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  • Silberschmidt, Andri (fdp/plr, ZH) NR/CN
  • Glarner, Andreas (svp/udc, AG) NR/CN

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In der Wintersession 2022 nahm der Ständerat eine Motion Silberschmidt (fdp, ZH) für eine vollständig digitale Unternehmensführung stillschweigend an. Sowohl der Bundesrat als auch die vorberatende RK-SR hatten sich im Vorfeld für die Annahme der Forderung ausgesprochen. Eine Herausforderung bei der Umsetzung dürfte es sein, eine Fernauthentifizierung vorzunehmen – also eine Beurkundung der bei der Gründung beteiligten Personen, ohne deren physische Anwesenheit vorauszusetzen –, wie Kommissionssprecher Carlo Sommaruga (sp, GE) im Rat erläuterte. Mit der Annahme im Zweitrat wurde der Bundesrat damit beauftragt, einen Entwurf zur Umsetzung des Anliegens auszuarbeiten.

Création d'entreprises par voie entièrement numérique (Mo. 21.3180)

In der Wintersession setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der vom Gewerkschaftsbund lancierten Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» auseinander. An der ausführlichen allgemeinen Aussprache mit 114 Wortmeldungen beteiligten sich zahlreiche Personen aus allen Fraktionen. Zu Beginn präsentierten Céline Amaudruz (svp, GE) und Andri Silberschmidt (fdp, ZH) die Initiative und legten die Position der Kommissionsmehrheit dar. Sie betonten, dass die AHV ihr in der Verfassung definiertes Ziel für die Mehrheit aller Rentnerinnen und Rentner gut erfülle und dass für diejenigen 12.5 Prozent, für welche die AHV eben nicht ausreiche, die Ergänzungsleistungen geschaffen worden seien. Insgesamt sei das Drei-Säulen-System der Altersvorsorge sehr leistungsstark, betonte etwa Silberschmidt. Die Initiative wolle nun aber nicht nur die Situation der bedürftigen Personen – die es durchaus gebe – verbessern, sondern allen per «Giesskannenprinzip» eine Rentenerhöhung von 8.3 Prozent gewähren. Im Jahr 2032 zum Beispiel würde dies zu Mehrausgaben von fast CHF 5 Mrd. führen, ergänzte Amaudruz. Die für eine Finanzierung nötige Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1.1 Prozentpunkte oder der Lohnabzüge um 0.8 Prozentpunkte lehne die Kommissionsmehrheit ebenfalls ab. Schliesslich benachteilige die Initiative Personen mit einer IV- oder Hinterlassenenrente, zumal gemäss Initiativtext nur die Beziehenden einer AHV-Altersrente eine dreizehnte Rente erhalten sollten.
Diese Meinung teilten in der Folge zahlreiche Sprechende der SVP-, der FDP- und der Mitte-Fraktion. Sie lehnten zudem einen Gegenvorschlag, den Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion in der Debatte mehrfach forderten, ab. Stattdessen verwiesen sie unter anderem auf eigene Projekte zur Reform der AHV, etwa auf die Renteninitiative der Jungfreisinnigen oder auf Bemühungen der Mitte-Fraktion «[pour abolir] les désavantages d'être marié» (Benjamin Roduit; mitte, VS), also zur Abschaffung der Benachteiligung der Verheirateten (bei den Steuern und den Renten). Etwas wohlgesinnter zeigten sich die Grünliberalen gegenüber der Initiative. Man lehne zwar eine Rentenerhöhung für die reichsten Haushalte ab, würde eine solche aber für die «ärmsten und ärmeren 30 bis 40 Prozent [der] Rentenhaushalte» befürworten (Melanie Mettler; glp, BE). Ihren Vorschlag für eine entsprechende Kommissionsinitiative habe die bürgerliche Mehrheit in der Kommission jedoch abgelehnt.

Somit erhielt die Volksinitiative nur aus Kreisen der SP und der Grünen Unterstützung. SGB-Präsident Maillard (sp, VD) begründete seinen Minderheitsantrag auf eine Empfehlung zur Annahme der Initiative: Er lobte die Solidarität, die man vor 75 Jahren mit der Schaffung der AHV gestärkt habe. Heute könne aber das Versprechen von damals aufgrund steigender Kosten und sinkender BVG-Renten – bei gleichem Kapital seien die Pensionskassenrenten heute 20 Prozent weniger wert als vor 15 Jahren – nicht mehr eingehalten werden. Folglich seien Massnahmen nötig; wenn nicht durch eine 13. AHV-Rente, dann solle das Parlament in einem Gegenvorschlag alternative Massnahmen vorschlagen, forderte er. Zahlreiche Sprechende der SP- und der Grünen-Fraktion ergänzten die Argumentation Maillards. So sei die Initiative gerade für Frauen, die im Schnitt eine um ein Drittel tiefere Altersrente hätten als Männer, zentral; zudem sei das «Umlageverfahren [...] am effektivsten, billigsten und fairsten» (Prelicz-Huber; gp, ZH), wurde argumentiert. Nicht gespart wurde von links-grüner Seite denn auch an Kritik an der beruflichen Vorsorge sowie an der neuen BVG-21-Reform, welche CHF 3 Mrd. koste und durch welche die Versicherten höhere Beiträge für tiefere Renten bezahlen müssten als bisher. Folglich seien die zusätzlichen Ausgaben für die AHV im Rahmen dieser Initiative sinnvoller, dadurch erhielten die Rentnerinnen und Rentner auch tatsächlich höhere Renten. Zur Finanzierung könne man daher zum Beispiel auch die «0.8 Prozent [an Lohnprozenten], die es für die Initiative braucht, vom BVG in die AHV hinüberschieben», schlug etwa Jacqueline Badran (sp, ZH) vor.

Abschliessend empfahl Gesundheitsminister Berset die Initiative im Namen des Bundesrates zur Ablehnung. Zwar müsse man eine Lösung für die gesunkenen BVG-Renten finden, dies solle aber nicht mit der vorgeschlagenen Initiative geschehen, da der dafür nötige finanzielle Spielraum in der AHV fehle. Mit 123 zu 67 Stimmen sprach sich der Nationalrat in der Folge für den Mehrheitsantrag aus und empfahl die Initiative den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zur Ablehnung. Entsprechend der Wortmeldungen stimmten die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion geschlossen für den Minderheitsantrag, die übrigen Fraktionen geschlossen für den Mehrheitsantrag.

Eidgenössische Volksinitiative «für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» (BRG 22.043)
Dossier: Volksinitiativen zur Altersvorsorge (seit 2015)

Sollen Abstimmungsresultate aus Kommissionssitzungen veröffentlicht werden? Ja, findet Andreas Glarner (svp, AG) und forderte mittels parlamentarischer Initiative Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen. Bürgerinnen und Bürger hätten das Recht darauf zu wissen, ob die von ihnen gewählten Abgeordneten auch in den Kommissionen «die im Wahlkampf und auf Podien versprochenen Positionen» vertreten, so die Begründung des Initianten. Nein, fand hingegen die Mehrheit der SPK-NR, die mit 18 zu 6 Stimmen empfahl, der Initiative keine Folge zu geben. Kommissionsmitglieder müssten frei und ohne Handlungsdruck auch mal ihre Meinung ändern können, damit Kompromisse möglich werden, so die Argumentation im Kommissionsbericht. Zudem sei bereits heute eine gewisse Transparenz gegeben, weil im Falle von Minderheitsanträgen die Namen der entsprechenden Antragstellenden in Kommissionsberichten und auf den Fahnen veröffentlicht würden.
Zwei der sechs Mitglieder der SVP-Fraktion, die die Kommissionsminderheit bildeten, meldeten sich bei der Ratsdebatte zur Initiative in der Wintersession 2022 zu Wort: Zuerst führte der Initiant selber aus, dass es ihm nicht um eine Offenlegung der Kommissionsprotokolle gehe, sondern lediglich um die Publikation der Abstimmungsresultate. Gregor Rutz (svp, ZH) sekundierte mit dem Argument, dass man auch mit der geforderten Transparenz seine Meinung ändern dürfe, um notwendige Kompromisse zu schmieden. In diesem Falle könne man dies den eigenen Wählerinnen und Wählern dann auch erklären. Für die Kommissionsmehrheit sprachen Greta Gysin (gp, TI) und Gerhard Pfister (mitte, ZG). Neben der Notwendigkeit von Vertraulichkeit für Deliberation hinterfragte Pfister auch den Mehrwert einer Publikation von Abstimmungsresultaten, wenn die ihnen zugrundeliegenden Debatten und Argumente nicht ebenfalls veröffentlicht würden. In der Abstimmung folgte einzig die geschlossen stimmende SVP-Fraktion der Minderheit und der Initiative wurde mit 139 zu 51 Stimmen keine Folge gegeben.

Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen (Pa.Iv. 21.444)

Im November 2022 bekräftigte die RK-NR ihren Entscheid für die Einführung eines neuen Straftatbestands für Cybermobbing. Nachdem sich ihre Schwesterkommission dagegen entschieden hatte, beantragte die RK-NR ihrem Rat abermals mit grosser Mehrheit, der entsprechenden parlamentarischen Initiative Suter (sp, AG) Folge zu geben. Sie hatte inzwischen vom Bericht des Bundesrates zu Ergänzungen des Strafgesetzbuches zu Cybermobbing Kenntnis genommen und war anders als der Bundesrat der Ansicht, dass Mobbing-Handlungen im Internet durch das geltende Strafrecht nicht ausreichend abgedeckt seien. Der Nationalrat folgte seiner Kommission in der Wintersession 2022 mit 154 zu 36 Stimmen bei 3 Enthaltungen und gab der Initiative Folge. Der ablehnende Antrag von Andreas Glarner (svp, AG) fand ausserhalb der SVP-Fraktion keine Unterstützung.

Neuer Straftatbestand Cybermobbing (Pa.Iv. 20.445)

Im August 2022 publizierte der Bundesrat die Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Albanien über soziale Sicherheit. Das Abkommen schafft die völkerrechtliche Grundlage für die Koordinierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invaliditätsvorsorge beider Länder. Gemäss Botschaft entspricht das Abkommen inhaltlich den Sozialversicherungsabkommen, welche die Schweiz mit den anderen Balkanstaaten Montenegro, Serbien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina abgeschlossen hat. Dementsprechend regle es allgemein geltende Grundsätze wie die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen, die Auszahlung der Renten ins Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten, die Unterstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Zudem enthalte es eine Grundlage zur Bekämpfung von missbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen.

Das Geschäft wurde in der Wintersession 2022 vom Nationalrat besprochen, wobei die vorberatende SGK-NR das Geschäft mit grosser Mehrheit zur Annahme empfohlen hatte. Kommissionssprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) erklärte, dass die Inanspruchnahme von Leistungen der Altersvorsorge im Ausland eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei. Für die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme sei jedoch der Abschluss eines zwischenstaatlichen Vertrags notwendig. Die Umsetzung des Abkommens bringe zudem Mehrkosten von CHF 2.5 Mio. mit sich, wobei CHF 2 Mio. zulasten der Versicherungen und die restlichen CHF 500'000 zulasten des Bundes gingen. Es käme aber auch zu Einsparungen bei den Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligungen und der Sozialhilfe, indem die betroffenen Personen ihren Wohnsitz nach Albanien verlegten.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) beantragte dem Rat, nicht auf das Geschäft einzutreten. Minderheitssprecher Glarner wies darauf hin, dass nur 70 Schweizerinnen und Schweizer in Albanien lebten, im Vergleich zu den 3000 Albanerinnen und Albaner in der Schweiz. Die SVP-Fraktion lehne das Abkommen ab, weil die Kaufkraftdifferenz zum Überweisungsland nicht berücksichtigt werde, so Glarner. Zudem käme es bei einer Umsetzung des Abkommens zu einem «Export der schweizerischen Sozialversicherungsleistungen» und die AHV hätte Mehrkosten in Höhe von CHF 2 Mio. zu tragen, obwohl deren Finanzierung nach 2030 nicht gesichert sei. Bundesrat Berset erinnerte den Rat daran, dass das Abkommen identisch mit den bereits mit anderen Balkanstaaten abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen sei. Die finanziellen Auswirkungen bezeichnete er als gering, er hob jedoch die Bedeutung der Betrugsbekämpfungsklausel hervor. Die grosse Kammer trat mit 125 zu 53 Stimmen (bei 1 Enthaltung) auf das Geschäft ein und genehmigte das Abkommen mit 129 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen). Die Gegenstimmen stammten von der SVP-Fraktion.

Sozialversicherungsabkommen mit Albanien
Dossier: Sozialversicherungsabkommen mit den Nachfolgestaaten der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien

Im November 2022 präsentierte die SGK-NR ihren Entwurf für eine Änderung des KVG bezüglich der dreijährigen Tätigkeitspflicht zur Zulassung von Leistungserbringenden zur Abrechnung mit der OKP.
Erst per 1. Januar 2022 hatte das Parlament die Zulassungsbeschränkungen für ausländische Leistungserbringende verschärft. Seither können bereits in der Schweiz tätige Ärztinnen und Ärzte ohne dreijährige Tätigkeit an einer Schweizer Weiterbildungsstätte, welche zuvor bereits über die OKP abgerechnet hatten, entsprechend den Übergangsbestimmungen zwar weiterhin praktizieren, jedoch nicht in einen anderen Kanton wechseln oder selbständig werden. Entsprechend gefährde die neue Regelung die ambulante medizinische Grundversorgung in der Schweiz, insbesondere in Randregionen, kritisierte die Kommission. Folglich soll eine bis Ende 2027 befristete Ausnahmeregelung die neu geschaffene Zulassungsbeschränkung abschwächen. Demnach sollen Kantone, die in Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie eine Unterversorgung aufweisen, Ausnahmen von dieser Zulassungsbeschränkung vornehmen können. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) beantragte, die Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie von der Liste der Fachgebiete zu streichen.
Anlässlich der von August bis Oktober 2022 durchgeführten Vernehmlassung waren 73 Stellungnahmen eingegangen, welche die Ausnahmeregelung mehrheitlich grundsätzlich guthiessen. Diskutiert wurde insbesondere, ob die Fachgebiete, für welche die Ausnahmeregelung gelten soll, abschliessend aufgelistet oder ihre Bestimmung den Kantonen überlassen werden soll, und ob die Kantone die Regelung in eigene Gesetze giessen müssen oder sich direkt auf das KVG beziehen können sollen.

Ausnahmen von der dreijährigen Tätigkeitspflicht gemäss Artikel 37 Absatz 1 KVG bei nachgewiesener Unterversorgung (Pa.Iv. 22.431)
Dossier: Zulassungsbeschränkung für Ärztinnen und Ärzte (seit 1998)

Mit zwei neuen Kommunikationskanälen sorgte die SP im Herbst 2022 für einige Aufmerksamkeit. Die NZZ ortete gar eine «veritable Medienoffensive der SP». Auslöser war einerseits die Lancierung des Podcasts «Meyer:Wermuth», in dem die Co-Vorsitzenden der Partei, Mattea Meyer und Cédric Wermuth, einmal pro Woche jeweils drei aktuelle Themen diskutieren und in Kurzantworten auf ausgewählte Publikumsfragen eingehen. Damit solle die SP-Politik auf interessante Art vermittelt und die Entscheidungsfindung in der SP-Spitze besser nachvollziehbar gemacht werden, wurde Meyer in der Presse zitiert. Der neue Kanal sei nicht Teil der SP-Kommunikationsstrategie für die Wahlen 2023, sondern ein längerfristiges Vorhaben, dass sich die beiden schon bei ihrer Wahl ins Co-Präsidium 2020 vorgenommen hätten. Als zweiten Teil der SP-«Medienoffensive» nannte die NZZ das ebenfalls neue Online-Magazin «Direkt», eine Website, auf der die Partei politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen im In- und Ausland aus sozialdemokratischer Perspektive behandelt.

Mit ihren Bemühungen, mithilfe neuer Kommunikationsmassnahmen direkt – ohne Umweg über klassische Medien – an die Bürgerinnen und Bürger zu gelangen, war die SP indessen nicht allein. Lorenz Furrer von der PR- und Lobbyagentur Furrerhugi wies gegenüber dem Tages-Anzeiger darauf hin, dass Firmen schon seit einigen Jahren zunehmend auf eigene Newsrooms setzten. Nun werde dies «auch in der Politik [zum] Zeitgeist». Denn so könne eine Partei, eine Politikerin oder ein Politiker gezielt eigene Themen bewirtschaften und die eigenen Zielgruppen bedienen. Wie der Tages-Anzeiger festhielt, mache dies Teleblocher, «die wohl berühmteste Direkt-Politikersendung in der Schweiz», seit 2008 mit einigem Erfolg vor. Die wöchentlichen Interviews des Journalisten Markus Ackeret mit SVP-Stratege Christoph Blocher (svp, ZH) seien 2022 jeweils von mehreren 10'000 Personen angesehen worden.

Auch FDP-Vizepräsident Andri Silberschmidt, seines Zeichens der erste Bundesparlamentarier mit einer Tiktok-Präsenz, hielt die neuen, direkten Kommunikationskanäle der SP für «eine schlaue Idee»: Man könne mit solchen Mitteln Werbung in eigener Sache machen, und zwar nicht nur vor den Wahlen, sondern nachhaltig. Die FDP versuche dies mit ihrem Magazin «Freisinn» ebenfalls. Er selbst erreiche mit seinem Tiktok-Kanal momentan 13'000 Follower, mit Sessionsrückblicken in Videoformat rund 5000 Personen.

Im Allgemeinen nutze die Linke das Internet und Social Media bisher aber wesentlicher geschickter und erfolgreicher für ihre Kampagnen als die Bürgerlichen, befand die NZZ in einem weiteren Beitrag vom Herbst 2023. Zwei FDP-Politiker beklagten darin, «die Linken» hätten im Internet «hochprofessionellen Content, Videos, Bilder und eine riesige Community, die diesen Content teilt. Wer macht auf unserer Seite diese Videos,wer hat bei uns Hunderttausende Mail-Adressen?» Gegen diese professionelle Kommunikation und Kampagnenführung kämen die bürgerlichen Parteien derzeit nicht an. Die NZZ ortete im bürgerlich-liberalen Lager indessen drei jüngere Initiativen, die dies ändern sollten: Die «Liberale Aktion für Reform und Ambition (Lara)», den Nebelspalter und das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern.
Die Lara-Aktion werde von der «Bonny-Stiftung für die Freiheit» finanziert und bringe unter der Anleitung der PR-Agentur Farner junge Influencerinnen und Influencer mit Jungfreisinnigen und Forschenden zusammen. Ziel sei der Aufbau «eine[s] liberalen Momentum[s] auf Social Media», was aber ein langwieriges Unterfangen werde.
Der Nebelspalter, der 2021 von Markus Somm übernommen und seither durch 70 Investorinnen und Investoren aus dem Umfeld der bürgerlichen Gegnerschaft des EU-Rahmenabkommens finanziert wird, habe ursprünglich eigentlich hinter einer Bezahlschranke eine liberale Community aufbauen wollen, biete seine wichtigsten Formate inzwischen aber kostenlos an: den Newsletter von Somm und den Podcast «Bern einfach» von Somm und seinem Stellvertreter Dominik Feusi.
Das ebenfalls 2021 gegründete Institut für Wirtschaftspolitik (IWP) wird vom Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger und dem vormaligen NZZ-Journalisten René Scheu geführt, finanziert werden die rund zehn Vollzeitstellen von einer Stiftung. Schaltegger sagte gegenüber der NZZ, natürlich sei niemand neutral, aber das IWP sei inhaltlich unabhängig und forsche ergebnisoffen. Gemäss NZZ erhofften sich vom IWP allerdings «viele Liberale», auf dem von Bürgerlichen lange vernachlässigten Feld der Universitäten Boden gutzumachen, denn dieses spiele für die Deutungshoheit in der öffentlichen Debatte eine zentrale Rolle. Die AZ hielt es für «offensichtlich», dass die Geldgeberinnen und Geldgeber das IWP deshalb unterstützen, weil Schaltegger und Scheu für eine liberale Einstellung bekannt seien und von ihnen ein kritischer Ansatz bei der Untersuchung der Auswirkungen staatlicher Aktivitäten zu erwarten sei. Grosse Projekte des Instituts untersuchten etwa das Bürokratiewachstum, die Beschäftigung im öffentlichen Sektor, die Subventionstätigkeit des Bundes oder die Einkommensverteilung. Ein wichtiges Anliegen des IWP ist gemäss Schaltegger die öffentliche Vermittlung seiner Erkenntnisse, gerade auch an ein jüngeres Publikum – einerseits über die klassischen Medien, aber auch mit Videos, Lernplattformen, Social-Media-Beiträgen und Podcasts. Im Frühjahr 2023 verbreitete es einzelne Forschungsergebnisse zudem mit einer Plakatkampagne.

Kommunikationsstrategien der Parteien

Am Montag der dritten Herbstsessionswoche 2020 besetzten Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Bundesplatz, obwohl dort Veranstaltungen während der Session verboten sind. Dies führte bei den Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu einigem Ärger. So beschwerten sich gemäss verschiedener Medien insbesondere bürgerliche Parlamentsmitglieder, von den Klimaaktivistinnen und -aktivisten «angepöbelt» worden zu sein. Dabei stellten die Medien vor allem verschiedene verbale Entgleisungen ins Zentrum der Berichterstattung. So soll Roland Büchel (svp, SG) derart genervt gewesen sein, dass er die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten vor laufender Kamera als «Arschlöcher» bezeichnete. Andreas Glarner (svp, AG) nannte die Demonstrierenden während eines Interviews «Kommunisten und Chaoten» und Sibel Arslan (basta, BS), die das Anliegen der Streikenden vertreten wollte, «Frau Arschlan» – was er später als Versprecher entschuldigte. Umgekehrt regten sich linke Parlamentsmitglieder über die falschen Prioritäten der Medien auf, so etwa Jacqueline Badran (sp, ZH), die in einem Radiointerview die Medien angriff, welche «den huere fucking Glarner, who cares, [...] statt die Forderungen der Jugendlichen» gefilmt hätten.

Die Debatten drehten sich in der Folge allerdings nicht nur um «Anstand» und verbale Entgleisungen, sondern auch darum, ob der Bundesplatz überhaupt besetzt werden darf – insbesondere während der Session. Während sich bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier beschwerten, zeigten links-grüne Mitglieder der Bundesversammlung Verständnis für die Aktion. Die aktuelle Regelung im Kundgebungsreglement der Stadt Bern besagt, dass die Versammlungsfreiheit auf dem Bundesplatz während der Sessionen vor allem für grosse Manifestationen aufgehoben wird. Verantwortlich für die Einhaltung dieser Massnahme ist die Stadt Bern, weshalb sich die Kritik der Bürgerlichen in der Folge vor allem gegen den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried (gfl) richtete. Einige Medien – darunter etwa die NZZ – warfen der Stadt gar vor, «mit zweierlei Mass» zu messen und das Demonstrationsverbot «selektiv» umzusetzen.

Die Aktion auf dem Bundesplatz führte schliesslich auch zu einiger parlamentarischer Betriebsamkeit. Ein noch am gleichen Montag eingereichter Ordnungsantrag (20.9004/21364) von Thomas Aeschi (svp, ZG), der die Räumung des Platzes beantragte, wurde mit 109 zu 83 Stimmen (1 Enthaltung) im Nationalrat angenommen. Dagegen stimmten die geschlossenen Fraktionen von SP, GP und GLP sowie zwei Angehörige der Mitte-Fraktion. Der am nächsten Tag von Esther Friedli (svp, SG) eingereichte Ordnungsantrag (20.9004/21402), mit dem zusätzlich eine Anzeige gegen die Stadt Bern und die «Klimaextremisten und Linksradikalen» gefordert wurde, lehnte eine 90 zu 79-Stimmen-Mehrheit (bei 16 Enthaltungen) dann freilich ab. Hingegen richtete sich die VD mit einem von Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (fdp, VD) und Ständeratspräsident Hans Stöckli (sp, BE) unterzeichneten Schreiben an die Regierungen von Stadt und Kanton Bern und forderte diese auf, für die Einhaltung der Rechtsbestimmungen zu sorgen. Und schliesslich reichte Christian Imark (svp, SO) eine Motion ein, mit der er forderte, die Stadt Bern des Bundesplatzes zu enteignen. Dadurch könne der Bundesrat «künftig selber für Recht und Ordnung auf dem Bundesplatz» sorgen, weil «die linke Berner Stadtregierung [...] die Chaoten immer öfter gewähren» lasse.
Wohl auch weil die Polizei am Mittwoch nach zwei Ultimaten der Stadtregierung den Platz räumte, legte sich die Aufregung kurz darauf wieder. Der Bundesrat beantragte ein paar Wochen später die Ablehnung der Motion, weil eine Enteignung nicht verhältnismässig sei und die Zusammenarbeit mit der Stadt Bern bezüglich Nutzung des Bundesplatzes so funktioniere, dass die Interessen des Parlaments berücksichtigt würden. Die Motion Imark selber wurde dann zwei Jahre nach ihrer Einreichung wegen Nichtbehandlung abgeschrieben.

Wem gehört der Bundesplatz? (Mo. 20.4028)

Im Juni 2022 verlangte Nationalrat Nicolas Walder (gp, GE) vom Bundesrat einen Bericht über die Attraktivität und Effizienz des internationalen Genf für Aktivitäten und Organisationen im Zusammenhang mit Friedensprozessen. Dieser solle eine Übersicht über die in Genf angesiedelten Aktivitäten und Organisationen im Zusammenhang mit Friedensprozessen sowie eine Analyse der momentanen Entwicklungen im Bereich der Mediation und Friedenskonsolidierung beinhalten. Zudem forderte Walder eine Evaluation der innovativen Initiativen im Bereich der Friedensförderung und eine Einschätzung dazu, welche Instrumente der Bund entwickeln könnte, um die Entfaltung solcher Initiativen mit mehreren Stakeholdern zu begünstigen und deren Verankerung in Genf zu fördern. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats, da dessen Anliegen in der geplanten Strategie«Multilateralismus und Gaststaat» erfüllt werde. In der Herbstsession 2022 wurde das Postulat von Andreas Glarner (svp, AG) bekämpft.

Attraktivität und Effizienz des internationalen Genf für Aktivitäten und Organisationen im Zusammenhang mit Friedensprozessen stärken (Po. 22.3585)
Dossier: Internationales Genf

Ende Juni 2022 lancierte die SGK-NR eine Motion zur Förderung der Gendermedizin und griff damit zwei Petitionen aus der Frauensession 2021 auf. Die Gendermedizin untersucht und behandelt Krankheiten vor einem geschlechtsspezifischen Hintergrund. Die Annahme, dass Krankheiten geschlechtsneutral verliefen und aufträten, könne Fehldiagnosen und -behandlungen mit sich ziehen. Um dies zu verhindern, müssten bestehende Ungleichheiten in der Medizin bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund forderte die Kommissionsmehrheit, dass ein nationales Forschungsprogramm zur Gendermedizin lanciert wird, dass Forschungsprojekte gefördert werden, welche sich mit Frauenkrankheiten beschäftigen, und dass das Geschlecht bei der Vergabe von Geldern des SNF berücksichtigt wird.
Zwei Kommissionsminderheiten waren jedoch nicht mit allen Forderungen einverstanden. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) rief dazu auf, die ersten beiden Forderungen der Motion abzulehnen, während eine Minderheit Sauter (fdp, ZH) die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Geldervergabe ablehnte. Nationalrat Glarner argumentierte, dass das Problem der geschlechtlichen Ungleichbehandlung in der Medizin wohl erst seit «der unsäglichen Gender-Debatte mit all ihren Absurditäten von Links-Grün» bestehe. Dahingegen anerkannte Nationalrätin Sauter die Wichtigkeit der Motion, aber sprach sich entschieden gegen die in der Motion vorgesehenen «engen Vorgaben» für zur Vergabe von Forschungsgeldern aus. Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Problematik bereits in den Antworten auf vergangene Vorstösse (etwa Mo. 19.3577) diskutiert worden sei und geschlechterspezifischer Unterschiede in der Medizin aufgrund des Postulats Fehlmann (sp, GE; Po. 19.3910) bereits untersucht würden. Des Weiteren sei eine Ablehnung der Motion nötig, damit Forschende aller Schweizer Hochschulen weiterhin gleiche Chancen beim Bewerbungsprozess für Gelder des SNF und von Innosuisse hätten.
Nach einer hitzigen Debatte nahm der Nationalrat die Forderungen zur Lancierung eines nationalen Forschungsprogramms und zur Förderung der Erforschung spezifischer Frauenkrankheiten mit 127 zu 54 Stimmen bei 2 Enthaltungen an und sprach sich somit gegen den Minderheitsantrag Glarner aus. Dem Antrag der Minderheit Sauter kam der Nationalrat indes nach und sprach sich mit 100 zu 83 Stimmen gegen die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Vergabe von SNF-Geldern aus.

Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin (Mo. 22.2868)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Die Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen war Gegenstand einer Motion Silberschmidt (fdp, ZH), die im März 2022 eingereicht wurde. Damit wollte der Motionär die Vermittlung der notwendigen digitalen Kompetenzen für die berufliche Tätigkeit während der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Gesundheitsfachpersonen erreichen. Konkret zielte er dabei nicht nur auf die Nutzung digitaler Instrumente, sondern auch auf die damit in Zusammenhang stehenden Kompetenzen bezüglich Wissensaneignung, interprofessioneller Zusammenarbeit, Kommunikation, Diagnostik sowie Monitoring der Patientenschaft ab. Da Andreas Glarner (svp, AG) die Motion im Sommer 2022 bekämpft hatte, beschäftigte sich der Nationalrat in der darauffolgenden Herbstsession mit dem Vorstoss. Vor seinen Ratskolleginnen und -kollegen führte Silberschmidt aus, dass mit der digitalen Transformation die Vereinfachung der Administration erreicht und die Qualität der Behandlung gefördert werden solle. Damit dies jedoch gelinge, bedürfe es der Mitarbeit der im Gesundheitswesen tätigen Menschen. Während die Digitalisierung im Gesundheitsberufegesetz zwar angetönt werde, fehle von ihr im Medizinalberufegesetz und im Psychologieberufegesetz jegliche Spur. Andreas Glarner war indes der Ansicht, dass zu zügig und zu weitreichend vorwärtsgegangen und dadurch das Personal überfordert werde. Pflegende «möchten nicht das iPad, sondern lieber die Hand des Patienten halten». Rückendeckung erhielt Silberschmidt aber von Gesundheitsminister Berset. Im Namen des Gesamtbundesrates unterstützte dieser die Motion. Denkbar sei etwa eine einheitliche Formulierung im Gesundheitsberufegesetz, im Medizinalberufegesetz und im Psychologieberufegesetz, weil dadurch ein gemeinsames Verständnis geschaffen werde, das alle Gesundheitsberufe teilten. Mit 136 zu 50 Stimmen nahm der Nationalrat die Motion an, wobei alle 50 Gegenstimmen aus dem Lager der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion stammten.

Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen (Mo. 22.3163)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen

In der Herbstsession 2022 setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes auseinander. Dabei wurden zwar auch einzelne neue Bestimmungen diskutiert, hauptsächlich stand aber die Gültigkeitsdauer des Covid-19-Gesetzes insgesamt sowie einzelner Regelungen im Mittelpunkt des Interesses.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) wehrte sich gegen Eintreten. Der Minderheitensprecher kritisierte ausführlich die bisherigen Corona-Massnahmen, insbesondere die Zertifikatspflicht, und beschuldigte Bundesrat und Parlament unter anderem, «Tausende Existenzen vernichtet» zu haben. Neben dieser «Drangsalierung der Bevölkerung und der Wirtschaft» kritisierte er etwa auch den Einfluss, den die WHO auf die Gesetzgebung des Bundes nehme. Da man inzwischen «nicht einmal mehr ganz so sicher [sei], ob es sich im Sinne der WHO wirklich um eine echte Pandemie gehandelt» habe, solle der Nationalrat nicht auf die Gesetzesänderung eintreten. Dieser Antrag fand jedoch nur bei einer Mehrheit der SVP-Fraktion Zustimmung und wurde mit 130 zu 43 (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Die Sprechenden der übrigen Fraktionen wiesen darauf hin, dass man nicht wisse, wie sich die Covid-19-Pandemie in Zukunft entwickeln werde, und man daher mit einer Verlängerung des Gesetzes sicherstellen wolle, dass man auch in den nächsten zwei Wintern noch über die nötigen Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie verfüge. Bundesrat Berset verwies darauf, dass man sich zur Zeit in einer Übergangsphase befinde, die Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit erfordere – wofür verschiedene Regelungen des Covid-19-Gesetzes wichtig seien. Dabei schlug die Regierung vor, nur einen Teil der bisherigen Massnahmen zu verlängern, nicht aber die meisten Unterstützungsmassnahmen. Abschliessend liess es sich der Gesundheitsminister ob der Vorwürfe des Minderheitensprechers nicht nehmen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine dieser Regelungen etwas mit der WHO zu tun hätten.

Bei der Detailberatung standen nicht nur die Fragen zur Verlängerung von Massnahmen an, der Bundesrat beabsichtigte auch, die Kantone stärker in die Verantwortung zu nehmen. So sollten diese zukünftig ab 2023 für die Organisation der Covid-19-Tests verantwortlich sein: Sie sollten das Angebot gewährleisten und die Kosten übernehmen. Nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz könne der Bund die entsprechenden Kosten nicht mehr ewig übernehmen, stattdessen müssten die Kantone ihre Verantwortung wieder wahrnehmen, forderte der Gesundheitsminister und mit ihm eine Minderheit Aeschi (svp, ZG). Die Kommissionsmehrheit wollte die Organisation der Tests jedoch weiterhin beim Bund belassen, um einen «Flickenteppich von verschiedenen Massnahmen» zu verhindern, wie es Kommissionssprecher Hess (mitte, BE) formulierte. Mit 136 zu 55 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, die SVP-Fraktion und eine Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion stimmten dem Bundesrat zu.
Stattdessen schlug die Kommissionsmehrheit eine andere Neuregelung hinsichtlich kantonaler Belange vor. So habe man im Dezember 2021 bereits die Finanzierung der Vorhalteleistungen durch die Kantone – also die Bereitstellung der Spitalkapazitäten – geregelt, nun müsse der Bund auch bezüglich der Finanzierung der Vorhalteleistungen bei ausserkantonalen Patientinnen und Patienten Regeln schaffen. Eine Minderheit Hess, vertreten durch Ruth Humbel (mitte, AG), befürchtete jedoch, dass solche Bundesregelungen Forderungen nach Abgeltung durch den Bund nach sich ziehen würden, und empfahl diese zur Ablehnung. Mit 112 zu 78 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, einzig die SVP- und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion sprachen sich für den Minderheitsantrag aus.

Abändern wollte der Bundesrat auch die Massnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmender. Hier wollte die Regierung die Pflicht zur Lohnfortzahlung, falls behördliche Massnahmen keine Weiterarbeit erlaubten, durch eine Pflicht, den Betroffenen Homeoffice oder gleichwertige Ersatzarbeit anzubieten, ersetzen. Eine Minderheit Flavia Wasserfallen (sp, BE) beantragte die Beibehaltung der bisherigen Formulierung. «Wenn der Bund Massnahmen anordnet, muss auch Erwerbsersatz an die Arbeitgebenden ausbezahlt werden», betonte die Minderheitensprecherin. Mit 109 zu 81 Stimmen folgte der Nationalrat der Regierung, die Minderheitsposition unterstützten die Fraktionen der SP, GLP und Grünen.
Zudem wollte der Bundesrat die Regelungen zum Proximity Tracing im Epidemiengesetz durch Regelungen zu einem sogenannten Presence-Tracing ergänzen. Damit sollten Teilnehmende von Veranstaltungen freiwillig «ihre Anwesenheit ohne Angabe von Personendaten» erfassen können. Eine Minderheit Glarner wollte die Regelungen zum Proximity und Presence Tracing streichen, da Ersteres «ein Riesenflop» gewesen sei. Besonders energisch kritisierte der Minderheitensprecher überdies eine bereits bestehende Regelung, wonach der Bundesrat völkerrechtliche Vereinbarungen unter anderem zur «Harmonisierung der Massnahmen zur Erkennung, Überwachung, Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten» eingehen könne. Dadurch würde die Schweiz «gezwungen sein, Massnahmen des Auslands zu übernehmen». Mit 141 zu 50 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für den Minderheitenantrag aus.

In der Folge diskutierte der Nationalrat über die Verlängerungen des Gesetzes und einzelner Massnahmen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Geltungsdauer des Gesetzes vom 31. Dezember 2022 auf den 30. Juni 2024 zu verlängern, um die Instrumente gegen die Pandemie für die nächsten zwei Winter zu sichern. Diesbezüglich lagen zwei Minderheitsanträge vor, wobei eine Minderheit I Glarner das Gesetz bis Ende März 2023, eine Minderheit II Dobler (fdp, SG) bis Ende Juni 2023 in Kraft belassen wollte. Eine allfällige Ausbreitung der Krankheit sei spätestens im Frühling vorbei, weshalb das Gesetz maximal bis Ende März 2023 verlängert werden solle – wenn überhaupt –, forderte Andreas Glarner. Auch Marcel Dobler wollte das Gesetz «nur so lange wie nötig verlängern und nicht auf Vorrat», bei einem Ende im März 2023 müsste über eine allfällige Verlängerung aber genau während der Grippesaison beraten werden, gab er zu Bedenken. Kommissionssprecher Lorenz Hess warnte vor weiteren «Hauruckübungen» bei einem frühzeitigen Auslaufen des Gesetzes. Mit einer Verlängerung bis 2024 sei man «für den Fall eines Falles bereit». Die Mehrheit setzte sich gegen die Minderheit Glarner durch (mit 109 zu 75 Stimmen bei 3 Enthaltungen), die zuvor der Minderheit Dobler vorgezogen worden war. Der Minderheitsposition von Andreas Glarner folgten Mehrheiten der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion und ein Mitglied der Mitte-Fraktion.

Eine Mehrheit der SPK-NR hatte zudem einen Antrag zur fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes eingereicht. Sie wollte die Regelung zur Stimmabgabe in Abwesenheit bei Quarantäne oder Isolation ebenfalls bis Ende Juni 2024 verlängern, was der Bundesrat nicht vorgesehen hatte. Falls erneut eine Pflicht zur Quarantäne und Isolation ausgerufen würde, sollten die Nationalratsmitglieder in der Lage sein, wenn nötig digital abzustimmen. Eine Minderheit Buffat (svp, VD) der SPK-NR sprach sich jedoch gegen diese Verlängerung aus. Mit 142 zu 49 Stimmen folgte der Nationalrat gegen den Willen der SVP-Fraktion der Kommissionsmehrheit. Darüber hinaus verlängerte der Nationalrat mit 141 zu 48 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) entgegen einer Minderheit Aeschi die Regelung zum Covid-19-Zertifikat, lehnte aber mit 125 zu 66 Stimmen einen Minderheitsantrag von Flavia Wasserfallen ab, wonach zusätzlich auch die Massnahmen bezüglich EO, ALV, KAE sowie Kultur- und Härtefallhilfen bis Ende Juni 2024 gültig bleiben sollten.

Schliesslich entschied sich der Nationalrat mit 140 zu 48 Stimmen, das Gesetz erneut dringlich zu erklären, und sprach sich damit gegen einen Minderheitsantrag Aeschi aus. Nach drei Jahren «im ausserordentlichen Modus» und einen Tag nach einer weiteren Dringlicherklärung eines Gesetzes solle man zu einer «durchdachten Gesetzgebung» zurückkehren, hatte Thomas Aeschi vergeblich argumentiert. Gesundheitsminister Berset plädierte jedoch dafür, die Regelungen ohne Unterbruch ab dem 1. Januar 2023 zu verlängern. Mit 140 zu 47 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Nationalrat den Entwurf der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes in der Gesamtabstimmung an. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für Ablehnung aus.

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

In Erfüllung einer Petition (Pet. 21.2035) der Frauensession 2021 lancierte die SGK-NR in der Sommersession 2022 eine Kommissionsmotion zur Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten. Eine Vielzahl von Krankheiten betreffe nur oder mehrheitlich Frauen, entsprechende Behandlungsmöglichkeiten seien jedoch grundsätzlich nur wenig erforscht. Um dies zu ändern, solle der SNF ein Forschungsprogramm lancieren mit dem Ziel, verbindliche Richtlinien für die Diagnose, Indikation und Therapie von spezifischen Frauenkrankheiten zu erstellen und die weitere Erforschung ebendieser zu fördern. In seiner Stellungnahme anerkannte der Bundesrat, dass Frauenkrankheiten dringend weiter und gründlicher erforscht werden müssten. Jedoch hätten Forschende in diesem Gebiet bereits die Möglichkeit, selbst Forschungsanträge an den SNF zu stellen, und der Bundesrat wolle dieses Bottom-up-Prinzip nicht durch einen entsprechenden Auftrag untergraben. Schliesslich sei in Erfüllung des Postulats Fehlmann Rielle (sp, GE; Po. 19.3910) bereits ein Bericht zu diesem Thema in Ausarbeitung, welcher aufzeigen solle, ob bei der Behandlung von Frauenkrankheiten noch Handlungsbedarf bestehe. Auch eine Kommissionsminderheit Glarner (svp, AG) stellte sich mit Verweis auf das Bottom-up-Prinzip gegen den Vorstoss. Der Nationalrat nahm die Motion in der Herbstsession 2022 mit 133 zu 52 Stimmen an, wobei die SVP-Fraktion den Vorstoss geschlossen ablehnte.

Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten (Mo. 22.3869)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Auch im Nationalrat, der das Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) in der Herbstsession 2022 beriet, war die bisher eher gemächliche Geschwindigkeit der schweizerischen Verwaltung hinsichtlich Digitalisierung Thema bei der Eintretensdebatte. Die Schweiz hinke hinterher, befand etwa der Sprecher der SPK-NR, Andri Silberschmidt (fdp, ZH). Zudem finde die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung zwar statt, aber es gebe einen «Wildwuchs von Systemen und Prozessen [...], die wenig aufeinander abgestimmt» seien. In der Kommunikation zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden, Privaten und Firmen brauche es aber gemeinsame Standards und Verantwortlichkeiten, die im vorliegenden Gesetz geregelt würden. Die Mehrheit der Fraktionssprecherinnen und -sprecher war sich danach einig, dass die Schweiz ihren Rückstand aufholen müsse (Marco Romano, mitte, TI), dass es nun einen stärkeren politischen Willen brauche (Damien Cottier, fdp, NE), dass man eigentlich gerne noch weiter gehen würde (Angelo Barrile, sp, ZH), dass man jetzt einen Gang höher schalten wolle (Gerhard Andrey, gp, FR), dass man nun keinen halben Schritt rückwärts, sondern zwei Schritte vorwärts machen müsse (Corina Gredig, glp, ZH) oder dass man «dem Anschluss an die moderne Welt [nicht mehr länger] hinterherrennen» dürfe (Barbara Steinemann, svp, ZH). Eintreten war entsprechend unbestritten, obwohl Bundesrat Ueli Maurer darauf hinwies, dass es nicht nur Rufe gebe, die Handbremse endlich zu lösen, sondern dass in der Bevölkerung auch «abgrundtiefes Misstrauen» gegenüber der Digitalisierung festgestellt werden könne.
In der Detailberatung schuf der Nationalrat eine gewichtige Differenz zum Ständerat. So soll das Gesetz nicht nur für die Bundesverwaltung, sondern auch für die Kantonsverwaltungen und alle mit Vollzugsaufgaben betrauten Organisationen und Personen gelten. Diesen Passus hatte der Bundesrat nach der Vernehmlassung aus der Vorlage gestrichen, weil er von Städten und Kantonen stark kritisiert worden war. Die SPK-NR habe mit 15 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung aber dafür optiert, hier keinen föderalen Flickenteppich zu schaffen. Mit 114 zu 77 Stimmen folgte die Ratsmehrheit ihrer Kommission. Die geschlossen stimmende SVP-Fraktion und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion fanden sich in der Minderheit und votierten für die auch von Bundesrat Ueli Maurer beworbene Lösung, der vergeblich argumentiert hatte, dass diese Ausweitung des Gesetzes noch nicht reif sei.
Darüber hinaus wollte der Nationalrat im Gegensatz zur ständerätlichen Fassung auch explizit das Prinzip «digital first» im Gesetz verankern. Damit werde eine Umkehr der heutigen Praxis gefordert, mit der alles auf Papier gedruckt werde. Neu soll alles digital sein und nur noch in Ausnahmefällen analog angeboten werden. Ebenfalls abweichend vom Ständerat folgte die Ratsmehrheit ihrer SPK-NR, die den Passus der kleinen Kammer wieder rückgängig machen wollte, wonach auf unterschiedliche Bedürfnisse – vor allem von Personen ohne digitale Kenntnisse – Rücksicht genommen werden müsse. Schliesslich machte der Nationalrat aus der Kann-Formulierung für die Veröffentlichung von Open-Source-Software wieder eine Muss-Formulierung. Nachdem die Ausgabenbremse gelöst worden war, erhielt die Vorlage in der Gesamtabstimmung 144 befürwortende und 24 ablehnende Stimmen. Letztere, wie auch die 24 Enthaltungen, stammten allesamt aus der SVP-Fraktion.

Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (BRG 22.022)
Dossier: Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG)

Nachdem die beiden zuständigen Kommissionen gegensätzliche Entscheide gefällt hatten, stimmte in der Herbstsession 2022 der Nationalrat über eine parlamentarische Initiative von Nationalrätin Samira Marti (sp, BL) ab. Der Vorstoss mit dem Titel «Armut ist kein Verbrechen» sieht vor, dass Ausländerinnen und Ausländern bei unverschuldetem Sozialhilfebezug nach über zehn Jahren Aufenthalt in der Schweiz keine Wegweisung drohen sollte. Während sich eine Mehrheit der SPK-NR mit 14 zu 10 Stimmen erneut für Folgegeben aussprach, lehnte eine Minderheit Silberschmidt (fdp, ZH) die Initiative ab. Letztere kritisierte, die Initiative unterscheide nicht genug spezifisch zwischen selbstverschuldetem und unverschuldetem Sozialhilfebezug. Ausserdem werde bei Gerichtsentscheiden über den Entzug der Aufenthaltsbewilligung bereits heutzutage die Verhältnismässigkeit zur Genüge berücksichtigt. Die Initiantin argumentierte hingegen, bestehende Regelungen grenzten armutsbetroffene Ausländerinnen und Ausländer nicht genügend von Personen ab, die die hiesige Lebensweise ablehnten. Folglich sei eine Präzisierung im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) vonnöten. Der Nationalrat gab der parlamentarischen Initiative mit 96 zu 85 Stimmen Folge, womit sie erneut der SPK-SR übergeben wurde.

Armut ist kein Verbrechen (Pa.Iv. 20.451)

Nachdem der Nationalrat eine Motion Silberschmidt (fdp, ZH) mit dem Titel «Einführung einer digitalen Patientenadministration» in der Wintersession 2021 stillschweigend angenommen hatte, tat es ihm der Ständerat in der Herbstsession 2022 gleich. Kommissionssprecher Hannes Germann (svp, SH) hatte zuvor erklärt, dass die SGK-SR der Ansicht sei, dass es sich bei der digitalen Patientenadministration um eine essentielle Grundlage für die interinstitutionelle Zusammenarbeit zwischen den Leistungserbringenden handle, und das Geschäft daher zur Annahme empfehle. Gesundheitsminister Berset hatte der Motion die bundesrätliche Unterstützung ebenfalls zugesichert.

Einführung einer digitalen Patientenadministration (Mo. 21.4374)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen

In der Herbstsession 2022 kam eine Motion Silberschmidt (fdp, ZH), welche die Einführung eines eindeutigen Patientenidentifikators zum Ziel hatte, in den Ständerat. Hannes Germann (svp, SH) beantragte im Namen der SGK-SR die Annahme des Geschäfts, da die eindeutige Identifikation als Basis für die Digitalisierung im Gesundheitswesen diene. Gesundheitsminister Berset sprach sich ebenfalls für die Motion aus, erinnerte allerdings daran, dass der Bund nicht über die Kompetenz verfüge, alle Bereiche des Vorstosses zu regeln, und es daher einer Zusammenarbeit mit den Kantonen bedürfe. Stillschweigend nahm die kleine Kammer die Motion an.

Einführung eines eindeutigen Patientenidentifikators (Mo. 21.4373)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen

Eine Mehrheit der SGK-NR reichte im Juni 2022 eine Motion gegen überhöhte Entschädigungen für Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglieder im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung ein. Demnach sollen Geschäftsleitungsmitglieder maximale Entschädigungen – inklusive 2. Säule und Nebenleistungen – von CHF 250'000, Verwaltungsratsmitglieder von CHF 50'000 jährlich erhalten. Eine Minderheit Silberschmidt (fdp, ZH) sowie der Bundesrat empfahlen die Motion zur Ablehnung. Der Bundesrat erachtete die Massnahme als «grossen Eingriff in die Unternehmungsfreiheit» der privatrechtlich organisierten Krankenkassen, insbesondere da diese neben der OKP ja auch Zusatzversicherungen anböten. Zudem seien die Versicherungen mit dem KVAG bereits zu transparenten Entschädigungen verpflichtet worden.
Der Nationalrat nahm die Motion in der Herbstsession 2022 mit 113 zu 74 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an, wobei sich die meisten Fraktionen gespalten zeigten: Zu den geschlossen zustimmenden Fraktionen der SP und der Grünen gesellte sich eine Mehrheit der SVP- sowie Minderheiten der Mitte- und der GLP-Fraktionen. Einzig die FDP.Liberale-Fraktion sprach sich geschlossen gegen die Motion aus.

Keine überhöhten Entschädigungen für Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglieder im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung (Mo. 22.3866)

«Wie fit sind die Kantone in der Cyber-Strafverfolgung?», fragte Nationalrat Andri Silberschmidt (fdp, ZH) im Titel eines im März 2022 eingereichten Postulats. Er forderte den Bundesrat auf, anhand einer Auslegeordnung aufzuzeigen, welcher Handlungsbedarf in der Cyber-Strafverfolgung in den verschiedenen Kantonen besteht. Insbesondere soll er für alle Kantone untersuchen, ob die gesetzlichen Grundlagen zum Austausch mit anderen Kantonen ausreichend sind, ob die Organisation an die neuen Herausforderungen angepasst wurde und ob eine Bündelung der Ressourcen zwischen den Kantonen sinnvoll wäre. Die Ergebnisse sollten allerdings nur eingeschränkt veröffentlicht werden, um die Polizeitaktik und die Reputation einzelner Kantone nicht zu gefährden. Der Bundesrat begrüsste eine solche Bestandesaufnahme und beantragte die Annahme des Postulats. Der Nationalrat kam diesem Antrag in der Sommersession 2022 stillschweigend nach und überwies den Vorstoss diskussionslos.

Wie fit sind die Kantone in der Cyber-Strafverfolgung? (Po. 22.3145)

Ende März 2022 sprach sich nach dem Bundesrat auch die SGK-SR mehrheitlich für Annahme der Motion Silberschmidt (fdp, ZH; Mo. 20.4078) für eine Finanzierung der AHV im Jahr 2050 ohne Umlagedefizit aus. «Aus politischer Sicht gibt es keinen Grund, diese Motion abzulehnen», betonte die Kommissionsmehrheit im Kommissionsbericht. Dies sah eine Minderheit Rechsteiner (sp, SG) anders und beantragte die Motion zur Ablehnung. Mangels verlässlicher Vorhersagen für eine «derart langfristige Perspektive» solle die Motion abgelehnt werden.
In der Sommersession 2022 folgte der Ständerat mit 22 zu 18 Stimmen der Kommissionsmehrheit und nahm die Motion an. Zwei Tage später zog Andri Silberschmidt seine ursprüngliche Motion (Mo. 20.3833) zurück, welche die defizitfreie Finanzierung der AHV zusätzlich durch gleich starke ausgaben- wie einnahmenseitige Massnahmen erreichen wollte.

Netto-null-Ziel im Jahr 2050. Ein Nachhaltigkeitsziel auch für die AHV (Mo. 20.3833 & Mo 20.4078))

Die WBK-NR forderte mit einer im April 2022 eingereichten Motion ein umfassendes Schweizer Programm für exzellente Forschung und Innovation. Der Bundesrat solle dieses Programm auf die Beine stellen, um international führende Forschende und Start-Ups in die Schweiz zu holen. Dafür solle der Bundesrat die Subjektfinanzierung für Forschende sowie die Objektfinanzierung für Start-Ups und KMUs fördern und weitere Fördergefässe in den Bereichen Forschung und Innovation schaffen. Weiter sollen bestehende Elemente von Horizon Europe mit zusätzlichen Mitteln begünstigt werden. Dabei solle das geforderte Programm auf den bereits bestehenden und geplanten Übergans- und Ersatzmassnahmen für Horizon Europe aufbauen.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion. Er war der Ansicht, dass er bereits alle notwendigen Massnahmen ergriffen habe, um die Förderung von Forschung und Innovation sowie die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich bestmöglich sicherzustellen. Er verwies diesbezüglich auf die von den Räten gutgeheissene Finanzierungsbotschaft für die Beteiligung am Horizon-Paket 2021–2027, in deren Rahmen bereits CHF 5.4 Mrd. gesprochen wurden, die nun für die projektweise Beteiligung von Schweizer Forschenden ausgegeben werden können. Er führte auch die von der WBK-NR erwähnten Übergangs-, Ersatz- und Ergänzungsmassnahmen auf, welche bereits angelaufen seien respektive geprüft würden.
In der Sommersession 2022 gelangte der Vorstoss in die grosse Kammer; bei der Beratung lag dem Rat neben dem Antrag der Kommission auf Annahme der Motion auch ein Einzelantrag von Andreas Glarner (svp, AG) auf Ablehnung vor. Der SVP-Vertreter bemängelte, dass dem Forschungs- und Innovationsbereich bereits heute grosse Summen zukämen, für welche die Steuerzahlenden aufkommen müssen. Dies müsse derzeit genügen. Der Nutzen einer zusätzlichen Forderung solle erst in der BFI-Botschaft 2025-2028 diskutiert werden. Christian Wasserfallen (fdp, BE) stellte die Motion seitens der WBK-NR vor und plädierte dafür, «diese Kaskade der Nichtassoziierung» zu beenden und unabhängig von der Assoziierung an Horizon Europe ein eigenes Programm zu lancieren. Der Nationalrat folgte den Worten von Christian Wasserfallen und nahm die Motion mit 164 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung klar an, wobei der Antrag Glarner nur wenige weitere Mitglieder der SVP-Fraktion zu überzeugen vermochte.

Schweizer Programm für exzellente Forschung und Innovation (Mo. 22.3375)

Die WBK-NR verlangte mittels einer im April 2022 eingereichten Motion die Stärkung und Weiterführung der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB). Der zentrale Punkt bestand für die WBK-NR in der Weiterführung des Projekts «viamia», welches einen Teil des 2019 beschlossenen Massnahmenpakets des Bundesrats zur Förderung inländischer Arbeitskräfte darstellte. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Vorstosses. Das Parlament habe sich mit Gutheissen des BBG dafür entschieden, dass sich der Bund aus dem Bereich BSLB zurückziehe und diesen den Kantonen überlasse. Der Bund nutze jedoch die Möglichkeit, im Rahmen einer gezielten Projektförderung gewisse Leistungen der Kantone für die BSLB zu finanzieren. So beteilige sich das SBFI in der laufenden BFI-Periode etwa an dem erwähnten Projekt viamia, welches Personen über 40 Jahren eine kostenlose berufliche Standortbestimmung ermöglicht. Eine allfällige Verlängerung der Anstossfinanzierung durch den Bund könne im Rahmen der BFI-Botschaft 2025-2028 geprüft werden.
Die grosse Kammer befasste sich in der Sommersession 2022 mit dem Anliegen. Dabei lag ein Einzelantrag von Andreas Glarner (svp, AG) auf Ablehnung der Motion vor. Der SVP-Vertreter begründete seinen Antrag mit dem Argument, dass die Stärkung der Massnahmen und Weiterführung von Projekten im BSLB-Bereich erst im Rahmen der BFI-Periode 2025-2028 beraten werden sollen. Simone de Montmollin (fdp, GE) erläuterte seitens der Kommission, dass die vorberatende WBK-NR über eine parlamentarische Initiative von Mustafa Atici (sp, BS; Pa.Iv. 21.517) debattiert habe, welche im BSLB-Bereich Kompetenzen für den Bund gefordert hatte. Die Kommission sei im Rahmen dieser Diskussion übereingekommen, dass der BSLB-Bereich gestärkt, an der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen jedoch nicht gerüttelt werden solle. Daher habe die Kommission die vorliegende Motion eingereicht, worauf Mustafa Atici seine Initiative zurückzog. Letzterer wies im Plenum darauf hin, dass der Einzelantrag Glarner auf einem Missverständnis beruhen müsse. Die Motion wolle nämlich genau das, was Glarner ausführe. In der anschliessenden Abstimmung wurde die Motion mit 129 Stimmen zu 48 Stimmen angenommen. Für den Antrag Glarner und den Bundesrat stimmten lediglich Mitglieder der SVP-Fraktion.

Die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung als Teil des Bildungsraums Schweiz positionieren (Mo. 22.3391)

Mit einem im Dezember 2021 eingereichten Postulat forderte Nationalrätin Sibel Arslan (basta, BS) die Evaluation der Artikel 41 bis 43 des Zivilgesetzbuches. Geregelt wird in den betreffenden Artikeln die Beurkundung des Personenstands, insbesondere auch dann, wenn die Personenstandsdaten nicht durch Urkunden nachgewiesen werden können. Laut der Postulantin gestalte sich die Anwendung der Artikel 41 bis 43 ZGB oftmals schwierig, was für die betroffenen Personen mit einem grossen Aufwand und erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden sei. Der Bundesrat unterstützte das Anliegen; kantonale Behörden, Gerichte und betroffene Personen hätten wiederholt auf die unbefriedigende Situation bei fehlendem Nachweis von Angaben über den Personenstand hingewiesen. Im Nationalrat wurde das Postulat von Andreas Glarner (svp, AG) bekämpft. Er erachtete es im Namen der SVP-Fraktion nicht als notwendig, einen Bericht zu den Artikeln 41 bis 43 ZGB zu erstellen. Wenn ein Problem bestehe, solle direkt eine Änderung der entsprechenden Artikel im ZGB angestrebt werden. Hinter Glarner stellte sich die SVP-Fraktion. Die grosse Kammer nahm das Postulat in der Sommersession 2022 mit 135 zu 53 Stimmen ohne Enthaltungen an.

Beurkundung des Personenstands bei fehlendem Nachweis von Angaben (Po. 21.4482)

Mit einem im Dezember 2021 eingereichten Postulat forderte Min Li Marti (sp, ZH) vom Bundesrat die Ausarbeitung einer Auslegeordnung zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung. Die Postulantin begründete ihren Vorstoss damit, dass die Zuständigkeiten innerhalb der verschiedenen Massnahmen zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung nicht immer klar abgrenzbar seien. Die geforderte Auslegeordnung soll die Zuständigkeiten und rechtlichen Grundlagen für das Fedpol, den NDB und die kantonalen Polizeibehörden klar aufzeigen und so problematische Doppelspurigkeiten, Unklarheiten und Abspracheprobleme verhindern. Der Bundesrat zeigte Verständnis für das Anliegen und beantragte die Annahme des Postulats. Bekämpft wurde das Postulat indes von Andreas Glarner (svp, AG). Zwar stimmte er der Postulantin insofern zu, als allfälligen Lücken und Doppelspurigkeiten in der Terrorismus- und Extremismusbekämpfung entgegengewirkt werden müsse, er erachtete einen Bericht jedoch nicht als passende Massnahme. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Sommersession 2022 mit 134 zu 54 Stimmen ohne Enthaltung an.

Auslegeordnung zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung (Po. 21.4598)

Mit ihrer Forderung nach Wahrung des Stimmgeheimnisses für Menschen mit Sehbehinderung stiess die SPK-NR auf offene Ohren. Konkret forderte die Kommission einstimmig, dass Abstimmungsschablonen eingeführt sowie eine Standardisierung der Stimmzettel durchgesetzt werden, mit denen sehbehinderte Menschen selbständig abstimmen können. Aktuell sind Menschen mit Sehbehinderung auf die Unterstützung einer nicht sehbehinderten Person angewiesen. Sie müssen der helfenden Person nicht nur vertrauen können, auch das Wahl- und Stimmgeheimnis ist damit für sehbehinderte Personen nicht gewahrt. Die geforderte technische Lösung müsste laut SPK-NR etwa 80'000 bis 100'000 Betroffenen von den Gemeinden zur Verfügung gestellt werden, wobei mit einem Anschaffungspreis von CHF 35 bis CHF 50 zu rechnen sei.
In der Ratsdebatte wiesen die Kommissionssprecherin Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE) und der Kommissionssprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) darauf hin, dass es noch eine Reihe von offenen Fragen gebe. So biete eine Abstimmungsschablone bei Wahlen keine Lösung, zudem sei nicht klar, wer die Kosten zu tragen habe. Um das Stimmgeheimnis auch Menschen mit Behinderungen zu gewähren, müsse man aber Lösungen finden. Bundeskanzler Walter Thurnherr sicherte die Unterstützung des Bundesrats zu, der die Motion zur Annahme empfahl. Man werde mit den Kantonen Lösungen suchen. Er wies zudem darauf hin, dass sich auch dank E-Voting Lösungen ergeben könnten. Der Nationalrat nahm die Motion in der Folge stillschweigend an.

Wahrung des Stimmgeheimnisses für Menschen mit Sehbehinderung (Mo. 22.3371)
Dossier: Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen