Suche zurücksetzen

Inhalte

Akteure

  • Schwander, Pirmin (svp/udc, SZ) NR/CN
  • Porchet, Léonore (gp/verts, VD) NR/CN

Prozesse

110 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

In der Wintersession 2022 überwiesen sowohl der Ständerat (Mo. 22.4250) als auch der Nationalrat (Mo. 22.4249) eine jeweils gleichlautende Motion zur Erhöhung der Obergrenze für Gerichtsgebühren. Die von den beiden GPK eingereichten Vorstösse verlangten, dass die eidgenössischen Gerichte nach oben flexible Grenzen für Gerichtsgebühren ansetzen dürfen. Bei ihrer Prüfung der jetzigen Gebühren hätten die GPK festgestellt, dass die momentan geltenden Höchstansätze (CHF 200'000 beim Bundesgericht, CHF 100'000 bei Bundesanwaltschaft und Bundesstrafgericht, CHF 50'000 beim Bundesverwaltungsgericht) nicht genügten, wenn es um sehr hohe Streitwerte oder sehr komplexe Verfahren gehe. Es gehe nicht darum, die Gerichtsgebühren generell zu erhöhen, sondern lediglich darum, bei Spezialfällen Obergrenzen adäquat anzusetzen, begründeten die GPK ihre Vorstösse. Zwar waren bereits 2017 zwei ähnliche und ebenfalls gleichlautende Motionen angenommen worden, die im Rahmen der Revision des Bundesgerichtsgesetzes hätten umgesetzt werden sollen. Da die Räte diese Revision allerdings abgelehnt hätten, sei das Anliegen der flexiblen Obergrenze bisher nicht umgesetzt worden.
Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motionen, wie er es bereits 2017 getan hatte, und erinnerte daran, dass bei der Umsetzung eine Motion Hefti (fdp, GL; Mo. 19.3228) und ein Postulat Caroni (fdp, AR; Po. 20.4399) berücksichtigt werden müssten.
Während die Motion im Ständerat ohne Diskussion durchgewunken wurde, lag im Nationalrat ein schriftlicher Antrag von Pirmin Schwander (svp, SZ) vor, der die Ablehnung der Motion beantragte. Es sei eine «Kernaufgabe des Staates» einen «niederschwelligen Zugang» zu den Gerichten zu garantieren. Höhere Gebühren würden aber auch höhere Gerichtskosten bedeuten, was den Zugang zu den Gerichten einschränke. Diesem Argument folgten 46 Fraktionskolleginnen und -kollegen Schwanders und ein Mitglied der FDP-Fraktion. Sie standen einer Mehrheit von 130 Stimmen gegenüber (6 Enthaltungen). Somit galten beide Motionen als angenommen.

Erhöhung der Obergrenze für Gerichtsgebühren (Mo. 22.4250 und Mo. 22.4249)

Nachdem der Ständerat in der Herbstsession 2022 nicht auf das Geschäft eingetreten war, kamen das Übereinkommen Nr. 190 der internationalen Arbeitsorganisation und ein Bericht zur Jahrhunderterklärung in der darauffolgenden Wintersession in den Nationalrat. Wie bereits in der kleinen Kammer forderte eine Minderheit der vorberatenden RK-NR, angeführt von Pirmin Schwander (svp, SZ), nicht auf das Geschäft einzutreten. Die Minderheit störte sich wie bereits jene im Ständerat an der fehlenden Vernehmlassung, da sie aufgrund der unklaren Rechtsbegriffe durchaus Änderungen der Gesetzesgebungen befürchtete. Kommissionssprecherin Judith Bellaiche (glp, ZH) wies in Bezug auf die Bedenken des Ständerats darauf hin, dass das Übereinkommen in gewissen Bereichen so offen formuliert sei, dass die Schweiz ausreichend Handlungsspielraum bei der Umsetzung besitze. Eine ordentliche Vernehmlassung sei in diesem Fall zudem nicht notwendig, da die Sozialpartner an der Erarbeitung des Übereinkommens beteiligt gewesen seien und die Vernehmlassung demnach keine neuen Erkenntnisse mit sich brächte. Sie beschwichtigte die Kommissionsminderheit, dass das Übereinkommen inhaltlich weitgehend mit dem schweizerischen Rechtsverständnis übereinstimme, auch wenn gewisse kritisierte Begrifflichkeiten «nicht in jedem Punkt identisch sind». Die Fraktionssprecher und -sprecherinnen der SP, Mitte, Grünen, FDP und GLP sprachen sich allesamt für eine Zustimmung zum Bundesbeschluss aus. Mit 121 zu 48 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) trat die grosse Kammer auf das Geschäft ein. Im Anschluss stimmte der Nationalrat mit 124 zu 49 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) dem Bundesbeschluss zur Genehmigung des Übereinkommens zu und schuf damit eine Differenz zum Ständerat.

Übereinkommen Nr. 190 und Bericht über die Erklärung zum hundertjährigen Bestehen der internationalen Arbeitsorganisation (BRG 22.045)

Der Nationalrat beugte sich in der Wintersession 2022 als Zweitrat über die Revision des Sexualstrafrechts. Wie bereits in der Ständekammer wurde das Ziel des Revisionsprojekts, das in die Jahre gekommene Sexualstrafrecht an die veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen, auch im Nationalrat allseits begrüsst. Eintreten war somit unbestritten.

Die Debatte um den umstrittensten Punkt der Vorlage, die Modellwahl zwischen «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein», fand in der grossen Kammer im Vergleich zum Ständerat unter umgekehrten Vorzeichen statt: Während sich in der Kantonskammer eine Minderheit der Kommission erfolglos für die Zustimmungslösung ausgesprochen hatte, beantragte im Nationalrat die Mehrheit der vorberatenden Rechtskommission die Verankerung des «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzips im Strafgesetzbuch. Gemäss Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) wolle man damit klar zum Ausdruck bringen, «dass einvernehmliche sexuelle Handlungen im Grundsatz immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen sollen» und «dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung betrachtet wird». Mit der Zustimmungslösung solle bei der Aufklärung von Sexualdelikten zudem mehr das Verhalten des Täters oder der Täterin in den Fokus rücken, und nicht die Frage, ob und wie sich das Opfer gewehrt habe. Letzteres solle sich nicht schuldig fühlen, wenn es nicht in ausreichendem Mass Widerstand geleistet habe. Demgegenüber fordere die «Nein heisst Nein»-Lösung vom Opfer weiterhin einen zumutbaren Widerstand. Bundesrätin Karin Keller-Sutter argumentierte hingegen, dass das Widerspruchsprinzip klarer sei. Jemand könne auch aus Angst oder Unsicherheit Ja sagen, ohne dies tatsächlich zu wollen, wohingegen ein explizites oder stillschweigendes Nein – etwa eine ablehnende Geste oder Weinen – nicht als Zustimmung missverstanden werden könne. Über ein geäussertes Nein könne das Opfer im Strafverfahren allenfalls aussagen, über ein fehlendes Ja jedoch nicht, denn einen Negativbeweis gebe es nicht, ergänzte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS), der mit seiner Minderheit ebenfalls für «Nein heisst Nein» eintrat. Wie schon im Ständerat herrschte derweil auch im Nationalrat weitgehende Einigkeit, dass der Unterschied zwischen den beiden Varianten juristisch gesehen «verschwindend klein» sei, wie es Tamara Funiciello (sp, BE) ausdrückte, und es vor allem um Signale gehe. Während die Advokatinnen und Advokaten der Zustimmungslösung darin eine gesellschaftliche Haltung sahen, die die sexuelle Selbstbestimmung betone, erachteten die Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchslösung das Strafrecht nicht als den richtigen Ort für Symbolik – so fasste Christa Markwalder (fdp, BE) die Positionen in ihrer gespaltenen Fraktion zusammen. Als eine Art Mittelweg bewarb eine Minderheit Nidegger (svp, GE) unterdessen die im Ständerat gescheiterte Umformulierung des Widerspruchsprinzips. Diese wollte durch die explizite Nennung von verbaler und nonverbaler Ablehnung die Fälle von sogenanntem Freezing – wenn das Opfer in einen Schockzustand gerät und dadurch widerstandsunfähig ist – besser abdecken. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte indes, auch mit der Widerspruchslösung seien Freezing-Fälle abgedeckt und die Minderheit Nidegger bringe somit keinen Mehrwert. Die Minderheit Nidegger unterlag der «Nein-heisst-Nein»-Lösung wie vom Bundesrat vorgeschlagen denn auch deutlich mit 118 zu 64 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Ebenso chancenlos blieb die Minderheit Reimann (svp, SG), die statt dem vorgesehenen Kaskadenprinzip in Art. 189 und 190 StGB – einer Definition des Grundtatbestands ohne Nötigung (Abs. 1), wobei Nötigung sowie Grausamkeit als zusätzliche Erschwernisse in den Absätzen 2 und 3 aufgeführt werden – einen eigenen Tatbestand für Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung schaffen wollte, sodass das Nötigungselement in den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bliebe. Dieses Konzept war allerdings bereits in der Vernehmlassung harsch kritisiert worden. «Nur Ja heisst Ja» setzte sich schliesslich mit 99 zu 88 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen «Nein heisst Nein» durch. Zum Durchbruch verhalfen der Zustimmungslösung neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP Minderheiten aus der FDP- und der Mitte-Fraktion sowie SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE).

Neben der Modellwahl diskutierte die grosse Kammer auch die Strafrahmen ausführlich. Hier hielt sie sich mit einer Ausnahme überall an die Vorschläge ihrer Kommissionsmehrheit und lehnte zahlreiche Minderheitsanträge aus den Reihen der SVP- und der Mitte-Fraktion ab, die schärfere Strafen forderten. Härtere Sanktionen seien ursprünglich das Ziel der Strafrahmenharmonisierung gewesen, wovon auch die vorliegende Revision Teil sei, argumentierte Barbara Steinemann (svp, ZH). Solange «Belästiger mit symbolischen Strafen aus dem Gerichtssaal davonlaufen» könnten, sei auch die Zustimmungslösung nur ein «Ablenkungsmanöver», warf sie der Ratsmehrheit vor. Letztere wollte allerdings den Ermessensspielraum der Gerichte nicht einschränken. Es wurde befürchtet, dass die Gerichte sonst höhere Massstäbe an die Beweiswürdigung setzen könnten und es damit zu weniger Verurteilungen kommen könnte. Eine Mindeststrafe müsse immer «auch den denkbar leichtesten Fall abdecken», mahnte Justizministerin Keller-Sutter. Einzig bei der Vergewaltigung mit Nötigung – dem neuen Art. 190 Abs. 2, der im Grundsatz dem heutigen Vergewaltigungstatbestand entspricht – folgte der Nationalrat mit 95 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen der Minderheit Steinemann und übernahm die bereits vom Ständerat vorgenommene Verschärfung. Damit beträgt die Mindeststrafe für diesen Tatbestand neu zwei Jahre Freiheitsstrafe, Geldstrafen sowie bedingte Strafen sind demnach ausgeschlossen. Vergewaltigerinnen und Vergewaltiger müssen damit künftig zwingend ins Gefängnis. Bisher betrug die Mindeststrafe für Vergewaltigung ein Jahr Freiheitsstrafe, wobei diese auch (teil-)bedingt ausgesprochen werden konnte.

In einem zweiten Block beriet die Volkskammer noch diverse weitere Anliegen im Bereich des Sexualstrafrechts. Die Forderung einer Minderheit Funiciello, dass verurteilte Sexualstraftäterinnen und -täter obligatorisch ein Lernprogramm absolvieren müssen, wie dies bei häuslicher Gewalt oder Pädokriminalität bereits der Fall ist, wurde mit 104 zu 85 Stimmen abgelehnt. Da die Art des Delikts nicht berücksichtigt würde, handle es sich um eine «undifferenzierte Massnahme», so Kommissionssprecherin von Falkenstein. Mit 98 zu 84 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat indessen dafür aus, die Altersgrenze für die Unverjährbarkeit von Sexualverbrechen auf 16 Jahre anzuheben. Bislang lag diese bei 12 Jahren, wie es bei der Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative festgelegt worden war. Die Mehrheit argumentierte, so falle die Grenze für die Unverjährbarkeit mit dem Alter der sexuellen Mündigkeit zusammen. Den neuen Tatbestand der Rachepornografie hiess die grosse Kammer stillschweigend gut, verfrachtete ihn aber in einen anderen Artikel innerhalb des StGB. Anders als der Ständerat nahm der Nationalrat stillschweigend auch einen Tatbestand für Grooming ins Gesetz auf. In der Vernehmlassung sei dieser Vorschlag sehr positiv aufgenommen worden, erklärte die Kommissionssprecherin. Das Anliegen einer Minderheit von Falkenstein, sexuelle Belästigung nicht nur in Form von Wort, Schrift und Bild zu bestrafen, sondern auch andere sexuell konnotierte Verhaltensweisen – beispielsweise Gesten oder Pfiffe – unter Strafe zu stellen, scheiterte mit 96 zu 93 Stimmen knapp. Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnte vor einer «uferlosen Strafbarkeit», da mit der geforderten Ergänzung die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten unklar wäre. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Einzelantrag von Léonore Porchet (gp, VD), die ein Offizialdelikt für sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum einführen wollte. Die betroffene Person solle selbst entscheiden können, ob sie eine Strafverfolgung wünsche oder an ihrer Privatsphäre festhalten möchte, argumentierte Justizministerin Keller-Sutter dagegen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Entwurf mit 127 zu 58 Stimmen bei 5 Enthaltungen an. Mit der Ausnahme von Céline Amaudruz stellte sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Sie wurde von einigen Stimmen aus der Mitte-Fraktion unterstützt, aus der auch die Enthaltungen stammten. Das Ergebnis war Ausdruck der Enttäuschung des rechtsbürgerlichen Lagers über die ablehnende Haltung des Rats gegenüber Strafverschärfungen. SVP-Vertreterin Steinemann hatte schon in der Eintretensdebatte angekündigt, dass ihre Fraktion die Vorlage ablehnen werde, «sofern nicht deutlich schärfere Sanktionen resultieren».

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Im Juni 2022 nahm der Nationalrat ein Postulat der RK-NR zur Prüfung eines Familiengerichts an. In einem Bericht soll überprüft werden, ob ein Familiengericht geschaffen werden soll, welches für alle familienrechtlichen Streitigkeiten zuständig wäre. Die Arbeit der Zivilgerichte, der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden sowie der Zentralbehörden der Kantone und des Bundes soll so in einer Stelle zusammengebracht werden, was Schlichtungsversuche fördern und die familienrechtlichen Prozesse vereinfachen soll. Der Bundesrat empfahl die Annahme des Postulats; die Prüfung eines Familiengerichts lasse sich im Rahmen zweier bereits überwiesener Postulate Müller-Altermatt (mitte, SO; Po. 19.3503) und Schwander (svp, SZ; Po. 19.3478) einbringen. Gegen das Postulat sprach sich eine Minderheit Addor (svp, VS) aus. Sie unterstützte zwar grundsätzlich die Forderung nach einem Familiengericht, störte sich aber an der zentralistischen Ausrichtung des Postulats. Hinter die Minderheit stellte sich die SVP-Fraktion, was jedoch nicht zu einer Ratsmehrheit ausreichte. Das Postulat wurde mit 131 zu 51 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen.

Für ein Familiengericht (Po. 22.3380)

«Wer schlägt, geht!», forderten zwei im Nationalrat von Jacqueline de Quattro (fdp, VD; Pa.Iv. 21.410) und Léonore Porchet (gp, VD; Pa.Iv. 21.411) eingereichte parlamentarische Initiativen, wobei der Titel die Forderung der Initiativen bereits ziemlich genau umschrieb: Das Zivilgesetzbuch soll dahingehend geändert werden, dass nach einer Tat von häuslicher Gewalt nicht das Opfer, sondern die verletzende Person die gemeinsame Wohnung verlassen muss. Die RK-NR gab der Forderung im Mai 2022 mit 18 zu 6 Stimmen Folge.

«Wer schlägt, geht!» (Pa.Iv. 21.410; Pa.Iv. 21.411)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

In der Sondersession vom Mai 2022 nahm der Nationalrat als Erstrat eine Motion seiner WBK-NR an, die mittels Anpassung der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen sicherstellen will, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die ihre Angestellten wirksam vor Mobbing und sexueller Belästigung schützen. Dabei berief sich die Mehrheit der Kommission – eine aus bürgerlichen Kommissionsmitgliedern bestehende Minderheit beantragte die Ablehnung der Motion – auf die nationale Studie zu sexueller Belästigung aus dem Jahr 2008, gemäss welcher zwei Drittel der befragten Personen angaben, dass ihr Arbeitgeber trotz gesetzlicher Pflicht keine Massnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung getroffen habe. Der Bundesrat hatte die Motion zur Ablehnung empfohlen, wobei er die Ansicht vertreten hatte, dass die geltenden gesetzlichen Bestimmungen im Arbeits- und Gleichstellungsgesetz sowie im Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen ausreichten, um bei der Vergabe von Aufträgen auch den Arbeitsschutz im Bereich Mobbing und sexuelle Belästigung zu beurteilen. Der Nationalrat befürwortete die Motion mit 93 zu 86 Stimmen (3 Enthaltungen). Neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und der GLP stimmte auch eine Mehrheit der Mitte-Fraktion für die Annahme des Vorstosses. Direkt im Anschluss an die nationalrätliche Behandlung zog Léonore Porchet (gp, VD) ihre parlamentarische Initiative mit demselben Anliegen zurück (Pa.Iv. 20.486). Gleichzeitig beriet der Nationalrat eine andere Motion der WAK-NR mit ähnlichem Anliegen, die er ebenfalls an den Zweitrat überwies (Mo. 22.3019).

Schutz vor sexueller Belästigung bei öffentlichen Aufträgen (Mo. 22.3020)

Im April 2022 befasste sich die SGK-NR mit einer Standesinitiative des Kantons Jura, die im September 2020 im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie eingereicht worden war und eine Preisobergrenze für Hygienemasken und hydroalkoholisches Gel in der ausserordentlichen Lage zum Gegenstand hatte. Damit sollte verhindert werden, dass Notlagen wie bei der Covid-19-Pandemie auch zukünftig wieder durch einzelne Personen oder Unternehmen ausgenutzt werden. Die Kommission sprach sich mit 14 zu 8 Stimmen gegen Folgegeben aus. In ihrer Medienmitteilung begründete die Kommissionsmehrheit ihren Entscheid damit, dass es zu Pandemiebeginn zwar tatsächlich einen Masken- und Desinfektionsmittelmangel gegeben habe, dass diese Situation allerdings nicht von anhaltender Dauer gewesen sei. Zudem habe der Preisüberwacher im Zusammenhang mit Fällen von Wucher- und Betrugsverdacht interveniert. Gemäss der Mehrheit der SGK-NR bestehe die grösste Herausforderung in der Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung mit medizinisch wichtigen Gütern – etwas, das nicht durch eine Preisbegrenzung erreicht werden könne. Obwohl sich auch die Kommissionsminderheit um Léonore Porchet (gp, VD) nicht vollständig von einer Preisobergrenze überzeugt zeigte, war sie dennoch der Meinung, dass es einer Anpassung der Rechtsgrundlagen bedürfe, um die Wiederholung einer solchen Situation in Zukunft zu verhindern. Folglich sprach sie sich für Folgegeben aus. In der Sommersession 2022 kam das Anliegen in den Nationalrat. Nach Ausführungen Lohrs (mitte, TG) und Porchets für die Kommission resp. die Kommissionsminderheit gab der Nationalrat der Standesinitiative mit 100 zu 62 Stimmen keine Folge.

Preisobergrenze für Hygienemasken und hydroalkoholisches Gel in der ausserordentlichen Lage (St.Iv. 20.327)

In der Differenzbereinigung zum Bundesgesetz zur Bekämpfung des missbräuchlichen Konkurses beantragte die vorberatende RK-NR im Januar 2022 ihrem Rat, bei der letzten materiellen Differenz dem Ständerat zu folgen. Diese Differenz betraf die Frage, ob der Staat einen zahlungsunfähigen Schuldner bei öffentlich-rechtlichen Forderungen zwingend auf Konkurs betreiben muss, so wie es der Vorentwurf und der Ständerat vorgesehen hatten, oder ob er auch den Weg der Pfändung wählen darf, wie es der Bundesrat nach der Vernehmlassung vorgeschlagen hatte. Eine Minderheit Brenzikofer (gp, BL) wollte an letzterer Variante festhalten und eine Betreibung auf Pfändung offenhalten. Brenzikofer argumentierte im Nationalrat im März 2022, dass die Wahlfreiheit einen Kompromiss darstelle und damit Wettbewerbsverzerrungen, Fehlanreize sowie hohe Konkurskosten für die Konkursämter und Gläubiger verringert werden könnten – ein Argument, das auch die Kantone in der Vernehmlassung vorgebracht hatten. Kommissionssprecher Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) argumentierte hingegen, das Wahlrecht würde dazu führen, dass Schuldner die Rechnungen gegenüber der öffentlichen Hand mit tieferer Priorität behandelten, da die öffentliche Hand in der Tendenz immer auf die günstigere Pfändung setzen würde. Zudem sei es ungerecht, wenn der Staat dank des Wahlrechtes gegenüber Privaten privilegiert würde, wenn dieser die preislich günstigere Variante der Pfändung wählen könnte. Justizministerin Karin Keller-Sutter plädierte im Rat dafür, diese letzte Differenz auszuräumen und erklärte, dass sich der Bundesrat mit beiden Varianten anfreunden könne. Der Nationalrat stimmte daraufhin für die Variante mit einer Betreibungspflicht und folgte damit mit 94 zu 77 Stimmen bei 3 Enthaltungen seiner Kommissionsmehrheit und dem Ständerat. Für die Minderheit stimmten die geschlossenen Fraktionen der SP, der GLP, der Grünen sowie wenige Vertreterinnen und Vertreter der Mitte-Fraktion. Wenige Tage später räumte der Ständerat schliesslich stillschweigend eine letzte technische Differenz betreffend die Platzierung eines Gesetzestextes aus.

In den Schlussabstimmungen im März 2022 stimmte der Nationalrat dem Entwurf mit 141 zu 48 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu, wobei sämtliche Gegenstimmen und die beiden Enthaltungen aus der SVP-Fraktion stammten. Wie Pirmin Schwander (svp, SZ) bereits in der Herbstsession 2021 erläutert hatte, halte die SVP-Fraktion die Revision für zu wenig effizient und zu wenig zielführend, da keine solide Datenbasis zur Verfügung stehe, um die geeigneten Instrumente gegen den missbräuchlichen Kurs zu definieren. Der Ständerat stimmte dem Geschäft einstimmig zu.

Lutte contre l'usage abusif de la faillite (MCF 19.043)
Dossier: Stopp den Kettenkonkursen

In der Frühjahrssession 2022 debattierte der Nationalrat über die Vorlage seiner SPK-NR, mit der die Handlungsfähigkeit des Parlamentes in Krisensituationen verbessert werden sollte und die zahlreiche entsprechende Vorstösse aufnahm. Kommissionssprecher Gregor Rutz (svp, ZH) erinnerte an die Ursprünge ebendieser Vorstösse: Die Corona-Pandemie habe nicht nur zum abrupten Abbruch einer Session, sondern auch zur Handlungsunfähigkeit des Parlaments geführt. Die Tätigkeit der Kommissionen sei eingeschränkt, die Organisation einer ausserordentliche Session sei schwierig gewesen und das Parlament habe eine gewisse Ohnmacht gegenüber den Notverordnungen des Bundesrats verspürt. Um für zukünftige Krisen gewappnet zu sein, sei eine Subkommission mit der Ausarbeitung einer Vorlage betraut worden. Diese sei sich jedoch einig gewesen, dass die bestehenden rechtlichen Instrumente dem Parlament eigentlich auch in Krisenzeiten genügend Handlungsspielraum verschaffen würden. Allerdings seien die Strukturen teilweise träge und es fehle an Ressourcen. Hier setzte die Vorlage an, die in drei Blöcken behandelt wurde. Der erste Block zielte auf Vereinfachungen der Organisation von Sessionen und Kommissionssitzungen und insbesondere auch auf die Ermöglichung von hybriden Sitzungen ab; der zweite Block sah die Bildung einer schlagkräftigeren Verwaltungskommission anstelle der bisherigen Verwaltungsdelegation vor und im dritten Block waren Vorschläge für effizientere parlamentarische Instrumente vorgesehen. Eintreten war unbestritten.

Konkret schlug die SPK-NR im ersten Block neue Regelungen für die Einberufung von ausserordentlichen Sessionen vor. Bisher konnte ein Viertel der Mitglieder eines Rats oder der Bundesrat solche ausserplanmässigen Sitzungen einberufen. Neu soll dies auch eine parlamentarische Kommission dürfen, wenn sie dringenden Handlungsbedarf sieht. Eine ausserordentliche Session soll darüber hinaus auch verlangt werden können, wenn der Bundesrat Notverordnungen erlässt, die sich direkt auf die Verfassung stützen. In ausserordentlichen Situationen, in denen die physische Präsenz von Parlamentsmitgliedern verunmöglicht wird – gemeint waren neben Pandemien etwa auch Naturkatastrophen in bestimmten Regionen, höhere Gewalt oder behördliche Anordnungen in Form von Quarantäne –, kann die Ratsmehrheit die Möglichkeit einer virtuellen Teilnahme an den Ratsdebatten beschliessen. Explizit ausgeschlossen wurde eine virtuelle Teilnahme während des Normalbetriebs. Vorgeschlagen wurde des Weiteren, dass eine aufgrund einer Krisensituation nötige Änderung des Tagungsortes neu keinen Parlamentsbeschluss mehr benötigt, sondern von einer Koordinationskonferenz bestimmt werden kann. Ebenfalls in Block 1 wurden die Zusammenkünfte der Kommissionen in Krisenzeiten neu geregelt: In dringlichen Fällen soll neu eine ausserordentliche Kommissionssitzung mittels eines Mehrheitsbeschlusses im Zirkularverfahren beschlossen werden können. Eine virtuelle Sitzung soll dann ermöglicht werden, wenn das Kommissionspräsidium und die Kommissionsmehrheit einer solchen zustimmen. Hybride Sitzungen, also die virtuelle Teilnahme einzelner Mitglieder, sind aber nur dann vorzusehen, wenn eine Stellvertretung rechtlich nicht möglich ist.
Die Minderheitenvorschläge gegen einzelne Teile dieser Vorschläge in Block 1 wurden allesamt abgelehnt. So verlangte etwa Pirmin Schwander (svp, SZ) die ausdrückliche Nennung des Parlamentsgebäudes in Bern als normalen Tagungsort, Samira Marti (sp, BL) wollte die Anzahl zur Einberufung einer ausserordentlichen Kommissionssitzung nötiger Personen auf ein Drittel der Kommissionsmitglieder senken und verschiedene Minderheiten wollten die Möglichkeit virtueller Teilnahmen an Kommissionssitzungen entweder ganz streichen (Minderheit Addor, svp, VS) oder ausweiten (Minderheit Cottier, fdp, NE).

Auch im zweiten Block wurden sämtliche Minderheitsanträge abgelehnt. Dass eine neue, eigenständige Verwaltungskommission anstelle der bisherigen Verwaltungsdelegation geschaffen werden soll, war freilich unbestritten. Die Anträge der Minderheiten zielten vielmehr auf deren Zusammensetzung ab. Die bisherige Verwaltungsdelegation setzt sich aus den je sechs Mitgliedern der Ratspräsidien beider Räte zusammen. Neu sollten lediglich noch die beiden Ratspräsidentinnen oder -präsidenten und je vier erfahrene Mitglieder beider Kammern, welche für vier Jahre in die Verwaltungskommission gewählt werden, in der zu schaffenden Kommission Einsitz nehmen. Weil damit auch eine Entflechtung mit den Büros angestrebt wird, sollten Mitglieder des Büros, also vor allem die Fraktionspräsidentinnen und -präsidenten, nicht gleichzeitig in der Verwaltungskommission sitzen dürfen. Eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) bekämpfte diesen Passus erfolglos und eine Minderheit Moret (fdp, VD) wollte auch die Vizepräsidentinnen oder -präsidenten der beiden Räte in die Kommission aufnehmen – ebenso ohne Erfolg. Aufgabe der Verwaltungskommission soll auch die Oberaufsicht über die Parlamentsverwaltung sein, konkret also die Bestimmung der Kommissionssekretäre und des Generalsekretärs der Bundesversammlung. Ein Minderheitsantrag Pfister wollte die Wahl der Generalsekretärin oder des Generalsekretärs neu der Bundesversammlung übertragen, was von der Mehrheit aber wohl aus Angst vor einer «Verpolitisierung des Amtes», wie Kommissionssprecher Gregor Rutz (svp, ZH) warnte, ebenfalls abgelehnt wurde.

Der dritte Block zielte auf Effizienzsteigerungen bei der Nutzung parlamentarischer Instrumente ab. Damit von Kommissionen verfasste dringliche Bundesgesetze oder Notverordnungen von der Bundesversammlung rasch behandelt werden könnten, brauche es kürzere Fristen für die Stellungnahme des Bundesrats – so der Vorschlag der SPK-NR. Diese sollen in Krisenzeiten spätestens in der nächsten ordentlichen oder ausserordentlichen Session vorliegen. Neu sollen zudem zwei gleichlautende eingereichte Kommissionsmotionen den Bundesrat im Normalbetrieb dazu verpflichten, bis zur nächsten anstehenden Session eine Stellungnahme zu verfassen. Eine Minderheit Binder-Keller (mitte, AG) und der Bundesrat wehrten sich erfolglos gegen dieses Ansinnen. Da eine Stellungnahme Zeit brauche, würde deren Qualität leiden, wenn sie rasch erfolgen müsse – so die Begründung. Insbesondere im Normalbetrieb sei für eine solche Regelung kein Mehrwert ersichtlich. Darüber hinaus sollten Kommissionsmotionen, die Änderungen von bundesrätlichen Notverordnungen verlangen, innerhalb von sechs Monaten statt wie bisher bei angenommenen Motionen innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden müssen. Weil dies kürzere Fristen nach sich ziehe und damit ein Vernehmlassungsverfahren nicht immer möglich sei, müssten in Krisenzeiten Kantonsregierungen und besonders betroffene Akteure konsultiert werden. Zudem muss der Bundesrat künftig von sich aus die zuständigen parlamentarischen Kommissionen konsultieren, wenn er Notverordnungen erlassen will. Neben der Minderheit Binder-Keller lagen zwei Anträge vor, mit denen eine abstrakte Normenkontrolle für solche Notverordnungen verlangt wurden. Während die Minderheit Glättli (gp, ZH) eine juristische Beurteilung über allfällige Grundrechtsverletzungen von Notverordnungen, die durch das Parlament oder den Bundesrat beschlossen werden, verlangte, sah die Minderheit Addor lediglich eine Kontrolle der bundesrätlichen Notrechtsbeschlüsse vor. Auch in Block 3 folgten komfortable Mehrheiten allen Anträgen der Kommission und lehnten damit auch diese Minderheitsanträge ab.

In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat den Entwurf mit 183 zu 1 Stimme gut, die entsprechende Verordnung wurde mir 170 zu 1 Stimme (1 Enthaltung) und das Geschäftsreglement des Nationalrats mit 171 zu 1 Stimme (keine Enthaltungen) angenommen. Weil Letzteres lediglich der Zustimmung der grossen Kammer bedurfte, wurde es tags darauf bereits der Schlussabstimmung zugeführt, wo es mit 157 zu 28 Stimmen (5 Enthaltungen) angenommen wurde. Gegenstimmen und Enthaltungen stammten allesamt von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Kontrolle von Notrecht und Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern (Pa.Iv. 20.437, Pa.Iv 20.438))
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Mit einer parlamentarischen Initiative forderte Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG) eine Anpassung der Staatshaftungsrechte. Konkret sollte der Artikel 146 BV, laut welchem der Bund für Schäden haftet, die er widerrechtlich verursacht hat, dahingehend ergänzt werden, dass der Bund auch für rechtmässig verursachte Schäden haften und bei einer unbegründeten, schweren Einschränkung der persönlichen Freiheit oder bei Enteignungen Schadenersatz leisten muss. Der Initiant verwies in seiner Begründung auf die Covid-19-Pandemie und argumentierte, dass im Notrecht die meisten staatlichen Handlungen rechtens seien und somit keine Staatshaftung bestehe. Die vorberatende RK-NR sprach sich mit 18 zu 7 Stimmen gegen die Initiative aus. Wie Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) im Ratsplenum erklärte, war die Kommissionsmehrheit der Meinung, dass die bestehende Ausgestaltung der Staatshaftung ausreichend und angemessen sei. Bezogen auf die Covid-19-Pandemie führte Flach aus, dass Massnahmen wie Geschäftsschliessungen, die nach Reimanns Vorschlag unter die Staatshaftung fallen könnten, vom Parlament besprochen worden und somit rechtmässig und tragbar gewesen seien. Im Allgemeinen befürchtete die Kommissionsmehrheit, dass eine Ausweitung der Staatshaftung zu einer Flut von Klagen führen würde, was das Rechtssystem überfordern könnte. Im Fall von Enteignungen und Eigentumseinschränkungen bestehe bereits eine angemessene Entschädigung. Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) unterstützte die Initiative mit der Begründung, dass mit der bestehenden Gesetzgebung die Staatshaftung zu wenig breit angelegt sei und dass die Hürden für die Einforderung der Staatshaftung zu hoch seien. Der Nationalrat lehnte die parlamentarische Initiative in der Frühjahrssession 2022 mit 135 zu 50 Stimmen ohne Enthaltung ab. Über die SVP-Fraktion hinaus fand sie keine Unterstützung.

Anpassung der Staatshaftungsrechte (Pa. Iv. 20.477)

«Ce qui devait être un exercice tranquille est devenu brûlant d'actualité avec l'invasion de l'Ukraine par l'armée russe» s'est exprimé Fabien Fivaz (verts, NE), dans le cadre des discussions sur le rapport sur la politique de sécurité 2021. L'objet a été traité le 9 mars 2022 par le Conseil national et a suscité de nombreuses réactions. Après quelques interventions en début de session, où le contenu du rapport a été mis en évidence, soit pour le féliciter, soit pour le critiquer, diverses prises de parole ont donné suite à des échanges entre les députés et la conseillère fédérale Viola Amherd. On notera que les avis fondamentaux sur la politique de sécurité suisse varient énormément entre la droite et la gauche.
En effet, à droite, David Zuberbühler (udc, AR) a critiqué le manque d'ambition du Conseil fédéral. Pour lui, les capacités militaires suisses seraient trop faibles pour réussir à atteindre les objectifs fixés par la Confédération. Lors de son intervention, il a aussi évoqué la «mauvaise option» de vendre l'entreprise fournisseuse de munitions Ruag Ammotec. Pour le vert'libéral François Pointet (pvl, VD), la position soutenue par ses collègues de l'UDC ne constitue pas la solution. C'est pourquoi, au lieu d'une augmentation des effectifs de l'armée, il a mis l'accent sur d'autres éléments: les vert'libéraux prônent une «armée moderne, agile, composée de militaires bien entraînés et complètement équipés de matériel de pointe» ainsi qu'une collaboration forte avec les États voisins. Le parti a été très surpris d'apprendre que le Conseil fédéral n'est pas favorable à la création d'un état-major permanent. Cet organe militaire visant à la sécurité de la population demanderait (notamment) des connaissances techniques trop importantes. Un avis que les vert'libéraux – tout comme la PLR Jacqueline de Quattro (plr, VD) – ne partagent pas. Selon eux, cet outil pourrait être une solution adaptée pour lutter contre les états de crise futures.
La gauche, quant à elle, reconnaît la possible menace d'une attaque, mais d'après Priska Seiler Graf (ps, ZH), on ne s'attend pas à ce que des chars russes arrivent à la frontière du Rhin. Le socialiste Pierre-Alain Fridez (ps, JU) a évoqué, en raison de sa position géographique, une situation favorable pour la sécurité de la Suisse: «Paradoxalement, notre sécurité est sans doute renforcée aujourd'hui grâce au réveil de l'OTAN». De manière générale, la gauche a critiqué les dépenses demandées par la droite pour des armes qui ne déjoueraient pas les menaces cyber ou les attaques de missiles auxquelles la Suisse pourrait être sujette. Léonore Porchet (verts, VD) évoque par exemple les dépenses importantes liées aux nouveaux avions de chasse, qu'elle qualifie comme étant un «outil militaire disproportionné et inutile». Pour elle, la plus grande menace pour la Suisse reste le changement climatique et ce nouvel investissement ne permettra pas d'y faire face.
Finalement, tous les partis ont pris note du rapport. Avant les débats en plénum, la commission de la politique de sécurité du Conseil national (CPS-CN) s'était pour sa part prononcée en faveur d'une augmentation du budget de l'armée. Une minorité proposait cependant d'attendre le complément au rapport pour débattre d'une éventuelle augmentation. Ce dernier a été agendé pour fin 2022 par le Conseil fédéral.

Rapport sur la politique de sécurité de la Suisse 2021 (MCF 21.070)

Die SPK-NR reichte im Januar 2022 ein Postulat ein, mit welchem sie einen Bericht zu den Kapazitäten zur Bewältigung von klimabedingten Naturgefahren forderte. Es sei angezeigt, dass die Fähigkeiten, über die der Bevölkerungsschutz, die Armee und der Zivildienst verfügen müssten, um klimabedingte Naturgefahren wie etwa Hitzewellen oder anhaltende Trockenheit zu bewältigen, zusammengetragen und festgehalten würden. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats.
Die grosse Kammer behandelte das Postulat in der Frühjahrssession 2022 im Rahmen des Sicherheitspolitischen Berichts 2021 (BRG 21.070). Dabei betonte Léonore Porchet (gp, VD), dass auch in diesen kriegerischen Zeiten die grösste Gefahr für die Schweizer Sicherheit immer noch vom Klimawandel und seinen Auswirkungen ausgehe. Das Postulat wurde anschliessend stillschweigend angenommen.

Fähigkeiten zur Bewältigung von klimabedingten Naturgefahren (Po. 22.3007)

Im März 2022 befasste sich der Nationalrat als Erstrat mit der Umsetzung der angenommenen Motion Bischof (mitte, SO; Mo. 16.3902) zur Unterbindung von Preisbindungsklauseln von Plattformbetreibenden gegenüber Beherbergungsstätten. Die Einführung eines zusätzlichen Artikels im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) soll bewirken, dass Online-Buchungsplattformen, wie beispielsweise booking.com, künftig den Hotels nicht mehr verbieten dürfen, auf ihren eigenen Internetseiten tiefere Preise als auf der Buchungsplattform anzubieten. Sogenannte weite Preisparitätsklauseln, wonach auf gar keinem Vertriebskanal tiefere Preise angeboten werden dürfen als auf der Buchungsplattform, sind bereits verboten. Neu sollen somit auch enge Preisparitätsklauseln verboten werden. Die grosse Kammer stimmte dem Vorhaben in der Gesamtabstimmung mit 109 zu 70 Stimmen bei 13 Enthaltungen zu, nachdem sie den bundesrätlichen Entwurf mit einer von der RK-NR ins Feld geführten Bestimmung ergänzt hatte, wonach sämtliche Paritätsklauseln, also auch Verfügbarkeits- und Konditionenparitätsklauseln, untersagt werden sollen. Diese Änderung war jedoch umstritten und passierte die Abstimmung nur knapp mit 98 zu 88 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) wollte bei der bundesrätlichen Variante bleiben und nur Preisbindungsklauseln untersagen, um den Wettbewerb aufrechtzuerhalten. Keinen mehrheitlichen Anklang fand die Forderung einer linken Minderheit Hurni (sp, NE), beim Verstoss gegen das Verbot auch strafrechtliche Konsequenzen einzuführen. Mit der bundesrätlichen Variante führen Preisbindungsklauseln zur Nichtigkeit des Vertrags, haben nebst den zivilrechtlichen jedoch keine weiteren Konsequenzen. Allgemein unzufrieden mit der Vorlage zeigten sich die Fraktionen der FDP und der GLP sowie eine Mehrheit der SVP-Fraktion, die keine Preisbindungsverbote für eine einzelne Branche einführen wollten. Eine Minderheit Bellaïche (glp, ZH) hatte mit 72 zu 106 Stimmen bei 11 Enthaltungen vergebens dafür plädiert, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten. Eine Mehrheit des Nationalrats wollte hingegen die Marktmacht der Buchungsplattformen beschränken. Der abgeänderte Entwurf ging damit an die RK-SR zur Vorberatung.

Loi fédérale contre la concurrence déloyale (LCD). Modification (MCF 21.079)
Dossier: Verbot von Preisbindungsklauseln in der Hotellerie

La motion de l'élue verte Léonore Porchet (VD), qui exigeait la mise en place d'un système de taxation au kilomètre de la nourriture importée en fonction du mode de transport, a été refusée par 127 voix contre 58 et une abstention par la chambre basse lors de la session de printemps 2022. Lors du débat, l'élu UDC Jacques Nicolet (VD) est intervenu pour questionner l'utilité de celle-ci tandis que le conseiller fédéral Guy Parmelin a proposé de la rejeter en raison de la charge administrative élevée qui résulterait de sa mise en œuvre. Au final, seuls le parti socialiste (PS) et les verts ont soutenu la motion.

Taxation au kilomètre de la nourriture importée (Mo. 20.3069)

Die WAK-NR reichte im Februar 2022 eine Motion ein, mit der sie den Bundesrat beauftragen wollte, die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen so anzupassen, dass auch Prinzipien aus anderen von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bezüglich sozialer Mindestnormen wie zum Beispiel Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Schutz vor Mobbing und sexueller Belästigung und exzessive Arbeitszeiten eingehalten werden müssen.
In seiner Stellungnahme vom Mai 2022 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen und damit der Kommissionsminderheit zu folgen. Die Schweiz habe bereits internationale Übereinkommen, die sich mit den Themen Gesundheitsschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz und Schutz vor exzessiven Arbeitszeiten befassen, ratifiziert. Somit reichten die rechtlichen und gesetzlichen Grundlagen aus, um die sozialen Mindeststandards bei der Vergabe von Aufträgen zu gewährleisten.
Der Nationalrat beschäftigte sich im Rahmen der Sondersession 2022 mit dem Vorstoss und nahm diesen mit 103 zu 78 Stimmen (bei einer Enthaltung) an. Zuvor hatte Kommissionssprecher Martin Landolt (mitte, GL) die Wichtigkeit dieser Verordnungsanpassung betont, um gleiche soziale Arbeitsstandards sowohl für schweizerische als auch für ausländische Anbietende zu gewährleisten. Schweizer Unternehmen sind verpflichtet, soziale Mindestnormen einzuhalten. Da diese Normen jedoch nicht in internationalen Abkommen geregelt sind, müssen sich ausländische Unternehmen nicht an sie halten. Es bestehen somit unterschiedlichen Anforderungen an schweizerische und ausländische Unternehmen, die in der Schweiz tätig sind.
Thomas Burgherr (svp, AG) erachtete es hingegen als «fragwürdig und heikel», Prinzipien aus von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen in die Verordnung zu übernehmen. Gleichzeitig beriet der Nationalrat eine zweite Motion der WAK-NR mit ähnlichem Anliegen, die er ebenfalls an den Zweitrat überwies (Mo. 22.3020), sowie die parlamentarische Initiative Porchet (gp, VD; Pa.Iv. 20.486), die im Anschluss an die Behandlung von der Nationalrätin zurückgezogen wurde.

Lücken bezüglich sozialer Mindestnormen im öffentlichen Beschaffungswesen schliessen (Mo. 22.3019)

In den folgenden Tagen machte sich das Parlament an die Bereinigung der acht verbliebenen Differenzen zum Voranschlag 2022. Bereits in der ersten Runde bereinigte der Ständerat drei offene Fragen, obwohl die FK-SR in fast allen Punkten Festhalten empfohlen hatte. So folgte die kleine Kammer bezüglich der Krediterhöhung für die sieben verschiedenen Familienorganisationen in der Höhe von CHF 1 Mio. (auch in den Finanzplanjahren) einer Minderheit Gapany (fdp, FR) statt der Kommissionsmehrheit, welche auf die Erhöhung verzichten wollte. Mehrheitssprecher Hegglin (mitte, ZG) hatte zuvor vergeblich argumentiert, dass «Mittel in dieser Grössenordnung» – Finanzminister Maurer sprach gar von «Bagatellbeträgen» – vermehrt durch nachgelagerte öffentliche Institutionen statt durch den Bund gesprochen werden sollten. Seit 2016 sei der Kredit der Familienorganisationen gleichgeblieben, obwohl ihre Aufgaben zugenommen hätten, betonte die Minderheitensprecherin. Ein Verzicht auf die Aufstockung würde folglich eine Einschränkung der Leistung nach sich ziehen. Mit 20 zu 19 Stimmen bereinigte der Ständerat diese Differenz knapp. Keine Diskussionen gab es bezüglich der Schaffung von neuen Sollwerten beim VBS zur Senkung der Bruttomietkosten und beim SECO zur Erhöhung der Anzahl Freihandelsabkommen – beide Änderungen akzeptierte der Ständerat stillschweigend.

Der Nationalrat bereinigte im Gegenzug die Differenzen bezüglich des Bundesamtes für Energie, wobei er auf die zusätzliche Aufstockung zugunsten des Programms EnergieSchweiz verzichtete. Dabei folgte sie der FK-NR, die beantragt hatte, dem Ständerat entgegenzukommen und dessen mildere Aufstockung von CHF 5.6 Mio. gegenüber der bundesrätlichen Position zu übernehmen. Dieser Kredit stehe nicht direkt mit dem CO2-Gesetz in Verbindung, weshalb eine Aufstockung durchaus gerechtfertigt sei, argumentierte Kommissionssprecher Brélaz (gp, VD). Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) wollte zumindest in den Finanzplanjahren gänzlich auf eine Aufstockung verzichten, unterlag jedoch mit 134 zu 56 Stimmen. Die zusätzliche Erhöhung der Darlehen und Beteiligungen für die Entwicklungsländer, insbesondere des SIFEM, strich der Nationalrat überdies aus dem Budget, wie es der Ständerat zuvor vorgesehen hatte.

In der zweiten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens blieben damit nur noch die Fragen der Krediterhöhung zugunsten des Kinderschutzes, der Kürzung der Personalausgaben sowie der Verbuchung der Covid-19-Arzneimittel und -Impfleistungen, die von der Höhe der zusätzlichen Ausgaben und somit von den anderen beiden Entscheiden abhängig war. Der Ständerat pflichtete der grossen Kammer in der Folge bezüglich des Kinderschutzes bei, wohlwissentlich, dass «diese Mittel nicht verwendet werden können, solange nicht rechtliche Grundlagen dafür bestehen», wie Kommissionssprecher Hegglin betonte. Dabei verzichtete er aber auf eine Zuschreibung dieser Gelder in den Planungsgrössen an die «Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz». Stillschweigend und mit Zustimmung des Finanzministers sprach sich der Ständerat für diese Lösung aus.

In der Folge verzichtete der Nationalrat auf die Umbuchung des Arzneimittelkredits, was Kommissionssprecher Brélaz mit dem Verfahren der Budgetbereinigung begründete: Liegt am Ende der Budgetdebatte eine Differenz zwischen den Räten vor, wird jeweils der tiefere Betrag im Budget verwendet. In diesem Fall würde das aber bedeuten, dass die entsprechenden Kosten weder ordentlich noch ausserordentlich verbucht werden könnten – der Nationalrat hatte bei der ordentlichen Verbuchung den Wert 0 vorgesehen, der Ständerat bei der ausserordentlichen Verbuchung. Mit der stillschweigenden Entscheidung des Nationalrates, hier einzulenken, rechnete der Bund jedoch nur noch mit einem Überschuss von CHF 1.8 Mio. – es bliebe also nicht mehr viel Geld für ordentliche Nachträge, wie die beiden Kommissionssprechenden Brélaz und Wyss (sp, BS) erläuterten. Jedoch könne die Administration im ersten Nachtrag 2022 die Kreditreste für das Jahr 2022 abschätzen – anschliessend seien Nachträge in dieser Höhe gemäss FHG weiterhin möglich. Man habe diesen Mehraufwand für die Verwaltung insbesondere in Anbetracht des Antrags auf Querschnittskürzungen bei den Personalausgaben verhindern wollen. Diesen letzten Punkt zu den Personalausgaben konnte der Nationalrat trotz eines Minderheitsantrags Schilliger (fdp, LU) auf Einlenken nicht bereinigen – die Frage musste folglich in der Einigungskonferenz geklärt werden.

In der Einigungskonferenz war der Ständerat aufgrund der Regeln der Budgetdebatte in einer ungemein stärkeren Position – bei Ablehnung des Antrags der Einigungskonferenz würde sein (tieferer) Betrag ins Budget aufgenommen. Die FK-NR habe eine Verständigungslösung präsentiert, die jedoch kaum diskutiert worden sei, kritisierte Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) die Debatte in der Einigungskonferenz während der anschliessenden Ratsdebatte. Der Ständerat habe sich in der Einigungskonferenz folglich durchgesetzt. Mit 119 zu 69 Stimmen respektive 37 zu 0 Stimmen sprachen sich National- und Ständerat für deren Antrag zum Voranschlag 2022 aus. Trotz eines Minderheitsantrags Schneider Schüttel auf Ablehnung des Antrags der Einigungskonferenz für die Finanzplanjahre setzte sich der Vorschlag der Einigungskonferenz im Nationalrat (mit 103 zu 87 Stimmen) und im Ständerat (mit 27 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen) ebenfalls durch. Somit wurden die Personalausgaben gegenüber der bundesrätlichen Version für das Jahr 2022 sowie für die Finanzplanjahre um CHF 21 Mio. (von CHF 6.1 Mrd.) gekürzt, um den Bundesrat aufzufordern, «nach Synergien über die ganze Verwaltung zu suchen», wie FK-SR-Sprecher Hegglin die Kürzung begründete.

Voranschlag 2022 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2023-2025 (BRG 21.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2022: Voranschlag und Staatsrechnung

Einen Tag nach dem Ständerat machte sich auch der Nationalrat an die Beratung des Voranschlags der Eidgenossenschaft 2022 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2023-2025. Sarah Wyss (sp, BS) und Daniel Brélaz (gp, VD) präsentierten dem Rat das Budget aus Sicht der Mehrheit der FK-NR: Der Bundesrat habe ordentliche Ausgaben in der Höhe von 77.7 Mrd. und ausserordentliche Ausgaben von CHF 3.0 Mrd. vorgesehen. Bei ordentlichen Einnahmen von CHF 77.1 Mrd. und ausserordentlichen Einnahmen von CHF 1.5 Mrd. bleibe damit aufgrund der Schuldenbremse ein struktureller Überschuss und somit ein Handlungsspielraum von CHF 44 Mio. Die Kommissionsmehrheit plane «kleinere Adjustierungen» mit Mehrausgaben von CHF 273 Mio. Bei 12 Mehrheitsanträgen zur Schaffung von Differenzen zum Ständerat lagen der grossen Kammer in der Folge auch etwa 40 Minderheitsanträge vor, grösstenteils von der SVP- oder der SP- und der Grünen-Fraktion. Differenzen zum Erstrat schuf der Nationalrat dabei jedoch nur wenige, zeigte sich dabei aber mehrheitlich grosszügiger als der Erstrat.

In der Eintretensdebatte hoben die Fraktionssprecherinnen und -sprecher erneut die spezielle Situation aufgrund der noch immer nicht ganz überstandenen Corona-Pandemie hervor, beurteilten diese aber sehr unterschiedlich. So sprach etwa Lars Guggisberg (svp, BE) von einer «düsteren» Situation aufgrund des grossen Anstiegs der Nettoschulden, während FDP-Sprecher Alex Farinelli (fdp, TI) zwar das Defizit beklagte, aber auch den langfristigen Nutzen der entsprechenden Ausgaben hervorhob. Optimistischer zeigten sich die übrigen Kommissionssprechenden. Michel Matter (glp, GE) schätzte etwa die Situation der Schweiz als «solide» ein, Alois Gmür (mitte, SZ) zeigte sich erfreut über die insgesamt gute Situation der Schweizer Wirtschaft, verwies jedoch auch auf die noch immer stark leidenden Branchen. Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) und Felix Wettstein (gp, SO) strichen schliesslich die im Vergleich zum Ausland «gute Schuldensituation» (Schneider Schüttel) heraus. Finanzminister Maurer bat den Rat im Hinblick auf den härter werdenden «internationale[n] Konkurrenz- und Verdrängungskampf» um Zurückhaltung bei zusätzlichen Ausgaben.

Mit den mahnenden Worten des Finanzministers in den Ohren startete der Nationalrat in die Detailberatung von Block 1 zu Beziehungen zum Ausland und zur Migration. Hier schuf er zwei Differenzen zum Ständerat: So wollte die Kommissionsmehrheit den Kredit zuhanden des SECO für Darlehen und Beteiligungen an Entwicklungsländer gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag um CHF 10 Mio. erhöhen und damit die Reduktion gegenüber dem Vorjahr rückgängig machen. Der Bundesrat habe bei der Sifem, der Entwicklungsfinanzierungsgesellschaft des Bundes, bereits 2020 CHF 10 Mio. zusätzlich zur Milderung der Corona-Probleme eingeschossen – diese sollen nun kompensiert werden, erklärte Minderheitensprecher Egger (svp, SG), der den Kürzungsantrag vertrat, die Differenz zum Vorjahr. Da dieser Nachtragskredit damals aber vollständig kompensiert worden sei, erachtete die Kommissionsmehrheit diese Kürzung nicht als angebracht und setzte sich im Rat mit 107 zu 74 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) durch. Ohne Minderheitsantrag erhöhte der Nationalrat zudem auf Antrag seiner Kommission den Sollwert für die Mindestanzahl Freihandelsabkommen für die Finanzplanjahre 2024 und 2025. Der Bundesrat hatte hier für die Finanzplanjahre jeweils 34 Freihandelsabkommen vorgesehen, die Kommission erhöhte diese Zahl auf 35 (2024) respektive 36 (2025).
Im Vorfeld der Budgetdebatte hatte der Vorschlag der APK-NR, dass die Schweiz eine dritte Kohäsionsmilliarde sprechen und sich damit quasi eine Beteiligung an verschiedenen Projekten, unter anderem an Horizon, erkaufen könne, für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Auf Antrag der APK-NR beantragte die Mehrheit der FK-NR nun dem Nationalrat, eine dritte Beteiligung der Schweiz an der Erweiterung der EU 2019-2024 in der Höhe von CHF 953.1 Mio. freizugeben, diese aber von einer bis Ende Juni 2022 unterzeichneten Assoziierungsvereinbarungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zur Teilnahme an verschiedenen laufenden EU-Programmen abhängig zu machen. Eine Minderheit Guggisberg beantragte in Übereinstimmung mit dem Bundesrat die Streichung dieses zusätzlichen Kreditpostens. Finanzminister Maurer bat den Rat eindringlich darum, darauf zu verzichten, da man sich «mit einer solchen Aufstockung in Brüssel eher blamieren würde […]. Die Erwartungen in Brüssel sind völlig anderer Natur; sie bestehen nicht darin, dass wir hier einfach etwas bezahlen, und dann läuft alles.» Mit 93 zu 84 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) folgte der Nationalrat der Minderheit. Die (fast) geschlossen stimmenden Fraktionen der SVP und der FDP.Liberalen sowie die Mehrheit der Mitte-Fraktion setzten sich in dieser Frage durch.
Ansonsten lagen in diesem Block verschiedene Minderheitenanträge von linker und rechter Ratsseite für Aufstockungen und Kürzungen vor, die jedoch allesamt erfolglos blieben, etwa eine Aufstockung des Budgets des EDA für humanitäre Aktionen zugunsten des Engagements in Afghanistan und den umliegenden Ländern (Minderheit Friedl: sp, SG), eine Erhöhung des Kredits für zivile Konfliktbearbeitung und Menschenrechte (Minderheit Badertscher: gp, BE) und einen erneuten Beitrag von CHF 300'000 an den Access to Tools Accelerator (Minderheit Friedl) sowie auf der anderen Seite eine Reduktion der Beiträge an multilaterale Organisationen, an die Entwicklungszusammenarbeit und an die Länder des Ostens (Minderheiten Grin: svp, VD).

Im zweiten Block zu den Themen «Kultur, Bildung, Forschung und Sport» schuf der Nationalrat keine Differenzen zum Erstrat. Er folgte dem Ständerat bei seiner Aufstockung des Kredits für Sportverbände und andere Organisationen um CHF 660'000, mit der – wie in den Planungsgrössen vermerkt wurde – eine unabhängige nationale Anlauf- und Meldestelle für Misshandlungen im Schweizer Sport geschaffen werden sollte. Eine Minderheit Sollberger (svp, BL) unterlag mit ihrem Antrag auf Streichung der Aufstockung mit 112 zu 69 Stimmen (bei 4 Enthaltungen). Auch die vom Ständerat vorgenommenen Aufstockungen beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie hiess der Nationalrat entgegen zweier Minderheitsanträge Egger deutlich gut (129 zu 55 Stimmen bei 1 Enthaltung respektive 129 zu 56 Stimmen). Abgelehnt wurden in der Folge auch verschiedene Streichungsanträge Nicolet (svp, VD), Schilliger (fdp, LU) und Sollberger bei den Covid-19-Leistungsvereinbarungen zur Kultur, bei der Covid-19-Soforthilfe für Kulturschaffende und Kulturvereine im Laienbereich sowie bei den Covid-19-Finanzhilfen.

Verschiedene Differenzen zum Erstrat entstanden hingegen im dritten Block zur sozialen Wohlfahrt und Gesundheit. So erhöhte der Nationalrat auf Antrag der Kommissionsmehrheit die Gelder für die Familienorganisationen bei den Krediten des BSV, die Finanzhilfen unter anderem zur Elternbildung oder zur familienergänzenden Kinderbetreuung beinhalten, im Voranschlags- und den Finanzplanjahren um CHF 1 Mio. Der Bundesrat und eine Minderheit Guggisberg hatten die Ablehnung der Aufstockung beantragt, zumal für eine solche Unterstützung auch institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden müssten. Auch den Kredit für den Kinderschutz und die Kinderrechte erhöhte die grosse Kammer um CHF 390'000, um damit die privatrechtliche Stiftung «Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz» zu finanzieren, deren Schaffung eine angenommene Motion Noser (fdp, ZH; Mo. 19.3633) verlangt hatte. Der Bundesrat hatte sich gegen diese Aufstockung gestellt, zumal die rechtliche Grundlage für diesen Kredit noch nicht bestehe. «Wir können ja nicht Gelder einsetzen, wenn wir dafür keine legale Grundlage haben», betonte Finanzminister Maurer. Kommissionssprecher Brélaz argumentierte hingegen, man können nicht «tout contrôler pendant deux-trois ans», bevor man damit beginnt, die Gelder einzusetzen.
Abgelehnt wurden in diesem Block Anträge auf Kreditkürzungen bei der Gleichstellung von Frau und Mann, die eine Minderheit Sollberger beantragt hatte. Eine Plafonierung gegenüber dem Vorjahr hätte gemäss Sollberger «keinen Einfluss auf weniger oder mehr Gleichstellung». Ebenfalls erfolglos blieb ein Antrag Glarner (svp, AG) auf Streichung des Beitrags an ein spezifisches Projekt des Vereins Netzcourage sowie ein Minderheitsantrag Nicolet zur Änderung der Planungsgrössen zur Bundesfinanzierung der Covid-19-Tests: Diese sollte nur solange gewährt werden, wie die Covid-19-Zertifikatspflicht gilt. Auch ein Minderheitsantrag Schilliger, der die Leistungen des Erwerbsersatzes mit Verweis auf die vierte Revision des Covid-19-Gesetzes nur bis Ende Juni 2022 gewähren und die Covid-19-Situation anschliessend neu beurteilt wissen wollte, fand keine Mehrheit.

Auch im vierten Block zu Landwirtschaft, Tourismus und Steuern wich der Nationalrat in einem Punkt von den Entscheiden des Ständerates ab: Bei der Nachmeldung für ein Tourismus-Recovery-Programm von CHF 17 Mio. wollte die Kommission die Gelder zu je 50 Prozent für Marketingkampagnen von Schweiz Tourismus und für Entlastungszahlungen an touristische Partnerorganisationen verwenden. Der Bundesrat und der Ständerat hatten keine entsprechenden Einschränkungen vorgenommen, weshalb gemäss den beiden Kommissionssprechenden wie üblich zwei Drittel in die gesamtschweizerischen Marketingkampagnen fliessen würden. Jedoch sei eine Werbekampagne in Südafrika momentan – auch aus ökologischer Sicht – nicht «unbedingt gerade unser Hauptziel», betonte Kommissionssprecherin Wyss. Stillschweigend stimmte der Nationalrat diesem Antrag seiner Kommission zu.
Hingegen folgte der Nationalrat dem Ständerat in diesem Block bei der Erhöhung der Zulagen für die Milchwirtschaft und den Beihilfen für den Pflanzenbau. Eine Minderheit Munz (sp, SH) hatte beantragt, auf erstere Erhöhung zu verzichten und dem Bundesrat zu folgen. Der Bundesrat wolle die Verkehrsmilchzulage erhöhen, aber die Verkäsungszulage senken, da Letztere aufgrund von Fehlanreizen zu einer zu grossen Menge Käse von geringer Qualität führe. Die von der Kommission beantragte Erhöhung zugunsten der Verkäsungszulage würde folglich die bisherige Marktverzerrung noch zementieren. Finanzminister Maurer wies überdies darauf hin, dass man entsprechende Erhöhungen – falls nötig – lieber erst mit den Nachtragskrediten vorlegen würde, wenn man die dazugehörigen Zahlen kenne. Mit 105 zu 61 Stimmen (bei 20 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat jedoch für die Erhöhung aus. Die ablehnenden Stimmen stammten grösstenteils von der SP-, einer Mehrheit der GLP- und einer Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion, die Enthaltungen grösstenteils von der Grünen-Fraktion.
Auch in diesem Block blieben zwei Minderheitsanträge erfolglos: Eine Minderheit I Fischer (glp, LU) und eine Minderheit II Gysi (sp, SG) unterlagen mit Anträgen auf Erhöhungen bei der direkten Bundessteuer respektive bei der Mehrwertsteuer, beim Globalbudget der ESTV sowie in den Finanzplanjahren. Die zusätzlichen Mittel sollten zur Schaffung von je fünf zusätzlichen Steuerkontrollstellen und somit zur Erhöhung des Steuerertrags eingesetzt werden und sich so mittelfristig quasi selbst finanzieren.

Im fünften Block zu Verkehr, Umwelt, Energie und Raumplanung entschied sich der Nationalrat bezüglich zweier Punkte zum Bundesamt für Energie anders als der Ständerat. Letzterer hatte den Kredit für das Globalbudget des BFE sowie für das Programm EnergieSchweiz gegenüber dem bundesrätlichen Entwurf erhöht. Die Mehrheit der FK-NR beantragte nun bei beiden Kreditposten eine zusätzliche Erhöhung um CHF 2.9 respektive CHF 8.3 Mio., wobei die zusätzlichen Gelder beim Globalbudget zur Finanzierung des durch die Erhöhung beim Programm EnergieSchweiz begründeten Aufwands eingesetzt werden sollten. Damit wollte die Kommission gemäss ihrem Sprecher Brélaz in den wenigen Bereichen, in denen die Finanzierung entsprechender Projekte über das Bundesbudget läuft, nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes erste Massnahmen zum Klimaschutz treffen. Eine Minderheit Egger sprach sich gegen die Erhöhung aus, zumal im Energiebereich zuerst die Problematik der Stromversorgungslücke gelöst werden müsse. Finanzminister Maurer wehrte sich vor allem dagegen, nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes einzelne Punkte «quasi durch die Hintertüre einfach wieder aufs Tapet» zu bringen. Mit 115 zu 67 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) hiess der Nationalrat die Erhöhung jedoch gut, abgelehnt wurde sie von einer Mehrheit der SVP-, der Hälfte der Mitte- und einer Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion.
Erhöht gegenüber dem bundesrätlichen Antrag wurde auch der Kredit für das Globalbudget des ARE. Hier hatte der Ständerat zuvor entschieden, CHF 100'000 mehr für das Projekt Swiss Triple Impact, ein Förderprogramm zur Erreichung von nachhaltigen Entwicklungszielen, einzusetzen, und der Nationalrat folgte ihm mit 115 zu 69 Stimmen (bei 1 Enthaltung). Der Finanzminister hatte die Erhöhung bei einem Sach- und Betriebsaufwand des ARE von CHF 9 Mio. als unnötig erachtet. Auch bei der Aufstockung der Einlage des BIF folgte der Nationalrat seinem Schwesterrat: Hier soll der Maximalbetrag und somit zusätzlich CHF 233 Mio. eingestellt werden, um sicherzustellen, dass auch zukünftig genügend Geld für den Bahnverkehr vorhanden ist, betonte Kommissionssprecherin Wyss. Dies erachteten der Bundesrat und eine Minderheit Schilliger als nicht notwendig, da der Fonds genügend stark geäufnet sei. Mit 125 zu 59 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) folgte der Nationalrat jedoch der kleinen Kammer.
Abgelehnt wurden hingegen ein Kürzungsvorschlag einer Minderheit Egger bei den Umweltschutzmassnahmen des BAZL – Egger hatte argumentiert, die Erhöhung beruhe lediglich auf der Vermutung des BAZL, dass es zukünftig mehr Umweltschutzgesuche geben könne – sowie ein Einzelantrag Rüegger (svp, OW) zur Aufstockung des Kredits des BAFU um CHF 6 Mio., mit der nach der Ablehnung des revidierten Jagdgesetzes die durch Wölfe verursachten Schäden abgegolten und der zusätzliche Aufwand entschädigt werden sollten.

Im sechsten Block zum Themenbereichen Eigenaufwand und Schuldenbremse schlug eine Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Ständerat vor, verschiedene Kredite beim Bundesamt für Verkehr ausserordentlich zu verbuchen, um so die zuvor vorgenommene Erhöhung der BIF-Einlage finanzieren zu können. Anders als der Ständerat beabsichtigte die Mehrheit der FK-NR zudem, eine Nachmeldung des Bundesrates im Bereich Covid-19-Arzneimittel und -Impfleistungen in der Höhe von CHF 57 Mio. ausserordentlich zu verbuchen – da man noch zusätzliche Ausgaben beschlossen habe, könne nur so die Schuldenbremse eingehalten werden, begründete Kommissionssprecher Brélaz den Vorschlag. Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) wehrte sich gegen diese Umbuchungen, da sie gegen die Schuldenbremse und das Finanzhaushaltsgesetz verstossen würden. Diese Meinung teilte auch der Finanzminister, ihm ging das Parlament «mit [seiner] Interpretation [des FHG] hier zu weit», auch wenn die Interpretation der Gesetze keine exakte Wissenschaft sei. Der Nationalrat stimmte den Umbuchungen jedoch mit 133 zu 50 Stimmen respektive 133 zu 49 Stimmen zu.
Eine weitere Differenz schuf der Nationalrat stillschweigend bezüglich der Planungsgrössen beim VBS: Dort soll eine neue Planungsgrösse dafür sorgen, dass die Bruttomietkosten ab 2025 um 2 Prozent gesenkt und damit gemäss Kommissionssprecherin Wyss CHF 400 Mio. jährlich «freigespielt» werden sollen.
Erfolglos blieben die Minderheitsanträge Sollberger und Strupler (svp, TG), welche die Kredite für das Bundespersonal gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag um CHF 1.8 Mio. (2022, Minderheit Sollberger) respektive um CHF 10.9 Mio. (2023), CHF 117 Mio. (2024) und CHF 265 Mio. (2025, alle Minderheit Strupler) reduzieren wollten. Damit hätte auf zusätzliche Stellen für die Strategie Social Media/Digitalisierung verzichtet (Sollberger) respektive «das ungebremste Personalwachstum beim Bund» gebremst werden (Strupler) sollen. Zuvor hatte bereits der Ständerat die Ausgaben im Voranschlags- und den Finanzplanjahren um CHF 21 Mio. reduziert. Mit 131 zu 52 Stimmen respektive 133 zu 50 Stimmen lehnte der Nationalrat die beiden Anträge ab, folgte damit dem Bundesrat und schuf eine weitere Differenz zum Erstrat. Erfolglos blieb auch ein Kürzungsantrag Egger beim Ressourcenpool des Generalsekretariats UVEK.

Mit der Bereinigung des Entwurfs, bei welcher der Nationalrat seiner Kommission in fast allen Punkten gefolgt war, hatte der Nationalrat den Ausgabenüberschuss von CHF 2.08 Mrd. (Bundesrat) respektive CHF 2.32 Mrd. (Ständerat) auf CHF 2.36 Mrd. erhöht – durch die Umbuchung einzelner zusätzlicher Ausgaben auf das Amortisationskonto (ausserordentliche Ausgaben Bundesrat: CHF 3.03 Mrd., Ständerat: CHF 3.25 Mrd., Nationalrat: CHF 3.30 Mrd.) konnte die Schuldenbremse jedoch eingehalten werden. Mit 130 zu 44 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den Voranschlag 2022 an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion und von Stefania Prezioso (egsols, GE), die Enthaltungen ausschliesslich von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Letztere sprachen sich teilweise auch gegen die übrigen Bundesbeschlüsse aus, dennoch nahm der Nationalrat den Bundesbeschluss Ib über die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2022, den Bundesbeschluss III über die Entnahmen aus dem Bahninfrastrukturfonds für das Jahr 2022 und den Bundesbeschluss IV über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2022 jeweils deutlich an.

Voranschlag 2022 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2023-2025 (BRG 21.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2022: Voranschlag und Staatsrechnung

In der Herbstsession 2021 beschäftigte sich die grosse Kammer als Zweitrat mit der Weiterentwicklung von Frontex und der Revision des AIG. Seit 2016 wurde die Grenz- und Küstenwache der EU in personeller und technischer Hinsicht systematisch aufgerüstet, um die Herausforderungen im Grenz- und Rückkehrbereich besser bewältigen zu können. Da es sich dabei um eine Schengen-Weiterentwicklung handelt, muss sich auch die Schweiz daran beteiligen, wobei die Beitragszahlungen gemäss dem geltenden Kostenschlüssel von CHF 14 Mio. pro Jahr bis 2027 auf CHF 61 Mio. pro Jahr steigen werden und sich der personelle Aufwand von 24 auf maximal 39 Personen erhöht. Während die zur Diskussion stehende Änderung des Asylgesetzes in der Kommission und im Rat nicht wirklich umstritten war, entspann sich eine grössere Debatte um die Übernahme der Frontex-Verordnung.
Dabei lagen dem Nationalrat zahlreiche Minderheitsanträge aus dem links-grünen Lager vor. So bat Alois Gmür (mitte, SZ) den Nationalrat im Namen der Mehrheit der SiK-NR, einen Minderheitsantrag Seiler Graf (sp, ZH), der die Zahl der alle zwei Jahre aufgenommenen Resettlement-Flüchtlinge in Verbindung mit der Vorlage von 1'500-2'000 auf 4'000 erhöhen wollte, abzulehnen. Eine derartige Erhöhung müsse vorgängig mit den Kantonen abgestimmt werden, argumentierte Gmür. Die Kommissionsmehrheit wehrte sich gegen eine solche Verknüpfung von Sicherheits- und Asylpolitik. Auch einen zweiten Minderheitsantrag von Fabian Molina (sp, ZH) empfahl die Kommissionsmehrheit zur Ablehnung. Fabian Molina hatte vorgeschlagen, dem Strafgesetzbuch einen Artikel hinzuzufügen, durch den Personen mit Geld- oder Freiheitsstrafen sanktioniert würden, wenn sie Asylsuchende mit Gewalt oder Gewaltandrohung daran hinderten, in einem Schengen-Staat ein Asylgesuch zu stellen. Kommissionssprecher Cattaneo (fdp, TI) argumentierte, dass das Strafgesetz diesen Tatbestand bereits regle. Nationalrätin Marti (sp, BL) forderte in einem dritten Minderheitsantrag die Sistierung des Geschäfts, zumal das EU-Parlament Frontex zahlreiche Grundrechtsverletzungen und mangelnde Transparenz vorwerfe und man erst nach Umsetzung der notwendigen Anpassungen über einen finanziellen Beitrag entscheiden solle. Eine weitere Kommissionsminderheit Fivaz (gp, NE) ging noch weiter als Marti und reichte einen Antrag auf Nichteintreten auf den Bundesbeschluss zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes ein. Fivaz kritisierte, dass die EU mit der Ausweitung der Frontex-Mittel im Begriff sei, eine «regelrechte Armee» aufzubauen.
Nationalrätin Priska Seiler Graf äusserte sich im Namen der SP-Fraktion dezidiert zu dieser Vorlage und machte klar, dass die SP Vorlagen zum Ausbau der «Festung Europa» nicht mehr zustimmen werde, wenn keine humanitären Ausgleichsmassnahmen vorgesehen seien. Sie kündigte an, ihre Fraktion werde bei einer Ablehnung des Minderheitenantrags zur Aufstockung des Resettlement-Kontingents geschlossen gegen die Vorlage stimmen. Überraschend ambivalent zeigte sich die SVP-Fraktion, welche bis anhin sämtliche Schengen-Vorlagen konsequent abgelehnt hatte. Die Vorlage sei für seine Fraktion «nicht ganz einfach», gab Pirmin Schwander (svp, SZ) unumwunden zu. Einerseits gehe es um einen Volksentscheid von 2005, den es zu achten gelte, andererseits um die Neutralitätsfrage und die humanitäre Tradition der Schweiz. Man habe schon 2005 gewusst, dass mit Frontex und Schengen die eigenständige Asyl- und Ausländerpolitik der Schweiz verloren gingen. Er liess verlauten, dass man die Änderung des AIG ablehne, sich bei der Frontex-Vorlage aber nicht einig geworden sei.
Bundesrat Ueli Maurer entgegnete den Kritikern und Kritikerinnen der Vorlage, dass die EU mit der Einsetzung von 40 Grundrechtsbeobachterinnen und -beobachtern auf die mangelhafte Rechtssicherheit der Asylbewerbenden reagiert und damit die Anliegen der Ratslinken weitgehend erfüllt habe. Der Ausbau diene auch der Einhaltung der Grundrechte und der Transparenz und nur durch eine Teilnahme an Frontex könne die Schweiz zur Qualitätssicherung und -verbesserung beitragen, weshalb auch eine Sistierung nichts bringe. Den Minderheitsantrag Seiler Graf lehne der Bundesrat ab, da es beim vorliegenden Geschäft um Schengen und Sicherheit und nicht um Dublin und Asylpolitik gehe – man solle nicht verschiedene Vorlagen vermischen. Er argumentierte, eine Ablehnung des Minderheitsantrags sei damit auch kein Nein zur Asylpolitik, denn zum Resettlement gäbe es eine allgemeine Zustimmung.
Schliesslich lehnte der Nationalrat den Sistierungsantrag Marti mit 116 zu 64 Stimmen ab und beschloss mit 155 zu 35 Stimmen, auf das Geschäft einzutreten, womit auch Fabien Fivaz mit seinem Minderheitsantrag scheiterte. Die Anpassung des Asylgesetzes, mit der die Art und Weise der Kooperation mit Frontex in einer eigenen AIG-Bestimmung festgelegt werden soll, wurde mit 136 zu 56 Stimmen gegen den Widerstand der SVP angenommen. Bei der Abstimmung über den Minderheitsantrag Seiler Graf zur Erhöhung des Resettlement-Kontingents setzten sich die Fraktionen der SVP, FDP und Mitte mit 106 Nein-Stimmen gegenüber 86-Ja Stimmen durch. Auch der Minderheitsantrag Molina blieb chancenlos und wurde mit 124 zu 68 Stimmen versenkt. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Frontex-Vorlage mit 108 zu 75 Stimmen (bei 10 Enthaltungen) an. Die Gegenstimmen stammten hauptsächlich von der SP- und der Grünen-Fraktion, die Enthaltungen ausschliesslich von der SVP-Fraktion.
In der Schlussabstimmung nahm der Nationalrat die Änderung des Asylgesetzes mit 129 zu 55 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und der Ständerat einstimmig an. Bei der Annahme der Frontex-Vorlage wurde es im Nationalrat mit 88 zu 80 Stimmen (bei 28 Enthaltungen) unerwartet knapp. Grund dafür waren die vielen Enthaltungen der SVP-Fraktion. Im Ständerat fiel das Resultat mit 30 Ja- zu 14 Nein-Stimmen deutlicher aus.

Übernahme und Umsetzung der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex; BRG 20.064)
Dossier: Beteiligung der Schweiz am Ausbau von Frontex

In der Herbstsession hiessen sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat gleichlautende Motionen der RK-SR (Mo. 21.3970) und der RK-NR (Mo. 21.3972) für eine Reform der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsicht gut. Damit soll der Bundesrat, der das Anliegen ebenfalls unterstützte, auf der Basis des Schlussberichts der beiden GPK zum «Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsichtsbehörde», den Erfahrungen der GK im Rahmen der Vorkommnisse in der Bundesanwaltschaft sowie den bereits getätigten Arbeiten im Rahmen des Postulats von Daniel Jositsch (sp, ZH) neue Rechtsgrundlagen vorlegen.
Im Ständerat legte Andrea Caroni (fdp, AR) für die Kommission dar, dass man hier Handlungsbedarf sehe. Man sei übereingekommen, hier keine parlamentarische Initiative, sondern eine Motion einzureichen, weil «dieses hochkomplexe Thema unsere Kommission beim Gesetzgebungsprozess an die Grenzen bringen würde». Fast einig seien sich die Kommissionsmitglieder zudem gewesen, dass man beim bestehenden System bleiben wolle – die GPK hatte in ihrem Bericht vom «Status Quo plus» geschrieben. Die Bundesanwaltschaft solle also weiterhin vom Parlament und nicht wieder von der Exekutive bestimmt werden. Auch das Bundesstrafgericht als weitere Bundesstrafbehörde solle nicht in die Reform mit einbezogen werden. Eine von Carlo Sommaruga (sp, GE) diesbezüglich angeregte klarere Trennung von Berufungs- und Strafkammer werde deshalb hier nicht weiterverfolgt. Die entsprechende parlamentarische Initiative sei zugunsten der vorliegenden Motion zurückgezogen worden. Hans Stöckli (sp, BE) bekräftigte im Namen der GPK, dass die Stossrichtung der Motion den Überlegungen des GPK-Berichts entspreche. Er sei froh, dass beide Vorstösse in den Kammern behandelt würden, damit man «innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens eine Verbesserung der Situation herbei[...]führen» könne. Ohne Diskussion nahm die kleine Kammer die Motion einstimmig an.

Mehr zu reden gab es einige Tage später im Nationalrat. Dafür sorgte nicht zuletzt eine Kommissionsminderheit aus SVP-Fraktionsangehörigen, die die Motion zur Ablehnung empfahl. Pirmin Schwander (svp, SZ) führte deren Argumente für eine «Status Quo ante»-Lösung aus: Die SVP wolle eine «richtige» Reform und keine «Minireform», welche die Probleme nicht löse, sondern nur vertusche. Der «grösste Justizskandal seit 1848» – Schwander spielte damit auf die Verjährung des Fifa-Falls an und erwähnte im gleichen Atemzug die Absetzung des ausserordentlichen Staatsanwalts Stefan Keller sowie die Vorkommnisse am Bundesstrafgericht – könne mit dem jetzigen System nicht gelöst werden. Die SVP sei aber durchaus auch offen für andere Reformen als die Rückkehr zum alten System – entsprechende Vorschläge hatte die Partei bereits in der abgelehnten parlamentarischen Initiative 19.479 vorgebracht. Sie biete aber nicht Hand für eine «Scheinlösung», so Schwander. Justizministerin Karin Keller-Sutter schloss die Debatte mit dem Hinweis, dass die Kantone signalisiert hätten, dass sie zwar Korrekturbedarf sähen, aber am bestehenden System festhalten wollten. Ausser der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion stimmten alle Fraktionen für die Überweisung des Auftrags an den Bundesrat. Durch die Annahme der Motion (mit 128 zu 45 Stimmen) galt auch die konnexe Motion der ständerätlichen Kommission als überwiesen.

Reform der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsicht (Mo. 21.3972 und Mo. 21.3970)
Dossier: Reformen der Bundesanwaltschaft
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Der Nationalrat behandelte in der Sommersession 2021 die Revision des sechsten Kapitels des IPRG zum internationalen Erbrecht als Erstrat. Abgesehen von der SVP-Fraktion, die keinen Handlungsbedarf sah und daher für Nichteintreten votierte, wurde der Entwurf in der grossen Kammer einhellig begrüsst. Minderheitssprecher Pirmin Schwander (svp, SZ) monierte, dass die Vorlage unter Umständen sogar «zum Nachteil von Erblassern aus der Schweiz einfach die Regeln der Europäischen Erbrechtsverordnung übernehm[e]», konnte damit aber ausserhalb seiner Fraktion nicht überzeugen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter entgegnete, man habe «nicht einfach das EU-Recht abgeschrieben», sondern «nur diejenigen Regelungen übernommen, die aus einer zeitgemässen schweizerischen Optik gut vertretbar erscheinen». Aus allen anderen Fraktionen wurde betont, wie wichtig und sinnvoll die Revision sei, die es zum Ziel habe, Zuständigkeitsprobleme zwischen schweizerischen und ausländischen Behörden in internationalen Erbrechtsfällen zu verhindern. Nachdem der Nationalrat einer einzigen technischen Änderung am Gesetzestext stillschweigend zugestimmt hatte, nahm er den Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 137 zu 51 Stimmen an, wobei sich wiederum die SVP-Fraktion geschlossen dagegen stellte.

Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht. 6. Kapitel: Erbrecht (BRG 20.034)

Aufgrund des von den «Freunden der Verfassung» ergriffenen Referendums stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni 2021 über das Covid-19-Gesetz ab. Dieses enthielt einerseits die Regelungen zu den Unterstützungsmassnahmen für die Unternehmen und die Bevölkerung (u.a. Härtefallhilfen, Covid-Erwerbsersatz, Kurzarbeitsentschädigung), andererseits Ermächtigungen für den Bundesrat, zeitlich begrenzt von bestehenden Gesetzen abzuweichen. Während der erste Teil auch bei den Gegnerinnen und Gegnern unumstritten war, kritisierten sie den zweiten Teil stark. Dieser Teil enthielt beispielsweise Regelungen zur Einschränkungen von Behandlungen in den Spitälern, zur Abweichungen von gesetzlichen Fristen, zur elektronischen Durchführungen von Generalversammlungen von Unternehmen oder zu Einschränkungen im Asylbereich. Das Covid-19-Gesetz war nun insofern speziell, als Gesetze üblicherweise erst nach Ablauf der Referendumsfrist in Kraft treten. Da das Gesetz jedoch von einer Mehrheit der Mitglieder beider Kammern dringlich erklärt worden war, war es gleich nach Annahme im Parlament im September 2020 in Kraft getreten – was die Abstimmung darüber gemäss Tages-Anzeiger zu einer «demokratiepolitische[n] Kuriosität» machte. Zusätzlich speziell war, dass das Covid-19-Gesetz zum Zeitpunkt der Abstimmung vom Parlament bereits zweimal revidiert worden war – einmal in der Wintersession 2020 und einmal in der Frühjahrssession 2021. Da das Gesetz mit den Corona-bedingten Veränderungen Schritt halten müsse, seien verschiedene Teile des Gesetzes zum Zeitpunkt der Abstimmung gar nicht mehr in Kraft, betonte der Tages-Anzeiger. Zudem würde das Gesetz bei einer allfälligen Ablehnung an der Urne nicht per sofort ausser Kraft treten, sondern ein Jahr nach seiner Inkraftsetzung, also am 25. September 2021. Die meisten Regelungen des Gesetzes sind auf Ende 2021 befristet, lediglich einzelne dieser Regelungen würden bis Ende 2023 (etwa Regelungen zur Kurzarbeit) oder gar bis Ende 2031 (Regelungen zu den Covid-Krediten) gültig bleiben.

Der Abstimmungskampf zum Referendum gegen das Covid-19-Gesetz war nun geprägt von der Frage, worüber am 13. Juni 2021 genau abgestimmt wird. So betonten die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes im Abstimmungsbüchlein, dass mit dem Referendum sichergestellt werden solle, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger «die höchste Instanz im Land» bleiben. Mit der Ablehnung des Covid-19-Gesetzes solle man zeigen, «dass Krisenmanagement gegen das Volk in der Schweiz nicht geht». So befürchteten sie, dass der Bundesrat das Notrecht durch das Gesetz unnötig verlängern würde und man durch eine Annahme des Gesetzes die bisherige bundesrätliche Corona-Politik legitimiere. Andreas Glarner (svp, AG) etwa argumentierte, dass man dem Bundesrat damit einen Blankocheck für weitere Einschränkungen gebe und sprach sich damit gegen das Gesetz aus – die SVP selbst entschied sich in der Folge für Stimmfreigabe. Gegen diese Argumentationen wehrten sich die Befürworterinnen und Befürworter des Gesetzes, da sie in ihren Augen am Covid-19-Gesetz vorbeizielten. So würden die Gegnerinnen und Gegner insbesondere die Corona-Massnahmen des Bundesrates kritisieren, etwa die Schliessung der Restaurants oder Läden, die jedoch nicht im Covid-19-Gesetz geregelt seien, sondern im 2013 von der Stimmbürgerschaft angenommenen Epidemiengesetz. Diese Bestimmungen würden somit durch eine Ablehnung des Gesetzes auch nicht aufgehoben. Der Kampf gegen das Gesetz stelle gemäss den Befürwortenden folglich bloss eine Art «Stellvertreterkrieg» dar, in dem sich die Gegnerinnen und Gegner ein Misstrauensvotum gegen die bundesrätliche Covid-Politik oder einen Denkzettel an den Bundesrat wünschten.
Die Gegnerschaft kritisierte aber durchaus auch verschiedene Aspekte des Gesetzes selbst: So fürchteten sie eine Diskriminierung oder gar einen Verlust der Grundrechte von ungeimpften Personen aufgrund des Covid-19-Zertifikats, da mit diesem eine Zweiklassengesellschaft, ja gar eine «neue Form der Apartheid», geschaffen werde. Zudem diene das Contact Tracing über die SwissCovidApp zur Massenüberwachung, wie die beiden Co-Präsidenten der «Freunde der Verfassung», Marion Russek und Werner Boxler, in der Weltwoche betonten. Das anfängliche Argument, wonach es aufgrund des Gesetzes zu einer verkürzten Prüfung von Impfstoffen kommen könnte, liess das Komitee nach einer Weile fallen – der Bundesrat hatte erklärt, dass es in der betreffenden Regelung einzig um Arzneimittel, nicht aber um Impfstoffe gehe.
Neben einzelnen Bestimmungen kritisierte die Gegnerschaft aber auch die Verbindung der Unterstützungsmassnahmen mit den zusätzlichen Ermächtigungen für den Bundesrat, da man den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern damit die Möglichkeit nehme, Ersteren zuzustimmen und Letztere abzulehnen. Gleichzeitig betonten sie, dass eine Ablehnung des Covid-19-Gesetzes an der Urne nicht das Ende der Unterstützungsmassnahmen bedeute – was das Hauptargument der Befürworterinnen und Befürworter darstellte. So könne das Parlament die Unterstützungsmassnahmen durch die Annahme einer Motion von Pirmin Schwander (svp, SZ; Mo. 21.3402) innert kürzester Frist in ein eigenes Gesetz giessen. Diese Argumentation teilten die Befürwortenden nicht, vielmehr warnten sie vor drastischen Folgen durch die Ablehnung des Gesetzes: Das vorzeitige Ende der Unterstützungsmassnahmen der Wirtschaft führe nämlich zu einem starken Anstieg der Konkurse, der Arbeitslosigkeit und der Sozialhilfequote. Zwar könne das Parlament allenfalls ein neues Gesetz beschliessen, dabei müsse es sich aber um ein ordentliches Gesetz handeln – ein weiteres dringliches Gesetz sei nicht möglich –, erklärte der Bundesrat. Ein solches könne aber unter anderem aufgrund der Referendumsfrist nicht vor dem 25. September 2021 in Kraft gesetzt werden. Somit käme es bei einer Ablehnung des Covid-19-Gesetzes zu einem Unterbruch der Unterstützungsmassnahmen. Auch der Bundesrat betonte zur Lancierung seines Abstimmungskampfes an einer Pressekonferenz, bei der unter anderem Gesundheitsminister Berset und Bundespräsident Parmelin sowie KdK-Präsident Rathgeb (GR, fdp) anwesend waren, dass das Covid-19-Gesetz die einzige rechtliche Grundlage zur Unterstützung der Betroffenen sei und dessen Ablehnung grosse Unsicherheiten bei Unternehmen und Arbeitnehmenden auslösen würde. Christian Rathgeb verwies auf die zentrale Bedeutung des Gesetzes für die Kantone und mahnte vor einem Bauchentscheid: «Die Menschen brauchen jetzt nicht einen Denkzettel, sondern konkrete finanzielle Unterstützung.»
Die Befürworterinnen und Befürworter wehrten sich auch gegen den Diktatur-Vorwurf der Gegnerschaft an den Bundesrat. So werde das Notrechtregime durch das Covid-19-Gesetz nicht verlängert, sondern wie von der Verfassung verlangt in ordentliches Recht überführt – das entsprechend auch vom Parlament verabschiedet worden sei. «Alles läuft, wie es die Verfassung vorsieht – auch wenn die «Freunde der Verfassung» das nicht wahrhaben wollen», betonte etwa die NZZ. «Wenn dies die Basis für eine Diktatur sein soll, wird es eine ebenso lächerliche wie grosszügige Diktatur sein – eine Diktatur, in der es für fast jeden Zweck Milliardenhilfen gibt und für jeden LKW-Fahrer eine Toilette», verteidigte dieselbe Zeitung das Gesetz mit Verweis auf eine spezifische Regelung im Covid-19-Gesetz zum Toilettenzugang von LKW-Fahrerinnen und -Fahrern.

Zu breiteren medialen Diskussionen im Abstimmungskampf führte auch das Abstimmungsbüchlein: Die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes kritisierten, dass hier das ursprüngliche Covid-19-Gesetz aufgeführt worden war, obwohl dieses in der Zwischenzeit bereits mehrfach revidiert worden war. Dies sei aber insofern korrekt, als das Referendum zum ursprünglichen Gesetz gefasst worden sei – auch wenn die Ablehnung des Gesetzes auch die Revisionen ausser Kraft setzen würde, war der mediale Konsens in dieser Frage. Ansonsten stand das Referendum zum Covid-19-Gesetz deutlich im Schatten der gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zum CO2-Gesetz, zur Trinkwasser- und zur Pestizidinitiative sowie zum kaum beworbenen Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Die Studie des fög zählte etwa eine vergleichsweise geringe Anzahl Zeitungsartikel zum Covid-19-Gesetz, deren Tonalität leicht positiv war. Auch in den Inseratespalten schnitt das Covid-19-Gesetz unterdurchschnittlich ab, wie die Studie von Année Politique Suisse zeigte. Die Vorumfragen der SRG (67% Ja respektive 64% Ja) und von Tamedia (66%, 67%, 69%) liessen schliesslich kaum Zweifel an einer Annahme des Gesetzes aufkommen.

In der Zwischenzeit hatten die EDU, die «Freunde der Verfassung», das Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die Gruppe «Mass-voll» die Nein-Parole ausgegeben. Die SVP hatte unter grossem medialen Interesse bereits im März 2021 entschieden, Stimmfreigabe zu erteilen, da sie «die negativen Folgen einer Ablehnung [als] grösser [erachtete] als die einer Zustimmung». Verschiedene Kantonalsektionen wichen jedoch von dieser Parole ab, so sprachen sich die Sektionen der Kantone Bern, Luzern, Waadt und Wallis für eine Annahme und die Sektionen der Kantone Appenzell-Innerrhoden, Basel-Landschaft, Schwyz und Zürich sowie die Junge SVP für eine Ablehnung aus. Ansonsten traf das Covid-19-Gesetz weitgehend auf Unterstützung, etwa durch sämtliche anderen grösseren Parteien (EVP, FDP, GLP, GPS, Mitte, SP) und zahlreiche grösseren Verbände wie Economiesuisse, SGB und Travailsuisse, aber auch durch den SGV oder GastroSuisse.

Am Abstimmungssonntag sollte sich das Bild aus den Vorumfragen bestätigen: Mit 60.2 Prozent bei einer Stimmbeteiligung von 59.7 Prozent sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für das Covid-19-Gesetz aus. Zwar war kein Ständemehr nötig, dennoch verdeutlichte die Ablehnung der Vorlage in den Kantonen Uri (45.1%), Schwyz (40.9%), Nidwalden (48.6%), Obwalden (43.3%), Glarus (49.1%), Appenzell Ausserrhoden (47.0%), Appenzell Innerrhoden (39.2%) und Thurgau (49.9%) die Unterschiede zwischen den Regionen: So lag die Zustimmung in der Romandie mit 65.5 Prozent und in der italienischsprachigen Schweiz mit 68.8 Prozent beispielsweise deutlich höher als in der Deutschschweiz (58.3 Prozent).
Die Medien waren sich nicht sicher, wie dieses Resultat zu interpretieren war. Einerseits wurde von einem «Achtungserfolg der Gegner» (AZ) gesprochen – insbesondere da diese nicht von einer grossen Partei unterstützt worden seien (TdG) –, andererseits sei die Abstimmung zuvor als «Plebiszit über die generelle Corona-Politik des Bundesrates» angepriesen worden, weshalb das Resultat nun als Bestätigung ebendieser durch die Stimmbürgerschaft verstanden werden könne (NZZ). Einig war man sich jedoch mehrheitlich, dass dies nicht als Blankocheck für den Bundesrat verstanden werden dürfe – zugleich forderte unter anderem die SVP weitere Lockerungen der Corona-Massnahmen.


Abstimmung vom 13. Juni 2021

Beteiligung: 59.7%
Ja: 1'936'344 Stimmen (60.2%)
Nein: 1'280'128 Stimmen (39.8%)

Parolen:
- Ja: EVP, FDP, GLP, GPS, KVP, Mitte, PdA, SPS; Economiesuisse, Gemeindeverband, KdK, SAV, SGB, SGV, SSV, TravailSuisse, VPOD, GastroSuisse
- Nein: EDU; «Freunde der Verfassung», Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik», «Mass-voll»
- Stimmfreigabe: SD, SVP*
* verschiedene abweichende Kantonalsektionen: Ja: SVP BE, SVP LU, SVP NE, SVP VD, SVP VS; Nein: SVP AI, SVP BL, SVP SZ, SVP ZH, JSVP CH


Die Nachabstimmungsbefragung von gfs.bern zeigte einige Wochen später, dass die Vorlage von Personen unter 40 Jahren, von Sympathisantinnen und Sympathisanten der SVP sowie von Personen mit geringem bis mittlerem Vertrauen in den Bundesrat mehrheitlich abgelehnt worden war. Als Hauptgrund für ihre Ablehnung nannten die Befragten das Missbrauchspotenzial des Gesetzes (15% der Antworten), während die Befürwortenden vor allem auf die Notwendigkeit einer Gesetzesgrundlage (16%) sowie der finanziellen Unterstützung (12%) verwiesen.

Noch am Abstimmungssonntag kündigten die Junge SVP und die «Freunde der Verfassung» überdies bereits ein Referendum zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes und damit hauptsächlich zum Covid-19-Zertifikat an. Die zweite Revision war Mitte März 2021 vom Parlament verabschiedet worden, weshalb die Referendumsfrist nur noch drei Wochen andauerte. Die beiden Komitees zeigten sich überzeugt, dass man die nötigen 50'000 Unterschriften innert dieser kurzen Frist zusammenbekommen werde.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Bei einer hohen Stimmbeteiligung von 59.6 Prozent hiess eine solide Mehrheit von 56.6 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) in der Referendumsabstimmung vom 13. Juni 2021 gut. Einzig der Kanton Basel-Stadt sprach sich mit einem Ja-Anteil von 45.1 Prozent mehrheitlich gegen das Gesetz aus. Hohe Zustimmung erfuhr die Vorlage derweil in der Romandie, insbesondere im Wallis (65.0%), in Freiburg (63.6%), in Neuenburg (62.0%) und im Jura (61.0%). In den Medien wurde gemutmasst, dass die Westschweiz aufgrund der Nähe zum von Terroranschlägen stark betroffenen Frankreich das Gesetz eher für notwendig gehalten habe, während in der freiheitsliebenden Deutschschweiz die staatlichen Grundrechtseingriffe kritischer beurteilt worden seien.
Die schweizweite Zustimmung blieb damit etwas hinter den von den vorhergehenden Umfragen geschürten Erwartungen zurück. Wie die Presse berichtete, habe es das Nein-Lager kurz vor dem Abstimmungstermin doch noch geschafft, seinen Bedenken bezüglich der Rechtsstaatlichkeit der Massnahmen verstärkt Gehör zu verschaffen. So zeigte sich die Waadtländer Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet gegenüber «Le Temps» erfreut, dass man der zuständigen Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Vorfeld der Abstimmung einige Klarstellungen zu umstrittenen Punkten im Gesetz abringen konnte, etwa die Bekräftigung, dass Aktivistinnen und Aktivisten sozialer Bewegungen nicht vom Gesetz betroffen sein werden. Nichtsdestotrotz kündigten die Grünen bereits am Abstimmungssonntag an, eine parlamentarische Initiative einreichen zu wollen, mit dem Ziel, die umstrittene, in ihren Augen zu unklar gefasste Terrorismusdefinition zu konkretisieren. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International betonten, nun die konkrete Anwendung des Gesetzes genau im Auge zu behalten und Menschenrechtsverletzungen gegebenenfalls anzuprangern. Die NZZ wertete das Ergebnis denn auch als «grossen Vertrauensbeweis gegenüber der Polizei»; immerhin habe die Bevölkerung ein Gesetz angenommen, das der Polizei in zentralen Punkten einen grossen Spielraum lasse. «Die Bürgerinnen und Bürger gehen offenkundig davon aus, dass von den Befugnissen menschenrechtskonform und verhältnismässig Gebrauch gemacht wird – und die Gerichte nötigenfalls korrigierend eingreifen», kommentierte die Zeitung. Die Befürwortendenseite zeigte sich indessen zufrieden mit dem Resultat. Die Schweiz könne damit eine Lücke in ihrer Terrorismusabwehr schliessen, erklärte Justizministerin Keller-Sutter gegenüber den Medien.
Noch nicht geschlagen geben wollte sich aus dem unterlegenen Lager die Piratenpartei. Sie hoffte, berichteten «L'Express» und «Le Nouvelliste», dass die Abstimmung wiederholt werden würde. So seien beim Bundesgericht rund 600 Beschwerden gegen die Abstimmung eingereicht worden, die monierten, das Bundesbüchlein sei nicht objektiv gewesen, habe keine klare Meinungsbildung ermöglicht, irreführende Informationen enthalten und wichtige rechtliche Konsequenzen des Gesetzes verschwiegen.


Abstimmung vom 13. Juni 2021

Beteiligung: 59.6%
Ja: 1'811'795 (56.6%)
Nein: 1'390'383 (43.4%)

Parolen:
– Ja: EVP, FDP (1*), KVP, Libertäre Partei, Mitte (Junge Mitte: 1*), Piratenpartei, SVP (2*; JSVP: 2*), BastA!, CSP OW, PCSI JU
– Nein: GLP, GP, PdA, SD, SP, Jungfreisinnige; VPOD, Amnesty International, Chaos Computer Club, Demokratische JuristInnen Schweiz (DJS), Digitale Gesellschaft, Ensemble à Gauche, GSoA, Greenpeace, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV), Schweizerischer Friedensrat, Solidarité sans frontières, Verein «Freunde der Verfassung»
– Stimmfreigabe: EDU; SSV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Einigkeit bestand bei der Behandlung der AHV 21-Reform durch den Nationalrat eigentlich nur in der Feststellung, dass dies ein sehr zentrales Projekt sei – «l'un des objets majeurs de la législature», nannte es beispielsweise Kommissionssprecher Nantermod (fdp, VS). Ansonsten unterschieden sich die Positionen der links-grünen und der bürgerlichen Ratsseite ziemlich stark. Bewusst waren sich die Befürwortenden sowie die Gegnerinnen und Gegner des vorliegenden Entwurfs aber auch, dass die Revision dieses Mal auch vor dem Stimmvolk unbedingt bestehen müsse, zumal die letzte erfolgreiche AHV-Revision fast 30 Jahre zurück lag. Darüber, ob und wie das aktuelle Projekt vor den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern mehrheitsfähig wird, schieden sich jedoch die Geister. Umstritten waren nicht nur die Frage der Rentenaltererhöhung der Frauen – die der Ständerat zuvor deutlich angenommen hatte –, sondern auch die Höhe der Ausgleichsmassnahmen für die älteren Frauenjahrgänge sowie die Zusatzfinanzierung für die AHV. Kommissionssprecher Nantermod wehrte sich gegen die Formulierung, wonach die AHV 21-Reform eine Abbauvorlage sei. So würde die Erhöhung des Frauenrentenalters, welche die Ausgaben der AHV um CHF 1.2 Mrd. verringert, durch zusätzliche Leistungen in der Höhe von CHF 812 Mio. gemildert. Somit würden die Leistungskürzungen insgesamt nur etwa CHF 400 Mio. einbringen. Dabei zählte Nantermod jedoch nicht nur die Ausgleichszahlungen für die Übergangsgenerationen zu den zusätzlichen Leistungen, sondern auch die Flexibilisierung des Rentenalters und die Änderung des Selbstbehalts, die Frauen und Männern zugute kommt. Hingegen würde die Finanzierung um CHF 1.58 Mrd. erhöht (CHF 1.36 Mrd. aus der Mehrwertsteuer und CHF 222 Mio. aus den zusätzlichen Beiträgen). Somit bestehe die Reform zu 80 Prozent aus Mehreinnahmen und zu 20 Prozent aus Leistungskürzungen und sei folglich sozial ausgestaltet. Gleichzeitig sei man sich bewusst, dass der Entwurf die Problematik der AHV-Finanzierung nicht vollständig lösen könne, voraussichtlich käme der Deckungsgrad des AHV-Fonds damit im Jahr 2030 bei 88 Prozent zu liegen. Folglich habe man die Motion 21.3462 eingereicht, gemäss welcher der Bundesrat bis Ende 2026 eine neue AHV-Reform für die Jahre 2030 bis 2040 vorlegen soll.

Ihre Kritikpunkte an dieser Vorlage fassten die Frauen der links-grünen Ratsseite in verschiedene Rückweisungsanträge an den Bundesrat oder an die SGK-NR. Eine Minderheit Porchet (gp, VD) erachtete den Leistungsabbau als unnötig und schlug stattdessen vor, die Finanzierungsprobleme der AHV durch Zuweisung der SNB-Gewinne an die AHV zu lösen. Statt an Bund und Kantone, die bereits stark von den Negativzinsen profitierten, solle das Geld der SNB aus den zusätzlichen Ausschüttungen der AHV und somit den Verliererinnen und Verlierern der Negativzinsen zugutekommen. Eine alternative Finanzierungsmöglichkeit für die AHV sah auch eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) vor, die das AHV-Defizit über eine Erhöhung des Bundesbeitrags decken wollte. Das AHV-Gesetz erlaube es, den Bundesbeitrag auf 50 Prozent der jährlichen Ausgaben zu erhöhen, folglich solle dieser stärker als nur auf die vom Bundesrat vorgesehenen 20.2 Prozent angehoben werden. Ebenfalls als alternative Finanzierungsquelle stellte Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) ihren Minderheitsantrag dar, mit dem sie die Erfüllung des Gleichstellungsartikels, des Gleichstellungsgesetzes und des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) sowie eine Koppelung der AHV 21-Vorlage an «gleiche[n] Lohn bei gleichwertiger Arbeit» forderte. So führten die noch immer bestehenden Lohnunterschiede von 18.3 Prozent – 7.7 Prozent davon unerklärt – zwischen den Geschlechtern zu tieferen Lohnbeiträgen für die Frauen. Mit fairen Löhnen für die Frauen würden die AHV-Beiträge gemäss Travailsuisse um CHF 825 Mio. pro Jahr steigen. Statt an die Lohngleichheit wollte eine Minderheit um Mattea Meyer (sp, ZH) den Entwurf an die aktuelle Revision des BVG (BVG 21) koppeln. So liege das Hauptproblem in den Rentenunterschieden zwischen Frauen und Männern nicht bei der AHV, sondern bei den Pensionskassen. Die mittlere Pensionskassenrente für Frauen betrage beispielsweise CHF 1160 und diejenige der Männer CHF 2144; fast ein Drittel der Neurentnerinnen habe überdies gar keine Pensionskassenrente. Folglich müsse das BVG 21 zuerst revidiert werden, bevor die AHV 21 angegangen werden könne. Eine zweite Minderheit Prelicz-Huber verlangte schliesslich, dass die AHV so auszugestalten sei, dass sie den Verfassungsauftrag, wonach AHV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken müssen, erfüllt. Dies sei heute nicht der Fall, dafür sei die AHV-Rente zu tief – insbesondere für diejenigen 13 Prozent der Männer und über ein Drittel der Frauen, die keine zweite oder dritte Säule hätten. Über 330'000 Menschen lebten deshalb unter dem Existenzminimum und müssten Ergänzungsleistungen beziehen, betonte Prelicz-Huber.

Vor der Detailberatung und nach dem unbestrittenen Eintretensentscheid musste sich der Nationalrat mit den Rückweisungsanträgen auseinandersetzen. «Die Mehrheit der Kommission will die Vorlage zügig vorantreiben», hatte Kommissionssprecher de Courten (svp, BL) zuvor betont und daran hielt sich der Nationalrat: Er lehnte sämtliche Rückweisungsanträge ab, diese fanden über die SP- und die Grüne-Fraktion hinaus einzig bei Lorenzo Quadri (lega, TI) Unterstützung.

Die Detailberatung nahm die grosse Kammer in vier Blöcken vor, wobei sie in den zentralen Punkten Differenzen zum Ständerat schuf.
Gleich zu Beginn beschäftigte sich der Nationalrat mit der Hauptthematik der Revision: Im ersten Block debattierte der Nationalrat über die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre – das in der Zwischenzeit in «Referenzalter» umbenannt worden war. Dazu gab es noch einmal eine ausführliche und teilweise ziemlich gereizte Debatte mit zahlreichen Nachfragen, bei der verschiedene Frauen erneut die noch immer bestehende Benachteiligung der Frauen in zahlreichen Bereichen, insbesondere beim Lohn und bei der unbezahlten Arbeit, hervorhoben. Bürgerliche Sprechende verwiesen hingegen unter anderem ebenfalls auf den Gleichstellungsartikel in der Verfassung, den es nun durch eine Angleichung des Rentenalters zu erfüllen gelte. Mit 124 zu 69 Stimmen sprach sich nach dem Ständerat auch der Nationalrat für eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen aus. Abgelehnt wurde diese von der SP- und der Grünen-Fraktion sowie von Lorenzo Quadri und zwei Mitgliedern der Mitte-Fraktion (Christine Bulliard (mitte, FR) und Jean-Paul Gschwind (mitte, JU)). Nicht nur bei den Männern waren die Fronten somit deutlich nach politischen Lagern gespalten: Einzig Christine Bulliard sprach sich als bürgerliche Frau gegen die Rentenaltererhöhung für Frauen aus. Insgesamt lehnten die Frauen im Nationalrat die Erhöhung jedoch mit 38 zu 29 Stimmen ab, zumal dem links-grünen Lager deutlich mehr Frauen angehören als dem bürgerlichen Lager.
Gleich im Anschluss behandelte der Nationalrat die zweite grosse Frage der Revision: die Kompensationsmassnahmen für Frauen, die in Kürze pensioniert würden und nun ein Jahr länger arbeiten müssten als geplant. Wie bereits im Ständerat standen diesbezüglich zahlreiche verschiedene Modelle zur Debatte. Die Kommissionsmehrheit hatte sich gegen das vom Ständerat geschaffene Trapezmodell ausgesprochen und nahm stattdessen das Modell, das Damian Müller (fdp, LU) im Ständerat vertreten hatte, in modifizierter Form auf: So sollte der Zuschlag für die Frauen nach deren bisherigem Einkommen abgestuft werden, wobei die SGK-NR im Gegensatz zu Müller drei Stufen vorsah: Je nach Höhe des bisherigen Einkommens sollten die Frauen zwischen CHF 50 und CHF 150 pro Monat zusätzlich erhalten. Davon sollten sechs Jahrgänge profitieren, maximal sollte dies CHF 551 Mio. kosten. Eine Minderheit II Prelicz-Huber befürwortete hingegen die Änderung der Rentenformel, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte (Modell Bundesrat), wollte diese aber grosszügiger ausgestalten (bei Kosten von CHF 1.08 Mrd.) und 14 Jahrgänge daran teilhaben lassen. Die restlichen drei Minderheiten befürworteten das Trapezmodell, das die Rentenzuschläge nach Jahrgängen zuerst zunehmend, später absteigend abstufen wollte. Damit sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das Rentenalter schrittweise erhöht wird und somit die ersten Jahrgänge keinen vollständigen Rentenzuschlag zugute haben. Eine Minderheit II de Courten wollte dabei dem Ständerat folgen (Kosten: CHF 409 Mrd.), die Minderheiten IV Meyer und V Prelicz-Huber forderten hingegen verglichen mit dem Ständerat deutlich höhere Grundzuschläge (SR: CHF 150, Meyer: CHF 430, Prelicz-Huber: 515), zudem sollten bei der Minderheit Prelicz-Huber deutlich mehr Jahrgänge unterstützt werden (SR und Meyer: 9 Jahrgänge, Prelicz-Huber: 14 Jahrgänge), bei Kosten von CHF 1.35 Mrd. respektive CHF 1.72 Mrd. Ein Einzelantrag Bäumle wollte schliesslich dem Modell der Kommission folgen, aber die Übergangsmassnahmen acht Jahrgängen zugutekommen lassen (SGK-NR: 6 Jahrgänge), was Kosten von CHF 900 Mio. mit sich bringen sollte.
Wie das Modell des Bundesrates vorgesehen hatte, waren bei den Ausgleichsmassnahmen jedoch nicht nur Rentenzuschläge angedacht, sondern alternativ auch ein privilegierter Rentenvorbezug: Die Frauen der Übergangsgeneration sollten gemäss der Mehrheit der SGK-NR – ebenfalls abgestuft nach Einkommen – ihre Rente mit einem Kürzungssatz von 0 bis 2 Prozent (tiefere Einkommen), 1 bis 4 Prozent (mittlere Einkommen) und 2 bis 6 Prozent (höhere Einkommen) vorbeziehen können. Die Minderheit II Prelicz-Huber wollte hier auf den höchsten Kürzungssatz verzichten. Das Trapezmodell und somit auch die Modelle des Ständerats sowie der übrigen Minderheiten sahen keine Möglichkeit für einen privilegierten Vorbezug vor.
Gesundheitsminister Berset sprach sich mit deutlichen Worten gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit aus. So sei die Anzahl Jahrgänge, die von den Ausgleichsmassnahmen profitieren sollen, deutlich zu gering, insbesondere wenn die ersten Übergangsjahrgänge nur reduzierte Zuschläge erhalten sollten. Die Kompensationen seien demnach deutlich weniger grosszügig als bei der erfolgreichen 10. AHV-Reform, weshalb sich der Nationalrat für das grosszügigere Modell des Bundesrates entscheiden solle. Kommissionssprecher de Courten verwies hingegen darauf, dass die Kommissionsmehrheit zwar eine geringere Anzahl Jahrgänge berücksichtige als der Bundesrat und der Ständerat, diese aber grosszügiger behandeln wolle.
Deutlich setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit in der Ausmehrung gegen sämtliche anderen Modelle durch. Knapp wurde es einzig gegen die Minderheit II de Courten, die dem Ständerat folgen wollte (79 zu 74 Stimmen bei 40 Enthaltungen). Dabei stimmte fast die gesamte Grünen-Fraktion mit der SVP-Fraktion für die Minderheit de Courten, während sich die SP-Fraktion ihrer Stimme enthielt.

Im zweiten Block behandelte der Nationalrat die Flexibilisierung des Rentenbezugs, dessen erste Frage des privilegierten Vorbezugs der Übergangsgeneration ja bereits bei der Wahl des Kompensationsmodells geklärt worden war. Umstritten war hier – wie bereits im Ständerat – die Frage, ob der Vorbezug ab 62 oder 63 Jahren möglich sein soll. Die Kommissionsmehrheit wollte der Version des Ständerates folgen (63 Jahre). Yvonne Feri (sp, AG) argumentierte hingegen, dass Frauen neben dem Rentenalter nicht auch noch beim Zeitpunkt des Vorbezugs eine Verschlechterung erfahren sollten, und beantragte folglich Zustimmung zur bundesrätlichen Version für einen Vorbezug ab 62 Jahren. Deutlich setzte sich die Kommissionsmehrheit aber auch hier durch.
Auch bei der Frage des Freibetrags für Personen, die nach Erreichen des AHV-Alters weiterhin erwerbstätig sind, war die Kommissionsmehrheit erfolgreich. Der Ständerat hatte sich hier statt eines Betrags in der Höhe des anderthalbfachen Mindestbetrags der AHV-Rente (aktuell CHF 16’800) für einen fixen Betrag von CHF 24'000 entschieden, der jedoch an die Teuerung angepasst werden soll. Damit sollten die Bürgerinnen und Bürger motiviert werden, über das Referenzalter hinaus erwerbstätig zu bleiben. Die Kommissionsmehrheit wollte stattdessen dem Bundesrat folgen, den Freibetrag jedoch für freiwillig erklären. Erfolglos blieben diesbezüglich eine Minderheit I de Courten, die dem Ständerat folgen, aber den Zusatz der Kommission zur Freiwilligkeit des Freibetrags aufnehmen wollte, sowie eine Minderheit II Gysi (sp, SG) für die bundesrätliche Position.

In einem dritten Block fasste der Nationalrat die übrigen Themenbereiche zusammen. So hatte zum Beispiel eine Minderheit Feri im Lichte des Urteils des EGMR gegen die Schweiz vorgeschlagen, die Witwerrente der Witwenrente anzupassen und somit grosszügiger auszugestalten als bisher. Denn während Witwer nach geltendem Recht nur solange Witwerrente erhalten, wie sie minderjährige Kinder zu betreuen haben, haben Witwen bis zu ihrer Pensionierung Anrecht auf Witwenrente. Es sei höchste Zeit, die biologisch und funktional ungerechtfertigten rechtlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beheben, argumentierte Feri. Die beiden Kommissionssprecher verwiesen jedoch auf die Kosten dieser Regelung von CHF 105 Mio. pro Jahr und wollten stattdessen einen entsprechenden Vorschlag des Bundesrates abwarten. Verschiedene Sprechende hofften darauf, die Problematik nicht durch eine grosszügigere Witwerrente, sondern durch eine Einschränkung der Witwenrente zu lösen. Der Nationalrat teilte diese Einschätzung und lehnte den Antrag der Minderheit Feri ab.

Im vierten Block debattierte der Nationalrat über die dritte grosse Frage, die Zusatzfinanzierung für die AHV. Dabei lagen auch bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung unterschiedliche Konzepte vor. Die Kommissionsmehrheit schlug mit einer Erhöhung von 0.4 Prozentpunkten des Normalsatzes (sowie Erhöhungen um je 0.1 Prozentpunkte des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen und des reduzierten Satzes) eine etwas grössere Erhöhung vor als der Ständerat (0.3 und je 0.1 Prozentpunkte), blieb jedoch deutlich unter dem Vorschlag des Bundesrates (0.7 respektive 0.2 und 0.3 Prozentpunkte). Eine Minderheit II de Courten bevorzugte die ständerätliche Version, während eine weitere Minderheit IV de Courten die Mehrwertsteuer nur zeitlich begrenzt bis Ende 2030 in demselben Ausmass erhöhen wollte wie die Kommissionsmehrheit. Eine Minderheit I Maillard (sp, VD) sprach sich zwar für die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung aus, wollte jedoch auf die von der Kommission sowie von mehreren Minderheiten ebenfalls vorgesehene Verknüpfung der Mehrwertsteuererhöhung mit der Erhöhung des Rentenalters verzichten. Eine Minderheit III Gysi beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen. Gesundheitsminister Berset verwies darauf, dass die Situation für zukünftige Revisionen noch viel schwieriger werde, wenn man bereits jetzt mit einer 88-prozentigen Deckung des Fonds für das Jahr 2030 rechne – so hoch sollte der Deckungsgrad mit dem Modell der Kommissionsmehrheit sein. Folglich empfahl er dem Nationalrat die stärkere vom Bundesrat vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.7 Prozentpunkte. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen, auch in dieser Frage setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen sämtliche Minderheitsanträge durch.
Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Frage, ob der Bundesbeschluss zur Mehrwertsteuererhöhung an die AHV 21-Reform geknüpft werden soll oder nicht. Der Ständerat hatte eine solche Verknüpfung geschaffen, die Mehrheit der SGK-NR wollte ihr zustimmen, während sie eine Minderheit Maillard ablehnte. Bundesrat Berset verwies diesbezüglich auf die Altersvorsorge 2020, bei der die Verknüpfung der beiden Vorlagen für die Ablehnenden ein wichtiges Argument dargestellt habe. Dabei forderte er den Nationalrat auf, denselben Fehler nicht erneut zu begehen. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen und nahm den Mehrheitsantrag mit 124 zu 67 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.
In der Folge schlug Felix Wettstein (gp, SO) ein alternatives Finanzierungskonzept in Anlehnung etwa an die Mikrosteuer-Initiative vor, gemäss dem auf jeder Finanztransaktion an der Schweizer Börse eine Steuer von 1 Promille erhoben werden sollte. Damit könne neben den Einkommen eine weitere Finanzierungsquelle für die AHV erschlossen werden, begründete Wettstein seinen Antrag. Dieser wurde jedoch mit 120 zu 70 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Zustimmung fand der Vorschlag bei der SP- und der Grünen-Fraktion sowie bei einer Minderheit der Mitte-Fraktion.
Stattdessen schuf die Mehrheit der SVP-Fraktion unterstützt von der SP- und der Grünen Fraktion eine andere, zusätzliche Einnahmequelle für die AHV. So schlug die SVP-Fraktion in einem Einzelantrag vor, sämtliche Bruttoerträge der Schweizerischen Nationalbank aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten dem AHV-Ausgleichsfonds zukommen zu lassen. Zudem sollten die Bruttoerträge aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten, die zwischen 2015 und dem Inkrafttreten der AHV 21-Revision anfallen würden, in einer einmaligen Zahlung der AHV zugeschrieben werden. Eine Minderheit Maillard hatte zuvor einen ähnlichen Antrag gestellt, diesen aber zugusten des SVP-Antrags zurückgezogen. Pierre-Yves Maillard verwies auf die riesigen Gewinne, welche die SNB mit den Negativzinsen mache: In den ersten 60 Tagen dieses Jahres habe diese bereits die Gewinne angehäuft, welche gemäss dem Antrag der SVP der AHV zukommen würden. Alfred Heer (svp, ZH), der bereits 2018 eine entsprechende Motion (Mo. 18.4327) eingereicht hatte, verwies für die SVP-Fraktion darauf, dass die Negativzinsen zwar zur Schwächung des Frankens und als Subvention für die Exportindustrie gedacht seien, in erster Linie aber vor allem eine «Strafe für die Sparerinnen und Sparer in der Schweiz» darstellten. Folglich müssten deren Gewinne wieder an die Bevölkerung zurück verteilt werden. Kommissionssprecher Nantermod empfand es hingegen als unklug «de lier le destin de l'AVS à […] celui des intérêts négatifs». Die AHV-Finanzierung solle nicht von der SNB abhängig werden, da damit auch die Unabhängigkeit der SNB gefährdet sei. Schliesslich gehöre die SNB den Kantonen, weshalb der Bund nicht über die Verwendung ihrer Gewinne bestimmen könne. Mit 108 zu 80 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den SVP-Antrag jedoch an und verschob diese Zusatzfinanzierung in der Folge in eine neue Vorlage 3.
Erfolglos blieb hingegen ein Minderheitsantrag Prelicz-Huber für eine Erhöhung des Bundesbeitrags an die AHV von bisher 19.55 Prozent auf 25 Prozent. Stattdessen nahm die grosse Kammer die Erhöhung auf 20.2 Prozent, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte, an.

In der Gesamtabstimmung stimmte die grosse Kammer dem Revisionsentwurf für das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung mit 126 zu 67 Stimmen zu, abgelehnt wurde er von den geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen sowie von Lorenzo Quadri. Der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wurde nur von Stefania Prezioso (egsols, GE) abgelehnt, die SP-Fraktion enthielt sich jedoch ihrer Stimme. Dem vom Nationalrat auf Initiative der SVP-Fraktion neu geschaffenen Bundesbeschluss über die Zuweisung des Gewinns aus den Negativzinsen der SNB an den AHV-Ausgleichsfonds stimmte der Nationalrat mit 132 zu 60 Stimmen (bei 1 Enthaltung) zu. Zu den SP-, Grünen- und SVP-Fraktionen, die dieses Projekt bereits zuvor unterstützt hatten, gesellte sich auch eine Mehrheit der Mitte-Fraktion. Nachdem diese Abstimmung wegen unklarer Abstimmungsfrage wiederholt worden war, betrug die Unterstützung durch die Mitte-Fraktion jedoch nur noch drei Stimmen. Dennoch reichte es mit 114 zu 75 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) zur Annahme des neu geschaffenen Bundesbeschlusses.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

Einige Tage später setzte sich der Nationalrat mit der dritten Revision des Covid-19-Gesetzes auseinander. Marie-France Roth Pasquier (mitte, FR) und Matthias Aebischer (sp, BE) berichteten für die WBK-NR von den Kommissionsentscheiden: Unumstritten seien auch hier die Vorschläge des Bundesrates gewesen, da auch der Nationalrat ein abruptes Auslaufen der Covid-Hilfen verhindern wolle. Zusätzlich zu den neuen ständerätlichen Regelungen lägen jedoch auch im Nationalrat verschiedene Vorschläge von Kommissionsmehrheit und -minderheiten vor.

In der Eintretensdebatte forderten die SVP- und die FDP-Fraktion eine Rückkehr zur Normalität, während sich die GLP insbesondere gegen die Maskenpflicht im Freien aussprach. Auch die Mitte-, die SP- und die Grünen-Fraktionen zeigten sich über die bereits erfolgten Lockerungen erfreut, sprachen sich aber für einen «kontrollierten Ausstieg» aus den Covid-19-Massnahmen aus. Eintreten war in der Folge unbestritten.
Widerstandslos verlängerte der Nationalrat die Covid-19-Erwerbsausfallentschädigungen bis Ende 2021, wie es der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Stillschweigend stimmte er auch der Aufhebung der Obergrenze der A-Fonds-perdu-Beiträge für die Sportklubs zu. Gleichzeitig nahm er aber auch eine ergänzende Bestimmung der WBK-NR an, welche die Regelungen zu den A-Fonds-perdu-Beiträgen erneut ändern wollte. Ursprünglich hatte das Parlament entschieden, dass nur Klubs, die bestimmte Vorgaben erfüllen – darunter eine Reduktion der Löhne und ein Verzicht auf Lohnerhöhung während fünf Jahren – A-Fonds-perdu-Beiträge in der Höhe von 66 Prozent ihrer entgangenen Ticketeinnahmen erhalten sollen. In der Frühjahrssession 2021 hatte das Parlament diese Regelung insofern abgeschwächt, als die Sportklubs auch ohne die Erfüllung einer dieser Vorgaben, nämlich der Lohnreduktion, Finanzhilfen in der Höhe von 50 Prozent der entgangenen Ticketeinnahmen erhalten sollten – aber eben nicht die vollen 66 Prozent. Nun habe sich aber auch neben der Lohnreduktion auch die Klausel zum Verbot der Lohnerhöhungen als problematisch erwiesen, weshalb diese Regel ebenfalls geändert werden soll, wie Matthias Aebischer für die Kommission erklärte. Demnach sollen neu Sportklubs, welche die Gesamtlohnsumme aller Mitarbeitenden und aller Spielerinnen und Spieler in den nächsten fünf Jahren erhöhen, nur die erhaltenen A-Fonds-perdu-Beträge, die 50 Prozent der entgangenen Ticketeinnahmen übersteigen, – nicht aber die gesamten erhaltenen A-Fonds-perdu-Beiträge – zurückzahlen müssen.

Auch weitere Entscheidungen wurden ohne grosse Diskussionen getroffen: So entschied der Nationalrat auf Vorschlag der WBK-NR auch, die Ausnahmeregelung zur Durchführung von Generalversammlungen von Aktiengesellschaften auf schriftlichem oder elektronischem Weg bis Ende 2021 zu verlängern – der Ständerat hatte eine Verlängerung bis zum Inkrafttreten der Revision des Aktienrechts oder spätestens bis Ende 2023 vorgesehen.
Stillschweigend folgte der Nationalrat seiner Kommission zudem bei der Verlängerung der 100-prozentigen Kurzarbeitsentschädigung für Personen mit tiefen Einkommen bis Ende 2021. Hingegen lehnte die grosse Kammer einen Antrag Piller Carrard (sp, FR), basierend auf einem Mitbericht der SGK-NR, ab und sprach für die Zeit zwischen Juni und Dezember 2021 keine zusätzlichen Taggelder. Umstrittener war zudem der Antrag der Kommissionsmehrheit auf Verlängerung der Massnahmen im Kul­turbereich bis Ende April 2022: Eine Minderheit Gutjahr (svp, TG) hatte sich hier für einen Verzicht auf die vorzeitige Verlängerung ausgesprochen, war aber mit 96 zu 91 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) knapp unterlegen.

Besonders umstritten waren schliesslich die vom Ständerat eingefügten Änderungen: Die Streichung der Möglichkeit für Zugangsbeschränkungen zu öffentlich zugänglichen Einrichtungen und Veranstaltungen, sobald alle impfwilligen Erwachsenen geimpft sind, hatte die Kommission zuvor mit 12 zu 10 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) abgelehnt. Auch das ähnliche Anliegen, Inhaberinnen und Inhaber eines Covid-Zertifikats von Zugangsbeschränkungen auszunehmen, hatte bei der WBK-NR mit 11 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen und Stichentscheid der Vizepräsidentin knapp keine Zustimmung gefunden. Beide Anträge würden den Handlungsspielraum des Bundesrates einschränken, kritisierte Roth Pasquier für die Kommissionsmehrheit. Man lehne zudem generell die Aufnahme von Terminen und Kriterien ins Covid-19-Gesetz ab. Christian Wasserfallen (fdp, BE) befürwortete hingegen insbesondere diesen «GGG-Ansatz» (Geimpfte, Genesene oder Getestete), mit dem man die Lockerungen vorantreiben könne. In der Folge sprach sich die grosse Kammer mit 106 zu 81 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und mit 103 zu 78 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für beide Minderheitsanträge auf Annahme der Bestimmungen aus und folgte damit dem Ständerat. Zustimmung fanden diese bei der SVP-, der FDP.Liberalen-, einer Mehrheit der Mitte-Fraktion und einem Teil der GLP-Fraktion.

Zu einer eigentlichen Antragsflut der SVP-Fraktion kam es bei den Massnahmen im Bereich der Gesundheitsversorgung sowie zum Covid-19-Zertifikat. Dabei forderten Mitglieder der Fraktion unter anderem die Aufhebung der Maskenpflicht – im Allgemeinen (Haab, svp, ZH), für Personen mit Covid-19-Zertifikat (Martullo, svp, GR), im Freien (mit Ausnahmen für Veranstaltungen; Haab), bei Kindern und Jugendlichen auf der Primar- und Sekundarstufe I und II (Haab) sowie im Aussenbereichen von Schularealen (Aeschi, svp, ZG). Erneut ging es auch um Fragen des Umgangs mit dem Covid-19-Zertifikat. So wurde beantragt, dass dieses ausschliesslich für den internationalen Reiseverkehr und für Grossveranstaltungen in Innenräumen mit mehr als 5'000 Teilnehmenden, in Diskotheken und bei Tanzveranstaltungen gelten soll, nicht aber zum Beispiel für einen Restaurantbesuch (Gutjahr, ähnlich auch Addor (svp, VS), Aeschi sowie als einziges Mitglied einer anderen Fraktion Léonore Porchet (gp, VD)). In einem weiteren Antrag sollte die Nutzung des Zertifikats in der Schweiz bis Ende September 2021 begrenzt werden (Aeschi). Des Weiteren sollten Veranstaltungen für Geimpfte von der Verpflichtung zu zusätzlichen Massnahmen wie einem Schutzkonzept oder einer Maskenpflicht befreit werden (Herzog, svp, TG). Andere Vorstösse verlangten Rechtsgleichheit für die Impfunwilligen (Gafner, edu, BE), die Auflösung des Mandats der Swiss National Covid-19 Science Task Force (Keller, svp, NW) oder ganz allgemein ein Ende der Einschränkungen – etwa der Homeofficepflicht (Gutjahr), der Personenobergrenzen bei Veranstaltungen, Versammlungen, in Läden oder beim Schulunterricht sowie der Einschränkungen für Restaurants, sobald 80 Prozent der über 65-Jährigen geimpft sind (Aeschi) –, eine Streichung der Ordnungsbussen für Maskenverweigernde (Gafner) sowie eine systematische Kontrolle der Landesgrenzen (Aeschi) und eine Einreisebeschränkung für Personen ohne Covid-19-Zertifikat (Aeschi). Keiner der Anträge fand im Nationalrat jedoch eine Mehrheit.

Mit 149 zu 39 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) verabschiedete der Nationalrat in der Folge die dritte Revision des Covid-19-Gesetzes in der Gesamtabstimmung. Sämtliche Nein-Stimmen und Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Dritte Revision des Covid-19-Gesetzes (Änderung Covid-Erwerbsersatz und Massnahmen im Sportbereich; BRG 21.033)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Mit einer in der Wintersession 2020 eingereichten Motion wollte Christian Dandrès (sp, GE) erreichen, dass die amtlich genehmigten Formulare für die Kündigung des Mietverhältnisses und für Vertragsänderungen oder Mietzinserhöhungen ergänzt werden. Spezifisch sollten die Formulare neu die Kontaktinformationen der Vermieterschaft sowie Informationen über die gesetzlichen Voraussetzungen für das Anfechten der Kündigung im Falle einer Solidarmiete enthalten. Mit diesen Ergänzungen soll laut dem Motionär vor allem erreicht werden, dass die Mieterschaft ihr Recht auf eine Anfechtung von missbräuchlichen Kündigungen, Mietzinserhöhungen oder Vertragsänderungen schnell, einfach und innerhalb der relevanten Fristen wahrnehmen kann. Der Bundesrat unterstützte den Vorstoss und empfahl ihn zur Annahme. Die Motion wurde jedoch von Pirmin Schwander (svp, SZ) bekämpft und so befasste sich der Nationalrat in der Sommersession 2021 mit dem Geschäft. Schwander begründete während der Debatte seine ablehnende Haltung damit, dass die Motion den Prozess zwar für die Mietenden vereinfachen würde, dafür jedoch einseitig die Hürden für die Vermieterschaft heraufsetze. Eine Mehrheit der grossen Kammer sah dies ähnlich. Trotz dem unterstützenden Votum des zuständigen Bundesrates Guy Parmelin lehnte der Nationalrat die Motion mit 106 zu 84 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ab. Neben der SVP stimmten auch die Fraktionen der FDP sowie der Mitte beinahe geschlossen gegen den Vorstoss, der damit erledigt ist.

Die Formulare für die Kündigung des Mietverhältnisses und für Vertragsänderungen oder Mietzinserhöhungen müssen ergänzt werden (Mo. 20.4518)
Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung