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  • Siegenthaler, Heinz (bdp/pdb, BE) NR/CN
  • Streiff-Feller, Marianne (evp/pev, BE) NR/CN

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Im Sommer 2022 kündigte Marianne Streiff-Feller (evp, BE) ihren Rücktritt aus dem Nationalrat an. Seit 2011 sass die Bernerin, die zudem von 2014 bis 2021 als Präsidentin der EVP amtete, in der grossen Kammer. Sie wolle mehr Zeit für ihre Familie haben, gab Streiff-Feller als Grund für ihren Rücktritt gegenüber den Medien an. Sie wolle sich zudem in Palliative Care weiterbilden.
In der Wintersession 2022 wurde Marc Jost (evp, BE) vereidigt, der für Streiff-Feller nachrutschte. Der 48-jährige Theologe war lange Zeit Grossrat im Kanton Bern und 2015/2016 Präsident des Kantonalberner Parlaments. Jost ist das 14. Mitglied im Nationalrat, das in der laufenden Legislatur nachrutschte.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Mehr als zwei Jahren nach dessen Einreichung stimmte der Nationalrat in der Herbstsession 2022 über ein Postulat Streiff-Feller (evp, BE) zur Anerkennung der Systemrelevanz sozialer Einrichtungen in Pandemien ab. Der geforderte Bericht sollte besonders die Rolle sozialer Einrichtungen in der Covid-19-Pandemie näher beleuchten und aufzeigen, welche Auswirkungen die Einschränkungen während der Pandemie im Bereich des Kinderschutzes und bei der Betreuung von Menschen mit Behinderung hatte. Die Postulantin begründete ihre Forderung damit, dass besonders Alters- und Pflegeheime in der Pandemie im Fokus geständen hätten, während die Forderungen der Bewohnerinnen und Bewohner anderer sozialer Einrichtungen von den Behörden vernachlässigt worden seien. So gelte es aufzuzeigen, inwiefern in Zukunft in ähnlichen Situationen insbesondere den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen sowie von Menschen mit Behinderung in sozialen Einrichtungen Rechnung getragen werden könne.
Während der Bundesrat die spezifischen Herausforderungen und Belastungen während der Covid-19-Pandemie für die Bewohnerinnen und Bewohner und für das Personal sozialer Einrichtungen anerkannte, verwies er darauf, dass die Aufarbeitung der Massnahmen in sozialen Institutionen durch die Erfüllung zweier Postulate (Po. 20.3721; Po. 20.3724) bereits in vollem Gange sei. Des Weiteren habe das BAG im Juli 2021 eine Analyse der Situation der Bewohnenden sozialer Institutionen veröffentlicht. So brauche es aus Sicht des Bundesrats keinen weiteren Bericht, da aufgeworfene Fragen der Postulantin im Rahmen dieser Abklärungen adressiert werden könnten. Im Nationalrat unterstützten die geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und Mitte den Vorstoss, welcher jedoch knapp mit 94 zu 93 Stimmen abgelehnt wurde.

Systemrelevanz sozialer Einrichtungen bei Pandemien anerkennen (Po. 20.4016)

In der Herbstsession 2022 stimmte der Nationalrat nach Abänderung durch den Ständerat erneut über eine Motion Streiff-Feller (evp, BE) zur Erarbeitung eines Konzepts für ein Frauenmuseum ab. Während sich die Kommissionsmehrheit der WBK-NR in der Vorberatung für die Annahme des abgeänderten Vorstosses ausgesprochen hatte, stellte eine Minderheit Tuena (svp, ZH) die Notwendigkeit und den Nutzen des vom Ständerat vorgeschlagenen Netzwerks in Frage, da «diese Hürden [in Zeiten der Gleichberechtigung] eigentlich überwunden sein» sollten. Zudem störte sich der Minderheitensprecher an den hohen Mehrkosten des Vorstosses, zumal man im Moment mit Ausgaben zurückhaltend sein müsse. Bundesrat Berset äusserte in der parlamentarischen Debatte den Wunsch, die Geschichte der Frauen in der Schweiz lieber an vielen unterschiedlichen Orten zur Schau zu stellen statt in einer speziell dafür konzipierten Institution. Entgegen des Antrags des Bundesrats und der Kommissionsminderheit nahm der Nationalrat den Vorstoss mit 119 zu 68 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Einzig die geschlossen stimmende SVP-, eine knappe Minderheit der FDP.Liberalen- und ein Mitglied der Mitte-Fraktion lehnten die Motion in der grossen Kammer ab.

Ein nationales Frauenmuseum für die Geschichte der Frauen in der Schweiz (Mo. 19.3627)

In der Sommersession 2022 nahm auch der Ständerat eine Motion Streiff-Feller (evp, BE) an, die gefordert hatte, ein Konzept für ein Frauenmuseum zu erarbeiten. Dennoch blieb unklar, ob es nun bald ein solches «Haus der Frauengeschichte» geben wird, denn der Ständerat stimmte der Motion mit einer wesentlichen Änderung zu: Auf Antrag seiner einstimmigen WBK beschloss der Ständerat diskussionslos, die Motion so abzuändern, dass der Bundesrat durch deren Annahme verpflichtet wäre, zur Wahrung des kulturellen Erbes ein «Konzept für ein Netzwerk Dritter über die Geschichte der Gleichstellung von Mann und Frau in der Schweiz» zu erarbeiten und dieses Netzwerk finanziell zu unterstützen. Die Schaffung eines solchen Netzwerkes im Unterschied zur Einrichtung eines nationalen Frauenmuseums erachtete die Kommission als nachhaltiger sowie «wesentlich dynamischer und zukunftsgerichteter». Die abgeänderte Motion geht somit zurück an den Nationalrat.

Ein nationales Frauenmuseum für die Geschichte der Frauen in der Schweiz (Mo. 19.3627)

Im Mai 2022 fand die eidgenössische Abstimmung über die Änderung des Transplantationsgesetzes statt, mit der die erweiterte Widerspruchslösung eingeführt werden sollte.

Die Gegnerinnen und Gegner der erweiterten Widerspruchslösung waren breit zusammengewürfelt und liessen sich nicht klar auf dem politischen Spektrum verorten. Angeführt wurde das Komitee «Nein zur Organspende ohne explizite Zustimmung» von einem pensionierten Arzt und einer Hebamme. Der Arzt, Alex Frei, war ebenfalls Vorsitzender der Ärzte und Pflegefachpersonen gegen Organspende am Lebensende (ÄPOL) – einer Vereinigung, die sich grundsätzlich gegen Organspende an für tot erklärte Personen stellte. Die Hebamme, Susanne Clauss, ihres Zeichens Co-Präsidentin der SP Biel, wehrte sich lediglich gegen die Organentnahme an verstorbenen Personen, sofern von diesen keine explizite Einwilligung vorliegt. Unterstützung erhielten die beiden Personen von Philosophie-, Rechts- und Theologieprofessorinnen und -professoren sowie von bekannten Köpfen verschiedenster Parteien. So etwa von der Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog, der Berner EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller, dem Urner FDP-Ständerat Josef Dittli sowie von den ehemaligen Parlamentarierinnen Verena Diener (glp, ZH) und Gret Haller (sp, BE). Nein-Parolen beschlossen schliesslich die EVP, die SVP und die EDU. Als Hauptargument gegen die Widerspruchslösung führten die Gegnerinnen und Gegner ins Feld, dass es immer Leute geben werde, die nicht wissen, dass ihnen auch ohne ihre explizite Zustimmung Organe entnommen werden können. Dies verletze deren Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit und sei unethisch. Zudem würden dadurch bei Nichtvorliegen des Willens der verstorbenen Person die Angehörigen unter Druck gesetzt, da deren Ablehnung als unsolidarisches Verhalten aufgefasst werden könnte.

Gerade anderer Ansicht waren die Befürworterinnen und Befürworter der erweiterten Widerspruchslösung. Sie erachteten die neue Regelung gar als Entlastung für die Angehörigen, gab etwa Reto Stocker, ein ehemaliger Leiter der chirurgischen Intensivstation des Universitätsspitals Zürich dem Tages-Anzeiger zu Protokoll. Zudem soll mit einer grossen und regelmässigen Informationskampagne sichergestellt werden, dass die Bevölkerung über die neue Regelung informiert wird und niemand wider Willen zum Organspender oder zur Organspenderin wird, versicherte Bundesrat Alain Berset an einer Medienkonferenz zur Abstimmungsvorlage. Zur Umsetzung der Vorlage werde der Bund ein neues sicheres und datenschutzkonformes Register schaffen, wo jede Person ihren Willen zur Organspende festhalten und laufend aktualisieren kann, so der Bundesrat. Mit der beschlossenen Regelung folge man vielen europäischen Ländern, die eine Widerspruchslösung mit oder ohne Einbezug von Angehörigen kennen und die im Schnitt eine höhere Organspenderate aufwiesen als Länder mit einer Zustimmungslösung, so der Bundesrat weiter. Von den Parteien gaben die SP, die Grünen, die Mitte, die GLP und die FDP die Ja-Parole aus.

Jedoch waren sich die Parteien intern nicht immer einig, was sich auch in abweichenden Kantonalsektionen zeigte. Während bei den Grünen und der SP fünf Kantonalsektionen die Nein-Parole oder Stimmfreigabe erteilten und sich die Mitte-Sektion des Kantons Schaffhausen gegen die Gesetzesänderung stellte, beschlossen die Junge EVP und die SVP Freiburg Stimmfreigabe und die SVP Jura gar die Ja-Parole. Dies stimmte auch mit der Einschätzung der Co-Leiterin des Contra-Komitees, Susanne Clauss, überein, welche Organspende denn auch als «en aucun cas [...] une question fondamentaliste ni de politique gauche-droite, mais [...] une question purement personnelle et éthique» erachtete. Insgesamt waren die Parteien im Abstimmungskampf denn auch weder auf der gegnerischen noch auf der befürwortenden Seite effektiv sichtbar.

Im Vorfeld der Abstimmung rezitierten die Medien häufig Zahlen zur Organspende in der Schweiz. Ende 2021 hätten 1'434 Personen auf ein Organ gewartet; jährlich würden ungefähr 450 Personen eines erhalten. Lediglich 16 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer besässen eine Karte, auf der ihr Wille für oder gegen die Organspende ausgewiesen sei, dabei gingen gewisse Umfragen von einer Spendebereitschaft in der Bevölkerung von 80 Prozent aus. Diese Umfragen seien jedoch durch Swisstransplant in Auftrag gegeben worden, wurde die Gegnerschaft in den Medien zitiert. Eine im Auftrag des BFS durchgeführte Umfrage, die nicht nur nach der Entnahme von Organen, sondern auch nach derjenigen von Gewebe fragte, komme hingegen auf konservativere Ergebnisse, wonach sich lediglich etwa die Hälfte der Bevölkerung für oder eher für eine Spende aussprechen würde. Ebenfalls zweifelten die Gegnerinnen und Gegner daran, dass sich die Widerspruchslösung direkt und positiv auf die Organspenderate auswirken werde, wobei sie sich auf Aussagen der Nationalen Ethikkommission aus dem Jahr 2019 stützten. Dass die Organspenderate bei Ländern mit Widerspruchslösung nur in der Tendenz höher sei und es bei beiden Modellen Ausreisser gebe, bestätigten indes auch Bundesrat Alain Berset und die ehemalige Nationalrätin Yvonne Gilli (gp, SG) als Präsidentin des Dachverbands der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), der den Wechsel zur Widerspruchslösung ebenfalls unterstützte. Auch weitere Faktoren wie etwa die Ressourcen in den Spitälern oder die Ausbildung des Fachpersonals beeinflussten die Organspendebereitschaft, war schliesslich auch im Abstimmungsbüchlein nachzulesen. Vereinzelt klärten Medienberichte auch über den Hirntot auf und erläuterten den Ablauf bei der Organentnahme. Häufiger liessen sie indes Organempfängerinnen und -empfänger, Personen auf der Warteliste für ein Organ oder Angehörige von Spendenden zu Wort kommen. Auch prominente Gegnerinnen und Gegner der Gesetzesrevision konnten überdies ihre Position darlegen. In seinem Abstimmungsmonitoring kam das fög denn auch zum Schluss, dass die Medienberichterstattung in der Tonalität erstaunlich ambivalent ausfiel, denn für gewöhnlich generierten dem fakultativen Referendum unterstellte Vorlagen ein positiveres Echo in den Medien. Ganz grundsätzlich war die Medienresonanz zur Abstimmungsvorlage gemäss fög gering – ebenso wie zu den beiden anderen zur Abstimmung stehenden Vorlagen (Frontex und Filmgesetz). Inserate für oder gegen die Änderung des Transplantationsgesetzes suchte man in den Printmedien mit wenigen Ausnahmen vergebens. Generell schienen die Meinungen zur Organspende auch bereits von Anfang an gemacht, denn die verschiedenen Wellen der Tamedia-Vorabstimmungsbefragungen registrierten kaum merkliche Verschiebungen beim Ja-Anteil, der zwischen 61 und 62 Prozent lag.

Somit war die Annahme des Transplantationsgesetzes an der Urne denn auch nicht überraschend. Bei einer tiefen Wahlbeteiligung von 40.3 Prozent sprach sich die Stimmbevölkerung am 15. Mai 2022 mit 60.2 Prozent Ja-Stimmen für die erweiterte Widerspruchslösung aus. Lediglich die Stimmenden der beiden Appenzell, von Schaffhausen und Schwyz lehnten die Änderung knapp ab. Weitaus die höchsten Ja-Anteile fanden sich in den Westschweizer Kantonen (durchschnittlich 76.4%) gefolgt vom Tessin (65.5%) – der Sprachgraben zeigte sich bei dieser Vorlage überaus deutlich (Durchschnitt Deutschschweizer Kantone: 53.3%). Der am deutlichsten befürwortende Deutschschweizer Kanton, Basel-Stadt (60.9% Ja), sagte noch immer mit mehr als 10 Prozentpunkten weniger deutlich Ja als der am wenigsten stark zustimmende Kanton der Romandie (Wallis: 72.4% Ja). Somit sprachen sich auch die katholischen Kantone Freiburg, Jura und Wallis klar für die Gesetzesänderung aus, obwohl sich die katholische Kirche für ein Nein eingesetzt hatte. Nicht der Katholizismus, sondern das unterschiedliche Verhältnis der Sprachregionen zum Staat hätten also die Meinungen beeinflusst, folgerte der Tages-Anzeiger kurz nach der Abstimmung. Auf der anderen Seite des Zustimmungsspektrums führte der Vorsteher des Ausserrhodener Gesundheitsdepartementes das Nein in seinem Kanton auf eine besonders ausgeprägte Naturverbundenheit seiner Einwohnerinnen und Einwohner zurück, die sich auch in einer Präferenz für Naturheilkunde gegenüber gewissen schulmedizinischen Angeboten äussere. Tatsächlich bestätigte die VOX-Nachbefragung, dass die Frage, wie stark jemand der Schulmedizin, dem Spitalpersonal, der Wissenschaft und dem BAG vertraut, mit der Zustimmung zur Revision zusammenhängt. Ebenso sprachen sich Personen mit hohem Vertrauen in Freikirchen besonders häufig gegen die Gesetzesänderung aus. Und obwohl der Abstimmungskampf in Abwesenheit der Parteien geführt worden war, erwies sich die politisch-ideologische Selbsteinstufung einer Person durchaus als relevant für deren Stimmentscheid. So legten links stehende Personen besonders häufig ein Ja ein, während sich der Ja-Anteil mit zunehmender Ausrichtung auf die rechte Seite des politischen Spektrums verringerte. Insgesamt folgten jedoch alle Parteisympathisierenden mehrheitlich der Parole ihrer Partei. Das Recht auf einen unversehrten Körper sei zentral und der Staat solle sich nicht in die Organspende einmischen, lauteten gemäss VOX-Umfrage die zentralen Argumente für ein Nein. Auf der anderen Seite zeigten sich die Befürwortenden überzeugt, dass es in der Schweiz momentan zu wenig Organspenden gebe und sich mit dieser staatlich geförderten Regelung Leben retten liessen. Zudem entlaste sie Angehörige, da diese nicht mehr stellvertretend für die verstorbene Person entscheiden müssten.


Abstimmung vom 15. Mai 2022

Änderung des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz)
Beteiligung: 40.3%
Ja: 1'319'276 Stimmen (60.2%)
Nein: 872'119 Stimmen (39.8%)

Parolen:
-Ja: SP (2*), FDP, Grüne (3*), GLP, Mitte (1*); Konsumentenforum, FMH
-Nein: EDU, EVP, SVP (2*); Schweizerische Bischofskonferenz, NZZ
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Sogleich nach dem Urnengang stellten die Medien die Frage, wie es nun weitergehe. So informierten etwa die Zeitungen am Tag nach der Abstimmung darüber, was man tun müsse, wenn man sich dazu entschliesse, (keine) Organe spenden zu wollen, wann die Umstellung auf die erweiterte Widerspruchslösung erfolge und was dazu noch erforderlich sei. Einiges, meinte etwa der Tages-Anzeiger zu letzterer Frage, denn für ein neues und sicheres Spenderegister sei «eine elektronische Identität [nötig], die es in der Schweiz noch nicht gibt. Zudem müssen sechs Millionen Erwachsene informiert werden.» Im Vorfeld der Abstimmung war nicht zuletzt auch das bestehende Register von Swisstransplant in Kritik geraten; wegen einer durch die SRF-Sendung «Kassensturz» Anfang Jahr bekannt gewordenen Sicherheitslücke hatte eine beliebige Drittperson eine andere als Organspender oder Organspenderin erfassen können. Da sich dieser Fehler nicht so rasch beheben liess, war eine Neuregistrierung für oder gegen die Organspende im bestehenden Register von Swisstransplant gerade während des Abstimmungskampfes, als sich vermutlich einige Menschen mit der Frage der eigenen Organspendebereitschaft befassten, nicht möglich. Mit einer E-ID gebe es keine solche Sicherheitslücke, kommentierten IT-Experten gegenüber dem Tages-Anzeiger. Der Bundesrat hingegen liess zum Zeitpunkt der Abstimmung noch offen, ob die von ihm zu präsentierende Lösung eine E-ID erfordere. Nur ein Jahr zuvor hatte die Bevölkerung eine Gesetzesvorlage zur Einführung einer elektronischen Identität an der Urne wuchtig verworfen. Obwohl der Bundesrat daraufhin ein neues E-ID-Gesetz vorzulegen plante, prüfe man zum Zeitpunkt auch andere sichere und datenschutzkonforme Eintragungsarten, so der Bundesrat. Sowohl ablehnende als auch befürwortende Politikerinnen und Politiker forderten vom Bundesrat nach dem Abstimmungsausgang eine umfassende Informationskampagne auf verschiedenen Kanälen. So müsse sichergestellt werden, dass auch Personen ohne ausreichende Sprach- und Lesekenntnisse ausführlich über die Widerspruchslösung informiert würden, forderte etwa SVP-Nationalrätin Verena Herzog als Mitglied des Nein-Komitees. Flavia Wasserfallen (sp, BE), Co-Präsidentin de Unterstützungskomitees, gab darüber hinaus zu bedenken, dass die digitalen Fähigkeiten innerhalb der Bevölkerung variierten und somit sowohl die Information der Behörden als auch ein Eintrag ins Spenderegister über den Postweg möglich sein müssten. Beim BAG sah man dies hingegen anders: Es werde lediglich ein Online-Register geben, allerdings soll es möglich sein, die Eintragung via Vertretungsvollmacht etwa vom Hausarzt oder der Hausärztin vornehmen zu lassen. Ebenfalls klar schien bereits, dass Swisstransplant einen Leistungsauftrag erhalten werde, um das Register des Bundes zu führen, worüber sich die Gegnerschaft der Gesetzesänderung nicht erfreut zeigte. Gemäss Aussagen des BAG kurz nach der Abstimmung werde die Umstellung frühestens Mitte 2024 erfolgen.

Im Oktober 2022 gab Swisstransplant bekannt, dass das eigene Spenderegister wegen der Sicherheitsbedenken per sofort eingestellt werde. Die Spitäler kritisierten diesen Entscheid. Für sie verkomplizierten sich dadurch die Abklärungen bis zum neuen Bundesregister. Unterdessen hatte der Bund den Zeitplan zu dessen Inbetriebnahme bereits etwas nach hinten verschoben: Das eigene Register werde «frühestens ab 2025 eingeführt», so das BAG.

Organspende-Initiative und indirekter Gegenvorschlag (BRG 20.090)
Dossier: Transplantation von Organen, Geweben und Zellen

«Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sind in einigen Branchen zur geduldeten und lukrativen Realität geworden», konstatierte Nationalrätin Marianne Streiff-Feller (evp, BE). Sie begründete damit ihre im Sommer 2020 eingereichte Motion zur Ergänzung des Strafgesetzbuchs um einen Tatbestand der Arbeitsausbeutung. Viele Ausbeutungssituationen würden von den geltenden rechtlichen Instrumenten nicht erfasst, argumentierte sie, da etwa der Tatbestand des Menschenhandels nicht greife, wenn Menschen aus wirtschaftlicher Not heraus «freiwillig» – und nicht weil sie dazu gezwungen werden – unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiteten. Nach Ansicht des Bundesrates erfasse das geltende Strafrecht die Arbeitsausbeutung jedoch hinreichend, weshalb er die Ablehnung der Motion beantragte. So könnten neben dem Menschenhandel je nach Fall auch die Straftatbestände der Körperverletzung, der Gefährdung des Lebens, der Drohung, der Nötigung oder Freiheitsberaubung, des Betrugs und des Wuchers sowie Schutzbestimmungen für Arbeitnehmende aus dem Arbeitsgesetz und dem Entsendegesetz anwendbar sein, erläuterte Bundesrätin Karin Keller-Sutter in der Frühjahrssession 2022 im Nationalratsplenum. Sie wies weiter darauf hin, dass der Nachfolge-NAP nach der Auswertung des zweiten Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel einen Fokus auf die Ausbeutung der Arbeitskraft legen werde. Mit 101 zu 80 Stimmen bei 8 Enthaltungen nahm der Erstrat die Motion gegen die Opposition aus den Fraktionen der SVP- und der FDP-Fraktion an.

Arbeitsausbeutung als Straftatbestand (Mo. 20.3630)

Anfang März 2022 setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit dem Nachtrag Ia zum Voranschlag 2022 auseinander. Die Kommissionssprechenden Anna Giacometti (fdp, GR) und Heinz Siegenthaler (bdp, BE) stellten dem Rat den Nachtrag vor.
Es standen drei zusätzliche Covid-19-Kredite in der Höhe von CHF 3.4 Mrd. zur Debatte, die im Rahmen der Verlängerung zusätzlicher Massnahmen durch das Parlament während der vierten Revision des Covid-19-Gesetzes beschlossen worden waren. Unbestritten waren von diesen drei Krediten einzig die CHF 800 Mio. für die ALV, während zwei Minderheiten Guggisberg (svp, BE) die Kredite für den Erwerbsersatz (CHF 1.7 Mrd.) und für die kantonalen Härtefallmassnahmen (CHF 900 Mio.) halbieren wollten. Der Minderheitensprecher begründete die zwei Anträge damit, dass man nicht «auf Vorrat Ausgaben von Steuergeldern budgetieren» wolle – bereits 2021 habe man etwa doppelt so viel budgetiert, wie man anschliessend benötigt habe. Aufgrund der rückläufigen Hospitalisierungen seien diese aktuellen Kredite zu hoch kalkuliert. Finanzminister Maurer verwies auf den vom Parlament in der vierten Revision des Covid-19-Gesetzes erteilten Auftrag, welchen der Bundesrat gemäss seinen bisherigen Erfahrungswerten umgesetzt habe. Er gehe zwar davon aus, dass man Ende Jahr Kreditreste haben werde, auch eine Kürzung dieser Kredite würde jedoch nicht zu Einsparungen führen. Mit 136 zu 53 Stimmen und 137 zu 52 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Nationalrat in der Folge für die vom Bundesrat beantragten Kredite für den Covid-19-Erwerbsersatz und die Härtefallhilfen aus.
Bezüglich der CHF 11 Mio. zur Fertigstellung des Neubauprojektes der ETH erinnerte Kommissionssprecher Siegenthaler daran, dass das Parlament 2013 einen Verpflichtungskredit über CHF 127 Mio. bewilligt habe. Verzögerungen, Mehraufwände und Mängel durch das Generalunternehmen hätten Mehrkosten nach sich gezogen, weshalb zur Fertigstellung eine Erhöhung des Verpflichtungskredits nötig sei, welche jedoch im ETH-Budget kompensiert werde. Stillschweigend stimmte der Nationalrat auch diesem Kredit zu.
Für die meisten Diskussionen sorgte die von der UREK-NR in einem Mitbericht und von Mike Egger (svp, SG) in einem Minderheitsantrag beantragten CHF 5.7 Mio. zugunsten von temporären Notschutzmassnahmen gegen den Wolf. Aufgrund der Ablehnung der Jagdgesetz-Revision im Jahr 2020 fehle die gesetzliche Grundlage zur Regulierung des Wolfsbestandes, wodurch die Anzahl Wölfe und die Probleme für die Alpwirtschaft stark angestiegen seien, betonte Egger. Deshalb sollen nun zusätzliche Gelder für Behirtung und Hütten gutgeheissen werden. Die Kommissionsmehrheit lehnte diese Aufstockung ab, da die rechtliche Grundlage für die Auszahlung der zusätzlichen Gelder gemäss Vertretenden des BAFU fehle. Dem widersprach jedoch der Minderheitensprecher: Weitere Massnahmen seien gesetzlich durchaus möglich, wenn die bisherigen Massnahmen nicht ausreichten. Finanzminister Maurer erläuterte die zwei Positionen: Zwar sei, wie vom BAFU erklärt, eine Übernahme zusätzlicher Personalkosten gemäss Gesetz wohl in der Tat nicht möglich, die temporären Schutzmassnahmen, wie sie die Minderheit in den Planungsgrössen definierte, seien jedoch zulässig. Dennoch beantragte der Finanzminister, die Höhe und die Verbuchung dieses Kredites noch einmal überprüfen zu können. Man werde die «Landwirtschaft dann nicht einfach im Regen stehen lassen», sondern hier eine sinnvolle Lösung suchen. Mit 101 zu 72 Stimmen (bei 17 Enthaltungen) folgte der Nationalrat jedoch der Kommissionsminderheit und hiess den zusätzlichen Nachtragskredit sowie die diesbezüglichen Planungsgrössen gut. Befürwortet wurden diese von der SVP-Fraktion, Mehrheiten der Mitte- und der Grünen-Fraktion und Minderheiten der FDP.Liberalen- und der SP-Fraktion.
In der Gesamtabstimmung sprach sich der Nationalrat mit 180 zu 11 Stimmen für den Nachtrag Ia aus – eine Minderheit der SVP-Fraktion lehnte ihn ab.

Nachtrag I zum Voranschlag 2022 (BRG 22.007)
Dossier: Bundeshaushalt 2022: Voranschlag und Staatsrechnung

Weil der Ständerat die Publikation der Postadresse von Parlamentsmitgliedern beibehalten wollte, hatte er eine Differenz in der Vorlage geschaffen, mit der die Veröffentlichung zusätzlicher Staatsangehörigkeiten von Parlaments- und Regierungsmitgliedern bezweckt wurde. Marianne Streiff-Feller (evp, BE) erklärte im Namen der SPK-NR, dass diese einen Kompromiss ausgearbeitet habe. Der Ständerat habe geltend gemacht, dass Parlamentsmitglieder erreichbar sein müssten, weshalb die Veröffentlichung der Postanschrift nötig sei. Die SPK-NR habe eigentlich nur die E-Mail-Adresse veröffentlichen wollen, auch weil damit der Schutz von «Menschen, die sich öffentlich engagieren» erhöht werden könne. Als Kompromiss könne ein Parlamentsmitglied wählen, ob die Kurzbiographie mit postalischer oder elektronischer Adresse versehen werden soll. Eine Kommissionsminderheit sehe nicht ein, weshalb das ursprüngliche Anliegen der parlamentarischen Initiative von Marco Chiesa (svp, TI) erweitert werden müsse. Es bestehe heute schon die Möglichkeit, auf die Publikation der Postadresse zu verzichten. Der Minderheitensprecher Gerhard Pfister (mitte, ZG) ergänzte, dass man wegen dieses Details den Ständerat nicht noch einmal bemühen müsse und einfach die Version der Kantonskammer übernehmen solle. Die Mehrheit der grossen Kammer folgte allerdings der Kommissionsmehrheit und stimmte der mit dem Kompromissvorschlag ergänzten Vorlage mit 112 zu 89 Stimmen zu (2 Enthaltungen). Die Argumente der Minderheit wurde von der Mehrheit der Mitte-Fraktion und der geschlossenen SVP-Fraktion unterstützt.

Der Ständerat behandelte die Vorlage ebenfalls noch in der Wintersession 2021, wo sie für keinerlei Diskussionsbedarf sorgte und mit dem Kompromissvorschlag angenommen wurde.
Bei den Schlussabstimmungen passierte die Vorlage den Nationalrat mit 126 zu 67 Stimmen (keine Enthaltung) und den Ständerat mit 29 zu 12 Stimmen (1 Enthaltung). In beiden Kammern stimmte jeweils die Ratslinke gegen den Beschluss. Die Forderung, dass Parlamentsmitglieder ihre Staatsangehörigkeiten ausweisen müssen, war bei der Ratslinken seit Beginn der Diskussionen auf Ablehnung gestossen.

Staatsangehörigkeit transparent machen (Pa.Iv. 18.406)

Heinz Siegenthaler (bdp, BE) reichte im September 2020 eine parlamentarische Initiative mit dem Titel «Regulierung des Cannabismarktes für einen besseren Jugend- und Konsumentenschutz» ein. Einhergehend mit den Empfehlungen der EKSF beabsichtigte der Initiant im Zusammenhang mit THC-haltigem Cannabis die gesetzliche Neuregelung der Aspekte «Anbau, Produktion, Handel und Konsum». Dabei gelte es der Vier-Säulen-Drogenpolitik Rechnung zu tragen, Produktion und Handel der staatlichen Kontrolle zu unterstellen, zwischen medizinischem und nicht-medizinischem Markt zu differenzieren, die Prohibition abzuschaffen und dadurch dem Schwarzmarkt entgegenzuwirken sowie die Besteuerung, Bewerbung und den Anbau für den persönlichen Gebrauch zu regeln. Ende April 2021 gab die SGK-NR in einer Medienmitteilung ihre Unterstützung für die parlamentarische Initiative bekannt (13 zu 11 Stimmen, 1 Enthaltung). Dabei wies sie insbesondere auf die Pilotprojekte zu nicht-medizinischem Cannabis hin, auf die sie sich im Rahmen ihrer Arbeiten stützen wolle. Im Oktober 2021 folgte ihre Schwesterkommission diesem Entschluss mit 9 zu 2 Stimmen. Die SGK-SR hob unter anderem die Wichtigkeit des Jugendschutzes und der Prävention hervor und erklärte zudem, dass auch der internationale Kontext miteinbezogen werden müsse.

Regulierung des Cannabismarktes für einen besseren Jugend- und Konsumentenschutz (Pa.Iv. 20.473)

Am 14. Oktober 2021 gab ein Komitee, unter anderem bestehend aus Personen aus dem Gesundheitsbereich, Juristinnen und Juristen, Theologinnen und Theologen sowie der EVP-Nationalrätin Marianne Streiff (evp, BE), die Lancierung eines Referendums zur Änderung des Transplantationsgesetzes bekannt. Das Komitee bekämpfte damit den indirekten Gegenvorschlag zur Organspende-Initiative, welcher eine erweiterte Widerspruchslösung bei der Entnahme von Organen vorsah. Das Referendumskomitee gab zu bedenken, dass durch dieses Gesetz vor allem die sozial Schwächsten benachteiligt würden. Zudem nehme der Druck auf die Angehörigen zu und es bestehe das Risiko, dass diese einer Organentnahme nur aufgrund der Angst, als gesellschaftlich unsolidarisch abgestempelt zu werden, zustimmen würden. Weiter sei die körperliche und geistige Unversehrtheit durch die Bundesverfassung garantiert. Durch die Widerspruchlösung müsse dieses Recht nun aber «speziell eingefordert werden». Im Januar 2022 gab der Bundesrat bekannt, dass die Abstimmung zur Gesetzesänderung am 15. Mai 2022 erfolgen soll, falls das diesbezüglich ergriffene Referendum zustande kommt.

Organspende-Initiative und indirekter Gegenvorschlag (BRG 20.090)
Dossier: Transplantation von Organen, Geweben und Zellen

Am 13. September 2021 war die Covid-19-Zertifikatspflicht ausgeweitet worden. Dieses Zertifikat galt als Nachweis dafür, dass eine Person gegen Covid-19 geimpft, davon genesen oder negativ dagegen getestet worden war. Das Vorweisen eines solchen Zertifikats war zum Beispiel Bedingung für die Teilnahme an Veranstaltungen, den Besuch von Restaurants oder Kinos oder für Reisen in andere Länder. Explizit ausgenommen von der Zertifikatspflicht waren hingegen Parlamente und Gemeindeversammlungen, damit die politischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger nicht eingeschränkt werden.
Bereits Ende August 2021 hatten sich Gesundheitspolitikerinnen der SP dafür starkgemacht, dass auch für das eidgenössische Parlament eine Zertifikatspflicht eingeführt wird; sie stiessen allerdings sogar in der eigenen Fraktion auf Widerstand. Dies wäre zwar gesundheitspolitisch sinnvoll, rechtlich aber wohl nicht machbar, so die ziemlich einhellige Meinung in allen Parteien. Eine solche Pflicht würde nicht nur gegen den Schutz der politischen Rechte verstossen, es müsste dafür wohl gar eine Gesetzesänderung beschlossen werden.
Darauf hin folgte jedoch ein ziemlich starkes mediales Gewitter: Es sei «absurd», dass das Parlament keine Zertifikatspflicht einführen und einen «Corona-Sonderzug für Politiker» fahren wolle, wetterte etwa der Tages-Anzeiger. Die «zertifikatsfreie Zone» sei ein «verheerendes Signal». Man werde so zudem den Verdacht nicht los, dass die Zertifikatspflicht wohl doch wesentlich einschneidender sei, als der Bundesrat jeweils betone. Selbst ansonsten eher massnahmenkritische SVP-Politikerinnen und -Politiker hätten gemerkt, dass «das Politikerprivileg im Volk schlecht ankommt», analysierte die Sonntags-Zeitung. Man könne nicht Gesetze machen und von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen, diese einzuhalten, sich selbst als Parlament dann aber nicht daran halten, zitierte der Blick etwa Alex Kuprecht (svp, SZ). In der Folge forderten sämtliche Parteipräsidentinnen und -präsidenten mit Ausnahme des Präsidenten der SVP in einem offenen Brief an die Verwaltungsdelegation, für die Herbstsession eine Covid-19-Zertifikatspflicht für den Zutritt zum Parlamentsgebäude einzuführen. Es gebe «keinen überzeugenden Grund», Parlamentsmitglieder davon auszunehmen, so der Brief.

Die SPK-SR nahm in der Folge den Ball auf und reichte eine parlamentarische Initiative für eine für die Änderung der Zugangsbedingungen nötige Revision des Parlamentsgesetzes ein. Da für den Zugang nur mindestens ein Covid-19-Test nötig sei, sei es verhältnismässig, eine Covid-19-Zertifikatspflicht auch für den Eintritt zum Bundeshauses zu verlangen, begründete die Kommission ihr Vorgehen. Damit könnten auch Maskenpflicht und Plexiglaswände aufgehoben und somit die Kommunikation zwischen Parlamentsmitgliedern verbessert werden. Da die SPK-NR lediglich einen Tag nach ihrer Einreichung der parlamentarischen Initiative Folge gab, legte die ständerätliche Kommission ein paar Tage später bereits einen dringlichen Entwurf für eine entsprechende Revision des Parlamentsgesetzes vor, der vom Bundesrat begrüsst und noch in der Herbstsession 2021 von beiden Kammern beraten wurde.

Man stehe vor einem staatspolitisch brisanten Entscheid, leitete Andrea Caroni (fdp, AR) die Debatte im Ständerat ein. Man müsse sich bewusst sein, dass man damit unter Umständen Ratsmitglieder von der Teilnahme an einer Session ausschliesse. Freilich sei auch das öffentliche Interesse gross, sei doch viel mediale Kritik auf das Parlament eingeprasselt, weil zwar für den Zugang zu zahlreichen Innenräumen, nicht aber für den Zugang zum Bundeshaus eine Zertifikatspflicht gelte. Die gesetzliche Grundlage für eine Zertifikatspflicht sei nun aber nötig, weil sie nicht nur die Handlungsfähigkeit des Parlaments verbessere, sondern weil man damit auch beweisen könne, dass die vom Parlament beschlossene Pflicht auch im Bundeshaus problemlos umgesetzt werden könne. Die Kommission empfehle die Vorlage mit 9 zu 2 Stimmen zur Annahme, so der Kommissionssprecher Caroni. Mit einem Einzelantrag warb Beat Rieder (mitte, VS) in der Folge für Nichteintreten. Statt auf «Selbstverantwortung, Solidarität und Eigenverantwortung» setze man mit der Zertifikatspflicht auf «einen staatlichen Kontrollmechanismus». All diese Massnahmen würden zudem mit einem Tempo durchgepeitscht, welches die Bevölkerung spalte. Ein Ja zur Vorlage könne zudem auch als Signal an den Bundesrat gelesen werden, ohne Grenzen «grundrechtswidrige Entscheide» treffen zu dürfen. Mit 35 zu 7 Stimmen entschied sich der Ständerat allerdings für Eintreten.
Der Entwurf der SPK-SR sah vor, dass Personen ab dem 16. Altersjahr nur dann Zutritt zum Parlamentsgebäude erhalten, wenn sie ein Covid-19-Zertifikat vorweisen. Die Kosten für notwendige Tests für die Ausstellung eines Zertifikats sollten jenen Personen vergütet werden, die zwingend Zutritt zum Parlamentsgebäude benötigten. Der Verwaltungsdelegation oblag die Definition dieser Personengruppe und die Organisation der Kontrolle. Ihr wurde auch das Entscheidungsrecht übertragen, die Zertifikatspflicht wieder aufzuheben, wenn die epidemiologische Lage dies erlaubt. Stefan Engler (mitte, GR) verlangte in der Detailberatung eine Ausnahmeregelung für Personen, die eine Maske tragen und sich für das Contact Tracing registrieren liessen. Mit 21 zu 14 Stimmen (7 Enthaltungen) hiess der Ständerat diesen Antrag gut. Mit 23 zu 18 Stimmen (2 Enthaltungen) abgelehnt wurde hingegen ein Antrag einer Kommissionsminderheit, die eine Zertifikatspflicht nicht nur für den Zugang zum Parlamentsgebäude, sondern auch zu Kommissionssitzungen und ausserparlamentarischen Aktivitäten verlangt hätte. Die Gesamtabstimmung passierte der so modifizierte Entwurf mit 36 zu 6 Stimmen (1 Enthaltung).

Auch im Nationalrat wurden, einen Tag nach dem ständerätlichen Entscheid, Eintreten und Detailberatung in einer einzigen Debatte durchgeführt. Wie aufgrund des oben erwähnten Briefes der Parteipräsidien zu erwarten, wurde die Einführung einer Zertifikatspflicht von allen Fraktionen ausser der SVP begrüsst. Er habe ein «ungutes Gefühl», argumentierte Gregor Rutz (svp, ZH) für seine Fraktion. Unter Zeitdruck beschlossene Gesetze seien selten gut, weil man in Krisensituationen zu «Flüchtigkeitsfehlern» neige. Dieses schlechte Gefühl nähre sich auch am Umstand, dass man hier aufgrund medialen Drucks agiere und nicht, weil es gesundheitspolitisch nötig sei. Der SVP-Fraktionssprecher erinnerte zudem an die Geschichtsbücher: 1932 seien sozialdemokratische und kommunistische Nationalratsmitglieder per Parlamentsbeschluss ausgeschlossen worden. Der Ausschluss von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die sich weder testen noch impfen lassen wollten, komme dieser «verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen» Aktion sehr nahe. Die Fraktion sehe aber auch, dass das Gesetz den Parlamentsbetrieb erleichtern würde. Die Mehrheit der SVP-Fraktion werde sich deshalb der Stimme enthalten.
Eintreten wurde in der Folge ohne Gegenantrag beschlossen. In der Detailberatung lagen zwei Minderheitenanträge vor. Eine Minderheit Binder (mitte, AG) beantragte die Streichung der vom Ständerat gemachten Ausnahme. Die Zertifikatspflicht sei keine Impfpflicht. Man könne von Parlamentsmitgliedern verlangen, dass sie sich testen lassen, weshalb eine Ausnahme nicht nötig sei, so die Argumentation dieser durch Marianne Streiff-Feller (evp, BE) vertretenen Minderheit. Eine zweite Minderheit Rutz wollte die Verwaltungsdelegation verpflichten, alle acht Wochen zu prüfen, ob die Massnahme noch notwendig sei. Beide Minderheiten wurden deutlich abgelehnt. Mit 146 zu 27 Stimmen (bei 17 Enthaltungen) passierte der gegenüber dem Ständerat unveränderte Entwurf die Gesamtabstimmung. Sämtliche Nein-Stimmen und Enthaltungen stammten von der SVP-Fraktion (mit Ausnahme einer Enthaltung aus der grünen Fraktion). 10 SVP-Mitglieder stimmten für die Änderung des Parlamentsgesetzes.

Beide Kammern stimmten wiederum nur wenige Tage später der Dringlichkeitsklausel zu – der Ständerat mit 35 zu 4 Stimmen und der Nationalrat mit 143 zu 35 Stimmen (6 Enthaltungen). Die Stimmenverhältnisse änderten sich auch in den Schlussabstimmungen am Ende der Herbstsession nicht. Der Entwurf wurde im Ständerat mit 38 zu 5 Stimmen (1 Enthaltung) und im Nationalrat mit 149 zu 35 Stimmen (12 Enthaltungen) angenommen.

In der Folge setzte die Verwaltungsdelegation die Zertifikatspflicht um. Ab dem 2. Oktober 2021 – also nach der Herbstsession 2021 – mussten alle Besucherinnen und Besucher des Bundeshauses ein Covid-19-Zertifikat vorlegen. Parlamentsmitglieder und Verwaltungsangestellte, die im Parlamentsgebäude ein- und ausgehen, konnten sich einmalig registrieren lassen, woraufhin ihr Covid-19-Zertifikat auf den elektronischen Zutrittsausweisen vermerkt wurde. Ratsmitglieder, die kein Zertifikat vorwiesen, mussten eine Maske tragen. Für die Wintersession 2021 beschloss die Verwaltungsdelegation dank der Zertifikatspflicht, die Plexiglasscheiben abzubauen und die Maskenpflicht aufzuheben.

Covid-Zertifikatspflicht im Bundeshaus

Pour lutter contre l'obsolescence programmée, protéger l'environnement et favoriser le consommateur et la consommatrice, la députée Marianne Streiff-Feller (centre, BE) souhaite étendre, dans le code des obligations (CO), le délai de garantie des biens non périssables de deux à cinq années.
La motion n'a pas été accueillie favorablement par le Conseil fédéral. D'un côté, il a précisé que les pays limitrophes de la Suisse avaient un délai de deux années. Une extension mettrait donc des bâtons dans les roues des producteurs helvétiques. D'un autre côté, il a rappelé le rapport existant sur l'économie circulaire (Po. 17.3505) et les travaux en cours sur l'obsolescence programmée (Po. 18.3248).
La motion a été adoptée par la chambre du peuple par 100 voix contre 87 et 5 abstentions. L'assemblage des voix des Verts (28), du PS (38), des Vert'libéraux (15), du groupe du Centre (18) et de l'UDC (1) a fait pencher la balance.

Économie circulaire. Étendre les délais de garantie applicables aux produits afin de prolonger la durée de vie de ceux-ci (Mo. 19.4594)
Dossier: Vorstösse zur Kreislaufwirtschaft seit Ablehnung der Volksinitiative «Grüne Wirtschaft»

Das einzige Mittel, das gegen «korrupte Politik» helfe, sei ein Verbot von Lobbyismus, eröffnete Lukas Reimann (svp, SG) die Verteidigung seiner Motion bei der Ratsdebatte während der Herbstsession 2021. Politikerinnen und Politiker müssten das Gemeinwohl fördern und es dürfe nicht zugelassen werden, dass sie «mit eigenen Lobbybüros, die allenfalls als Kommunikationsbüros getarnt sind, Gewinnmaximierung betreiben». Wer sein Mandat zum privaten Nutzen missbrauche, müsse bestraft werden können, forderte der St. Galler in seiner Motion.
Das für das Anliegen zuständige Büro-NR listete nicht weniger als 17 Vorstösse zum Thema auf, die in den letzten Jahren diskutiert worden seien. Es forderte Reimann auf, seine Idee im Rahmen der parlamentarischen Initiative Rieder (mitte, VS; Pa.Iv. 19.414) zum Thema Lobbying und Kommissionsarbeit einzubringen oder eine parlamentarische Initiative dazu einzureichen. Folglich empfahl es die Motion mit 8 zu 1 Stimmen bei 3 Enthaltungen zur Ablehnung. Dieser Empfehlung folgte die Mehrheit der grossen Kammer und sprach sich mit 170 zu 11 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) gegen den Vorstoss aus. Unterstützung erhielt Reimann einzig von Teilen seiner Fraktion und von Marianne Streiff-Feller (evp, BE).

Verbot entgeltlicher Lobbyarbeit (Mo. 21.3949)
Dossier: Lobbyismus im Bundeshaus

Die Delegierten der EVP Schweiz wählten im Juni 2021 die Aargauer Nationalrätin Lilian Studer zu ihrer neuen Parteipräsidentin. Studer trat als einzige Kandidatin an, ihre Wahl erfolgte einstimmig. Als Vizepräsidenten wurden die Bisherigen Nik Gugger (ZH) und François Bachmann (VD) wiedergewählt.
Lilian Studer folgte als Präsidentin auf die Berner Nationalrätin Marianne Streiff-Feller, die von den Delegierten nach siebenjähriger Amtszeit mit stehenden Ovationen verabschiedet wurde. Der Parteivorsitz kehrte damit in die Familie Studer zurück: Vorgänger von Streiff war Heiner Studer, der Vater von Lilian Studer, gewesen. Lilian Studers politische Karriere hatte 2002 im Aargauer Grossen Rat begonnen, dem sie bis zu ihrer Wahl in den Nationalrat 2019 angehörte. 2004 war sie Mitgründerin und Gründungspräsidentin der Jungen EVP Schweiz gewesen.
In ihrer Antritts­rede vor den Delegierten stellte Lilian Studer die Wertegrundlage der EVP ins Zentrum: Diese umfasse die Werte der Nachhaltigkeit, der Gerechtigkeit sowie der Menschenwürde, sei «unvergänglich» und auch auf die grossen Herausforderungen der aktuellen Schweizer Politik anwendbar. Diese Herausforderungen ortete sie vor allem bei den lang­fris­ti­gen Fol­gen der Covid-19-Pan­de­mie, dem Kli­ma­schutz, dem Dia­log mit der EU und einer gene­ra­tio­nen­ge­rech­ten Sanie­rung der Sozi­al­werke.
In einem Interview mit der Aargauer Zeitung äusserte sich Studer zu ihren Zielen für die Partei: Dank einer besseren Kommunikation solle die EVP sichtbarer werden und stärker wahrgenommen werden. Konkrete Wachstumsziele formulierte Studer aber nicht, auch wenn sie den «Wunsch» habe, den Wählendenanteil zu steigern und etwa in den katholisch geprägten Kantonen, wo die traditionell reformierte EVP bisher kaum eine Rolle spielte, stärker zu werden. Die Geschichte mache dies aber schwierig. Zur Bundesratspartei solle die EVP unter ihr jedenfalls nicht werden. Die Rolle als «Nischenpartei» habe auch Vorteile, weil sie der EVP mehr Spielraum als den grossen Parteien biete, «um uns selbst zu sein und unsere Werte zu vertreten». Weil die Partei mit ihren Werten nicht immer ins klassische Links-rechts-Schema passe, könne sie auch die Rolle einer Brückenbauerpartei übernehmen.

EVP mit neuer Präsidentin

Bei der Abstimmung über die parlamentarische Initiative von Doris Fiala (fdp, ZH), die ein Suppleantensystem im Nationalrat forderte, widerspiegelte sich das knappe Ergebnis in der SPK-NR, die empfohlen hatte, dem Vorstoss keine Folge zu geben. Die 87 Stimmen aus den geschlossenen Fraktionen der SP und der GP, unterstützt von einer grossen Mehrheit der GLP, einer 10-stimmigen Minderheit der FDP und einer Stimme aus der SVP-Fraktion (Magdalena Martullo-Blocher, svp GR) reichten aber gegen die 96 Gegenstimmen nicht aus. In der Ratsdebatte hatte Doris Fiala vergeblich mit dem Beispiel des Kantons Wallis für ihr Anliegen geworben. Das dortige Stellvertretersystem – neben den Amtsträgerinnen und Amtsträgern werden auf separaten Listen auch Suppleantinnen und Suppleanten gewählt – würde auch auf nationaler Ebene den «Dreiklang ermöglichen: Beruf, Familie, Politik stärken». Damit könnte auch das Milizsystem gerettet werden. Kaum jemand in der grossen Kammer bringe nämlich mehr alles unter einen Hut. Auch Irène Kälin (gp, AG) hatte sich vergeblich ins Zeug gelegt und darauf aufmerksam gemacht, dass es Absenzen gebe, die sich nicht vermeiden liessen – etwa die Geburt eines Kindes oder längere Krankheiten. Mit der Wahl sei aber ein Auftrag verbunden, bei Sitzungen anwesend zu sein. Mit einem Suppleantenystem könnte dieser Auftrag trotz solcher Absenzen erfüllt werden. Für die Kommission hatte Marianne Streiff-Feller (evp, BE) hingegen geltend gemacht, dass ein Stellvertretungssystem «die Repräsentativität des Parlamentes [...] verringern und die politische Verantwortung [...] verwässern» würde, da es praktisch eine Verdoppelung der Ratsmitglieder zur Folge hätte. Dieses Argument wird freilich von der Forschung hinterfragt, da es von einem spezifischen Repräsentationsverständnis ausgeht, aber gemäss der politischen Philosophie auch andere Repräsentationsverständnisse herangezogen werden könnten (Frick 2021). Ein weiterer Kritikpunkt stellt der Vorwurf dar, dass der Ratsbetrieb – sollten auch Stellvertretende die Möglichkeit für Vorstösse haben – noch schwerfälliger würde. Nicht verständlich sei laut Kommission zudem, warum das System lediglich für den Nationalrat, nicht aber für den Ständerat eingeführt werden solle. Schliesslich resümierte die Kommission, dass die Ratsmitglieder statt Suppleantinnen und Suppleanten mehr Unterstützung benötigten, um die wachsende politische Arbeitsbelastung bewältigen zu können.

Suppleantensystem im Nationalrat (Pa.Iv. 19.492)

Mit Blick auf das 50-jährige Bestehen des Frauenstimmrechts forderte Marianne Streiff-Feller (evp, BE) den Bundesrat in einer Motion dazu auf, ein Konzept für ein Frauenmuseum ausarbeiten zu lassen. Schon vor Erlangen des Frauenstimmrechts seien Frauen in der Wirtschaft sowie politisch und kulturell erfolgreich tätig gewesen, ihre Errungenschaften würden aber nicht ausreichend gewürdigt. In der Ausführung dieses Projektes sollen sowohl die vielfältige Geschichte der Frauen als auch die Veränderung der Rollenverständnisse in der Schweiz dargestellt werden. Ebenso sollte ein solches «Haus der Frauen» den Blick in die Zukunft richten und etwa fragen, wohin die Schweiz gehen müsste, um eine vollständig gleichberechtigte Gesellschaft zu werden.
Der Bundesrat anerkannte die Wichtigkeit der Gleichstellung von Frauen und Männern und wies auf verschiedene bestehende oder geplante Ausstellungen zu Schweizer Frauen im Bereich der Kirche und Kultur sowie auf eine anlässlich des nahenden 50-jährigen Bestehens des Frauenstimmrechts geplante Sonderausstellung im Schweizerischen Nationalmuseum hin. Für eine Revision des Museums- und Sammlungsgesetzes, die zur Erfüllung des Anliegens der Motionärin nötig wäre, zeigte er sich indessen nicht bereit.
Anders urteilte der Nationalrat in der Sommersession 2021 nach einem Votum der EVP-Nationalrätin. Diese zeigte sich mit der Antwort des Bundesrates nicht zufrieden. Die in der Stellungnahme erwähnten Projekte würden der Rolle der Frauen in der Kirche nicht gerecht – nicht etwa das Wirken von Frauen in Klöstern werde dadurch sichtbar, sondern lediglich deren Kleider. Gleichzeitig rühmte sie die Ausstellung des Nationalmuseums anlässlich des Frauenstimmrechts-Jubiläums, wollte jedoch nicht einsehen, weshalb die dort gezeigte Geschichte nur temporär als Sonderausstellung sichtbar sein sollte. Mit 94 zu 81 Stimmen (7 Enthaltungen) nahm der Nationalrat die Motion als Erstrat an. Zum Erfolg verhalfen ihr die geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, GLP und der Grünen sowie eine grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion.

Ein nationales Frauenmuseum für die Geschichte der Frauen in der Schweiz (Mo. 19.3627)

Nachdem der Ständerat in der Wintersession 2020 auf dem indirekten Gegenvorschlag seiner SPK-SR zur Transparenzinitiative beharrt hatte, musste sich die Volkskammer noch einmal über das Geschäft beugen, mit dem mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung hergestellt werden soll. Die SPK-NR wollte der Idee eine zweite Chance geben, beantragte mit 14 zu 10 Stimmen Eintreten und schlug drei Ergänzungen zum Entwurf des Ständerats vor: Parteien sollen auch die Beträge offenlegen müssen, die sie von ihren Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern erhalten, auch Ständeratsmitglieder sollten ihr Wahlkampfbudget offenlegen müssen und die Dokumente, auf denen die verschiedenen Beträge ausgewiesen werden müssen, sollten stichprobenartig kontrolliert werden. Zudem schlug die SPK-NR bei den Schwellenwerten vor, die Vorschläge des Ständerats zu übernehmen: Kampagnenbudgets sollten ab einer Höhe von CHF 50'000 und Spenden ab CHF 25'000 offengelegt werden müssen.
Zur Diskussion standen in der Frühjahrssession 2021 auch einige Minderheitsanträge. Zuerst forderte eine von SVP-Mitgliedern angeführte Kommissionsminderheit, nicht auf die Vorlage einzutreten. Mit dem Gegenvorschlag wie auch mit der Initiative selber würde höchstens «Scheintransparenz» geschaffen und «der Bevölkerung Sand in die Augen» gestreut, argumentierte Martina Bircher (svp, AG) für diese Minderheit. Mit dem «administrativen Monster», das etwa durch Stückelung von Spenden einfach umgangen werden könne, werde über kurz oder lang eine staatliche Parteienfinanzierung eingeführt und das «bewährte Milizsystem zu Grabe» getragen. Die links-grünen Votantinnen (Nadine Masshardt, sp, BE; Ada Marra, sp, VD und Irène Kälin, gp, AG) hoben hingegen im Namen ihrer Fraktionen hervor, dass Transparenz nicht nur immer stärker von der Bevölkerung gefordert werde, sondern auch ein zentrales Element der Demokratie sei, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Auch die FDP votierte – gemäss ihrem Sprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) – für Eintreten, auch wenn volle Transparenz nicht möglich sei und das Vertrauen der Bevölkerung auch heute nach wie vor hoch sei. Auch die GLP sprach sich für einen Gegenvorschlag aus: Niemand könne heute ernsthaft gegen mehr Transparenz eintreten, argumentierte Michel Matter (glp, GE). Gegen Eintreten stimmten dann neben der fast geschlossenen SVP-Fraktion – nur Lukas Reimann (svp, SG) wich von der Fraktionslinie ab und Mike Egger (svp SG) enthielt sich der Stimme – lediglich noch 17 Angehörige der Mitte-Fraktion und vier Freisinnige (5 enthielten sich der Stimme). Die gesamthaft 70 Gegenstimmen waren aber gegen die 115 Stimmen, die für Eintreten votierten, chancenlos.
Eine von Marianne Streiff-Feller (evp, BE) angeführte Minderheit forderte für Spenden einen Mindestbetrag von CHF 10'000 und eine von Andri Silberschmidt angeführte Minderheit wollte diesen Betrag als Kompromissvorschlag bei CHF 15'000 ansetzen. Die Initiative selber sah hier CHF 10'000 vor und der Ständerat hatte sich für CHF 25'000 ausgesprochen. Nachdem die Minderheit Streiff-Feller zugunsten des Kompromissvorschlags zurückgezogen worden war, wurde dieser mit 118 zu 76 Stimmen angenommen, wobei die Gegenstimmen aus der SVP- und der Mitte-Fraktion stammten.
Eine SVP-Minderheit, angeführt von Michael Buffat (svp, VD), beantragte, den Vorschlag der SPK-NR für die Offenlegungspflicht der Beiträge von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern abzulehnen. Der Vaudois machte geltend, dass das Gesetz mit Aufnahme dieser Offenlegungspflicht noch weiter verkompliziert werde, weil Mandatsbeiträge ja an unterschiedliche Parteistufen (national, kantonal, kommunal) ausbezahlt würden. Auch hier unterlag eine SVP-Mitte-Koalition aus 77 Stimmen einer 117-Stimmen-Mehrheit, die sich für Beibehalten des neuen Vorschlags entschied.
Die gleiche SVP-Minderheit Buffat wollte auch vom Vorschlag der Kommission, Transparenz auch bei Kampagnen zu Ständeratswahlen herzustellen, nichts wissen. Michael Buffat argumentierte, dass es sich bei Ständeratswahlen um eine kantonale Angelegenheit handle und dass der Schwellenwert von CHF 50'000 ungerecht sei, weil dieser zwar bei grossen, aber wohl nicht bei kleinen Kantonen erreicht würde. Auch diese Minderheit scheiterte allerdings und der Nationalrat hiess die neue Regelung mit 139 zu 55 Stimmen gut. Erneut fand sich die SVP-Fraktion in der Minderheit, diesmal allerdings ohne Unterstützung der Mitte-Fraktion.
Eine weitere Minderheit, angeführt von Marianne Binder-Keller (mitte, AG), griff schliesslich auch den dritten Vorschlag der SPK-NR an, der stichprobenweise Kontrollen vorsah. Aufwand und Ertrag stünden hier in keinem Verhältnis, argumentierte die Aargauerin, die in ihrem Votum auch bekannt gab, dass die Mitte-Fraktion sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ablehne. Was nämlich bei beiden vergessen ginge, sei die Transparenz bei den «indirekten» Spenden. Eigentlich müssten alle Organisationen, also auch die Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und NGOs ihre Budgets offenlegen, damit wirklich Transparenz in der Politik herrschen könne. Mit 112 zu 82 Stimmen wurde erneut der Vorschlag der SPK-NR unterstützt.
Auch von der linken Ratsseite wurden Minderheitsanträge gestellt. Eine von Irène Kälin (gp, AG) angeführte Minderheit wollte auf einen im Ständerat abgelehnten Vorschlag der SPK-SR zurückkommen und eine Busse von CHF 20'000 für Zuwiderhandlung gegen die Transparenzregeln einführen. Der von den Grünen und der SP-Fraktion unterstützte Vorschlag kam auf 68 Stimmen (unterstützt von den drei EVP-Mitgliedern), wurde aber von den 125 Voten aus den anderen Fraktionen überstimmt.
Zu reden gab schliesslich auch ein kurzfristig schriftlich eingereichter Antrag von Thomas Aeschi (svp, ZG), der die von Marianne Binder geäusserte Kritik aufnahm und Transparenz für «alle politischen Organisationen» forderte. Verbände hätten viel grössere Beträge zur Verfügung als Parteien, weshalb sie ebenfalls in die Pflicht genommen werden müssten, war die schriftliche Begründung des Antrags. Hier schaltete sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter in die Diskussion ein und argumentierte, dass es wohl zu «rechtlich kaum lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten» kommen würde, wenn dieser Antrag gutgeheissen würde. Die Argumentation der Justizministerin schien zu verfangen, wurde der Antrag Aeschi doch mit 121 Stimmen abgelehnt. Die 69 Stimmen, die ihn gutgeheissen hätten, stammten aus der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und einer Mehrheit der Mitte-Fraktion.
In der Gesamtabstimmung standen 113 befürwortende 78 ablehnenden Stimmen gegenüber (3 Enthaltungen). Der Wind hatte damit gedreht, wie die Presse kommentierte: Im Gegensatz zur Gesamtabstimmung in der Herbstsession 2020 stimmten diesmal nicht nur die FDP, sondern auch die SP, die GP und die GLP für den Entwurf. Skepsis weckte er nach wie vor bei der SVP-Fraktion, die ihn mit 51 zu 2 Stimmen ablehnte, und bei der Mitte-Fraktion, bei der sich allerdings von 29 Stimmenden immerhin sieben für die Vorlage aussprachen. Der Ständerat wird sich in der Folge mit den drei neu geschaffenen Differenzen auseinandersetzen müssen.

Transparenz in der Politikfinanzierung (Pa. Iv. 19.400)
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Le Conseil national a rejeté, pendant la session d'hiver 2020, un postulat Streiff-Feller sur le délit de solidarité . Des initiatives similaires avaient déjà échoué auparavant. S'appuyant sur deux affaires récentes, celle d'une femme vaudoise ayant sous-loué un appartement à un requérant d'asile débouté ainsi que sur le procès du pasteur Norbert Valley qui avait mis à disposition sa cure, elle demande un examen sur la nécessité d'adapter la LEI afin que de tels actes désintéressés ne soient plus punissables.

Fournir en toute transparence un logement à un demandeur d'asile débouté ne doit pas être assimilé à un crime (Po. 20.4015)
Dossier: Kriminalisierung der Solidarität

Der Bund müsse den Kantonen umgehend die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, damit diese im Rahmen des Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel 2017–2020 die benötigten Ressourcen für einen effektiven Kampf gegen den Menschenhandel aufbauen können, so die Forderung einer Motion Streiff-Feller (evp, BE), die in der Wintersession 2020 vom Nationalrat angenommen wurde. Der NAP sehe unter anderem eine verstärkte Strafverfolgung vor, damit die Abschreckung glaubwürdig werde und sich die Ausbeutung von Menschen nicht mehr lohne. Diese Strafverfolgung sei jedoch komplex und ressourcenintensiv, weshalb sie gerade Kantone mit einem kleinen Polizeikorps nicht ohne Unterstützung des Bundes effektiv betreiben könnten, begründete die Motionärin ihren Vorstoss. Der Bundesrat hatte die Ablehnung der Motion beantragt, weil die Kantone bereits die Möglichkeit hätten, den Bund um personelle, materielle, fachliche oder technische Unterstützung für die Strafverfolgung in Menschenhandelsfällen zu ersuchen, unterlag damit im Nationalrat jedoch mit 108 zu 76 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Damit geht die Motion an den Ständerat.

Ressourcen für einen effektiven Kampf gegen den Menschenhandel (Mo. 19.3265)

Wie so vieles im Jahr 2020 stand auch der in der Wintersession 2020 zusammen mit der Staatsrechnung 2019 und dem ordentlichen zweiten Nachtrag zum Voranschlag 2020 behandelte Voranschlag 2021 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2022-2024 im Zeichen der Corona-Pandemie. Zum ersten Mal hatten sich National- und Ständerat vorgängig auf ein Notbudget geeinigt für den Fall, dass die Session Corona-bedingt abgebrochen werden müsste und der Voranschlag deshalb nicht zu Ende beraten werden könnte. Zudem hatte das Parlament neben unzähligen traditionellen erneut auch über zahlreiche im ursprünglichen Voranschlag oder in einer der drei vom Bundesrat eingereichten Nachmeldungen aufgeführten Corona-bedingten Budgetposten zu beraten, wobei es gleichzeitig entscheiden musste, welche davon als ausserordentliche Ausgaben verbucht und damit von der Schuldenbremse ausgenommen werden sollen. Die Kommissionssprecher Nicolet (svp, VD) und Fischer (glp, LU) erläuterten, dass das ursprüngliche Budget des Bundesrates ein Defizit von CHF 1.1 Mrd. aufgewiesen habe, dass dieses durch die Nachmeldungen aber auf über CHF 2 Mrd. CHF angestiegen sei; auf über CHF 4 Mrd. gar, wenn man die ausserordentlichen Ausgaben miteinbeziehe. Keine unwesentliche Rolle spielten dabei die Corona-bedingten Mehrausgaben, welche sich auf CHF 5.4 Mrd. beliefen (CHF 2.5 Mrd. davon sollten als ordentlicher, CHF 2.9 Mrd. als ausserordentlicher Zahlungsbedarf verbucht werden).
In der Folge beriet die grosse Kammer zwar einmal mehr zahlreiche Minderheitsanträge, nahm jedoch nur 7 Minderheits- oder Einzelanträge an und änderte die bundesrätliche Version nur in 14 Bereichen ab. Dadurch erhöhte der Nationalrat die Ausgaben gegenüber dem bundesrätlichen Entwurf um CHF 726 Mio. und gegenüber der FK-NR um CHF 15 Mio. und nahm den Entwurf zum Schluss mit 190 zu 2 Stimmen deutlich an.

Vor der Detailberatung betonten die Kommissionssprecher, dass die FK-NR dem Bundesrat weitgehend gefolgt sei, gerade bei den Covid-19-Massnahmen und bei den Direktzahlungen in der Landwirtschaft aber einige Änderungen angebracht habe. Insgesamt schöpfe die Kommission den Schuldenbremse-bedingten Spielraum mit einem Defizit von CHF 2 Mrd. nicht vollständig aus – möglich wäre ein Defizit von CHF 3.2 Mrd. Der dadurch verbleibende strukturelle Überschuss von CHF 1.2 Mrd. sollte, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, dem Amortisationskonto der Schuldenbremse gutgeschrieben und entsprechend für den Abbau der als ausserordentliche Ausgaben verbuchten Corona-Defizite verwendet werden, wie es der Bundesrat auch für den budgetierten Überschuss in der Staatsrechnung 2019 beantragt hatte.
Ergänzend wies Finanzminister Maurer darauf hin, dass das Budget mit sehr vielen Unsicherheiten belastet sei. Je nach Dauer und Anzahl der Corona-Wellen und der Erholungszeit gewisser Bereiche könne sich der Voranschlag durch kommende Nachträge durchaus noch verschlechtern. Man habe hier aber ein Budget ohne Sparmassnahmen erstellt, um der Wirtschaft zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen, betonte er.

Der Nationalrat behandelte die einzelnen Budgetposten in sieben Blöcken, beginnend mit den Covid-19-Unterstützungshilfen. Stillschweigend folgte er dem Bundesrat dabei bei den meisten seiner Nachmeldungen, zum Beispiel bezüglich der Leistungen des Erwerbsersatzes, welche der Bundesrat von anfänglich CHF 490 Mio. auf CHF 2.2. Mrd. aufgestockt hatte, nachdem das Parlament im Rahmen des Covid-19-Gesetzes auch indirekt betroffenen Selbständigen Zugang zur EO gewährt hatte; bezüglich der Unterstützung für den Kulturbereich, wie sie in der Herbstsession 2020 in der Kulturbotschaft beschlossen worden war; bezüglich der Arzneimittelbeschaffung; der Lagerhaltung von Ethanol; der Härtefallentschädigung für Vermietende; des öffentlichen Verkehrs oder der Stabilisierung von Skyguide. Minderheitsanträge lagen unter anderem bezüglich der kantonalen Härtefallmassnahmen für Unternehmen vor. Hier hatte der Bundesrat den anfänglichen Verpflichtungskredit von CHF 200 Mio. auf CHF 680 Mio. aufgestockt, eine Minderheit Widmer (sp, ZH) verlangte hingegen eine weitere Erhöhung auf CHF 1 Mrd. Bundesrat Maurer bat den Rat jedoch darum, bei den mit den Kantonen ausgehandelten CHF 680 Mio. zu bleiben, da eine Erhöhung gegen Treu und Glauben verstossen würde – die Kantone müssten entsprechend ebenfalls höhere Beträge sprechen. Zudem wollte dieselbe Minderheit Widmer den Verpflichtungskredit durch einen Zahlungskredit ersetzen, so dass diese Mittel den Kantonen rasch zur Verfügung stehen könnten; die Kommission schlug stattdessen eine Ergänzung des Verpflichtungskredits durch einen entsprechenden Zahlungskredit vor. Finanzminister Maurer kritisierte die Umwandlung, da sie dem Finanzhaushaltsgesetz widerspreche und sich der Bund ja erst beteiligen müsse, wenn die Kantone durch ihre Darlehen Verluste erlitten. Entsprechend müssten die nicht ausgeschöpften Kredite jeweils übertragen werden. Mit 110 zu 78 Stimmen sprach sich der Nationalrat gegen die Minderheit Widmer aus, die immerhin bei den geschlossen stimmenden SP-, Grünen- und GLP-Fraktionen Anklang fand, nahm jedoch den neuen Zahlungskredit stillschweigend an.

Im zweiten Block – Beziehungen zum Ausland und Migration – lagen zwei Gruppen von Minderheitsanträgen vor. So beantragten auf der einen Seite Minderheiten aus der SVP-Fraktion (Grin (svp, VD) und Keller (svp, NW)), Beträge bei der Entwicklungszusammenarbeit, bei multilateralen Organisationen oder bei den Darlehen und Beteiligungen in Entwicklungsländern zu senken und sie damit auf dem Stand des Vorjahres zu belassen. Nicht nur in den Entwicklungsländern, auch in der Schweiz müsse man der schwierigen Rechnungssituation 2021 Rechnung tragen, argumentierte etwa Grin. Auf der anderen Seite versuchten Minderheiten aus der SP- und der Grünen-Fraktion (Friedl (sp, SG) und Wettstein (gp, SO)), unter anderem die Kredite der Entwicklungszusammenarbeit, für humanitäre Aktionen, zur zivilen Konfliktbearbeitung sowie für Integrationsmassnahmen für Ausländerinnen und Ausländer zu erhöhen, um sicherzustellen, dass die APD-Quote, welche auf 0.5 Prozent des BNE festgelegt worden war, auch wirklich erreicht werde. Roland Fischer (glp, LU) verwies für die Kommission darauf, dass die Kredite im Budget den Parlamentsbeschlüssen zu den Zahlungsrahmen für internationale Zusammenarbeit entsprechen und die Kommission entsprechend Erhöhungen oder Kürzungen ablehne. Folglich sprach sich der Nationalrat gegen sämtliche Minderheitsanträge aus, diese fanden denn auch kaum über die jeweiligen Fraktionen hinaus Unterstützung.

Dasselbe Bild zeigt sich im dritten Block, in dem es um die soziale Wohlfahrt ging. Minderheiten Guggisberg (svp, BE) und Nicolet (svp, VD) beantragten tiefere Kredite respektive den Verzicht auf eine Aufstockung der Kredite für Massnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern, für familienergänzende Kinderbetreuung sowie für den Kinderschutz und die Kinderrechte. Die entsprechenden Aufgaben lägen vor allem in der Kompetenz der Gemeinden und Kantone, weshalb auf eine Aufstockung beim Bund verzichtet werden solle. Eine Minderheit Dandrès (sp, GE) wollte das Budget des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen aufstocken, weil gerade Menschen mit Behinderungen von der Corona-Pandemie besonders stark getroffen worden seien. Zudem sollte auch der Betrag des Bundesamtes für Verkehr zur Behindertengleichstellung für Investitionen in die Barrierefreiheit aufgestockt werden. Letzterer Betrag sei jedoch nicht gekürzt worden, wie einige Sprechende vermuteten, sondern werde neu über den Bahninfrastrukturfonds finanziert, erklärte Finanzminister Maurer. Auch in diesem Block wurden sämtliche Minderheitsanträge deutlich abgelehnt.

Im vierten Block, in dem es um Kultur, Bildung, Forschung und Sport ging, waren die Bildungsanträge wie in früheren Jahren vergleichsweise erfolgreich. Der Nationalrat stimmte Einzelanträgen von Christian Wasserfallen (fdp, BE) sowie Matthias Aebischer (sp, BE) und einem Minderheitsantrag Schneider Schüttel (sp, FR) zu. Wasserfallen und Aebischer wollten verschiedene Kredite des SBFI und des ETH-Bereichs aufstocken (unter anderem den Finanzierungsbeitrag an den ETH-Bereich und an die Forschungseinrichtungen von nationaler Bedeutung) und damit die Entscheidungen des Nationalrats aus der BFI-Botschaft, die sich gerade im Differenzbereinigungsverfahren befand, aufnehmen. Alle vier Einzelanträge fanden im Rat eine Mehrheit, obwohl sie von der SVP- sowie von mehr oder weniger grossen Teilen der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion abgelehnt wurden. Die Minderheit Schneider Schüttel wollte den Betrag bei der internationalen Bildungs-Mobilität verdoppeln und auch in den Finanzplanjahren sehr stark aufstocken, um so ab 2021 die Schweizer Vollassoziierung an Erasmus plus zu finanzieren. Kommissionssprecher Fischer (glp, LU) wies jedoch darauf hin, dass die Bedingungen für die Teilnahme von Drittstaaten noch nicht bekannt seien und man das Geld entsprechend erst dann beantragen wolle, wenn man die genauen Kosten kenne. Der Nationalrat folgte der Kommission diesbezüglich zwar im Voranschlagsjahr, nahm aber die Erhöhungen für die Finanzplanjahre mit 93 zu 86 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) an. Erfolglos blieben in diesem Block Kürzungsanträge bei Pro Helvetia, bei verschiedenen Kultureinrichtungen (Minderheiten Guggisberg), deren Kredit die FK-NR aufgrund der Kulturbotschaft aufgestockt hatte, sowie beim Schiesswesen (Minderheit Wettstein).

Landwirtschaft und Tourismus standen im fünften Block im Zentrum und einmal mehr wurde die 2017 angenommene Motion Dittli (fdp, UR; Mo. 16.3705) zum Streitpunkt. Der Bundesrat hatte die Direktzahlungen gegenüber dem Jahr 2020 aufgrund der negativen Teuerung reduziert – gemäss der Motion Dittli soll jeweils die tatsächlich stattgefundene Teuerung verrechnet werden. Die Kommission schlug nun aber vor, zum früheren Betrag zurückzukehren. Der Finanzminister zeigte sich genervt über diesen Entscheid: Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssten sich überlegen, «ob Sie uns überhaupt solche Aufträge erteilen wollen, wenn Sie sich letztlich nicht daran halten. Das auszurechnen, gibt nämlich einiges zu tun». Mit dieser Darstellung zeigten sich aber verschiedene Sprechende nicht einverstanden. So argumentierten Heinz Siegenthaler (bdp, BE) und Markus Ritter (cvp, SG), dass der Bundesrat in der Botschaft zur Agrarpolitik 2018-2021 die Teuerung nicht ausgleichen wollte und zusätzlich eine nominelle Kürzung vorgenommen habe. Das Parlament habe in der Folge auf die Teuerung verzichtet, aber die Kürzung rückgängig gemacht. Nun dürfe aber keine Teuerung korrigiert werden, die man gar nie gewährt habe. Auch eine linke Minderheit Schneider Schüttel (sp, FR) zeigte sich bereit, die Direktzahlungen zu erhöhen, solange dies zielgerichtet erfolge, und schlug vor, als Reaktion auf das abgelehnte Jagdgesetz eine Krediterhöhung um CHF 1.6 Mio. in den Planungsgrössen den Sömmerungsbeiträgen an die nachhaltige Schafalpung zuzuweisen. Eine zweite Minderheit Schneider Schüttel beantragte, bezüglich der Direktzahlungen dem Bundesrat zu folgen. Der Rat entschied sich in der Folge sowohl für eine Erhöhung um CHF 1.8 Mio. für die Sömmerungsbeiträge als auch für die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Erhöhung um fast CHF 17 Mio. und lehnte entsprechend den Antrag der Minderheit II ab. Weitere Minderheitsanträge zur Pflanzen- und Tierzucht und zur Förderung von Innovationen und Zusammenarbeit im Tourismus (Minderheiten Wettstein) fanden keine Mehrheit, jedoch folgte der Nationalrat stillschweigend dem Antrag seiner Kommission, das Globalbudget von Agroscope für deren Restrukturierung um CHF 4.1 Mio. aufzustocken.

Im sechsten Block behandelte der Rat die Themen Verkehr und Umwelt und änderte hier stillschweigend die Sollwerte für die Auslastung des öffentlichen Verkehrs und des Schienengüterverkehrs. Diese sollen überdies auch in den Finanzplanjahren um jährlich 0.1 Prozent steigen. Erfolgreich war auch eine Minderheit Gschwind (cvp, JU), die beantragte, den Kredit für Schäden durch Wildtiere, Jagd und Fischerei nicht zu erhöhen, da hier bereits genügend Mittel vorhanden seien (106 zu 86 Stimmen). Erfolglos blieben Minderheitsanträge auf höhere Kredite für den Technologietransfer und den Langsamverkehr (Minderheit Brélaz: gp, VD) und auf einen tieferen Kredit für Natur und Landschaft (Minderheit Nicolet). Bei der Förderung von Umwelttechnologien wollte die Kommissionsmehrheit den vom Bundesrat vorgeschlagenen Betrag um CHF 3 Mio. erhöhen und den Anfangsbetrag damit fast verdoppeln, was eine Minderheit Gmür bekämpfte. Die Förderung könne auch durch die Privatwirtschaft geschehen, nicht immer durch den Staat – sofern die Projekte gut seien. Die grosse Kammer folgte jedoch ihrer Kommissionsmehrheit.

Im siebten und letzten Block standen Eigenaufwand und Verwaltungsprozesse im Zentrum, wobei der Rat überall seiner Kommission folgte. Er lehnte sämtliche Anträge auf Kürzung, zum Beispiel bei den Parlamentsdiensten, bei denen eine Minderheit Strupler (svp, TG) auf zusätzliches bewaffnetes Sicherheitspersonal im Parlamentsgebäude verzichten wollte, oder bei der Aufstockung des Globalbudgets des BAFU (Minderheit Dandrès), ab. Umstrittener war die Frage, ob das Globalbudget des NDB erhöht und stattdessen der Kredit für Rüstungsaufwand und -investitionen des VBS reduziert werden soll. Eine Minderheit Widmer (sp, ZH) lehnte diesen Austausch ab, der Rat stimmte dem Kommissionsantrag jedoch deutlich zu. Abgelehnt wurde schliesslich auch der Antrag einer Minderheit Schwander (svp, SZ), wonach die gesamten Personalausgaben in den Finanzplanjahren sukzessive auf CHF 6 Mrd. reduziert und dort plafoniert werden sollten. Schliesslich schlug die Kommission vor, für die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS), die für die Durchführung der Sozialversicherungen der 1. Säule zuständig ist, vier neue Planungsgrössen bezüglich einer effizienten Bearbeitung der Versichertendossiers einzuführen, um so deren Effizienz zu steigern. Obwohl Finanzminister Maurer um die Annahme der Minderheiten Fischer und Gysi (sp, SG) für einen Verzicht auf die neuen Sollwerte bat, weil die ZAS inmitten eines Umbaus ihrer Informatik sei, wodurch die Effizienz der Institution ab 2024 gesteigert werden könne, sprach sich der Nationalrat für die Änderung aus.

Insgesamt erhöhte der Nationalrat damit die Ausgaben gegenüber dem bundesrätlichen Entwurf um CHF 726 Mio. und gegenüber der FK-NR um CHF 15 Mio. Offen war schliesslich noch die Frage, welche Kredite als ausserordentliche Ausgaben verbucht werden sollen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Covid-Kosten für die Erwerbsausfallentschädigungen für Selbständigerwerbende (CHF 2.2 Mrd.) und CHF 680 Mio. für die Härtefallhilfe der Kantone als ausserordentlichen Kredite zu behandeln, während die übrigen Corona-bedingten Ausgaben über CHF 2.5 Mrd. dem ordentlichen Zahlungsbedarf zugerechnet werden sollten. Die Kommission beantragte dem Bundesrat zu folgen, während eine Minderheit Fischer (glp, LU) die gesamten Corona-bedingten Mehrkosten von CHF 5.4 Mrd. als ausserordentliche Ausgaben dem Amortisationskonto belasten wollte. Eine einheitliche Verbuchung würde eine höhere Transparenz ermöglichen, erklärte Fischer, zumal es keine objektiven und rechtlichen Kriterien für eine Einteilung in ordentliche und ausserordentliche Ausgaben gebe. Zusätzlich würde dadurch der Schuldenbremse-bedingte Spielraum vergrössert, indem der strukturelle Überschuss von CHF 1.2 Mrd. auf CHF 3.7 Mrd. erhöht würde. Unverändert bliebe dabei das Finanzierungsdefizit in der Höhe von CHF 4.917 Mrd. Auch Finanzminister Maurer bestätigte, dass die Verbuchung keine exakte Wissenschaft sei und entsprechend beide Lösungen möglich wären. Der Bundesrat habe diejenigen Ausgaben, die man «im Voraus» kenne, im ordentlichen Budget untergebracht und einzig die bei der Budgetierung unbekannten Kredite für die EO und die Härtefallhilfen ausserordentlich verbucht. Die Transparenz werde zukünftig durch einen noch zu erstellenden Zusatzbericht hergestellt, welcher die gesamten aufgeschlüsselten Kosten der Covid-19-Krise für den Bund aufzeigen werde. Mit 112 zu 73 Stimmen folgte der Rat gegen den Willen der SP, der Grünen und der GLP der Kommissionsmehrheit. In der darauffolgenden Gesamtabstimmung sprach sich der Nationalrat mit 190 zu 2 Stimmen für seinen Budgetentwurf aus. Die ablehnenden Stimmen stammten von Erich Hess (svp, BE) und Christian Imark (svp, SO). Auch die Bundesbeschlüsse zu den Planungsgrössen, Finanzplanjahren, zum Bahninfrastrukturfonds und dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds wurden jeweils sehr deutlich angenommen.

Voranschlag 2021 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2022-2024 (BRG 20.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2021: Voranschlag und Staatsrechnung
Dossier: Mögliche Massnahmen zur Reduktion des Covid-19-bedingten Defizits

In der Herbstsession 2020 beendete der Nationalrat die Diskussionen um die Überbrückungshilfe für Parlamentarierinnen und Parlamentarier, indem er mit 106 zu 81 Stimmen (2 Enthaltungen) beschloss, nicht auf das Geschäft einzutreten. Damit folgte die grosse Kammer ihrer SPK-NR, die zuvor mit 13 zu 11 Stimmen Nicht-Eintreten empfohlen hatte. Ursprünglich hatte die Kommission entsprechend der ursprünglichen Forderung einer parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) vorgesehen, diese finanzielle Hilfe für ehemalige Parlamentsmitglieder gänzlich abzuschaffen. Nachdem der Nationalrat die Vorlage abgeschwächt hatte – neu sollten nur noch abgewählte, nicht aber freiwillig zurücktretende Parlamentsmitglieder von einer finanziellen Überbrückung profitieren –, war der Ständerat in der Sommersession 2020 gar nicht erst auf die Vorlage eingetreten.
Es sei eine lange Geschichte, die sich im Kreis drehe, fasste Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) zusammen. Eine Minderheit kritisiere dabei – «vielleicht auch zurecht» –, wie der Ständerat mit der Vorlage umgehe: «Wenn dem Ständerat etwas nicht passt, wird es vom Tisch gewischt». Allerdings sei damit zu rechnen, dass die kleine Kammer auch ein zweites Mal nicht eintreten werde, selbst wenn sich der Nationalrat nun mit der Vorlage beschäftigen würde, mahnte Jauslin. Es gelte deshalb, der Sache ein Ende zu bereiten. Für besagte Minderheit wiederholte Gregor Rutz (svp, ZH) noch einmal die bereits bekannten Argumente: Ratsmitglieder, die neben der Arbeitslosenversicherung als Milizparlamentarierinnen und -parlamentarier nach einem geplanten Rücktritt auch noch Einkommen erzielten, sollten nicht in den Genuss staatlich finanzierter Überbrückungshilfe kommen. Der Ständerat brauche ab und zu ein paar Monate mehr; auch er werde aber die Wichtigkeit der Angelegenheit noch erkennen. Die rhetorische Frage von Ada Marra (sp, VD), ob es niemand seltsam finde, dass die Kommissionsminderheit von einem Fraktionsmitglied jener Partei angeführt werde, die nichts dagegen einzuwenden habe, dass Christoph Blocher, AHV-Bezüger und reich, ebenfalls eine Art von Überbrückungshilfe beanspruche, blieb unbeantwortet – die Vaudoise spielte auf die Forderung des alt-Bundesrats an, sein Ruhegehalt nachträglich beziehen zu können. In der Folge warb Marianne Streiff-Feller (evp, BE) im Namen der Mitte-Fraktion für die 2019 gefundene Kompromisslösung und entsprechend für Eintreten und Kurt Fluri (fdp, SO) gab bekannt, dass die FDP-Fraktion auch aus finanziellen Überlegungen für Nicht-Eintreten stimmen werde: Auch mit der abgeschwächten Lösung würden nur unwesentliche Einsparungen der pro Jahr im Schnitt rund CHF 100'000 betragenden Überbrückungshilfen gemacht. Entsprechend stammten die Stimmen, die das Geschäft – erfolglos – gerne noch einmal an die kleine Kammer geschickt hätten, aus der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion, aus der Mitte-Fraktion (28 befürwortende, 1 Gegenstimme) und aus der FDP-Fraktion (4 abweichende, befürwortende Stimmen).

Überbrückungshilfe für Parlamentarierinnen und Parlamentarier (Pa. Iv. 16.460)

In der Herbstsession 2020 beugte sich der Nationalrat als Zweitrat über den von der SPK-SR ausgearbeiteten indirekten Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative, mit dem mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung geschaffen werden soll. Nicht weniger als 40 Wortmeldungen zeugen von der Bedeutung, die der Vorlage auch in der grossen Kammer entgegengebracht wurde. Die beiden Sprecher der SPK-NR – Andri Silberschmidt (fdp, ZH) und Damien Cottier (fdp, NE) – plädierten für Eintreten und warben für einige von ihrer Kommission vorgenommene gewichtige Änderungen des ständerätlichen Vorschlags: Die Mehrheit der Kommission stelle sich, anders als von der kleinen Kammer vorgeschlagen, gegen jegliche Offenlegung des Namens von Spenderinnen und Spendern, verlange aber nebst der Offenlegung der Einnahmen auch jene der Ausgaben von politischen Akteuren, jedoch ohne dass hier erhaltene Zuwendungen offengelegt werden müssten. Ebenfalls abweichend zum Ständerat schlage die Mehrheit der Kommission vor, dass bei Abstimmungen und Wahlen bereits Kampagnenbudgets von CHF 50'000 offengelegt werden – der Ständerat hatte hier eine Obergrenze von CHF 250'000 vorgesehen und auch die Initiative sah eine höhere Obergrenze von CHF 100'000 vor. Schliesslich – so die beiden Kommissionssprecher – müsse diese Offenlegungspflicht nicht nur für Kandidierende für den Nationalrat, sondern auch für jene für den Ständerat gelten.
Zuerst wurde über Eintreten verhandelt. Eine Kommissionsminderheit bestehend aus Mitgliedern der SVP-Fraktion begründete ihren Nichteintretensantrag mit den zu komplizierten Transparenzregeln, die vom Vorschlag vorgesehen seien; das Vertrauen in die Politik würde so eher geschwächt als gestärkt. Gregor Rutz (svp, ZH) bezeichnete die Vorlage gar als «Absurdität»: Es bestehe kein Handlungsbedarf und der Vorwurf, die Schweizer Politik sei korrupt, – Rutz nahm Explizit auf die Vorwürfe der GRECO Bezug – sei «Unsinn». Transparenz brauche man dort, wo demokratische Defizite bestünden, was in der Schweiz nicht der Fall sei. Nadine Masshardt (sp, BE), ihres Zeichens Co-Präsidentin des Trägervereins der Transparenz-Initiative, plädierte für die SP-Fraktion für Eintreten: Die SPK-NR habe den Gegenvorschlag wirkungslos gemacht, was insbesondere hinsichtlich der Offenlegung der Spenderinnen und Spender wieder zu korrigieren sei. Ins gleiche Horn stiess Irène Kälin (gp, AG) für die Fraktion der Grünen. Ohne Offenlegung von Spenden könne nicht von Transparenz gesprochen werden. Ihre Fraktion sei deshalb für Eintreten, um hier Korrekturen anzubringen. Auch die Mitte-Fraktion plädierte via ihre Sprecherin Marianne Binder-Keller (cvp, AG) für Eintreten, auch wenn die CVP sowohl gegen die Initiative als auch gegen den hier vorliegenden Vorschlag sei. Dies einerseits, weil die Bestrebungen letztlich auf eine staatliche Parteienfinanzierung hinausliefen, und andererseits, weil eine Forderung der CVP nicht erfüllt sei, nämlich die Offenlegung von indirekten Spenden und Querfinanzierungen beispielsweise durch Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände. Doris Fiala (fdp, ZH) sprach von «Zeitgeist», der im Moment mehr Transparenz fordere. Allerdings sei diese Forderung in einem Milizsystem umsichtiger umzusetzen als bei einem System mit Profipolitikerinnen und -politikern – Fiala nahm Bezug auf ihr Mandat im Europarat, bei dem sie einer sehr strengen Offenlegungspflicht unterworfen sei. Auch die FDP wolle keine staatliche Parteienfinanzierung und die Wahrung der Privatsphäre auch bei politischen Zuwendungen. Der Trend für mehr Transparenz werde «auch vor den Türen der Schweizer Parteien keinen Halt machen», vermutete Corina Gredig (glp, ZH) und plädierte für ihre GLP-Fraktion nicht nur für Eintreten, sondern auch für die Offenlegung der Namen von Spenderinnen und Spendern. Vor der Abstimmung über Eintreten meldete sich auch Justizministerin Karin Keller-Sutter zu Wort. Sie erinnerte daran, dass ein gänzlicher Verzicht der Offenlegung von Spenden ein Kernstück der Transparenzinitiative entfernen würde. Der wesentlich tiefere Schwellenwert von CHF 50'000 für die Offenlegung von Kampagnen wiederum ziehe wohl vor allem bürokratischen Aufwand nach sich. Zudem sei die Forderung nach einer Offenlegung der Kampagnenzuwendungen von Ständeratskandidierenden deshalb heikel, weil ja eigentlich die Kantone für die Wahlen in die kleine Kammer verantwortlich seien. Sie bat den Rat aber auch deshalb um Eintreten, weil es sinnvoller sei, eine Regelung auf Gesetzesstufe anzubringen als in der Verfassung. Wie aufgrund der Sprecherinnen und Sprecher nicht anders zu erwarten war, stimmte die Mehrheit der anwesenden Nationalrätinnen und Nationalräte für Eintreten. Die 57 Nein-Stimmen stammten aus der SVP- (52 Stimmen) und der FDP-Fraktion (5 Stimmen), hatten aber gegen die 136 Ja-Stimmen keine Chance.

In der Folge ging es um die bereits in der Eintretensdebatte angekündigten Änderungsanträge. Eine Mehrheit von 135 zu 56 Stimmen folgte dem Kommissionsvorschlag, dass Parteien nicht nur wie vom Ständerat vorgesehen ihre Einnahmen, sondern auch ihre Ausgaben offenlegen müssen. Der SVP-Minderheitsantrag, der dem Ständerat folgen wollte, scheiterte also deutlich. Wesentlich knapper scheiterte der Minderheitsantrag Streiff (evp, BE), mit dem die Offenlegung von Spenden gefordert worden wäre, nicht aber wie vom Ständerat vorgesehen mit einer Obergrenze von CHF 25'000, sondern mit einer Obergrenze von CHF 10'000. Die 94 Stimmen der geschlossenen Fraktionen von SP und Grünen, unterstützt von 15 Stimmen der Grünliberalen – einzig Martin Bäumle (glp, ZH) sprach sich für die Mehrheit aus, die die Offenlegung der Spenden ganz streichen wollte – sowie von 9 Stimmen aus der Mitte-Fraktion und den 2 SVP-Stimmen von Mike Egger (svp, SG) und Lukas Reimann (svp, SG) reichten gegen die 96 Stimmen für die Kommissionsmehrheit nicht aus. Der Vorschlag der Kommission obsiegte auch bei der Frage nach der Höhe der Kampagnenausgaben. Nicht CHF 250'000 wie vom Ständerat und einer Minderheit Bircher (svp, AG) vorgesehen (130 zu 60 Stimmen), aber auch nicht CHF 100'000, wie von der Minderheit Streiff vorgeschlagen (171 zu 18 Stimmen), sondern Kampagnenausgaben von CHF 50'000 sollen neu eine Offenlegung zwingend machen. Angenommen wurde auch der Vorschlag, dass die einzureichenden Dokumente stichprobenweise zu kontrollieren seien.
Da damit aber keiner der Minderheitsanträge eine Mehrheit gefunden hatte und die von praktisch allen Fraktionen kritisierte, von der SPK-NR ziemlich verwässerte Vorlage so insgesamt zu viele Gegnerinnen und Gegner hatte, kam es bei der Gesamtabstimmung wenig überraschend zu einer deutlichen Abfuhr. Lediglich noch 17 Stimmen aus der FDP-Fraktion sowie eine Stimme aus der Mitte-Fraktion (Martin Landolt (bdp, GL)) unterstützten die Vorlage; standen aber gegen die 168 Gegenstimmen (9 Enthaltungen) auf verlorenem Posten. Damit wird der Ball dem Ständerat zurückgespielt.

Transparenz in der Politikfinanzierung (Pa. Iv. 19.400)
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Die beiden parlamentarischen Initiativen, mit denen eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter auf Wahllisten gefordert wurde (Pa.Iv. 19.440 von Irène Kälin (gp, AG) sowie Pa.Iv. 19.460 von Jürg Grossen (glp, BE)), wurden in der Herbstsession 2020 vom Nationalrat gemeinsam beraten. Die SPK-NR hatte mit je 15 zu 10 Stimmen beantragt, den beiden Initiativen keine Folge zu geben. In der Debatte machten sich die Initiantin und der Initiant für ihre Anliegen stark. Die eidgenössischen Wahlen 2019 hätten gezeigt, dass es eine Rolle spiele, wie viele Frauen auf den Wahllisten vertreten seien. Der neue Frauenanteil in der grossen Kammer von etwas über 40 Prozent entspreche praktisch dem Anteil von Frauen auf den Listen, so Irène Kälin. 40 Prozent sei zwar besser als 30 Prozent – der Anteil vor den eidgenössischen Wahlen 2019 – aber eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter sei damit nach wie vor nicht Realität, obwohl dies von der Verfassung gefordert werde. Auch Jürg Grossen hob den Anstieg des Frauenanteils nach den Wahlen hervor, betonte aber auch, dass die weibliche Hälfte der Bevölkerung «im Bundeshaus nach wie vor deutlich untervertreten» sei. Die Erfahrung zeige zudem, dass der Frauenanteil rasch wieder erodiere, wenn die Forderung von Parität nicht umgesetzt werde oder dauernd wieder erkämpft werden müsse. Dabei seien nicht fixe Quoten anzustreben, sondern Anreize zu schaffen: Nur noch jene Parteien sollen Fraktionsbeiträge erhalten, die hinsichtlich Geschlecht mit ausgewogenen Wahllisten antreten. Marianne Binder-Keller (cvp, AG) nahm für die Kommission Stellung und bezeichnete die beiden Anlegen als «mutierte Varianten bereits abgelehnter Vorstösse, die Quoten auf Wahllisten forderten». Sie wies darauf hin, dass sie als Frau gerade aus Gleichstellungsüberlegungen gegen «diese Form von Kandidierendenobligatorium» sei. Die beiden Initiativen würden implizieren, dass Frauen nicht in der Lage seien, sich selber durchzusetzen. Frau sein, sei kein Programm und es wäre ja dann auch die Frage, was passieren würde, wenn es eine Mehrheit von Frauen im Parlament gebe. Die Mehrheit der Kommission sei überdies nicht der Meinung, dass Gleichstellung heute verhindert werde. Es werde ja niemand an einer Kandidatur gehindert und letztlich sei es der Souverän, dem zugetraut werden dürfe, dass er nicht auf die Wahl von Frauen verzichte, «nur weil sie Frauen sind». Hingegen sehe es die Mehrheit der Kommission als «undemokratische Einmischung», wenn den Parteien vorgeschrieben würde, wen sie bei Wahlen nominieren müssten. Fraktionsbeiträge von der Gestaltung der Listen abhängig zu machen, erachte die SPK-NR zudem als sachfremd, zentralistisch und unliberal.
Wie zu erwarten war, wurden die beiden Vorstösse von den geschlossenen Fraktionen der SP und der GP sowie zumindest bei der Initiative Grossen auch von der Mehrheit der GLP unterstützt. Die 80 Stimmen (gegen 114 Gegenstimmen) bei der parlamentarischen Initiative Kälin bzw. die 83 Stimmen (gegen 109 Gegenstimmen) bei der Initiative Grossen – beide Male ohne Enthaltungen – reichten aber nicht aus und die Anliegen wurden versenkt. Über die Lager der Initiantin und des Initianten hinaus vermochten die Anliegen praktisch nicht zu mobilisieren, insbesondere nicht bei den Nationalrätinnen des bürgerlichen Lagers: Nur Céline Amaudruz (svp, GE) und Marianne Streiff-Feller (evp, BE) unterstützten den Vorschlag von Jürg Grossen und Jacqueline de Quattro (fdp, VD) die Idee von Irène Kälin.

Ausgewogene Vertretung der Geschlechter auf Wahllisten (Pa.Iv. 19.460 und Pa.Iv. 19.440)
Dossier: Bestrebungen für Frauenquoten in politischen Ämtern, Kommissionen und der Verwaltung
Dossier: Frauenanteil im Parlament

Mit dem Postulat «Der 12. September, ein Feiertag der modernen Schweiz!» forderte Heinz Siegenthaler (bdp, BE) im Sommer 2018 vom Bundesrat, zu prüfen, ob der 12. September als Feiertag auf eidgenössischer Ebene eingeführt werden könne.
Am 12. September, so Siegenthaler, solle jeweils die Inkraftsetzung der ersten Bundesverfassung von 1848 gefeiert werden. Von nationaler Bedeutung sei dies, da an diesem Tag in der Schweiz «hochgeschätzte Güter wie direkte Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung oder der Föderalismus» geboren worden seien. Damit würde man der modernen Schweiz Rechnung tragen.
Der Bundesrat anerkannte in seiner Antwort die historische Bedeutung des Datums für die Schweiz zwar, empfahl aber die Ablehnung des Postulats, da der 12. September nicht das einzig relevante Datum für die moderne Eidgenossenschaft sei. Auch sei der Erste August bestens in der Bevölkerung akzeptiert und verankert. Der Bundesrat verwies auch auf die Argumentation, mit welcher er bereits 2009 eine ähnliche Anfrage von Margret Kiener Nellen (sp, BE) beantwortet hatte.
Letztlich schien das Postulat zu wenig Priorität zu geniessen: Am 19. Juni 2020 wurde es nach zwei Jahren wegen Nichtbehandlung abgeschrieben.

Der 12. September, ein Feiertag der modernen Schweiz!

Am ersten Tag der ausserordentlichen Session im Mai 2020, die der Bewältigung der Corona-Krise gewidmet war, gab Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga eine Erklärung des Bundesrates zur Corona-Pandemie ab. Die Schweiz sei nicht unverwundbar; ein kleines Virus habe die grossen Grundrechte in Gefahr gebracht, die der Bundesrat zur Bewältigung der Krise habe beschneiden müssen, indem er Persönlichkeits- und Wirtschaftsrechte und die kantonale Hoheit eingeschränkt habe – sich dabei stets an der von der Bundesverfassung vorgesehenen Verhältnismässigkeit orientierend. Die ergriffenen Massnahmen hätten zu vielen Härtefällen geführt und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie seien schmerzhaft. Jetzt gelte es, die Schweiz aus der Krise zu führen, wobei das Parlament wieder in der Verantwortung sei. «Unsere starke Demokratie» habe das Virus nicht beschädigen können. Es sei wichtig, dass das Parlament die Entscheide des Bundesrats hinterfrage, damit man in einem fruchtbaren Dialog gemeinsame Lösungen finde. Sie denke aber auch an die Menschen, die in der Krise Angehörige verloren haben und danke allen, die das Land stützten.
Bei der Fraktionsdebatte (Kategorie IIIa), die auf die Erklärung folgte, nahmen die Fraktionssprecherinnen und -sprecher der Fraktionsgrösse nach Stellung zur Krise. Albert Rösti (svp, BE) und Céline Amaudruz (svp, GE) dankten der Polizei, der Armee und dem Zivilschutz und kritisierten zuerst die mangelnde Vorbereitung auf die Krise. Medizinische Mittel, Medikamente und Geräte hätten nur in ungenügender Menge zur Verfügung gestanden. Mit Besorgnis nehme die SVP zudem die wirtschaftlichen Schäden wahr. Man müsse die Menschen vor Covid-19, aber auch «vor dem wirtschaftlichen Untergang» schützen. Das Notrecht sei aufzuheben und auch im Falle einer zweiten Welle nicht wieder einzusetzen. Ein zweiter Lockdown müsse vermieden werden, der Bundesrat müsse die Krisenvorsorge verbessern und die Grenzkontrollen aufrechterhalten. Die Wirtschaft müsse zudem mit tiefen Steuern, Gebühren und Abgaben in Fahrt gebracht werden.
Roger Nordmann (sp, VD) bedankte sich im Namen der SP-Fraktion beim Gesundheits- und Pflegepersonal, dem Verkaufspersonal, den Erziehungs- und Lehrpersonen, den Chauffeuren und Chauffeusen und der Polizei, die sich der Gefahr einer Covid-Erkrankung ausgesetzt hätten. Es seien die Menschen mit den häufig am schlechtesten bezahlten Berufen, die in phänomenaler Geschwindigkeit Hilfspläne ausgedacht und umgesetzt hätten. Dank ihnen sei eine Katastrophe vermieden worden. Aber auch dem Bundesrat müsse Dank ausgesprochen werden. Die SP wehre sich gegen den Versuch, einen Gegensatz zwischen Gesundheit und Wirtschaft herzustellen. Letzterer könne es nur gut gehen, wenn die Pandemie in den Griff gebracht werden könne. Der wirtschaftliche Aufschwung müsse zudem mit dem Schutz der natürlichen Ressourcen und dem Ziel einer Korrektur von Ungleichheiten verbunden werden. Weil die Pandemie global sei, könne die Schweiz die Krise nur im Verbund mit Europa angehen und müsse sich als reiches Land solidarisch mit ärmeren Staaten zeigen.
Im Namen der Mitte-Fraktion sprach Marco Romano (cvp, TI) den Menschen seinen Dank aus, die geholfen hätten, die Gesellschaft am Laufen zu halten. Auch der Bevölkerung, die sich an die Empfehlungen und die Regeln gehalten habe, gebühre Dank. Der Bundesrat müsse klarer und transparenter informieren und auf die politische und soziale Reife des Schweizer Volkes bauen. In unsicheren Zeiten brauche es eine starke Politik der Mitte und konstruktive Lösungen; es brauche nun ein Projekt für das ganze Land, um der grössten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderung der letzten Jahrzehnte zu begegnen. Marianne Streiff-Feller (evp, BE) und Martin Landolt (bdp, GL) – ebenfalls Angehörige der Mitte-Fraktion – dankten dem Bundesrat für das umsichtige Krisenmanagement. Streiff-Feller bat die Regierung, ihre Besonnenheit beizubehalten, und Landolt betonte, dass es gut sei, dass die Führung in der Situation der Krisenbewältigung beim Bundesrat liege. Es sei wesentlich einfacher, zu kommentieren, kritisieren oder zu loben, als die konkreten Entscheide treffen und Verantwortung übernehmen zu müssen. Das Parlament müsse der Versuchung widerstehen, «sich als Schattenregierung aufzuspielen».
Für die Fraktion der Grünen ergriffen Balthasar Glättli (gp, ZH) und Léonore Porchet (gp, VD) das Wort. Sie betonten die Chancen, die aus einer Krise erwachsen können. Glättli schlug etwa vor, mit den Milliarden an Wirtschaftshilfe nicht «die graue Wirtschaft von gestern» zu unterstützen, sondern in einen Umbau hin zu einer grünen Wirtschaft zu investieren. So könnten etwa die Erfahrungen mit Telearbeit zu einer Reduktion der Mobilität genutzt oder die Quartiersolidarität bewahrt werden. Ausserdem dürfe die Klimakrise, die andere grosse Krise neben der Pandemie, die im Gegensatz zu Covid vorhersehbar sei, nicht in Vergessenheit geraten. Glättli sprach sich zudem für Massnahmen aus, die das Parlament krisenresistenter und die Verhältnismässigkeit von Notverordnungen rasch überprüfbar machen. Porchet hob die Leistungen des Gesundheitspersonals hervor und erklärte, die Grünen forderten mehr Unterstützung – etwa ganz konkret in Form eines vierzehnten Monatslohnes.
Beat Walti (fdp, ZH) und Olivier Feller (fdp, VD) sprachen für die FDP-Fraktion. Walti hob hervor, dass das Gesundheits- sowie das Wirtschaftssystem auch in dieser ausserordentlichen Lage gut funktioniert hätten. Es verdiene Anerkennung, dass viele Menschen innert kürzester Zeit ihr Leben umorganisiert hätten. Bedenklich sei allerdings, wie wenig Reserven in vielen Bereichen vorhanden seien. Viele Unternehmen stünden am wirtschaftlichen Abgrund. Deshalb müsse man jetzt die Rahmenbedingungen so ausgestalten, dass die Innovationskraft der Schweiz gestärkt und ihre globale Vernetzung verbessert würden. Man müsse den Menschen zudem Eigenverantwortung zugestehen. Feller betonte, dass es hierfür eine schnelle Rückkehr zur Normalität brauche.
Für die GLP, die kleinste Fraktion im Parlament, ergriffen Tiana Angelina Moser (glp, ZH), Jürg Grossen (glp, BE) und François Pointet (glp, VD) das Wort. Moser betonte die einmalige Solidarität, die sich in der Krise gezeigt habe. Diesem Zusammenhalt sei – zusammen mit der nicht selbstverständlichen finanziellen Stabilität und tiefen Staatsverschuldung – Sorge zu tragen. Die geplanten Eingriffe zur Bewältigung der Krise dürften nicht zu einem «Providurium» werden. Die Krise sei auch eine Chance, um Digitalisierung zu realisieren und klimaschädliche Mobilität neu auszurichten. Grossen und Pointet dankten dem Gesamtbundesrat, der konsequent aber mit Augenmass agiert habe. Freilich müssten die Entscheide aber auch kritisch diskutiert werden, damit man aus der Krise lernen könne.
Nachdem Simonetta Sommaruga auf die verschiedenen Beiträge kurz einging – sie sprach von der selbstverständlich notwendigen Aufarbeitung der Krise und dem Stresstest, dem der Föderalismus ausgesetzt gewesen sei, aber auch von den funktionierenden Wirtschaftsmassnahmen und der Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten –, wurde sie mit einem bunten Strauss an Fragen von Vertreterinnen und Vertretern der bürgerlichen Parteien, vor allem aber seitens der SVP-Fraktion torpediert. Nicht so sehr die beschwichtigenden Antworten der Bundespräsidentin, sondern vielmehr die Fragen selber warfen dabei ein Licht auf die unterschiedlichen Interessen und Pläne der Fraktionen, wie die Krise bewertet und mit welchen Massnahmen sie überwunden werden sollte. So kritisierte etwa Roger Köppel (svp, ZH), dass die Politik des Bundesrates «zerstörerische Auswirkungen auf Wohlstand und Gesundheit» hätten; Yvette Estermann (svp, LU) fürchtete sich vor einem Impfzwang; Thomas Aeschi (svp, ZG) befürchtete die Verlängerung des Notstands bis September; Erich von Siebenthal (svp, BE) forderte Massnahmen, damit Gottesdienste wieder möglich sind; Mike Egger (svp, SG), Erich Hess (svp, BE) und Thomas Hurter (svp, SH) wollten eine Zusicherung, dass das CO2-Gesetz nicht prioritär behandelt werde; Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) fragte, wann der Bundesrat die ausserordentliche Lage beenden werde; und Piero Marchesi (svp, TI) verlangte eine generelle Maskenpflicht. Fragen kamen auch aus der Mitte-Fraktion – Marco Romano sorgte sich um den Grenzschutz mit Italien; Benjamin Roduit (cvp, VS) um den «Corona-Graben», also den Umstand, dass die Romandie und das Tessin stärker unter Covid-19 gelitten hätten als die Deutschschweiz; und Fabio Regazzi (cvp, TI) um die Situation der Restaurants. Für die FDP-Fraktion wollte Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) wissen, ob für einen neuerlichen Lockdown andere Massnahmen ergriffen würden; Christian Wasserfallen (fdp, BE) interessierte sich für die Grenzmodalitäten für die Exportwirtschaft; Rocco Cattaneo (fdp, TI) fragte nach konkreten Massnahmen für die Tourismusbranche; und Frédéric Borloz (fdp, VD) wollte eine Zusicherung, dass der Inländervorrang nach wie vor Geltung habe.

Am Nachmittag hielt die Bundespräsidentin ihre Erklärung dann auch im Ständerat ab. Nicht weniger als 20 Rednerinnen und Redner meldeten sich in der kleinen Kammer im Rahmen einer «Diskussion über die Erklärung» zu Wort. Pirmin Bischof (cvp, SO) äusserte seine Dankbarkeit, dass das Parlament nun gemeinsam mit dem Bundesrat, der «sehr gut, schnell und effizient gehandelt» habe, die politische Verantwortung wieder übernehmen könne. Ruedi Noser (fdp, ZH) stellte die These auf, dass die Politik in einen «Selbstschutzmodus» verfallen sei und die Illusion schaffe, dass der Staat für jeden Schaden aufkomme. Die Aufgabe der Politik sei es aber, «den Menschen ein gutes, möglichst selbstbestimmtes Leben in Freiheit, Wohlstand und Würde zu ermöglichen». Das bedeute aber auch, dass die Gesundheit nicht einziges Ziel staatlichen Handelns sein dürfe und dafür Freiheit, Wohlstand und Selbstbestimmung nicht geopfert werden dürfen. Das Prinzip «Politik senkt Todesraten, indem sie das Leben anhält» dürfe nicht weiter gelten. Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) erinnerte daran, dass die ärmsten der Gesellschaft nicht vernachlässigt werden dürften. Zudem habe die Krise gezeigt, dass ganz viel Solidarität herrsche, aber auch, dass das Gesundheitssystem gestärkt werden müsse. Insbesondere die Pflegeberufe müssten mehr Anerkennung erhalten. Hannes Germann (svp, SH) hob das Erfolgsmodell Schweiz hervor. Der Staat habe sich in der Krise als handlungsfähig erwiesen. Es gelte nun aber, den Ausstieg aus der Krise zu finden und dabei dieses Erfolgsmodell nicht zu gefährden. Das «gigantische Hilfspaket» schaffe Vertrauen und mache Mut. Es gelte aber, in dieser «Ausgabeneuphorie» Mass zu halten. Lisa Mazzone (gp, GE) sah im Umstand, dass man über die Begrenzung individueller Freiheiten schockiert gewesen sein, ein Zeichen dafür, wie wichtig diese fundamentalen Rechte für die Gesellschaft seien. Die Begrenzung sei aber gerechtfertigt gewesen, weil ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit habe gefunden werden müssen. Dass der Bundesrat dieses gefunden habe, zeige etwa auch der Umstand, dass er nicht wie in anderen Ländern den totalen Lockdown, sondern nur ein «semi-confinement» gewählt habe. Die Genfer Neo-Ständerätin wollte in den kommenden Beratungen vor allem auch an die kranken Personen denken – sie selber kenne etwa 20 Personen, die an Covid-19 erkrankt seien – und an jene Menschen, denen auch aufgrund der Krise extreme Armut drohe. Die Folgerednerinnen und -redner reihten sich in den Dank an den Bundesrat ein und gaben ihrer Freude Ausdruck, wieder tagen zu dürfen. Auch Alex Kuprecht (svp, SZ) attestierte der Regierung «Leadership». Hätte das Parlament in der Krise Entscheidungen treffen müssen, so wären, «da bin ich mir fast sicher, heute noch kein Darlehen durch Banken, kein Erwerbsersatz und keine Kurzarbeitsentschädigung geflossen». In den meisten Ausführungen wurde daran erinnert, dass jetzt grosse Aufgaben auf das Parlament zukämen, sowohl was die Fragen der Hilfsmassnahmen für die Wirtschaft, aber auch was institutionelle Fragen betreffe. So wies etwa Andrea Caroni (fdp, AR) darauf hin, dass die Bundesversammlung auf die Gesundheitskrise unzureichend vorbereitet gewesen sei. Das müsse sich ändern. «Der Hals-über-Kopf-Abbruch der Frühjahrssession» sei «ein Tiefpunkt in der Parlamentsgeschichte des Landes» gewesen, befand gar Paul Rechsteiner (sp, SG). Immerhin hätten 32 Mitglieder des Ständerats diese ausserordentliche Session verlangt, um den verfassungsmässigen Zustand wiederherzustellen. Nicht wenige Rednerinnen und Redner aus dem bürgerlichen Lager forderten den Bundesrat auch auf, die Massnahmen zu lockern und eine Rückkehr zur Normalität anzustreben.
Am Schluss nahm Bundespräsidentin Sommaruga noch einmal Stellung. Sie sei froh, dass die Kommissionen davon abgesehen hätten, selber Notrechtsverordnungen zu erlassen. Der Bundesrat habe von Beginn an einen Mittelweg gewählt, was nun in der Tat erste Lockerungen erlaube. Aber auch hier wolle man nichts überstürzen, um eine zweite Welle zu verhindern. Mit den Öffnungsschritten sollten vor allem auch Perspektiven geschaffen werden. Zudem gehe es darum, die Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Kantonen zu klären. Auch eine Neudefinition davon, was kritische Infrastruktur sei und wie diese aufrecht erhalten werden solle, sei nötig. Sommaruga sprach zudem von ihren Erfahrungen, die sie während der Krise «im internationalen Bereich» gemacht habe. In einer Krise schaue jeder für sich selber und auch mit Geld könne man daran nichts ändern. Wichtig seien deshalb gute Beziehungen und gute Kontakte vor allem zu den Nachbarstaaten. Zum Schluss wies die Bundespräsidentin darauf hin, dass alle Departemente und die Bundeskanzlei in der Krise viel Arbeit geleistet und sich dauernd mit grossen und komplexen Fragen beschäftigt hätten. Es sei für den Bundesrat eine enorme Belastung gewesen, die dank der Hilfe der Verwaltung habe getragen werden können. Der Bundesrat begrüsse schliesslich die anstehende und von vielen Rednerinnen und Rednern geforderte baldige Aufarbeitung der Situation.

Erklärung des Bundesrates zur Corona-Pandemie (BRG 20.208)