Suche zurücksetzen

Inhalte

Akteure

  • Steinemann, Barbara (svp/udc, ZH) NR/CN
  • Reimann, Lukas (svp/udc, SG) NR/CN

Prozesse

120 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Obwohl der Ständerat nicht auf die Vorlage der SPK-NR für Kaderlöhne in Bundes- und bundesnahen Unternehmen eintreten wollte, folgte eine deutliche Mehrheit des Nationalrats in der Wintersession 2021 ihrer Kommission und hielt mit 151 zu 39 Stimmen an Eintreten auf die Vorlage fest. Die Minderheit aus der geschlossen stimmenden FDP-Liberalen Fraktion und einem Teil der Mitte-Fraktion stand auf verlorenem Posten. Kurt Fluri (fdp, SO), der für die FDP-Liberale Fraktion das Wort ergriffen hatte, hatte vergeblich argumentiert, dass sich seit 2016 – also seit dem Jahr, in dem die parlamentarische Initiative von Susanne Leutenegger Oberholzer (sp, BL) eingereicht worden war – einiges getan habe und «starre, undifferenzierte» Lohnobergrenzen nicht mehr zeitgemäss seien. Auch Andri Silberschmidt (fdp, ZH) ergriff für seine Fraktion das Wort. Der Bundesrat sei zuständig für die Lohngestaltung, die er aber für jedes Unternehmen separat und ohne starre Lohnvorgaben durchführen können müsse. Damit war etwa die SP-Fraktion nicht einverstanden. Es sei in der Tat etwas ruhiger geworden um die Diskussion über Exzesse bei der Lohnpolitik; dies sei aber kein Grund, die Sache als erledigt zu betrachten, argumentierte Nadine Masshardt (sp, BE) für ihre Fraktion. Eine Obergrenze von CHF 1 Mio. biete noch genügend Marge, pflichtete Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE) bei und Barbara Steinemann (svp, ZH) erinnerte an die Abzockerinitiative, die von der Stimmbevölkerung angenommen worden war. Die SVP-Fraktion finde zudem, dass die Kaderlöhne von öffentlichen Unternehmungen «in keinem Verhältnis mehr zur Leistung» dieser Kader stünden. Auch das Plädoyer von Finanzminister Ueli Maurer, der darauf hinwies, dass hier ganz verschiedene Unternehmenskulturen in einen Topf geworfen würden und dass ein Gesetz in Zukunft unnötig einengen werde, wenn es darum gehe, gute Kader zu finden, verhallte letztlich ungehört.

Kaderlöhne bei Bundes- und bundesnahen Unternehmen (Pa.Iv. 16.438)
Dossier: Kaderlöhne bei Bundes- und bundesnahen Unternehmen

Mittels parlamentarischer Initiative forderte SVP-Nationalrat Lukas Reimann (SG), dass bei Einbürgerungen künftig keine Doppelbürgerschaften mehr möglich sind. Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen wolle, müsse «den Entscheid treffen, in welchem Land er seinen Lebensmittelpunkt haben will, und bereit sein, die ausländische Staatsbürgerschaft aufzugeben», begründete der Initiant sein Anliegen. Die Doppelbürgerschaft bringe laut Reimann Probleme mit sich, so etwa die Ungleichbehandlung von Personen mit einfacher und mehrfacher Staatsbürgerschaft, Loyalitätskonflikte und Schwierigkeiten beim Schutz von Doppelbürgern im Ausland. Durch den expliziten Entscheid für die Schweizer Staatsbürgerschaft würde hingegen die Bereitschaft zur Integration zum Ausdruck gebracht und dadurch die erfolgreiche Integration gefördert. Im Namen der RK-NR widersprach Greta Gysin (gp, TI) diesen Argumenten in der Wintersession 2021: Die Probleme, welche durch die parlamentarische Initiative gelöst werden sollten, seien kein Resultat der Doppelbürgerschaft, sondern gingen vielmehr auf den Grad der Integration betroffener Personen zurück. Zudem sei nicht klar, ob das Verbot von Doppelbürgerschaften grossflächig zur Anwendung kommen oder nur für Personen im Einbürgerungsprozess gelten solle. Kurt Fluri (fdp, SO) ergänzte für die Kommission, dass Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern weder pauschalisierend unterstellt werden solle, gegenüber der Schweiz nicht loyal zu sein, noch der Eindruck erweckt werden dürfe, dass eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer einer anderen Klasse angehörten. Aus diesen Gründen beantragte die Kommissionsmehrheit, der Initiative keine Folge zu geben. Ein SVP-Minderheitsantrag auf Folgegeben fand ausschliesslich in der SVP-Fraktion Unterstützung. Mit 136 zu 49 Stimmen sprach sich der Nationalrat gegen Folgegeben aus.

Optionsmodell statt automatisches Doppelbürgerrecht (Pa.Iv. 20.501)

In der Wintersession 2021 schwenkte der Nationalrat betreffend Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes zur Regelung der Reisebestimmungen für vorläufig aufgenommene Personen in den verbleibenden Differenzen auf die Linie des Ständerates ein. Dabei beschloss er – wie Corina Gredig (glp, ZH) es formulierte – für vorläufig aufgenommene Personen nicht nur ein Heimatreiseverbot, was dem ursprünglichen Sinn der mit der Gesetzesänderung zu erfüllenden Motion entsprochen hätte, sondern gleich ein gesetzlich verankertes, generelles Reiseverbot, das auch von Ausnahmen für Reisen in den Schengen-Raum absah. So strich der Nationalrat die von ihm eingeführten Ausnahmebestimmungen zum Reiseverbot gegen eine Minderheit Gredig gänzlich aus dem Gesetz, womit Gründe, die den betroffenen Personen dennoch eine Reise ins Ausland ermöglichen, nach wie vor ausschliesslich auf Verordnungsstufe geregelt werden. Während Vertreterinnen und Vertreter der Ratslinken und der GLP Verletzungen diverser Grundrechte beklagten, verwiesen Nationalrätinnen und -räte der anderen Parteien auf die bestehenden Ausnahmeregelungen in der Verordnung und vertraten die Ansicht, dass nur auf diesem Wege Umgehungsmöglichkeiten des Heimatreiseverbots verhindert werden könnten. Wenn etwa Reisen in den Schengen-Raum unter gewissen Bedingungen zulässig wären, könnte der Bund nicht garantieren, dass jemand, der für eine Geburtstagsfeier nach Deutschland reise, nicht danach doch noch in ein Flugzeug zurück in sein Heimatland steige, so etwa Barbara Steinemann (svp, ZH).
Auch in einem zweiten Punkt lenkte der Nationalrat ein, indem er nämlich von einer verkürzten Frist zum Wechsel des Wohnkantons aus Gründen der Erwerbstätigkeit absah. Während sich der Nationalrat in der Detailberatung noch für die Möglichkeit des Umzugs bereits nach sechsmonatigem Arbeitsverhältnis ausgesprochen hatte, folgte er gegen den Willen einer Minderheit Marti (sp, BL) nun dem Vorschlag des Bundesrates und des Ständerates, der einen Wechsel des Wohnkantons erst nach zwölfmonatigem Arbeitsverhältnis erlauben will. Mit letzterer Änderung soll eine Motion der SPK-SR (Mo. 18.3002) erfüllt werden, die zur besseren Arbeitsmarktintegration von vorläufig Aufgenommenen eine Erleichterung beim Kantonswechsel zwecks Erwerbstätigkeit beabsichtigte.
Nach Beseitigung dieser letzten Differenzen war das Geschäft bereit für die Schlussabstimmung. Diese passierte es im Ständerat mit 31 zu 12 Stimmen und im Nationalrat mit 111 zu 80 Stimmen (2 Enthaltungen). Für die Vorlage stimmten die geschlossenen Fraktionen der Mitte, FDP.Liberalen und der SVP, wobei sich die beiden linken Fraktionen und die Fraktion der GLP – mit den beiden Enthaltungen als einzige Ausnahme – beinahe ebenso geschlossen dagegen stellten.

Loi sur les étrangers et l’intégration. Modification (MCF 20.063)
Dossier: Ausländer- und Integrationsgesetz. Änderung (vorläufig Aufgenommene)

Nachdem die beiden Kammern in der Sommersession 2021 einen Gegenvorschlag verworfen und die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» fast einstimmig zur Ablehnung empfohlen hatten, setzte der Bundesrat den Termin für die Abstimmung über das Volksbegehren auf den 28. November 2021 fest.

Das Ziel der Initiative war eine Reform des Wahlsystems der Bundesrichterinnen und Bundesrichter. Am aktuellen Vorgehen wurde kritisiert, was in der Zeitung «Republik» als «Unheilige Dreifaltigkeit» bezeichnet wurde: Parteizugehörigkeit, Mandatssteuer und Wiederwahl. In der Tat bedingt die Idee des Parteienproporz, also die Verteilung der Sitze an den höchsten eidgenössischen Gerichten entsprechend der Stärke der Parteien im Parlament, dass Kandidierende für höchste Richterämter einer Partei angehören sollten, um gewählt werden zu können. Alle Parteien fordern zudem von ihren Mandatsträgerinnen und -trägern eine Abgabe, die Mandatssteuer. In den Medien wurden zu diesem Obolus von Gerichtspersonen verschiedene Zahlen herumgereicht: Eine Befragung der CH-Medien bei den Parteien wies ein Total aller Abgaben von allen Richterinnen und Richtern aus allen Bundesgerichten zwischen CHF 30'000 bei der GLP und CHF 265'000 bei der SP aus (FDP: CHF 35'000; Grüne: CHF 100'000; Mitte: CHF 65'000; SVP: CHF 172'000). Das aktuelle Wahlsystem sieht schliesslich vor, dass Bundesrichterinnen und -richter nicht nur vom Parlament gewählt, sondern alle sechs Jahre bestätigt werden müssen. Das Initiativkomitee kritisierte, dass diese drei Elemente letztlich die Unabhängigkeit der Judikative gefährdeten, und forderte deshalb mit seinem Begehren, dass ein vom Bundesrat ernanntes Fachgremium Kandidierende nach fachlicher Eignung auswählt und dass die Bundesrichterinnen und Bundesrichter aus einem mit diesen Kandidierenden gefüllten Pool per Losverfahren gezogen werden. Die Gewählten sollen zudem keiner Amtszeitbeschränkung mehr unterliegen, sondern bis maximal fünf Jahre nach Pensionsalter in ihrem Amt verbleiben dürfen, falls sie nicht mittels eines neu einzuführenden Abberufungsverfahrens aufgrund von Fehlverhalten abgesetzt würden. Beim Losverfahren würde einzig eine sprachliche Repräsentation berücksichtigt.

Das Initiativkomitee – neben dem «Vater» der Initiative, dem Multimillionär und Unternehmer Adrian Gasser, sassen der Politikwissenschafter Nenad Stojanovic und die Mitte-Politikerin Karin Stadelmann (LU, mitte) federführend im Komitee – lancierte den Abstimmungskampf am 30. September 2021. An einer Pressekonferenz und in späteren Interviews betonten die Initiantinnen und Initianten, dass mit Annahme ihres Begehrens der Pool an geeigneten Richterinnen und Richtern vergrössert würde: Auch Parteilose könnten am Bundesgericht Einsitz nehmen und es müssten zukünftig nicht mehr zahlreiche geeignete Kandidierende hintanstehen, wenn eine Partei – wie aktuell etwa die Grünen nach ihren Wahlerfolgen 2019 – stark untervertreten sei und deshalb bei Vakanzen lediglich Kandidierende dieser Partei berücksichtigt würden. Adrian Gasser strich in mehreren Interviews das in seinen Augen grosse Problem der Parteiabhängigkeit und der Mandatssteuer hervor: «Die politischen Parteien haben sich die Macht angeeignet, diese Ämter unter sich aufzuteilen, dafür Geld zu verlangen und eine opportun erscheinende Gesinnung einzufordern [...] Vorauseilender Gehorsam ist garantiert», klagte er etwa in einem NZZ-Meinungsbeitrag. In Le Temps behauptete er, dass die fehlende Unabhängigkeit der Gerichte dazu führe, dass in 95 Prozent der Fälle Individuen vor Gericht verlieren würden, wenn sie gegen den Staat antreten müssten.

Obwohl keine einzige etablierte Partei und kein Verband das Begehren unterstützte, wollte keine Organisation die Federführung für eine Nein-Kampagne übernehmen. Ende September gründete deshalb Andrea Caroni (fdp, AR) ein «überparteiliches Nein-Komitee». Weil er wie bereits 2014 bei der sogenannten «Pädophileninitiative» den liberalen, demokratischen Rechtsstaat bedroht sehe, wolle er sich wehren, betonte der FDP-Ständerat im Sonntags-Blick. Im Komitee sassen Mitglieder aller grossen Parteien: Heidi Z’graggen (mitte, UR); Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE), Nicolas Walder (gp, GE), Beat Flach (glp, AG) und Yves Nidegger (svp, GE). In den Medien tat sich freilich vor allem Andrea Caroni mit Stellungnahmen hervor. Mit dem Slogan «Wählen statt würfeln, Demokratie statt Lotterie» griff er vor allem das Losverfahren an, das auf Glück beruhe und deshalb nicht geeignet sei, fähige Kandidierende auszuwählen. Darüber hinaus habe sich das bestehende System, das eine repräsentative Vertretung unterschiedlicher politischer Grundhaltungen in der Judikative garantiere, bewährt. Im Verlauf der Kampagne warf Andrea Caroni den Initiantinnen und Initianten zudem auch vor, «falsch und verleumderisch» zu argumentieren.

Am 11. Oktober erörterte Karin Keller-Sutter an einer Pressekonferenz die Position des Bundesrats, der die Initiative zur Ablehnung empfahl. Das Volksbegehren sei «zu exotisch» und stelle das politische System und die demokratische Tradition der Schweiz «auf fundamentale Weise» in Frage, so die Justizministerin. Die Wahl durch das Parlament würde durch Losglück ersetzt, womit die demokratische Legitimation Schaden nehme. Das Losverfahren sei zudem ein «Fremdkörper im institutionellen Gefüge», so die Bundesrätin. Mit dem heute angewandten Parteienproporz werde hingegen gewährleistet, dass politische Grundhaltungen, aber auch das Geschlecht und die regionale Herkunft am Bundesgericht «transparent und ausgewogen» vertreten seien, war in der Medienmitteilung zu lesen. Die Praxis zeige zudem, dass die Unabhängigkeit gewährleistet sei und kein Druck von Parteien auf die Bundesrichterinnen und Bundesrichter ausgeübt werde. Noch nie in der jüngeren Geschichte sei ein Richter oder eine Richterin aus politischen Gründen abgewählt worden, so Karin Keller-Sutter, was zeige, dass der von den Initiantinnen und Initianten kritisierte Konformitätsdruck aufgrund der Angst vor einer Wiederwahl gar nicht bestehe. Es sei zudem falsch anzunehmen, dass parteilose Richterinnen und Richter nicht ebenfalls Werte vertreten würden, die allerdings nicht so transparent seien, wie bei Parteimitgliedern. Die Justizministerin nahm schliesslich auf die aktuelle Pandemie-Diskussion Bezug: Viele Stimmen kritisierten momentan demokratisch nicht legitimierte Gremien aus Expertinnen und Experten. Mit Annahme der Initiative würde mit der vorgesehenen Fachkommission aber ein weiteres solches Gremium geschaffen.

In den Medien wurde laut APS-Analyse und FöG-Abstimmungsmonitor nur selten über die Justizinitiative berichtet. Dies war einerseits dem Umstand geschuldet, dass vor allem das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes sehr viel Platz in der medialen Berichterstattung einnahm, andererseits ist dies aber wohl auch der Komplexität des Themas zuzuschreiben. In der Tat kamen in den Printmedien neben Adrian Gasser und Andrea Caroni vor allem Expertinnen und Experten, aber auch ehemalige Richterinnen und Richter zu Wort.
Auffällig war, dass die meisten dieser Expertinnen und Experten der Initiative relativ wohlwollend gegenüberstanden. So wurden etwa Studien zitiert, die zeigten, dass eine längere Amtszeit zu mehr richterlicher Unabhängigkeit führe. Kurze Amtszeiten und vor allem die Wiederwahl könnten hingegen als Disziplinierungsmöglichkeit von Parteien erachtet werden, mit der Linientreue von Richterinnen und Richtern erzwungen werde, so etwa der Politikwissenschafter Adrian Vatter in der NZZ. Die Wiederwahl sichere Bodenhaftung der Richter und trage dazu bei, dass «sich die Justiz nicht verselbständigt» und dass Richterinnen und Richter nicht zu einer «Elite ohne Legitimation» würden, meinte hingegen Katharina Fontana, ehemalige Mitarbeiterin im BJ und NZZ-Journalistin für das Themengebiet Recht und Gesellschaft. Bemängelt wurde zudem der Umstand, dass parteilose Kandidierende aktuell keine Chance hätten, gewählt zu werden. Wenn wirklich Repräsentation das Ziel sei, dann dürften in den Gerichten nicht nur Parteimitglieder sitzen, da die grosse Mehrheit der Bevölkerung keine Parteibindung aufweise, so die Argumentation. Adrian Vatter schlug entsprechend ein Modell mit 50 Prozent Parteilosen und 50 Prozent Parteimitgliedern vor. Debattiert wurde auch über die Frage, ob Richterinnen und Richter überhaupt ideologisch neutral sein könnten oder ob Gerichte eben nicht auch genuin politische Institutionen seien. In diesem Falle wäre aber der Parteienproporz folgerichtig, so die NZZ. Auch das Losverfahren erhielt einige Aufmerksamkeit – einige Expertinnen und Experten erachteten es als geeignetes Mittel zur Auswahl von Richterinnen und Richtern. Es sei schliesslich schon von Aristoteles als «Grundlage wahrer Demokratie» betrachtet worden, warb der Ökonom Bruno S. Frey. Das Los sei über längere Frist ebenso repräsentativ wie das momentane Auswahlverfahren, funktioniere aber wesentlich unabhängiger, argumentierte die Ökonomin Margit Osterloh, die zudem betonte, dass das Losverfahren nicht einfach eine Lotterie sei, sondern dass durch das qualitative Losverfahren mit Vorselektion letztlich geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt würden als von menschlichen Expertinnen und Experten, die in ihrer Wahl eben nicht frei seien von Beeinflussung. Die anfänglich wohl geringere Akzeptanz des Losverfahrens würde rasch zunehmen und das Vertrauen in die Judikative dadurch gar noch verstärkt, so die Ökonomin. In den medialen Kommentaren stand hingegen die Fachkommission, die gemäss der Justizinitiative vom Bundesrat zusammengestellt werden müsste, eher in der Kritik. Die Diskussion um eine optimale Besetzung würde sich von der Richterinnen- und Richterwahl auf die Bestellung dieser Fachkommission verschieben. Es sei nicht klar, wie diese zusammengesetzt werden solle und ob diese eben nicht auch wiederum politisch agieren würde, so der Tenor der Kritikerinnen und Kritiker. Die Weltwoche sprach gar von einer «brandgefährlichen Illusion», zu meinen, es könne ein Gremium eingesetzt werden, das «objektive Qualifikationsmerkmale» bestimmen könne. Andrea Caroni warnte vor «einer obskuren, bundesratsnahen Kommission [...], die weder Qualität noch Vielfalt noch demokratische Legitimation gewährleisten kann». Allerdings stand auch die Frage im Raum, ob die parlamentarische Gerichtskommission (GK), die momentan mit der Auswahl der Kandidierenden betraut ist, fachlich wirklich dafür geeignet sei. Ein eher pragmatisches Argument gegen die Initiative wurde schliesslich von Rechtsprofessor Lorenz Langer vorgebracht: Da sich die Initiative auf das Bundesgericht beschränke, stelle sich die Frage, woher bei Annahme der Initiative die Kandidierenden kommen sollen, da Bewerbende für einen Bundesgerichtsposten in der Regel an anderen Bundesgerichten (Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) oder an kantonalen Gerichten tätig seien, wo aber meist noch nach Parteienproporz gewählt würde. Es gäbe somit nicht mehr viele der verlangten «objektiven», also eben parteiunabhängigen Kandidierenden.

In der medialen Diskussion wurde von Seiten der Befürworterinnen und Befürworter auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das aktuelle System – auch im internationalen Vergleich – sehr gut funktioniere. Die Geschichte zeige, dass Richterinnen und Richter unabhängig seien und sich nicht vor einer Wiederwahl fürchteten. In der Tat wurden bisher lediglich drei Bundesrichter abgewählt – zwei aus Altersgründen zu Beginn der modernen Schweiz sowie Bundesrichter Martin Schubarth 1990, der freilich sofort wiedergewählt worden war.
Diskutiert wurde zudem der «Fall Donzallaz»: Die SVP hatte «ihren Bundesrichter» nicht mehr zur Wiederwahl empfohlen, weil er in einigen Urteilen nicht mehr die Parteilinie verfolgt habe. Yves Donzallaz wurde aber in der Folge von allen anderen Fraktionen bei seiner Wiederwahl unterstützt und schliesslich gar zum Bundesgerichtspräsidenten gewählt. Dies zeige, dass sich Richterinnen und Richter nicht von den eigenen Parteien unter Druck setzen liessen. Die Aargauer Zeitung kritisierte freilich, dass sich bei Yves Donzallaz das Problem der Parteifarbe besonders gut zeige: Um Bundesrichter zu werden, habe er einen Parteiwechsel von der CVP zur SVP vorgenommen. Dies komme häufig vor, so die Zeitung: Kandidierende wechselten ihre «Parteifarbe wie Chamäleons», um ihre Wahlchancen zu steigern.
Der einzige Nationalrat, der die Initiative unterstützt hatte, kam ebenfalls in den Medien zu Wort. Lukas Reimann gab zu Protokoll, dass er die Arbeit der GK als deren Mitglied als wenig seriös erlebt habe, da die Kandidierendenauslese eher eine politische als eine fachliche Frage gewesen sei. Einmal habe die Kommission einem sehr geeigneten, aber parteilosen Kandidaten gar offen empfohlen, der GLP oder der BDP beizutreten, damit er zur Wahl eingeladen werden könne.

Für Gesprächsstoff sorgten zudem einige pensionierte Richterinnen und Richter, die den Medien Red und Antwort standen. Praktisch unisono gaben alt-Bundesstrafrichter Bernard Bertossa sowie die alt-Bundesrichter Jean Fonjallaz, Karl Hartmann, Ulrich Meyer und Hans Wiprächtiger, aber auch die Luzerner alt-Oberrichterin Marianne Heer (fdp) zu Protokoll, von ihrer Partei nie auch nur irgendeinen Druck verspürt zu haben – auch ihre Kolleginnen und Kollegen nicht. Angesprochen auf die Angst vor einer Nicht-Wiederwahl erzählte Hans Wiprächtiger, dass sich das Bundesgericht viel mehr vor schlechter Presse als vor dem Parlament fürchte. Zur Sprache kam auch die von der Greco kritisierte Mandatssteuer. Man müsse die Parteien unterstützen, damit die Demokratie in der Schweiz funktioniere, äusserte sich Jean Fonjallaz hierzu. Er habe vielmehr das Gefühl, dass die Partei mehr von ihm als Beitragszahlendem abhängig sei als er von ihr, so der alt-Bundesrichter. Von Ämterkauf könne nur die Rede sein, wenn Höchstbietende einen Posten kriegten; die Abgaben seien aber innerhalb einer Partei für alle gleich.
Eine gegenteilige Meinung vertrat einzig der Zürcher alt-Oberrichter Peter Diggelmann. Es gebe zwar keine offenen Drohungen, den Druck der Parteien spüre man aber etwa an Fraktionsausflügen oder Parteianlässen. Er selber sei zudem zu einer Mandatssteuer gezwungen worden und wäre wohl nicht mehr nominiert worden, wenn er der entsprechenden Mahnung nicht nachgekommen wäre. Im Gegensatz zu Kolleginnen und Kollegen, die momentan im Amt seien und deshalb aus Angst keine öffentliche Kritik anbrächten, sei es ihm als pensioniertem Richter und aufgrund seines Parteiaustritts möglich, Kritik zu äussern. Das Interview von Peter Diggelmann im Tages-Anzeiger blieb nicht unbeantwortet. Andrea Caroni sprach tags darauf in der gleichen Zeitung von «verleumderischen Unterstellungen». Er kenne keinen Richter und keine Richterin, die sich unter Druck gesetzt fühlten.

Beliebtes Mediensujet war auch der Kopf der Initiative, Adrian Gasser. Der Multimillionär und Chef der Lorze Gruppe, einem Firmenkonglomerat mit Sitz in Zug, habe sich seit seiner Jugendzeit für richterliche Unabhängigkeit interessiert. Als Wirtschaftsprüfer habe er einige Fälle erlebt, bei denen diese Unabhängigkeit nicht gegeben gewesen sei, sagte er in einem Interview. 1987 habe Adrian Gasser im Kanton Thurgau erfolglos für den National- und 1999 für den Ständerat kandidiert – als Parteiloser. Erst 40 Jahre nach diesen Erlebnissen könne er sich nun aber die Finanzierung einer Volksinitiative leisten. In der Tat soll Adrian Gasser laut Medien rund CHF 1 Mio für die Sammlung der Unterschriften aufgeworfen haben. «Andere haben ein Motorboot in Monaco, ich habe mir eine Initiative im Interesse der Schweiz geleistet», so Gasser bei der Einreichung seiner Initiative im St. Galler Tagblatt.

Auch für die Abstimmungskampagne schien das Initiativkomitee einiges an Geld aufgeworfen zu haben. Im Sonntags-Blick wurde vermutet, dass Adrian Gasser für die Kampagne kaum weniger aufgewendet haben dürfte als für die Unterschriftensammlung, was Andrea Caroni in derselben Zeitung zum Vorwurf verleitete, dass sich «eine Einzelperson [...] praktisch eine Initiative gekauft und die Schweiz zuplakatiert» habe. Der Gegnerschaft fehle es hingegen an spendablen Geldgebenden. Bei der APS-Inserateanalyse zeigt sich zwar in der Tat ein Ungleichgewicht zugunsten der Befürwortenden, allerdings finden sich von beiden Lagern kaum Inserate in den grössten Schweizer Printmedien.

Bei den Abstimmungsumfragen im Vorfeld des Urnengangs vom 28. November zeigte sich ein für Initiativen typisches Bild. Hätten Mitte Oktober noch 48 Prozent der Befragten Ja oder eher Ja zur Initiative gesagt, lag dieser Anteil rund zwei Wochen vor der Abstimmung noch bei 37 Prozent. Für eine inhaltlich komplexe Vorlage ebenfalls gängig war der hohe Anteil Befragter, die sich zu Beginn der Kampagne noch keine Meinung gebildet hatten (Anteil «weiss nicht» am 15.10.2021: 19%; 17.11.2021: 7%).

Wie aufgrund der Umfragewerte zu vermuten, wurde die Initiative am Abstimmungssonntag deutlich verworfen. Bei einer wohl vor allem dem gleichzeitig stattfindenden Referendum gegen das Covid-19-Gesetz, aber auch der «Pflegeinitiative» geschuldeten aussergewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von fast 65 Prozent lehnten mehr als zwei Drittel der Stimmberechtigten eine Reform des geltenden Systems der Wahlen von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern ab.


Abstimmung vom 28. November 2021

Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)»
Beteiligung: 64.7%
Ja: 1'382'824 Stimmen (31.9%) / 0 Stände
Nein: 2'161'272 Stimmen (68.1%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
-Ja: Piratenpartei
-Nein: EDU, EVP, FDP, GLP (2), GPS (2), Mitte, PdA, SD, SP, SVP; SGV
-Stimmfreigabe: BastA
* in Klammern Anzahl abweichende Kantonalsektionen


Die Medien sprachen am Tag nach der Abstimmung von einer deutlichen Niederlage. Das Resultat zeige, dass die Stimmberechtigten mit dem System zufrieden seien, liessen sich die Gegnerinnen und Gegner vernehmen. «Das Volk hält den Wert der Institutionen hoch», interpretierte Justizministerin Karin Keller-Sutter das Resultat. Die Initiative habe zwar einige wunde Punkte aufgezeigt, sei aber zu extrem gewesen, um diese Probleme zu lösen, meinte Matthias Aebischer (sp, BE) in La Liberté. Die Initiantinnen und Initianten erklärten sich die Niederlage mit der zu wenig gut gelungenen Information der Bürgerinnen und Bürger über die Probleme des jetzigen Systems. Adrian Gasser machte zudem die einseitige Information durch die Bundesbehörden und die öffentlich-rechtlichen Medien, welche die Meinungsbildung beeinträchtigt habe, für das Scheitern der Initiative verantwortlich. Er kündigte zudem noch am Abend des Abstimmungssonntags einen weiteren Anlauf an. Innert zwei bis drei Jahren könne die Bevölkerung für die Fehlfunktionen im Justizsystem besser sensibilisiert werden. Er wolle deshalb bald mit der Sammlung von Unterschriften für eine identische Initiative beginnen.
Diskutiert wurden in den Medien freilich auch noch einmal die Schwachstellen des Systems, die nun angegangen werden sollten. Die Justizinitiative habe eine «Debatte rund um das Schweizer Justizsystem ausgelöst und uns zu Verbesserungen angespornt», lobte etwa Andrea Caroni im St. Galler-Tagblatt. So dürften die Diskussionen um mehr Transparenz bei den Parteienfinanzen zu einer Offenlegung der Mandatssteuern führen. Im Parlament hängig war zudem die in einer parlamentarischen Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) aufgeworfene Frage, ob diese Mandatssteuern nicht gänzlich abgeschafft werden sollen. Mit der Ablehnung eines Gegenvorschlags zur Justizinitiative schien hingegen die Frage einer Amtszeitverlängerung der Bundsrichterinnen und Bundesrichter vom Tisch, wie sie von der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richtern am Tag nach der Abstimmung erneut gefordert wurde. Eine mögliche Professionalisierung der Kandidierendenauswahl bzw. die Ergänzung der GK durch eine Fachkommission, die Bewerbungen für Richterinnen- und Richterämter mitsichten soll, war ebenfalls Gegenstand einer noch hängigen parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 21.452).

Die VOX-Analyse fand nur schwache Muster, mit denen das Abstimmungsverhalten bei der Justizinitiative erklärt werden könnte. Personen mit einer Berufsbildung sagten etwas stärker Nein als andere Bildungskategorien. Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen sagten mehrheitlich Ja – im Gegensatz zu den Anhängerinnen und Anhänger aller anderer Parteien. Hohes Vertrauen in die Judikative ging zudem eher mit einem Nein einher. Bei den Motiven für ein Ja zeigte sich der Wunsch nach Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern von den Parteien sowie nach einem System, das auch für Parteilose Chancen einräumt, als zentral. Ein Nein wurde hingegen laut VOX-Analyse eher mit der Skepsis gegenüber dem Losverfahren und der Meinung, dass das bisherige System gut funktioniere, begründet.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

A la suite de l'approbation de l'échange automatique de renseignements (EAR) en 2019, Lukas Reimann (udc, SG) a demandé l'abandon de ces échanges avec les pays qui violent manifestement les droits de l'homme.
Le Conseil fédéral s'est fortement opposé à la motion. Premièrement, il a souligné que les Etats partenaires devaient respecter les prescriptions de protection des données. Deuxièmement, il a indiqué qu'un mécanisme garantissait une protection individuelle en cas de risque de préjudice déraisonnable. Troisièmement, il a précisé que le Parlement avait déjà introduit un mécanisme de contrôle. Finalement, il a rappelé que la Suisse pouvait suspendre ou résilier un accord EAR en cas de circonstances exceptionnelles.
Lors du vote en chambre, la motion a été balayée par 131 voix contre 53 et 1 abstention. Seuls les députés et députées UDC (et une exception au PVL) ont voté en faveur de la motion. Le groupe UDC s'était déjà opposé à l'EAR.

Suspendre l'échange automatique de renseignements avec les pays qui violent manifestement les droits de l'homme (Mo. 19.4584)

Das einzige Mittel, das gegen «korrupte Politik» helfe, sei ein Verbot von Lobbyismus, eröffnete Lukas Reimann (svp, SG) die Verteidigung seiner Motion bei der Ratsdebatte während der Herbstsession 2021. Politikerinnen und Politiker müssten das Gemeinwohl fördern und es dürfe nicht zugelassen werden, dass sie «mit eigenen Lobbybüros, die allenfalls als Kommunikationsbüros getarnt sind, Gewinnmaximierung betreiben». Wer sein Mandat zum privaten Nutzen missbrauche, müsse bestraft werden können, forderte der St. Galler in seiner Motion.
Das für das Anliegen zuständige Büro-NR listete nicht weniger als 17 Vorstösse zum Thema auf, die in den letzten Jahren diskutiert worden seien. Es forderte Reimann auf, seine Idee im Rahmen der parlamentarischen Initiative Rieder (mitte, VS; Pa.Iv. 19.414) zum Thema Lobbying und Kommissionsarbeit einzubringen oder eine parlamentarische Initiative dazu einzureichen. Folglich empfahl es die Motion mit 8 zu 1 Stimmen bei 3 Enthaltungen zur Ablehnung. Dieser Empfehlung folgte die Mehrheit der grossen Kammer und sprach sich mit 170 zu 11 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) gegen den Vorstoss aus. Unterstützung erhielt Reimann einzig von Teilen seiner Fraktion und von Marianne Streiff-Feller (evp, BE).

Verbot entgeltlicher Lobbyarbeit (Mo. 21.3949)
Dossier: Lobbyismus im Bundeshaus

Wer Milizarbeit leistet – etwa in der Feuerwehr, in der Armee, im Zivilschutz, im Zivildienst oder bei J&S-Leiterkursen – erhält eine Entschädigung gemäss Erwerbsersatzordnung (EO), die sich an der Höhe des Einkommens bemisst, das die entsprechende Person vor dem Einsatz bezogen hat. Auch das Parlament sei Teil des Milizsystems, begründete Lukas Reimann (svp, SG) seinen Vorstoss vom Juni 2021, mit dem er eine Entschädigung von Parlamentsmitgliedern gemäss EO verlangte.
Mit einem ganzen Strauss an früheren Vorstössen wies das Büro-NR in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Frage der Entschädigung der Parlamentsmitglieder immer wieder diskutiert worden sei. Der Rat habe aber mit Ausnahme eines Postulats Feri (sp, AG) zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik alle entsprechenden Ansinnen stets abgelehnt. Man solle nun die Resultate der Studie abwarten, die zur Erfüllung ebendieses Postulats in Auftrag gegeben worden sei, und die Motion entsprechend ablehnen. Das Büro wies den Motionär zudem darauf hin, dass seine Forderung eine Änderung des Parlamentsressourcengesetzes bedinge, wofür eine parlamentarische Initiative «der geeignetere Weg wäre».
In der Ratsdebatte in der Herbstsession 2021 argumentierte Reimann, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht besser behandelt werden dürften als andere Personen, die sich mit Milizarbeit für das Gemeinwohl des Landes einsetzten. Der Motionär wurde unterstützt von einer rechtsbürgerlichen Minderheit des Büro-NR. Thomas Aeschi (svp, ZG) ergriff für diese das Wort und bat um einen Beitrag zur «Stärkung des Milizsystems». Die Kommissionsminderheit blieb allerdings trotz dieser Bitte auch in der Ratsabstimmung in der Minderheit: Die Motion wurde von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und einer 2/3-Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion mit 69 Stimmen unterstützt. Diese reichten jedoch gegen die 114 Gegenstimmen (bei 2 Enthaltungen) nicht aus und der Vorstoss wurde abgelehnt.

Gleichbehandlung bei der Entschädigung von Milizarbeit (Mo. 21.3950)
Dossier: Entschädigung von Parlamentsmitgliedern

Die «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns) beschloss im August 2021, eine Fusion mit dem «Komitee Nein zum schleichenden EU-Beitritt (EU-No)» zu prüfen. Zwei Wochen davor hatte der Vorstand von «EU-No» einen analogen Beschluss gefasst und bekannt gegeben, «ergebnisoffene» Gespräche mit der Auns aufnehmen zu wollen. Der Beschluss erfolgte auf Vorschlag von Christoph Blocher (svp, ZH), seines Zeichens Gründungspräsident der Auns und ehemaliger Präsident des Komitees «EU-No». Blocher übernahm auch gleich die Leitung der mit den Fusionsabklärungen betrauten Arbeitsgruppe der beiden Organisationen. Kein Teil dieser Arbeitsgruppe war hingegen der seit 2014 amtierende Auns-Präsident Lukas Reimann (svp, SG), der gemäss einem NZZ-Bericht bereits 2020 von Blocher die «Empfehlung» erhalten habe, vom Auns-Präsidium zurückzutreten.
Blocher begründete die Fusionsbestrebungen laut NZZ damit, dass auf der einen Seite das Komitee «EU-No» seinen «Auftrag» erfüllt habe, indem der Bundesrat im Mai 2021 die Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen hatte – schliesslich war die Verhinderung eines solchen Abkommens der Hauptzweck des 2013 gegründeten Komitees gewesen. Auf der anderen Seite werde die Auns in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht in der Lage sein, eine Volksabstimmung zu gewinnen, wenn die «Classe Politique» dereinst einen neuen Anlauf für einen «landesverräterischen Vertrag» mit der EU unternehmen werde. Es brauche deshalb eine Bündelung und Wiederbelebung der EU-kritischen Kräfte.

Ablösung der Auns durch «Pro Schweiz»

In der Sommersession 2021 beriet der Ständerat die Justiz-Initiative. Im Vorfeld hatte die RK-SR die Initiative einstimmig zur Ablehnung empfohlen. Allerdings lag – wie bereits in der Frühjahrssession im Nationalrat – ein Minderheitenantrag auf einen direkten Gegenentwurf vor, mit dem die Möglichkeit für eine stille Wiederwahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern geschaffen werden sollte. Diesen Antrag empfahl die Kommission mit 9 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung zur Ablehnung.
In der Ratsdebatte führte der Präsident der RK-SR, Beat Rieder (mitte, VS), als Kommissionssprecher die Argumente aus, mit welcher seine Kommission ihre Ablehnung gegen das Begehren begründete. Mit dem Losverfahren würde ein direktdemokratisches Wahlverfahren durch ein «aleatorisches» ersetzt, was der Tradition der Schweiz widerspreche. Ein solches Verfahren würde nicht nur die Legitimation der Gerichte untergraben, sondern auch die Vereinigte Bundesversammlung eines ihrer Rechte berauben und sie so schwächen. Darüber hinaus sehe die Initiative zwar eine angemessene sprachliche Verteilung vor, eine Repräsentation der Geschlechter oder verschiedener Landesteile und Regionen sei aber nicht vorgesehen und würde durch das Los wohl kaum abgedeckt. Eine möglichst repräsentative Vertretung sei aber eben Bedingung für eine hohe Akzeptanz der Judikative. Auch eine Expertenkommission, die gemäss der Initiative anstelle der Gerichtskommission (GK) die geeigneten Richterinnen und Richter bestimmen soll, die dann zum Losverfahren zugelassen würden, bestehe aus Mitgliedern, die «persönliche und gesellschaftspolitische Ansichten» hätten. Politische Neutralität, wie sie vom Begehren angestrebt werde, sei auch von einem solchen Gremium nicht zu erwarten. Zudem hätten auch ausgeloste Richterinnen und Richter politische Grundhaltungen, die per Los aber nicht unbedingt ausgewogen verteilt wären. Nicht das Los, sondern der freiwillige Parteienproporz sorge eben dafür, dass unterschiedliche politische Werthaltungen möglichst ausgewogen vertreten seien. Zwar könne ein Expertengremium nach objektiven Kriterien wohl über fachliche Eignung und Qualität von Gerichtspersonen befinden. Innerhalb dieser Qualifikationen dürfte es aber Unterschiede geben und mit dem Losverfahren würden dann eben wahrscheinlich nicht die Personen mit der besten Eignung gewählt. Allerdings sei die Idee, mehr Expertise in die Auswahl der Richterinnen und Richter aufzunehmen, gut. Die RK-SR habe deshalb eine parlamentarische Initiative für einen Fachbeirat eingereicht, der die GK beim Auswahlverfahren unterstützen solle. Ein weiteres Problem der Justizinitiative sei, dass sie keine Wiederwahl, sondern lediglich eine Amtsenthebung von Richterinnen und Richtern durch Bundesrat und Parlament vorsehe. Auch hier gebe es viel Potenzial für Misstrauen und Legitimationsverlust. Das jetzige System habe sich bewährt, schloss Rieder sein Plädoyer gegen die Initiative; das «Schweizerische Bundesgericht kann als eines der weltweit besten angesehen werden».
Lisa Mazzone (gp, GE) warb für den Gegenvorschlag. Einen solchen brauche es nur schon, um der Initiative möglichst viel Unterstützung zu entziehen. Jedes Ja-Prozent sei nämlich ein Zeichen für schädliches Misstrauen gegen die Judikative. Das Parlament dürfe nicht so tun, als gäbe es keine Probleme. Ein solches Problem stelle die Wiederwahl der Richterinnen und Richter dar, die immer wieder von unschönen Tönen begleitet werde und stark politisiert sei. Der Gegenvorschlag, der freilich im Nationalrat abgelehnt worden sei und deshalb von der Kommission noch verbessert werden müsste, müsse ein Verfahren anstreben, mit dem die Wiederwahl durch das Parlament und die damit verbundenen, in der Bevölkerung Misstrauen schürenden, politischen Spielchen vermieden werden. Andrea Caroni (fdp, AR) nahm den Ball auf und erwähnte, dass es in der Geschichte lediglich in drei Fällen zu Abwahlen gekommen sei. Im 19. Jahrhundert sei dies aufgrund des Alters zweier Richter geschehen. Dem sei mit der gesetzlich geregelten Alterslimite – Amtsausübung bis längstens fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters – begegnet worden. «Das institutionelle Immunsystem» habe aber auch im dritten Fall, bei der «persönlich motivierten» Abwahl von Bundesrichter Schubarth 1990, funktioniert, weil dieser anschliessend sofort wiedergewählt worden sei. Das System sei nicht perfekt, aber sehr gut und es brauche entsprechend auch keinen Gegenvorschlag. In der Debatte wurden weitere Analogien zur Geschichte gezogen: Heidi Z'graggen (mitte, UR) führte die ausgelosten Richter ins Feld, die Sokrates zum Tod verurteilt hatten, und Mathias Zopfi (gp, GL) berichtete, dass das Losverfahren im Kanton Glarus bis ins 17. Jahrhundert angewendet worden sei, sich aber nicht bewährt habe. Justizministerin Karin Keller-Sutter schloss die Debatte schliesslich mit dem Hinweis, dass eine einmalige Wahl und eine lange Amtsdauer die Unabhängigkeit der Judikative in der Tat grundsätzlich stärken und Parteilose mit dem Losverfahren eher eine Richterstelle erhalten würden. Trotzdem sei der Bundesrat gegen das Begehren, weil das Losverfahren nicht dem Leistungsprinzip entspreche, die demokratische Legitimation der Judikative untergrabe und die Vorzüge des tief im System der Schweiz verankerten freiwilligen Parteienproporz, wie etwa Transparenz und Repräsentativität, ohne Not verschenke. Auch das Bundesgericht selber sehe zudem keinen Handlungsbedarf und sei mit der Stellungnahme des Bundesrats einverstanden. Die Magistratin verwies schliesslich auf die bereits angestossenen Revisionen, die auf Teilforderungen der Initiative eingingen – etwa die Diskussionen in der GK für ein besseres Auswahlverfahren, das auch Parteilose berücksichtigen könnte, die parlamentarische Initiative der RK-SR für einen Fachbeirat oder die parlamentarische Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468), mit der die Mandatssteuern geregelt werden sollen. Eine stille Wahl – so das Argument des Bundesrats gegen den Antrag für einen Gegenvorschlag – wäre zudem weniger demokratisch und transparent als eine Wiederwahl. Und auch eine von einer Expertenkommission beantragbare Nichtwiederwahl mache «sogenannte Denkzettel» möglich. Ein solcher Gegenvorschlag würde zudem den Erwartungen der Initiantinnen und Initianten wohl zu wenig stark entgegenkommen und sei deshalb nicht geeignet, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. In der darauffolgenden Abstimmung lehnte der Ständerat Eintreten auf den Minderheitenantrag für einen Gegenvorschlag mit 26 zu 8 Stimmen (0 Enthaltungen) ab und empfahl die Initiative zur Ablehnung.

In den am Ende der Sommersession 2021 abgehaltenen Schlussabstimmungen zum Bundesbeschluss über die Justizinitiative, mit dem die Initiative zur Ablehnung empfohlen werden sollte, waren die Verhältnisse dann sehr deutlich. Im Nationalrat stimmte einzig Lukas Reimann (svp, SG) für eine Empfehlung auf Annahme der Initiative. Er stand 191 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen gegenüber. Im Ständerat fiel die Empfehlung zur Ablehnung des Begehrens mit 44 Stimmen einstimmig aus (0 Enthaltungen).

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

In der Sommersession 2021 räumten die Räte die noch bestehenden Differenzen beim indirekten Gegenvorschlag für mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung aus, der die Anliegen der Transparenzinitiative aufnehmen will. Als erstes war der Ständerat an der Reihe. Daniel Fässler (mitte, AI), der für die SPK-SR Bericht erstattete, informierte die Mitglieder der kleinen Kammer vorab, dass der Trägerverein der Transparenzinitiative in einem an die Kommission gerichteten Schreiben von Ende Mai 2021 den bedingten Rückzug der Initiative in Aussicht stellte, wenn der Ständerat in zwei der vier beim Gegenvorschlag verbleibenden Differenzen auf die Linie des Nationalrats umschwenke – bei der Höhe der Offenlegungspflicht von Zuwendungen an Parteien und Initiativkomitees sowie bei der Regelung der Kontrollen. Beide Differenzen wurden in der Folge ohne Diskussion gutgeheissen: Damit müssen neu Geld- oder Sachspenden, die an Parteien oder Komitees gerichtet werden und über einem Schwellenwert von CHF 15'000 liegen, offengelegt werden. Die Initiative hätte hier einen Wert von CHF 10'000 und der Ständerat ursprünglich CHF 25'000 gefordert. Bereits geeinigt hatten sich die Räte auf die Obergrenze der offenzulegenden Wahl- und Abstimmungsbudgets von CHF 50'000. Zudem muss eine Behörde, die vom Bundesrat noch zu bestimmen sein wird, die Einhaltung der Offenlegungspflichten und die Vollständigkeit der eingereichten Dokumente kontrollieren und die Angaben veröffentlichen. Auch der Ständerat war dafür, dass diese Behörde darüber hinaus Stichprobenkontrollen durchführen muss, mit denen die Richtigkeit der Angaben verifiziert werden soll. Der Vorschlag der SPK-SR, eine sprachliche Anpassung hinsichtlich der Offenlegungspflicht der so genannten Mandatssteuern, also der Abgaben, die von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern an ihre Parteien erbracht werden, vorzunehmen, wurde ebenfalls stillschweigend gutgeheissen. Zu diskutieren gab allerdings die letzte Differenz, nämlich die Frage, ob die Offenlegungspflicht auch für Wahlkampfkampagnen von Ständerätinnen und Ständeräten gelten soll. Die Mehrheit der kleinen Kammer hatte sich bei der ersten Beratung auf den Standpunkt gestellt, dass Wahlen von Kantonsvertreterinnen und -vertretern kantonalem Recht unterstünden und hierfür deshalb keine nationale Regel gelten dürfe. Kommissionssprecher Daniel Fässler wies darauf hin, dass das Initiativkomitee diesen Punkt nicht als Bedingung für den Rückzug der Initiative betrachte. Der Nationalrat habe in seiner Debatte in der Frühjahrssession 2021 allerdings gefordert, dass alle Mitglieder des gesamten Parlaments gleichgestellt werden müssten. Die SPK-SR schlage eine Offenlegungspflicht nur für jene Ständeratsmitglieder vor, die auch tatsächlich gewählt würden, erklärt Fässler den Kompromissvorschlag seiner Kommission. Nur diese gehörten ja aufgrund der erfolgten Wahl einer Bundesbehörde an und würden dann auch nationalem Recht unterstellt. Eine Minderheit beantragte allerdings Festhalten am ursprünglichen Entscheid. Begründet wurde diese Position von Thomas Hefti (fdp, GL) damit, dass in einigen Kantonen bereits Transparenzregeln eingeführt worden seien und man dies also getrost den Kantonen überlassen dürfe, die zudem spezifischer auf die unterschiedlichen Wahlkampfanforderungen für den Ständerat Rücksicht nehmen könnten. Obwohl vor allem die Ratslinke in Person von Lisa Mazzone (gp, GE) oder Hans Stöckli (sp, BE) für die Mehrheit argumentierte und gleichberechtigte Transparenz auch für die kleine Kammer forderte, folgte eine Mehrheit von 25 zu 19 Stimmen dem Minderheitsantrag und beharrte somit auf dieser letzten Differenz.

Der Nationalrat befasste sich zwei Tage später somit nur noch mit der Frage, ob Ständeratsmitglieder gleich behandelt werden sollen wie Nationalratsmitglieder. Die SPK-NR, für die Corina Gredig (glp, ZH) das Wort ergriff, sprach sich für die Bejahung dieser Frage aus. Der Wählerschaft diesen Unterschied zu erklären sei schwierig. Dennoch wolle die Kommission dem Ständerat entgegenkommen und übernehme deshalb den im Ständerat gescheiterten Vorschlag der Mehrheit der Schwesterkommission, eine Offenlegungspflicht nur von effektiv gewählten Kantonsvertreterinnen und -vertretern zu verlangen. Eine von Andri Silberschmidt (fdp, ZH) angeführt Minderheit beantragte, dem ständerätlichen Entscheid zu folgen und auf eine Offenlegung der Wahlbudgets für Ständerätinnen und Ständeräte ganz zu verzichten, um das gesamte Projekt nicht mit einem Element zu gefährden, dass letztlich «nicht matchentscheidend» sei. Die Mehrheit war hingegen anderer Meinung. Marianne Binder-Keller (mitte, AG) zeigte sich erstaunt über die «grandiose Pirouette» des Ständerats, der ja eigentlich den Gegenvorschlag angestossen habe, um mehr Transparenz zu schaffen, sich selber jetzt aber davon ausnehmen wolle. Nachdem Bundesrätin Karin Keller-Sutter versicherte, dass der Vorschlag der Offenlegungspflicht nach erfolgter Wahl verfassungskonform sei, weil ein Ständeratsmitglied mit der Wahl dem Bundesrecht unterstellt werde, erhielt der Kommissionsvorschlag 114 Stimmen. Die 30 Stimmen, die den Ständerat gänzlich von der Offenlegungspflicht der Wahlkampfbudgets befreien wollten, stammten aus der FDP (21) und der SVP-Fraktion (9).

Damit musste eine Einigungskonferenz eingesetzt werden, die es in Anbetracht der Ausgangslage aber relativ einfach hatte und mit 21 zu 3 Stimmen beschloss, die Version des Nationalrats bzw. die im Ständerat abgelehnte Version der Mehrheit der SPK-SR als Kompromissvorschlag zu unterbreiten. Im Ständerat gab es zwar noch einige Stimmen, die sich mit diesem Kompromiss nicht anfreunden konnten – so nannte Jakob Stark (svp, TG) die Regelung einen «nicht zulässigen Kunstgriff», weil während der Wahl kantonales Recht, nach der Wahl aber eidgenössische Recht gelte – nachdem die Justizministerin aber davor warnte, dass die Initiative, die wohl bei einer Volksabstimmung «grosse Chancen» hätte, wesentlich weitgehendere Offenlegungspflichten für alle eidgenössischen Wahlen fordere, schwenkte die kleine Kammer mit 31 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen auf den Kompromissvorschlag ein. Auch der Nationalrat stimmte dem Kompromissvorschlag mit 132 zu 50 Stimmen erwartungsgemäss zu – nur die fast geschlossene SVP-Fraktion mit Ausnahme von Lukas Reimann (svp, SG) stimmte dagegen.

Am Schluss der Sommersession 2021 hiess der Nationalrat die Vorlage mit 139 zu 52 Stimmen (4 Enthaltungen) und der Ständerat mit 35 zu 7 Stimmen (2 Enthaltungen) gut. In der Folge zog das Initiativkomitee sein Begehren bedingt zurück. Nach Ablauf der Referendumsfrist kündete der Bundesrat an, das die neuen Regelung im Bundesgesetz über die politischen Rechte im Herbst 2022 in Kraft treten sollen.

Transparenz in der Politikfinanzierung (Pa. Iv. 19.400)
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Nach acht Jahren Bearbeitungszeit beantragte die Mehrheit der RK-NR ihrem Rat im April 2021 bereits zum dritten Mal die Abschreibung der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) für eine staatliche Haftung bei Wiederholungstaten nach bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen. Die beiden vorangegangenen Vernehmlassungen hätten gezeigt, dass die Ablehnung der parlamentarischen Initiative nicht konkreten Umsetzungsaspekten geschuldet sei, sondern dem Anliegen selbst entspringe, so die Begründung der Kommissionsmehrheit. Sie teile zwar die Ansicht, dass schwere Verbrechen wie Mord von strafentlassenen Wiederholungstätern durch wirksame Massnahmen bekämpft werden und Opfern jede mögliche Hilfe zugesprochen werden müsse, allerdings könne sich die Kommissionsmehrheit «nicht für die Umsetzung des Initiativtextes aussprechen», erklärte Berichterstatterin Sibel Arslan (basta, BS). Nicht zuletzt hätten die Kantone, in deren Kompetenz der Strafvollzug liegt, massive Kritik am Anliegen geübt. Eine SVP-Minderheit erachtete den Handlungsbedarf jedoch weiterhin als aktuell und beantragte deshalb eine erneute Fristverlängerung. Barbara Steinemann (svp, ZH) argumentierte in deren Namen, dass es die Verantwortung der Politik, Justiz und Behörden sei, die Gefahr zu reduzieren, Opfer von Wiederholungstäterinnen oder -tätern zu werden. Gegenwärtig werde die Resozialisierung von Tätern höher gewichtet als die Sicherheit der Bevölkerung, monierte sie. Entgegen der Prognosen der Kantone würde die Umsetzung der Initiative nicht dazu führen, dass es keine Hafturlaube oder Resozialisation mehr gäbe. Vielmehr führte sie zu einer stärkeren Ausfilterung, wer überhaupt von Hafterleichterungen profitieren könne, so Steinemann. Mit 135 zu 53 Stimmen bei einer Enthaltung folgte die Volkskammer dem Mehrheitsantrag und schrieb die parlamentarische Initiative Rickli in der Sommersession 2021 schliesslich ab.

Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen (Pa.Iv. 13.430)

Während der Grossteil des Bundesgesetzes über administrative Erleichterungen und die Entlastung des Bundeshaushalts bereits in der Frühjahrssession 2021 bereinigt worden war, beschäftigte sich der Nationalrat in der Sommersession 2021 mit der «Anpassung der gesetzlichen Grundlage zur Nutzung der Daten im Verarbeitungssystem des Dienstes ÜPF». Diesen Aspekt hatte die KVF-NR, welcher der Nationalrat diesen zweiten Erlass zugewiesen hatte, in der Zwischenzeit beraten und dabei unter anderem auch den EDÖB Adrian Lobsiger sowie die Kripo-Chefin der Kantonspolizei Zürich, Lentjes Meili, angehört. Kommissionssprecher Fluri (fdp, SO) präsentierte dem Rat den Entwurf. Wie bereits in der Kommissionsberatung drehte sich die anschliessende Diskussion um die Frage, was genau das Ziel dieser Gesetzesänderung sei. Kurt Fluri erachtete den vorliegenden Entwurf als «gesetzliche Grundlage für die Visualisierungsfunktion des Datenverarbeitungssystems des Dienstes ÜPF». Damit soll eine bisher nur in der Verordnung geregelte Analysefunktion gesetzlich verankert werden, die es den Strafverfolgungsbehörden der Kantone ermögliche, «Schlüsse zu Personennetzwerken sowie zu Kommunikations- und Bewegungsgewohnheiten» zu ziehen, ohne ein eigenes Analysesystem aufbauen zu müssen. Entsprechend erachte die Kommissionsmehrheit diese Vorlage als «Verbesserung der Rechtsgrundlage, nicht aber [als] Ausweitung der Datensammlungen». Der EDÖB befürworte gemäss Fluri die Schaffung der gesetzlichen Grundlage, habe aber betont, dass sie nicht «im Sinne einer Zweckänderung oder -erweiterung» ausgelegt werden dürfe. Eine Minderheit Pult (sp, GR) bezweifelte hingegen die Darstellung der Verwaltung, dass «die Analysefunktion [...] in der Praxis eine reine Visualisierungsfunktion» sei, zumal eine Analyse weiter gehe als eine Visualisierung. So habe der Datenschutzbeauftragte in der Kommissionssitzung erklärt, dass es neben einer Visualisierung auch um Alarmierung und Sprechendenerkennung gehe. Davon sei bisher aber noch nie die Rede gewesen. Da somit unklar sei, was genau denn nun das Ziel dieses Entwurfs sei, müsse der Bundesrat in einem Zusatzbericht den Zweck des Gesetzes erläutern. Folglich verlangte die Minderheit Pult eine Rückweisung dieser zweiten Vorlage an den Bundesrat. Vor der Abstimmung verdeutlichte Bundesrätin Karin Keller-Sutter die Möglichkeiten dieser Analysefunktion: Damit könnten die Strafverfolgungsbehörden «Schlüsse aus Personennetzwerken sowie Kommunikations- und Bewegungsgewohnheiten» ziehen, Gespräche mithören, nachhören oder verschriften, Vorgänge kommentieren, eine Alarmfunktion programmieren, wenn eine Person einen bestimmten Perimeter betritt, sowie eine IP-Analyse oder eine Spracherkennung durchführen. Dabei würden aber nur Daten verwendet, deren Sammlung ein Zwangsmassnahmengericht genehmigt habe. Keine dieser Funktionen sei zudem neu, alle würden jetzt bereits durch die entsprechende Verordnung geregelt, betonte sie überdies. In der Folge sprach sich der Nationalrat mit 104 zu 70 Stimmen gegen den Rückweisungsantrag Pult aus; Unterstützung fand dieser bei der SP, den Grünen und der GLP. Auch zwei Minderheitenanträge Trede (gp, BE) auf Streichung der entsprechenden Bestimmungen fanden im Rat keine Mehrheit. Mit 105 zu 80 Stimmen (bei 1 Enthaltung) hiess der Nationalrat den Entwurf in der Gesamtabstimmung gut. Neben den ablehnenden Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen sprach sich auch Lukas Reimann (svp, SG) gegen den Entwurf aus.

Bundesgesetz über administrative Erleichterungen und die Entlastung des Bundeshaushalts (BRG 20.067)

Dans une motion déposée en mars 2021, le député UDC Lukas Reimann (udc, SG) demandait la suspension d'un concours d'art contemporain suscitant selon lui l'incompréhension de la population. Lancé par la commission fédérale d'art (CFA), ce concours a pour but de décorer la paroi nord du Palais fédéral d'une œuvre artistique, dont l'inauguration aurait lieu en 2023, pour les 175 ans de la Constitution fédérale. Son coût, CHF 500'000, était aux yeux du motionnaire trop élevé en ces temps de crise. Reimann demandait donc la suspension du concours jusqu'à ce que les finances fédérales recouvrent de la crise et affichent à nouveau un excédent. La motion a été rejetée par le Conseil national, par 124 voix contre 60, suivant ainsi la recommandation du Bureau-CN, qui soulignait que ce concours est aussi un moyen de soutenir les milieux culturels, fortement affectés par la crise de Covid-19.

Suspension du luxueux concours d'art contemporain (Mo. 21.3367)

Das Gesetzgebungsprojekt zur Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht stand in der Sommersession 2021 auf der Agenda des Nationalrates. Als Zweitrat trat er zwar oppositionslos auf das Geschäft ein, hatte sich aber sogleich mit einem Rückweisungsantrag des Genfer SVP-Nationalrats Yves Nidegger zu befassen. Der Antragsteller monierte, der Bundesrat habe dem Parlament nur eine «Alibi-Harmonisierung» vorgelegt, weil sie nicht sämtliche in der Schweiz ausgesprochene Strafen harmonisiere, sondern sich zu stark auf das Kernstrafrecht konzentriere, das im Schweizerischen Strafgesetzbuch geregelt ist. Er verlangte eine überarbeitete Vorlage, in der auch alle Strafnormen des Nebenstrafrechts, also die Strafnormen in anderen Gesetzen, nach den zu schützenden Rechtsgütern bewertet und die Strafen dementsprechend harmonisiert (und nicht nur wie vom Bundesrat vorgesehen an das geänderte Sanktionenrecht angepasst) würden. Justizministerin Karin Keller-Sutter bat den Rat um Ablehnung der Rückweisung. Sie bezeichnete den Antrag als «nicht zielführend, weil wir uns ohne klaren Auftrag quasi im Kreis bewegen würden und in zwei, drei Jahren etwa gleich weit wie heute wären». Ausser der SVP-Fraktion, die geschlossen für die Rückweisung votierte, sah der Rat dies genauso und lehnte die Rückweisung mit 139 zu 49 Stimmen ab.
In der Detailberatung diskutierte die Volkskammer zunächst 15 Anträge zu Änderungen am Allgemeinen Teil des StGB. Dieser war eigentlich nicht Gegenstand des vorliegenden Geschäfts, sondern mit der Revision des Sanktionenrechts bereits erneuert worden. Bundesrätin Karin Keller-Sutter forderte den Rat aus diesem Grund auf, überall der Kommissionsmehrheit zu folgen, die eine solche Ausdehnung der Vorlage auf den Allgemeinen Teil des StGB ablehnte. Die hier eingebrachten Vorschläge – allesamt zur Verschärfung des Strafregimes und bis auf drei Minderheiten Bregy (mitte/centre, VS) alle vonseiten der SVP-Fraktion – seien im Zuge der Revision des Sanktionenrechts bereits breit diskutiert und damals verworfen worden. Der Nationalrat erachtete es mehrheitlich nicht als sinnvoll, diese Büchse der Pandora zu öffnen, und lehnte alle Minderheits- und Einzelanträge in diesem Block ab. Damit machte die grosse Kammer unter anderem die vom Ständerat abgeänderte Kann-Formulierung bei den bedingten Strafen wieder rückgängig, sodass das Gericht bei Ersttäterinnen und Ersttätern auch weiterhin «in der Regel» eine bedingte Strafe aussprechen muss (und nicht nur kann). Für Unverständnis bei Antragsteller Philipp Matthias Bregy sorgte die Ablehnung seines Vorschlages, die Unverjährbarkeit schwerster Verbrechen im StGB zu verankern, gerade weil der Nationalrat am Vortag einer Standesinitiative mit ebendieser Forderung (Kt.Iv. 19.300) Folge gegeben hatte.
In einem zweiten Block wandte sich der Nationalrat dem Kern der Vorlage, den Strafrahmen im Besonderen Teil des StGB, zu. Hier strich er das vom Ständerat eingeführte Konzept, wonach eine Mindestgeldstrafe von X Tagessätzen immer auch eine Mindestfreiheitsstrafe von X Tagen bedeuten sollte, wieder aus dem Gesetz. Einer Minderheit Bregy folgend nahm er einen neuen Straftatbestand für die Sprengung von Geldautomaten auf. Der Aufhebung einiger Sondernormen bei Vermögensdelikten und des Tatbestandes der staatsgefährlichen Propaganda stimmte die grosse Kammer wie vom Bundesrat vorgeschlagen zu und schuf damit weitere Differenzen zur Schwesterkammer, die diese Änderungen abgelehnt hatte. Beim viel diskutierten Artikel 285 StGB betreffend die Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte lagen dem Nationalrat vier verschiedene Konzepte vor. Er entschied sich für dasjenige seiner Kommissionsmehrheit, die dem Bundesrat im Grundsatz folgte, aber bei Gewalttaten im Kontext einer Zusammenrottung einen differenzierteren Weg wählte. So soll Gewalt an Personen aus einem zusammengerotteten Haufen heraus künftig mit mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet werden. Für Gewalt an Sachen setzte die grosse Kammer mindestens eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen fest. Der Bundesrat hatte für Gewalt an Personen oder Sachen eine Mindestgeldstrafe von 120 Tagessätzen vorgeschlagen; der Ständerat hatte eine zwingende Freiheitsstrafe gefordert. Des Weiteren beantragte die Kommissionsmehrheit, den Tatbestand der Majestätsbeleidigung aus dem StGB zu streichen, was der Nationalrat aber ablehnte. Er folgte der Minderheit Lüscher (fdp, GE), die sich für die Beibehaltung der Norm einsetzte.
Zuletzt nahm sich die Volkskammer der Anpassung des Nebenstrafrechts an, wo sie unter anderem die Gelegenheit nutzte, auf Antrag ihrer Kommissionsmehrheit die ihrer Ansicht nach unverhältnismässige Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe aus dem sogenannten Raserartikel im Strassenverkehrsgesetz zu streichen. Eine unterlegene Minderheit Nidegger hatte beantragt, den Raserartikel ganz zu streichen. In der Gesamtabstimmung stimmte der Nationalrat dem Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen mit 134 zu 48 Stimmen und dem Bundesgesetz über die Anpassung des Nebenstrafrechts an das geänderte Sanktionenrecht mit 133 zu 48 Stimmen zu. Dagegen stimmten jeweils die geschlossene SVP-Fraktion sowie SP-Vertreterin Tamara Funiciello (sp, BE). Die Ablehnung der SVP-Fraktion kam angesichts der vielen gescheiterten Minderheitsanträge für diverse Strafrechtsverschärfungen aus ihren Reihen wenig überraschend. Barbara Steinemann (svp, ZH) hatte die Vorschläge des Bundesrates schon in der Eintretensdebatte als blosse «Basteleien am Strafrahmen [...] ohne konkrete Auswirkungen auf die Strafrechtspraxis» bezeichnet. Im Anschluss an die Debatte schrieb der Nationalrat die Vorstösse 06.3554, 09.3366, 08.3131, 10.3634 und 17.3265 stillschweigend ab.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Die Covid-19-Pandemie bzw. der Abbruch der Frühlingssession 2020 habe vor Augen geführt, dass das Parlament in Krisensituationen nicht zuverlässig funktioniere. Mit dieser Begründung wurden zahlreiche Vorstössen eingereicht, mit denen eine höhere Krisenresistenz des Parlaments zu erreichen versucht wurde. Darunter fand sich eine parlamentarische Initiative von Thomas Brunner (glp, SG), der situationsgerechte Flexibilisierungsmöglichkeiten für den Parlamentsbetrieb bei aussergewöhnlichen Umständen forderte. Konkret soll die Arbeitsorganisation so angepasst werden, dass «das Klumpenrisiko» der «gleichzeitigen Versammlung aller Volksmandatierten am selben Ort» verringert werden kann. Brunner nannte «Stimmabgaben aus Home-Offices» oder «regionale Parlamentsteile», die örtlich getrennt tagen, als mögliche Beispiele.
Die SPK-NR sah die Notwendigkeit für entsprechende Überlegungen und gab der parlamentarischen Initiative Brunner, wie auch einer ähnlichen Idee von Lukas Reimann (svp, SG; Pa.Iv. 20.479), einstimmig Folge. Mit 14 zu 11 Stimmen empfahl die SPK-NR darüber hinaus, auch einer parlamentarischen Initiative von Katja Christ (glp, BS; Pa.Iv. 20.425) Folge zu geben, die ganz konkret Gesetzesgrundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb forderte. Zur Ablehnung empfahl die Kommission hingegen die Forderung, dass eine digitale Teilnahme an Sitzungen geringer entschädigt werden soll als eine Teilnahme vor Ort, wie dies von einer parlamentarischen Initiative von Gregor Rutz (svp, ZH; Pa.Iv. 20.431) gefordert wird.

Situationsgerechte Flexibilisierungsmöglichkeiten für den Parlamentsbetrieb bei aussergewöhnlichen Umständen (Pa.Iv. 20.423)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

In der Frühjahrssession 2021 begrüsste Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) seine Ratskolleginnen und -kollegen zur «kleinen Monsterdebatte» über die Revision der Strafprozessordnung. Der Nationalrat nahm sich der punktuellen Anpassung der StPO zur Verbesserung ihrer Praxistauglichkeit (in Umsetzung der Mo. 14.3383) als Erstrat an. Er trat ohne Gegenantrag auf die Vorlage ein. Zwei Minderheitsanträge Nidegger (svp, GE) und Addor (svp, VS) auf Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, noch verschiedene zusätzliche Punkte in die Revision zu integrieren, fanden ausserhalb der SVP-Fraktion keine Zustimmung und blieben damit chancenlos.
Erster Kernpunkt der Diskussion war die Einschränkung der Teilnahmerechte der beschuldigten Person. Die aktuell geltende Regelung wurde in der Debatte immer wieder als einer der Auslöser für die vorliegende StPO-Revision genannt. Der Bundesrat hatte im Entwurf vorgesehen, dass die beschuldigte Person von einer Einvernahme ausgeschlossen werden kann, solange sie sich zum Gegenstand der Einvernahme noch nicht selber einlässlich geäussert hat. Er wollte damit der Strafverfolgung die Wahrheitsfindung erleichtern, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter erklärte. Indem Beschuldigte unter bestimmten Voraussetzungen von der Einvernahme anderer Personen ausgeschlossen werden können, soll verhindert werden, dass sie ihre Aussagen einander anpassen. Befürworterinnen und Befürworter im Nationalrat argumentierten überdies, dass Zeuginnen und Zeugen durch die Anwesenheit der beschuldigten Person – oder letztere durch die Anwesenheit des «Bandenboss[es]» (Barbara Steinemann, svp, ZH) – eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden könnten, was die Qualität der Aussagen beeinträchtige. Vertreterinnen und Vertreter der Gegenseite warnten dagegen vor der Einführung einer «faktische[n] Mitwirkungspflicht» (Ursula Schneider Schüttel, sp, FR): Die neue Regelung bewirke, dass die beschuldigte Person sich zur betreffenden Sache im Detail äussern – d.h. auf ihr Aussageverweigerungsrecht verzichten – müsse, um bei den Beweiserhebungen dabei sein zu dürfen. Für jemand Unschuldiges sei das besonders schwierig, führte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus, «[d]enn der kann nämlich nichts anderes sagen, als dass er unschuldig ist». Den Beweiserhebungen nicht beizuwohnen und daher nicht genau zu wissen, was einem vorgeworfen werde, erschwere indessen die eigene Verteidigung, so Ursula Schneider Schüttel weiter. Zwar gab auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Gegenstimmen recht, dass das Teilnahmerecht der Beschuldigten «als Ausgleich für die strukturell starke Stellung der Staatsanwaltschaft notwendig» sei, hielt die vorgeschlagene Einschränkung jedoch für «massvoll und zurückhaltend». Für ihre Fraktion sei der Artikel allerdings die «Pièce de Résistance» der Vorlage, bekundete SP-Vertreterin Ursula Schneider Schüttel ebenso wie Christian Lüscher (fdp, GE), der für die Mehrheit der FDP-Fraktion sprach. Sinngleich erklärte auch Sibel Arslan (basta, BS), im Falle der Annahme der neuen Einschränkung werde die Grüne Fraktion «die ganze Vorlage infrage stellen müssen». Mit 103 zu 85 Stimmen bei zwei Enthaltungen folgte die grosse Kammer schliesslich ihrer Kommissionsmehrheit, die beim Status quo bleiben wollte. SP und Grüne setzten sich mit Unterstützung von Teilen der FDP- und der Mitte-Fraktionen durch.
Erfolgreicher war der Bundesrat mit seinem Ansinnen, die Voraussetzungen für die Untersuchungs- und Sicherheitshaft bei Wiederholungsgefahr zu lockern, wobei der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit folgend eine vom Bundesrat abweichende Formulierung wählte. Justizministerin Karin Keller-Sutter stellte im Rat jedoch fest, dass nach Ansicht des Bundesrates kein materieller Unterschied zwischen den beiden Formulierungen bestehe. Eine weitere Niederlage musste der Bundesrat bei der vorgesehenen Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts hinnehmen. Er hatte diese in der StPO festschreiben wollen, um die ohnehin bereits vom Bundesgericht angewandte Praxis gesetzlich zu verankern. «Es ist unbefriedigend, wenn sich weder die Legitimation noch das Verfahren aus dem Gesetz ergeben», begründete die Justizministerin diese Neuerung. Der Nationalrat folgte auch in dieser Frage mit 98 zu 89 Stimmen seiner Kommissionsmehrheit und strich den betreffenden Absatz aus der Vorlage. Die geschlossen für die Version des Bundesrates stimmenden Fraktionen der SVP und der FDP sowie einzelne Stimmen aus der Mitte- und der GLP-Fraktion befürchteten, ohne Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft könnte «eine zu Unrecht erfolgte Nichtanordnung von Haft» in gewissen Fällen «eine Fortsetzung der Strafuntersuchung illusorisch» machen, wie es Christa Markwalder (fdp, BE) formulierte. Die Ratsmehrheit folgte indessen der Argumentation von Mitte-Vertreter Philipp Matthias Bregy: Wenn die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Nichtanordnung, Nichtverlängerung oder Aufhebung der Untersuchungshaft einlegen könne, könne die Untersuchungshaft «durch systematische Beschwerden der Staatsanwaltschaften unnötig verlängert» werden. Selbst Bundesrätin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, es sei «alles andere als klar», ob sich die Beschwerdeberechtigung für die Staatsanwaltschaft mit den Vorgaben der EMRK vereinbaren lasse. Weil die Überführung der bundesgerichtlichen Praxis in das Gesetz von einer angenommenen parlamentarischen Initiative Jositsch (sp, ZH; Pa.Iv. 12.497) gefordert und in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst worden sei, habe sich die Regierung «trotz aller Bedenken und Unsicherheiten» entschieden, die nun im Nationalrat durchgefallene Regelung in den Entwurf aufzunehmen, so die Justizministerin.
Weiter sollten DNA-Profile gemäss dem Entwurf des Bundesrates neu auch dann erstellt werden dürfen, wenn «erhebliche und konkrete Anhaltspunkte» für eine Verwicklung der beschuldigten Person in bereits begangene oder künftige Delikte bestimmter Schwere bestünden, und nicht mehr nur zur Aufklärung von Verbrechen, die Gegenstand des aktuellen Verfahrens sind. Die Kommissionsmehrheit wollte hier einerseits einen Schritt weiter gehen und schlug vor, dass bei vergangenen Straftaten eine «gewisse Wahrscheinlichkeit» bereits genügen sollte; für die Aufklärung zukünftiger Straftaten lehnte sie andererseits die Erstellung eines DNA-Profils gänzlich ab. Die Volkskammer folgte diesen beiden Anträgen, wobei die Verschärfung bezüglich der vergangenen Straftaten gegen den Widerstand des links-grünen Lagers und die Streichung bezüglich der zukünftigen Straftaten gegen die SVP- und Teile der Mitte-Fraktion durchgesetzt wurde.
Überdies nahm der Nationalrat mit grosser Mehrheit auch einen Einzelantrag Regazzi (mitte, TI) an, der darauf zielte, die Möglichkeiten zur verdeckten Ermittlung im Bereich der Kinderpornografie zu erweitern. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass der Antrag in die sorgfältig austarierte Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen eingreife und deshalb abzulehnen sei. Ebenfalls gegen den Willen des Bundesrates fügte die grosse Kammer einen neuen Artikel über die restaurative Gerechtigkeit («justice restaurative», Wiedergutmachungsjustiz) in die StPO ein. Die Kommission habe sich mit 15 zu 6 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu diesem «mutigen Schritt» entschieden, berichtete Kommissionssprecher Beat Flach. Wenn beide Seiten damit einverstanden sind, soll neu eine Art Mediation zwischen Opfern und Tätern durchgeführt werden können. Es gehe nicht darum, wie von ablehnenden Stimmen aus SVP und Mitte kritisiert, die Verfahren zu verlängern oder «dem Straftäter gegenüber irgendwie Milde walten zu lassen», sondern dem Opfer eine Möglichkeit zu geben, sich mit dem Geschehenen zu beschäftigen und es aufzuarbeiten. Erfahrungen aus der Westschweiz und aus Belgien zeigten, dass solche Prozesse das «rein[e] Aburteilen und Strafen» gut ergänzen und vor allem für die Opfer «eine Hilfe auf dem weiteren Lebensweg» sein könnten. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, dass der Bundesrat die «justice restaurative» nicht generell ablehne, mahnte den Nationalrat aber zur Vorsicht, nicht übereilt zu handeln. Sie kritisierte die unpräzise Formulierung, die sowohl den Anwendungsbereich als auch die Folgen einer allenfalls erfolgreichen Wiedergutmachung zu stark offen lasse; das sei «unter dem Aspekt der rechtsgleichen Behandlung heikel». Auch müsste die Frage zuerst mit den Kantonen diskutiert werden, die die StPO schliesslich anwendeten. Den Einwand, das Konzept sei zu wenig ausgereift, liess Kommissionssprecher Flach nicht gelten: Der Ständerat könne als Zweitrat noch «nachjustieren». Mit 122 zu 71 Stimmen sah das auch der Nationalrat so und hiess den Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit gut, wobei sich die SVP-Fraktion geschlossen und die Mitte-Fraktion mehrheitlich gegen die Einführung der Wiedergutmachungsjustiz aussprach.
Eine weitere Neuerung, die der Bundesrat nicht durchsetzen konnte, war das Ansinnen, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die beschuldigte Person im Strafbefehlsverfahren zwingend einzuvernehmen, wenn ihr eine unbedingte Freiheitsstrafe droht. Eine Einvernahme erhöhte die Akzeptanz eines Strafbefehls, begründete die Justizministerin diesen Schritt. Während eine links-grüne Minderheit die Einvernahme auch bei hohen Geldstrafen verpflichtend machen wollte, erachtete die bürgerliche Ratsmehrheit die heutige Regelung als ausreichend und strich den Artikel gänzlich aus dem Entwurf.
Damit hatte der Nationalrat der Revisionsvorlage einige Zähne gezogen, die insbesondere den Strafverfolgungsbehörden zugute gekommen wären. Von der Ratslinken hatte sich der Bundesrat zunächst vorwerfen lassen müssen, einer «durchaus beeindruckende[n] PR-Offensive» (Min Li Marti, sp, ZH) der Staatsanwaltschaft erlegen zu sein. Gegen die Vorlage, wie sie nun vom Nationalrat angepasst worden war, regte sich in der Gesamtabstimmung von linker Seite aber kein Widerstand mehr. «Den Ton gaben Anwältinnen und Anwälte an», resümierte denn auch die NZZ die Debatte. Mit dem Ergebnis explizit unzufrieden zeigte sich die SVP-Fraktion. Die versprochene Verbesserung der Praxistauglichkeit der StPO für die Strafverfolgungsbehörden sei «heute in diesem Saal nicht passiert», so SVP-Vertreter Pirmin Schwander (svp, SZ), weil die Ratsmehrheit die zentralen Neuerungen verworfen habe. Die grosse Kammer verabschiedete den Entwurf schliesslich mit 139 zu 54 Stimmen an den Zweitrat. Stillschweigend schrieb er die Motionen 09.3443, 11.3223, 11.3911, 12.4077 und 14.3383 sowie die Postulate 15.3447 und 15.3502 ab. Die vom Bundesrat ebenfalls beantragte Abschreibung des Postulats 18.4063 zur Wiedergutmachungsjustiz lehnte er jedoch ab.

Änderung der Strafprozessordnung (BRG 19.048)
Dossier: Revision der Strafprozessordnung (Umsetzung der Mo. 14.3383)

Die von der SPK-NR entworfene Vorlage zur Regelung der Kaderlöhne in Bundes- und bundesnahen Unternehmen wurde in der Frühjahrssession 2021 vom Nationalrat behandelt. Eintreten war umstritten, weil eine Kommissionsminderheit die Vorlage als «sachlich falsch und in sich widersprüchlich» beurteilte, wie sich deren Sprecher Kurt Fluri (fdp, SO) äusserte. Die auf eine parlamentarische Initiative von Susanne Leutenegger Oberholzer (sp, BL) zurückgehende Vorlage bewirtschafte Empörung und bedinge die Änderung von zahlreichen Gesetzen. Zudem sei nicht das Parlament zuständig für die Regelung der Löhne der Verwaltung, sondern der Bundesrat. Mit der Festlegung einer Obergrenze werde den Unterschieden zwischen den Unternehmen nicht Rechnung getragen, was nicht nur inkohärent, sondern auch widersprüchlich sei. So gälten etwa für die Swisscom als börsenkotiertes Unternehmen oder für die SRG als privatrechtlich organisierten Verein andere Gesetzesgrundlagen als für die Post oder die SBB, so der Solothurner Freisinnige. Auch der Bundesrat, vertreten durch Ueli Maurer, sah keine Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung, da es in der Verwaltung keine «Lohnexzesse» gebe, wie dies mit dem Titel der parlamentarischen Initiative suggeriert werde. Mit 147 zu 34 Stimmen (2 Enthaltungen) wollte die grosse Mehrheit der Volksvertreterinnen und -vertreter allerdings auf die «Abzocker-Initiative für die bundesnahen Betriebe» eintreten, wie Barbara Steinemann (svp, ZH) in ihrem Votum die Vorlage betitelt hatte. Lediglich die geschlossen stimmende FDP-Fraktion und eine Minderheit der Mitte-Fraktion stimmten gegen Eintreten.
In der Detailberatung standen vier Minderheitenanträge zur Debatte. Eine Minderheit Samira Marti (sp, BL) wurde mit 98 zu 89 Stimmen angenommen. Damit soll festgeschrieben werden, dass die Lohnobergrenzen nicht nur für die bundesnahen Betriebe, sondern für die gesamte Verwaltung gelten sollen. Dadurch würde nicht nur eine Revision der Spezialgesetze für die einzelnen Unternehmen, sondern auch eine Änderung des Bundespersonalgesetzes nötig. Die geschlossenen Fraktionen der SP und der GP wurden bei diesem Antrag erfolgreich unterstützt von einer Mehrheit der SVP-Fraktion. Erfolglos blieb hingegen eine Minderheit Nadine Masshardt (sp, BE), die quasi durch die Hintertüre einen Gleichstellungsartikel ins Bundespersonalgesetz einbringen und nicht nur eine ausgewogene Vertretung der Sprachgemeinschaften, sondern auch der Geschlechter in den obersten Leitungsorganen der Unternehmen festschreiben wollte. Dies entspreche nicht dem Kernanliegen der Vorlage, bemängelte Kommissionssprecher Gerhard Pfister (mitte, ZG) und fand mit diesem Argument eine Mehrheit von 104 zu 84 Stimmen (1 Enthaltung). Links-Grün, unterstützt von der GLP-Fraktion, stand hier erfolglos einer bürgerlichen Nein-Mehrheit gegenüber. Ebenfalls abgelehnt wurden zwei auch vom Bundesrat unterstützte Minderheitenanträge, die von Kurt Fluri (fdp, SO) angeführt wurden: Der Vorschlag, auf eine Regelung von Abgangsentschädigungen zu verzichten, wurde mit 128 zu 61 Stimmen (3 Enthaltungen) abgelehnt und der Vorschlag, die Swisscom als börsenkotiertes Unternehmen von den Regelungen auszunehmen, wurde mit 128 zu 53 Stimmen (3 Enthaltungen) versenkt. In beiden Fällen reichte die Unterstützung der geschlossen stimmenden Fraktionen der GLP und der FDP, unterstützt von wenigen Abweichlerinnen und Abweichlern der SVP- und der Mitte-Fraktion nicht für eine Annahme. Die Gesamtabstimmung passierte der Entwurf schliesslich mit 139 zu 44 Stimmen. Erneut kam der Widerstand von der geschlossen stimmenden FDP-Fraktion, unterstützt von Teilen der Mitte- und der SVP-Fraktion.

Kaderlöhne bei Bundes- und bundesnahen Unternehmen (Pa.Iv. 16.438)
Dossier: Kaderlöhne bei Bundes- und bundesnahen Unternehmen

Nach dem Nationalrat nahm in der Frühjahrssession 2021 auch der Ständerat eine Motion Reimann (svp, SG) stillschweigend an, die forderte, dass Kompetenzkonflikte den Rechtsschutz nicht ausschalten dürfen. Damit ist der Bundesrat aufgefordert, die örtliche Zuständigkeit bei Beschwerden gegen die fürsorgerische Unterbringung, gegen Entscheidungen der KESB und gegen Verfügungen nach Anrufung des Gerichts durch nahestehende Personen der Betroffenen (Artikel 439 ZGB) klar zu regeln und somit eine Harmonisierung der Rechtspraktiken anzustreben.

Harmonisation des pratiques juridiques (Mo. 19.4586)

In der Frühjahrssession nahm sich der Nationalrat der Justiz-Initiative an. Zur Debatte standen dabei drei Minderheitsanträge, welche die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags bezweckten, was der Bundesrat in seiner Vorlage abgelehnt hatte. Ein Minderheitsantrag Min Li Marti (sp, ZH) verlangte die Rückweisung des Geschäfts an die RK-NR, damit diese ihren in Form einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 20.480) bereits eingereichten indirekten Gegenvorschlag weiter ausarbeite. Zwei weitere links-grüne Minderheiten präsentierte einen eigenen direkten Gegenentwurf, der gleichzeitig mit der Initiative zur Abstimmung kommen soll.
Die RK-NR selber sehe aber keinen Handlungsbedarf mehr, berichtete Barbara Steinemann (svp, ZH) für die Kommission. Nach einigen Anhörungen sei man zum Schluss gekommen, dass sich das aktuelle System bewährt habe. Die Wahl von Richterinnen und Richtern, wie sie heute praktiziert werde, sei nicht über alle Zweifel erhaben und es gebe durchaus «diskussionswürdige Punkte», so die Kommissionssprecherin. Alle anderen Systeme seien aber «noch weniger perfekt», weshalb die Kommission mit 22 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) empfehle, die Volksinitiative ohne indirekten Gegenvorschlag und ohne direkten Gegenentwurf abzulehnen.
In der Begründung ihres Rückweisungsantrags machte Min Li Marti (sp, ZH) auf die wunden Punkte aufmerksam, auf welche die Initiative die Finger legt: Die Frage der Wiederwahl – Richterinnen und Richter müssen periodisch in ihrem Amt bestätigt werden, was in jüngerer Zeit nicht immer reibungslos vonstatten gegangen war –; die Mandatsabgaben, die von Richterinnen und Richtern an ihre Parteien bezahlt werden müssen und die auch von der Greco kritisiert werden, weil sie das bestehende Abhängigkeitsverhältnis noch verstärken; oder die Auswahl der Richterinnen und Richter durch die Gerichtskommission, die kein eigentliches Fachgremium darstellt und weniger auf Fachkompetenz als auf politische Einstellungen und Parteizugehörigkeit achtet. Diese Punkte müssten von der Rechtskommission noch einmal überdacht und in eine Gesetzesrevision gegossen werden, forderte die Zürcher Sozialdemokratin. Sibel Arslan (basta, BS) skizzierte in der Folge die beiden direkten Gegenentwürfe. Vorgesehen war eine Erhöhung der Amtsdauer von Richterinnen und Richter auf zwölf oder sechzehn Jahre in Verbindung mit einem noch zu regelnden Amtsenthebungsverfahren. Das bisherige Wiederwahlverfahren gefährde die Unabhängigkeit der Judikative, weil Richterinnen und Richter mit ihrer Wiederwahl unter Druck gesetzt werden könnten, so die Begründung der Baslerin.

In der nachfolgenden Debatte wiesen auch zahlreiche Votantinnen und Votanten auf die Mängel des bestehenden Systems hin. Freilich war umstritten, ob diese Mängel mit einem Gegenvorschlag oder einem Gegenentwurf behoben werden müssten oder ob sie sich «im Rahmen der heutigen Strukturen lösen» lassen, wie sich etwa Pirmin Schwander (svp, SZ) überzeugt zeigte. Wichtig sei freilich, dass man bereits bei der Selektion der Kandidierenden die «richtigen Persönlichkeiten» auswähle. Das System funktioniere, befand auch Christoph Eymann (ldp, BS). Änderungen seien weder auf Gesetzes- noch auf Verfassungsstufe nötig. Der von der Initiative kritisierte Parteienproporz bei Richterwahlen sei gar nicht so schlecht, führte dann Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus. Er garantiere vielmehr eine Vertretung aller «ideologischen Richtungen». Auch die regelmässigen Wiederwahlen wurden verteidigt: In Realität seien die Richterinnen und Richter unabhängig von ihren Parteien und zu einer Abwahl komme es praktisch nie, argumentierte Sidney Kamerzin (mitte, VS) gegen eine Reform des Systems. Gegen ein zu hastiges Vorgehen mit Hilfe von Gegenvorschlägen und Gegenentwürfen stellte sich auch Kurt Fluri (fdp, SO). Man müsse die bestehenden Probleme in Ruhe angehen. So sei ja etwa eine Motion von Beat Walti (fdp, ZH) für ein Verbot von Mandatssteuern bereits eingereicht worden.
Die Ratslinke – unterstützt von der GLP, für die Beat Flach (glp, AG) Handlungsbedarf aufgrund der undurchsichtigen Mandatsabgaben feststellte – hätte hingegen die Initiative gerne als Treiberin für nötige Reformen genutzt. Es sei ein Glücksfall, dass es dank der Initiative zu einer öffentlichen Debatte über die Judikative komme, lobte Matthias Aebischer (sp, BE). Wenn ein indirekter Gegenentwurf jetzt ausgearbeitet werden müsse, könnten die «kritischen und berechtigten Aspekte der Initiative» aufgenommen werden, warb auch Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) für die Rückweisung an die Kommission.

Eine solche wurde dann allerdings von der Ratsmehrheit mit 99 zu 81 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. Dabei zeigte sich der aufgrund der vorgängigen Diskussion zu erwartende Graben zwischen SVP-, FDP- und der Mehrheit der Mitte-Fraktion, die den Rückweisungsantrag ablehnten, und den Fraktionen von SP, GP und GLP sowie der EVP. Auf die beiden Vorlagen für mögliche direkte Gegenentwürfe mochte der Rat sodann gar nicht erst eintreten. Mit 102 zu 79 Stimmen (3 Enthaltungen) wurde eine mögliche Debatte abgelehnt. Dabei zeigten sich die praktisch gleichen Fronten wie bei der abgelehnten Rückweisung.

Die Initiative selber fand bei den Rednerinnen und Rednern kaum Unterstützung. Das Losverfahren sei «schlicht unseriös», urteilte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS). Der Zufall mache seine Sache nur selten gut, befand auch Nicolas Walder (gp, GE) und mit dem Los bestünde das grosse Risiko, dass nicht alle politischen Sensibilitäten in der Judikative repräsentiert seien. Auch die Idee eines Fachgremiums, mit dem die auszulosenden Kandidierenden bestimmt würden, stiess auf Kritik. Auch die Mitglieder eines solchen Gremiums könnten nicht politisch neutral sein, warnte Matthias Aebischer (sp, GE). Eine durch Los oder ein Fachgremium bestimmte Judikative sei demokratisch weniger legitimiert als durch das Parlament oder die Stimmbevölkerung gewählte Richterinnen und Richter, pflichtete Andreas Glarner (svp, AG) bei. Ein «Sympathie-Ja» erhielt das Begehren einzig von Lukas Reimann (svp, SG): Richterwahlen seien sehr wohl politisch und die Parteizugehörigkeit verhindere die Auswahl der besten Kandidierenden, begründete der St. Galler seine Unterstützung.
Der Nationalrat folgte stillschweigend dem Antrag der Kommission, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Die NZZ sprach nach der nationalrätlichen Debatte von einer verpassten Chance. Es sei fraglich, ob das Parlament ohne den Druck einer Volksinitiative gewillt sei, die Mängel im bestehenden System zu beheben.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Delegationen und Vertretungen des Parlaments haben unter anderem die Aufgabe, die Schweiz zu vertreten. Da diese Delegationen hinsichtlich der Geschlechter häufig nur sehr einseitig und vor allem männlich zusammengesetzt seien, wiederspiegelten sie ein «veraltetes Gesellschaftsbild» und suggerierten, dass Frauen in der Schweizer Politik nicht vertreten seien. Mit dieser Begründung forderte Claudia Friedl (sp, SG) mittels parlamentarischer Initiative eine Mindestquote von 30 Prozent jeden Geschlechts in diesen Gremien.
Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in parlamentarischen Vertretungen sei zwar ein berechtigtes Anliegen, befand eine 12 zu 10-stimmige Mehrheit (1 Enthaltung) der SPK-NR, es sei aber nicht mittels gesetzlicher Regelung umzusetzen. Bei der Zusammensetzung parlamentarischer Vertretungen müssten bereits mehrere Kriterien – Fraktionsstärke, Amtssprache, Landesregion – berücksichtigt werden. Eine Geschlechterregelung würde die Besetzung nicht nur verkomplizieren, sondern unter Umständen auch verunmöglichen – etwa wenn eine Fraktion nicht genügend Frauen stellen könnte. Mit den letzten eidgenössischen Wahlen sei die 30-Prozent-Quote zudem praktisch bereits erreicht worden.
In der Debatte zeigte sich die Kommissionsminderheit, vertreten durch Ada Marra (sp, VD) erstaunt, dass über dieses Thema überhaupt gesprochen werden müsse, sässen im Parlament doch mittlerweile 38.7 Prozent Frauen. Die Zahlen zeigten allerdings auch, dass in sechs der elf Delegationen ein Frauenanteil von 30 Prozent eben nicht erreicht würde. Ein zusätzliches Argument brachte Pierre-Alain Fridez (sp, JU) in die Debatte ein: Im Europarat werde eine 30-Prozent-Quote eingeführt und für diese Delegation aus der Schweiz müsse also sowieso eine entsprechende Regel gefunden werden. Kommissionssprecher Damien Cottier (fdp, NE) wies in der Folge darauf hin, dass sich die Kommission lediglich gegen eine gesetzliche Regelung wende; einer Absprache zwischen den einzelnen Fraktionen stehe aber freilich nichts im Weg. Mit einer formellen und starren Quote – so auch Barbara Steinemann (svp, ZH) ebenfalls für die Kommission – würden mehr Probleme entstehen als gelöst. Dies sahen 105 Parlamentsmitglieder anscheinend ebenso, womit der parlamentarischen Initiative keine Folge gegeben wurde. Immerhin 83 Stimmen aus den geschlossenen Fraktionen der SP, der GP und der GLP, unterstützt von drei FDP-Nationalrätinnen (Jacqueline de Quattro (fdp, VD), Anna Giacometti (fdp, GR), und Susanne Vincenz-Stauffacher (fdp, SG)), hatten die Idee einer Quote gutgeheissen. Drei weitere FDP-Nationalrätinnen (Doris Fiala (fdp, ZH), Christa Markwalder (fdp, BE) und Isabelle Moret (fdp, VD)) und SVP-Vertreterin Céline Amaudruz (GE) enthielten sich der Stimme.

Ausgewogenes Geschlechterverhältnis in parlamentarischen Vertretungen (Pa.Iv. 19.472)

Nachdem der Ständerat in der Wintersession 2020 auf dem indirekten Gegenvorschlag seiner SPK-SR zur Transparenzinitiative beharrt hatte, musste sich die Volkskammer noch einmal über das Geschäft beugen, mit dem mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung hergestellt werden soll. Die SPK-NR wollte der Idee eine zweite Chance geben, beantragte mit 14 zu 10 Stimmen Eintreten und schlug drei Ergänzungen zum Entwurf des Ständerats vor: Parteien sollen auch die Beträge offenlegen müssen, die sie von ihren Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern erhalten, auch Ständeratsmitglieder sollten ihr Wahlkampfbudget offenlegen müssen und die Dokumente, auf denen die verschiedenen Beträge ausgewiesen werden müssen, sollten stichprobenartig kontrolliert werden. Zudem schlug die SPK-NR bei den Schwellenwerten vor, die Vorschläge des Ständerats zu übernehmen: Kampagnenbudgets sollten ab einer Höhe von CHF 50'000 und Spenden ab CHF 25'000 offengelegt werden müssen.
Zur Diskussion standen in der Frühjahrssession 2021 auch einige Minderheitsanträge. Zuerst forderte eine von SVP-Mitgliedern angeführte Kommissionsminderheit, nicht auf die Vorlage einzutreten. Mit dem Gegenvorschlag wie auch mit der Initiative selber würde höchstens «Scheintransparenz» geschaffen und «der Bevölkerung Sand in die Augen» gestreut, argumentierte Martina Bircher (svp, AG) für diese Minderheit. Mit dem «administrativen Monster», das etwa durch Stückelung von Spenden einfach umgangen werden könne, werde über kurz oder lang eine staatliche Parteienfinanzierung eingeführt und das «bewährte Milizsystem zu Grabe» getragen. Die links-grünen Votantinnen (Nadine Masshardt, sp, BE; Ada Marra, sp, VD und Irène Kälin, gp, AG) hoben hingegen im Namen ihrer Fraktionen hervor, dass Transparenz nicht nur immer stärker von der Bevölkerung gefordert werde, sondern auch ein zentrales Element der Demokratie sei, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Auch die FDP votierte – gemäss ihrem Sprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) – für Eintreten, auch wenn volle Transparenz nicht möglich sei und das Vertrauen der Bevölkerung auch heute nach wie vor hoch sei. Auch die GLP sprach sich für einen Gegenvorschlag aus: Niemand könne heute ernsthaft gegen mehr Transparenz eintreten, argumentierte Michel Matter (glp, GE). Gegen Eintreten stimmten dann neben der fast geschlossenen SVP-Fraktion – nur Lukas Reimann (svp, SG) wich von der Fraktionslinie ab und Mike Egger (svp SG) enthielt sich der Stimme – lediglich noch 17 Angehörige der Mitte-Fraktion und vier Freisinnige (5 enthielten sich der Stimme). Die gesamthaft 70 Gegenstimmen waren aber gegen die 115 Stimmen, die für Eintreten votierten, chancenlos.
Eine von Marianne Streiff-Feller (evp, BE) angeführte Minderheit forderte für Spenden einen Mindestbetrag von CHF 10'000 und eine von Andri Silberschmidt angeführte Minderheit wollte diesen Betrag als Kompromissvorschlag bei CHF 15'000 ansetzen. Die Initiative selber sah hier CHF 10'000 vor und der Ständerat hatte sich für CHF 25'000 ausgesprochen. Nachdem die Minderheit Streiff-Feller zugunsten des Kompromissvorschlags zurückgezogen worden war, wurde dieser mit 118 zu 76 Stimmen angenommen, wobei die Gegenstimmen aus der SVP- und der Mitte-Fraktion stammten.
Eine SVP-Minderheit, angeführt von Michael Buffat (svp, VD), beantragte, den Vorschlag der SPK-NR für die Offenlegungspflicht der Beiträge von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern abzulehnen. Der Vaudois machte geltend, dass das Gesetz mit Aufnahme dieser Offenlegungspflicht noch weiter verkompliziert werde, weil Mandatsbeiträge ja an unterschiedliche Parteistufen (national, kantonal, kommunal) ausbezahlt würden. Auch hier unterlag eine SVP-Mitte-Koalition aus 77 Stimmen einer 117-Stimmen-Mehrheit, die sich für Beibehalten des neuen Vorschlags entschied.
Die gleiche SVP-Minderheit Buffat wollte auch vom Vorschlag der Kommission, Transparenz auch bei Kampagnen zu Ständeratswahlen herzustellen, nichts wissen. Michael Buffat argumentierte, dass es sich bei Ständeratswahlen um eine kantonale Angelegenheit handle und dass der Schwellenwert von CHF 50'000 ungerecht sei, weil dieser zwar bei grossen, aber wohl nicht bei kleinen Kantonen erreicht würde. Auch diese Minderheit scheiterte allerdings und der Nationalrat hiess die neue Regelung mit 139 zu 55 Stimmen gut. Erneut fand sich die SVP-Fraktion in der Minderheit, diesmal allerdings ohne Unterstützung der Mitte-Fraktion.
Eine weitere Minderheit, angeführt von Marianne Binder-Keller (mitte, AG), griff schliesslich auch den dritten Vorschlag der SPK-NR an, der stichprobenweise Kontrollen vorsah. Aufwand und Ertrag stünden hier in keinem Verhältnis, argumentierte die Aargauerin, die in ihrem Votum auch bekannt gab, dass die Mitte-Fraktion sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ablehne. Was nämlich bei beiden vergessen ginge, sei die Transparenz bei den «indirekten» Spenden. Eigentlich müssten alle Organisationen, also auch die Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und NGOs ihre Budgets offenlegen, damit wirklich Transparenz in der Politik herrschen könne. Mit 112 zu 82 Stimmen wurde erneut der Vorschlag der SPK-NR unterstützt.
Auch von der linken Ratsseite wurden Minderheitsanträge gestellt. Eine von Irène Kälin (gp, AG) angeführte Minderheit wollte auf einen im Ständerat abgelehnten Vorschlag der SPK-SR zurückkommen und eine Busse von CHF 20'000 für Zuwiderhandlung gegen die Transparenzregeln einführen. Der von den Grünen und der SP-Fraktion unterstützte Vorschlag kam auf 68 Stimmen (unterstützt von den drei EVP-Mitgliedern), wurde aber von den 125 Voten aus den anderen Fraktionen überstimmt.
Zu reden gab schliesslich auch ein kurzfristig schriftlich eingereichter Antrag von Thomas Aeschi (svp, ZG), der die von Marianne Binder geäusserte Kritik aufnahm und Transparenz für «alle politischen Organisationen» forderte. Verbände hätten viel grössere Beträge zur Verfügung als Parteien, weshalb sie ebenfalls in die Pflicht genommen werden müssten, war die schriftliche Begründung des Antrags. Hier schaltete sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter in die Diskussion ein und argumentierte, dass es wohl zu «rechtlich kaum lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten» kommen würde, wenn dieser Antrag gutgeheissen würde. Die Argumentation der Justizministerin schien zu verfangen, wurde der Antrag Aeschi doch mit 121 Stimmen abgelehnt. Die 69 Stimmen, die ihn gutgeheissen hätten, stammten aus der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und einer Mehrheit der Mitte-Fraktion.
In der Gesamtabstimmung standen 113 befürwortende 78 ablehnenden Stimmen gegenüber (3 Enthaltungen). Der Wind hatte damit gedreht, wie die Presse kommentierte: Im Gegensatz zur Gesamtabstimmung in der Herbstsession 2020 stimmten diesmal nicht nur die FDP, sondern auch die SP, die GP und die GLP für den Entwurf. Skepsis weckte er nach wie vor bei der SVP-Fraktion, die ihn mit 51 zu 2 Stimmen ablehnte, und bei der Mitte-Fraktion, bei der sich allerdings von 29 Stimmenden immerhin sieben für die Vorlage aussprachen. Der Ständerat wird sich in der Folge mit den drei neu geschaffenen Differenzen auseinandersetzen müssen.

Transparenz in der Politikfinanzierung (Pa. Iv. 19.400)
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

De nombreux consommateurs et consommatrices helvétiques utilisent des portails de comparaison en ligne pour guider leur choix de consommation. Or, ces portails de comparaison en ligne perçoivent des commissions. Le parlementaire Reimann (udc, SG) estime donc qu'il est nécessaire de renforcer la transparence des comparateurs en ligne afin de ne pas tromper le consommateur.
Le Conseil fédéral a considéré que la volonté du postulat entraînerait une ingérence de l'Etat dans l'économie privée, et qu'une tromperie d'un comparateur en ligne relevait de la loi sur la concurrence déloyale (LCD). Il a donc recommandé un rejet du postulat.
L'objet a été classé, faute d'examen dans le délai indiqué.

Plus d'honnêteté pour les portails de comparaison (Po. 18.4346)

In der Wintersession 2020 befasste sich der Nationalrat mit dem Rechtshilfeabkommen in Strafsachen mit Indonesien, welches bei einem Teil der SVP-Fraktion auf Widerstand stiess. Eine Minderheit Reimann (svp, SG) wollte nicht auf das Geschäft eintreten, weil man sich damit zum «Handlanger von Menschenrechtsverletzungen» mache. Nationalrat Reimann befürchtete auch einen Missbrauch der Rechtshilfe durch die indonesischen Behörden und schlug stattdessen vor, dass man Indonesien in seiner Entwicklung helfe, indem man die Menschenrechte und die Religionsfreiheit stärke. Die Bedenken der Minderheit stiessen bei den anderen Fraktionen zwar auf Gehör, vermochten diese aber nicht zur Ablehnung des Abkommens zu bewegen. Min Li Marti (sp, ZH) und Nicolas Walder (gp, GE) argumentierten, dass die Schweiz bei Anzeichen von Menschenrechtsverstössen gemäss Abkommen sowieso keine Rechtshilfe leisten dürfe. Laut Sidney Kamerzin (cvp, VD) würde man den Kampf gegen das Verbrechen in Indonesien mit dem Rechtshilfeabkommen gar stärken. Und auch die FDP sprach sich für die Annahme des Abkommens aus. Wenn man Freihandel mit Indonesien haben könne, dann könne man auch Rechtshilfe mit klaren Rechtsmitteln unterhalten, so Christian Lüscher (fdp, GE). Bundesrätin Karin Keller-Sutter fügte an, dass neben reinen Sicherheitsbedenken auch weitere Gründe für das Abkommen sprächen. So solle die internationale Staatengemeinschaft nicht als Hort für illegale ausländische Gelder dienen, deren Rückgabe im Vertrag vorgesehen seien. Die Abstimmung über den Nichteintretensantrag fiel entsprechend deutlich aus: Er wurde mit 153 zu 32 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Das Rechtshilfeabkommen selber wurde dann vom Nationalrat mit 150 zu 32 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) verabschiedet.

Abkommen mit Indonesien über Rechtshilfe in Strafsachen (BRG 19.084)

In der Herbstsession 2020 war das Postulat Reimann (svp, SG) «Auslandsabhängigkeit der Schweiz vermindern, souveräner und krisenresistenter werden» von Felix Wettstein (gp, SO) bekämpft worden, weshalb es erst in der Wintersession desselben Jahres im Nationalrat behandelt werden konnte. Dort plädierte der Postulant erneut dafür, dass die Schweiz sich resistenter machen müsse, um dadurch auch besser auf zukünftige Pandemien vorbereitet zu sein. Er richtete sich in seiner Ansprache vor allem an die Fraktion der Grünen und hob daher auch die Verminderung der Abhängigkeit von Primärrohstoffen hervor. Bundesrat Parmelin empfahl dem Nationalrat ebenfalls die Annahme des Postulats, weil die Covid-19-Pandemie gezeigt habe, wie wichtig die Versorgungssicherheit sei. Obwohl man in der jetzigen Krise keine ernsthaften Engpässe erlebt habe, sei der Bundesrat gewillt, aus der Krise zu lernen und notwendige Massnahmen zu ergreifen. Aufgrund verschiedener parlamentarischer Interventionen würden das BAG und das BWL Berichte erarbeiten, um das derzeitige System der Versorgungssicherheit in ihren jeweiligen Bereichen zu überprüfen. Parmelin verwies auch auf die verwandten Motionen Häberli-Koller (cvp, TG; Mo. 20.3268) und der Mitte-Fraktion (Mo. 20.3245), welche ähnliche Forderungen gestellt hatten, jedoch ohne vorhergehende Bedarfsanalyse.
Der Nationalrat nahm das Postulat in einem ersten Durchgang mit 90 zu 89 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) an, musste die Abstimmung aber aufgrund technischer Probleme wiederholen. Beim zweiten Versuch sprach er sich dann mit 87 zu 83 Stimmen (bei 17 Enthaltungen) gegen das Postulat aus. Ausschlaggebend für die Ablehnung waren die zahlreichen Enthaltungen der SP-Fraktion sowie das Umschwenken mehrerer GLP-Mitglieder.

Auslandsabhängigkeit vermindern, souveräner und krisenresistenter werden (Po. 20.3433)

Zusätzlich zu den zahlreichen Vorstössen, mit denen das Parlament auch in Krisenzeiten handlungsfähig bleiben soll und die im Herbst 2020 noch der Behandlung harrten, wollte die SPK-NR mit einer parlamentarischen Initiative rasch Voraussetzungen für eine virtuelle Teilnahme an Abstimmungen im Parlament schaffen. Die Kommission fasste Ende Oktober 2020 ihren Entschluss für eine temporäre Regelung, mit der auch jene Parlamentsmitglieder an Abstimmungen teilnehmen könnten, die aufgrund von Covid-19 in Quarantäne oder Isolation sind und bei denen deshalb eine physische Präsenz nicht möglich ist. Die Ratsdebatte könne per Live-Stream verfolgt und die Stimme mittels sicherem Verfahren aus der Distanz abgegeben werden, so die Vorstellung der SPK-NR. Damit könnte auch allfälligen, krankheitsbedingten Verzerrungen der Stimmverhältnisse vorgebeugt werden.
Zwar beugte sich die SPK-SR der Dringlichkeit des Anliegens, indem sie es nur 18 Tage nach Einreichen durch die Schwesterkommission behandelte, dem Anliegen selber wollte sie aber keine Folge geben. Mit 7 zu 6 Stimmen zwar nur knapp äusserte sie vor allem staatspolitische Bedenken: Eine Ratsdebatte müsse nicht nur verfolgt und darüber abgestimmt werden; ein der Abstimmung vorangehender Austausch zwischen Parlamentsmitgliedern sei ebenfalls bedeutender Bestandteil des Entscheidungsprozesses. Dieser verlange aber die physische Präsenz der Ratsmitglieder, so die Begründung.
Der Vorstoss, der schon in der Wintersession 2020 hätte umgesetzt werden sollen, war damit vom Tisch, nicht aber das Thema selber, das Inhalt weiterer Vorstösse darstellte. Diese beinhalteten etwa Vorschläge für virtuelle Sitzungen bzw. Sitzungsteilnahmen (Pa. Iv. Reimann [svp, SG; 20.479]) oder für alternative Arbeitsrhythmen (Pa. Iv. Marra [sp, VD; 20.476]). Zudem doppelte die SPK-NR kurz nach der Absage ihrer Schwesterkommission mit einem neuerlichen, dringlichen Vorstoss nach.

Virtuelle Teilnahme an Abstimmungen (Pa. Iv. 20.475)
Dossier: Parlament in Krisensituationen