanischen Asylsuchenden grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Im Rahmen dieser ausserordentlichen Session behandelten beide Räte insgesamt je eine Motion, die diese Praxis rückgängig machen wollte: der Nationalrat die Motion Rutz (svp, ZH; Mo. 23.4241) und der Ständerat die gleichlautende Motion Bauer (fdp, NE; Mo. 23.4247), die nach den eidgenössischen Wahlen von Damian Müller (fdp, LU) übernommen worden war. Einen Beschluss fassten die Räte im Rahmen der ausserordentlichen Session indes nicht; zwecks vertiefter Abklärungen und der Erstellung einer grundlegenden Auslegeordnung stimmten die Räte aber je einem Ordnungsantrag auf Zuweisung an die Kommission zu.

Der nach den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2023 neu zusammengesetzte Nationalrat beugte sich in der Wintersession über die beiden Motionen von SVP-Mitgliedern, die der Ständerat im Rahmen der ausserordentlichen Session im Juni befürwortet hatte. Während er die Motion zur Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/2025 ablehnte, befürwortete er eine abgeänderte Version der Motion Salzmann (svp, BE) mit der Forderung nach einer Rückführungsoffensive (Mo. 23.3082), die nun zurück an den Ständerat geht. Der Nationalrat fasste diesen Beschluss auf Anraten einer breiten Kommissionsmehrheit, nachdem diese unter anderem die Kantone angehört hatte. Bereits definitiv überwiesen werden konnte die Motion Romano (Mo. 22.4186), die ein Rückübernahmeabkommen mit Österreich anstrebt: In der ersten Session der 52. Legislatur bekräftigte der Ständerat die im Rahmen der ausserordentlichen Session im Juni durch den Nationalrat ausgedrückte positive Haltung zum Anliegen. Damit gehört letzterer Vorstoss zu einer der wenigen der äusserst zahlreichen Motionen im Bereich Asyl, die 2023 Zustimmung in beiden Räten fanden – die meisten dieser Motionen scheiterten bereits im Erstrat.

Die SVP verlangt 2023 drei ausserordentliche Sessionen zu Asyl

Die Idee der parlamentarischen Initiative von Gregor Rutz (svp, ZH), die Einreichung von parlamentarischen Initiativen und Vorstössen während Sondersessionen zu verbieten, sei in der SPK-SR auf viel Sympathie gestossen, eröffnete Andrea Caroni (fdp, AR) sein Votum für ebendiese Kommission in der Herbstsession 2023. Auch wenn der Nationalrat der Initiative mit 115 zu 78 Stimmen Folge gegeben habe, empfehle die ständerätliche Kommission mit 9 zu 2 Stimmen eine Ablehnung, was primär formale Gründe habe. Es sei zwar in der Tat stossend, dass in Sondersessionen, die ja eigentlich zum Abbau der Geschäftslast eingeführt worden seien, «bisweilen mehr neue Geschäfte hängig gemacht» als abgebaut würden. Allgemein betreffe die parlamentarische Initiative aber vor allem ein Problem des Nationalrats, was sich auch daran zeige, dass die letzte Sondersession des Ständerats 2009 stattgefunden habe. Statt eine Gesetzesänderung anzustreben, solle der Nationalrat deshalb eine untergeordnete Bestimmung in sein Geschäftsreglement einführen. Die Kommission habe mit dem Initianten gesprochen, der sich mit dieser Idee einverstanden erklärt habe. Weil aufgrund dieser Argumentation auch der Antrag von Esther Friedli (svp, SG), der Initiative Folge zu geben, zurückgezogen wurde, folgte der Ständerat dem Antrag seiner Kommission stillschweigend und gab der Initiative Rutz keine Folge. Es ist also davon auszugehen, dass im Nationalrat eine Geschäftsreglementsänderung angestossen werden wird.

Sondersessionen auf Kernzweck zurückführen – Abbau der Geschäftslast (Pa.Iv. 22.433)
Dossier: Massnahmen gegen zu viele parlamentarische Vorstösse

Anfang März 2023 reichte Judith Bellaiche (glp, ZH) ein Postulat ein, mit dem sie den Bundesrat beauftragen wollte, in einem Bericht das Zukunftsbild einer Schweiz mit 10 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu schildern. Der Bericht sollte Chancen und Herausforderungen sowie Massnahmen und Lösungen zur Überwindung der Herausforderungen darstellen. Mit ihrem Vorstoss wollte Bellaiche die Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung bezüglich einer Schweiz mit 10 Millionen Personen, die bewusst verbreitet würden, bekämpfen.
In seiner Stellungnahme beantragte der Bundesrat, das Postulat anzunehmen, und erklärte, er werde das Anliegen im Rahmen der Botschaft zur Legislaturplanung 2023-2027 aufgreifen.
Im Rahmen der Sommersession 2023 beschäftigte sich der Nationalrat mit dem Vorstoss. Dies war nötig geworden, weil Gregor Rutz (svp, ZH) mit einem Minderheitenantrag die Ablehnung des Postulats beantragte, da er eine Beschönigung des Bevölkerungszuwachses und der Zuwanderung befürchtete. Statt «schöne[r] Worte» brauche es Lösungen, da die Zuwanderung zunehme und das Problem mit der Umsetzung der Masseinwanderungsinitiative nicht gelöst worden sei. Mit 122 zu 62 Stimmen (1 Enthaltung) nahm der Nationalrat das Postulat an – der Bundesrat wird nun den entsprechenden Bericht ausarbeiten.

Positiv geprägte Vision einer 10-Millionen-Schweiz (Po. 23.3042)

Nachdem der Bundesrat im Juni 2022 den erfüllenden Bericht veröffentlicht hatte, schrieb der Nationalrat in der Sommersession 2023 das Postulat Reynard (sp, VS) betreffend die Datenlage zu Diskriminierungen von LGBTI-Personen ab, wie es die Regierung im Bericht über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2022 beantragt hatte.

Datenerhebung zu Diskriminierungen, die auf sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität beruhen, mit Augenmerk auf Mehrfachdiskriminierungen (Po. 16.3961)

Ein Postulat Reynard (sp, VS) für einen erschwinglichen und gut eingespielten öffentlichen Verkehr schrieb der Nationalrat in der Sommersession 2023 im Rahmen des Berichts über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2022 ab. Der Bundesrat hatte im Dezember 2022 einen Bericht in Erfüllung des Vorstosses veröffentlicht.

Für einen erschwinglichen und gut eingespielten öffentlichen Verkehr (Po. 19.4199)

Mit dem Bericht «Sexuelle Belästigung in der Schweiz: Ausmass und Entwicklung» erachtete der Bundesrat ein Postulat Reynard (sp, VS; Po. 18.4048) als erfüllt. Der Postulant hatte verlässliche Zahlen über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit gefordert. Die vom Bundesrat beantragte Abschreibung des Postulats genehmigte der Nationalrat in der Sommersession 2023 stillschweigend.

Sexuelle Belästigung. Wir brauchen endlich verlässliche Zahlen über dieses Problem (Po. 18.4048)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Ende März 2023 präsentierte der Bundesrat einen Bericht zur Zugänglichkeit für Menschen mit einer Behinderung zum öffentlichen Verkehr, wie ihn das angenommene Postulat Reynard (sp, VS) verlangt hatte. Die Landesregierung prüfte dazu die barrierefreie Zugänglichkeit in den Bereichen Eisenbahn, Bus, Strassenbahn, Seilbahn und Schifffahrt mittels einer Umfrage bei den Transportunternehmen und Haltestelleneigentümern. Hintergrund für das Postulat war das im Jahr 2004 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), das eine Frist für behindertengerechte Anpassungen an Infrastrukturen des öffentlichen Verkehrs von 20 Jahren – also bis Ende 2023 – vorsah. Das BehiG lehnt sich an Bestimmungen in der Bundesverfassung zu Rechtsgleichheit, zum Diskriminierungsverbot und zu Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit einer Behinderung (Art. 8 Abs. 2 und 4 BV) an.

Im Bericht zeigte der Bundesrat einerseits die Fortschritte seit 2004 auf, bedauerte aber andererseits, «dass die 20-jährige Anpassungsfrist, die der Gesetzgeber den Unternehmen eingeräumt hat, teilweise erheblich überschritten wird». Gemäss Bundesrat bestehe derzeit vor allem noch bei den Bushaltestellen sowie teilweise bei Bahnhöfen Handlungsbedarf.
Bei den Bushaltestellen seien die Eigentümer – i.d.R. die betroffenen Kantone und Gemeinden – in der Pflicht, die nötigen Anpassungen vorzunehmen. Gemäss der Erhebung waren Ende 2021 rund ein Drittel aller Bushaltestellen BehiG-konform gestaltet, bei rund einem Viertel sei die Verhältnismässigkeit für eine Anpassung nicht gegeben und bei den restlichen ca. 40 Prozent aller Bushaltestellen schweizweit fehle noch eine entsprechende Machbarkeitsprüfung. Von den rund 8900 zugelassenen Linienbussen in der Schweiz erfüllten aber beinahe alle die Anforderungen gemäss dem BehiG. Bei den Strassenbahnen dürften Ende 2023 rund 66 Prozent der Haltestellen und 84 Prozent der Fahrzeuge die Vorgaben erfüllen.
Probleme zeigte der Bericht ebenfalls bei den Bahnhöfen auf. Dank der Anpassungen in grossen und stark frequentierten Bahnhöfen konnten Ende 2021 über 70 Prozent aller Reisenden von behindertengerechten Umbauten profitieren. Bis Ende 2023 sollen es 82 Prozent sein, erklärte die Landesregierung weiter. Betrachte man jedoch die einzelnen Bahnhöfe, so erfüllten Ende 2021 erst die Hälfte aller Stationen die Vorgaben für eine autonome Benützung – bis Ende 2023 dürften es etwas mehr als 60 Prozent sein. Bei weiteren rund 9 Prozent aller Bahnhöfe sei eine bauliche Anpassung unverhältnismässig, so der Bundesrat.
Eine bessere Bilanz zog der Bericht bei den Schienenfahrzeugen. Bei den Zügen des Regionalverkehrs erfüllten Ende 2021 rund 80 Prozent der Fahrzeuge die Vorgaben für einen autonomen Einstieg für Personen im Rollstuhl bzw. mit Rollator. Bis Ende 2023 werde erwartet, dass die Anzahl nicht-konformer Fahrzeuge im Regionalverkehr auf 6 Prozent schrumpfe. Die grössten Unternehmen (SBB, BLS, SOB und RhB) erfüllten diese Vorgaben Ende 2021 zu 95 Prozent. Gemäss Bericht werde es im Fernverkehr bis Ende 2023 möglich sein, dass pro Stunde und Richtung mindestens ein Fernverkehrszug mit autonomer Einstiegsmöglichkeit an einem Fernverkehrsbahnhof halte (Ausnahmen für Neigezüge von dieser Regel waren möglich).
Wo Massnahmen nicht zeitgerecht umgesetzt werden könnten oder wo eine bauliche Anpassung unverhältnismässig erscheine, seien entsprechende Überbrückungsmassnahmen (kurzfristig) oder Ersatzlösungen (langfristig) vorzunehmen, wie der Bundesrat schliesslich festhielt. Dazu gehöre etwa die Hilfestellung durch geschultes Personal, das Ausweichen auf ein alternatives Angebot oder ein Shuttle-Angebot. Der Branchenverband Alliance SwissPass arbeite derzeit zusammen mit der SBB daran, ein gesamtschweizerisches System «Assistierte Mobilität AMO» zu erstellen, das eine «automatisierte Organisation der Hilfestellung» vorsehe. Mit einer App sollen Menschen mit einer Beeinträchtigung künftig Hilfe anfordern können. Dies soll dank eines intelligenten Systems bei den entsprechenden Transportunternehmen automatisch erfolgen und im Falle von Verspätungen neu koordiniert werden.

Die AZ-Medien liessen am bundesrätlichen Bericht kein gutes Haar. Von einer «landesweiten Misere» war im Blatt die Rede, da der Gegenvorschlags zur Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» nicht ausreichend umgesetzt werde. Auch der Tages-Anzeiger blies in jenes Horn – von einem «grossen Versäumnis» der in der Pflicht stehenden Verkehrsunternehmen war in jener Zeitung die Rede.

Zugänglichkeit für Menschen mit einer Behinderung zum öffentlichen Verkehr

In der Frühjahrssession 2023 beugten sich die Räte über die Differenzen der Vorlage, die aus zwei parlamentarischen Initiativen der SPK-NR, mit denen die Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen (Pa.Iv. 20.437) sowie die Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts in Krisen (Pa.Iv. 20.438) verbessert werden soll, hervorgegangen war.
Die einzige, aber umstrittene verbliebene Differenz bestand in der Frage, ob eine neue Verwaltungskommission geschaffen werden soll, mit der die aktuelle Verwaltungsdelegation (VD) ersetzt werden soll. Im Unterschied zu Letzterer, die aus sechs Mitgliedern besteht (je drei aus dem Büro-SR und dem Büro-NR), bestünde das neue Gremium aus 10 Mitgliedern (je vier gewählte Stände- bzw. Nationalrätinnen oder -räte und die beiden Ratspräsidien), wäre neu eine ständige Kommission und entsprechend unabhängiger von den wechselnden Ratspräsidien und den Büros. Die Skepsis gegen eine solche «parlamentarische Führungsreform» sei gross, erörterte Andrea Caroni (fdp, AR) im Ständerat für die SPK-SR. Eine von den anderen Leitungsorganen derart abgekoppelte Kommission würde in einer Krise Abläufe wohl eher verzögern. Die SPK-SR verschliesse sich nicht einer Diskussion über Änderungen der Organe, aber eine solche solle nicht in dieser Vorlage umgesetzt werden, welche ja primär auf die Krisenresistenz des Parlaments fokussiere. Die Kommission empfehle entsprechend Festhalten am ursprünglichen ständerätlichen Entscheid, also ein gänzlicher Verzicht auf eine Verwaltungskommission. Dafür biete man gerne Hand für eine neue Vorlage, mit der aber nicht unbedingt ein neues Gremium eingeführt, sondern die VD gestärkt werden könne, um die Aufsicht über die Parlamentsdienste zu verbessern. Auch Thomas Hefti (fdp, GL) meldete sich zu Wort. Er habe fünf Jahre im Büro und drei Jahre in der VD gesessen und frage sich, was der Nationalrat bzw. die SPK-NR an der VD zu bemängeln hätten. Die aus den Ratsprotokollen herleitbaren Vorwürfe – Mangel an Kontinuität, an Legitimität, an Sozialkompetenz und an Unabhängigkeit – seien einfach zu entkräften und er hoffe, dass der Nationalrat die Vorlage in einen unbestrittenen Teil und den Teil mit der Frage nach der Verwaltungskommission splitte, um die Vorlage nicht zu gefährden. Diskussionslos folgte die kleine Kammer in der Folge ihrer SPK-SR und entschied sich für Festhalten.

In der zweiten Sessionswoche wurde die Differenz im Nationalrat diskutiert. Für die SPK-NR sprachen Gregor Rutz (svp, ZH) und Damien Cottier (fdp, NE). Sie berichteten, dass die Kommission in der Tat zwei Teile der Vorlage sehe, einen unbestrittenen Teil, dank dem sich das Parlament in Krisenzeiten neu rascher versammeln und Beschlüsse fassen kann, sowie den Teil mit der Leitung von Parlament und Parlamentsdiensten. Es sei eben für die Handlungsfähigkeit des Parlaments wichtig, dass dessen Leitung unabhängig sei und über genügend Ressourcen verfüge, um Sitzungen auch in Krisenzeiten vorbereiten zu können. Dieser Teil lasse sich darum eben eigentlich nicht abtrennen, wie vom Ständerat mit seinem Festhalteentscheid vorgeschlagen. Trotzdem empfehle die SPK-NR, dem Ständerat zu folgen und die Idee einer Verwaltungskommission ganz aus der Vorlage zu streichen. Es werde aber eine Kommissionsinitiative lanciert, mit der die Diskussion um eine Reform über die Parlamentsleitung neu angestossen werden soll. Auch die grosse Kammer folgte ihrer Kommission diskussionslos.

Die Vorlage musste in der Folge noch einmal in den Ständerat, weil dieser vor der Differenzbereinigung als Entgegenkommen eine interne Revisionsstelle in der VD vorgeschlagen hatte. Diese war nun hinfällig und musste auch von der kleinen Kammer noch gestrichen werden, was wiederum diskussionslos geschah.

In den Schlussabstimmungen passierten Bundesgesetz und Verordnung beide Kammern einstimmig (NR: 197 zu 0 Stimmen, keine Enthaltung; SR: 42 zu 0 Stimmen, keine Enthaltung). Neu können also in Krisenzeiten ausserordentliche Sessionen rascher einberufen, virtuelle Teilnahmen an Ratssitzungen ermöglicht sowie Rats- oder Kommissionssitzungen gänzlich virtuell durchgeführt werden. Darüber hinaus muss der Bundesrat zu einer gleichlautenden, von den Kommissionen beider Räte und spätestens eine Woche vor einer Session eingereichten Motion noch in der gleichen Session bis zur Beratung der entsprechenden Motion Stellung nehmen.

Kontrolle von Notrecht und Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern (Pa.Iv. 20.437, Pa.Iv 20.438))
Dossier: Parlament in Krisensituationen

In der Frühjahrssession 2023 beugten sich die Räte über die Differenzbereinigung zum Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG). Das Gesetz schafft die Grundlagen für eine Digitalisierung der Bundesverwaltung, indem es vor allem Standards und Interoperabilität festlegt und dem Bund die Möglichkeit für Vereinbarungen mit Partnerinnen und Partnern schafft, die ähnliche Standards und Plattformen nutzen.

Der Ständerat hatte in der Wintersession 2022 mehrere Differenzen geschaffen und auch im Nationalrat lagen zahlreiche Minderheitsanträge vor. Einig waren sich die Fraktionssprechenden darüber, dass Digitalisierung vor allem in der Bundesverwaltung dringend nötig sei, weil die Schweiz diesbezüglich «nicht einmal im Mittelfeld» liege, wie etwa Corina Gredig (glp, ZH) für die GLP-Fraktion ausführte. Allerdings brauche es einheitliche Standards, weshalb sie in einem Minderheitsantrag forderte, die Kantone und die dezentralen Verwaltungseinheiten zu solchen einheitlichen Standards zu verpflichten – dies hatte der Ständerat in seiner zweiten Lesung noch abgelehnt. Dieser Punkt war jedoch im Nationalrat sehr umstritten, Marco Romano (mitte, TI) und Damien Cottier (fdp, NE) setzten sich im Namen ihrer Fraktionen für eine föderalistische Lösung ein, während Gerhard Andrey (gp, FR) und Angelo Barrile (sp, ZH) für ihre Fraktionen für eine ganzheitliche Lösung, die nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Kantons- und Gemeindeebene gelte, plädierten. Finanzministerin Karin Keller-Sutter erklärte, der Bundesrat begrüsse den Kompromissvorschlag der SPK-NR, die dezentralen Verwaltungseinheiten generell dem Gesetz zu unterstellen, der Regierung aber die Möglichkeit für Ausnahmen zu geben. Bei den Kantonen bevorzuge der Bundesrat den kooperativen Ansatz, weil eine von den Kantonen nicht mitgetragene Harmonisierung kaum zielführend sein dürfte. Auch die Kommissionssprechenden Greta Gysin (gp, TI) und Andri Silberschmidt (fdp, ZH) erklärten, die SPK-NR würde gerne daran festhalten, alle Kantone zu verpflichten, sehe aber aufgrund der deutlichen Haltung des Ständerats in dieser Frage wenig Spielraum. Es sei deshalb in den Augen der Mehrheit der Kommission vernünftiger, die Kantone auszunehmen. Der Antrag der Minderheit Gredig wurde zwar – wie die Fraktionsvoten erwarten liessen – von den geschlossenen stimmenden Fraktionen der SP, GP und GLP gutgeheissen, diese 80 Stimmen unterlagen allerdings den 108 Stimmen der drei geschlossen stimmenden bürgerlichen Fraktionen.
Gregor Rutz (svp, ZH) erachtete das Gesetz im Namen der SVP-Fraktion als «Notlösung», mit dem wenigstens die «schlimmsten Defizite» behoben würden. Eigentlich bedürfe es aber einer Verfassungsänderung, das Gesetz sei wohl nur knapp verfassungskonform. Auch aus diesem Grund sei stets die Zustimmung der Kantone zu verlangen, wenn der Bund mit Gemeinden Projekte plane – stellte er folglich als Minderheitsantrag. Mit dieser Anhörungspflicht der Kantone zeigte sich die Mehrheit der SPK-NR jedoch nicht einverstanden: Die bundesrätliche Kompetenz, Vereinbarungen abzuschliessen, solle nicht eingeschränkt werden und der Minderheitenantrag Rutz sei entsprechend abzulehnen. Auch hier folgte der Rat mit 107 zu 80 Stimmen seiner Kommissionsmehrheit. Für die Kommissionsempfehlung votierten diesmal die geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, der GLP und der GP, unterstützt von einer Mehrheit der FDP und den drei EVP-Mitgliedern der Mitte-EVP-Fraktion.
Mehrere weitere Entscheidungen traf der Rat jeweils ohne Minderheitsantrag. So erachtete die SPK-NR beispielsweise die explizite Erwähnung von Bedürfnissen spezifischer Bevölkerungsgruppen als nicht nötig. Bei der Frage zu «Open Source» hatte die Kommission einen Kompromiss ausgearbeitet: Quellcodes sollen generell transparent gemacht werden müssen, ausser wenn Drittrechte verletzt würden oder die Sicherheit in Gefahr sei. Schliesslich schlug die SPK-NR vor, die Verwaltung der Metadaten einzig beim Bundesamt für Statistik zu belassen. Oppositionslos nahm der Nationalrat diese nicht bestrittenen Empfehlungen seiner Kommission allesamt an.

Damit ging die Vorlage mit noch fünf Differenzen an den Ständerat, der diese ebenfalls in der Frühjahrssession 2023 behandelte. Die SPK-SR schlage vor, bei vier Differenzen auf den Nationalrat einzuschwenken, berichtete Benedikt Würth (mitte, SG) für die Kommission. Dem nationalrätlichen Kompromiss zu den dezentralen Einheiten empfehle die SPK-SR einstimmig zu folgen; auch das Argument des Nationalrats, dass im Gesetz die gesamte Bevölkerung berücksichtigt sei und es keine explizite Erwähnung von Minderheitengruppen brauche, habe die gesamte Kommission überzeugt; die vom Nationalrat formulierte Ausnahmeregel bei der Offenlegung des Quellcodes sei in der SPK-SR ebenfalls auf einstimmige Unterstützung gestossen; bezüglich der Zuständigkeit für die Sammlung der Metadaten hätte sich die Kommission zwar mehr Flexibilität gewünscht, auch hier könne man aber mit der Lösung des Nationalrats gut leben. Allerdings empfehle die Kommission, am ursprünglichen Entscheid des Ständerats festzuhalten, dass der Bund bei Vereinbarungen, die er mit Gemeinden abschliesst, die entsprechenden Kantone anhören müsse. Es wäre stossend, so Würth, wenn ein Kanton mit seinen Gemeinden digitale Projekte vorantreibe und der Bund mit einzelnen Gemeinden andere Projekte plane, ohne dass der Kanton dazu etwas sagen könne. Da es keinen Minderheitsantrag gab, stimmte die kleine Kammer allen Kommissionsempfehlungen stillschweigend zu.

Damit lag der Ball noch einmal beim Nationalrat. Die Kommission habe nur sehr kurz getagt, gab Kommissionssprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) zu Protokoll. Sie sei einstimmig der Meinung, dass man dem Ständerat im letzten Streitpunkt folgen könne: Die Kommission sei stets der Meinung gewesen, dass der Bund die Kantone anhören würde, wenn er mit einzelnen Gemeinden Projekte plane – dies hatte auch Bundesrätin Keller-Sutter betont. Es spreche nichts dagegen, dies explizit ins Gesetz aufzunehmen. Die grosse Kammer bereinigte diese letzten Differenz schliesslich stillschweigend.

In den Schlussabstimmungen passierte das Gesetz den Nationalrat mit 183 zu 8 Stimmen (6 Enthaltungen). Die Opposition und die Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Der Ständerat stimmte dem Gesetz mit 42 zu 0 Stimmen einstimmig zu.

Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (BRG 22.022)
Dossier: Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG)

Der Sozialdemokrat Mathias Reynard (sp, VS) forderte mit einer im März 2021 eingereichten Motion die Stärkung der internen Demokratie in Genossenschaftsverbänden und grossen Genossenschaften sowie die Sicherstellung der Transparenz. Der Bundesrat werde dazu angehalten, entsprechende Anpassungen im Genossenschaftsrecht auszuarbeiten. Reynard argumentierte in seiner Begründung, dass in grossen Genossenschaften und Genossenschaftsverbänden die Befugnisse einer Generalversammlung an eine Delegiertenversammlung übertragen werden können, dass dadurch aber die Grundidee der demokratischen Partizipation der Genossenschafterinnen und Genossenschafter in dieser Gesellschaftsform eingeschränkt würde. Er kritisierte, dass die Mitglieder infolgedessen zu wenig Zugang zu Informationen hätten und diese Intransparenz zu einem «Demokratiedefizit» führe. Der Bundesrat vertrat in seiner Stellungnahme im Mai 2021 die Ansicht, dass die Motion abzulehnen sei, da eine solche Verbesserung der «Cooperative Governance» durch die Findung einer mehrheitsfähigen Anpassung im Genossenschaftsrecht «äusserst schwierig» sein dürfte. Als Grund dafür nannte er die grosse Heterogenität an Genossenschaften – rurale Genossenschaften in der Landwirtschaft, urbane Genossenschaften für den Wohnungsbau, Banken, Versicherungen oder Konzerne in Genossenschaftsform – und die dadurch unterschiedliche Betroffenheit bei einer Revision. Der Bundesrat wies gleichzeitig darauf hin, dass das Genossenschaftsrecht in der Vergangenheit mehrfach den «neuen Sachlagen und Bedürfnisse[n]» angepasst worden sei. Zudem sehe das Gesetz bereits Kontroll- und Einsichtsrechte für Genossenschaftsmitglieder vor, und zwar unabhängig davon, ob eine Delegiertenversammlung stattfinde oder nicht. In der Frühjahrssession 2023 zog Baptiste Hurni (sp, NE) die Motion, die er von seinem Parteikollegen übernommen hatte, zurück.

Änderung des Genossenschaftsrechts – mehr Transparenz (Mo. 21.3418)
Dossier: Revision Genossenschaftsrecht

Die Forderung nach einer Vorschrift, wonach in der Werbung für Motorfahrzeuge jeweils auch auf eine alternative Mobilitätsform aufmerksam gemacht werden muss, wurde im Nationalrat im März 2023 klar versenkt. Mit 124 zu 60 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgte die grosse Kammer damit dem Antrag seiner KVF-NR und lehnte die parlamentarische Initiative von Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) ab. Geschlossen für die Initiative stimmten die Fraktionen der Grünen und der SP (bei 6 Enthaltungen), alle anderen Fraktionen sprachen sich geschlossen dagegen aus.
Während Pasquier-Eichenberger und Florence Brenzikofer (gp, BL) die Bevölkerung mit der Massnahme für die Themen Klimaschutz, Luftverschmutzung, Lärmbelastung und gesunder Lebensstil sensibilisieren wollten, erachtete etwa Kommissionssprecher Matthias Bregy (mitte, VS) die Massnahme als «reine Symbolpolitik». Gregor Rutz (svp, ZH) befand es zudem als stossend, dem Parlament eine «erzieherische Aufgabe» für die Bevölkerung zuzuweisen. Der zweite Kommissionssprecher Olivier Feller (fdp, VD) fügte an, dass die Initiative die Werbefreiheit und damit den ökonomischen Freiheitsgedanken einschränke. Mit dem ablehnenden Entscheid des Nationalrats war die Initiative erledigt.

In der Werbung für Motorfahrzeuge auf Alternativen aufmerksam machen (Pa.Iv. 22.436)

Vor einer Debatte müsse ein Vorstoss über ein «Preisschild» verfügen, mit dem die Verwaltungskosten für die Bearbeitung dieses Vorstosses oder für die Erarbeitung einer Studie dazu abgeschätzt werden könnten, forderte Diana Gutjahr (svp, TG) mit einer parlamentarischen Initiative. In KMU sei es selbstverständlich, dass für eine Offerte Kosten abgeschätzt würden. Solche minimalen Standards müssten auch in der Verwaltung funktionieren und die Folgekosten von parlamentarischen Vorstössen ausgewiesen werden. Die Initiantin warb deshalb in der Frühjahrssession 2023 im Nationalrat für ihr Anliegen, weil es die SPK-NR rund zwei Monate zuvor mit 14 zu 10 Stimmen (1 Enthaltung) zur Ablehnung empfohlen hatte. Für die starke Kommissionsminderheit ergriff in der Folge Gregor Rutz (svp, ZH) das Wort. Zu fragen, was ein Projekt koste, sei «das Normalste der Welt». Plane man ein Projekt am eigenen Haus, frage man sich zuerst, ob man genügend Geld dafür habe. Nur weil es sich beim Staat um Steuergeld handle, dürfe das für Vorstösse nicht anders sein. Die möglichen Kosten eines Vorstosses seien sogar zentrale Basis dafür, ob er angenommen werden solle oder nicht. Die Mehrheitsposition der Kommission wurde von Greta Gysin (gp, TI) und Marianne Binder-Keller (mitte, AG) vertreten. Als Grund für die Nein-Empfehlung wurde der unverhältnismässige administrative Aufwand und die potenzielle Einschränkung der Rechte der Parlamentsmitglieder genannt. Es sei nicht nur schwierig und zeitaufwändig, sondern eben letztlich auch teuer, die Folgekosten einzuschätzen. Ziel der parlamentarischen Initiative sei es zudem wohl letztlich, die Zahl der Vorstösse zu verringern. Die Kommissionsmehrheit wolle aber keine Einschränkungen – Vorstösse seien das wichtigste Instrument der Legislative –, sondern appelliere an die Eigenverantwortung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, weniger Ideen einzubringen und so mit den Steuergeldern, die für die Beantwortung von Vorstössen gebraucht werden, verantwortungsbewusster umzugehen – so die Kommissionssprecherinnen.
Die knappen Verhältnisse in der Kommission widerspiegelten sich in der Folge auch in der Abstimmung im Nationalrat: Mit 99 zu 91 wurde der Initiative keine Folge gegeben. Zünglein an der Waage war dabei die Mitte-EVP-Fraktion, bei der 11 Mitglieder für Folgegeben und 17 Mitglieder gegen Folgegeben stimmten. Die restlichen Fraktionen stimmten geschlossen dafür (SVP-, FDP-Fraktion) bzw. dagegen (SP-, GP-, GLP-Fraktion), der Initiative Folge zu geben.

Folgekosten von parlamentarischen Vorstössen ausweisen (Pa.Iv. 22.434)
Dossier: Massnahmen gegen zu viele parlamentarische Vorstösse

Während zwischen 1974 und 1997 im Schnitt rund 680 parlamentarische Vorstösse pro Jahr eingereicht worden seien, seien es im Jahr 2020 total 1'936 und im Jahr 2021 deren 1'897 gewesen – die rund 1'200 Fragen pro Jahr nicht eingerechnet, erklärte Fabio Regazzi (mitte, TI) in der Begründung einer im Juni 2022 eingereichten parlamentarischen Initiative. Diese Zahl sei auch deshalb «beängstigend», weil Vorstösse Kosten verursachten, etwa für die Bearbeitung durch die Verwaltung, aber auch, wenn etwa Expertinnen und Experten zur Beantwortung eines Postulats einen Bericht verfassten. Aufgrund einer Interpellation Spuhler (svp, TG; Ip. 07.3176) seien diese Kosten pro Vorstoss einst auf CHF 6'120 veranschlagt worden; in der Zwischenzeit dürften sie gestiegen sein. Der Bundesrat stelle sich zwar bei entsprechenden Vorstössen auf den Standpunkt, dass es unverhältnismässig sei, die Kosten von parlamentarischen Vorstössen auszuweisen, jedes KMU müsse aber Zeit und Aufwand im Vorfeld eines Projektes für die Offertstellung schätzen. Dies könne man daher auch von der Verwaltung im Vorfeld von Vorstössen verlangen, argumentierte Regazzi, was er mit seiner parlamentarischen Initiative denn auch tat.
In der Ratsdebatte während der Frühjahrssession 2023, die nötig geworden war, weil die SPK-NR der parlamentarischen Initiative mit 13 zu 11 Stimmen (1 Enthaltung) keine Folge gegeben hatte, fügte Regazzi das Beispiel seines Heimatkantons an, der eine solche Kosteneinschätzung für Vorstösse vornehme; wenn dies für den Kanton Tessin möglich sei, müsse dies auch für die Bundesverwaltung gelingen. Zudem könne mit dem Wissen über die Kosten, die letztlich die Steuerzahlenden berappen müssten, im Parlament einfacher entschieden werden, ob sich die Investition lohne, ein Vorstoss also angenommen werden solle oder nicht. Letztlich gehe es ihm mit seinem Vorschlag auch um eine Sensibilisierung: Parlamentsmitglieder müssten sich bewusster werden, dass Vorstösse Kosten verursachen. Dies solle auch dazu führen, dass weniger Vorstösse eingereicht würden, so der Initiant.
Die Mehrheit der SPK-NR habe das Setzen eines «Preisschildes» unter jeden Vorstoss aus verschiedenen Gründen als nicht zielführend erachtet, argumentierten Greta Gysin (gp, TI) und Corina Gredig (glp, ZH): In den zwei Kantonen, in denen diese Massnahme eingeführt worden sei (TI, AG), habe sich der erhoffte Rückgang der Zahl der Vorstösse nicht gezeigt; fundierte Antworten aus der Verwaltung hätten ihren Preis und es helfe letztlich niemandem, wenn Kostendruck entstehe und sich die Qualität der Arbeit der Verwaltung dadurch verringere. Die «Balance zwischen Parlament und Verwaltung» würde zudem zugunsten der Verwaltung aus dem Gleichgewicht geraten, wenn das Preisschild nicht nur an einen Vorstoss, sondern indirekt auch an ein Parlamentsmitglied geheftet werden könne. Letztlich liessen sich Demokratie und die Ausübung der Parlamentsrechte nicht mit finanziellen Kriterien messen, weshalb die SPK-NR empfehle, der Initiative keine Folge zu geben.
Gregor Rutz (svp, ZH) ergriff das Wort für die starke Kommissionsminderheit. Er habe bei der Diskussion um die parlamentarische Initiative bemerkt, dass die Bundesangestellten nicht aufschrieben, für welche Projekte sie wie viel Zeit benötigten. Dies müsse sich dringend ändern. Zudem sei das von der Mehrheit der SPK-NR vorgebrachte Argument, die parlamentarischen Rechte würden eingeschränkt, wenn die Kosten für Vorstösse ausgewiesen würden, «absurd». Auch Diana Gutjahr (svp, TG), die kurz vor der Behandlung der Initiative Regazzi mit einem ähnlichen Vorstoss gescheitert war, wollte in der Folge wissen, was die Kommission davon halte, dass in der Verwaltung keine Stundenerfassung bestehe. Kommissionssprecherin Gredig erklärte, dass es im Gegensatz zur Privatwirtschaft, wo mehrere Offerten eingeholt werden könnten, in Bundesbern nur eine Verwaltung gebe, die genau jene Arbeit verrichte, die für einen Vorstoss nötig sei.
Mit 98 zu 91 Stimmen folgte der Nationalrat schliesslich seiner Kommission. Eine knappe Mehrheit der Mitte-EVP-Fraktion, ein Mitglied der FDP-Fraktion und die geschlossen stimmenden Fraktionen von SP, GLP und GP lehnten den Vorstoss ab.

Kosten von parlamentarischen Vorstössen ausweisen (Pa.Iv. 22.435)
Dossier: Massnahmen gegen zu viele parlamentarische Vorstösse

«Wir haben ein Problem», begann Gregor Rutz (svp, ZH) sein Votum für seine parlamentarische Initiative, mit der er das Parlamentsgesetz um ein Verbot der Einreichung von parlamentarischen Initiativen und Vorstössen während Sondersessionen erweitern wollte. Das Parlament habe mit einer «Vorstossflut» zu kämpfen; seit den 1990er Jahren habe sich die Zahl der Vorstösse nahezu verdreifacht. Dies sei nicht nur ein Zeit-, sondern auch ein Kostenproblem. In der Begründung seiner Forderung hatte Rutz vorgerechnet, dass bei durchschnittlichen Kosten eines Vorstosses von CHF 6'120 – ein mittlerer Wert, der 2007 von den Parlamentsdiensten als Antwort auf eine Interpellation Spuhler (svp, TG: Ip. 07.3176) errechnet worden war – die Vorstösse im Jahr 2021 gegen CHF 12 Mio. gekostet hätten, Folgekosten nicht eingerechnet. 1991 sei die Möglichkeit der Sondersession eingeführt worden, damit Pendenzen abgebaut werden könnten, so Rutz weiter. Allerdings seien in allen Sondersessionen seit 2016 total 214 Geschäfte erledigt und 953 neue Vorstösse eingereicht worden, was «nicht im Ernst ein Abbau der Pendenzenlast» bedeute. Aus diesem Grund schlage er mit seiner parlamentarischen Initiative vor, dass in Sondersessionen keine neuen Anliegen eingereicht werden dürfen.
Das etwas zu lange Votum, das von Nationalratspräsident Candinas (mitte, GR) mit dem Heiterkeit auslösenden Hinweis unterbrochen wurde, dass es auch helfe, die Geschäftslast abzubauen, wenn die Redezeiten eingehalten werden, wurde von Gregor Rutz deshalb gehalten, weil die SPK-NR der parlamentarischen Initiative knapp mit 13 zu 12 Stimmen keine Folge hatte geben wollen. Der Minderheitensprecher Damien Cottier (fdp, NE) machte noch auf ein weiteres Problem der Behandlung von Vorstössen an Sondersessionen aufmerksam: Damit möglichst viele Geschäfte erledigt werden könnten, würden die Sitzungen an den drei Tagen einer Sondersession immer länger dauern. Wenn sich nichts ändere, sei es wohl bald nötig, bis um Mitternacht zu tagen oder die Sondersession um ein oder zwei Tage zu verlängern. Der Vorschlag von Gregor Rutz sei vernünftig und könne dazu beitragen, wenigstens einen Teil des Problems anzugehen.
Für die Kommissionsmehrheit sprachen Ada Marra (sp, VD) und Marianne Binder-Keller (mitte, AG). Das Parlament dürfe sich nicht selber beschränken, argumentierten sie. Wahrscheinlich würde das Verbot dazu führen, dass Vorstösse einfach in der nächsten Session eingereicht würden, was wiederum die Parlamentsmitglieder einschränke, weil sie nicht mehr zeitnah auf aktuelle Ereignisse reagieren könnten. Die wegen Covid-19 unterbrochene Frühjahrssession 2020 bzw. die nachfolgende Session, bei der die Zahl eingereichter Vorstösse explodiert sei, weise darauf hin, dass mit zeitlich verschobenen Einreichungen gerechnet werden müsse. Statt Regeln einzuführen müsse vielmehr an die Eigenverantwortung appelliert werden. In der Kommission seien aber auch andere Möglichkeiten diskutiert worden, da die zunehmende Pendenzenlast in der Tat ein Problem darstelle, berichtete Ada Marra: So könnten etwa die bevorzugte Behandlung von Vorstössen, die zahlreiche Mitunterzeichnende aufweisen, oder die Möglichkeit für Koautorenschaften von parlamentarischen Initiativen solche Lösungen darstellen. Marianne Binder-Keller zitierte eine Studie aus dem Jahr 2018/2019, die zeige, dass das Schweizer Parlament hinsichtlich institutioneller Möglichkeiten zwar im «internationalen Mittelfeld» liege, bezüglich Ressourcenausstattung aber an drittletzter Stelle. Die Forderung, parlamentarische Rechte zu beschneiden, um Kosten zu sparen, sei in Anbetracht dieser schlechten Ressourcenausstattung nicht haltbar.
Bei der Abstimmung fand die knappe Kommissionsminderheit dann eine doch recht deutliche Ratsmehrheit: Mit 115 zu 78 Stimmen (3 Enthaltungen) gab die grosse Kammer der Initiative Folge. Die geschlossen stimmenden Fraktionen der GLP, der SVP und der FDP sowie eine knappe Mehrheit der Mitte-EVP-Fraktion sprachen sich für eine Weiterverfolgung des Verbots von Vorstössen an Sondersessionen zur Eindämmung der «Vorstossflut» aus.

Sondersessionen auf Kernzweck zurückführen – Abbau der Geschäftslast (Pa.Iv. 22.433)
Dossier: Massnahmen gegen zu viele parlamentarische Vorstösse

La CTT-CN a décidé, par 12 voix contre 11, de ne pas donner suite à l'initiative parlementaire visant à soumettre la Société suisse de radiodiffusion et télévision (SSR) au Contrôle fédéral des finances (CDF). Elle estime que les mesures prévues par la loi fédérale sur la radio et la télévision (LRTV) sont suffisamment complètes et permettent de protéger la SSR de l’influence de l’Etat sur la conception des programmes. Elle propose donc au Conseil national de rejeter l'initiative. Une minorité, emmenée par Gregor Rutz (udc, ZH), a rappelé que des entreprises d'importance comparable, auxquelles la Confédération a délégué des tâches, sont elles soumises au CDF. Par déduction, la minorité estime que la SSR devrait donc aussi être soumise cas au CDF.

Soumettre la Société suisse de radiodiffusion et télévision (SSR) au Contrôle fédéral des finances (Iv.pa. 22.498)

Sollen Abstimmungsresultate aus Kommissionssitzungen veröffentlicht werden? Ja, findet Andreas Glarner (svp, AG) und forderte mittels parlamentarischer Initiative Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen. Bürgerinnen und Bürger hätten das Recht darauf zu wissen, ob die von ihnen gewählten Abgeordneten auch in den Kommissionen «die im Wahlkampf und auf Podien versprochenen Positionen» vertreten, so die Begründung des Initianten. Nein, fand hingegen die Mehrheit der SPK-NR, die mit 18 zu 6 Stimmen empfahl, der Initiative keine Folge zu geben. Kommissionsmitglieder müssten frei und ohne Handlungsdruck auch mal ihre Meinung ändern können, damit Kompromisse möglich werden, so die Argumentation im Kommissionsbericht. Zudem sei bereits heute eine gewisse Transparenz gegeben, weil im Falle von Minderheitsanträgen die Namen der entsprechenden Antragstellenden in Kommissionsberichten und auf den Fahnen veröffentlicht würden.
Zwei der sechs Mitglieder der SVP-Fraktion, die die Kommissionsminderheit bildeten, meldeten sich bei der Ratsdebatte zur Initiative in der Wintersession 2022 zu Wort: Zuerst führte der Initiant selber aus, dass es ihm nicht um eine Offenlegung der Kommissionsprotokolle gehe, sondern lediglich um die Publikation der Abstimmungsresultate. Gregor Rutz (svp, ZH) sekundierte mit dem Argument, dass man auch mit der geforderten Transparenz seine Meinung ändern dürfe, um notwendige Kompromisse zu schmieden. In diesem Falle könne man dies den eigenen Wählerinnen und Wählern dann auch erklären. Für die Kommissionsmehrheit sprachen Greta Gysin (gp, TI) und Gerhard Pfister (mitte, ZG). Neben der Notwendigkeit von Vertraulichkeit für Deliberation hinterfragte Pfister auch den Mehrwert einer Publikation von Abstimmungsresultaten, wenn die ihnen zugrundeliegenden Debatten und Argumente nicht ebenfalls veröffentlicht würden. In der Abstimmung folgte einzig die geschlossen stimmende SVP-Fraktion der Minderheit und der Initiative wurde mit 139 zu 51 Stimmen keine Folge gegeben.

Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen (Pa.Iv. 21.444)

Im Dezember 2022 publizierte der Bundesrat den Bericht «Für einen erschwinglichen und gut eingespielten öffentlichen Verkehr» in Erfüllung des gleichnamigen Postulats Reynard (sp, VS). Im Bericht wurde festgehalten, dass der Kauf eines Billetts für den öffentlichen Verkehr, auch über mehrere Tarifsysteme hinweg, heute bereits relativ einfach sei. Für ungeübte Benutzende des ÖV könne das Lösen des richtigen und vor allem des günstigsten Tickets aber eine Herausforderung darstellen. So könne es in gewissen Fällen günstiger sein, mehrere Tickets für alle Teilstrecken statt eines durchgehenden Billetts zu kaufen. Um das System transparenter auszugestalten und die administrativen Kosten zu senken, möchte der Bundesrat deshalb das Tarifsystem vereinfachen. Die dafür nötigen Gesetzesanpassungen sollen unter Federführung des BAV und der Branchenorganisation Alliance SwissPass erarbeitet werden.

Für einen erschwinglichen und gut eingespielten öffentlichen Verkehr (Po. 19.4199)

30. September 2022: Der Rücktritt von Ueli Maurer

Obwohl immer wieder über seinen Rücktritt spekuliert worden war, kam die Ankündigung von Ueli Maurer, nach 14 Jahren Regierungstätigkeit Ende 2022 sein Bundesratsmandat niederzulegen, einigermassen überraschend. Maurer selber hatte nach den letzten Spekulationen vor gut einem Jahr verlauten lassen, er werde mindestens bis Ende Legislatur (also bis Oktober 2023) in der Regierung bleiben und dann vielleicht gar nochmals vier Jahre anhängen. Am 30. September 2022 liess er dann aber an einer Pressekonferenz verlauten, er wolle wieder «der normale Ueli» sein und habe noch einige private Projekte in Planung. Mit 71 Jahren war Maurer der älteste amtierende Bundesrat seit Einführung der Zauberformel. Maurer war 2008 für Samuel Schmid in den Bundesrat gewählt worden und hatte damit die kurze Oppositionsphase der SVP beendet. Er hatte zuerst das Verteidigungsdepartement übernommen, bevor er 2015 ins Finanzdepartement gewechselt war. In den Medien wurde Maurer als «erfolgreichster Politiker der Schweiz» (St. Galler-Tagblatt) beschrieben, allerdings auch dafür kritisiert, dass er häufig mit den Grenzen der Kollegialität gespielt habe und aufgrund seines schlechten Französisch nur einen «reduzierten Kontakt mit der Romandie» gepflegt habe (Le Temps). Im Parlament habe er als Finanzminister grossen Respekt genossen, gaben mehrere Parlamentsmitglieder zu Protokoll. Gelobt wurden zudem seine umgängliche Art, seine Dossierkenntnis und sein Pragmatismus. Er sei sich treu, bodenständig und bescheiden geblieben, urteilte der Blick. Der «widerborstige Bauernsohn» habe sich «nicht vom System vereinnahmen lassen», fasste die Aargauer Zeitung zusammen. Der «erstaunlich wandlungsfähige» Maurer gehöre «zu den Politikern, die zu Anfang ihrer Karriere belächelt, später gefürchtet oder gehasst und am Schluss respektiert werden», befand die NZZ. Auch der «launische Umgang» mit den Medien war Gegenstand der medialen Würdigungen: Der Tages-Anzeiger bezeichnete den SVP-Magistraten als den letzten «Oppositions-Bundesrat» – «mäandriered zwischen den Rollen als Staatsmann und Oppositioneller» habe er es allerdings geschafft, die Konkordanz nach den unruhigen Jahren nach Christoph Blocher und Eveline Widmer-Schlumpf wieder zu stabilisieren. Die Weltwoche vermutete, dass «dem Berner Politikbetrieb» die Spontanität Maurers bald fehlen werde. Kritischer urteilte die WoZ: Maurer habe «wesentlich dazu beigetragen [...], rechtspopulistische Hetze zu normalisieren».

Bereits am Tag nach der Rücktrittsankündigung überboten sich die Medien mit Spekulationen über mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger von Ueli Maurer. Am häufigsten genannt wurden die Nationalrätinnen Esther Friedli (svp, SG) und Céline Amaudruz (svp, GE), die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (ZH, svp), die Nationalräte Albert Rösti (svp, BE), Gregor Rutz (svp, ZH) und Thomas Aeschi (svp, ZG), der frühere Parteipräsident und Nationalrat Toni Brunner (SG, svp) sowie der Aargauer Regierungrat Jean-Pierre Gallati (AG, svp). Albert Rösti galt in den meisten Medien als Kronfavorit. Seine einzige Schwäche sei, dass Christoph Blocher, der «noch immer ein entscheidendes Wort mitzureden» habe, wie der Blick wusste, gegen ihn ein Veto einlegen könnte. Dies gelte nicht für Esther Friedli, die als mögliche erste SVP-Bundesrätin gehandelt wurde. Dass neben Karin Keller-Sutter eine zweite St. Gallerin bereits in der Regierung sitze, sei kein Problem, urteilten vor allem die Ostschweizer Medien. Eine früher oft gehandelte Anwärterin auf einen Bundesratssitz, Magdalena Martullo-Blocher gab hingegen noch am Tag von Maurers Rücktritt bekannt, kein Interesse am Regierungsamt zu haben. Ebenfalls unverzüglich aus dem Rennen nahmen sich Roger Köppel (svp, ZH) und Franz Grüter (svp, LU). Auch Diana Gutjahr (svp, TG) erteilte entsprechenden medialen Anfragen eine Absage, da für sie «als junge Mutter [...] der richtige Zeitpunkt für eine Bundesratskandidatur nicht gegeben» sei, wie das St. Galler-Tagblatt bedauerte. Auch Toni Brunner schloss einen Rücktritt auf die nationale Bühne bald aus und nach einiger Bedenkzeit verzichtete auch seine Lebenspartnerin Esther Friedli. Sie wolle ihre regionale Verankerung für den Ständeratswahlkampf nutzen, der aufgrund des Rücktritts von Paul Rechsteiner (sp, SG) im kommenden Frühling 2023 anstand. Bundesrätin werden sei hingegen kein Lebensziel von ihr.

Nachdem sowohl Natalie Rickli als auch der ebenfalls angefragte Regierungsrat Ernst Stocker (ZH, svp) und auch Gregor Rutz bekannt gegeben hatten, nicht für die Nachfolge Maurers kandidieren zu wollen, schien sich abzuzeichnen, dass der Kanton Zürich in Kürze zum zweiten Mal in der Geschichte nicht im Bundesrat vertreten sein könnte. Nur während knapp sieben Jahren zwischen dem Rücktritt von Elisabeth Kopp (1989) und der Wahl von Moritz Leuenberger (1995) war der bevölkerungsreichste Kanton der Schweiz nicht in der eidgenössischen Regierung präsent gewesen und stellte folglich bisher mit 20 Magistratinnen und Magistraten die meisten Bundesratsmitglieder aller Kantone. Von einer «Blamage» für die kantonalzürcherische SVP, die es versäumt habe, rechtzeitig für mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger zu sorgen, sprach in der Folge der Tages-Anzeiger. Dass der Zürcher Flügel nicht vertreten sei, sei aber auch darauf zurückzuführen, dass die Kantonalpartei aufgrund der reihenweisen Absagen eine «Partei der Nein-Sager» sei, so der Blick weiter. Die «oppositionelle DNA der Zürcher SVP» entpuppe sich jetzt als Nachteil, analysierte die Aargauer Zeitung.

Im Gegensatz zum «Personalproblem» der Zürcher habe die Berner SVP einen Kandidaten zu viel, kommentierte der Tages-Anzeiger die Kandidatur von Werner Salzmann (svp, BE), der am 6. Oktober als erster offiziell ankündigte, Bundesrat werden zu wollen. Der Berner Ständerat betonte, er sei als Oberst der Schweizer Armee und Sicherheitspolitiker ein idealer Kandidat für das VBS. Salzmann stamme aus der Familie des BGB-Parteigründers Rudolf Minger, dem ersten Bundesrat der BGB (und späteren SVP) und habe entsprechend ein «Bundesrat-Gen», so der Tages-Anzeiger. Salzmann könne dem Favoriten Rösti zwar gefährlich werden, innerhalb der Berner SVP werde aber befürchtet, dass der Ständeratssitz verloren gehen könnte, wenn Salzmann in den Bundesrat gewählt würde, spekulierte der Tages-Anzeiger weiter. Wenige Tage später, am 10. Oktober 2023, gab auch Albert Rösti seine Kandidatur bekannt. Der Zweikampf zwischen den beiden Bernern bringe ein wenig Salz in den Wahlkampf, urteilte La Liberté. Allerdings vermuteten die Medien, dass der ehemalige Parteipräsident Rösti im Parlament mehr Rückhalt habe als Salzmann. Die BZ urteilte entsprechend, dass Röstis Kandidatur höchstens «wegen internen Widerstands» scheitern könnte. Die NZZ befand gar, dass die Kandidatur Röstis für Langeweile sorge, weil der «anstandslos anständige [...] Panorama-Politiker» kaum anecke – was eine wichtige Voraussetzung sei, um genügend Stimmen aus dem Parlament zu erhalten. Skeptischer zeigte sich die WoZ, die sich fragte, weshalb dem «Ölkönig», der «eine riesige Schadensbilanz» aufweise, so viele Sympathien zuflögen. Starke Kritik erwuchs Rösti auch in der Weltwoche, die befürchtete, dass Rösti seinen SVP-Kurs wohl aufgeben werde, wenn er im Bundesrat sitzen werde. Roger Köppel, Chefredaktor der Weltwoche, warnte vor einem «Kuckucksei» und einem «Trojanischen Pferd» für die SVP im Bundesrat. Rösti sei «der Prototyp eines Pöstchenjägers, ein Hansdampf an allen Kassen» und er sei mit seinem «Naturell des Jasagers» und als «Briefträger bezahlter Interessen» «der Falsche». Im Sonntagsblick wurde vermutet, dass «Atom-Rösti» auch deshalb im Parlament die grössten Chancen habe, weil er nicht die Kernthemen der SVP vertrete, sondern Energiepolitik betreibe. Würde er dem UVEK vorstehen, wäre dies «ein Coup», so der Sonntagsblick. Die zahlreichen Lobby-Mandate Röstis waren in der Folge ein ziemlich häufiges mediales Thema. Der Blick erinnerte schliesslich daran, dass die SVP mit den letzten Berner Vertretern in der Landesregierung nicht sehr glücklich gewesen sei. Sowohl Adolf Ogi, der innerparteilich als zu europafreundlich gegolten habe, als auch Samuel Schmid, der als «halber Bundesrat» bezeichnet worden war, hätten in der SVP selber nur wenig Rückhalt gehabt.

Am 15. Oktober gab der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (ZG, svp), seit 2006 in der Zuger Kantonsregierung, bekannt, dass er die Innerschweiz und einen «boomenden Kanton» vertreten wolle. Als «zupackender Wirtschaftspolitiker» wolle er den beiden Berner Bewerbungen etwas entgegensetzen und der Partei eine Auswahl bieten. Es sei nicht gut, dass die Zentralschweiz seit dem Rücktritt von Kaspar Villiger im Jahr 2003 nicht mehr im Bundesrat vertreten sei. In zahlreichen Gesprächen sei er darauf aufmerksam gemacht worden, dass «diese Region wieder eine Stimme in der Landesregierung haben» müsse. Er wolle aber auch alle anderen finanzstarken Kantone vertreten, so Tännler in der Ankündigung seiner Kandidatur. In den Medien wurden Tännler trotz Exekutiverfahrung eher geringe Chancen eingeräumt, da er im Gegensatz zu Salzmann und Rösti nicht dem Bundesparlament angehöre, was häufig ein Nachteil sei. Zudem stehe er als Finanzdirektor des reichen Kantons Zug vor allem bei Linken in Verdacht, «Politik für die Reichen und Mächtigen zu machen», so die Bewertung der NZZ.

Am 18. Oktober meldete auch Michèle Blöchliger (svp, NW), seit 2018 Gesundheitsministerin des Kantons Nidwalden, ihre Ambitionen an. Sie sei überzeugt, dass sie «den nötigen Rucksack» mitbringe, den es für das Amt als Bundesrätin brauche: Sie sei sich gewohnt, das Kollegialitätsprinzip zu achten, habe politische Exekutiverfahrung und bringe mit einer englischsprachigen Mutter wichtige Sprachkompetenzen mit. Die SVP könne aufatmen, weil sie doch noch eine Frau gefunden habe, befand 24Heurers. Für die Nidwaldner Regierungsrätin und Rechtsanwältin «mit juristischem Gewissen», wie die Nidwaldner Zeitung wusste, spreche nicht nur ihr Geschlecht, sondern auch der Umstand, dass aus dem Innerschweizer Kanton noch nie jemand in der Landesregierung gesessen habe. Zudem sei sie parteiintern gut vernetzt und der Umstand, dass auch innerhalb der SVP viele eine Frau auf einem Zweierticket forderten, erhöhe ihre Chancen ebenfalls, waren sich viele Medien einig. Allerdings sei sie in Bundesbern etwa auch im Vergleich zu Tännler praktisch unbekannt und liefe Gefahr, sich «in einer undankbaren Rolle als Alibikandidatin» wiederzufinden, prognostizierte die NZZ. Für Schlagzeilen sorgte in der Folge die Aussage Blöchligers, dass Wikipedia nicht zutreffende Angaben über sie verbreite. Sie besitze – im Gegensatz zu den Informationen auf Wikipedia – die britische Staatsangehörigkeit seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr. Der Tages-Anzeiger, der diese Aussage überprüfte, fand allerdings heraus, dass Blöchliger nie formell auf den britischen Pass verzichtet habe. Die Zeitung machte daraus auch deshalb eine Geschichte, weil die SVP 2019 mit einem Vorstoss – erfolglos – das Verbot einer doppelten Staatsbürgerschaft von Bundesratsmitgliedern gefordert hatte. «Blöchligers Hin und Her um ihre zweite Nationalität» biete neuen «Zunder für diese Debatte», so der Tages-Anzeiger. Blöchliger selber gab bekannt, dass sie offiziell auf die britische Staatsangehörigkeit verzichten werde. Allerdings war die Geschichte für viele Medien ein gefundenes Fressen. Der Tages-Anzeiger urteilte, dass sich Blöchliger mit der versuchten Vertuschung ihrer doppelten Staatsbürgerschaft – «um der eigenen Partei zu gefallen» – wohl selbst aus dem Rennen genommen habe. Als «denkbar schlecht» bezeichnete die Weltwoche den Kampagnenstart Blöchligers.

Weitere Kandidatinnen und Kandidaten hatten entsprechend der Terminplanung der SVP bis zum 21. Oktober Zeit, ihr Interesse zu bekunden. Einen Tag vor Ablauf dieser Frist meldete sich die SVP Zürich mit einem eigentlichen Überraschungscoup doch noch zurück und präsentierte den 2021 aus dem Nationalrat zurückgetretenen Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) als Kandidierenden. Er sei aus der Politik ausgestiegen, weil ihm die parlamentarische Arbeit nicht zugesagt habe, das Bundesratsamt reize ihn aber, erklärte Vogt. Er wolle «ein Opfer erbringen», zudem sei seine Kandidatur «weder eine Verlegenheitslösung noch eine Alibiübung», gab Vogt der NZZ zu Protokoll, eine urbane Vertretung in der Landesregierung sei zudem wichtig. «Professor Vogt» sei der «Wunschkandidat» der Zürcher Kantonalsektion, betonte Kantonalpräsident Domenik Ledergerber (ZH, svp), der den Kandidierenden als «gründlich, aber zielstrebig, urban und doch bodenständig» beschrieb. In den Medien wurde die Kandidatur begrüsst. Nun habe Zürich doch noch einen Kandidaten, freute sich etwa die NZZ. Vogt sei in Bern auch nach seinem Rücktritt 2021 noch genügend bekannt und werde nach wie vor als seriöser Sachpolitiker geschätzt; vor allem auf linker Seite könne er punkten, ergänzte die NZZ. Auch 24Heures urteilte, dass Vogt mit den Eigenschaften «Intello, urbain, gay» das Zeug habe, die Kampagne aufzumischen. Innerhalb der SVP sei Vogt allerdings ein «OVNI», ein unbekanntes Flugobjekt, urteilte La Liberté. Seine Chancen wurden auch vom Tages-Anzeiger vor allem im Vergleich mit dem «berechenbareren» Albert Rösti als geringer eingestuft. Vogt sei gleichzeitig «Verlegenheitslösung und Befreiungsschlag» für die Zürcher SVP, befand die Weltwoche.

Da bis zum Ende der Meldefrist alle weiteren Favoriten abgesagt hatten – darunter etwa auch Thomas Aeschi, der nach seinem Misserfolg 2015 auf eine zweite Bundesratskandidatur verzichten und sich auf seine Parlamentsarbeit konzentrierten wollte, oder der Aargauer Regierungsrat Jean-Pierre Gallati (AG, svp), der sich bis Meldeschluss bedeckt gehalten hatte – und sich keine neuen Personen mehr gemeldet hatten, standen mit Werner Salzmann, Albert Rösti, Heinz Tännler, Michèle Blöchliger und Hans-Ueli Vogt die fünf Kandidierenden für die Nachfolge von Ueli Maurer fest. Die Partei habe sich knapp gerettet, fasste die Aargauer Zeitung zusammen. Mit einer Frau und einem Kandidaten aus Zürich könne die SVP nun doch verschiedene Optionen bieten. Die Empfehlung der Kandidierenden durch die jeweiligen Kantonalsektionen war Formsache. Für Spannung sorgte einzig die Frage, ob die Kantonalberner Sektion eine Vorselektion treffen und lediglich einen der beiden Kandidierenden vorschlagen würde. Sie schob die Frage einer allfälligen Vorselektion allerdings an die nationale Findungskommission weiter und nominierte sowohl Albert Rösti als auch Werner Salzmann einstimmig. Besagte Findungskommission nahm sich dann bis Mitte November Zeit, die Kandidierenden auf Herz und Nieren zu prüfen, um der Fraktion einen Vorschlag zu unterbreiten.
Wie schon die Kantonalberner scheute sich dann allerdings auch die Findungskommission, eine Vorentscheidung zu treffen. Alle fünf Kandidierenden seien wählbar und in den Hauptthemen strikt auf der Parteilinie. Sie würden einen eindrücklichen Leistungsausweis und die nötige Führungserfahrung mitbringen. Die von alt-Nationalrat Caspar Baader (BL, svp) präsidierte Kommission empfehle der Fraktion zudem, ein Zweierticket zu bilden. Somit stand also die Fraktion in der Verantwortung, die Vorauswahl zu treffen. An der Favoritenrolle von Albert Rösti ändere dies nichts, waren sich die Medien einig. Spannend sei einzig, wer neben ihm aufs Ticket komme, so etwa die NZZ.
Am 18. November entschied sich dann die SVP-Fraktion für ein Zweierticket aus Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt. Rösti sei in der ersten Runde mit 26 von 51 Stimmen zum einen Kandidaten auf dem Zweierticket bestimmt worden, wussten die Medien zu berichten. In dieser ersten Runde hätten Michèle Blöchliger vier und Heinz Tännler lediglich eine Stimme auf sich vereinen können. Vogt sei auf 13 und Salzmann auf 5 Stimmen gekommen. Dreimal sei es dann in der Folge zu einem 25:25 Unentschieden zwischen dem Berner und dem Zürcher Kandidaten gekommen, bevor wahrscheinlich eine sich bis dahin enthaltende Stimme in der fünften Runde den Ausschlag für Hans-Ueli Vogt gegeben habe. Das Ringen zeige, dass fraktionsintern befürchtet werde, dass Vogt im Parlament auf linker Seite Stimmen holen könnte und so zum «Rösti-Verhinderer» werde, analysierte die NZZ. Das Rennen zwischen Bern und Zürich sei nun neu lanciert, waren sich die meisten Medien einig.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

In der Herbstsession 2022 folgte der Nationalrat mit 103 zu 69 Stimmen bei 4 Enthaltungen dem Antrag des Bundesrates und stimmte der Abschreibung der Motion Regazzi (mitte, TI) für eine «Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht», zu. Die vorberatende SPK-NR hatte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen empfohlen, dem Antrag des Bundesrates stattzugeben. Neben der im bundesrätlichen Bericht ausführlich dargelegten rechtlichen Unmöglichkeit, die Motion umzusetzen, betonte die Kommissionsmehrheit, beim Grundrechtsschutz dürfe nicht mit zweierlei Mass gemessen werden: «Ein wahrer Rechtsstaat muss auch seine Feindinnen und Feinde rechtskonform und gemäss seinen Werten behandeln», schrieb sie in der Medienmitteilung. Im Ratsplenum erklärte Kommissionssprecher Kurt Fluri (fdp, SO), der Bundesrat habe sich darüber hinaus bereit erklärt, im Umgang mit verurteilten Terroristinnen und Terroristen, die aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausgeschafft werden können, alle rechtlich zulässigen Mittel zur Wahrung der Sicherheit der Schweiz auszuschöpfen. Justizministerin Karin Keller-Sutter ergänzte, man prüfe im Einzelfall, ob vom Herkunftsstaat die diplomatische Zusicherung erlangt werden kann, dass die betroffene Person weder gefoltert noch unmenschlich behandelt wird, sodass eine völkerrechtskonforme Ausschaffung dennoch möglich ist. Zudem werde auch jeweils geprüft, ob die Person in einen anderen Staat als ihren Herkunftsstaat weggewiesen werden kann. Gleichzeitig betonte sie, die Schweiz habe in letzter Zeit mit dem Nachrichtendienstgesetz, den Strafbestimmungen gegen Terrorismus und den präventiv-polizeilichen Massnahmen ein besseres Instrumentarium erhalten, um «mit den Personen, die wir in der Schweiz behalten müssen, umgehen zu können». Momentan handle es sich um fünf Personen, die die Schweiz aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausschaffen könne, so die Bundesrätin.
Eine Minderheit um SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) wollte die Motion trotzdem nicht abschreiben. Es könne nicht sein, dass verurteilte Terroristinnen und Terroristen in der Schweiz blieben, und er sei nicht zufrieden damit, «dass der Bundesrat uns sagt, das ginge nicht», so Rutz. Es sei «eine Frage des gesunden Menschenverstandes», dass «wir [...] doch nicht mit unserer Rechtsordnung Leute schützen [können], die diese Rechtsordnung missbrauchen, um sie zu zerstören». Der Bundesrat müsse «noch einmal über die Bücher», denn es gebe «Möglichkeiten, wie man dieses Anliegen umsetzen kann». Einen Vorschlag, wie eine solche Umsetzung aussehen könnte, lieferte der Minderheitsvertreter dem Ratsplenum jedoch nicht. Seine Ansicht teilten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie FDP-Vertreterin Jacqueline de Quattro (VD), was in der grossen Kammer aber nicht zu einer Mehrheit reichte.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

Ende 2021 reichten sechs Nationalrätinnen verschiedenster Parteien sechs identische parlamentarische Initiativen ein, die forderten, dass Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) unterstellt werden. Die Initiantinnen – Min Li Marti (sp, ZH; Pa.Iv. 21.513), Marianne Binder-Keller (mitte, AG; Pa.Iv. 21.514), Jacqueline De Quattro (fdp, VD; Pa.Iv. 21.515), Sibel Arslan (basta, BS; Pa.Iv. 21.516), Lilian Studer (evp, AG; Pa.Iv. 21.522) und Kathrin Bertschy (glp, BE; Pa.Iv. 21.527) begründeten ihr Anliegen mit der weiten Verbreitung von Gewalt und Hass an Frauen, der mit einem klaren Signal – wie demjenigen der Unterstellung unter die Antirassismus-Strafnorm – Einhalt geboten werden könnte. Ob neben der sexuellen Orientierung auch Diskriminierungen und Hass aufgrund der Geschlechtsidentität in die Antirassismus-Strafnorm aufgenommen werden sollten, war auch bereits während der Beratungen zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Reynard (sp, VS; Pa.Iv. 13.407) diskutiert worden, die im Februar 2020 an der Urne bestätigt worden war. Die erstberatende RK-NR, die sich Ende Juni 2022 über die sechs neuen parlamentarischen Initiativen beugte, gab diesen mit 16 zu 6 Stimmen Folge.

Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts sollen strafbar werden (Pa.Iv. 21.513, 21.514, 21.515, 21.516, 21.522, 21.527)

Im Juni 2022 veröffentlichte der Bundesrat einen Bericht über die Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenlage zu Diskriminierungen von LGBTI-Personen. Er erfüllte damit ein 2017 überwiesenes Postulat Reynard (sp, VS). Im Bericht stellte der Bundesrat fest, dass die Datenlage zu Diskriminierungen aufgrund sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität «heute tatsächlich sehr dünn» sei. Allerdings sei die entsprechende Datenerhebung auch «keine einfache Angelegenheit», wie eine in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie des SKMR gezeigt habe. Quantitative Bevölkerungsumfragen eigneten sich dazu eher schlecht. LGBTI-Personen bildeten keine homogene Gruppe, weshalb Zahlen zu den verschiedenen Ausprägungen separat erhoben werden müssten. Dabei handle es sich jedoch um zahlenmässig kleine Gruppen, die zudem mangels Erhebungsrahmen in Form eines Registers o.ä. schwierig zu identifizieren seien, sodass es «eine grosse Herausforderung» sei, eine repräsentative Stichprobe der LGBTI-Bevölkerung zu gewinnen. Überdies seien Diskriminierungserfahrungen aufgrund unterschiedlicher Wahrnehmungen und Selbsteinschätzungen subjektiv. Um sie allenfalls in standardisierte Bevölkerungsumfragen integrieren zu können, müssten durch qualitative Forschung zuerst geeignete Fragestellungen zur Erfassung des Phänomens entwickelt werden. Damit könnte auch ein vertieftes Verständnis von Mehrfachdiskriminierungen gewonnen werden – eine explizite Forderung des Postulats. In diesem Sinne ermutigte die Regierung Forscherinnen und Forscher dazu, Projekte mit entsprechendem Schwerpunkt beim Schweizerischen Nationalfonds einzureichen. Abschliessend verwies der Bundesrat auf laufende Arbeiten zur Verbesserung der Datenlage zu Hassverbrechen – eine Konsequenz der Aufnahme des Verbots der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in das Strafgesetzbuch; am Ende dieses Prozesses sollte das BFS im Rahmen der polizeilichen Kriminalstatistik Zahlen zu Diskriminierung durch Hassverbrechen aufgrund der Geschlechterzugehörigkeit oder der sexuellen Orientierung ausweisen können.

Datenerhebung zu Diskriminierungen, die auf sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität beruhen, mit Augenmerk auf Mehrfachdiskriminierungen (Po. 16.3961)

Im März 2022 forderten Ständerat Sommaruga (sp, GE) und die Fraktion der SP (Mo. 22.3214) im Nationalrat in fast identischen Motionen die Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern. Die Taskforce solle die Guthaben von reichen russischen und belorussischen Staatsangehörigen, die auf der Liste der im Kontext des Ukrainekriegs sanktionierten Personen stehen, finden, sperren und gegebenenfalls konfiszieren. Sommaruga und die SP-Fraktion nannten eine ähnliche Taskforce aus den Vereinigten Staaten als Vorbild und kritisierten das SECO dafür, dass es seit Kriegsbeginn nur eine Deklarationspflicht für solche Gelder eingeführt habe. Der Bundesrat gestand in seiner Stellungnahme, dass die Umsetzung der Sanktionen die verschiedenen Departemente vor neue Herausforderungen stelle. Die Prozesse zwischen Bundesbehörden und privaten Unternehmen funktionierten jedoch gut und seien effizient, zumindest deuteten die zahlreichen Meldungen und die hohe Summe an eingefrorenen Vermögenswerten darauf hin. Die Schaffung einer Taskforce erachtete der Bundesrat zu jenem Zeitpunkt daher als nicht notwendig. Die Schweiz habe zudem auf Einladung der Europäischen Kommission schon an mehreren Treffen der EU-Taskforce «Freeze and Seize» teilgenommen und werde sich weiterhin darum bemühen, die Wirksamkeit der Sanktionsdurchsetzung in Europa zu stärken. Aus diesen Gründen beantragte der Bundesrat die Ablehnung beider Motionen.

In der Sommersession 2022 diskutierte der Ständerat über die Motion Sommaruga und beschloss auf einen Ordnungsantrag von Benedikt Würth (fdp, SG), den Vorstoss zur Vorprüfung der zuständigen Kommission zuzuweisen. Würth erklärte, dass es unabhängig vom Ukraine-Krieg einige Entwicklungen im Bereich der «Financial Action Task Force» gebe, beispielsweise zur Identifizierung der wirtschaftlich berechtigten Personen bei juristischen Personen. Er verlangte daher, dass der Ständerat einen Bericht des EFD zur Feststellung der wirtschaftlich Berechtigten von juristischen Personen an den Bundesrat im dritten Quartal 2022 abwarten solle, um dessen Erkenntnisse in die Beurteilung einfliessen zu lassen. Motionär Sommaruga begrüsste den Ordnungsantrag, da das heikle Thema noch einige vertiefte Abklärungen nötig mache. Sommaruga forderte, dass sich die Rechtskommission mit der Motion befassen solle, da sie sich sowieso im Rahmen von Anhörungen mit der Thematik beschäftige. Tatsächlich wurde das Geschäft in der Folge der RK-SR zugewiesen.

Ebenfalls in der Sommersession 2022 befasst sich der Nationalrat im Rahmen einer ausserordentlichen Session mit der Motion der SP-Fraktion. Baptiste Hurni (sp, NE) kritisierte den Bundesrat scharf dafür, dass die Schweiz bislang nur CHF 6 Mrd. von insgesamt über CHF 200 Mrd. blockiert habe, die gemäss Schätzungen der Schweizerischer Bankiervereinigung in der Schweiz liegen würden. Er störte sich auch daran, dass der Bundesrat zwar von der multilateralen Taskforce «Russian Elites, Proxies, and Oligarchs» der G7-Staaten Kenntnis genommen habe, aber noch keine Entscheidung betreffend eine Teilnahme gefällt habe. Auch seine Parteikollegin Mattea Meyer (sp, ZH) plädierte dafür, mehr Gelder zu blockieren und den Krieg in der Ukraine «nicht mehr aus der Schweiz heraus» mitzufinanzieren. Die Meldepflicht des SECO sei hierfür nicht ausreichend, denn es sei zu einfach, die jetzigen Kontrollen zu umgehen. Die Grünliberalen kritisierten in der Person von Jürg Grossen (glp, BE) die mangelhafte Umsetzung der beschlossenen Sanktionen. Man anerkenne zwar, dass die Sperrung der Vermögenswerte nicht einfach sei – beispielsweise weil die Betroffenen mehrere Staatsbürgerschaften hätten –, aber man erwarte die Schaffung eines sauberen rechtstaatlichen Verfahrens, wie dies auch beim Potentatengeldergesetz geschehen sei. Grossen meinte, dass eine Taskforce diesbezüglich eine wichtige Aufnahme übernehmen könne. Auch die Fraktion der Grünen unterstützte das Motionsanliegen. Die Mitte sei zwar dafür, dass Bewegung in die Sanktionsumsetzung komme, lehne das Motionsanliegen jedoch ab, erklärte Philipp Bregy (mitte, VS). Die Beschlagnahmung von Vermögen sei rechtsstaatlich nicht vertretbar, nur eine Sperrung wäre vorstellbar. Da sich die Motion inhatlich nicht splitten lasse, lehne die Mitte diese deswegen ab. Bregy kündigte aber an, dass man das Thema einer Taskforce in der APK-NR wieder aufnehmen werde, falls der Bundesrat den Prozess nicht selber vorantreibe. Beat Walti (fdp, ZH) erklärte hingegen, dass die FDP mit der Arbeit der bestehenden Koordinationsgruppe Sanktionspolitik zufrieden sei und auch die «Bestrebungen bezüglich der Mitwirkung in der international ausgerufenen Taskforce» für erfolgversprechend befände. Gregor Rutz (svp, ZH) lehnte die Motion schliesslich im Namen der SVP-Fraktion gänzlich ab und warf den Unterstützerinnen und Unterstützern vor, sich gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats zu wenden. Bundesrat Parmelin erläuterte, dass die Umsetzung der Sanktionen durch die betroffenen Bundesstellen mittlerweile effizient verlaufe und auch Vermögenswerte eingefroren würden. Eine neue Taskforce erbringe keinen Mehrwert, da die Behörden im Rahmen der geltenden Rechtsgrundlagen bereits nach Vermögen suchten und diese blockieren könnten. Eine Einziehung von Vermögenswerten wäre hingegen rechtlich nicht möglich und würde eine Gesetzesrevision nötig machen, erläuterte der Bundesrat. Die grosse Kammer lehnte den Vorstoss der SP-Fraktion mit 103 zu 78 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen den Willen der SP, der Grünliberalen und der Grünen ab.

Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern (Mo. 22.3236 & Mo. 22.3883)

In der Sommersession 2022 lehnte der Nationalrat auf Anraten des Bundesrates eine Motion Reynard (sp, VS) ab, die verlangt hätte, dass sich jede Frau auch über die 12. Schwangerschaftswoche hinaus für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch entscheiden kann, ohne dass sie sich in Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder in einer seelischen Notlage befinden muss. Die nach Ausscheiden Reynards aus dem Rat von Christian Dandrès (sp, GE) übernommene Motion fand Zustimmung in den geschlossenen Reihen der SP, der Grünen und der GLP, wurde von den drei verbleibenden bürgerlichen Fraktionen jedoch nicht minder deutlich abgelehnt.

Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Eine bevormundende Gesetzgebung ändern (Mo. 20.4140)

Im Sommer 2022 genehmigte der Nationalrat die Abschreibung eines Postulats Reynard (sp, VS) zur Verbesserung der Sicherheit von mit dem Internet verbundenen Produkten. Der Bundesrat hatte sich im Bericht zu Sicherheitsstandards für Internet-of-Things-Geräte mit dem Postulat befasst und im Anschluss dessen Abschreibung beantragt.

Verbesserung der Sicherheit von mit dem Internet verbundenen Produkten (Po. 19.3199)

Près de quatre mois après le rejet dans les urnes du train de mesures en faveur des médias, l'initiative parlementaire de la Commission des transports et des télécommunications (CTT-CN) figurait au menu du Conseil national. Ayant pour but de reprendre certaines mesures incontestées lors des débats sur l'aide aux médias, l'objet avait déjà suscité des désaccords au sein des commissions compétentes. Il en fût de même devant la chambre basse qui a finalement rejeté l'initiative parlementaire par 92 voix contre 87, et 6 abstentions. Une courte majorité composée des fractions UDC, PLR et verte libérale, a bénéficié de l'appui de quatre membres du Centre pour faire pencher la balance. Comme lors de la votation de février, un affrontement gauche-droite a eu lieu, avec le Centre comme juge de paix. A la tribune, le zurichois Philipp Kutter (centre, ZH) a exposé, au nom de la commission, les raisons qui ont poussé la CTT-CN à déposer cette initiative. Alors qu'il a lui-même rejeté le paquet d'aide aux médias, le trouvant trop généreux, il pense néanmoins, comme une majorité de la commission, que le besoin d'agir demeure. En ne reprenant que des mesures n'ayant pas suscité la controverse, le but n'était pas de remettre en question la décision populaire: Kutter a souligné que la commission a renoncé à une extension de l'aide indirecte à la presse ainsi qu'à l'introduction d'une aide aux médias en ligne. Le reproche d'un déni de démocratie émanait pourtant des propos de l'UDC Gregor Rutz (udc, ZH). Pour le parlementaire agrarien, l'acceptation des résultats d'une votation est tout aussi important pour le fonctionnement d'une démocratie que le sont les médias. D'après lui, cette proposition de reprendre des éléments du paquet d'aide arrive donc trop vite. Appelant à attendre le rapport sur le postulat Christ (pvl, BS) pour une réflexion à tête reposée, le député Rutz a rallié la majorité de la chambre du peuple à ses propos.

Aide aux médias. Développer ce qui fonctionne (Iv.pa. 22.425)
Dossier: Vorstösse zur Presseförderung (2000-)
Dossier: Medienförderungspolitik nach dem Scheitern des Medienpakets