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Noch in der gleichen Woche wie die erste nationalrätliche Debatte fand das Differenzbereinigungsverfahren statt, wobei nicht mehr viele Fragen zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Überwachung von Versicherten offen waren. Der Ständerat zeigte sich grösstenteils mit den Vorschlägen des Nationalrats einverstanden: Er hiess die Notwendigkeit eines Antrags auf Überwachung mit technischen Hilfsmitteln zur Standortbestimmung sowie die Schweigepflicht für die Mitarbeitenden der externen Unternehmen gut. Er bestand jedoch darauf, Observationen nur durch Personen mit Direktionsfunktion erlauben zu lassen. Da eine Observation „einen beachtlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person” darstelle, sei diese Entscheidung auf Stufe Direktion zu treffen, erklärte Pirmin Bischof (cvp, SO) für die SGK-SR. Er ergänzte, dass die Kommission aufgrund der vorgängigen nationalrätlichen Diskussion noch zwei Fragen bei der Verwaltung habe abklären lassen. Demnach würden erstens Drohnen gemäss Verwaltung ebenfalls zu den technischen Hilfsmitteln der Standortbestimmung zählen, wenn sie für die Standortbestimmung eingesetzt würden – nicht aber, wenn sie für die konkrete Observation verwendet würden. Zweitens stellte die Verwaltung klar, dass gemäss ihrer Auffassung die Rahmenfrist von sechs Monaten für die Überwachung durch das Einreichen eines Antrages zur Verwendung der Hilfsmittel zur Standortbestimmung nicht neu zu laufen beginne.
Noch an demselben Tag beschäftigte sich auch der Nationalrat erneut mit der Vorlage. Nachdem die Problematik des Drohneneinsatzes auf Nachfrage von Silvia Schenker (sp, BS) durch Isabelle Moret (fdp, VD) geklärt wurde – Drohnen seien bewilligungspflichtig für die Standortfeststellung einsetzbar, jedoch nicht um Ton- und Bildaufnahmen zu machen, betonte sie – nahm sich die grosse Kammer der letzten Differenz an: Auf Antrag der SGK-NR lenkte sie ein und akzeptierte die Bestimmung des Ständerats; somit dürfen nur Personen mit Direktionsfunktion zukünftig Observationen anordnen.
Tags darauf folgten die Schlussabstimmungen in beiden Räten. Der Nationalrat nahm die Vorlage mit 141 zu 51 Stimmen an, wobei sich an den Lagern nichts geändert hatte: Die SP- und die Grünen-Fraktion waren einstimmig gegen die Schaffung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen, die übrigen Fraktionen sprachen sich einstimmig dafür aus. Im Ständerat fiel das Bild ähnlich aus, hier standen 29 zustimmende 10 ablehnenden Stimmen und 3 Enthaltungen gegenüber.

Damit war das Geschäft innert dreier Monate durch das Parlament „gepeitscht” worden, wie es Balthasar Glättli (gp, ZH) gleichentags formulierte; zuletzt wurde es in einer Woche dreimal vom National- und zweimal vom Ständerat beraten. „Wahnsinn. Raserei. Eskalation” titelte der Tages Anzeiger bereits am Tag der Schlussabstimmungen und sprach dabei nicht vom Resultat, sondern vom Behandlungstempo. „Warum diese Eile, dieses Politisieren nahe am Notrecht?” fragte er weiter und gab die Antwort gleich selber: Die Beteuerungen zahlreicher Politikerinnen und Politiker – namentlich erwähnt wurden Josef Dittli (fdp, UR), Alex Kuprecht (svp, SZ), Roland Eberle (svp, TG), Lorenz Hess (bdp, BE) und Ruth Humbel (cvp, AG) –, wonach ein vehementer Zeitdruck herrsche und die Missbrauchsbekämpfung für die Sozialversicherungen immens wichtig sei, stünden in Zusammenhang mit den Mandaten der Sprechenden bei Versicherern, „die direkt vom Gesetz profitier[t]en”. Diesen Vorwurf liess Lorenz Hess nicht gelten; er argumentierte, das Gesetz betreffe vor allem die Suva und die IV, für die Visana, deren Präsident er ist, seien Observationen nebensächlich. Gerade die Suva hatte aber gemäss Tages Anzeiger bei der Beratung dieser Vorlage eine wichtige Rolle gespielt, wie auch der Basler Strafrechtsprofessor Markus Schefer bestätigte. Ihre Vorschläge seien im Gesetzgebungsprozess „willig aufgenommen“ worden, erklärte er.
Mit Bezug auf diesen Artikel des Tages Anzeigers reichte Balthasar Glättli noch am selben Tag eine Interpellation (Ip. 18.3330) ein und wollte wissen, ob andere Gesetzesrevisionen ähnlich schnell vom Parlament verabschiedet worden waren, ob Beratungs- und Verwaltungsratsmandate bei von der Vorlage betroffenen Versicherern als relevante Interessenbindungen gelten und welche Konsequenzen allfällige in den Kommissionsdiskussionen oder im Plenum nicht offengelegte Interessenbindungen hätten. Für ihn sei „klar, dass die Versicherungsvertreter im Rat auf ihre Interessenbindungen hätten hinweisen sollen“. Anfang Mai beantwortete das Büro-NR die Interpellation: Seit der Wintersession 2011 seien 110 von 400 Bundesgesetzen und Bundesbeschlüssen innert zweier aufeinanderfolgender Sessionen fertig behandelt worden. Das Büro bestätigte, dass die erwähnten Mandate offenzulegen seien und die Betroffenen dies getan hätten – die entsprechenden Mandate seien in einem Register der Parlamentsdienste öffentlich zugänglich aufgeführt. Dadurch würden sie als bekannt vorausgesetzt und müssten im Rahmen von einzelnen Geschäften nicht genannt werden. Somit kam es bei der Beratung des Observationsartikels zu keinen Unregelmässigkeiten bezüglich der Offenlegung von Interessenbindungen. Bestehen bleibt jedoch der grosse potenzielle Einfluss der Versicherer, was nicht zuletzt auch Alex Kuprecht bestätigte: „Hätten alle Politiker in den Ausstand treten müssen, die bei einer Krankenkasse, einer Versicherung oder einer Pensionskasse ein Mandat haben, hätten wir das Gesetz gar nicht beraten können”, erklärte er gegenüber dem Tages Anzeiger.

Parlament schafft eine gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten (Pa. Iv. 16.479)
Dossier: Überwachung von Versicherten (2016-2019)

Die Frage, ob Abstimmungskampagnen Grenzen haben müssen und falls ja, wo diese gezogen werden sollen, beschäftigt die Schweiz oft bei umstrittenen Abstimmungen. Eine solche stellte die Masseneinwanderungsinitiative ohne Zweifel dar. Nach Meinung zweier Staatsrechtsprofessoren sollte deren Annahme nun gar aufgrund von Propaganda für ungültig erklärt werden. David Gibor und Tomas Poledna reichten eine Stimmrechtsbeschwerde ein und argumentierten, dass der Urnengang durch rassistische Propaganda verfälscht worden sei. Im Mittelpunkt dieser Argumentation stand das Inserat mit dem Titel «Kosovaren schlitzen Schweizer auf!», für welches SVP-Verantwortliche erstinstanzlich wegen Rassendiskiminierung verurteilt worden waren.
In der Folge wurde vor allem unter Juristinnen und Juristen diskutiert, ob die Meinungsbildung besser geschützt werden müsse. Sofern eine strafrechtliche Verurteilung vorliege, könne die unter Strafe gestellte Handlung sehr wohl als unzulässige Einwirkung auf die Willensbildung betrachtet werden, wurde auf der einen Seite argumentiert. Man könne von den Stimmberechtigten nicht erwarten, dass sie «Hetzinserate» als solche erkennen würden, betonte etwa Denise Buser, Titularprofessorin für kantonales Staatsrecht an der Universität Basel. Wenn eine unzulässige Beeinflussung der Willensbildung vorliege, dann könne man sich schon überlegen, ob ein Abstimmungsresultat kassiert werden sollte, da das Strafrecht «eine rote Linie» darstellen müsse, wandte auch der ehemalige Bundesrichter Giusep Nay ein. Auf der anderen Seite wurde argumentiert, dass unwahre Äusserungen oder unsachliche und abwertende Argumente zu einer offenen demokratischen Auseinandersetzung gehörten. In der Debatte könnten diese ja auch thematisiert und entkräftet werden. Ein Schutz der Stimmbürgerschaft sei nicht nötig, da diese selber erkenne, wann ein Manipulationsversuch vorliege. Man müsse den Stimmberechtigten zutrauen, dass in einem Abstimmungskampf fast alles gesagt werden dürfe, argumentierte Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht.
Das Bundesgericht entschied dann Ende August 2015 nicht auf die Beschwerde einzutreten (Urteil 1C_63/2015, 1C_109/2015, 1C_237/2015, 1C_293/2015). Hauptsächliche Begründung war, dass die Beschwerde zu spät eingereicht worden sei. Eine solche müsse spätestens drei Tage nach Entdeckung des Beschwerdegrundes – im konkreten Fall also bei Publikation des besagten Inserats – angemeldet werden. Das Inserat war von der SVP bereits lange vor der Volksabstimmung geschaltet worden. Gibor und Poledna hatten vergeblich argumentiert, dass erst mit der Verurteilung klar geworden sei, dass eine Irreführung vorgelegen habe. Unbeantwortet liess das Bundesgericht hingegen die Frage, ob strafbare Äusserungen die Willensbildung auf unzulässige Weise beeinflussen können.

Stimmrechtsbeschwerde wegen Schlitzerplakat