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  • Rutz, Gregor (svp/udc, ZH) NR/CN
  • Nidegger, Yves (svp/udc, GE) NR/CN

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La CTT-CN a décidé, par 12 voix contre 11, de ne pas donner suite à l'initiative parlementaire visant à soumettre la Société suisse de radiodiffusion et télévision (SSR) au Contrôle fédéral des finances (CDF). Elle estime que les mesures prévues par la loi fédérale sur la radio et la télévision (LRTV) sont suffisamment complètes et permettent de protéger la SSR de l’influence de l’Etat sur la conception des programmes. Elle propose donc au Conseil national de rejeter l'initiative. Une minorité, emmenée par Gregor Rutz (udc, ZH), a rappelé que des entreprises d'importance comparable, auxquelles la Confédération a délégué des tâches, sont elles soumises au CDF. Par déduction, la minorité estime que la SSR devrait donc aussi être soumise cas au CDF.

Soumettre la Société suisse de radiodiffusion et télévision (SSR) au Contrôle fédéral des finances (Iv.pa. 22.498)

In der Wintersession 2022 gelangte die parlamentarische Initiative Molina (sp, ZH) betreffend die Verbesserung des Abwehrdispositivs gegen Potentatengelder ins Plenum des Nationalrats. Die Mehrheit der vorberatenden RK-NR beantragte, der Initiative keine Folge zu geben. Gemäss Kommissionssprecher Yves Nidegger (svp, GE) befürchtete sie einen Widerspruch der Forderung zur grundrechtlichen Eigentumsgarantie. Der Vorstoss schaffe zudem eine generelle Korruptionsvermutung gegenüber Personen, die aus einem Land stammten, welches unter Korruption leide oder dessen Rechtsstaat in den Augen der Schweiz ungenügend ausgebaut sei. Eine Minderheit Dandrès (sp, GE) beantragte, der Initiative Folge zu geben. Aufgrund ihrer Stellung im internationalen Finanzplatz sehe sich die Schweiz dem grossen Risiko ausgesetzt, zum sicheren Hafen für Gelder von Potentaten oder diktatorischen Regimen zu werden. Die präventive Blockierung von Gütern oder Vermögenswerten aus illegalem Handel oder Korruption reduziere dieses geopolitische Risiko, so Dandrès. Ausserhalb der sozialdemokratischen, der grünen und der grünliberalen Fraktionen überzeugten diese Argumente allerdings nicht; der Nationalrat gab der parlamentarischen Initiative mit 108 zu 81 Stimmen bei einer Enthaltung keine Folge.

Améliorer le dispositif de lutte contre les avoirs de potentats (In. Pa. 21.523)

In der Wintersession 2022 stimmte der Nationalrat erstmals über ein gesetzliches Verbot von Konversionsmassnahmen ab. Obschon bereits einige Vorstösse zur gesetzlichen Regelung von Konversionstherapien im Parlament eingereicht worden waren, wurden diese angesichts der vorliegenden Kommissionsmotion der RK-NR allesamt in der Herbstsession 2022 zurückgezogen. Die Motion der RK-NR beabsichtigt, eine Gesetzesgrundlage für ein Verbot von Konversionstherapien und eine entsprechende Strafnorm zu erschaffen. Als Konversionsmassnahmen werden Methoden bezeichnet, die auf eine Veränderung der Geschlechteridentität oder der sexuellen Orientierung einer Person abzielen. Die RK-NR hob insbesondere die Notwendigkeit einer einheitlichen, bundesweiten Regelung hervor, um einen kantonalen Flickenteppich zu vermeiden. Der Bundesrat argumentierte, dass lieber zuerst ein Bericht des EDI zur Erfüllung eines Postulats von Siebenthal (svp, BE; Po. 21.4474) abgewartet werden sollte, da dieser eine Einschätzung zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung von Konversionsmassnahmen enthalten werde. Ebenso stellte sich eine Minderheit Nidegger (svp, GE) gegen den Vorstoss. Der Nationalrat sprach sich hingegen mit 143 zu 37 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) klar für ein Verbot von Konversionsmassnahmen aus, wobei mehr als die Hälfte der SVP-Fraktion sowie je zwei Mitglieder der FDP- respektive Mitte-Fraktion den Vorstoss ablehnten.

Kommissionsmotion verlangt Verbot von Konversionsmassnahmen (Mo. 22.3889)
Dossier: Verbot von Konversionstherapien

Der Nationalrat befasste sich in der Wintersession 2022 mit fünf gleichlautenden parlamentarischen Initiativen mit dem Titel «Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur» von Vertreterinnen und Vertretern der Grünen-, der GLP-, der FDP.Liberalen-, der SP- sowie der Mitte-Fraktion. Marionna Schlatter (gp, ZH) und Jon Pult (sp, GR) erläuterten den Initiativtext und setzten sich dafür ein, dass in der Bundesverfassung ein Grundrecht auf eine gesunde Umwelt festgeschrieben wird. Zudem solle in der BV auch eine Grundlage dafür geschaffen werde, dass die Natur zumindest teilweise eine Rechtspersönlichkeit erhält. Nur dadurch könne der ungenügende Schutz der Natur justiziabel gemacht werden. Anschliessend empfahl Yves Nidegger (svp, GE) im Namen der Mehrheit der RK-NR, den fünf Initiativen keine Folge zu geben. Zum einen sei die Bestimmung des Rechts auf eine gesunde Umwelt zu unbestimmt, um dieses zu einem Verfassungsrecht zu erklären. Zum anderen sei die Forderung, die Natur zum Rechtssubjekt zu machen, in der Schweizer Rechtsordnung nicht vorgesehen, denn einem Rechtssubjekt stünden gemäss der hiesigen Rechtsordnung nicht nur Rechte zu, sondern oblägen auch gewisse Pflichten, die man der Natur nicht auferlegen könne. In der Abstimmung sprachen sich 87 Mitglieder des Nationalrates für Folgegeben aus, 101 votierten dagegen und 1 Person enthielt sich der Stimme. Gegen Folgegeben stimmten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion sowie die fast geschlossen stimmenden Fraktionen der FDP.Liberalen und der Mitte. Die fünf parlamentarischen Initiativen sind damit erledigt.

Fünf gleichlautende parlamentarische Initiativen mit dem Titel "Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur"

Sollen Abstimmungsresultate aus Kommissionssitzungen veröffentlicht werden? Ja, findet Andreas Glarner (svp, AG) und forderte mittels parlamentarischer Initiative Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen. Bürgerinnen und Bürger hätten das Recht darauf zu wissen, ob die von ihnen gewählten Abgeordneten auch in den Kommissionen «die im Wahlkampf und auf Podien versprochenen Positionen» vertreten, so die Begründung des Initianten. Nein, fand hingegen die Mehrheit der SPK-NR, die mit 18 zu 6 Stimmen empfahl, der Initiative keine Folge zu geben. Kommissionsmitglieder müssten frei und ohne Handlungsdruck auch mal ihre Meinung ändern können, damit Kompromisse möglich werden, so die Argumentation im Kommissionsbericht. Zudem sei bereits heute eine gewisse Transparenz gegeben, weil im Falle von Minderheitsanträgen die Namen der entsprechenden Antragstellenden in Kommissionsberichten und auf den Fahnen veröffentlicht würden.
Zwei der sechs Mitglieder der SVP-Fraktion, die die Kommissionsminderheit bildeten, meldeten sich bei der Ratsdebatte zur Initiative in der Wintersession 2022 zu Wort: Zuerst führte der Initiant selber aus, dass es ihm nicht um eine Offenlegung der Kommissionsprotokolle gehe, sondern lediglich um die Publikation der Abstimmungsresultate. Gregor Rutz (svp, ZH) sekundierte mit dem Argument, dass man auch mit der geforderten Transparenz seine Meinung ändern dürfe, um notwendige Kompromisse zu schmieden. In diesem Falle könne man dies den eigenen Wählerinnen und Wählern dann auch erklären. Für die Kommissionsmehrheit sprachen Greta Gysin (gp, TI) und Gerhard Pfister (mitte, ZG). Neben der Notwendigkeit von Vertraulichkeit für Deliberation hinterfragte Pfister auch den Mehrwert einer Publikation von Abstimmungsresultaten, wenn die ihnen zugrundeliegenden Debatten und Argumente nicht ebenfalls veröffentlicht würden. In der Abstimmung folgte einzig die geschlossen stimmende SVP-Fraktion der Minderheit und der Initiative wurde mit 139 zu 51 Stimmen keine Folge gegeben.

Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen (Pa.Iv. 21.444)

In der Wintersession 2022 gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Dandrès (sp, GE), wonach Entschädigungen und Kosten bei Schiedsgerichtsverfahren im Rahmen von Massenentlassungen von der öffentlichen Hand getragen werden sollen, mit 125 zu 69 Stimmen keine Folge. Eine Mehrheit des Rates war der Ansicht, dass private Schiedsgerichtsverfahren nicht durch die öffentliche Hand bezahlt werden sollten. Nachdem bereits im Mai 2022 eine Mehrheit der vorberatenden RK-NR die vorgeschlagene Anpassung des OR mit 16 zu 9 Stimmen abgelehnt hatte, war die Initiative damit erledigt.
Man müsse nicht eine Lösung suchen, wo kein Problem bestehe, meinte Kommissionssprecher Yves Nidegger (svp, GE) im Rat. Mehrere Kantone böten bereits öffentliche Schiedsgerichte an, welche die Kosten auf die Arbeitgebenden überwälzen könnten. Seit der Einführung der entsprechenden Bestimmung im OR sei es zudem zu verhältnismässig wenigen Schiedsgerichtsfällen gekommen, weshalb eine Gesetzesänderung nicht notwendig sei. Der Initiant erläuterte das aktuelle System: Bei Massenentlassungen in Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden – in diesen Fällen greift die 2014 eingeführte Pflicht zur Findung eines Sozialplans – würden die Kosten eines Schiedsgerichts den beiden Parteien auferlegt. Dies führe dazu, dass Arbeitnehmende eher auf unvorteilhafte Konditionen eingingen, um lange und teure Verfahren zu vermeiden. Würde hingegen die öffentliche Hand diese Kosten tragen, so könnte dieser Missstand behoben werden. Schliesslich sei es normal, dass die Allgemeinheit für die Kosten einer gesetzlichen Pflicht aufkomme, versuchte Dandrès vergeblich, den Rat zu überzeugen.

Entschädigungen und Verfahrenskosten bei Verfahren vor einem Schiedsgericht nach Massenentlassungen (Pa.Iv. 21.430)

Der Nationalrat beugte sich in der Wintersession 2022 als Zweitrat über die Revision des Sexualstrafrechts. Wie bereits in der Ständekammer wurde das Ziel des Revisionsprojekts, das in die Jahre gekommene Sexualstrafrecht an die veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen, auch im Nationalrat allseits begrüsst. Eintreten war somit unbestritten.

Die Debatte um den umstrittensten Punkt der Vorlage, die Modellwahl zwischen «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein», fand in der grossen Kammer im Vergleich zum Ständerat unter umgekehrten Vorzeichen statt: Während sich in der Kantonskammer eine Minderheit der Kommission erfolglos für die Zustimmungslösung ausgesprochen hatte, beantragte im Nationalrat die Mehrheit der vorberatenden Rechtskommission die Verankerung des «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzips im Strafgesetzbuch. Gemäss Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) wolle man damit klar zum Ausdruck bringen, «dass einvernehmliche sexuelle Handlungen im Grundsatz immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen sollen» und «dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung betrachtet wird». Mit der Zustimmungslösung solle bei der Aufklärung von Sexualdelikten zudem mehr das Verhalten des Täters oder der Täterin in den Fokus rücken, und nicht die Frage, ob und wie sich das Opfer gewehrt habe. Letzteres solle sich nicht schuldig fühlen, wenn es nicht in ausreichendem Mass Widerstand geleistet habe. Demgegenüber fordere die «Nein heisst Nein»-Lösung vom Opfer weiterhin einen zumutbaren Widerstand. Bundesrätin Karin Keller-Sutter argumentierte hingegen, dass das Widerspruchsprinzip klarer sei. Jemand könne auch aus Angst oder Unsicherheit Ja sagen, ohne dies tatsächlich zu wollen, wohingegen ein explizites oder stillschweigendes Nein – etwa eine ablehnende Geste oder Weinen – nicht als Zustimmung missverstanden werden könne. Über ein geäussertes Nein könne das Opfer im Strafverfahren allenfalls aussagen, über ein fehlendes Ja jedoch nicht, denn einen Negativbeweis gebe es nicht, ergänzte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS), der mit seiner Minderheit ebenfalls für «Nein heisst Nein» eintrat. Wie schon im Ständerat herrschte derweil auch im Nationalrat weitgehende Einigkeit, dass der Unterschied zwischen den beiden Varianten juristisch gesehen «verschwindend klein» sei, wie es Tamara Funiciello (sp, BE) ausdrückte, und es vor allem um Signale gehe. Während die Advokatinnen und Advokaten der Zustimmungslösung darin eine gesellschaftliche Haltung sahen, die die sexuelle Selbstbestimmung betone, erachteten die Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchslösung das Strafrecht nicht als den richtigen Ort für Symbolik – so fasste Christa Markwalder (fdp, BE) die Positionen in ihrer gespaltenen Fraktion zusammen. Als eine Art Mittelweg bewarb eine Minderheit Nidegger (svp, GE) unterdessen die im Ständerat gescheiterte Umformulierung des Widerspruchsprinzips. Diese wollte durch die explizite Nennung von verbaler und nonverbaler Ablehnung die Fälle von sogenanntem Freezing – wenn das Opfer in einen Schockzustand gerät und dadurch widerstandsunfähig ist – besser abdecken. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte indes, auch mit der Widerspruchslösung seien Freezing-Fälle abgedeckt und die Minderheit Nidegger bringe somit keinen Mehrwert. Die Minderheit Nidegger unterlag der «Nein-heisst-Nein»-Lösung wie vom Bundesrat vorgeschlagen denn auch deutlich mit 118 zu 64 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Ebenso chancenlos blieb die Minderheit Reimann (svp, SG), die statt dem vorgesehenen Kaskadenprinzip in Art. 189 und 190 StGB – einer Definition des Grundtatbestands ohne Nötigung (Abs. 1), wobei Nötigung sowie Grausamkeit als zusätzliche Erschwernisse in den Absätzen 2 und 3 aufgeführt werden – einen eigenen Tatbestand für Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung schaffen wollte, sodass das Nötigungselement in den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bliebe. Dieses Konzept war allerdings bereits in der Vernehmlassung harsch kritisiert worden. «Nur Ja heisst Ja» setzte sich schliesslich mit 99 zu 88 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen «Nein heisst Nein» durch. Zum Durchbruch verhalfen der Zustimmungslösung neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP Minderheiten aus der FDP- und der Mitte-Fraktion sowie SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE).

Neben der Modellwahl diskutierte die grosse Kammer auch die Strafrahmen ausführlich. Hier hielt sie sich mit einer Ausnahme überall an die Vorschläge ihrer Kommissionsmehrheit und lehnte zahlreiche Minderheitsanträge aus den Reihen der SVP- und der Mitte-Fraktion ab, die schärfere Strafen forderten. Härtere Sanktionen seien ursprünglich das Ziel der Strafrahmenharmonisierung gewesen, wovon auch die vorliegende Revision Teil sei, argumentierte Barbara Steinemann (svp, ZH). Solange «Belästiger mit symbolischen Strafen aus dem Gerichtssaal davonlaufen» könnten, sei auch die Zustimmungslösung nur ein «Ablenkungsmanöver», warf sie der Ratsmehrheit vor. Letztere wollte allerdings den Ermessensspielraum der Gerichte nicht einschränken. Es wurde befürchtet, dass die Gerichte sonst höhere Massstäbe an die Beweiswürdigung setzen könnten und es damit zu weniger Verurteilungen kommen könnte. Eine Mindeststrafe müsse immer «auch den denkbar leichtesten Fall abdecken», mahnte Justizministerin Keller-Sutter. Einzig bei der Vergewaltigung mit Nötigung – dem neuen Art. 190 Abs. 2, der im Grundsatz dem heutigen Vergewaltigungstatbestand entspricht – folgte der Nationalrat mit 95 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen der Minderheit Steinemann und übernahm die bereits vom Ständerat vorgenommene Verschärfung. Damit beträgt die Mindeststrafe für diesen Tatbestand neu zwei Jahre Freiheitsstrafe, Geldstrafen sowie bedingte Strafen sind demnach ausgeschlossen. Vergewaltigerinnen und Vergewaltiger müssen damit künftig zwingend ins Gefängnis. Bisher betrug die Mindeststrafe für Vergewaltigung ein Jahr Freiheitsstrafe, wobei diese auch (teil-)bedingt ausgesprochen werden konnte.

In einem zweiten Block beriet die Volkskammer noch diverse weitere Anliegen im Bereich des Sexualstrafrechts. Die Forderung einer Minderheit Funiciello, dass verurteilte Sexualstraftäterinnen und -täter obligatorisch ein Lernprogramm absolvieren müssen, wie dies bei häuslicher Gewalt oder Pädokriminalität bereits der Fall ist, wurde mit 104 zu 85 Stimmen abgelehnt. Da die Art des Delikts nicht berücksichtigt würde, handle es sich um eine «undifferenzierte Massnahme», so Kommissionssprecherin von Falkenstein. Mit 98 zu 84 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat indessen dafür aus, die Altersgrenze für die Unverjährbarkeit von Sexualverbrechen auf 16 Jahre anzuheben. Bislang lag diese bei 12 Jahren, wie es bei der Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative festgelegt worden war. Die Mehrheit argumentierte, so falle die Grenze für die Unverjährbarkeit mit dem Alter der sexuellen Mündigkeit zusammen. Den neuen Tatbestand der Rachepornografie hiess die grosse Kammer stillschweigend gut, verfrachtete ihn aber in einen anderen Artikel innerhalb des StGB. Anders als der Ständerat nahm der Nationalrat stillschweigend auch einen Tatbestand für Grooming ins Gesetz auf. In der Vernehmlassung sei dieser Vorschlag sehr positiv aufgenommen worden, erklärte die Kommissionssprecherin. Das Anliegen einer Minderheit von Falkenstein, sexuelle Belästigung nicht nur in Form von Wort, Schrift und Bild zu bestrafen, sondern auch andere sexuell konnotierte Verhaltensweisen – beispielsweise Gesten oder Pfiffe – unter Strafe zu stellen, scheiterte mit 96 zu 93 Stimmen knapp. Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnte vor einer «uferlosen Strafbarkeit», da mit der geforderten Ergänzung die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten unklar wäre. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Einzelantrag von Léonore Porchet (gp, VD), die ein Offizialdelikt für sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum einführen wollte. Die betroffene Person solle selbst entscheiden können, ob sie eine Strafverfolgung wünsche oder an ihrer Privatsphäre festhalten möchte, argumentierte Justizministerin Keller-Sutter dagegen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Entwurf mit 127 zu 58 Stimmen bei 5 Enthaltungen an. Mit der Ausnahme von Céline Amaudruz stellte sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Sie wurde von einigen Stimmen aus der Mitte-Fraktion unterstützt, aus der auch die Enthaltungen stammten. Das Ergebnis war Ausdruck der Enttäuschung des rechtsbürgerlichen Lagers über die ablehnende Haltung des Rats gegenüber Strafverschärfungen. SVP-Vertreterin Steinemann hatte schon in der Eintretensdebatte angekündigt, dass ihre Fraktion die Vorlage ablehnen werde, «sofern nicht deutlich schärfere Sanktionen resultieren».

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Im November 2022 reichten die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte zwei fast gleichlautende Kommissionsmotionen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft ein. Während sowohl die APK-NR (Mo. 22.4278) als auch die APK-SR (Mo. 22.4274) den Bundesrat damit beauftragen wollten, angemessene Massnahmen zu ergreifen, um die iranische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf für Frauen- und Menschenrechte zu unterstützen, forderte die nationalrätliche Motion zusätzlich die vollständige Übernahme der EU-Sanktionen gegen Mitglieder des iranischen Regimes. Beide Kommissionen begründeten ihre Vorstösse damit, dass das iranische Regime mit physischer Gewalt gegen die zivilgesellschaftlichen Proteste vorgehe und iranische NGOs daher finanziell und durch weitere geeignete Massnahmen unterstützt werden müssten.
Eine Kommissionsminderheit Nidegger (svp, GE) in der APK-NR und eine Kommissionsminderheit Chiesa (svp, TI) in der APK-SR beantragten, die Motionen abzulehnen. Auch der Bundesrat sprach sich für die Ablehnung beider Motionen aus, da die Schweiz bereits mit mehreren diplomatischen Interventionen auf bilateraler und multilateraler Ebene auf die jüngsten Entwicklungen reagiert habe. Das EDA führe zudem einen Menschenrechtsdialog mit dem Iran und spreche dabei auch Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen gezielt und offen an. Eine Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen sei mit erheblichen Risiken verbunden, da Vergeltungsmassnahmen gegen diese Organisationen ergriffen werden könnten, argumentierte der Bundesrat weiter. Die Schweiz arbeite gemäss dem Vorsorgeprinzip mit internationalen Organisationen zusammen, unter anderem unterstütze das EDA Projekte des UNICEF und des OHCHR im Bereich der Jugendjustiz. Die Schweizer Botschaft in Teheran fördere zudem NGO-Projekte in den Bereichen Entwicklung, humanitäre Hilfe und menschliche Sicherheit zugunsten der iranischen Bevölkerung. Der Bundesrat gewichte schliesslich die besondere Rolle der Schweiz mit ihren Schutzmachtmandaten höher als den möglichen Effekt zusätzlicher Sanktionen gegen den bereits stark sanktionierten Iran.

Während der Ständerat die Motion seiner APK in der Frühjahrssession mit 20 zu 19 Stimmen (bei 1 Enthaltung) aufgrund der Gegenstimmen der FDP-, SVP- und einiger Mitte-Mitglieder knapp ablehnte, beschloss der Nationalrat mit 105 zu 65 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gegen den Willen der SVP- und der FDP-Fraktion die Annahme der Motion seiner Kommission. Im Ständerat standen vor allem die wichtige Rolle der Schweiz mit ihren Schutzmachtmandaten im Iran und der privilegierte diplomatische Zugang zum Regime im Vordergrund. Auch in der nationalrätlichen Debatte wurden diese Bedenken aufgeworfen, verfingen aber bei der Ratsmehrheit nicht. Nationalrat Walder (gp, GE) warnte etwa davor, dass der Iran nicht davon ausgehen dürfe, dass ihm die Gewährung von Schutzmachtmandaten eine Vorzugsbehandlung durch die Schutzmächte garantiere. Die Menschenrechtsbilanz des Iran sei seit Jahren dramatisch und ein Verzicht auf weitere Sanktionen könnte als Unterstützung des Regimes interpretiert werden.

Kommissionsmotionen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft (Mo. 22.4278 & Mo. 22.4274)

30. September 2022: Der Rücktritt von Ueli Maurer

Obwohl immer wieder über seinen Rücktritt spekuliert worden war, kam die Ankündigung von Ueli Maurer, nach 14 Jahren Regierungstätigkeit Ende 2022 sein Bundesratsmandat niederzulegen, einigermassen überraschend. Maurer selber hatte nach den letzten Spekulationen vor gut einem Jahr verlauten lassen, er werde mindestens bis Ende Legislatur (also bis Oktober 2023) in der Regierung bleiben und dann vielleicht gar nochmals vier Jahre anhängen. Am 30. September 2022 liess er dann aber an einer Pressekonferenz verlauten, er wolle wieder «der normale Ueli» sein und habe noch einige private Projekte in Planung. Mit 71 Jahren war Maurer der älteste amtierende Bundesrat seit Einführung der Zauberformel. Maurer war 2008 für Samuel Schmid in den Bundesrat gewählt worden und hatte damit die kurze Oppositionsphase der SVP beendet. Er hatte zuerst das Verteidigungsdepartement übernommen, bevor er 2015 ins Finanzdepartement gewechselt war. In den Medien wurde Maurer als «erfolgreichster Politiker der Schweiz» (St. Galler-Tagblatt) beschrieben, allerdings auch dafür kritisiert, dass er häufig mit den Grenzen der Kollegialität gespielt habe und aufgrund seines schlechten Französisch nur einen «reduzierten Kontakt mit der Romandie» gepflegt habe (Le Temps). Im Parlament habe er als Finanzminister grossen Respekt genossen, gaben mehrere Parlamentsmitglieder zu Protokoll. Gelobt wurden zudem seine umgängliche Art, seine Dossierkenntnis und sein Pragmatismus. Er sei sich treu, bodenständig und bescheiden geblieben, urteilte der Blick. Der «widerborstige Bauernsohn» habe sich «nicht vom System vereinnahmen lassen», fasste die Aargauer Zeitung zusammen. Der «erstaunlich wandlungsfähige» Maurer gehöre «zu den Politikern, die zu Anfang ihrer Karriere belächelt, später gefürchtet oder gehasst und am Schluss respektiert werden», befand die NZZ. Auch der «launische Umgang» mit den Medien war Gegenstand der medialen Würdigungen: Der Tages-Anzeiger bezeichnete den SVP-Magistraten als den letzten «Oppositions-Bundesrat» – «mäandriered zwischen den Rollen als Staatsmann und Oppositioneller» habe er es allerdings geschafft, die Konkordanz nach den unruhigen Jahren nach Christoph Blocher und Eveline Widmer-Schlumpf wieder zu stabilisieren. Die Weltwoche vermutete, dass «dem Berner Politikbetrieb» die Spontanität Maurers bald fehlen werde. Kritischer urteilte die WoZ: Maurer habe «wesentlich dazu beigetragen [...], rechtspopulistische Hetze zu normalisieren».

Bereits am Tag nach der Rücktrittsankündigung überboten sich die Medien mit Spekulationen über mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger von Ueli Maurer. Am häufigsten genannt wurden die Nationalrätinnen Esther Friedli (svp, SG) und Céline Amaudruz (svp, GE), die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (ZH, svp), die Nationalräte Albert Rösti (svp, BE), Gregor Rutz (svp, ZH) und Thomas Aeschi (svp, ZG), der frühere Parteipräsident und Nationalrat Toni Brunner (SG, svp) sowie der Aargauer Regierungrat Jean-Pierre Gallati (AG, svp). Albert Rösti galt in den meisten Medien als Kronfavorit. Seine einzige Schwäche sei, dass Christoph Blocher, der «noch immer ein entscheidendes Wort mitzureden» habe, wie der Blick wusste, gegen ihn ein Veto einlegen könnte. Dies gelte nicht für Esther Friedli, die als mögliche erste SVP-Bundesrätin gehandelt wurde. Dass neben Karin Keller-Sutter eine zweite St. Gallerin bereits in der Regierung sitze, sei kein Problem, urteilten vor allem die Ostschweizer Medien. Eine früher oft gehandelte Anwärterin auf einen Bundesratssitz, Magdalena Martullo-Blocher gab hingegen noch am Tag von Maurers Rücktritt bekannt, kein Interesse am Regierungsamt zu haben. Ebenfalls unverzüglich aus dem Rennen nahmen sich Roger Köppel (svp, ZH) und Franz Grüter (svp, LU). Auch Diana Gutjahr (svp, TG) erteilte entsprechenden medialen Anfragen eine Absage, da für sie «als junge Mutter [...] der richtige Zeitpunkt für eine Bundesratskandidatur nicht gegeben» sei, wie das St. Galler-Tagblatt bedauerte. Auch Toni Brunner schloss einen Rücktritt auf die nationale Bühne bald aus und nach einiger Bedenkzeit verzichtete auch seine Lebenspartnerin Esther Friedli. Sie wolle ihre regionale Verankerung für den Ständeratswahlkampf nutzen, der aufgrund des Rücktritts von Paul Rechsteiner (sp, SG) im kommenden Frühling 2023 anstand. Bundesrätin werden sei hingegen kein Lebensziel von ihr.

Nachdem sowohl Natalie Rickli als auch der ebenfalls angefragte Regierungsrat Ernst Stocker (ZH, svp) und auch Gregor Rutz bekannt gegeben hatten, nicht für die Nachfolge Maurers kandidieren zu wollen, schien sich abzuzeichnen, dass der Kanton Zürich in Kürze zum zweiten Mal in der Geschichte nicht im Bundesrat vertreten sein könnte. Nur während knapp sieben Jahren zwischen dem Rücktritt von Elisabeth Kopp (1989) und der Wahl von Moritz Leuenberger (1995) war der bevölkerungsreichste Kanton der Schweiz nicht in der eidgenössischen Regierung präsent gewesen und stellte folglich bisher mit 20 Magistratinnen und Magistraten die meisten Bundesratsmitglieder aller Kantone. Von einer «Blamage» für die kantonalzürcherische SVP, die es versäumt habe, rechtzeitig für mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger zu sorgen, sprach in der Folge der Tages-Anzeiger. Dass der Zürcher Flügel nicht vertreten sei, sei aber auch darauf zurückzuführen, dass die Kantonalpartei aufgrund der reihenweisen Absagen eine «Partei der Nein-Sager» sei, so der Blick weiter. Die «oppositionelle DNA der Zürcher SVP» entpuppe sich jetzt als Nachteil, analysierte die Aargauer Zeitung.

Im Gegensatz zum «Personalproblem» der Zürcher habe die Berner SVP einen Kandidaten zu viel, kommentierte der Tages-Anzeiger die Kandidatur von Werner Salzmann (svp, BE), der am 6. Oktober als erster offiziell ankündigte, Bundesrat werden zu wollen. Der Berner Ständerat betonte, er sei als Oberst der Schweizer Armee und Sicherheitspolitiker ein idealer Kandidat für das VBS. Salzmann stamme aus der Familie des BGB-Parteigründers Rudolf Minger, dem ersten Bundesrat der BGB (und späteren SVP) und habe entsprechend ein «Bundesrat-Gen», so der Tages-Anzeiger. Salzmann könne dem Favoriten Rösti zwar gefährlich werden, innerhalb der Berner SVP werde aber befürchtet, dass der Ständeratssitz verloren gehen könnte, wenn Salzmann in den Bundesrat gewählt würde, spekulierte der Tages-Anzeiger weiter. Wenige Tage später, am 10. Oktober 2023, gab auch Albert Rösti seine Kandidatur bekannt. Der Zweikampf zwischen den beiden Bernern bringe ein wenig Salz in den Wahlkampf, urteilte La Liberté. Allerdings vermuteten die Medien, dass der ehemalige Parteipräsident Rösti im Parlament mehr Rückhalt habe als Salzmann. Die BZ urteilte entsprechend, dass Röstis Kandidatur höchstens «wegen internen Widerstands» scheitern könnte. Die NZZ befand gar, dass die Kandidatur Röstis für Langeweile sorge, weil der «anstandslos anständige [...] Panorama-Politiker» kaum anecke – was eine wichtige Voraussetzung sei, um genügend Stimmen aus dem Parlament zu erhalten. Skeptischer zeigte sich die WoZ, die sich fragte, weshalb dem «Ölkönig», der «eine riesige Schadensbilanz» aufweise, so viele Sympathien zuflögen. Starke Kritik erwuchs Rösti auch in der Weltwoche, die befürchtete, dass Rösti seinen SVP-Kurs wohl aufgeben werde, wenn er im Bundesrat sitzen werde. Roger Köppel, Chefredaktor der Weltwoche, warnte vor einem «Kuckucksei» und einem «Trojanischen Pferd» für die SVP im Bundesrat. Rösti sei «der Prototyp eines Pöstchenjägers, ein Hansdampf an allen Kassen» und er sei mit seinem «Naturell des Jasagers» und als «Briefträger bezahlter Interessen» «der Falsche». Im Sonntagsblick wurde vermutet, dass «Atom-Rösti» auch deshalb im Parlament die grössten Chancen habe, weil er nicht die Kernthemen der SVP vertrete, sondern Energiepolitik betreibe. Würde er dem UVEK vorstehen, wäre dies «ein Coup», so der Sonntagsblick. Die zahlreichen Lobby-Mandate Röstis waren in der Folge ein ziemlich häufiges mediales Thema. Der Blick erinnerte schliesslich daran, dass die SVP mit den letzten Berner Vertretern in der Landesregierung nicht sehr glücklich gewesen sei. Sowohl Adolf Ogi, der innerparteilich als zu europafreundlich gegolten habe, als auch Samuel Schmid, der als «halber Bundesrat» bezeichnet worden war, hätten in der SVP selber nur wenig Rückhalt gehabt.

Am 15. Oktober gab der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (ZG, svp), seit 2006 in der Zuger Kantonsregierung, bekannt, dass er die Innerschweiz und einen «boomenden Kanton» vertreten wolle. Als «zupackender Wirtschaftspolitiker» wolle er den beiden Berner Bewerbungen etwas entgegensetzen und der Partei eine Auswahl bieten. Es sei nicht gut, dass die Zentralschweiz seit dem Rücktritt von Kaspar Villiger im Jahr 2003 nicht mehr im Bundesrat vertreten sei. In zahlreichen Gesprächen sei er darauf aufmerksam gemacht worden, dass «diese Region wieder eine Stimme in der Landesregierung haben» müsse. Er wolle aber auch alle anderen finanzstarken Kantone vertreten, so Tännler in der Ankündigung seiner Kandidatur. In den Medien wurden Tännler trotz Exekutiverfahrung eher geringe Chancen eingeräumt, da er im Gegensatz zu Salzmann und Rösti nicht dem Bundesparlament angehöre, was häufig ein Nachteil sei. Zudem stehe er als Finanzdirektor des reichen Kantons Zug vor allem bei Linken in Verdacht, «Politik für die Reichen und Mächtigen zu machen», so die Bewertung der NZZ.

Am 18. Oktober meldete auch Michèle Blöchliger (svp, NW), seit 2018 Gesundheitsministerin des Kantons Nidwalden, ihre Ambitionen an. Sie sei überzeugt, dass sie «den nötigen Rucksack» mitbringe, den es für das Amt als Bundesrätin brauche: Sie sei sich gewohnt, das Kollegialitätsprinzip zu achten, habe politische Exekutiverfahrung und bringe mit einer englischsprachigen Mutter wichtige Sprachkompetenzen mit. Die SVP könne aufatmen, weil sie doch noch eine Frau gefunden habe, befand 24Heurers. Für die Nidwaldner Regierungsrätin und Rechtsanwältin «mit juristischem Gewissen», wie die Nidwaldner Zeitung wusste, spreche nicht nur ihr Geschlecht, sondern auch der Umstand, dass aus dem Innerschweizer Kanton noch nie jemand in der Landesregierung gesessen habe. Zudem sei sie parteiintern gut vernetzt und der Umstand, dass auch innerhalb der SVP viele eine Frau auf einem Zweierticket forderten, erhöhe ihre Chancen ebenfalls, waren sich viele Medien einig. Allerdings sei sie in Bundesbern etwa auch im Vergleich zu Tännler praktisch unbekannt und liefe Gefahr, sich «in einer undankbaren Rolle als Alibikandidatin» wiederzufinden, prognostizierte die NZZ. Für Schlagzeilen sorgte in der Folge die Aussage Blöchligers, dass Wikipedia nicht zutreffende Angaben über sie verbreite. Sie besitze – im Gegensatz zu den Informationen auf Wikipedia – die britische Staatsangehörigkeit seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr. Der Tages-Anzeiger, der diese Aussage überprüfte, fand allerdings heraus, dass Blöchliger nie formell auf den britischen Pass verzichtet habe. Die Zeitung machte daraus auch deshalb eine Geschichte, weil die SVP 2019 mit einem Vorstoss – erfolglos – das Verbot einer doppelten Staatsbürgerschaft von Bundesratsmitgliedern gefordert hatte. «Blöchligers Hin und Her um ihre zweite Nationalität» biete neuen «Zunder für diese Debatte», so der Tages-Anzeiger. Blöchliger selber gab bekannt, dass sie offiziell auf die britische Staatsangehörigkeit verzichten werde. Allerdings war die Geschichte für viele Medien ein gefundenes Fressen. Der Tages-Anzeiger urteilte, dass sich Blöchliger mit der versuchten Vertuschung ihrer doppelten Staatsbürgerschaft – «um der eigenen Partei zu gefallen» – wohl selbst aus dem Rennen genommen habe. Als «denkbar schlecht» bezeichnete die Weltwoche den Kampagnenstart Blöchligers.

Weitere Kandidatinnen und Kandidaten hatten entsprechend der Terminplanung der SVP bis zum 21. Oktober Zeit, ihr Interesse zu bekunden. Einen Tag vor Ablauf dieser Frist meldete sich die SVP Zürich mit einem eigentlichen Überraschungscoup doch noch zurück und präsentierte den 2021 aus dem Nationalrat zurückgetretenen Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) als Kandidierenden. Er sei aus der Politik ausgestiegen, weil ihm die parlamentarische Arbeit nicht zugesagt habe, das Bundesratsamt reize ihn aber, erklärte Vogt. Er wolle «ein Opfer erbringen», zudem sei seine Kandidatur «weder eine Verlegenheitslösung noch eine Alibiübung», gab Vogt der NZZ zu Protokoll, eine urbane Vertretung in der Landesregierung sei zudem wichtig. «Professor Vogt» sei der «Wunschkandidat» der Zürcher Kantonalsektion, betonte Kantonalpräsident Domenik Ledergerber (ZH, svp), der den Kandidierenden als «gründlich, aber zielstrebig, urban und doch bodenständig» beschrieb. In den Medien wurde die Kandidatur begrüsst. Nun habe Zürich doch noch einen Kandidaten, freute sich etwa die NZZ. Vogt sei in Bern auch nach seinem Rücktritt 2021 noch genügend bekannt und werde nach wie vor als seriöser Sachpolitiker geschätzt; vor allem auf linker Seite könne er punkten, ergänzte die NZZ. Auch 24Heures urteilte, dass Vogt mit den Eigenschaften «Intello, urbain, gay» das Zeug habe, die Kampagne aufzumischen. Innerhalb der SVP sei Vogt allerdings ein «OVNI», ein unbekanntes Flugobjekt, urteilte La Liberté. Seine Chancen wurden auch vom Tages-Anzeiger vor allem im Vergleich mit dem «berechenbareren» Albert Rösti als geringer eingestuft. Vogt sei gleichzeitig «Verlegenheitslösung und Befreiungsschlag» für die Zürcher SVP, befand die Weltwoche.

Da bis zum Ende der Meldefrist alle weiteren Favoriten abgesagt hatten – darunter etwa auch Thomas Aeschi, der nach seinem Misserfolg 2015 auf eine zweite Bundesratskandidatur verzichten und sich auf seine Parlamentsarbeit konzentrierten wollte, oder der Aargauer Regierungsrat Jean-Pierre Gallati (AG, svp), der sich bis Meldeschluss bedeckt gehalten hatte – und sich keine neuen Personen mehr gemeldet hatten, standen mit Werner Salzmann, Albert Rösti, Heinz Tännler, Michèle Blöchliger und Hans-Ueli Vogt die fünf Kandidierenden für die Nachfolge von Ueli Maurer fest. Die Partei habe sich knapp gerettet, fasste die Aargauer Zeitung zusammen. Mit einer Frau und einem Kandidaten aus Zürich könne die SVP nun doch verschiedene Optionen bieten. Die Empfehlung der Kandidierenden durch die jeweiligen Kantonalsektionen war Formsache. Für Spannung sorgte einzig die Frage, ob die Kantonalberner Sektion eine Vorselektion treffen und lediglich einen der beiden Kandidierenden vorschlagen würde. Sie schob die Frage einer allfälligen Vorselektion allerdings an die nationale Findungskommission weiter und nominierte sowohl Albert Rösti als auch Werner Salzmann einstimmig. Besagte Findungskommission nahm sich dann bis Mitte November Zeit, die Kandidierenden auf Herz und Nieren zu prüfen, um der Fraktion einen Vorschlag zu unterbreiten.
Wie schon die Kantonalberner scheute sich dann allerdings auch die Findungskommission, eine Vorentscheidung zu treffen. Alle fünf Kandidierenden seien wählbar und in den Hauptthemen strikt auf der Parteilinie. Sie würden einen eindrücklichen Leistungsausweis und die nötige Führungserfahrung mitbringen. Die von alt-Nationalrat Caspar Baader (BL, svp) präsidierte Kommission empfehle der Fraktion zudem, ein Zweierticket zu bilden. Somit stand also die Fraktion in der Verantwortung, die Vorauswahl zu treffen. An der Favoritenrolle von Albert Rösti ändere dies nichts, waren sich die Medien einig. Spannend sei einzig, wer neben ihm aufs Ticket komme, so etwa die NZZ.
Am 18. November entschied sich dann die SVP-Fraktion für ein Zweierticket aus Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt. Rösti sei in der ersten Runde mit 26 von 51 Stimmen zum einen Kandidaten auf dem Zweierticket bestimmt worden, wussten die Medien zu berichten. In dieser ersten Runde hätten Michèle Blöchliger vier und Heinz Tännler lediglich eine Stimme auf sich vereinen können. Vogt sei auf 13 und Salzmann auf 5 Stimmen gekommen. Dreimal sei es dann in der Folge zu einem 25:25 Unentschieden zwischen dem Berner und dem Zürcher Kandidaten gekommen, bevor wahrscheinlich eine sich bis dahin enthaltende Stimme in der fünften Runde den Ausschlag für Hans-Ueli Vogt gegeben habe. Das Ringen zeige, dass fraktionsintern befürchtet werde, dass Vogt im Parlament auf linker Seite Stimmen holen könnte und so zum «Rösti-Verhinderer» werde, analysierte die NZZ. Das Rennen zwischen Bern und Zürich sei nun neu lanciert, waren sich die meisten Medien einig.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

In der Herbstsession 2022 folgte der Nationalrat mit 103 zu 69 Stimmen bei 4 Enthaltungen dem Antrag des Bundesrates und stimmte der Abschreibung der Motion Regazzi (mitte, TI) für eine «Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht», zu. Die vorberatende SPK-NR hatte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen empfohlen, dem Antrag des Bundesrates stattzugeben. Neben der im bundesrätlichen Bericht ausführlich dargelegten rechtlichen Unmöglichkeit, die Motion umzusetzen, betonte die Kommissionsmehrheit, beim Grundrechtsschutz dürfe nicht mit zweierlei Mass gemessen werden: «Ein wahrer Rechtsstaat muss auch seine Feindinnen und Feinde rechtskonform und gemäss seinen Werten behandeln», schrieb sie in der Medienmitteilung. Im Ratsplenum erklärte Kommissionssprecher Kurt Fluri (fdp, SO), der Bundesrat habe sich darüber hinaus bereit erklärt, im Umgang mit verurteilten Terroristinnen und Terroristen, die aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausgeschafft werden können, alle rechtlich zulässigen Mittel zur Wahrung der Sicherheit der Schweiz auszuschöpfen. Justizministerin Karin Keller-Sutter ergänzte, man prüfe im Einzelfall, ob vom Herkunftsstaat die diplomatische Zusicherung erlangt werden kann, dass die betroffene Person weder gefoltert noch unmenschlich behandelt wird, sodass eine völkerrechtskonforme Ausschaffung dennoch möglich ist. Zudem werde auch jeweils geprüft, ob die Person in einen anderen Staat als ihren Herkunftsstaat weggewiesen werden kann. Gleichzeitig betonte sie, die Schweiz habe in letzter Zeit mit dem Nachrichtendienstgesetz, den Strafbestimmungen gegen Terrorismus und den präventiv-polizeilichen Massnahmen ein besseres Instrumentarium erhalten, um «mit den Personen, die wir in der Schweiz behalten müssen, umgehen zu können». Momentan handle es sich um fünf Personen, die die Schweiz aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausschaffen könne, so die Bundesrätin.
Eine Minderheit um SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) wollte die Motion trotzdem nicht abschreiben. Es könne nicht sein, dass verurteilte Terroristinnen und Terroristen in der Schweiz blieben, und er sei nicht zufrieden damit, «dass der Bundesrat uns sagt, das ginge nicht», so Rutz. Es sei «eine Frage des gesunden Menschenverstandes», dass «wir [...] doch nicht mit unserer Rechtsordnung Leute schützen [können], die diese Rechtsordnung missbrauchen, um sie zu zerstören». Der Bundesrat müsse «noch einmal über die Bücher», denn es gebe «Möglichkeiten, wie man dieses Anliegen umsetzen kann». Einen Vorschlag, wie eine solche Umsetzung aussehen könnte, lieferte der Minderheitsvertreter dem Ratsplenum jedoch nicht. Seine Ansicht teilten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie FDP-Vertreterin Jacqueline de Quattro (VD), was in der grossen Kammer aber nicht zu einer Mehrheit reichte.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

In der Sommersession 2022 folgte der Nationalrat seiner SPK-NR und gab der parlamentarischen Initiative Nidegger (svp, GE) keine Folge. Die Initiative forderte, dass Härtefallbewilligungen nur dann gewährt werden können sollen, wenn die Kontingente für Aufenthaltsbewilligungen für Personen aus Drittstaaten noch nicht ausgeschöpft sind. Damit gilt der Vorstoss als erledigt. Für Folgegeben hatte sich lediglich die SVP-Fraktion eingesetzt.

Härtefälle den kantonalen Höchstzahlen für Bewilligungen anrechnen (Pa.Iv. 21.433)

Im März 2022 forderten Ständerat Sommaruga (sp, GE) und die Fraktion der SP (Mo. 22.3214) im Nationalrat in fast identischen Motionen die Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern. Die Taskforce solle die Guthaben von reichen russischen und belorussischen Staatsangehörigen, die auf der Liste der im Kontext des Ukrainekriegs sanktionierten Personen stehen, finden, sperren und gegebenenfalls konfiszieren. Sommaruga und die SP-Fraktion nannten eine ähnliche Taskforce aus den Vereinigten Staaten als Vorbild und kritisierten das SECO dafür, dass es seit Kriegsbeginn nur eine Deklarationspflicht für solche Gelder eingeführt habe. Der Bundesrat gestand in seiner Stellungnahme, dass die Umsetzung der Sanktionen die verschiedenen Departemente vor neue Herausforderungen stelle. Die Prozesse zwischen Bundesbehörden und privaten Unternehmen funktionierten jedoch gut und seien effizient, zumindest deuteten die zahlreichen Meldungen und die hohe Summe an eingefrorenen Vermögenswerten darauf hin. Die Schaffung einer Taskforce erachtete der Bundesrat zu jenem Zeitpunkt daher als nicht notwendig. Die Schweiz habe zudem auf Einladung der Europäischen Kommission schon an mehreren Treffen der EU-Taskforce «Freeze and Seize» teilgenommen und werde sich weiterhin darum bemühen, die Wirksamkeit der Sanktionsdurchsetzung in Europa zu stärken. Aus diesen Gründen beantragte der Bundesrat die Ablehnung beider Motionen.

In der Sommersession 2022 diskutierte der Ständerat über die Motion Sommaruga und beschloss auf einen Ordnungsantrag von Benedikt Würth (fdp, SG), den Vorstoss zur Vorprüfung der zuständigen Kommission zuzuweisen. Würth erklärte, dass es unabhängig vom Ukraine-Krieg einige Entwicklungen im Bereich der «Financial Action Task Force» gebe, beispielsweise zur Identifizierung der wirtschaftlich berechtigten Personen bei juristischen Personen. Er verlangte daher, dass der Ständerat einen Bericht des EFD zur Feststellung der wirtschaftlich Berechtigten von juristischen Personen an den Bundesrat im dritten Quartal 2022 abwarten solle, um dessen Erkenntnisse in die Beurteilung einfliessen zu lassen. Motionär Sommaruga begrüsste den Ordnungsantrag, da das heikle Thema noch einige vertiefte Abklärungen nötig mache. Sommaruga forderte, dass sich die Rechtskommission mit der Motion befassen solle, da sie sich sowieso im Rahmen von Anhörungen mit der Thematik beschäftige. Tatsächlich wurde das Geschäft in der Folge der RK-SR zugewiesen.

Ebenfalls in der Sommersession 2022 befasst sich der Nationalrat im Rahmen einer ausserordentlichen Session mit der Motion der SP-Fraktion. Baptiste Hurni (sp, NE) kritisierte den Bundesrat scharf dafür, dass die Schweiz bislang nur CHF 6 Mrd. von insgesamt über CHF 200 Mrd. blockiert habe, die gemäss Schätzungen der Schweizerischer Bankiervereinigung in der Schweiz liegen würden. Er störte sich auch daran, dass der Bundesrat zwar von der multilateralen Taskforce «Russian Elites, Proxies, and Oligarchs» der G7-Staaten Kenntnis genommen habe, aber noch keine Entscheidung betreffend eine Teilnahme gefällt habe. Auch seine Parteikollegin Mattea Meyer (sp, ZH) plädierte dafür, mehr Gelder zu blockieren und den Krieg in der Ukraine «nicht mehr aus der Schweiz heraus» mitzufinanzieren. Die Meldepflicht des SECO sei hierfür nicht ausreichend, denn es sei zu einfach, die jetzigen Kontrollen zu umgehen. Die Grünliberalen kritisierten in der Person von Jürg Grossen (glp, BE) die mangelhafte Umsetzung der beschlossenen Sanktionen. Man anerkenne zwar, dass die Sperrung der Vermögenswerte nicht einfach sei – beispielsweise weil die Betroffenen mehrere Staatsbürgerschaften hätten –, aber man erwarte die Schaffung eines sauberen rechtstaatlichen Verfahrens, wie dies auch beim Potentatengeldergesetz geschehen sei. Grossen meinte, dass eine Taskforce diesbezüglich eine wichtige Aufnahme übernehmen könne. Auch die Fraktion der Grünen unterstützte das Motionsanliegen. Die Mitte sei zwar dafür, dass Bewegung in die Sanktionsumsetzung komme, lehne das Motionsanliegen jedoch ab, erklärte Philipp Bregy (mitte, VS). Die Beschlagnahmung von Vermögen sei rechtsstaatlich nicht vertretbar, nur eine Sperrung wäre vorstellbar. Da sich die Motion inhatlich nicht splitten lasse, lehne die Mitte diese deswegen ab. Bregy kündigte aber an, dass man das Thema einer Taskforce in der APK-NR wieder aufnehmen werde, falls der Bundesrat den Prozess nicht selber vorantreibe. Beat Walti (fdp, ZH) erklärte hingegen, dass die FDP mit der Arbeit der bestehenden Koordinationsgruppe Sanktionspolitik zufrieden sei und auch die «Bestrebungen bezüglich der Mitwirkung in der international ausgerufenen Taskforce» für erfolgversprechend befände. Gregor Rutz (svp, ZH) lehnte die Motion schliesslich im Namen der SVP-Fraktion gänzlich ab und warf den Unterstützerinnen und Unterstützern vor, sich gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats zu wenden. Bundesrat Parmelin erläuterte, dass die Umsetzung der Sanktionen durch die betroffenen Bundesstellen mittlerweile effizient verlaufe und auch Vermögenswerte eingefroren würden. Eine neue Taskforce erbringe keinen Mehrwert, da die Behörden im Rahmen der geltenden Rechtsgrundlagen bereits nach Vermögen suchten und diese blockieren könnten. Eine Einziehung von Vermögenswerten wäre hingegen rechtlich nicht möglich und würde eine Gesetzesrevision nötig machen, erläuterte der Bundesrat. Die grosse Kammer lehnte den Vorstoss der SP-Fraktion mit 103 zu 78 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen den Willen der SP, der Grünliberalen und der Grünen ab.

Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern (Mo. 22.3236 & Mo. 22.3883)

Die APK-NR begann im Juni 2021 mit der Vorberatung der Änderung des Embargogesetzes. Der Bundesrat beantragte mit der Gesetzesänderung, das Verbot der Einfuhr von Feuerwaffen, Waffenbestandteilen und Munition sowie weiterer Güter für militärische Zwecke aus Russland und der Ukraine aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus schlug er eine gesetzliche Grundlage vor, um in vergleichbaren Fällen nicht auf Basis der Bundesverfassung Entscheide fällen zu müssen. Die Kommission beschloss, sich mittels Anhörungen vertieft mit der Sanktionspolitik der Schweiz auseinanderzusetzen und die Beratung des Entwurfs auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. In einer weiteren Sitzung im August 2021 entschied sie sich, die neusten Erwägungen der bundesrätlichen Koordinationsgruppe Sanktionspolitik abzuwarten, um den bundesrätlichen Entwurf dann gemeinsam mit der themenverwandten parlamentarischen Initiative Molina (sp, ZH; Pa.Iv. 19.501) zu behandeln. Erst im Mai 2022 stimmte die APK-NR der Revision des Embargogesetzes mit 19 zu 6 Stimmen zu. Eine Mehrheit sah darin die Möglichkeit einer kohärenten und ganzheitlichen Schweizer Sanktionspolitik, während eine Minderheit eine Verletzung des Neutralitätsgebots und eine Bedrohung für die Glaubwürdigkeit der Schweiz befürchtete.

In der Sommersession 2022 befasste sich der Nationalrat mit dem Geschäft, das für allerlei Diskussionen sorgte. APK-NR-Sprecher Gerhard Pfister (mitte, ZG) verwies auf die lange Vorberatung in der Kommission, die dem sich wandelnden Kontext geschuldet gewesen sei. Der Kriegsausbruch im Februar 2022 habe die Beratungsweise des Geschäfts verändert und neue Fragen hinsichtlich der Kompatibilität mit der Neutralität und einer eigenständigen Sicherheitspolitik aufgeworfen. In Abweichung zur Vorlage des Bundesrats und der Erweiterung, die der Ständerat geschaffen hatte, schlug die Kommission ihrem Rat daher einen weiteren Absatz vor. Durch diesen sollte der Bundesrat ermächtigt werden, eigenständig Sanktionen gegen Personen oder Entitäten erlassen zu können, die schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte oder ähnliche Verbrechen angeordnet oder begangen haben. Der Bundesrat hatte ursprünglich nur vorgeschlagen, Sanktionen auch auf Staaten ausweiten zu können, die bisher nicht von den Zwangsmassnahmen betroffen gewesen sind, sofern die Interessen der Schweiz dies erforderten. Der Ständerat hatte diesen Geltungsradius in der Folge auf «Personen oder Entitäten» ausgeweitet, wovon die APK-NR mit ihrem neuen Absatz zum autonomen Sanktionserlass deutlich abwich und stattdessen das Anliegen der oben erwähnten parlamentarischen Initiative Molina (Pa.Iv. 19.501) aufnahm.
Zahlreiche Ratsmitglieder nutzten die Eintretensdebatte, um allgemeine Überlegungen zur Schweizer Neutralität anzustellen. Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) meinte, dass die Möglichkeit zu eigenständigen Sanktionen die Handlungsfähigkeit des Landes erhöhe, und sah darin keinen Widerspruch zur Neutralität. Die Schweiz könne als vernetztes Land nicht zuschauen, denn auch ein neutraler Staat müsse Partei ergreifen, wenn die Demokratie und ihre Grundwerte bedroht würden. Diesen Standpunkt vertrat auch Sibel Arslan (basta, BS) im Namen der Grünen. Die grüne Fraktion sähe «keine Missachtung des Neutralitätsgebotes», wenn es dem Bundesrat frei stehe, Sanktionen Dritter auf Akteure seiner Wahl auszuweiten. Stattdessen erlaube die Vorlage eine kohärente und ganzheitliche Sanktionspolitik unter «Wahrung einer Neutralität, die Unrechtmässigkeit nicht duldet». Und auch FDP-Fraktionssprecherin Petra Gössi (fdp, LU) plädierte für Eintreten, da das Neutralitätskonzept des Bundes von 1993 eine Sanktionsteilnahme erlaube. Sie forderte, dass die Schweiz als neutrales Land eine Interessenabwägung machen müsse, statt eine Maximepolitik zu betreiben. Kritisch gegenüber dem Bundesrat zeigte sich Nationalrat Molina, der den ursprünglichen Entwurf der Revision als «Minireförmli» bezeichnete, die der gegenwärtigen Lage nicht gerecht werde. Tiana Angelina Moser (glp, ZH) vertrat die Meinung, dass die Revision eigentlich der Einhaltung und Sicherstellung der Neutralität diene, denn die eigenständige Anpassung eines Sanktionsregimes sei unter Umständen im Landesinteresse, insbesondere in Fällen, in denen die Neutralität ansonsten verletzt würde. Die SVP-Fraktion, allen voran Roger Köppel (svp, ZH), forderte hingegen eine Rückbesinnung auf die bewaffnete und umfassende Neutralität der Schweiz. Wirtschaftssanktionen seien mit dieser Neutralität nicht vereinbar, stattdessen schade man im Endeffekt allen Parteien, da Russland die Schweiz auch nicht mehr als Vermittlerin akzeptiere.
Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) verlangte, überhaupt nicht auf die Änderung des Embargogesetzes einzutreten. Laut Nidegger sind Sanktionen nur dann zu rechtfertigen, wenn sie zur Einhaltung des Völkerrechts beitragen, so wie in Artikel 1 des Embargogesetzes festgehalten. Er argumentierte, dass die vorgeschlagenen Änderungen der Kommission zur Folge hätten, dass Sanktionen auf Staaten ausgeweitet werden könnten, die das Völkerrecht gar nicht verletzt hätten. Denn da die Schweiz sowieso die Sanktionen der UNO und ihrer wichtigsten Handelspartner (also der EU) übernehme, sei es aus seiner Sicht unmöglich, dass zusätzliche von der Schweiz sanktionierte Staaten überhaupt gegen das Völkerrecht verstossen würden. Dadurch würde man also unschuldige Staaten bestrafen, weshalb die Vorschläge der APK-NR gegen Artikel 1 des Embargogesetzes verstiessen. Die grosse Kammer beschloss jedoch mit 131 zu 51 Stimmen, gegen den Widerstand der SVP, auf das Geschäft einzutreten.

In der Detailberatung musste sich der Nationalrat mit mehreren Minderheitsanträgen auseinandersetzen. Zwei davon stammten von Yves Nidegger, der die Bewahrung der Neutralität als gewichtigsten Faktor beim Erlass von Sanktionen festlegen lassen wollte. Darüber hinaus beantragte er auch die Streichung des von der APK-NR vorgeschlagenen Absatzes, mit dem der Bundesrat die Kompetenz zum eigenständigen Sanktionserlass erhalten hätte, sowie in einem Einzelantrag die Streichung des vom Bundesrat eingebrachten Artikels zur Ausweitung von Sanktionen. Zwei weitere Minderheiten Portmann (fdp, ZH) richteten sich ebenfalls gegen den neu vorgeschlagenen Artikel der APK-NR. Portmann wollte den Erlasstext insofern präzisieren, dass eine Ausweitung von Sanktionen nur möglich sein sollte, wenn die Schweiz unmittelbar bedroht ist oder mutmassliche Völkerrechtsvergehen vorliegen. Des Weiteren verlangte er, dass der Bundesrat den zuständigen Parlamentskommissionen im Falle einer Sanktionsausweitung einen Analysebericht zur Kompatibilität seiner Entscheidungen mit der schweizerischen Neutralität vorlegen müsse. Nationalrat Portmann warnte davor, das Embargogesetz drastisch zu ändern, bevor nicht eine ausführliche Debatte über die Neutralitätsfrage geführt worden ist. Schliesslich sei die Neutralität für die Schweizer Bevölkerung ein parteiübergreifender Grundwert, den man nicht ohne darüber zu sprechen «in den Kübel werfen» sollte. Eine letzte Minderheit Fischer (glp, LU) forderte schliesslich die Streichung eines vom Ständerat eingefügten Artikels, wonach Schweizer Unternehmen bei der Umsetzung von Sanktionen im internationalen Vergleich nicht benachteiligt werden dürfen. Diese Minderheit Fischer deckte sich mit der Forderung von Bundesrat Parmelin, der bereits im Ständerat vergeblich gegen diesen Artikel angekämpft hatte. Der WBF-Vorsteher sprach sich zudem gegen den Vorschlag der Kommission aus, dem Bundesrat die Kompetenz eigenständiger Sanktionserlasse zu verleihen, da dies eine radikale Änderung der Schweizer Sanktionspolitik bedeuten würde. Er lehnte sämtliche Minderheiten ab und empfahl die Annahme des bundesrätlichen Originalentwurfs.
In der Folge lehnte der Nationalrat sämtliche Minderheitsanträge ab. Den Minderheitsanträgen von Yves Nidegger stimmte jeweils nur die SVP-Fraktion zu, einzig beim Antrag zur Streichung der eigenständigen Sanktionserlasse erhielt die SVP Unterstützung durch die FDP, blieb mit 107 zu 82 Stimmen aber dennoch erfolglos. Auch der Minderheitsantrag Fischer wurde abgelehnt – jedoch mit umgekehrter Rollenverteilung – entgegen dem Willen der SP, der Grünliberalen und der Grünen. Die zwei Minderheiten Portmann wurden zwar von der SVP unterstützt, dies reichte jedoch gegen die geschlossene Ablehnung der Ratslinken und der Mitte nicht aus.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Vorschlag seiner aussenpolitischen Kommission mit 136 zu 53 Stimmen an und schuf damit eine Differenz zum Ständerat, der sich somit ein zweites Mal mit dem Entwurf befassen musste.

Änderung des Embargogesetzes (BRG 19.085)
Dossier: Von der Schweiz ergriffene Sanktionen gegen andere Staaten
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

In der Sommersession schrieben National- und Ständerat die Motion Nidegger (svp, GE) zu den Auswirkungen der Marginalisierung der EU durch das Duopol China-USA auf die Schweiz ab. Der Bundesrat hatte in seinem Bericht über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2021 mitgeteilt, dass er sich in seiner China-Strategie 2021-2024 explizit mit den Themenstellungen der Motion befasst habe. Zusätzliche Ausführungen fänden sich in der Aussenwirtschaftsstrategie und in den jährlichen Aussenpolitischen Berichten des Bundesrats.

Duopol China-USA. Internationale Positionierung und Freihandelsabkommen der Schweiz überprüfen (Mo. 20.3738)
Dossier: Aussenpolitische Strategie in den bilateralen Beziehungen mit China

In der Frühjahrssession 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit der parlamentarischen Initiative Molina (sp, ZH) zur Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen. Die APK-NR hatte der Initiative im Vorfeld der Session mit 13 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung) Folge gegeben. Kommissionssprecher und Initiant Fabian Molina argumentierte, dass die Sanktionen der europäischen Länder in Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine Wirkung gezeigt hätten. Sanktionen seien das einzige Mittel zwischen Krieg und Frieden, um «Regelbrecher zur Raison zu bringen». Um die Zivilbevölkerung dadurch aber nicht zu schädigen, müsse man «smart sanctions» nutzen, die gezielt die Verantwortlichen von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen strafen. Die Schweiz tue sich generell schwer mit der Übernahme von Sanktionen, es fehle aber auch die rechtliche Grundlage für eigenständige Sanktionen, erläuterte Molina. Molina bezeichnete den Umstand, dass die Schweiz UNO-Sanktionen und Massnahmen der OSZE und der EU übernehmen müsse als «nicht neutral und noch weniger souverän». Die APK-NR habe daher auch bei der Revision des Embargogesetzes einen Artikel vorgeschlagen, der es dem Bundesrat bei Menschenrechtsverletzungen erlauben soll, eigenständige Sanktionen gegen Personen oder Entitäten anzuordnen. Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) kritisierte Molina dafür, dass er die Forderung seiner parlamentarischen Initiative bereits im Embargogesetz eingebracht habe und somit dem Rat zweimal das gleiche Anliegen vorlege und forderte den Rückzug der Initiative. Fabian Molina erklärte, dass dies gemäss Parlamentsrecht nicht möglich sei, weil sie bereits in der Kommission beraten worden war, er wolle aber insbesondere auch im Hinblick auf die Beratung im Ständerat an der Initiative festhalten. Eine Kommissionsminderheit Nidegger (svp, GE) forderte die Ablehnung der Initiative, einerseits weil der Begriff «Menschenrechtsverbrechen» eine Verurteilung nach eingehender Untersuchung voraussetzen würde, andererseits weil die Schweiz dadurch zur aktiven Akteurin im Sanktionsbereich und somit zu einer an internationalen Konflikten beteiligten Partei werden würde. Nidegger befürchtete auch, dass der Rechtsstaat geschwächt werden könnte und die Schweiz im Ausmass der Sanktionen sogar weiter gehen könnte, als die UNO und die wichtigsten Handelspartner. Der Minderheitsführer argumentierte in der Ratsdebatte, dass nur Staaten als Völkerrechtssubjekte das Völkerrecht verletzen könnten und daher auch nur Staaten Gegenstand von Sanktionen sein könnten. Der Nationalrat gab der Initiative schliesslich mit 104 zu 74 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) Folge. Die SVP-Fraktion, sowie die FDP.Liberale-Fraktion stimmten fast geschlossen dagegen.

Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen (Pa.Iv. 19.501)

Près de quatre mois après le rejet dans les urnes du train de mesures en faveur des médias, l'initiative parlementaire de la Commission des transports et des télécommunications (CTT-CN) figurait au menu du Conseil national. Ayant pour but de reprendre certaines mesures incontestées lors des débats sur l'aide aux médias, l'objet avait déjà suscité des désaccords au sein des commissions compétentes. Il en fût de même devant la chambre basse qui a finalement rejeté l'initiative parlementaire par 92 voix contre 87, et 6 abstentions. Une courte majorité composée des fractions UDC, PLR et verte libérale, a bénéficié de l'appui de quatre membres du Centre pour faire pencher la balance. Comme lors de la votation de février, un affrontement gauche-droite a eu lieu, avec le Centre comme juge de paix. A la tribune, le zurichois Philipp Kutter (centre, ZH) a exposé, au nom de la commission, les raisons qui ont poussé la CTT-CN à déposer cette initiative. Alors qu'il a lui-même rejeté le paquet d'aide aux médias, le trouvant trop généreux, il pense néanmoins, comme une majorité de la commission, que le besoin d'agir demeure. En ne reprenant que des mesures n'ayant pas suscité la controverse, le but n'était pas de remettre en question la décision populaire: Kutter a souligné que la commission a renoncé à une extension de l'aide indirecte à la presse ainsi qu'à l'introduction d'une aide aux médias en ligne. Le reproche d'un déni de démocratie émanait pourtant des propos de l'UDC Gregor Rutz (udc, ZH). Pour le parlementaire agrarien, l'acceptation des résultats d'une votation est tout aussi important pour le fonctionnement d'une démocratie que le sont les médias. D'après lui, cette proposition de reprendre des éléments du paquet d'aide arrive donc trop vite. Appelant à attendre le rapport sur le postulat Christ (pvl, BS) pour une réflexion à tête reposée, le député Rutz a rallié la majorité de la chambre du peuple à ses propos.

Aide aux médias. Développer ce qui fonctionne (Iv.pa. 22.425)
Dossier: Vorstösse zur Presseförderung (2000-)
Dossier: Medienförderungspolitik nach dem Scheitern des Medienpakets

Ende April 2022, also rund drei Monate nach Beginn des russischen Aggressionskriegs in der Ukraine, berichteten der SonntagsBlick und verschiedene Tamedia-Zeitungen, dass die höchste SchweizerinNationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) – einen offiziellen Besuch in Kiew plane. Begleitet wurde Kälin von den Nationalratsmitgliedern Roger Nordmann (sp, VD), Nik Gugger (evp, ZH), Yves Nidegger (svp, GE) und dem Schweizer Botschafter in der Ukraine, Claude Wild. Die NZZ sprach von einer «Rumpf-Delegation», da wichtige Parlamentarierinnen und Parlamentarier – wie die Präsidenten der Aussenpolitischen Kommissionen – nicht an der Reise teilnehmen wollten und sich auch keine Mitglieder der Grünliberalen, der FDP oder der Mitte dafür gefunden hätten. Gegenüber SRF gab Kälin zu verstehen, dass sie mit dem Besuch der Schweizer Solidarität Ausdruck verleihen wolle. Sie sei jedoch nicht diejenige, die Aussenpolitik mache, «dafür müsste Bundespräsident und Aussenminister Cassis vor Ort gehen». In einem Beitrag für den Blick schrieb Kälin im Vorfeld der Reise, dass ihr die Entscheidung zu gehen, leicht gefallen sei, da sie es «als Pflicht der höchsten Schweizerin» erachte, «die Solidarität nach Kiew zu tragen, die ich täglich sehe und erlebe». Sie habe zudem keine Angst, dass die Ukraine ihren Besuch für Propagandazwecke missbrauchen werde, stellte sie klar, um den Vorwürfen einzelner Medienhäuser den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Blick begleitete Kälin während ihrer ganzen Reise und berichtete ausführlich darüber. Auf dem Reiseprogramm standen Besuche in den Kiewer Vororten Hostomel und Irpin, die vorübergehend von Russland besetzt waren, sowie eine Rede vor dem ukrainischen Parlament. Die angedachte Rede musste aus Sicherheitsgründen jedoch abgesagt werden, dafür kam es zu einem kurzen Treffen zwischen Kälin und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj.
Im Nachgang der Ukraine-Reise wurde bekannt, dass das Fedpol der Nationalratspräsidentin von der Reise abgeraten und ihr keine Zivilpolizisten zur Verfügung gestellt hatte. Ein Fedpol-Sprecher erklärte, dass die Risikoanalyse ergeben habe, dass die Bundespolizei weder über die Ausbildung, noch über die Ausrüstung verfüge, um Personen in einem Kriegsgebiet zu schützen. Irène Kälin brachte für diesen Entscheid gegenüber BlickTV wenig Verständnis auf.
Kälin lieferte dem Blick auch einen Rückblick ihres Besuchs, in dem sie unter anderem Aussenminister Ignazio Cassis dazu aufrief, ebenfalls in die Ukraine zu reisen und sich mit seinem ukrainischen Gegenüber zu treffen. Die Kritik an ihrem Besuch – unter anderem wurde ihr in den Medien Selbstprofilierung vorgeworfen – konnte sie nach eigenen Aussagen nicht nachvollziehen.

Ukraine-Reise von Nationalratspräsidentin Irène Kälin
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

Im Januar 2022 befasste sich die UREK-NR mit den parlamentarischen Initiativen von Hans Egloff (svp, ZH) und Gregor Rutz (svp, ZH), welche beide eine Lockerung des Schutzes von Ortsbildern nationaler Bedeutung zugunsten der Verdichtung der Siedlungsfläche nach innen vorsahen. Mit der Begründung, dass erst noch ein relevanter Bericht des ARE und des BAK abgewartet werden solle, hatte der Nationalrat die Behandlungsfrist für die Initiativen in der Wintersession 2021 um zwei Jahre verlängert. Dieser Bericht lag der Kommission in ihrer Sitzung im Januar nun vor. Die Kommission betonte, dass der Bericht erneut zeige, dass gesetzliche Änderungen vorerst nicht notwendig seien, da «mit einer frühzeitigen Planung und einer konstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten gute Lösungen gefunden werden können». Der Bund werde dafür bereits im Frühling 2022 einen Leitfaden zur Anwendung des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) mit konkreten Handlungsempfehlungen für Kantone, Städte und Gemeinden und deren Planungen veröffentlichen. Daher beantragte die Mehrheit der UREK, die beiden Initiativen abzuschreiben.

In der Frühjahrssession 2022 beugte sich der Nationalrat über die Initiativen. Michael Graber (svp, VS) plädierte im Namen einer Kommissionsminderheit, die Initiative nicht abzuschreiben, da die Anwendung des ISOS in der Praxis so falsch und restriktiv sei, dass dies verdichtetes Bauen in der ganzen Schweiz erheblich erschwere. Vielmehr brauche es gesetzliche Massnahmen. Eine Mehrheit des Rates folgte jedoch dem Antrag der Kommissionsmehrheit und schrieb die beiden Initiativen mit 101 zu 80 Stimmen und mit 101 zu 82 Stimmen ab. Für die Abschreibung stimmten die Fraktionen von SP, Grünen und GLP. Geschlossen dagegen sprach sich nur die SVP-Fraktion aus, während sich die Mitte und die FDP gespalten zeigten.

Verdichtung ermöglichen. Widersprüche und Zielkonflikte aufgrund des Isos ausschliessen (Pa.Iv. 17.525, 17.526)

In der Frühjahrssession 2022 debattierte der Nationalrat über die Vorlage seiner SPK-NR, mit der die Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessert werden sollte und die zahlreiche entsprechende Vorstösse aufnahm. Kommissionssprecher Gregor Rutz (svp, ZH) erinnerte an die Ursprünge ebendieser Vorstösse: Die Corona-Pandemie habe nicht nur zum abrupten Abbruch einer Session, sondern auch zur Handlungsunfähigkeit des Parlaments geführt. Die Tätigkeit der Kommissionen sei eingeschränkt, die Organisation einer ausserordentliche Session sei schwierig gewesen und das Parlament habe eine gewisse Ohnmacht gegenüber den Notverordnungen des Bundesrats verspürt. Um für zukünftige Krisen gewappnet zu sein, sei eine Subkommission mit der Ausarbeitung einer Vorlage betraut worden. Diese sei sich jedoch einig gewesen, dass die bestehenden rechtlichen Instrumente dem Parlament eigentlich auch in Krisenzeiten genügend Handlungsspielraum verschaffen würden. Allerdings seien die Strukturen teilweise träge und es fehle an Ressourcen. Hier setzte die Vorlage an, die in drei Blöcken behandelt wurde. Der erste Block zielte auf Vereinfachungen der Organisation von Sessionen und Kommissionssitzungen und insbesondere auch auf die Ermöglichung von hybriden Sitzungen ab; der zweite Block sah die Bildung einer schlagkräftigeren Verwaltungskommission anstelle der bisherigen Verwaltungsdelegation vor und im dritten Block waren Vorschläge für effizientere parlamentarische Instrumente vorgesehen. Eintreten war unbestritten.

Konkret schlug die SPK-NR im ersten Block neue Regelungen für die Einberufung von ausserordentlichen Sessionen vor. Bisher konnte ein Viertel der Mitglieder eines Rats oder der Bundesrat solche ausserplanmässigen Sitzungen einberufen. Neu soll dies auch eine parlamentarische Kommission dürfen, wenn sie dringenden Handlungsbedarf sieht. Eine ausserordentliche Session soll darüber hinaus auch verlangt werden können, wenn der Bundesrat Notverordnungen erlässt, die sich direkt auf die Verfassung stützen. In ausserordentlichen Situationen, in denen die physische Präsenz von Parlamentsmitgliedern verunmöglicht wird – gemeint waren neben Pandemien etwa auch Naturkatastrophen in bestimmten Regionen, höhere Gewalt oder behördliche Anordnungen in Form von Quarantäne –, kann die Ratsmehrheit die Möglichkeit einer virtuellen Teilnahme an den Ratsdebatten beschliessen. Explizit ausgeschlossen wurde eine virtuelle Teilnahme während des Normalbetriebs. Vorgeschlagen wurde des Weiteren, dass eine aufgrund einer Krisensituation nötige Änderung des Tagungsortes neu keinen Parlamentsbeschluss mehr benötigt, sondern von einer Koordinationskonferenz bestimmt werden kann. Ebenfalls in Block 1 wurden die Zusammenkünfte der Kommissionen in Krisenzeiten neu geregelt: In dringlichen Fällen soll neu eine ausserordentliche Kommissionssitzung mittels eines Mehrheitsbeschlusses im Zirkularverfahren beschlossen werden können. Eine virtuelle Sitzung soll dann ermöglicht werden, wenn das Kommissionspräsidium und die Kommissionsmehrheit einer solchen zustimmen. Hybride Sitzungen, also die virtuelle Teilnahme einzelner Mitglieder, sind aber nur dann vorzusehen, wenn eine Stellvertretung rechtlich nicht möglich ist.
Die Minderheitenvorschläge gegen einzelne Teile dieser Vorschläge in Block 1 wurden allesamt abgelehnt. So verlangte etwa Pirmin Schwander (svp, SZ) die ausdrückliche Nennung des Parlamentsgebäudes in Bern als normalen Tagungsort, Samira Marti (sp, BL) wollte die Anzahl zur Einberufung einer ausserordentlichen Kommissionssitzung nötiger Personen auf ein Drittel der Kommissionsmitglieder senken und verschiedene Minderheiten wollten die Möglichkeit virtueller Teilnahmen an Kommissionssitzungen entweder ganz streichen (Minderheit Addor, svp, VS) oder ausweiten (Minderheit Cottier, fdp, NE).

Auch im zweiten Block wurden sämtliche Minderheitsanträge abgelehnt. Dass eine neue, eigenständige Verwaltungskommission anstelle der bisherigen Verwaltungsdelegation geschaffen werden soll, war freilich unbestritten. Die Anträge der Minderheiten zielten vielmehr auf deren Zusammensetzung ab. Die bisherige Verwaltungsdelegation setzt sich aus den je sechs Mitgliedern der Ratspräsidien beider Räte zusammen. Neu sollten lediglich noch die beiden Ratspräsidentinnen oder -präsidenten und je vier erfahrene Mitglieder beider Kammern, welche für vier Jahre in die Verwaltungskommission gewählt werden, in der zu schaffenden Kommission Einsitz nehmen. Weil damit auch eine Entflechtung mit den Büros angestrebt wird, sollten Mitglieder des Büros, also vor allem die Fraktionspräsidentinnen und -präsidenten, nicht gleichzeitig in der Verwaltungskommission sitzen dürfen. Eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) bekämpfte diesen Passus erfolglos und eine Minderheit Moret (fdp, VD) wollte auch die Vizepräsidentinnen oder -präsidenten der beiden Räte in die Kommission aufnehmen – ebenso ohne Erfolg. Aufgabe der Verwaltungskommission soll auch die Oberaufsicht über die Parlamentsverwaltung sein, konkret also die Bestimmung der Kommissionssekretäre und des Generalsekretärs der Bundesversammlung. Ein Minderheitsantrag Pfister wollte die Wahl der Generalsekretärin oder des Generalsekretärs neu der Bundesversammlung übertragen, was von der Mehrheit aber wohl aus Angst vor einer «Verpolitisierung des Amtes», wie Kommissionssprecher Gregor Rutz (svp, ZH) warnte, ebenfalls abgelehnt wurde.

Der dritte Block zielte auf Effizienzsteigerungen bei der Nutzung parlamentarischer Instrumente ab. Damit von Kommissionen verfasste dringliche Bundesgesetze oder Notverordnungen von der Bundesversammlung rasch behandelt werden könnten, brauche es kürzere Fristen für die Stellungnahme des Bundesrats – so der Vorschlag der SPK-NR. Diese sollen in Krisenzeiten spätestens in der nächsten ordentlichen oder ausserordentlichen Session vorliegen. Neu sollen zudem zwei gleichlautende eingereichte Kommissionsmotionen den Bundesrat im Normalbetrieb dazu verpflichten, bis zur nächsten anstehenden Session eine Stellungnahme zu verfassen. Eine Minderheit Binder-Keller (mitte, AG) und der Bundesrat wehrten sich erfolglos gegen dieses Ansinnen. Da eine Stellungnahme Zeit brauche, würde deren Qualität leiden, wenn sie rasch erfolgen müsse – so die Begründung. Insbesondere im Normalbetrieb sei für eine solche Regelung kein Mehrwert ersichtlich. Darüber hinaus sollten Kommissionsmotionen, die Änderungen von bundesrätlichen Notverordnungen verlangen, innerhalb von sechs Monaten statt wie bisher bei angenommenen Motionen innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden müssen. Weil dies kürzere Fristen nach sich ziehe und damit ein Vernehmlassungsverfahren nicht immer möglich sei, müssten in Krisenzeiten Kantonsregierungen und besonders betroffene Akteure konsultiert werden. Zudem muss der Bundesrat künftig von sich aus die zuständigen parlamentarischen Kommissionen konsultieren, wenn er Notverordnungen erlassen will. Neben der Minderheit Binder-Keller lagen zwei Anträge vor, mit denen eine abstrakte Normenkontrolle für solche Notverordnungen verlangt wurden. Während die Minderheit Glättli (gp, ZH) eine juristische Beurteilung über allfällige Grundrechtsverletzungen von Notverordnungen, die durch das Parlament oder den Bundesrat beschlossen werden, verlangte, sah die Minderheit Addor lediglich eine Kontrolle der bundesrätlichen Notrechtsbeschlüsse vor. Auch in Block 3 folgten komfortable Mehrheiten allen Anträgen der Kommission und lehnten damit auch diese Minderheitsanträge ab.

In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat den Entwurf mit 183 zu 1 Stimme gut, die entsprechende Verordnung wurde mir 170 zu 1 Stimme (1 Enthaltung) und das Geschäftsreglement des Nationalrats mit 171 zu 1 Stimme (keine Enthaltungen) angenommen. Weil Letzteres lediglich der Zustimmung der grossen Kammer bedurfte, wurde es tags darauf bereits der Schlussabstimmung zugeführt, wo es mit 157 zu 28 Stimmen (5 Enthaltungen) angenommen wurde. Gegenstimmen und Enthaltungen stammten allesamt von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Kontrolle von Notrecht und Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern (Pa.Iv. 20.437, Pa.Iv 20.438))
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Die SPK-NR wollte mittels einer im Januar 2022 eingereichten Motion den Bundesrat mit der Erarbeitung einer Änderung des EpG betrauen. Durch die Revision soll unter noch zu definierenden Bedingungen die Entschädigung von Personen und Unternehmen ermöglicht werden, welche ihren Geschäftsbetrieb infolge behördlicher Massnahmen einstellen oder einschränken müssen, wenn es nicht anderweitig zur Deckung der entstandenen Schäden komme. Die Entschädigungspflicht solle zeitlich limitiert sein. Mitte März 2022 kam das Geschäft in die grosse Kammer. Gregor Rutz (svp, ZH) und Damien Cottier (fdp, NE) begründeten das Kommissionsanliegen zum einen damit, dass die Entschädigungspflicht für die Bevölkerung im Zuge entstandener Schäden durch gesundheitspolitische Massnahmen im EpG bisher nicht festgehalten sei. Zum anderen könnten private Veranstalter oder Unternehmen gegenwärtig nur Schadensersatz einfordern, wenn widerrechtliches Handeln staatlicher Organe vorliege. Ursprünglich sei die Überlegung gewesen, dass es im Verantwortungsbereich der Unternehmen liege, die entsprechenden Vorsorgemassnahmen für Krisensituationen zu treffen. Allerdings sei die SPK-NR zum Schluss gekommen, dass eine Epidemie im Ausmasse der Covid-19-Pandemie zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des EpG unvorstellbar gewesen sei und deren Folgen daher nicht allein in der individuellen Verantwortung der betroffenen Unternehmen liege. Rutz betonte indes, dass für die staatliche Ersatzpflicht eindeutige Voraussetzungen gelten müssten, die Selbstverantwortung nach wie vor im Zentrum stehe und der «Staat […] nicht zur Vollkaskoversicherung werden [soll und darf]». Der Bundesrat empfahl die Motion zur Ablehnung. Gesundheitsminister Alain Berset erklärte jedoch, dass es sich um eine formelle Ablehnung und nicht um eine Ablehnung der Sache handle. Er teile die Ansicht der Kommission bezüglich des Handlungsbedarfs, allerdings müsse dieses Anliegen im allgemeinen Rahmen der bevorstehenden Revision des EpG umgesetzt werden. Bersets Worte waren indes wenig erfolgreich. Einstimmig (176 zu 0 Stimmen) nahm der Nationalrat das Geschäft an.

Ergänzung des Epidemiengesetzes: Entschädigung bei Massnahmen (Mo. 22.3009)

Die parlamentarische Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) war 2020 trotz gegenteiliger Empfehlung der SPK-NR von der grossen Kammer knapp mit 98 zu 85 Stimmen angenommen worden und auch die SPK-SR hatte knapp mit 7 zu 6 Stimmen für Folgegeben optiert. Statt eine Vorlage auszuarbeiten, hatte sich die SPK-NR dann allerdings – erneut sehr knapp mit 12 zu 12 Stimmen bei einer Enthaltung und Stichentscheid ihres Präsidenten Andreas Glarner (svp, AG) – dafür entschieden, den Vorstoss zur Abschreibung zu beantragen und keinen Erlassentwurf zum aktiven Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige auszuarbeiten.
Über diesen Abschreibungsantrag entbrannte in der Frühjahrssession 2022 eine lebhafte, mit zahlreichen Gegenfragen gespickte Debatte. Auf der einen Seite wurde für mehr «Vertrauen in die Jugend» plädiert (Corina Gredig, glp, ZH). Die alternde Gesellschaft müsse mehr junge Menschen einbeziehen, argumentierte Marianne Binder-Keller (mitte, AG). Politisches Interesse sei keine Frage des Alters und politisch interessierte Jugendliche dürften nicht gebremst werden, forderte Nadine Masshardt (sp, BE). Für die Gegenseite gab Andri Silberschmidt (fdp, ZH) seine eigenen Erfahrungen zum Besten: Es gebe genügend Werkzeuge, um in jungen Jahren auch ohne Stimm- und Wahlrecht politisch aktiv zu sein. Gleichzeitig kritisierte er die Trennung von aktivem und passivem Wahlrecht. Es leuchte nicht ein, weshalb man abstimmen und wählen sollen dürfe, nicht aber selber kandidieren. Weiter argumentierten die Gegnerinnen und Gegnern, dass man viele Dinge mit 16 noch nicht dürfe, was eben auch die Vergabe des Stimm- und Wahlrechts in Frage stelle. «Wie soll denn jemand, der offenbar nicht in der Lage ist, über den Kauf einer Flasche Wodka zu entscheiden, vernünftig über eine Mehrwertsteuerrevision abstimmen können?», fragte etwa Gregor Rutz (svp, ZH) rhetorisch. Dagegen wandte Felix Wettstein (gp, SO) ein, dass Mündigkeits- und Stimmrechtsalter auch bei der Senkung auf 18 Jahre nicht übereingestimmt hätten (das Mündigkeitsalter lag damals bei 20, heute bei 18 Jahren). Auch die Frage nach der genauen Altersgrenze wurde debattiert. Auf die wiederum rhetorische Frage von Samira Marti (sp BL), ob es korrekt sei, dass über 50-jährige darüber entschieden, wie die Welt in fünfzig Jahren aussehen solle, antwortete Marianne Binder-Keller (mitte, AG), dass es zur Lösung dieser Problematik wohl ein «Stimmrechtsalter null» brauchen würde. Am Schluss meldete sich auch Initiantin Sibel Arslan zu Wort. Eine Abschreibung der Vorlage «wäre eine Ohrfeige für die Jungen». Es gehe um deren Zukunft und ihr Einbezug stärke den Generationenvertrag – so die Baslerin.
Die Abstimmung über den Antrag für Abschreibung fiel in der Folge erneut äusserst knapp aus. Dank einigen Stimmen aus der FDP-Fraktion und knapp der Hälfte der Stimmen aus der Mitte-EVP-Fraktion wuchsen die Voten der geschlossen stimmenden SP-, GLP- und GP-Fraktionen auf 99 an, die gegen die 90 befürwortenden Stimmen – darunter die geschlossen stimmende SVP-Fraktion – obsiegten (3 Enthaltungen). Die SPK-NR wird also eine Vorlage ausarbeiten müssen.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Stimmrechtsalter 16

Im Juni 2021 forderte die APK-NR mittels einer parlamentarischen Initiative die Schaffung eines Bundesgesetzes für die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union. Der Vorstoss wurde in Reaktion auf den einseitigen Abbruch der Verhandlungen über ein Institutionelles Rahmenabkommen mit der EU formuliert. Der Bundesrat solle die Eckwerte für den strukturierten politischen Dialog mit der EU zur Klärung der institutionellen Regeln in diesem Gesetz festhalten. Die Kommission argumentierte, dass eine Klärung der institutionellen Regeln für die bestehenden und zukünftigen bilateralen Abkommen grundlegend für den kontinuierlichen und ausgewogenen Ausbau der Wirtschafts- und Kooperationsbeziehungen mit der EU und ihren Mitgliedstaaten sei. Vier Forderungen sollten im Bundesgesetz berücksichtigt werden: die Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens zur Klärung der institutionellen Fragen oder einer anderen zukunftsfähigen institutionellen Lösung müssen zum nächstmöglichen Termin aufgenommen werden; der Bundesrat muss die Grundlage für den Verhandlungsbeginn mit einem regelmässigen strukturierten politischen Dialog auf ministerieller Ebene schaffen; die Aussenpolitischen Kommissionen sowie die Kantone müssen zeitnah über den politischen Dialog informiert werden und sollen Leitlinien zur Stärkung von Demokratie und Souveränität empfehlen können; der Bundesrat muss die Rechtsharmonisierung rasch und umfassend vornehmen und legt dabei auch die Prioritäten für künftige Marktzugangsabkommen und den Abschluss anderer Kooperationsabkommen fest.
Da die APK-SR der parlamentarischen Initiative im Oktober 2021 knapp keine Folge gab, musste die APK-NR darüber entscheiden, ob an der Initiative festgehalten werden soll. In ihrem Kommissionsbericht Ende November 2021 gab sie dieser mit 17 zu 8 Stimmen Folge, da eine Mehrheit der Meinung war, dass mithilfe der bewusst «nicht ausformulierten Initiative» eine europapolitische Leitlinie zur Weiterführung der bilateralen Beziehungen mit der EU geschaffen werden müsse. Eine Kommissionsminderheit Nidegger (svp, GE) sorgte sich hingegen, dass dadurch die Handlungsfähigkeit des Bundesrats eingeschränkt werden könnte.
In der Frühjahrssession 2022 beriet der Nationalrat die Initiative seiner Aussenpolitischen Kommission. Kommissionssprecher Eric Nussbaumer (sp, BL) räumte zwar ein, dass die auswärtigen Angelegenheiten Sache des «Bundes» seien, dieser Begriff umfasse jedoch nicht nur die Exekutive sondern auch die Legislative. Es sei demnach die Aufgabe der Legislative, die «Leitlinien eines aussenpolitischen Handlungsfeldes in einem Gesetz als Handlungsanweisung für die Exekutive zu verankern». Nussbaumer versicherte, dass das Gesetz keinen umfassenden Integrationsschritt, wie zum Beispiel einen EWR-Assoziierungsvertrag, vorschreiben würde, sondern nur dafür sorgen solle, den bisherigen Weg zukunftsfähig weiterzuführen. Da aus Basis der parlamentarischen Initiative zudem ein Gesetz ausgearbeitet würde, das dem fakultativen Referendum unterstehe, sei eine direkt-demokratische Auseinandersetzung möglich, ohne dass der bilaterale Weg dadurch bedroht werde. Minderheitssprecher Nidegger, der beantragte, der parlamentarischen Initiative nicht Folge zu geben, störte sich daran, dass diese zwingend eine Klärung der institutionellen Regeln vorsehe, wo doch derzeit unüberbrückbare Differenzen zur EU bestünden, namentlich beim Lohnschutz, der Unionsbürgerschaft und dem Verbot der staatlichen Beihilfen. Er bezeichnete den Vorstoss als «Putsch» gegen das Vorrecht des Bundesrats, die Schweizer Aussenpolitik gestalten zu können. Die grosse Kammer gab der Initiative ihrer Kommission trotz dieser Einwände mit 127 zu 58 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) Folge. Die SVP-Fraktion, sowie vereinzelte Mitglieder der FDP.Liberale- und der Mitte-Fraktion stimmten dagegen.

Bundesgesetz über die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union (Pa.Iv. 21.480)
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

In einem Bericht solle der Bundesrat zeigen, ob in der Bundesverwaltung selbstorganisierte Arbeitsformen eingeführt werden könnten. «Holokratie» oder «Soziokratie 3.0» – also dezentrale und agile Organisationsformen – gewännen an Beliebtheit, bewährten sich bei fortschreitender Digitalisierung und seien geeignet, um Innovation zu fördern, so Min Li Marti (sp, ZH), die Urheberin des Vorstosses. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats. Bereits heute würden in der Bundesverwaltung teilweise solche agilen Organisationsformen angewendet und ein stärkerer Einsatz sei prüfenswert.
Nachdem der Vorstoss durch Yves Nidegger (svp, GE) bekämpft worden war, brauchte es eine Ratsdebatte, die in der Frühjahrssession 2022 stattfand. Da sich Min Li Marti wegen Covid in Isolation befand, erhielt gleich der Gegner des Vorstosses das Wort: Er habe das Gefühl, es sei vielmehr die Verwaltung, die den Bundesrat leite, statt umgekehrt. Es brauche folglich nicht noch mehr Selbstverwaltung. Die eidgenössische Verwaltung sei zudem kein Start-up, nicht etwas Amerikanisches und entwickle auch keine Software – in solchen Unternehmen würde Holokratie angewendet. Schliesslich würden solche Arbeitsformen den Finanzhaushalt noch stärker belasten. Ueli Maurer widersprach Nydegger: Es sei im Nachgang der Corona-Krise wichtig, nicht nur Homeoffice, sondern möglichst viele neue Arbeitsformen zu prüfen. Die Bundesverwaltung sei eben keine Einheit, stattdessen gebe es in den verschiedenen Bundesämtern ganz unterschiedliche Bedürfnisse an die Arbeitsplatzgestaltung. Der Bundesrat arbeite bereits in die Richtung des Postulats, weshalb er es zur Annahme beantrage. Nur die geschlossen stimmende SVP-Fraktion stellte sich gegen diese Empfehlung, sodass das Postulat mit 137 zu 53 Stimmen (3 Enthaltungen aus der SP-Fraktion) angenommen wurde.

Selbstorganisierte Arbeitsformen in der Bundesverwaltung einführen (Po. 21.4162)

Internationale oder völkerrechtliche Erklärungen, Empfehlungen, Pakte oder Aktionspläne, die rechtlich nicht bindend sind – also sogenanntes «Soft Law» sollen vom Parlament genehmigt werden, bevor sie der Bundesrat unterzeichnen darf. Dies forderte die SVP-Fraktion Ende 2018 mit einer parlamentarischen Initiative. Die Nichteinhaltung von Bestimmungen von Soft Law ziehe zwar keine völkerrechtlichen Konsequenzen nach sich, weshalb sie vom Bundesrat selbständig ratifiziert werden können. Nicht selten würden damit aber Verpflichtungen eingegangen, deren Nichtbeachtung international angeprangert oder gar als Verstoss gegen Treu und Glauben interpretiert würden. Die SVP forderte deshalb, dass Soft Law gleich zu handhaben sei wie völkerrechtliche Verträge und entsprechend von der Bundesversammlung genehmigt werden müsse.
Die APK-NR gab der parlamentarischen Initiative im Januar 2020 mit 14 zu 11 Stimmen Folge. Gestützt auf den Bericht des Bundesrats zur Erfüllung des Postulats 18.4104 und im Wissen darüber, dass die APK-SR aufgrund dieses Berichts eine Subkommission einsetzen wollte, die sich mit einer besseren Mitwirkung des Parlaments bei Soft Law auseinandersetzt, sah die Mehrheit der APK-NR ebenfalls Handlungsbedarf, so ihre Begründung in einer Medienmitteilung.
Weil die APK-SR dann allerdings rund ein Jahr später der parlamentarischen Initiative einstimmig (11 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung) keine Folge gab, lag der Ball wieder bei der nationalrätlichen Kommission. Diese entschloss sich, wiederum ein Jahr später, mit 17 zu 6 Stimmen ebenfalls gegen Folgegeben. Man habe in der Zwischenzeit gemeinsam mit der APK-SR die Subkommission «Soft Law» eingesetzt, die aktuell bereits untersuche, ob und wie Soft Law von der Bundesversammlung genehmigt werden soll. Man wolle den Resultaten dieser Arbeiten nicht vorgreifen und der parlamentarischen Initiative deshalb auch aus «prozessökonomischen Gründen» keine Folge geben.
Weil die sechsköpfige SVP-Kommissionsminderheit allerdings Folgegeben beantragte, kam der Vorstoss in der Frühjahrssession 2022 zur Behandlung in die grosse Kammer. Dort brachte Yves Nidegger (svp, GE) den Migrationspakt, die Rügen der Greco hinsichtlich der Parteienfinanzierung oder die Klimakonferenz als Beispiele vor, die zeigten, wie stark Soft Law Auswirkungen auf die schweizerische Politik habe, ohne dass das Parlament dazu etwas zu sagen gehabt hätte. Dem Argument der APK-NR, den Arbeiten der Subkommission nicht vorgreifen zu wollen, könne die Kommissionsminderheit nicht folgen: Mit der zielgerichteten parlamentarischen Initiative könne vielmehr der Druck in dieser Sache aufrechterhalten werden. Kommissionssprecherin Sibel Arslan (basta, BS) begründete die ablehnende Empfehlung der Kommissionsmehrheit auch damit, dass es bei der momentanen Arbeit der Subkommission auch um eine inhaltliche Mitwirkung des Parlaments bei der Aushandlung von Soft Law gehe und nicht bloss um eine Genehmigung, wie dies von der SVP-Initiative gefordert wurde. Die Kommissionsmehrheit fand im Nationalrat 138 unterstützende Stimmen. Die 55 Gegenstimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und von drei Mitgliedern der Mitte-EVP-Fraktion. Damit war die Initiative vom Tisch, nicht aber die Diskussionen um die Mitwirkung des Parlaments bei Soft Law.

Das Parlament soll Soft Law genehmigen (Pa.Iv. 18.466)
Dossier: Soft Law - Mitwirkung des Parlaments

Le paquet d'aide aux médias a été rejeté en votation populaire le 13 février 2022. Ce refus ne signifie pas pour autant la fin de la discussion sur les possibilités de soutien de la part de l'état aux médias. Lors de la session de printemps, Katja Christ (pvl, BS) a remis le sujet sur le tapis via son postulat «Réfléchir dès aujourd'hui à la stratégie d'aide aux médias de demain». La conseillère nationale bâloise a relevé que ce sont certaines mesures particulières qui ont provoqué l'échec du paquet soumis à votation. Dès lors, il s'agit de déterminer comment l'État peut aider les médias, sans répéter les erreurs commises lors de la conception du paquet, surchargé selon elle. Dans le même ordre d'idée, la commission des transports et des télécommunications du Conseil national (CTT-CN) a déposé début avril une initiative parlementaire proposant de reprendre les points du paquet qui n'étaient pas contestés lors des débats parlementaires afin qu'ils entrent rapidement en vigueur.
Lors de sa prise de parole à la tribune, Gregor Rutz (udc, ZH) n'a pas adopté la même grille d'analyse que Christ. Le zurichois a interprété le vote du 13 février comme un signal d'une nouvelle direction à donner à la politique médiatique, plus orientée vers le marché et avec plus de retenue de la part de l'État. Le député conservateur a également exprimé sa volonté de revoir le mandat attribué à la RTS, suivant la ligne de son parti, qui prépare de nouvelles attaques contre le service-public, quatre ans après le rejet de l'initiative No-Billag.
S'agissant du Conseil fédéral, il a recommandé l'adoption du postulat. Le Conseil national l'a suivi en acceptant l'objet par 102 voix contre 82 (une abstention).

Réfléchir dès aujourd'hui à la stratégie d'aide aux médias de demain (Po. 21.3781)
Dossier: Vorstösse zur Presseförderung (2000-)
Dossier: Medienförderungspolitik nach dem Scheitern des Medienpakets