Unmittelbar vor dem Wahltag verringerte sich die Zahl der in Betracht kommenden sozialdemokratischen Ausweichkandidaten. Der eher linksstehende, im parteiinternen Nominationsverfahren zweitplacierte Hans Schmid, ein sankt-gallisch/aargauischer Doppelbürger, sah sich ausgeschaltet, als das Büro der Vereinigten Bundesversammlung sich einem Gutachten anschloss, das von ihm schon vor der Wahl die Preisgabe seines sankt-gallischen Zweitbürgerrechts verlangte. Unter den im bürgerlichen Lager genehmeren Anwärtern erklärten Fritz Reimann, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, und — nach Presseberichten nicht ganz freiwillig — Bundeskanzler Buser ihren Verzicht. So einigten sich die Gegner Lilian Uchtenhagens (sp, ZH) in letzter Stunde auf Otto Stich (sp, SO). Dieser erreichte denn auch im ersten Wahlgang knapp das absolute Mehr. Der offizielle freisinnige Kandidat Delamuraz drang ebenfalls im ersten Wahlgang durch; eine sozialdemokratische «Retourkutsche» war nicht zu erkennen. Die bisherigen Bundesräte wurden problemlos wiedergewählt; Pierre Aubert fand diesmal mehr Anerkennung als vier Jahre zuvor. Anstelle des verstorbenen Vizepräsidenten Willi Ritschard gelangte Leon Schlumpf ohne Vorstufe gleich ins Bundespräsidium.
Stich erhielt 124 Stimmen, Uchtenhagen 96, Delamuraz 130, Ducret 53.
Bisherige BR: Furgler 198 Stimmen, Schlumpf 189, Egli 185, Friedrich 175, Aubert 151.
Otto Stich wurde die Annahme der Wahl von seiner Partei zwar nicht verwehrt, doch diese ging daran, die Drohung ihres Präsidenten wahrzumachen. Der Vorstand berief auf den Februar 1984 einen ausserordentlichen Parteitag ein. Bereits vor Jahresende zeigte es sich, dass die Frage der Bundesratsbeteiligung in der SPS eine ernste Krise auslösen würde. Der Neugewählte betonte schon vor seinem Amtsantritt seine Unabhängigkeit gegenüber der bürgerlichen Mehrheit. So sprach er sich für eine Lockerung des Kollegialitätsprinzips aus, damit ein Bundesrat nicht mehr zur Bekämpfung einer Volksinitiative seiner Partei verpflichtet sei.
Das ungewohnte Geschehen fand in den Pressekommentaren sehr unterschiedliche Erklärungen. Namentlich aus Frauenkreisen wurde die Nichtwahl Lilian Uchtenhagens als Ausdruck der fortgesetzten Diskriminierung des weiblichen Geschlechts gedeutet. Bürgerlicherseits machte man daraus einen Fall Hubacher (sp, BS); der SPS-Präsident habe mit seinen Druckversuchen gegenüber der Parlamentsmehrheit wie gegenüber eigenen Parteigenossen den Scherbenhaufen provoziert. Wissenschaftliche Beobachter verwiesen auf die Polarisierung zwischen der SP und ihren bürgerlichen Regierungspartnern, denen es ihre Mehrheitsstellung erlaube, die Ergebnisse der Konkordanz einseitig zu bestimmen. So seien 1982 die Kandidaten der FDP und der CVP trotz ihrer Rechtsorientierung durchgesetzt worden; der linksgerichteten SP-Vertreterin habe man jedoch nicht Gegenrecht gewährt. Auch ausserhalb der SP begann man sich da und dort zu fragen, ob das System der Konkordanzdemokratie an ein Ende gelangt sei. Bescheidenere institutionelle Konsequenzen zog die SVP: in einer Motion beantragte sie eine Neuinterpretation der Verfassungsbestimmung, dass nicht mehr als ein Bundesrat aus dem gleichen Kanton stammen dürfe; anstelle des Heimatortes solle künftig der Wohnort für die Zugehörigkeit massgebend sein.