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  • Sauter, Regine (fdp/plr, ZH) NR/CN
  • Schneeberger, Daniela (fdp/plr, BL) NR/CN

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Anfang 2023 trat Regine Sauter das Präsidium des Spitalverbands H+ an. Die Generalversammlung folgte einstimmig der Empfehlung der Findungskommission, deren Chef Sauter aufgrund ihres Netzwerks in Bundesbern und ihres Gewichts im Parlament als Idealbesetzung für den Verband erachtete. Wie schon ihre Vorgängerin Isabelle Moret ist Sauter FDP-Nationalrätin und Mitglied der SGK-N. Der Spitalverband, der nach eigenen Angaben 205 öffentliche und private Spitäler, Kliniken und Pflegeinstitutionen vertritt, behält mit ihr also einen direkten Draht in dieses zentrale gesundheitspolitische Gremium. Moret war aufgrund ihrer Wahl in die Waadtländer Kantonsregierung vom Verbandsvorsitz zurückgetreten.
Sauter setzte sich in ihrer Antrittsrede zum Ziel, H+ solle «die massgebende Stimme sein, wenn es darum geht, die Rahmenbedingungen der Spital-, Klinik- und Pflegelandschaft der Schweiz für die nächsten Jahrzehnte zu definieren». Ihr Verband habe «die Kompetenz und auch die Legitimation dazu.» In einem Interview mit der NZZ äusserte sie sich kurz darauf zu weiteren gesundheits- und spitalpolitischen Positionen. Sauter sprach sich darin etwa für Versorgungsnetzwerke mit einem Spital als Zentrum aus, in denen verschiedene Akteure von Hausarztpraxen oder Permanencen über die Spitex bis zur Langzeitpflege zusammenarbeiten. Solche Netzwerke könnten etwa das Problem überlaufener Notfallstationen oder – dank einem effizienteren Einsatz des Personals – auch den Fachkräftemangel in der Pflege entschärfen. Ein weiteres Instrument gegen den Personalmangel sah Sauter in der Ausbildungsoffensive als Folge der 2021 angenommenen Pflegeinitiative. Auch das Parlament könne einen Beitrag leisten, wenn es sich künftig beim Erlass gesetzlicher Vorgaben zurückhalte, die das Arzt- und Pflegepersonal mit weiteren administrativen Arbeiten belasten würden. Mit Bezug auf die Spitalstrukturen wollte Sauter zwar «nicht pauschal» von zu vielen Spitälern in der Schweiz sprechen, befürwortete aber eine überkantonale Spitalplanung und Straffungen, die «nicht nur tiefere Kosten, sondern auch bessere Behandlungsqualität bringen» könnten. Mit Blick auf die Spitalfinanzierung forderte die Freisinnige eine Ausgliederung aller Spitäler aus der öffentlichen Verwaltung, um mehr Kostentransparenz und einen Wettbewerb mit gleich langen Spiessen zu erreichen.

Wechsel im Präsidium des Spitalverbands H+

Im August 2022 reichte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats eine Kommissionsmotion mit dem aussagekräftigen Titel Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern ein. Die geforderte Taskforce solle die im Zuge des Ukraine-Kriegs verhängten internationalen Sanktionen gegen Russland und Belarus umsetzen und insbesondere die in der Schweiz gelagerten Vermögenswerte von sanktionierten Personen finden und sperren.
Eine grosse Minderheit Schneeberger (fdp, BL) beantragte, die Motion abzulehnen. Gleiches tat der Bundesrat, der wie schon in seinen Stellungnahmen zu den ähnlich ausgerichteten Motionen von Carlo Sommaruga (sp, GE) und der SP-Fraktion darauf hinwies, dass die Umsetzung der Sanktionen die betroffenen Bundesstellen allgemein vor neue Herausforderungen stelle (Mo. 22.3236; Mo. 22.3214). Der Bundesrat zeigte sich aber überzeugt, dass die Prozesse zwischen den Bundesbehörden und den privaten Unternehmen funktionierten, das belege nicht zuletzt die hohe Zahl an Meldungen und die grossen Summen an eingefrorenen Vermögenswerten. Der Sanktionsvollzug werde vom SECO koordiniert und überwacht, zudem seien die verschiedenen Ämter in einer ständigen Koordinationsgruppe «Sanktionspolitik» zusammengefasst. Darüber hinaus tausche sich die Schweiz mit der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Taskforce «Freeze and Seize» über die Umsetzung der Sanktionen aus, wobei auch eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen internationalen und nationalen Behörden im Raum stehe. Der Bundesrat sah aus diesen Gründen keinen Handlungsbedarf in dieser Angelegenheit.

Der Nationalrat setzte sich in der Wintersession 2022 mit der Motion seiner Kommission auseinander. Kommissionssprecher Bendahan (sp, VD) stellte seiner Begründung voran, dass die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates bereits 2018 ein Koordinationsdefizit bei der Einführung von Sanktionen festgestellt habe und eine verbesserte Überwachung und Koordination durch das SECO verlange. In den Augen der WAK-NR könne die vorgeschlagene Taskforce ein Sanktionsregime effizienter umsetzen, als wenn sich die verschiedenen Departemente koordinieren müssen. Zudem könne ein derartig multidisziplinäres Gremium besser mit den komplexen Problemstellungen umgehen, die bei der Einführung von Sanktionen auftreten. Die WAK-NR wolle damit verhindern, dass die Schweiz im internationalen Netzwerk der Sanktionspartner zu einem schwachen Glied werde, fügte Bendahan weiter an. Der Motionstext sei bewusst offen formuliert, um dem Ständerat und dem Bundesrat genügend Spielraum für situative Anpassungen zu erlauben. Kathrin Bertschy (glp, BE) ergänzte, dass die vorliegende Motion im Gegensatz zu den ähnlich lautenden Vorstössen aus der Sommersession 2022 darauf verzichte, die Vermögenswerte einzuziehen. Daniela Schneeberger vertrat eine grosse Kommissionsminderheit – 12 Kommissionsmitglieder hatten die Ablehnung beantragt – und argumentierte, dass eine derartige Taskforce keinen Mehrwert bringe, sondern eher als Misstrauensvotum gegen das «funktionierende und etablierte System der Zusammenarbeit von Staat und privaten Akteuren» gelesen werden müsste. Eine neue Instanz würde vor allem erhöhten Koordinationsaufwand mit sich bringen, was nicht gerechtfertigt wäre, da nur ein kleiner Teil aller Sanktionen die blockierten Gelder betreffe. Wirtschaftsminister Guy Parmelin wies anschliessend darauf hin, dass die Schaffung einer Taskforce mit der Kompetenz, Vermögen zu blockieren, zahlreiche Doppelspurigkeiten mit dem SECO schaffen würde. Er warnte auch davor, die Wirksamkeit der Sanktionen an der Höhe der gesperrten Vermögenswerte messen zu wollen, da die Sperrung nur eine von vielen Massnahmen sei.
Die grosse Kammer nahm die Motion jedoch gegen den Willen des Bundesrats, sowie der Fraktionen der SVP und der FDP mit 101 zu 84 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) an.

Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern

Als zweites Geschäft der Wintersession 2022, gleich nach der Vereidigung des neuen Ratsmitglieds Marc Jost (evp, BE), schritt die grosse Kammer zu den Wahlen für das Nationalratspräsidium 2023. Die scheidende Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) bedankte sich für das Vertrauen, die Mitarbeit und die Unterstützung und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dem Anspruch gerecht geworden zu sein, «je zu einem Hundertneunundneunzigstel Ihre Präsidentin zu sein». Einen besonderen Dank richtete sie an alle Mitarbeitenden, die im Hintergrund wirken, aber ohne die die Mühlen in Bern nicht reibungslos mahlen würden. Das Jahr, das mit dem Ende der Pandemie, aber mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine begonnen habe, habe ihr vor allem gezeigt, wie fragil eine Demokratie sei und dass es gelte, deren Werte jeden Tag zu verteidigen. Sie habe viel zugehört, sei auch dann im Saal gewesen, wenn die Mehrheit der Mitglieder abwesend gewesen sei und habe gelernt, dass es darum gehen müsse, grosse Mehrheiten für Kompromisse zu finden, um möglichst die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten. Diesen Konsens immer wieder zu finden, zusammenzustehen und die gemeinsamen Werte zu stützen, sei und bleibe Aufgabe des Parlaments. Der Rat verabschiedete seine Präsidentin mit stehenden Ovationen und schritt zur Wahl des neuen Präsidenten.
Wie gewohnt rückte der amtierende Vizepräsident ins Amt der höchsten Schweizerin bzw. des höchsten Schweizers nach. Martin Candinas (mitte, GR) erhielt 181 von 188 möglichen Stimmen. Sieben Stimmen gingen an Diverse. Damit lag er weit über dem langjährigen Schnitt von 155 Stimmen, kam aber nicht an die bisher höchste Stimmenzahl heran, die Hansjörg Walter (svp, TG) bei seiner Wahl 2011 erhalten hatte (185 Stimmen). Der 42-jährige Candinas war bei seiner Wahl jünger als der Durchschnitt der bisherigen Nationalratspräsidentinnen und -präsidenten (52.4 Jahre) und hatte mit einer Amtszeit von 11 Jahren etwas weniger Ratserfahrung als der Durchschnitt (14.3 Jahre). Candinas ist erst der fünfte Präsident aus dem Kanton Graubünden und auch erst der fünfte höchste Schweizer rätoromanischer Muttersprache.
Er leitete sodann seine Rede auch in der vierten Landessprache ein, wie er das im Nationalrat bisher stets getan hatte. Er trete seine Aufgabe mit grossem Respekt an – vor allem auch, weil es noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg eine derartige Häufung von Krisen gegeben habe wie heute: Pandemie, Krieg, Lieferengpässe, Energiekrise, Inflation. Zwar sorge das politische System der Schweiz für Stabilität, dies könne aber nur so bleiben, wenn Politik nicht zum Selbstzweck werde, wenn es nicht um Eigeninteressen, sondern um das Gemeinwohl gehe. Das Motto seines Präsidialjahres sei deshalb «gemeinsam – ensemble – insieme – ensemen»; er habe sich mit seiner Parteikollegin und neuen Ständeratspräsidentin, Brigitte Häberli-Koller (mitte, TG), für dieses gemeinsame Motto ausgesprochen. Damit sei nicht gemeint, dass es keine harten Auseinandersetzungen geben dürfe, sondern dass man mit Respekt andere Meinungen aushalte und dadurch der Demokratie Sorge trage: «Denn in einem Punkt sind wir uns wohl alle einig: Unsere direkte Demokratie ist nicht perfekt, aber es gibt kein besseres politisches System auf der ganzen Welt.» Candinas bedankte sich bei seiner Familie, die im nächsten Jahr öfter ohne ihn auskommen müsse, sowie bei seiner Vorgängerin, die ihm ein Vorbild gewesen sei, weil sie das Präsidium stets als Teamaufgabe verstanden habe. Nach einer musikalischen Einlage eines Kinderchors aus Sumvitg lud der neue Präsident die Ratsmitglieder – «wie es vor Corona Usus war» – zu seiner Wahlfeier ein, die zwei Tage später in Disentis stattfinden sollte.
Als nächstes Traktandum wählte der Nationalrat das Vizepräsidium. Eric Nussbaumer (sp, BL) wurde mit 161 von 190 möglichen Stimmen vom zweiten zum ersten Vizepräsidenten befördert. 8 Wahlzettel blieben leer und 21 entfielen auf Diverse. Neu ins Präsidium wurde Maja Riniker (fdp, AG) gewählt. Die FDP.Liberale-Fraktion hatte die 2019 in den Nationalrat gewählte 44-Jährige bereits im September 2022 etwas überraschend der erfahreneren Daniela Schneeberger (fdp, BL) vorgezogen und für das Amt nominiert. Der Rat wählte sie mit 131 von 186 möglichen Stimmen. 15 Wahlzettel blieben leer, 4 waren ungültig, 21 entfielen auf Diverse und auf 15 fand sich der Name von Daniela Schneeberger. Im Normalfall und eine Wiederwahl bei den eidgenössischen Wahlen 2023 vorausgesetzt, wird nach Irène Kälin 2025 mit Maja Riniker also erneut eine Aargauerin die grosse Kammer präsidieren. Zum 15. Mal wird dem Aargau dann diese Ehre zuteil – nur die Kantone Bern (28), Zürich (24) und Waadt (20) stellten bisher noch mehr höchste Schweizerinnen und Schweizer.

Wahl des Nationalratspräsidiums 2022/23
Dossier: Nationalrat und Ständerat. Wahl des Präsidiums und des Büros

In einer langen und intensiven Debatte beschäftigte sich der Nationalrat in der Herbstsession 2022 mit der Vorlage über einen Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung mittels Abschaffung des Eigenmietwerts. Daniela Schneeberger (fdp, BL) und Céline Amaudruz (svp, GE) erstatteten als Sprecherinnen der WAK-NR der grossen Kammer Bericht über den umstrittenen Erlassentwurf und die von der Kommission beantragten Änderungen gegenüber der vom Ständerat verabschiedeten Version. Die Kommissionsmehrheit sei weiterhin der Ansicht, dass der Eigenmietwert als fiktiver Einkommensbestandteil störend wirke und von der Bevölkerung nicht verstanden werde, insbesondere von Personen, die ihre Liegenschaft abbezahlt hätten. Deshalb sehe die Mehrheit der WAK-NR Handlungsbedarf und unterstütze die Bestrebungen zur Abschaffung. Dabei räumten die Sprecherinnen jedoch auch ein, dass es noch einige Punkte anzupassen gebe.

In der Eintretensdebatte galt es über einen Nichteintretensantrag sowie zwei Anträge zur Rückweisung der Vorlage an die Kommission zu befinden. Der Nichteintretensantrag sowie einer der beiden Rückweisungsanträge stammten aus der Feder von Cédric Wermuth (sp, AG). Dieser liess kein gutes Haar an der Vorlage und nannte vier Gründe, nicht auf sie einzutreten. Erstens sei die Besteuerung des Eigenmietwerts steuersystematisch sinnvoll, da damit ein effektiver ökonomischer Nutzen besteuert werde. Zweitens würde die Vorlage die sowieso schon steuerlich bevorzugten Wohneigentümerinnen und -eigentümer noch zusätzlich bevorzugen. Drittens sei es schwierig, die aktuelle Situation zu ändern, ohne dabei jemanden stark zu benachteiligen, beispielsweise jüngere Menschen oder Bergregionen. Viertens führe die Vorlage auch zu gewichtigen finanziellen Ausfällen. Wermuth beantragte deshalb, nicht auf die Vorlage einzutreten. Falls der Rat doch auf sie eintrete, dann werde er sich für seinen Rückweisungsantrag einsetzen. Dieser sah vor, dass die parlamentarische Initiative der WAK-SR, auf der die Vorlage basiert, stattdessen mittels einer Härtefallregelung umgesetzt werden soll, womit insbesondere Rentnerinnen und Rentner, welche ihre selbstbewohnte Immobilie abbezahlt haben, aber nur über ein tiefes Einkommen verfügen, entlastet würden.

Der zweite Rückweisungsantrag stammte von Markus Ritter (svp, SG). Ritter sprach sich zwar für die Abschaffung des Eigenmietwerts aus, wollte die Vorlage aber zurück an die Kommission schicken, u.a. da eine Volksabstimmung bei erwarteten gesamtstaatlichen Steuerausfällen von CHF 3.8 Mrd. nicht zu gewinnen sei, betonte er auch mit Verweis auf die Abstimmungen über die Vorlagen zur Abschaffung der Stempelsteuerabgabe und der Verrechnungssteuer, die beide an der Urne gescheitert waren. Um die Mängel der Vorlage zu beheben, sei eine Rückweisung sinnvoller als eine direkte Beratung im Nationalrat. Zudem müssten erstens die Kantone enger eingebunden werden, da diese auch stark betroffen seien. Zweitens habe sich die Vorlage zu stark vom ursprünglichen Ziel des Systemwechsels entfernt und drittens störte sich Ritter daran, dass trotz der Abschaffung des Eigenmietwerts Schuldzinsabzüge bestehen bleiben sollen. Schliesslich lägen der eidgenössischen Steuerverwaltung ab Januar 2023 aktualisierte Zahlen aus vier grossen Kantonen vor, welche für die Entscheidfindung in der Kommission wichtig seien. Auch die von Wermuth verlangte Prüfung einer Härtefalllösung sei Teil seines Rückweisungsantrags, betonte Ritter.

Für Eintreten sprachen sich die Fraktionen der FDP und der SVP aus. Von der SVP weibelte unter anderem Esther Friedli (svp, SG) für die Vorlage. Die Besteuerung des Eigenmietwerts sei während des Ersten Weltkriegs provisorisch eingeführt worden und es sei nun endlich an der Zeit, sie wieder abzuschaffen. Man besteuere nämlich ein fiktives Einkommen. Ausserdem sei der Kauf von Wohneigentum ein eigenverantwortlicher Beitrag zur Altersvorsorge, der durch den Eigenmietwert massiv behindert werde. Weiter bestrafe das heutige System diejenigen, welche ihre Hypothekarschulden abbezahlen wollen, und setze so Anreize zur Verschuldung. Die Schweiz habe nicht zuletzt deshalb eine solch gefährlich hohe Privatverschuldungsquote. Schliesslich führe die heutige Lösung auch zu viel Bürokratie. Die Position der FDP-Fraktion legte unter anderem Petra Gössi (fdp, SZ) dar. Sie unterstützte den Systemwechsel und war der Meinung, der Rat habe in der Detailberatung noch genügend Möglichkeiten, über die konkrete Ausgestaltung der Vorlage zu diskutieren. Eine Rückweisung bringe hingegen nichts. Die Kantone hätten sich bisher nicht kompromissbereit gezeigt und man könne auch heute schon den Entscheid zum Systemwechsel «auf ordnerweise Material stützen».

Die Fraktionen der Grünen und der SP plädierten für Nichteintreten. Balthasar Glättli (gp, ZH) sprach beispielsweise von einem fiskalpolitischen Blindflug, der schlussendlich die «Welt ungerechter statt gerechter» machen würde. Bei der Vorlage sei nicht mehr viel zu retten. Auch Vertreterinnen und Vertreter der SP sprachen sich deutlich gegen die Vorlage aus. Jacqueline Badran (sp, ZH) befürwortete zwar einen reinen Systemwechsel, weil damit Immobilien weniger wie Anlagen und wieder mehr wie Wohnobjekte behandelt würden. Doch die jetzige Fassung der Vorlage habe nichts mehr mit einem reinen Systemwechsel zu tun, da sämtliche Abzugskosten erhalten blieben. Das Parlament habe sich hier «komplett übermarcht» und die Ausarbeitung «einmal mehr komplett unsorgfältig gemacht».

Die Fraktionen der Mitte und der GLP sprachen sich für Eintreten und für Annahme des Rückweisungsantrags Ritter aus. Kathrin Bertschy (glp, BE) gab derweil zu Protokoll, dass ihre Fraktion einen Systemwechsel grundsätzlich begrüssen würde, weil damit Verschuldungsanreize und ökologische Fehlanreize im Unterhaltskonsum reduziert und die volkswirtschaftliche Stabilität erhöht werden könnten. Allerdings forderte sie einen «umfassenden und vollständigen» Systemwechsel, also einen Wechsel, der auch Zweitwohnungen umfasst und dafür die Steuerabzüge abschafft. Deshalb unterstütze die Fraktion den Rückweisungsantrag Ritter, nicht aber den Nichteintretensantrag Wermuth, da eine Härtefalllösung einfach «eine Steuersubvention für Wohneigentümer, die mehr oder teureren Wohnraum beanspruchen, als sie benötigen oder bezahlen können», darstelle. Ähnlich argumentierte Leo Müller (mitte, LU) für die Mitte-Fraktion, welche die Abschaffung des Eigenmietwerts sowie der Steuerabzüge als «steuersystematisch richtig» und als Mittel zur Entlastung des Mittelstands erachtete.

Zuletzt äusserte sich Bundesrat Ueli Maurer zur Vorlage. Der Bundesrat befürworte einen Systemwechsel, so Maurer, damit Verschuldungsanreize abgebaut, Komplexität reduziert und Lösungen für Rentnerinnen und Rentner mit tiefem Einkommen gefunden werden können. Die Vorlage sei aber in der vorliegenden Fassung nicht finanzierbar und nicht mehrheitsfähig. Er empfahl dem Parlament deshalb, dem Antrag Ritter zuzustimmen.

In den Abstimmungen lehnte der Nationalrat zuerst den Nichteintretensantrag Wermuth mit 125 zu 68 Stimmen ab. Wermuth zog daraufhin seinen Rückweisungsantrag zurück. Der Antrag Ritter fand in der Folge mit 114 zu 77 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) eine Mehrheit im Rat. Die Fraktionen der Mitte, GLP, SP und Grünen stimmten geschlossen für den Antrag und schickten damit die Vorlage zurück an die WAK-NR.

Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung (Pa.Iv. 17.400)
Dossier: Vorstösse zur Abschaffung des Eigenmietwerts (1992-2023)

Ende Juni 2022 lancierte die SGK-NR eine Motion zur Förderung der Gendermedizin und griff damit zwei Petitionen aus der Frauensession 2021 auf. Die Gendermedizin untersucht und behandelt Krankheiten vor einem geschlechtsspezifischen Hintergrund. Die Annahme, dass Krankheiten geschlechtsneutral verliefen und aufträten, könne Fehldiagnosen und -behandlungen mit sich ziehen. Um dies zu verhindern, müssten bestehende Ungleichheiten in der Medizin bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund forderte die Kommissionsmehrheit, dass ein nationales Forschungsprogramm zur Gendermedizin lanciert wird, dass Forschungsprojekte gefördert werden, welche sich mit Frauenkrankheiten beschäftigen, und dass das Geschlecht bei der Vergabe von Geldern des SNF berücksichtigt wird.
Zwei Kommissionsminderheiten waren jedoch nicht mit allen Forderungen einverstanden. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) rief dazu auf, die ersten beiden Forderungen der Motion abzulehnen, während eine Minderheit Sauter (fdp, ZH) die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Geldervergabe ablehnte. Nationalrat Glarner argumentierte, dass das Problem der geschlechtlichen Ungleichbehandlung in der Medizin wohl erst seit «der unsäglichen Gender-Debatte mit all ihren Absurditäten von Links-Grün» bestehe. Dahingegen anerkannte Nationalrätin Sauter die Wichtigkeit der Motion, aber sprach sich entschieden gegen die in der Motion vorgesehenen «engen Vorgaben» für zur Vergabe von Forschungsgeldern aus. Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Problematik bereits in den Antworten auf vergangene Vorstösse (etwa Mo. 19.3577) diskutiert worden sei und geschlechterspezifischer Unterschiede in der Medizin aufgrund des Postulats Fehlmann (sp, GE; Po. 19.3910) bereits untersucht würden. Des Weiteren sei eine Ablehnung der Motion nötig, damit Forschende aller Schweizer Hochschulen weiterhin gleiche Chancen beim Bewerbungsprozess für Gelder des SNF und von Innosuisse hätten.
Nach einer hitzigen Debatte nahm der Nationalrat die Forderungen zur Lancierung eines nationalen Forschungsprogramms und zur Förderung der Erforschung spezifischer Frauenkrankheiten mit 127 zu 54 Stimmen bei 2 Enthaltungen an und sprach sich somit gegen den Minderheitsantrag Glarner aus. Dem Antrag der Minderheit Sauter kam der Nationalrat indes nach und sprach sich mit 100 zu 83 Stimmen gegen die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Vergabe von SNF-Geldern aus.

Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin (Mo. 22.2868)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Ende April 2022 kam das Referendum gegen die AHV21 zustande. Damit wurde an der Urne nicht nur über die Mehrwertsteuererhöhung um 0.4 Prozentpunkte respektive 0.1 Prozentpunkte und somit über eine Zusatzfinanzierung für die AHV von CHF 12.4 Mrd. bis 2032 abgestimmt – diese musste als Verfassungsänderung sowieso der Stimmbürgerschaft vorgelegt werden –, sondern auch über die übrigen Massnahmen des Reformprojekts. Dieses sah vor, das Rentenalter der Frauen in vier Schritten (2024 bis 2027) demjenigen der Männer anzupassen, wodurch die AHV bis 2032 CHF 9 Mrd. weniger ausgeben respektive mehr einnehmen sollte als bisher. Im Gegenzug sollten die ersten neun betroffenen Frauenjahrgänge Zuschläge zu ihren Renten oder günstigere Bedingungen beim Rentenvorbezug erhalten, die insgesamt CHF 2.8 Mrd. kosten sollten. Allgemein sollte der Start des Rentenbezugs flexibilisiert und neu zwischen 63 und 70 Jahren möglich werden – mit entsprechenden Abzügen und (teilweise) Gutschriften bei früherem oder späterem Bezug –, wobei die Rente nicht mehr nur vollständig, sondern auch teilweise bezogen werden kann. Dies würde bis 2032 etwa CHF 1.3 Mrd. kosten. Insgesamt könnten die AHV-Ausgaben bis ins Jahr 2032 um insgesamt CHF 4.9 Mrd. gesenkt werden.

Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform wehrten sich vor allem gegen die Finanzierung der Reform auf dem «Buckel der Frauen» (Tages-Anzeiger), also durch die Erhöhung des Frauenrentenalters. Dadurch würde den Frauen faktisch die Rente gekürzt – ein Jahr weniger Rente entspreche CHF 26'000, rechnete das Referendumskomitee vor. Diese Reduktion würde noch nicht einmal für diejenigen Jahrgänge, welche Kompensationsmassnahmen erhielten, vollständig ausgeglichen. Besonders störend daran sei, dass Frauen noch immer einen deutlich geringeren Lohn für ihre Arbeit und einen Drittel weniger Rente als die Männer erhielten, während sie gleichzeitig sehr viel mehr unbezahlte Arbeit leisteten. Darüber hinaus erachtete die Gegnerschaft die Erhöhung des Frauenrentenalters auch als ersten Schritt hin zum Rentenalter 67, das sie jedoch unter anderem mit Verweis auf die schlechten Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmender sowie auf die Erhöhung der Langzeitarbeitslosigkeit und der Sozialhilfequote ablehnte. Schliesslich erachteten die Gegnerinnen und Gegner auch die aktuelle Situation der AHV als weniger gravierend als die Befürwortenden der Revision: Die AHV sei solide, werde aber immer durch dramatische Prognosen schlechtgeredet – diese seien bisher jedoch nie eingetroffen. Die Nein-Parole zu beiden AHV-Vorlagen gaben die SP, die Grünen, die PdA sowie die SD aus, sie wurden von den Gewerkschaften unterstützt.

Die Befürwortenden der Reform betonten, dass die AHV struktureller Reformen bedürfe, zumal sie ansonsten bereits in wenigen Jahren mehr ausgeben als einnehmen werde. Die AHV21-Reform führe durch Massnahmen sowohl auf Einnahmeseite – durch die Mehrwertsteuererhöhung – als auch auf Ausgabenseite – durch die Erhöhung des Frauenrentenalters – zu einer Verbesserung der AHV-Finanzen. Bezüglich des Arguments der Gegnerschaft, dass vor allem die Frauen für die Reform aufkommen müssten, verwiesen die Befürwortenden auf die «substanziellen Kompensationen», welche die Frauen der Übergangsgeneration erhielten. Zudem sei eine Rentenaltererhöhung der Frauen auf 65 Jahre gerechtfertigt, da sie einerseits als Teil der Gleichstellung erachtet werden könne und da die grossen Rentenunterschiede andererseits nicht aus der AHV, sondern aus der beruflichen Vorsorge stammten. Im Gegenzug forderten jedoch auch verschiedene Mitglieder der Pro-Komitees Verbesserungen für die Frauen in der zweiten Säule, vor allem beim Koordinationsabzug, welcher gesenkt werden sollte. Die Ja-Parole zu beiden Vorlagen gaben die SVP, die FDP, die Mitte, die GLP, die EVP und die EDU sowie etwa Economiesuisse, der Arbeitgeberverband, der Gewerbeverband und der Bauernverband aus.

In der medialen Berichterstattung stand vor allem die Frage nach den Auswirkungen für die Frauen sowie der Fairness ihnen gegenüber im Mittelpunkt. Im Zentrum des Interesses stand dabei der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, Alliance f. So zeigten sich die im Verband organisierten Frauen öffentlich gespalten: Selbst der Vorstand des Verbands bestand aus Befürworterinnen und Gegnerinnen der AHV21. Alliance f sei in einer «delikate[n] Ausgangslage», betonten folglich etwa die AZ-Medien. Als Konsequenz gab der Verband Stimmfreigabe heraus und schuf zwei Frauenallianzkomitees, ein befürwortendes und ein ablehnendes. Damit wolle man sich trotz unterschiedlicher Positionen in die Diskussion einbringen und somit verhindern, dass die Männer die Debatte um das Frauenrentenalter dominierten, betonte etwa Co-Präsidentin von Alliance f und Präsidentin des befürwortenden Frauen-Komitees, Kathrin Bertschy (glp, BE).

Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielt die AHV21-Abstimmung Ende Mai, als das BSV die neuen Finanzperspektiven der AHV herausgab. So war der Bundesrat in der Botschaft zur AHV21 im August 2019 von einem negativen Betriebsergebnis der AHV im Jahr 2030 von CHF 4.6. Mrd. ausgegangen. Im Juni 2021 hatte das BSV für 2030 ein Defizit von CHF 3.7 Mrd. prognostiziert, in den neusten Finanzperspektiven Ende Mai 2022 war hingegen nur noch von einem Defizit von CHF 1.8 Mrd. die Rede. Das BSV erklärte diese Veränderungen mit dem guten Betriebsergebnis des AHV-Ausgleichsfonds 2021 sowie mit einem stärkeren Beschäftigungs- und Reallohnwachstum als erwartet. Diese Entwicklung zeige auf, dass die AHV in einer «systematische[n] Angstmacherei zulasten der Bevölkerung» schlechtgeredet werde, liess der SGB verlauten. Die NZZ erachtete diese Zahlen trotz der Korrekturen noch immer als schlecht, «die AHV [werde] so oder so ins Minus» rutschen.

Im Juni 2022 entschied die SGK-SR, dass ihr Entwurf zur Pensionskassenreform BVG21 noch nicht reif für die Behandlung in der Herbstsession 2022 sei. Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform sahen darin einen Versuch, kritische Debatten zur BVG21-Reform vor der Abstimmung über die AHV21 zu verhindern. Doch auch Befürwortende der AHV21-Reform störten sich an diesem Vorgehen der Kommission, zumal man bei einer Behandlung der BVG21-Reform den Frauen hätte zeigen wollen, dass man als Ausgleich zur Rentenaltererhöhung wie mehrfach versprochen ihre Pensionskassenrenten erhöhen werde.

Zu medialen Diskussionen führten in der Folge auch die Vorumfragen. Bereits Anfang Mai berichtete die SonntagsZeitung mit Verweis auf eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Demoscope, welche gemäss SonntagsBlick von den Befürwortenden in Auftrag gegeben worden war, dass sich 62 Prozent der SP-Sympathisierenden und 59 Prozent der Sympathisierenden der Grünen für die AHV21 aussprechen wollten. Insgesamt machte die Studie eine Zustimmung zur AHV21 von 55 Prozent aus. Darob publizierte jedoch der SGB die Resultate einer eigenen, zuvor beim Forschungsinstitut Sotomo in Auftrag gegebenen Studie, gemäss welcher die Sympathisierenden der SP die AHV21 zu 63 Prozent ablehnten, während der durchschnittliche Ja-Stimmenanteil über alle Parteien hinweg bei 48 Prozent zu liegen kam. Die Diskussion darüber, wie verlässlich Studien sind, welche von den Befürwortenden respektive der Gegnerschaft einer Vorlage in Auftrag gegeben werden, währte in den Medien jedoch nicht lange. Ab August konzentrierte sich die mediale Debatte auf die Vorumfragen von SRG/gfs.bern und Tamedia/Leewas, welche auf eine mehr oder weniger deutliche Annahme der zwei Vorlagen hindeuteten (Mehrwertsteuererhöhung: zwischen 54 und 65 Prozent, AHVG: zwischen 52 und 64 Prozent). Vor allem zeichnete sich in den Vorumfragen aber bereits ein deutlicher Geschlechtergraben ab, so sprachen sich beispielsweise Anfang August 2022 in der ersten Tamedia-Umfrage 71 Prozent der Männer für die Änderung des AHVG und somit für die Erhöhung des Frauenrentenalters aus, während diese nur 36 Prozent der Frauen befürworteten.

Hatten die Vorumfragen letztlich doch eine relativ deutliche Annahme beider AHV21-Vorlagen in Aussicht gestellt, wurde es am Abstimmungssonntag für die Gesetzesänderung sehr eng: Mit 50.55 Prozent Ja-Stimmen und gut 31'000 Stimmen Unterschied sprach sich die Stimmbürgerschaft für Annahme der Reform aus. Deutlicher fiel das Verdikt für die Zusatzfinanzierung über eine Mehrwertsteuererhöhung aus (55.07%).


Abstimmung vom 25. September 2022

Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; AHV21)
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'442'591 Stimmen (50.5%)
Nein: 1'411'396 Stimmen (49.5%)

Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'570'813 Stimmen (55.1%)
Nein: 1'281'447 Stimmen (44.9%)

Parolen:
-Ja: SVP, FDP, Mitte, GLP, EVP, EDU; Economiesuisse, SAV, SBV, SGV
-Nein: SP, GPS, PdA, SD; SGB, Travail.Suisse, VPOD
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen


«Männer haben Frauen überstimmt», titelte in der Folge der «Blick», von einem «eklatante[n] Geschlechtergraben, wie es ihn noch nie gegeben hat», sprach die WOZ. In der Tat zeigten verschiedene Nachbefragungen einen grossen Zustimmungsunterschied zwischen Frauen und Männern. In der Vox-Analyse lag die Zustimmung zur Gesetzesänderung bei den Frauen im Schnitt bei 38 Prozent, bei den Männern bei 64 Prozent – wobei die direktbetroffenen Frauen unter 65 Jahren der Vorlage nur mit 25 Prozent (18-39 Jährige) respektive mit 29 Prozent (40-64 Jährige) zustimmten, die Frauen im Rentenalter hingegen mit 63 Prozent. In der Folge kam es in Bern und anderen Städten zu Demonstrationen, in denen Teile der Gegnerinnen der Vorlage ihre Wut über das Ergebnis ausdrückten. In einer Rede zeigte sich Tamara Funiciello (sp, BE) gemäss Medien empört darüber, dass «alte, reiche Männer» entschieden hätten, dass «Kita-Mitarbeiterinnen, Nannys, Reinigungskräfte und Pflegefachfrauen» länger arbeiten müssten. Dies führte im Gegenzug zu Unmut bei Vertreterinnen und Vertretern der bürgerlichen Parteien, welche kritisierten, dass «die Linke» den Stimmentscheid nicht akzeptieren wolle. Zudem sprach Regine Sauter (fdp, ZH) Funiciello die Berechtigung ab, im Namen aller Frauen zu sprechen, zumal Frauen keine homogene Masse bildeten. Funiciello hingegen betonte gemäss Tages-Anzeiger, dass es «für Verbesserungen [...] den Druck von der Strasse und den Dialog im Bundeshaus» brauche.

Doch nicht nur zwischen den Geschlechtern, auch zwischen den Sprachregionen zeigten sich bereits am Abstimmungssonntag grosse Unterschiede. Sämtliche mehrheitlich romanischsprachigen Kantone lehnten die Reform ab, allen voran die Kantone Jura (29% Ja-Stimmen), Neuenburg (35%) und Genf (37%), während sich nur drei deutschsprachige Kantone mehrheitlich gegen die Reform des AHV-Gesetzes aussprachen (Basel-Stadt: 47% Zustimmung; Solothurn: 49.8%, Schaffhausen: 50.0%). Die höchste Zustimmung fand sich in den Kantonen Zug (65%), Nidwalden (65%) und Appenzell-Innerrhoden (64%). «Die Deutschschweiz sichert die AHV», bilanzierte folglich etwa die NZZ, während SGB-Präsident und Nationalrat Maillard (sp, VD) die Unterschiede zwischen den Sprachregionen kritisierte, neben dem Geschlechtergraben und dem Sprachgraben aber auch einen Einkommensgraben ausmachte. Diese Ergebnisse bestätigte später auch die Vox-Analyse, welche für Personen mit Haushaltseinkommen unter monatlich CHF 3'000 eine deutlich tiefere Zustimmung zur Gesetzesänderung ermittelte als für Personen mit höheren Haushaltseinkommen (unter CHF 3'000: 32%; CHF 3'000-5'000: 49%, CHF 5'000-9'000: 52%, CHF 9'000-11'000: 59%, CHF über 11'000: 60%). Dieselben Unterschiede waren jeweils auch bei der Mehrwertsteuererhöhung erkennbar, wenn auch in geringerem Ausmass.

Als Motive für ihren Stimmentscheid machte die Vox-Analyse bei den Befürwortenden die Notwendigkeit zur Stabilisierung der AHV aus – sowohl bei der Gesetzesänderung (41%) als auch bei der Mehrwertsteuererhöhung (64%) wurde dieser Punkt häufig genannt. Zusätzlich erachteten aber die Befürwortenden die Gesetzesänderung – also wohl vor allem die Rentenaltererhöhung – auch als Schritt hin zur Gleichberechtigung (45%). Die Gegnerinnen und Gegner erachteten sowohl die Gesetzesänderung als ungerecht (84%), insbesondere im Hinblick auf die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern, als auch auf die Mehrwertsteuererhöhung (46%), die vor allem einkommensschwache Personen treffe und allgemein ein «schlechtes Finanzierungsmittel» (Vox-Analyse) darstelle.

Bereits am Tag nach der Volksabstimmung zur AHV21 schwenkte das mediale Interesse weg von der Reform der AHV hin zur BVG21-Reform. Denn nicht nur die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform, sondern auch weite Teile der Befürwortenden wiesen auf die Verpflichtung oder gar das «Versprechen» (AZ) hin, die mit dieser Annahme der Reform einhergingen: Im Gegenzug müsse das Bundesparlament die Benachteiligung der Frauen bei der Altersvorsorge im Rahmen der anstehenden BVG21-Reform korrigieren.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

In der Sommersession 2022 verabschiedete das Parlament die Flexibilisierung der Besteuerung von Leibrenten. Für die WAK-NR präsentierten Daniela Schneeberger (fdp, BL) und Céline Amaudruz (svp, GE) dem Nationalrat die Vorlage; Schneeberger lobte die vorliegende Lösung als «flexibel» und «angemessen», da die Besteuerung der Leibrenten bei einem Zinsanstieg ebenfalls erhöht werde. Eine Minderheit Wermuth (sp, AG) beantragte hingegen Nichteintreten, da es bei dieser Vorlage «um eine doch sehr marginale Frage» gehe, von der überdies nur vermögende Personen profitieren würden – gleichzeitig blieben Probleme, deren Lösung allen Personen zugute käme, weiterhin ungelöst. Zudem komme der Wegfall der Pauschalbesteuerung in Anbetracht der steigenden Zinsen zum falschen Zeitpunkt, da man damit ein falsches Signal sende. Dies überzeugte jedoch neben der SP-Fraktion lediglich Stefania Prezioso (egsols, GE). Folglich trat der Nationalrat mit 131 zu 37 Stimmen auf das Geschäft ein und nahm dieses in der Folge ohne weitere Diskussionen mit 148 zu 37 Stimmen an.
Die Schlussabstimmungen passierte die Vorlage mit 156 zu 37 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) und 43 zu 0 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) problemlos. Somit werden Leibrenten zukünftig nicht mehr pauschal, sondern entsprechend der Anlagemöglichkeiten besteuert.

Flexibilisierung der Besteuerung von Leibrenten (BRG 21.077)

In der Sommersession 2022 bereinigte das Parlament die Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule und die Optimierung der Aufsicht in der 2. Säule. Zuerst beriet der Ständerat die offenen Differenzen und hiess die meisten Änderungen des Nationalrats gut. Einziger Streitpunkt war die Frage, ob es Einschränkungen bezüglich des Einsitzes in die Aufsichtsbehörden geben soll. Der Bundesrat hatte hier ursprünglich vorgeschlagen, Mitgliedern der Kantonsregierung den Einsitz gänzlich zu verbieten, der Nationalrat wollte nur die Angehörigen der für die Zweite Säule zuständigen Departemente vom Einsitz ausschliessen. Der Ständerat lehnte solche Einschränkungen hingegen erneut ab. Man sehe nicht ein, «wieso Regierungsräte wegen vermuteter Interessenkonflikte ausgeschlossen werden sollen, die Branche und beaufsichtigte Körperschaften jedoch in der Aufsichtsbehörde Einsitz nehmen dürfen», begründete Erich Ettlin (mitte, OW) diesen Einwand im Namen der Mehrheit der SGK-SR. Eine Minderheit Müller (fdp, LU) beantragte hingegen, die Regelung des Nationalrats zu übernehmen. Seit der Strukturreform beim BVG 2011 wolle man die Dominanz der Regierungsratsmitglieder in den regionalen Aufsichtsbehörden reduzieren, nun solle man dies explizit auf Gesetzesstufe regeln. Mit 28 zu 15 Stimmen folgte die kleine Kammer jedoch der Kommissionsmehrheit. Bereinigt wurde hingegen die Frage, ob Versicherungsträger ihre Entscheide elektronisch zustellen können sollen. Der Ständerat hatte eine solche Möglichkeit zuvor gegen den Willen des Nationalrats gutgeheissen, folgte nun aber einer Minderheit Rechsteiner (sp, SG), der auf die Tragweite dieser Bestimmung verwies. Wichtige Entscheide, die anfechtbar sein sollen, müssten auch zukünftig schriftlich erfolgen, forderte er. Zudem sei eine Vernehmlassung zur Digitalisierung in der Verwaltung und im Justizwesen im Gange, die eine umfassende Lösung dieser Problematik anstrebe. Mit 24 zu 18 Stimmen folgte der Rat der Minderheit und bereinigte diese Differenz.

In der Nationalratsdebatte stellten die Kommissionssprecherinnen Céline Amaudruz (svp, GE) und Regine Sauter (fdp, ZH) klar, wie die vom Nationalrat vorgeschlagene Bestimmung zur Mitgliedschaft in den Aufsichtsbehörden der beruflichen Vorsorge zu verstehen war: Einsitz haben dürften demnach weder Regierungsrätinnen und Regierungsräte der betroffenen Departemente, noch Mitarbeitende der betroffenen Departemente. Mit 23 zu 0 Stimmen (bei 1 Enthaltung) hatte die SGK-NR entschieden, an dieser Bestimmung festzuhalten – entsprechend folgte ihr die grosse Kammer stillschweigend. Ob diesem deutlichen Resultat in der grossen Kammer gab der Ständerat in der Folge nach und sprach sich für die vom Nationalrat formulierte Regelung aus.

Somit konnte die letzte Differenz der Vorlage bereinigt werden und die Modernisierung der AHV war bereit für die Schlussabstimmungen. Diese passierte der Entwurf ohne Widerstand: Mit 197 zu 0 Stimmen und 41 zu 0 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) stellten sich beide Räte hinter die getroffenen Regelungen.

Aufsicht in der 1. Säule (BRG 19.080)

In der Sommersession 2022 setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der Prämien-Entlastungs-Initiative der SP und dem bundesrätlichen indirekten Gegenvorschlag auseinander. Thomas de Courten (svp, BL) und Benjamin Roduit (mitte, VS) präsentierten dem Rat die beiden Vorlagen. Die SGK-NR habe «Vertretungen des Initiativkomitees, der Kantone, der Versicherer und der Versicherten sowie der Leistungserbringer» angehört und die Behandlung des Geschäfts in der Folge mit demjenigen zur Kostenbremse-Initiative koordiniert, erläuterte de Courten. Dabei habe sie – basierend auf dem Bundesratsvorschlag – ein «neues Modell zum Ausbau der individuellen Prämienverbilligung» geschaffen. Gemäss diesem sollen die Kantone in einem Sozialziel den maximalen Anteil der Prämien am verfügbaren Einkommen in ihrem Kanton definieren und einen minimalen Gesamtbetrag zur Prämienverbilligung festlegen. Diesen Gesamtbetrag dürfen sie auch für die Verlustscheine nicht bezahlter Prämien einsetzen, nicht aber für Prämienverbilligungen für Beziehende von Ergänzungsleistungen – deren Kosten kämen also noch zusätzlich hinzu. Dieser Vorschlag wurde von der Kommission mit 16 zu 9 Stimmen gutgeheissen, während sie mit 17 zu 8 Stimmen die Ablehnung der Initiative beantragte. Eine Minderheit Gysi (sp, SG) forderte hingegen eine Empfehlung auf Annahme der Initiative. Gysi betonte als Mitglied des Initiativkomitees, dass «die unsozialen Kopfprämien» für Personen mit kleinen und mittleren Einkommen eine nicht mehr tragbare Belastung darstellten – sie müssten bis zu 20 Prozent ihrer Einkommen für die Krankenkassenprämien ausgeben. Obwohl die Prämien seit 1995 um 142 Prozent gestiegen seien, gäben heute zudem einige Kantone weniger Geld für die Prämienverbilligungen aus als noch vor zehn Jahren. Der indirekte Gegenvorschlag sei diesbezüglich lediglich «ein Tropfen auf den heissen Stein».
Eine Minderheit de Courten beantragte, nicht auf den Gegenvorschlag einzutreten. Die Kosten der Prämienverbilligungen seien bereits von CHF 1.5 Mrd. auf CHF 5 Mrd. jährlich angestiegen und würden mit dem Gegenvorschlag noch weiter steigen. Der Vorschlag des Bundesrates verringere die Prämienkosten nicht – zumal der «Druck auf die Prämienzahlenden» sinke, wenn jemand anderes für ihre Prämien aufkomme. Neben dem Nichteintretensantrag legte die SVP-Fraktion weitere Minderheitsanträge vor: So sollen gemäss eines Minderheitsantrags von Thomas Aeschi (svp, ZG) die Ergänzungsleistungen nicht separat ausgewiesen werden müssen, wodurch sich die Belastung für die Kantone verringern würde. Zudem sollten gemäss einer Minderheit de Courten zumindest die Verlustscheine angerechnet werden. Schliesslich sollten die Kantone anonymisierte Angaben zu den Empfängerinnen und Empfängern, unter anderem zur Staatsbürgerschaft, machen müssen (Minderheit Aeschi).
Es folgte eine angeregte und sehr ausführliche Debatte zu Krankenkassenprämien und Individualverbilligungen. Die Mitglieder der SP- und Grünen-Fraktion warben für die Initiative, empfahlen aber auch den Gegenvorschlag zur Annahme, variierten in dessen Einschätzung aber deutlich: Mattea Meyer (sp, ZH) sprach etwa von einem substanziellen Gegenvorschlag, während ihn Manuela Weichelt (al, ZG) als «Kröte» erachtete. Die Sprechenden der SVP-Fraktion lehnten sowohl Initiative als auch Gegenvorschlag als unnütz und zu teuer ab. Die Sprechenden der Mitte-, Grünliberalen- und FDP-Fraktionen zeigten sich zwar mehrheitlich nicht enthusiastisch gegenüber dem Gegenvorschlag, empfahlen ihn aber etwa als «tragbar» (Regine Sauter: fdp, ZH) oder gar als «in sich stimmig und in seiner Grösse ausreichend, um eine echte Alternative zur Volksinitiative darzustellen» (Jörg Mäder: glp, ZH) zur Annahme.
Tags darauf schritt der Nationalrat zur Abstimmung über Eintreten auf den Gegenvorschlag. Mit 134 zu 53 Stimmen sprach sich der Rat für Eintreten und gegen den Minderheitsantrag de Courten aus. Einstimmig lehnte die SVP-Fraktion Eintreten ab. In der Folge verwarf die grosse Kammer die Minderheitsanträge Aeschi und de Courten deutlich. Schliesslich nahm der Nationalrat den indirekten Gegenvorschlag mit 119 zu 66 Stimmen – die Gegenstimmen stammten von der SVP- und von Teilen der FDP.Liberalen-Fraktion – (bei 2 Enthaltungen) an. Hingegen sprach er sich mit 121 zu 67 Stimmen für eine Empfehlung zur Ablehnung der Volksinitiative und somit gegen die Minderheit Gysi aus; für eine Annahmeempfehlung stimmten die Fraktionen der SP und der Grünen. Stillschweigend verlängerte der Rat in der Folge die Behandlungsfrist der Initiative aufgrund des Gegenvorschlags bis Oktober 2023.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Mittels einer im Juni 2020 eingereichten Motion wollte Regine Sauter (fdp, ZH) die Schaffung der notwendigen gesetzlichen Grundlagen zur Einführung von E-Rezepten und deren digitalen Übermittlung erreichen. Die Ärzteschaft sollte dazu verpflichtet werden, die Ausstellung und Übertragung der Heilmittelrezepte elektronisch abzuwickeln, da dadurch Medienbrüche verhindert werden könnten. Gemäss Sauter geht das elektronische Rezept mit einigen Vorteilen einher: So könnten etwa Rezeptfälschungen verhindert oder das Risiko von Fehlmedikationen und die entsprechenden Folgekosten durch eine bessere Lesbarkeit von elektronischen Rezepten verringert werden. Weil nicht alle Personen über die gleichen digitalen Kompetenzen verfügten, gelte es aber zudem, «eine angemessene Alternative zum digitalen Rezept in Papierform» auszuarbeiten. In seiner Stellungnahme von Anfang September 2020 empfahl der Bundesrat den Vorstoss zur Ablehnung, zumal die Rechtsgrundlagen für die Umsetzung des E-Rezepts in der Arzneimittelverordnung schon existierten. Zudem werde durch die Einführung des EPD ab Ende 2020 eine nahtlose Interaktion zwischen Patientenschaft und Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens – auch im Bereich der Rezepte – ermöglicht.
Die Motion kam in der Sommersession 2022 in den Nationalrat. Nachdem Sauter ihr Anliegen vorgestellt hatte, erklärte Gesundheitsminister Alain Berset, dass der Bundesrat die Entwicklung von E-Rezepten zwar unterstütze, aber in Übereinstimmung mit einer Motion der SGK-NR (Mo. 19.3955) von einem Zwang absehen wolle. Die grosse Kammer nahm die Motion jedoch mit 155 zu 29 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) deutlich an. Sämtliche Gegenstimmen und Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Einführung eines E-Rezepts (Mo. 20.3770)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen
Dossier: Digitalisierung im Arzneimittelbereich

In der Sondersession im Mai 2022 behandelte der Nationalrat die neuste Mehrwertsteuerrevision, ein «Sammelsurium von Massnahmen» (Schneeberger), die grösstenteils auf eine Vereinfachung der Mehrwertsteuer abzielten. Daniela Schneeberger (fdp, BL) und Céline Amaudruz (svp, GE) stellten dem Rat die Vorlage im Namen der WAK-NR vor. Die Hauptpunkte der Revision waren in der Eintretensdebatte kaum umstritten, die Fraktionen zeigten sich aber dennoch wenig begeistert von der Revision: «Zu dieser Mehrwertsteuergesetzrevision haben Sie sich nicht mit grosser Begeisterung geäussert», merkte denn auch Finanzminister Maurer an. Er wies jedoch allfällige Kritik an der Vorlage gleich zu Beginn ans Parlament zurück: Der Bundesrat habe neben minimalen, unumstrittenen Vereinfachungen lediglich vom Parlament überwiesene Vorstösse umgesetzt.
Der Nationalrat schuf nur wenige vom bundesrätlichen Entwurf abweichende Regelungen: Unter anderem verlangte die Regierung aufgrund der Motionen Stöckli (sp, BE; Mo. 18.4194) und von Siebenthal (svp, BE; Mo. 18.4363), im Ausland bewirkte Leistungen der Reisebüros von der Mehrwertsteuer auszunehmen. Damit solle «die administrative Hürde für ausländische Reisebüros» gesenkt und der Schweizer Tourismus gefördert werden, erklärte Schneeberger. Die Kommissionsmehrheit beantragte jedoch erfolgreich die Ablehnung der neuen Regelung, um eine Benachteiligung der Schweizer Reisebüros zu verhindern. Eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) hatte hier überdies die Leistungen von Wiederverkäufern im Tourismusbereich von der Mehrwertsteuer ausnehmen wollen, fand damit aber keine Mehrheit.
Auch bei den Bereichen, die von der Mehrwertsteuer ausgenommen werden sollen, setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen den Bundesrat durch. Sie wollte neben den bereits betroffenen Gesundheitseinrichtungen und neu auszunehmenden Leistungen der koordinierten Versorgung (Motion Humbel: mitte, AG; Mo. 19.3892) auch Leistungen von Tageskliniken und Ambulatorien von der Mehrwertsteuer befreien. Zudem sollte auch das Anbieten von Anlagegruppen von Anlagestiftungen gemäss BVG zukünftig nicht mehr der Mehrwertsteuer unterliegen. Stillschweigend wurden beide Änderungen angenommen, erstere gegen einen Minderheitsantrag Birrer-Heimo (sp, LU).
Des Weiteren schlug die Kommissionsmehrheit vor, dass Steuerpflichtige mit steuerbaren Leistungen unter CHF 250'000 und ohne Wohn- und Geschäftssitz in der Schweiz ihre Leistungen zukünftig direkt mit der ESTV abrechnen können und nicht wie bisher eine Vertreterin oder einen Vertreter bestimmen müssen. Eine Minderheit Marti (sp, BL) sowie Bundesrat Maurer wollten den diesbezüglichen Status quo verteidigen: Diese Vertretenden dienten der Kommunikation mit den Steuerpflichtigen und seien nötig, weil amtliche Dokumente nur im Inland zugestellt werden dürfen. Allerdings folgte der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit.
Ansonsten wurden zwar zahlreiche Minderheitsanträge diskutiert, von denen blieb jedoch der Grossteil erfolglos. So schuf der Nationalrat zum Beispiel wie vom Bundesrat vorgeschlagen die Plattformbesteuerung der Versandhandelsplattformen, wie sie in der Motion Vonlanthen (damals noch cvp, FR; 18.3540) gefordert worden war. Da deren Zahl geringer sei als diejenige der Verkäuferinnen und Verkäufer, könnten die Lieferungen besser zugeordnet und identifiziert werden, erklärte Daniela Schneeberger für die Kommission. Diese Änderung stiess denn auch nicht auf Widerstand. Vier Minderheitsanträge Aeschi verlangten jedoch eine Präzisierung der Regelungen, um eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Plattformen sowie der schweizerischen gegenüber den ausländischen Plattformen zu verhindern. Finanzminister Maurer empfahl diese Anträge zur Ablehnung, zumal die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung «sehr komplex» sei und bei Änderungen «vieles aus dem Lot» geraten könne. Die Minderheitsanträge wurden in der Folge verworfen. Ergänzend definierte der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission den Begriff «elektronische Plattform».
Ein weiterer umstrittener Aspekt betraf die Besteuerung der Emissionsrechte. Gemäss Kommissionssprecherin Schneeberger hatte das Bundesgericht in einem Urteil entschieden, dass der Emissionshandel zu besteuern sei, um Missbrauch zu verhindern. Daher habe der Bundesrat eine «generelle Bezugsteuerpflicht [unter anderem] bei der Übertragung von Emissionsrechten» geschaffen. Diesem Vorschlag wollte die Kommissionsmehrheit folgen, während eine Minderheit Aeschi den Handel mit CO2-Emissionsrechten von der Mehrwertsteuer ausnehmen wollte: Die CO2-Zertifikate seien Lenkungsabgaben. Da mit diesen kein Mehrwert geschaffen werde, müssten sie auch nicht der Mehrwertsteuer unterstellt werden, argumentierte Thomas Burgherr (svp, AG), der zudem einen weiteren Minderheitsantrag zu dieser Frage stellte. Finanzminister Maurer wehrte sich gegen diese Einschätzung und erachtete den Kauf von Emissionszertifikaten als «klar definierte Leistung». Auch diese Minderheitsanträge fanden im Nationalrat keine Mehrheit.
Diskussionen gab es auch um die zukünftige Möglichkeit für ein Gemeinwesen, «von ihm ausgerichtete Mittel gegenüber dem Empfänger oder der Empfängerin ausdrücklich als Subvention oder anderen öffentlich-rechtlichen Beitrag» zu definieren – sofern die entsprechenden Rahmenbedingungen erfüllt sind. Dies hatte eine Motion der WAK-SR (Mo. 16.3431) gefordert. So stelle sich «immer die Frage, was eine Subvention» sei, betonte der Finanzminister. Dadurch, dass die Gemeinwesen dies zukünftig festlegen könnten, schaffe man in dieser Frage Klarheit. Dies bestritt jedoch eine Minderheit Aeschi, die bezweifelte, dass die ESTV später entsprechende Klassifizierungen akzeptieren werde. Wiederum folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit.
Diskutiert wurde auch über die Frage, welche Güter zum reduzierten Satz besteuert werden sollen. Der Bundesrat hatte diesbezüglich eine Änderung bei den Artikeln der Monatshygiene beantragt, wie sie in der angenommenen Motion Maire (sp, NE; Mo. 18.4205) verlangt worden war. Eine Minderheit I Schneeberger wollte auf die Schaffung dieser zusätzlichen Ausnahme verzichten, während eine Minderheit II Gigon (gp, VD) sie um Windeln und Einlagen gegen Inkontinenz ergänzen wollte. Beide Anträge blieben erfolglos, der Nationalrat blieb beim bundesrätlichen Vorschlag. Erfolglos blieb überdies auch eine Minderheit Friedli (svp, SG) zur Unterstellung der Beherbergungsleistungen unter den reduzierten Satz anstelle des Sondersatzes.
Insgesamt war in der Beratung lediglich ein Minderheitsantrag erfolgreich, nämlich derjenige von Markus Ritter (mitte, SG) zur Beschränkung des Vorsteuerabzugs auf die vom Vorsteuerabzug berechtigten Tätigkeiten. Heute gebe es beim Erwerb von qualifizierten Beteiligungen einen Vorsteueranspruch «im Rahmen der zum Vorsteuerabzug berechtigten unternehmerischen Tätigkeiten». Auf zusätzlichen anderen Tätigkeiten sei jedoch kein solcher Abzug möglich. Durch einen Änderungsvorschlag der Kommissionsmehrheit entstünde jedoch neu auch auf Letzteren ein Vorsteueranspruch, was nicht gerechtfertigt sei. Mit 105 zu 77 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Nationalrat Ritter in dieser sehr technischen Frage. Die SVP- und die FDP.Liberale-Fraktion hatten die Version der Kommissionsmehrheit bevorzugt.
Stillschweigend hiess die grosse Kammer unter anderem in Übereinstimmung mit einer weiteren Motion Page (Mo. 17.3657) die Ausnahme der für eine Teilnahme an kulturelle Anlässe verlangten Entgelte von der Mehrwertsteuer gut. Unbestritten war auch die Schaffung einer Mithaftung für Mitglieder der geschäftsführenden Organe bei Serien-Konkursen. Auch die jährliche Abrechnungsmöglichkeit für die Mehrwertsteuer stiess im Nationalrat nicht auf Widerstand.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat diese thematisch breite Mehrwertsteuerrevision mit 129 zu 53 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gut. Sowohl die ablehnenden Stimmen als auch die Enthaltung stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Zudem nahm der Nationalrat auch die Petitionen von Campax mit dem Titel «Bloody unfair - runter mit der Tampon-Steuer!» (Pet. 19.2017) und von der Jugendsession 2017 zur «Überarbeitung der Mehrwertsteuer zu Gunsten der AHV» (Pet. 18.2006) zur Kenntnis.

Revision des Mehrwertsteuergesetzes: Weiterentwicklung der Mehrwertsteuer in einer digitalisierten und globalisierten Wirtschaft (BRG 21.019)
Dossier: Weiterentwicklung der Mehrwertsteuer in einer globalisierten Wirtschaft – Das Bundesratsgeschäft (BRG 21.019) und der Weg dahin

In der Frühjahrssession 2022 beriet der Nationalrat die Motion Herzog (sp, BS), die eine Ergänzung des Epidemiengesetzes zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten verlangte. Die SGK-NR beantrage die Annahme der Motion, teilte deren Sprecherin Regine Sauter (fdp, ZH) mit. Die Einschränkung des Personenverkehrs als Folge der Grenzschliessungen hätte die Bekämpfung der Pandemie beeinträchtigt, da auch das Gesundheitspersonal davon betroffen gewesen sei. Eine Bestimmung, die den Grenzverkehr auch in Krisenzeiten garantiert, der ins Covid-19-Gesetz aufgenommen wurde, sei nur befristet, weshalb für vergleichbare Situationen in der Zukunft eine Anpassung des Epidemiengesetzes notwendig sei. Benjamin Roduit (mitte, VS), ebenfalls Kommissionssprecher, kritisierte den Bundesrat und eine Kommissionsminderheit für deren ablehnende Haltung. Die Feststellung des Bundesrats, dass Grenzgänger und Grenzgängerinnen trotz der Reisebeschränkungen aus beruflichen Gründen in die Schweiz einreisen durften, überzeugte Roduit nicht. Diese Lösungen seien erst auf Druck des Parlaments und erst nach der ersten Welle gefunden worden. Auch der Einwand des Bundesrats, dass die Motion den gesundheitspolitischen Handlungsspielraum bei multilateral-verhandelten Gesundheitsbeschränkungen beschneide, liess Roduit nicht gelten. Die Schweiz sei schliesslich in Fragen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit souverän. Innenminister Berset gab zu, dass man ohnehin mehrere Bestimmungen des Epidemiengesetzes überarbeiten müsse und widersprach der Forderung der Motion nicht grundsätzlich. Er beharrte aber darauf, zuerst eine Analyse durchzuführen, bevor irgendwelche Konsequenzen gezogen werden könnten. Bereits im Juni 2020 habe der Bundesrat eine Revision des Epidemiengesetzes gefordert. Nun warte man ab, bis eine umfassende und vollständige Analyse der Pandemie möglich sei. Bis Mitte 2023 solle der Änderungsentwurf in die Vernehmlassung gegeben werden, erklärte Berset der grossen Kammer. Er bat den Nationalrat, keine Motionen anzunehmen, bevor nicht eine Gesamtbilanz gezogen werden konnte und beantragte die Ablehnung des Vorstosses. Da lediglich die SVP mehrheitlich gegen die Motion stimmte, wurde sie mit 127 zu 46 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) auch vom Zweitrat deutlich angenommen.

Ergänzung des Epidemiengesetzes zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten
Dossier: Kontrolle der Schweizer Landesgrenzen in Covid-19-Zeiten

Im Gegensatz zum Nationalrat, welcher der Motion Schneeberger (fdp, BL) gegen «Schikanen im Vollzug beim Meldeverfahren zur Verrechnungssteuer» zugestimmt hatte, lehnte der Ständerat den Vorstoss stillschweigend ab. Die aktuelle Praxis werde «mit Augenmass» angewendet, Bussen würden nur bei grösseren Verspätungen ausgesprochen, hatte zuvor die WAK-SR argumentiert und eine Ablehnung der Motion gefordert. Damit wird die ESTV bei ihrer bisherigen Praxis bleiben.

Schikanen im Vollzug beim Meldeverfahren zur Verrechnungssteuer stoppen (Mo. 18.4292)

Als Alternative zur parlamentarischen Initiative von Nationalrat Andri Silberschmidt (fdp, ZH; Pa.Iv. 21.422) verfasste die Mehrheit der WAK-NR im November 2021 ein Postulat für eine bessere Übereinstimmung der Aus- und Weiterbildungsbedürfnisse der Wirtschaft und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Eine Kommissionsminderheit Aeschi (svp, ZG) beantragte die Ablehnung des Postulats, während eine Kommissionsminderheit Schneeberger (fdp, BL) statt des eigenen Vorstosses die Initiative Silberschmidt bevorzugte. In seiner Stellungnahme beantragte der Bundesrat, das Postulat abzulehnen. Er zählte zahlreiche bereits existierende Projekte, Berichte und Prüfaufträge auf und erachtete weitere Massnahmen als unnötig. In der Frühjahrssession 2022 setzte sich der Nationalrat mit dem Postulat auseinander. Kommissionssprecherin Sophie Michaud Gigon (gp, VD) betonte, dass es in vielen Branchen einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften gebe. Zur Förderung der Wirtschaft brauche es daher Instrumente gegen diese «Diskrepanz» zwischen Angebot und Nachfrage. In der Folge nahm der Nationalrat das Postulat gegen den Willen der SVP-Fraktion und einzelner Mitglieder der FDP.Liberalen- und Mitte-Fraktion mit 118 zu 57 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.

Bedürfnisse des Arbeitsmarktes, der Arbeitskräfte und der Wirtschaft in Einklang bringen (Po. 21.4342)

In der Frühjahrssession 2022 beriet der Nationalrat die Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule und die Optimierung der Aufsicht in der 2. Säule. Die Kommission hatte zuvor nur wenige Änderungen gegenüber der ständerätlichen Version geschaffen und die Vorlage mit 18 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltungen gutgeheissen. Die Kommissionssprecherinnen Céline Amaudruz (svp, GE) und Regine Sauter (fdp, ZH) präsentierten dem Rat die Vorlage mit drei Aspekten im AHV- und einem Aspekt im BVG-Bereich: die Schaffung einer modernen und risikoorientierten Aufsicht, die Stärkung der Governance und der Verbesserung der Steuerung und Überwachung der Informationssysteme in der AHV sowie die punktuellen Optimierungen der Aufsicht über die 2. Säule.
In einem ersten Block beschäftigte sich der Rat mit der 1. Säule: Hier diskutierte er insbesondere über drei Minderheitsanträge. Eine Minderheit Rösti (svp, BE) setzte sich mit dem Fall einer Auflösung einer Verbandsausgleichskasse auseinander. In diesem Fall müssen andere Kassen die Rentenbeziehenden der aufgelösten Kasse übernehmen, wofür sie eine Entschädigung erhalten. Um diese Entschädigung bezahlen zu können, müssen die Ausgleichskassen jeweils Rückstellungen vornehmen. Bundesrat, Ständerat und Kommissionsmehrheit beabsichtigten nun, subsidiär auch die Gründerverbände der Ausgleichskassen für diese Entschädigungen aufkommen zu lassen – falls die aufgelöste Ausgleichskasse zu wenige Rückstellungen getätigt hatte. Die Minderheit Rösti wollte diese subsidiäre Zuständigkeit jedoch streichen, da sonst die Gefahr bestehe, dass die Ausgleichskassen die Reservebildung zu wenig ernst nehmen würden. Mit 131 zu 48 Stimmen fand dieser Vorschlag jedoch nur bei der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und einem Mitglied der Mitte-Fraktion Zustimmung.
Die anderen beiden Minderheiten beschäftigten sich mit den von den Durchführungsstellen verwendeten Informationssystemen. Der Bundesrat hatte deren Verwendung neu geregelt und wollte der Aufsichtsbehörde ermöglichen, den Durchführungsstellen Mindestanforderungen an ihre Informationssysteme, etwa zum Datenschutz, zu definieren. Diese Mindestanforderungen wollten der Ständerat sowie die Kommissionsmehrheit streichen, während sie eine Minderheit Gysi (sp, SG), unterstützt von Bundesrat Berset, beibehalten wollte. Für diese «sensible[n] persönliche[n] Daten» brauche es Mindestanforderungen, betonte Barbara Gysi, während sich Bundesrat Berset davon «une sorte d'uniformité minimale de l'exécution» erhoffte. Kommissionssprecherin Sauter begründete die Ablehnung der Kommissionsmehrheit gegenüber solchen Mindeststandards mit der Aufsichtsfunktion der Aufsichtsbehörde: Mit der Definition von Mindestanforderungen würde sie ins Operative eingreifen, was nicht ihre Aufgabe sei. Mit 98 zu 77 Stimmen (bei 1 Enthaltung) setzte sich die Kommissionsmehrheit durch. Eine weitere Minderheit Rösti wehrte sich dagegen, dass der AHV-Ausgleichsfonds die Entwicklungs- und Betriebskosten der Informationssysteme übernehmen soll. Konkret gehe es um die Frage, ob der Staat oder die Durchführungsstellen für die Weiterentwicklung der Informatiksysteme zuständig sein sollen. Letzteres sei vorzuziehen, da die Durchführungsstellen dann an einem möglichst effizienten System interessiert seien – entsprechend würden sie die Kosten der Informationssysteme als Verwaltungskosten verbuchen. Da es «um [gesamtschweizerisch anwendbare] kassenübergreifende Informatikanwendungen» gehe, solle der AHV-Ausgleichsfonds für deren Kosten aufkommen, betonte hingegen die Kommissionsmehrheit. Mit 132 zu 47 Stimmen folgte der Nationalrat auch hier der Mehrheit seiner Kommission.

Auch im zweiten Block zur Optimierung der Aufsicht in der beruflichen Vorsorge gab es zwei Punkte, die relativ ausführlich diskutiert wurden. Einerseits wurde die Frage der Unabhängigkeit der kantonalen Aufsichtsbehörden besprochen. Der Bundesrat erachtete diese als nicht gegeben, solange Mitglieder der Kantonsregierungen oder -verwaltungen auch Einsitz in die Aufsichtsbehörden haben, und schlug daher ein entsprechendes Einsitzverbot vor. Der Ständerat verneinte anschliessend eine solche Problematik und strich die entsprechende Regelung. Die Mehrheit der SGK-NR schlug nun quasi als Kompromiss vor, dass der Einsitz in die Aufsichtsbehörden nur Mitgliedern desjenigen kantonalen Departements untersagt werden soll, das für die 2. Säule zuständig ist. Bundesrat Berset erachtete diesen Vorschlag jedoch als in einer Kollegialbehörde nicht praktikabel. Eine Minderheit I Sauter bevorzugte die bundesrätliche Lösung, während eine Minderheit II Weichelt (al, ZG) die vorgeschlagene Regelung um ein Verbot der Beteiligung von Branchenvertretenden ergänzen wollte. Ein Ausschluss der Exekutivmitglieder, jedoch nicht der Branchenvertretenden sei «ziemlich janusköpfig» und erfülle die Auflagen der Governance nicht, befand Manuela Weichelt mit Verweis auf die zahlreichen Vertretenden von Unternehmen und Stiftungen, die mit der Durchführung der beruflichen Vorsorge verbunden sind, in den Aufsichtsbehörden. Wie bei der Oberaufsichtskommission «Berufliche Vorsorge» brauche es auch für die kantonalen Aufsichtsbehörden eine gesetzliche Regelung. Nach einigen Wirren und einer wiederholten Abstimmung setzte sich der Mehrheitsantrag gegen die zwei Minderheiten durch.
Interessenkonflikte standen auch im Mittelpunkt des zweiten Diskussionspunkts zur Aufsicht über die Pensionskassen: die Finanzierung der Vermittlertätigkeiten. Hierzu hatte der Bundesrat nach der Vernehmlassung eine Regelung ergänzt, wonach er die Vermittlungstätigkeit für über die Mindestleistungen hinausgehende Pensionskassenleistungen mittels Verordnung regeln wollte. Damit beabsichtigte er, Interessenkonflikte der Broker zu bekämpfen. Da nicht die Arbeitgebenden, sondern die Pensionskassen die Broker bezahlten, hätten Letztere Anreize, diejenigen Pensionskassen zu empfehlen, die ihnen am meisten Provisionen einbringen, ergänzte Manuela Weichelt-Picard. Zudem werde für die Vermittlung Geld der Versicherten ausgegeben, das für die Verzinsung der Guthaben eingesetzt werden könnte. Entsprechend wollte sie mit einem Minderheitsantrag dem Bundesrat folgen. Regine Sauter lehnte im Namen der Kommissionsmehrheit die Notwendigkeit einer solchen Regelung ab – die Vermittlungsgebühren würden heute transparent ausgewiesen, die KMU könnten die Kosten auch selbst übernehmen. Zudem sei diese Frage nicht in der Vernehmlassung diskutiert worden, werde stattdessen aber aktuell im Rahmen der Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes behandelt. Die Kommissionsmehrheit setzte sich in der Folge mit 119 zu 68 Stimmen gegen den Willen von SP, Grünen und drei Personen der Mitte-Fraktion auch hier durch.
Stillschweigend schuf der Nationalrat zudem einige weitere Differenzen zum Ständerat. Unter anderem lehnte er es ab, im Rahmen dieser Revision die Möglichkeit für eine elektronische Übermittlung von Entscheiden zu schaffen. Inhaltlich bestehe hier zwar keine Differenz zum Ständerat, jedoch könne diese Frage nicht ausschliesslich für die Ausgleichskassen geregelt werden, sondern müsse sich auf alle Sozialversicherungen beziehen. Entsprechend wollte der Nationalrat eine Revision des Verwaltungsverfahrensrechts, die bereits im Gange war, abwarten.
Trotz kleineren inhaltlichen Differenzen stiess die Vorlage insgesamt beim ganzen Nationalrat auf Anklang: In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer die Vorlage mit 186 zu 0 Stimmen einstimmig an.

Aufsicht in der 1. Säule (BRG 19.080)

In der Frühjahrssession 2022 beriet der Nationalrat als Erstrat das neue Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit. Aufgrund der Motionen Birrer-Heimo (sp, LU; Mo. 17.3956), Bruderer Wyss (sp, AG; Mo. 17.3964) und der SGK-SR (Mo. 18.4091) habe der Bundesrat hier eine neue Regelung für eine verbindliche Branchenlösung ausgearbeitet, erläuterte Jörg Mäder (glp, ZH) für die Kommission. Gleichzeitig habe aber auch die Krankenkassenbranche eine «interne Branchenvereinbarung» geschaffen. Diese sei seit Januar 2021 in Kraft und habe zu einer Reduktion der jährlichen Klagen von 300 auf 80 geführt, sei aber nicht allgemeinverbindlich. Aus diesem Grund brauche es eben auch die bundesrätliche Vorlage, der die Kommissionsmehrheit grösstenteils folgen wolle. Die meisten Fraktionssprechenden hiessen die Vorlage denn auch gut, einzig aus der SVP-Fraktion kamen Stimmen, die das neue Gesetz als unnötig erachteten. Stattdessen schlug Thomas de Courten (svp, BL) einen anderen Lösungsweg vor: «Sagen Sie einfach höflich ‹Nein, danke›, und legen Sie den Telefonhörer wieder auf – Problem gelöst.» Eintreten wurde jedoch ohne Gegenantrag beschlossen.
In der Detailberatung schlug die Kommissionsmehrheit eine Einschränkung der bundesrätlichen Regelung vor. So sollten die Regelungen bezüglich Ausbildung und Einschränkung der Entlöhnung von Vermittlerinnen und Vermittlern auf externe Broker beschränkt werden, wodurch von den Versicherungen direkt angestellte Personen davon ausgenommen wären. Ansonsten sei diese Massnahme ein schwerwiegender Eingriff in die Entlohnung des internen Personals, argumentierte Benjamin Roduit (mitte, VS) für die Kommissionsmehrheit. Zudem hätten die internen Mitarbeitenden Interesse an langfristigen Beziehungen zu den Kunden, ergänzte Kommissionssprecher Mäder. Eine Minderheit I Mäder verlangte hingegen, bei der bundesrätlichen, umfassenderen Lösung zu bleiben. Diese Differenzierung sei «nicht im Sinne der Bevölkerung oder der Motion», begründete Melanie Mettler (glp, BE) diesen Antrag. Auch Gesundheitsminister Berset erachtete ihn als nicht nachvollziehbar. Damit könne die neu geschaffene Regelung umgangen werden, warnte er. Mit 109 zu 84 Stimmen setzte sich die Kommissionsmehrheit jedoch gegen die geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen, der GLP und gegen die Mitglieder der EVP durch.
Alle übrigen Änderungsanträge lehnte der Nationalrat ab, darunter zwei Anträge für weitere Einschränkungen der Regelungen, etwa den Vorschlag einer Minderheit Hess (mitte, BE). Sie erachtete die Sanktionierungsmöglichkeiten als «unverhältnismässig stark». Stattdessen sollen die Sanktionen von den Versicherungen selbst festgelegt und vom Bundesrat allgemeinverbindlich erklärt werden. Gesundheitsminister Berset erwiderte jedoch, dass der Bundesrat keine privat festgelegten Strafen als allgemeinverbindlich erklären könne, und der Nationalrat lehnte den Minderheitsantrag mit 113 zu 79 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ab. Er war bei der SVP- und der Mitte-Fraktion, mit Ausnahme der EVP, auf Zustimmung gestossen. Auch einen Antrag Sauter (fdp, ZH), die neuen Regelungen auf die Grundversicherung zu beschränken und die Zusatzversicherungen davon auszunehmen, lehnte die Mehrheit des Nationalrats ab (108 zu 87 Stimmen bei 1 Enthaltung).
Erfolglos blieben auch die Mitglieder der linksgrünen Parteien beim Versuch, den bundesrätlichen Vorschlag verbindlicher zu machen respektive die Regelungen auszuweiten. Eine Minderheit Gysi (sp, SG) verlangte, dass die Branchenvereinbarung verbindlich erklärt werden muss, nicht nur kann. Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) wollte darüber hinaus sicherstellen, dass in zwei Jahren eine allgemeinverbindliche Regelung besteht – ansonsten solle der Bundesrat eingreifen. Beide Anträge scheiterten im Rat (mit 125 zu 68 Stimmen respektive 124 zu 68 Stimmen) und wurden nur von Mitgliedern der SP, der Grünen und der EVP unterstützt – genauso wie ein Antrag von Flavia Wasserfallen (sp, BE), Verträge, die durch einen Verstoss gegen das allgemeinverbindlich erklärte Verbot entstanden seien, für nichtig zu erklären. Überdies scheiterten auch die Anliegen, das «Schlupfloch» des Kaufs von Leads, bei dem die Versicherungen mit Gutscheinen «Alibipreisverleihungen» durchführten, um an Adressen zu kommen, zu schliessen (Minderheit Flavia Wasserfallen) sowie die Werbeausgaben auf maximal 0.3 Prozent der Prämieneinnahmen zu begrenzen (Minderheit Gysi) – sie wurden ebenfalls nur von der SP, den Grünen und der EVP unterstützt.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 162 zu 12 Stimmen (bei 22 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Minderheiten der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion, die Enthaltungen von der Hälfte der Grünen-, einer Minderheit der SP- und einem Mitglied der SVP-Fraktion.

Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit (BRG 21.043)

In der Frühjahrssession 2022 befasste sich der Ständerat als Zweitrat mit der Schaffung einer digitalen Alternative zur eigenhändigen Vertragsunterzeichnung. Nachdem sich der Nationalrat noch für diese Motion von Daniela Schneeberger (fdp, BL) ausgesprochen hatte, beantragte die RK-SR die Ablehnung der Motion. Andrea Caroni (fdp, AR) gab als Kommissionssprecher an, dass die Möglichkeit der digitalen Vertragsunterzeichnung für die meisten Bereiche bereits bestehe und dass in den restlichen Bereichen Abklärungen des Bundesrats liefen. Der Ständerat lehnte die Motion stillschweigend ab.

Digitale Vertragsabschlüsse breit ermöglichen. Schaffung einer digitalen Alternative zur eigenhändigen Vertragsunterzeichnung (Mo. 19.3565)

Bereits in der Frühjahrssession 2022 machte sich der Nationalrat an die Differenzbereinigung des Pakets 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Offen waren zahlreiche verschiedene Aspekte, wobei der Vorschlag des Nationalrats, dass OKP-Versicherungen mit Leistungserbringenden Rabatte aushandeln und einen Teil der Einsparungen zur freien Verfügung erhalten sollen, auch ausserhalb des Parlaments für die meisten Diskussionen gesorgt hatte. Der Ständerat hatte diese Regelung abgelehnt, die Mehrheit der SGK-NR beantragte jedoch Festhalten. Kommissionssprecherin Ruth Humbel (mitte, AG) betonte, dass die Versicherungen dadurch Anreize hätten, tiefere Preise auszuhandeln, was den Versicherten zugute kommen würde. Eine Minderheit Hess (mitte, BE) sprach sich hingegen für die Streichung dieser Regelung aus, zumal sie falsche Anreize setze, den ordentlichen Tarifverhandlungen zuwiderlaufe und gegen das Gewinnverbot in der OKP verstosse. Überaus knapp mit 98 zu 97 Stimmen setzte sich der Minderheitsantrag mit Unterstützung der SP-, der Mitte-, der Grünen- und einem Mitglied der GLP-Fraktion durch. Somit war dieser Aspekt bereinigt.
Ebenfalls bereinigt wurde die Frage nach dem Beschwerderecht für Krankenkassenverbände. Hier folgte der Nationalrat knapp dem Argument der Kommission, wonach dieses das Kräftegleichgewicht zwischen den Interessen der Leistungserbringenden, Versicherungen und Versicherten sowie der Kantone fördere. Eine Minderheit Feri (sp, AG) kritisierte hingegen, dass die Versicherungen damit die Kantone in der Erfüllung ihres politischen Auftrags behindern würden, und fürchtete aufgrund der Beschwerden eine aufschiebende Wirkung bei der Spitalplanung. Mit 98 zu 94 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) setzte sich die Kommissionsmehrheit in dieser Frage knapp gegen die geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und GLP, gegen die Mitglieder der EVP und gegen eine Minderheit der SVP-Fraktion durch.
Bereinigt wurden des Weiteren die Regelungen zum Substitutionsrecht, also zur Frage der Abgabe von Generika statt Originalpräparaten durch die Apothekerinnen und Apotheker. Die Kommissionsmehrheit hielt an der Formulierung fest, wonach Arzneimittel dann substituiert werden dürfen, wenn sie über eine gleiche medizinische Eignung verfügen und günstiger sind. Der Ständerat hatte darüber hinaus festgehalten, dass Ärztinnen und Ärzte weiterhin das Originalpräparat verschreiben dürfen, was eine Minderheit Humbel übernehmen wollte. Obwohl die Wirkung der Arzneimittel gleich sei, könnten sie sich bezüglich Verträglichkeit und Qualität unterscheiden, ergänzte Lorenz Hess für die Minderheit. Die Kommissionsmehrheit wollte auf diesen Zusatz verzichten, zumal die Verwaltung erklärt hatte, dass eine solche Formulierung nicht nötig sei, weil Ärzte sowieso das Recht hätten, auf Originalpräparaten zu bestehen. Mit 121 zu 70 Stimmen folgte der Nationalrat der Minderheit und somit dem Ständerat; die SVP-Fraktion, die Mehrheit der GLP-Fraktion sowie zwei Mitglieder der Grünen-Fraktion hatten vergeblich die Version der Kommissionsmehrheit befürwortet.
Auch die Frage der Parallelimporte von Generika bereinigte der Nationalrat bereits in der ersten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens. Diese wollte der Nationalrat ursprünglich von einer Zulassung durch Swissmedic ausnehmen, der Ständerat hatte dies jedoch abgelehnt. Ohne das Zulassungsverfahren durch Swissmedic bestehe die Gefahr, dass Fälschungen oder qualitativ schlechte Arzneimittel auf den Schweizer Markt kämen, wurde argumentiert. Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) wollte an der Ausnahme festhalten, da Generika heute im Ausland deutlich günstiger seien als in der Schweiz und es lediglich um im EU-Raum bereits zugelassene Arzneimittel gehe. Als Kompromiss schlug Philippe Nantermod vor, dass die direktimportierten Arzneimittel auf einer BAG-Liste aufgeführt und vor dem Import bei Swissmedic gemeldet werden müssen. Mit 165 zu 28 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat jedoch für die bisherige Regelung aus, der Minderheitsantrag fand nur bei einer Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion und einer Minderheit der SP-Fraktion Zustimmung.
Bezüglich der Parallelimporte sahen überdies sowohl National- als auch Ständerat eine Vereinfachung bei der Kennzeichnung und den Arzneimittelinformationen vor. Hatte der Ständerat ursprünglich eine Kann-Formulierung bezüglich dieser Vereinfachungen eingeführt, schlug die Kommissionsmehrheit nun eine Muss-Formulierung vor. Eine Minderheit de Courten (svp, BL) beantragte jedoch, bei der Kann-Formulierung zu bleiben, da Vereinfachungen für eine Gewährleistung der Versorgungssicherheit nicht in allen Fällen nötig seien. Mit 140 zu 55 Stimmen, gegen die Mehrheit der SVP und 2 Mitglieder der SP, hielt der Nationalrat hier die Differenz aufrecht.
Die grosse Kammer schuf zudem eine neue Differenz: Mit Zustimmung der SGK-SR stellte die SGK-NR einen Rückkommensantrag bezüglich der Frage des Kostenmonitorings. Der Bundesrat hatte anfänglich ein solches vorgeschlagen, National- und Ständerat hatten dieses aber in den ersten Beratungsrunden mit knappen Mehrheiten aus der Vorlage gestrichen. Die Kommission beschäftigte sich in der Folge mit einem im Ständerat diskutierten Einzelantrag Würth (mitte, SG) für ein «Monitoring der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» sowie für Korrekturmassnahmen bei nicht erklärbaren Entwicklungen. Doch obwohl die Kommission die entsprechende Regelung erneut beraten und einen Rückkommensantrag gestellt hatte, sprach sich die Kommissionsmehrheit gegen deren erneute Aufnahme in die Vorlage aus. Die Regelung wurde aber von einer Minderheit Humbel unterstützt. Ein weiterer Minderheitsantrag Prelicz-Huber (gp, ZH), übernommen von Regine Sauter (fdp, ZH), nachdem ihn die Minderheitensprecherin zurückgezogen hatte, wollte diese Frage sistieren und damit an die Kommission zurückweisen. Diese sollte den Vorschlag in der Folge im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags zur Kostenbremse-Initiative, der ein Kostenziel vorsah, beraten. Mit 111 zu 83 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Nationalrat gegen die Sistierung aus und folgte stattdessen mit 103 zu 87 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) der Minderheit Humbel. Die Fraktionen der SVP und FDP hatten sich für die Sistierung ausgesprochen, zusammen mit einzelnen Mitgliedern der GLP- und der Mitte-Fraktion waren sie es auch, welche auf die neue Regelung verzichten wollten. Somit hatte der Nationalrat in dieser Runde zwar zahlreiche Differenzen zum Ständerat bereinigt, gleichzeitig aber auch eine voraussichtlich stark umstrittene Differenz geschaffen.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

In der Wintersession 2021 bereinigte das Parlament die Vorlage für eine Erhöhung der Grenze der Mehrwertsteuerpflicht für ehrenamtlich geführte, nicht gewinnstrebige Sport- und Kulturvereine und gemeinnützige Institutionen.

Zu Beginn der Wintersession erhöhte der Ständerat die Schwelle der Umsatzgrenze für die entsprechenden Vereine noch stärker auf CHF 300'000, die WAK-SR hatte ursprünglich eine Erhöhung von CHF 150'000 auf CHF 200'000 vorgeschlagen. Mit dieser erneuten Erhöhung würden lediglich Werbeleistungen, gastgewerbliche Leistungen, Sponsoring und die Vermietung gewisser Vereinslokalitäten unter dem entsprechenden Betrag neu nicht mehr mehrwertsteuerpflichtig, argumentierte Stefan Engler (mitte, GR) für die Kommission. So müssten zusätzlich zu den 45 Sportvereinen, 11 Kulturinstitutionen und 5 sozialen Vereinen, die von einer Grenze von CHF 200'000 profitieren würden, 76 Sportvereine, 22 Kulturinstitutionen und 6 soziale Vereine keine Mehrwertsteuern mehr bezahlen. Die Mindereinnahmen des Bundes würden dabei von CHF 1 Mrd. auf CHF 3 Mrd. ansteigen. Erneut wies Finanzminister Maurer erfolglos auf das fehlende Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Revision hin. Mit einer Enthaltung, aber ohne Gegenstimmen nahm der Ständerat den Entwurf an (31 zu 0 Stimmen).

Im Nationalrat waren sich die Kommissionsmehrheit und eine Minderheit Feller (fdp, VD) nicht einig, ob man am Vorschlag der WAK-NR von CHF 200'000 festhalten oder dem Ständerat beipflichten solle, wobei gemäss Kommissionssprecherin Schneeberger (fdp, BL) und Kommissionssprecher Bendahan (sp, VD) für die Überlegungen der Mehrheit insbesondere die Angst vor einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber der Gastrobranche zentral waren. Mit 106 zu 78 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich die Mehrheit für Festhalten aus.
In der Folge einigten sich die beiden Kammern auf einen Kompromissvorschlag in Form eine Grenze von CHF 250'000, welchen die WAK-SR in der Zwischenzeit eingebracht hatte.

Deutlich sprachen sich beide Kammern in den Schlussabstimmungen für die Änderung des Bundesgesetzes über die Mehrwertsteuer aus: Mit 178 zu 14 Stimmen (bei 1 Enthaltung) hiess der Nationalrat mit Ausnahme der Grünliberalen Fraktion die Änderung gut, der Ständerat tat dies einstimmig (43 zu 0 Stimmen).

Sport- und Kulturvereine. Anheben der Umsatzgrenze für die Befreiung von der Mehrwertsteuerpflicht

In der Wintersession 2021 setzte sich das Parlament nochmals ausgiebig mit der AHV-21-Reform auseinander und bereinigte diese. Bevor der Nationalrat aber die Details der Reform besprechen konnte, musste er sich mit einer grundsätzlicheren Frage auseinandersetzen. So verlangte eine Minderheit Mettler (glp, BE) eine Rückweisung der Vorlage an die Kommission und eine Verknüpfung der Inkraftsetzung der AHV-21- mit derjenigen der BVG-21-Reform, deren Beratung das Parlament in der Wintersession 2021 ebenfalls aufnahm. Eine Verknüpfung sei nötig, weil eine Anpassung des Frauenrentenalters an dasjenige der Männer eine Senkung des Koordinationsabzugs im BVG voraussetze, betonte Melanie Mettler. Eine gleich lange Arbeitszeit für Frauen und Männer bedinge demnach «eine gleich gute Versicherung ihrer Einkommen». Dieser Antrag stiess jedoch nur in der GLP-, bei Teilen der SP- sowie bei einzelnen Mitgliedern der Grünen-Fraktion auf Zustimmung; er wurde mit 136 zu 28 Stimmen (bei 29 Enthaltungen) abgelehnt. Barbara Gysi (sp, SG) etwa erachtete eine solche Verknüpfung als gefährlich, da man zum Zeitpunkt der anvisierten Referendumsabstimmung zur AHV 21 noch nicht wisse, «wie die BVG-Revision herauskommt». Zentral sei stattdessen eine Verhinderung der Rentenaltererhöhung. Auch die Mitglieder der anderen Parteien lehnten eine Verknüpfung der zwei Vorlagen unter anderem mit Verweis auf die kritischen Voten zum Einbezug beider Säulen in die Altersvorsorge 2020 ab.

In der Detailberatung war vor allem noch die Frage nach dem Modell der Ausgleichsmassnahmen für direkt betroffene Frauenjahrgänge offen. In beiden Räten waren zuvor zahlreiche unterschiedliche Modelle diskutiert worden, zuletzt hatte sich der Ständerat für eine Kombination der verschiedenen Modelle ausgesprochen, gemäss der die Frauen aus neun betroffenen Jahrgängen Rentenzuschläge erhalten sollen, die nach Jahrgängen und nach Einkommen abgestuft werden. Zudem wollte der Ständerat den betroffenen Frauen als Alternative zu den höheren Rentenzuschlägen keine tieferen Kürzungssätze bei Rentenvorbezug anbieten, wie es der Bundesrat und der Nationalrat beabsichtigt hatten.
Die Mehrheit der SGK-NR schlug nun vor, dem Ständerat zwar bezüglich des Modells der Rentenzuschläge und der betroffenen neun Jahrgänge zu folgen, die Zuschläge jedoch für sämtliche Kategorien deutlich zu reduzieren. Im Gegenzug bestand die Kommissionsmehrheit auf den reduzierten Kürzungssätzen bei Rentenvorbezug, erhöhte diese aber quasi als Kompromissvorschlag im Vergleich zu ihrem ersten Vorschlag deutlich. Ein «zielgerichteteres» Modell wollte eine Minderheit Sauter (fdp, ZH) einführen: Mit diesem bliebe zwar das Kompensationsvolumen gegenüber der Mehrheit gleich, jedoch würden nur sieben Jahrgänge vom Rentenzuschlag profitieren, während die Kürzungssätze im Gegenzug nicht erhöht würden. Damit könnten sich gerade auch Frauen mit tieferen Einkommen eine Frühpensionierung eher leisten, bewarb die Minderheitensprecherin das Modell. Zudem sollten die Zuschläge dadurch die Maximalrente oder den Ehepaarplafond nicht übersteigen können, womit ein «grobe[r] Systemfehler» behoben werden könne. Damit werde jedoch ein Rentenvorbezug attraktiver, was man eigentlich habe verhindern wollen, kritisierte etwa Ruth Humbel (mitte, AG) den Vorschlag der Minderheit. In der Folge entschied sich der Nationalrat mit 167 zu 28 Stimmen, seiner Kommissionsmehrheit zu folgen, wobei einzig die FDP.Liberale-Fraktion den Minderheitsantrag unterstützte.
Damit hatte das Parlament auch bezüglich der Ausgleichsmassnahmen einen Grundsatzentscheid gefällt. In den folgenden Behandlungsrunden bemühten sich die Räte um einen Kompromiss bei der konkreten Ausgestaltung der Regelung. So lenkte der Ständerat in der Folge zwar bezüglich der Schaffung einer Wahlmöglichkeit zwischen einem Rentenzuschlag und einer Reduktion der Kürzungssätze bei Vorbezug ein. Er schlug aber gleichzeitig eine Erhöhung der vom Nationalrat stark gekürzten Rentenzuschläge sowie der vom Nationalrat bereits leicht erhöhten Kürzungssätze vor. Mit diesem Kompromiss zeigte sich der Nationalrat in der Folge einverstanden, womit die Ausgestaltung der Ausgleichsmassnahmen noch vor der Einigungskonferenz beschlossen werden konnte.

Offen waren zu Beginn der Wintersession auch die vom Nationalrat eingebrachte Zusatzfinanzierung der AHV durch die Nationalbank sowie die Frage, ab wann Hilflosenentschädigungen ausgesprochen werden sollen. Bei der ersten Differenz waren die Meinungen in den Räten gemacht, wobei der Ständerat am längeren Hebel sass: Dadurch, dass er zweimal auf Eintreten auf den entsprechenden Bundesbeschluss verzichtete, verunmöglichte er die Weiterverfolgung dieser durch den Nationalrat eingebrachten Idee – zumindest im Rahmen der aktuellen AHV-Revision, denn ein ähnliches Ziel verfolgte auch eine zum damaligen Zeitpunkt noch hängige Kommissionsinitiative (Pa.Iv. 20.432). Bezüglich der Hilflosenentschädigungen einigten sich die Räte auf einen Kompromissvorschlag: Anstelle der Dauer eines Jahres, in welcher eine Hilflosigkeit bisher zum Anspruch auf Hilflosenentschädigung vorliegen musste, sollte neu nur noch eine sechsmonatige Hilflosigkeit nötig sein.

Bis zum Schluss keine Einigkeit zwischen den Räten gab es bei der Frage, ob die Rentenzuschläge bei den EL als Einnahmen angerechnet werden sollen oder nicht. Der Nationalrat wollte die Rentenzuschläge von der EL-Berechnung ausnehmen, damit auch Frauen, die EL beziehen, davon profitieren können. Im Ständerat wurde hingegen argumentiert, dass eine solche Regelung dem Grundprinzip der EL widerspreche und deshalb abzulehnen sei, wie beispielsweise Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) erläuterte. Die Einigungskonferenz entschied sich mit 17 zu 8 Stimmen für den nationalrätlichen Vorschlag, woraufhin die grosse Kammer ihren Antrag mit 121 zu 61 Stimmen annahm. Mit den Mitgliedern der SP- und der Grünen-Fraktion sprachen sich indes genau diejenigen Personen gegen diese Ausnahme bei den EL aus, welche diese zuvor am häufigsten gefordert hatten. Diese Ablehnung zielte wohl aber eher auf die Revision an sich und nicht auf die Regelung bezüglich der EL. Auch der Ständerat nahm den Vorschlag der Einigungskonferenz mit 31 zu 10 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) an. Kommissionssprecher Ettlin hatte zuvor betont, dass man ob dieser Bestimmung nicht die ganze, sehr wichtige Reform gefährden wolle.

Damit standen die Schlussabstimmungen zur AHV-21-Reform an, wobei SGK-NR-Sprecher de Courten (svp, BL) das Ergebnis der parlamentarischen Debatte nochmals zusammenfasste: Durch die Frauenrentenaltererhöhung auf 65 Jahre und die Mehrwertsteuererhöhung könnten bei der AHV jährlich CHF 1.4 Mrd. gespart werden, wovon CHF 130 Mio. für Kürzungen beim Rentenvorbezug, CHF 534 Mio. als Ausgleichsmassnahmen für die Frauen und CHF 80 Mio. für die Reduktion der Karenzfrist bei der Hilflosenentschädigung gleich wieder eingesetzt würden. Mit den verbliebenen CHF 583 Mio. jährlich sollte der AHV-Fonds im Jahr 2030 ein Umlageergebnis von CHF -2,4 Mrd. und einen Fondsbestand von 89 Prozent aufweisen.
In den Schlussabstimmungen drohte den beiden Bundesbeschlüssen über die AHV-Revision und über die Zusatzfinanzierung durch eine Mehrwertsteuererhöhung schliesslich keine Gefahr mehr: Mit 125 zu 67 Stimmen (bei 1 Enthaltung) respektive 126 zu 40 Stimmen (bei 27 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat, mit 31 zu 12 Stimmen und 43 zu 0 Stimmen der Ständerat für die Revision aus. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten allesamt aus der SP- und der Grünen-Fraktion. Doch dass die AHV-21-Reform damit noch nicht vollständig abgeschlossen war, war zu diesem Zeitpunkt wohl den meisten klar: Die SP hatte bereits früh ein Referendum gegen die Rentenaltererhöhung der Frauen angekündigt und bekräftigte diese Absicht auch nach den Schlussabstimmungen gegenüber den Medien erneut.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

Der Nationalrat beschäftigte sich in der Wintersession 2021 mit der Änderung des Entsendegesetzes. Die WAK-NR beantragte knapp, mit 12 zu 11 Stimmen (bei 1 Enthaltung), wie bereits der Ständerat nicht auf den Entwurf einzutreten, wie Kommissionssprecher Michaël Buffat (svp, VD) und Kommissionssprecherin Petra Gössi (fdp, SZ) am Anfang der Debatte ausführten. In den Augen der knappen Kommissionsmehrheit sollten die Kantone selbst sicherstellen, dass ihre kantonalen Mindestlöhne für alle Arbeitnehmenden auf dem Kantonsgebiet gelten, wie es beispielsweise der Kanton Jura tut – ein Argument, das auch von der WAK-SR und dem Ständerat eingebracht worden war. Somit liege ohne Regelung auf Bundesebene keine rechtliche Unsicherheit vor, die Kantone seien in der Lage, «die Frage [eigenständig] zu lösen». Daniela Schneeberger (fdp, BL) ergänzte, dass die entsprechende Änderung des EntsG zu einer Ungleichbehandlung zwischen schweizerischen Unternehmen und Unternehmen aus den EU/EFTA-Staaten führen würde, da «nur die ausländischen Arbeitnehmenden aufgrund des Entsendegesetzes sanktioniert werden könnten».
Minderheitssprecher Fabio Regazzi (mitte, TI) argumentierte hingegen, dass die Kantone selber das Problem nicht lösen könnten – entgegen den Aussagen der Kommissionsmehrheit. So müssten Arbeitgebende mit Sitz im Ausland gemäss EntsG nur in der Schweiz geltende Lohnbedingungen einhalten, «sofern diese in Bundesgesetzen, in Verordnungen des Bundesrates oder in allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen und Normalarbeitsverträgen geregelt sind». Folglich würde die Ergänzung des EntsG um solche kantonalen Rechtsgrundlagen eine Garantie gegen allfällige Beschwerden darstellen – und Rechtssicherheit und Transparenz gewährleisten, wie Bundesrat Guy Parmelin ergänzte. Zudem habe sich die Mehrheit der Kantone in der Vernehmlassung für den Entwurf ausgesprochen.
Nach einer langen Debatte setzten sich der Bundesrat und die Minderheit durch: Der Nationalrat sprach sich mit 104 zu 86 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) für Eintreten aus. Für Eintreten sprachen sich die Fraktionen der SP, der Mitte und der Grünen aus.

Révision partielle de la loi sur les travailleurs détachés (MCF 21.032)
Dossier: Vorschläge zur Änderung des Entsendegesetzes (EntsG)

Daniela Schneeberger (fdp, BL) verlangte in einer parlamentarischen Initiative, dass Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen zukünftig auch Leistungen zur Prävention ausrichten können sollen. Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen sind gemäss ZGB Per­so­nal­für­sor­ge­ein­rich­tun­gen in Stiftungsform und dienen der sozialen Vorsorge der Arbeitnehmenden. Während aber ihr Zweck bisher vor allem auf Personen in Notlagen abzielte, sollen sie zukünftig auch «Leistungen zur Prävention bei Krankheit, Unfall und Arbeitslosigkeit» ausrichten können, wie etwa die «Mandatierung einer externen Anlaufstelle für Mitarbeitende mit finanziellen oder psychischen Problemen» oder auch die Unterstützung der Arbeitnehmenden bei der Kinderbetreuung. Zwar seien Präventionszwecke eigentlich bereits jetzt eingeschlossen, da dies jedoch «immer wieder zu Diskussionen mit den Behörden» führe, sollen sie jetzt ausdrücklich genannt werden, argumentierte die Initiantin.
Mit 19 zu 4 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gab die SGK-NR der Initiative im Januar 2021 Folge, im November 2021 stimmte ihr die SGK-SR stillschweigend zu. Somit wird die nationalrätliche Kommission einen Entwurf ausarbeiten.

Leistungen zur Prävention sind im heutigen Umfeld eine wichtige Aufgabe von Wohlfahrtsfonds mit Ermessensleistungen (Pa.Iv. 19.456)

In der Herbstsession 2021 setzte sich der Nationalrat mit dem Entwurf der WAK-NR zur Grenze der Mehrwertsteuerpflicht für ehrenamtlich geführte, nicht gewinnstrebige Sport- und Kulturvereine und gemeinnützige Institutionen auseinander. Daniela Schneeberger (fdp, BL) und Samuel Bendahan (sp, VD) präsentierten den Entwurf zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Feller (fdp, VD) für die Kommission: Demnach soll die Umsatzgrenze für die entsprechenden Vereine von CHF 150'000 auf CHF 200'000 erhöht werden. Die bisherige Grenze werde von den Vereinen «relativ schnell überschritten», die danach nötige Mehrwertsteuerabrechnung sei aber trotz der Pauschalsteuersatzmethode für die ehrenamtlich tätigen Personen sehr kompliziert. Von der Erleichterung würden nur wenige Vereine – Bendahan sprach von 106 Vereinen – profitieren, diese aber teilweise sehr stark. Nachdem sich Sprecherinnen und Sprecher der SVP, der SP, der FDP, der Grünen sowie der Mitte für eine Annahme des Entwurfs ausgesprochen hatten, verteidigte Finanzminister Mauer die Forderung des Bundesrates nach Nichteintreten. Der Bundesrat bezweifelte einerseits die Verhältnismässigkeit, wenn 106 Vereinen jährliche Einsparungen über CHF 1 Mio. gewährt würden, während die Vereine insgesamt jährlich CHF 70 Mio. J+S-Gelder erhielten. Damit stehe der bürokratische Aufwand «in keinem Verhältnis» zum Nutzen dieser Massnahme. Andererseits kritisierte Maurer die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den Gastro-Betrieben – etwa wenn die Vereine eine Buvette oder eine Festwirtschaft betreiben –, welche ab einem Umsatz von CHF 100'000 steuerpflichtig sind. Wie sich in den vorgängigen Voten abgezeichnet hatte, sprach sich der Nationalrat erst mit 169 zu 14 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) für Eintreten aus und nahm den Entwurf anschliessend in der Gesamtabstimmung mit 170 zu 15 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) an. Ablehnend äusserte sich nur eine Mehrheit der GLP-Fraktion sowie je ein Mitglied der SP- und der FDP-Fraktion.

Sport- und Kulturvereine. Anheben der Umsatzgrenze für die Befreiung von der Mehrwertsteuerpflicht

Als Erstrat behandelte der Nationalrat in der Wintersession 2021 die Pensionskassenreform BVG 21. Thomas de Courten (svp, BL) und Benjamin Roduit (mitte, VS) stellten dem Rat die Vorlage und insbesondere die Änderungsanträge der SGK-NR an der bundesrätlichen Version vor. Der Bundesrat hatte in der Botschaft den von den Sozialpartnern – dem SAV, dem SGB und Travail.Suisse, nicht aber vom Gewerbeverband – ausgearbeiteten Entwurf übernommen. Die Kommissionsmehrheit erachtete aber insbesondere den darin enthaltenen Rentenzuschlag als «nicht zielführend» und als Eingriff in die Selbstständigkeit der Vorsorgeeinrichtungen, wie de Courten erläuterte. Statt einem Zuschlag «nach dem Giesskannenprinzip» sollen nur die Renten einer Übergangsgeneration und von Personen «im und nahe beim BVG-Obligatorium gezielt verbessert werden». Daneben lagen verschiedene Minderheitsanträge mit Alternativmodellen zum Rentenzuschlag vor. Doch nicht nur im umstrittensten Aspekt, dem Rentenzuschlag, auch in zahlreichen weiteren Punkten wollte die Kommissionsmehrheit vom Vorschlag der Sozialpartner bzw. dem Entwurf der Regierung abweichen.
Die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen hoben in der Folge insbesondere die Relevanz der Revision hervor, zeigten sich aber bezüglich der Gründe für diese Relevanz und damit auch bezüglich der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Massnahmen gespalten. Die Mitte, die FDP und die SVP unterstützten in ihren Voten die Kommissionsmehrheit. Für sie war eine Senkung des Umwandlungssatzes dringend, wie etwa Ruth Humbel (mitte, AG) für die Mitte betonte. Man anerkenne die Wichtigkeit von Ausgleichsmassnahmen, diese müssten jedoch auf eine Übergangsgeneration beschränkt sein, erklärte Albert Rösti (svp, BE). Regine Sauter (fdp, ZH) verlangte überdies, dass die Massnahmen «innerhalb des Systems der zweiten Säule» vorgenommen werden, und sprach sich damit gegen das von den Sozialpartnern vorgeschlagene Umlageverfahren in der zweiten Säule aus. Eine Mitteposition nahm die GLP ein: Melanie Mettler (glp, BE) betonte die Wichtigkeit einer Revision, welche anschliessend eine Volksabstimmung übersteht, weil eine erneute Abstimmungsniederlage nicht nur die «teuerste Variante ist, sondern auch diejenige, die am meisten Vertrauensverlust verursacht». Deshalb werde die GLP ein Kompromissmodell zu den Ausgleichsmassnahmen präsentieren. Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) zeigte sich für die Grünen vom Mehrheitsmodell enttäuscht und bezeichnete dieses gar als «Pfusch», zumal es das Hauptziel der Vorlage – ein Ende der sinkenden Realrenten – im Gegensatz zum Sozialpartnermodell nicht erfülle. Auch Pierre-Yves Maillard (sp, VD) verwies für die SP darauf, dass die Renten 2025 bei gleichem Kapital 20 Prozent niedriger sein werden als noch 2010. Man habe in den Diskussionen zwischen den Sozialpartnern zugunsten eines Kompromisses auf viele nötigen Massnahmen verzichtet – mit ihrem Vorschlag gehe die Kommissionsmehrheit aber viel zu weit: «Mesdames et Messieurs des partis bourgeois, vous allez trop loin!» Man werde eine solche Vorlage nicht akzeptieren, betonte auch Katharina Prelicz-Huber und stellte bereits vor der Detailberatung eine Referendumsdrohung in den Raum. Auch Gesundheitsminister Berset verteidigte in der Folge ausführlich den Kompromiss der Sozialpartner. «Wenn irgendjemand hier denkt, dass es möglich sein wird, in einer so komplexen Materie ohne die Sozialpartner eine Mehrheit zu finden, dann wünsche ich viel Glück.» Eintreten war in der Folge unbestritten.

Im ersten Block behandelte der Rat vor allem Fragen zu den versicherten Einkommen und zum Sparprozess. Die Kommissionsmehrheit hatte hier vorgeschlagen, die Eintrittsschwelle, ab der Einkommen bei der Pensionskasse versichert sind, fast zu halbieren (neu: CHF 12’548), der Bundesrat und eine Minderheit de Courten wollten diese bei ihrem bisherigen Wert belassen (CHF 21’510). Mit der Beibehaltung der bisherigen Eintrittsschwelle wolle man die Personen mit tieferen Einkommen nicht durch BVG-Abgaben belasten, begründete Albert Rösti den Minderheitsantrag. Die Kommissionsmehrheit erachtete eine Senkung jedoch gerade für Personen mit Teilzeitanstellungen und niedrigen Pensen als relevant und setzte sich mit dieser Ansicht mit 141 zu 49 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen den Widerstand des Grossteils der SVP-Fraktion durch. Auch die Forderung, dass sich Arbeitnehmende mit verschiedenen Arbeitgebenden obligatorisch versichern müssen, wenn ihr Gesamteinkommen die Eintrittsschwelle übersteigt, nahm die Ratsmehrheit gegen den Willen einer Mehrheit der SVP-Fraktion an und schuf damit die ersten zwei Differenzen zum bundesrätlichen Vorschlag.
Zusammen mit der Eintrittsschwelle wollte die Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Bundesrat auch den koordinierten Lohn (und damit den Koordinationsabzug) senken. Statt wie bisher zwischen CHF 25'095 und CHF 86'040 sollten zukünftig Einkommen zwischen CHF 12'443 und CHF 85'320 versichert werden – der Koordinationsabzug würde somit annähernd halbiert. Zwei Minderheiten I Roduit und II de Courten wünschten sich einen anteilsmässigen Koordinationsabzug von 40 Prozent (Roduit) respektive 60 Prozent (de Courten), wobei der Koordinationsabzug in der Höhe begrenzt wäre, während eine Minderheit III Mettler vollständig auf den Koordinationsabzug verzichten wollte. Albert Rösti erachtete den Vorschlag de Courtens als Kompromiss zwischen dem bisherigen und dem von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen System. Erwerbstätigkeit müsse versichert sein, «egal, in welchem Erwerbsmodell sie erfolgt», begründete hingegen Melanie Mettler ihren Antrag. Die Kommissionsmehrheit setzte sich in den Abstimmungen gegen die Minderheitsanträge durch, wobei die Minderheiten nur bei der SVP-Fraktion (Minderheit II) respektive bei der GLP- und bei Teilen der FDP.Liberalen-Fraktion (Minderheit III) Anklang fanden.
Auch die Frage, ab wann sich junge Menschen für das Alter versichern müssen, war umstritten. Bisher lag die entsprechende Altersgrenze bei 24 Jahren. Während über den Versicherungsbeginn für Tod und Invalidität ab 17 Jahren kaum Worte verloren wurden, lagen zahlreiche Anträge zum Beginn des Alterssparens vor: Die Kommissionsmehrheit wollte diese Grenze auf 19 Jahre senken, während Minderheiten I Roduit und II Gysi (sp, SG) diese bei 20 respektive 24 Jahren ansetzen wollten. Durch eine Vorverlegung des obligatorischen Sparprozesses und eine Erhöhung der Altersgutschriften für Junge, wie sie ebenfalls geplant waren, würden Junge gleich doppelt belastet, kritisierte Barbara Gysi erfolglos. Die Kommissionsmehrheit setzte sich mit 122 zu 71 Stimmen und 126 zu 67 Stimmen gegen die SP, Grüne und Teile der Mitte durch. Und wie von Barbara Gysi befürchtet, erhöhte der Rat in der Folge tatsächlich auch die Altersgutschriften für Junge. Bisher waren diese in vier Stufen gestaffelt, wobei ab 55 Jahren die höchsten Altersgutschriften bezahlt werden mussten. Bundesrat und Kommissionsmehrheit sahen nun nur noch zwei Altersstufen vor (BR: 25-44 und ab 45, Kommissionsmehrheit: 20-44 und ab 45), um die Gefahr einer Entlassung für die älteren Arbeitnehmenden zu verringern. Hierzu lagen vier Minderheitsanträge vor, wobei Minderheiten Gysi und Roduit tiefere Altersgutschriften für Junge, Minderheiten de Courten und Aeschi (svp, ZG) bereits einen früheren Anstieg der Erhöhung der Altersgutschriften forderten. Erneut setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit jedoch durch.

Im zweiten Block debattierte der Rat über die zentralen Fragen der Revision, den Mindestumwandlungssatz und die Ausgleichsmassnahmen. Neben Diskussionen und Anträgen über die Häufigkeit und Breite begleitender Berichte zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes stellte Stefania Prezioso (egsols, GE) auch einen Einzelantrag, den Umwandlungssatz statt auf 6 Prozent (von 6.8 Prozent) nur auf 6.4 Prozent zu senken. Galt dieser Aspekt bisher weitgehend als unbestritten, begründete sie ihren Antrag nun mit der verbesserten Situation der Pensionskassen, aber auch mit einer Verlangsamung des Anstiegs der Lebenserwartung. Unterstützt wurde sie von der SP- und der Grünen Fraktion, wie etwa Barbara Gysi betonte: Man habe den Sozialpartnerkompromiss mitgetragen, aber wenn die Ratsmehrheit von diesem abweiche, sei man nicht mehr zu einer so starken Senkung des Umwandlungssatzes bereit. Über die SP und die Grünen hinaus fand der Antrag jedoch keine Zustimmung und wurde vom Nationalrat abgelehnt.
Bezüglich der Ausgleichsmassnahmen lagen dem Nationalrat vier Entwürfe vor: Die Kommissionsmehrheit wollte die Ausgleichsmassnahmen einer Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen zugänglich machen, wobei die Zuschüsse nach Alterskategorien abgestuft werden sollten (65-61 Jahre: CHF 2400 jährlich, 60-56 Jahre: CHF 1800, 55-51 Jahre: CHF 1200). Finanziert werden sollten die Ausgleichsmassnahmen durch eine einmalige Einlage der Vorsorgeeinrichtung zum Zeitpunkt des Altersrücktritts und durch Zuschüsse des Sicherheitsfonds, welche dieser während 15 Jahren bei den Vorsorgeeinrichtungen erhebt. Eine Minderheit I de Courten wollte die vom Bundesrat beantragten Ausgleichsmassnahmen gänzlich streichen und stattdessen den in eine Altersrente umzuwandelnden Anteil des Altersguthabens während zehn Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes im ersten Jahr um 13 Prozent und anschliessend jeweils um 1.3 Prozentpunkte weniger pro Jahr erhöhen. Eine Minderheit II Mettler wollte wie angekündigt «den Anliegen beider politischer Lager Rechnung» tragen. Mit ihrem Vorschlag sollte das Rentenniveau für zwei Drittel der Versicherten erhalten werden, aber nur für 20 Jahrgänge: So sollte der monatliche Zuschlag, der für den ersten Jahrgang CHF 200 beträgt, jeweils um CHF 10 pro Jahrgang reduziert werden. Während 20 Jahren wären dafür Beiträge über 0.3 Prozent des versicherten Lohns nötig. Eine Minderheit III Maillard beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen und für alle zukünftigen BVG-Rentnerinnen und -Rentner Ausgleichsmassnahmen zu schaffen. Denn durch den Ausschluss der wohlhabenden Arbeitnehmenden von den Ausgleichsmassnahmen trügen diese auch nicht mehr zu deren Finanzierung bei, kritisierte Pierre-Yves Maillard die übrigen Modelle. Die Höhe der Zuschläge sollte nur bereits für die nächsten 15 Jahre festgelegt werden, finanziert würden die Zuschläge durch einen Beitrag von 0.5 Prozent des massgebenden Lohns im Umlageverfahren.
Unterstützung fanden die Minderheitsanträge nur bei den Fraktionen der SVP (Minderheit I de Courten), bei der SP und den Grünen (Minderheit III Maillard) respektive bei der SP, den Grünen und der GLP (Minderheit II Mettler) – sie alle wurden folglich zugunsten des Mehrheitsantrags verworfen. In der zentralen Frage der Vorlage entschied sich der Nationalrat somit, vom Vorschlag des Bundesrates und der Sozialpartner abzuweichen.
Abgelehnt wurde in der Folge auch ein Minderheitsantrag Meyer (sp, ZH), der – in Übereinstimmung mit der Regelung zur AHV 21 – den Rentenzuschlag bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen nicht berücksichtigen wollte, da sonst «die Menschen mit tiefen Löhnen am Ende des Monats nicht mehr Geld zur Verfügung haben würden» als bisher, wie Yvonne Feri (sp, AG) erläuterte. Auch dieser Antrag fand jedoch über die SP, die Grünen und die GLP hinaus keine Zustimmung.

Im dritten Block standen noch diverse Detailfragen an, hier dominierten vor allem links-grüne Minderheitsanträge. Erfolglos verlangte etwa eine Minderheit Prelicz-Huber Erziehungs- und Betreuungsgutschriften wie in der AHV, eine Minderheit Meyer setzte sich für die Beibehaltung der Möglichkeit zur Weiterversicherung des Lohns für Personen ab 58 Jahren bei einer Lohnreduktion um die Hälfte ein und eine Minderheit Gysi wollte eine Definition von missbräuchlichen Tarifen für Todesfall- und Invaliditätsleistungen festlegen lassen. Erfolgreich war lediglich eine Minderheit Prelicz-Huber mit 112 zu 80 Stimmen gegen einen Antrag der Kommissionsmehrheit, mit dem der bisherige Steuerabzug von Beiträgen an die Altersvorsorge von CHF 6’900 auf CHF 10'000 erhöht werden sollte. Zustimmung hatte der Mehrheitsantrag bei Mitgliedern der SVP und der FDP erhalten.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat die BVG 21-Reform mit 126 zu 66 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gut. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Ende Mai 2021 nahm der Bundesrat schriftlich Stellung zur parlamentarischen Initiative für eine Erhöhung der steuerlichen Entlastung für familienexterne Kinderbetreuung. Er verwies dabei wie auch bereits in seiner Stellungnahme zur 2020 an der Volksabstimmung gescheiterten Vorlage zur Erhöhung der steuerlichen Kinderabzüge auf den Nutzen einer solchen Regelung, die zu einer «besseren Ausnutzung des Fachkräftepotenzials, zu einer Belebung des Arbeitsmarktes und letztlich auch zu einer Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität» und zu steigenden Steuereinnahmen führen würde. Hingegen lehnte er die von der Kommissionsminderheit vorgeschlagene Erhöhung des allgemeinen Kinderabzugs ab, da er darin eine Missachtung des Volkswillens sah.

In der Sommersession 2021 setzte sich der Nationalrat mit der Thematik auseinander und behandelte dabei zuerst einen Minderheitsantrag Dettling (svp, SZ) auf Nichteintreten. Marcel Dettling argumentierte, dass die Bundesratsvorlage gemäss Nachabstimmungsbefragung in erster Linie abgelehnt worden sei, weil nur Gutverdienende davon profitiert hätten. Dies sei aber auch bei der neuen Vorlage der Fall, weshalb man den Volkswillen achten und auf eine erneute Behandlung dieses Themas verzichten solle. Die Sprecherinnen der Kommissionsmehrheit, Daniela Schneeberger (fdp, BL) und Sophie Michaud Gigon (gp, VD), verwiesen darauf, dass die Kinderdrittbetreuungskosten «im Abstimmungskampf praktisch unbestritten» geblieben seien – kritisiert worden sei vor allem die Erhöhung der Kinderabzüge. Mit 125 zu 52 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat für Eintreten aus. Zur Mehrheit der SVP-Fraktion, die sich gegen Eintreten aussprach, gesellten sich auch Minderheiten der SP und der Grünen. Letztere störten sich wohl allgemein an der Erhöhung der Steuerabzüge, zumal man kein «Fan von Steuersubventionen via Abzüge» sei, wie Jacqueline Badran (sp, ZH) betonte – aber dennoch Eintreten empfahl. Im Anschluss begründete Thomas Aeschi (svp, ZG) seinen «moderaten Minderheitsantrag» auf Erhöhung der Kinderabzüge von CHF 6'500 auf CHF 8'250, den er als Kompromiss zum Abzug von CHF 10'000 im Rahmen des an der Urne gescheiterten Bundesratsgeschäfts erachtete. Damit könnten auch «selbstbetreuende Familien – eigentlich [...] alle Familien, die Kinder haben» unterstützt werden. Mit 104 zu 79 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) lehnte der Nationalrat diese erneute Erhöhung des Kinderabzugs ab. Unterstützt worden war der Vorschlag von der SVP-Fraktion, von einer Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie von einem Mitglied der FDP-Fraktion. Im Anschluss daran nahm die grosse Kammer den Entwurf mit 145 zu 32 Stimmen (bei 10 Enthaltungen) an, wobei die ablehnenden Stimmen wie zuvor bei der Eintretensabstimmung von der Mehrheit der SVP und Minderheiten der SP und der Grünen stammten.

Steuerliche Entlastung für familienexterne Kinderbetreuung von bis zu 25 000 Franken pro Kind und Jahr (Pa. Iv. 20.455)