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  • Thurnherr, Walter (Bundeskanzler / Chancelier de la Confédération)
  • Germann, Hannes (svp/udc, SH) SR/CE

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Jahresrückblick 2023: Parteien

Für die Parteien stand das Jahr 2023 überwiegend im Zeichen der National- und Ständeratswahlen sowie der Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats. Dies schlägt sich auch in der Medienpräsenz der Parteien nieder, die sich dem Spitzenwert aus dem letzten eidgenössischen Wahljahr 2019 annäherte und im Wahlmonat Oktober kulminierte (vgl. Abbildungen 1 und 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Die SVP lancierte ihren Wahlkampf mit einem neuen Parteiprogramm, das sich unter anderem gegen «Gender-Terror und Woke-Wahnsinn» wandte. Im Wahlkampf rückte die Partei mit der Asyl- und Migrationspolitik indessen zunehmend zwei ihrer klassischen Kernthemen ins Zentrum. Nebst ihren inhaltlichen Forderungen bescherten der SVP auch ein Wahlkampfsong und ein aufwändiger Wahlkampfanlass viel Aufmerksamkeit. Bei den Nationalratswahlen erzielte die Partei schliesslich das drittbeste Resultat ihrer Geschichte, im Ständerat musste sie hingegen Verluste hinnehmen. Bei den Bundesratswahlen sprach sich die SVP für ein Festhalten an der bisherigen Sitzverteilung aus, erhob jedoch – letztlich ohne Erfolg – mit einem Zweierticket Anspruch auf die Nachfolge von Bundeskanzler Walter Thurnherr.
Auch in diesem Jahr zeigte sich die SVP aktiv bei der Nutzung der Volksrechte. So lancierte sie ihre «Nachhaltigkeitsinitiative» und brachte – unter Rückgriff auf unübliche Methoden – das Referendum gegen das Klimagesetz zustande, an der Urne konnte sie das Gesetz aber nicht zu Fall bringen. Verschiedentlich wurde in den Medien diskutiert, ob sich die SVP genügend gegen Rechtsextremismus abgrenze. Anlass dazu boten unter anderem die in zwei Kantonen eingegangenen Listenverbindungen mit Mass-voll und Verbindungen einzelner SVP-Exponentinnen und -Exponenten zur Jungen Tat.

Die SP konnte sowohl bei den Nationalrats- als auch bei den Ständeratswahlen zulegen. Eine Erklärung für den Wahlerfolg sah die Presse in der Themenlage, die der SP mit Inflation, steigenden Mieten und Krankenkassenprämien in die Hände gespielt habe. Die Partei hatte in ihrem Wahlkampf denn auch das Thema Kaufkraft an erste Stelle gesetzt. Im Rampenlicht stand die SP im Zusammenhang mit den Bundesratswahlen, bei denen sie den Sitz des zurücktretenden Alain Berset zu verteidigen hatte (vgl. Abbildung 1). Letztlich wählte die Bundesversammlung mit Beat Jans unter einigen Nebengeräuschen einen der beiden offiziellen SP-Kandidaten.
In der direktdemokratischen Arena musste die SP eine Niederlage hinnehmen, als die von ihr bekämpfte OECD-Mindeststeuer an der Urne deutlich angenommen wurde. Einen Erfolg konnte sie hingegen mit dem Zustandekommen ihrer Kita-Initiative verbuchen. Bereits vor den Wahlen hatte die SP ihr Fraktionspräsidium neu zu besetzen. Wie schon die Bundespartei wird nun auch die Fraktion von einem geschlechtergemischten Co-Präsidium geführt.

Für die FDP verliefen die National- und Ständeratswahlen enttäuschend. Im Wahlkampf hatten Diskussionen dazu, ob die grossflächigen Listenverbindungen mit der SVP für die FDP strategisch sinnvoll seien oder gemässigte Wählende abschreckten, ihre inhaltlichen Wahlkampfthemen teilweise in den Schatten gestellt. Die Vorwürfe, die FDP verkomme zur Juniorpartnerin der SVP, verstärkten sich noch, als sich die Freisinnigen vor den zweiten Ständeratswahlgängen in mehreren Kantonen zugunsten der SVP-Kandidaturen zurückzogen. Die Verluste bei den Parlamentswahlen befeuerten die Diskussion, ob die Doppelvertretung der FDP im Bundesrat noch gerechtfertigt sei; bei den Bundesratswahlen gerieten die beiden FDP-Sitze trotz eines Angriffs der Grünen aber nicht ernsthaft in Gefahr.

Die Mitte konnte bei den ersten nationalen Wahlen nach der Parteifusion den kumulierten Wählendenanteil von CVP und BDP leicht übertreffen, überholte bei den Nationalratssitzen die FDP und baute im Ständerat ihre Position als stärkste Partei aus. Parteipräsident Gerhard Pfister liess darauf verlauten, er sehe die Mitte, die sich im Wahlkampf als Anti-Polarisierungspartei profiliert hatte, künftig als Anführerin eines dritten Pols mit eigenständiger Themensetzung. Vor den Bundesratswahlen entschied sich die Mitte trotz ihres Wahlerfolgs dagegen, auf Kosten der FDP einen zweiten Bundesratssitz zu beanspruchen, da eine Abwahl wiederkandidierender Regierungsmitglieder vermieden werden solle. Bei einem FDP-Rücktritt werde eine Mitte-Kandidatur aber Thema werden. Mit unvorteilhaften Schlagzeilen war die Mitte im Frühling konfrontiert, als ehemalige Mitarbeitende der Partei Vorwürfe erhoben, im Generalsekretariat werde gemobbt.

Die Grünen konnten im Frühling ihr 40-jähriges Jubiläum begehen, hatten 2023 ansonsten aber nicht viel zu feiern. Bei den eidgenössischen Wahlen erlitten sie in beiden Räten deutliche Einbussen. Die Parteispitze betonte zwar, man habe das nach der «Klimawahl» 2019 zweitbeste Resultat der Parteigeschichte erzielt. Gleichwohl kam Parteipräsident Balthasar Glättli zum Schluss, er wolle als «Gesicht des Misserfolgs» sein Amt 2024 abgeben. Im Wahlkampf hatte eine millionenschwere Wahlkampfspende einer Gönnerin für einige Schlagzeilen gesorgt. Inhaltlich setzten die Grünen vor allem auf ihre Kernthemen Klima und Ökologie sowie Gleichstellung. Passend dazu beschlossen sie im August die Lancierung einer neuen Volksinitiative zum Ausbau der Solarenergie.
Ungeachtet ihrer geschwächten Position im Parlament wollten die Grünen im Dezember erstmals in den Bundesrat einziehen und griffen mit Nationalrat Gerhard Andrey die beiden Bundesratsmitglieder der FDP, nicht aber die SP-Sitze an. Nachdem Andrey bei seiner gemeinhin erwarteten Nichtwahl wohl nur eine Minderheit der SP-Stimmen erhalten hatte, konnte sich Glättli aber auch für künftige Angriffe auf SP-Bundesratssitze erwärmen. Unerfreulich war für die Grünen sodann eine Serie von Parteiaustritten von Kantonsparlamentarierinnen und -parlamentariern.

Nach Erfolgen bei mehreren kantonalen Parlamentswahlen brachten die Nationalratswahlen für die GLP einen herben Dämpfer. Ihre Nationalratsfraktion schrumpfte – teilweise wegen Proporzpech – um mehr als einen Drittel, worüber der geglückte Wiedereinzug in den Ständerat nicht hinwegtrösten konnte. Ihre zuvor gehegten Bundesratsambitionen begruben die Grünliberalen nach dem deutlichen Verpassen ihrer Wahlziele, mit Viktor Rossi konnten sie aber immerhin den Kampf ums Bundeskanzleramt für sich entscheiden. Als neue Fraktionspräsidentin bestimmte die GLP im Dezember Corina Gredig (glp, ZH).
Nach den Wahlen gab die künftige Ausrichtung der Partei Stoff für Spekulationen: Während Parteipräsident Jürg Grossen in Interviews gewisse Avancen nach Rechts zu machen schien, schloss sich die einzige GLP-Ständerätin der Ratsgruppe der Grünen an, der grösste Spender der Partei wiederum regte öffentlich eine Fusion mit der Mitte an.

Für die kleineren Parteien hielt das Jahr 2023 Unterschiedliches bereit. Dies gilt etwa für die EVP, die in Basel-Landschaft erstmals überhaupt den Sprung in eine Kantonsregierung schaffte, bei den eidgenössischen Wahlen aber den Nationalratssitz ihrer Parteipräsidentin einbüsste. Das Mouvement Citoyens Genevois wiederum verlor seinen Regierungssitz in Genf, konnte aber den Einzug in National- und Ständerat feiern. Nicht mehr im Bundesparlament vertreten sind die PdA und Ensemble à Gauche.

Erstmals kamen bei den eidgenössischen Wahlen die neuen Transparenzregeln des Bundes für die Politikfinanzierung zur Anwendung. Auswertungen der Daten in den Medien zeigten zwar, dass solche Analysen aus verschiedenen Gründen mit nennenswerten Unschärfen verbunden bleiben. Der Hauptbefund aber, dass FDP und SVP mit deutlichem Abstand vor SP und Mitte sowie Grünen und GLP über die grössten Wahlkampfbudgets verfügten, schien unbestritten.

Jahresrückblick 2023: Parteien
Dossier: Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2023: Institutionen und Volksrechte

Das im Jahr 2023 zentrale politische und sehr stark medial begleitete Ereignis im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» waren die eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse).

Im Nationalrat wechselten per Saldo lediglich 7.5 Prozent der 200 Sitze die Parteifarbe – wesentlich weniger als noch vor vier Jahren (14.5%) – und in zehn Kantonen kam es zu keinerlei parteipolitischen Sitzverschiebungen. Grösste Wahlsiegerin war die SVP, die netto 9 Sitze gewann (vgl. Jahresrückblick Parteien), was die Medien als «Rechtsrutsch» interpretierten. Sitze gewinnen konnten auch die SP (+2 Sitze), die Mitte und die EDU (je +1 Sitz) sowie das MCG (+ 2 Sitze), das damit erneut ins Parlament einzog. Verluste mussten auf der anderen Seite insbesondere die GLP (-6 Sitze) und die Grünen (-5 Sitze), aber auch die FDP, die EVP, die PdA und Ensemble à Gauche (je -1 Sitz) hinnehmen. Letztere zwei Parteien sind somit nicht mehr im Parlament vertreten. Gemessen an der Sitzzahl überholte die Mitte damit die FDP und wurde neu drittstärkste Partei in der grossen Kammer. Zu reden gab diesbezüglich ein Programmierfehler des Bundesamts für Statistik, das zuerst fälschlicherweise verkündet hatte, dass die Mitte auch hinsichtlich Wählendenstärke knapp vor der FDP liege.

Zu Sitzverschiebungen kam es auch im Ständerat. Die Gesamterneuerungswahlen führten in acht Kantonen zu parteipolitischen Verschiebungen und zu insgesamt 13 neuen Mitgliedern in der kleinen Kammer. Die Reihenfolge bezüglich Sitzstärke blieb freilich weitgehend dieselbe wie schon 2019: Als stärkste Partei in der kleinen Kammer konnte sich die Mitte mit dem Gewinn eines Sitzes halten, während die FDP mit einem Sitzverlust weiterhin am zweitmeisten Sitze im Stöckli besetzte. Darauf folgten die SP, die ihre zwei bei Ersatzwahlen während der Legislatur verlorenen Sitze zurückgewinnen konnte, die SVP, die einen Sitz und mit Thomas Minder ein langjähriges Fraktionsmitglied verlor, die Grünen mit zwei Sitzverlusten sowie die GLP und das MCG, die mit je einem Sitz ins Stöckli einzogen. Während im Ständerat mit vier neuen Frauen ein rekordhoher Frauenanteil von 34.8 Prozent erreicht wurde (2019: 26.1%; Herbstsession 2023: 30.4%), sank der Frauenanteil im Nationalrat wieder unter den bei den Wahlen 2019 erzielten bisherigen Rekordwert von 42 Prozent (neu: 38.5%).

Im Rahmen der im Dezember stattfindenden Bundesratserneuerungswahlen gab es aufgrund des Rücktritts von Alain Berset auch eine Ersatzwahl. Dabei sorgte das Zweierticket der SP für mediale Diskussionen über die seit einigen Jahren befolgte informelle Regel, Vorschläge einer Fraktion nicht zu desavouieren. Die Mehrheit des Parlaments hielt sich an diese Regel und entschied sich im dritten Wahlgang für Beat Jans. Erfolglos blieb der Angriff der Grünen Partei mit Gerhard Andrey auf einen FDP-Sitz; alle bisherigen Bundesratsmitglieder wurden in ihrem Amt bestätigt. Als Überraschung werteten die Medien die Departementsverteilung: Elisabeth Baume-Schneider wechselte nach nur einem Jahr im EJPD ins frei gewordene EDI. Beat Jans übernahm entsprechend die bisherigen Dossiers seiner Parteikollegin.

Wie bereits zu früheren Zeitpunkten sorgte auch die Wahl des neuen Bundeskanzlers für einige Spannung. Der zurückgetretene Walter Thurnherr wurde im zweiten Wahlgang durch den Vizekanzler Viktor Rossi ersetzt, der Mitglied der GLP ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz stellt somit eine Partei den Bundeskanzler, die nicht in der Regierung vertreten ist.

Neben all diesen Wahlen und Wahlgeschäften gab es im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» aber auch wichtige thematische Entwicklungen. So waren Regierung und Verwaltung etwa mit den Nachwehen der Covid-19-Pandemie beschäftigt. Verschiedene Berichte zu einer Verbesserung der Krisenorganisation der Exekutive forderten einen permanenten Krisenstab, mit dem die Zusammenarbeit zwischen den Departementen, aber auch zwischen Bund und Kantonen und mit der Wissenschaft im Krisenfall verbessert werden soll. Auch das Parlament erhöhte seine Handlungsfähigkeit in Krisensituationen: Künftig können ausserordentliche Sessionen rascher einberufen, virtuelle Teilnahmen an Ratssitzungen ermöglicht sowie Rats- oder Kommissionssitzungen auch digital durchgeführt werden.

2023 erliess das Parlament neue Regeln zur Digitalisierung der Verwaltung, indem es das EMBAG verabschiedete, mit dem der Einsatz von elektronischen Mitteln zur Erfüllung von Behördenaufgaben geregelt wird. Dass eine Verbesserung der digitalen Infrastruktur des Bundes dringend sei, schlossen die Medien aus verschiedenen erfolgreichen Hackerangriffen auf die Bundesverwaltung (vgl. Jahresrückblick Rechtsordnung). Der Bundesrat wurde in einem parlamentarischen Vorstoss aufgefordert, die Verwaltung besser gegen Cyberangriffe zu schützen.

Unter Dach und Fach brachte das Parlament 2023 eine verbesserte Vereinbarkeit von Mutterschaft und Parlamentsmandat. Die auf verschiedene Standesinitiativen zurückgehende Teilrevision des Erwerbsersatzgesetzes sieht vor, dass gewählte lokale, kantonale oder nationale Parlamentarierinnen ihren Anspruch auf Entschädigung nicht mehr verlieren, wenn sie während des Mutterschaftsurlaubs an Kommissions- oder Ratssitzungen teilnehmen.

Einiges zu reden gab 2023 der Teuerungsausgleich für die Löhne des Bundes. Die Anpassung der Löhne von Magistratspersonen ist per Verordnung geregelt und wurde unter medialer Kritik für das Jahr 2023 auf 2.5 Prozent angesetzt. Den rund 40'000 Verwaltungsangestellten gewährte der Bundesrat ebenfalls eine Lohnanpassung von 2.5 Prozent. Allerdings lehnte das Parlament den für die nachträgliche Erhöhung von 2.0 auf 2.5 Prozent benötigten Nachtragskredit ab. Auch für sich selber lehnte das Parlament medienwirksam einen Teuerungsausgleich ab.

Lediglich zu drei eidgenössischen Vorlagen, die auf einen einzigen Abstimmungstermin angesetzt worden waren, konnte sich die Stimmbevölkerung im Berichtsjahr äussern (Klimagesetz, 5. Covid-19-Gesetzesrevision, OECD-Mindestbesteuerung). Das im Jahresvergleich eher geringe mediale Interesse am Unterthema «Direkte Demokratie» (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse) dürfte damit zu erklären sein. Zwar stehen 2024 wieder wesentlich mehr direktdemokratische Urnenentscheide an, diese werden freilich kaum staatspolitischen Inhalt haben: Die Volksinitiativen «Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze!» und auch die Forderung für eine Totalrevision der Bundesverfassung scheiterten nämlich 2023 an der Unterschriftenhürde. In diesem Jahr mit der Unterschriftensammlung begann hingegen ein Begehren, das eine Bestätigungswahl für Bundesratsmitglieder durch Volk und Stände verlangt.

Auch 2023 gab es Diskussionen über eine Ausweitung des Kreises an Stimmberechtigten und über die Erleichterung der Wahrnehmung des Stimmrechts. Zum dritten Mal stimmte die grosse Kammer gegen einen Abschreibungsantrag ihrer SPK-NR, die nun eine Vorlage für Stimmrechtsalter 16 ausarbeiten muss. Zu reden geben wird diesbezüglich künftig wohl auch der bisherige Stimmrechtsausschluss von Menschen mit geistigen Behinderungen. Bei den eidgenössischen Wahlen durften zudem in drei Kantonen (BS, SG, TG) nach einiger Zeit wieder Versuche mit E-Voting durchgeführt werden.

Jahresrückblick 2023: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2023

Die SVP im Jahr 2023: Kurzüberblick

Für die SVP stand das Jahr 2023 wie auch für die übrigen Parteien stark im Zeichen der National- und Ständeratswahlen. So lancierte sie zu Jahresbeginn ihren Wahlkampf mit einem neuen Parteiprogramm, das sich unter anderem in einem eigenen Kapitel gegen «Gender-Terror und Woke-Wahnsinn» wandte. Im Lauf des Wahlkampfs rückte die Partei mit der Asyl- und Migrationspolitik indessen zunehmend zwei ihrer klassischen Kernthemen ins Zentrum; dabei wurde ihre Kampagne von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR als «fremdenfeindlich und hetzerisch» taxiert, worauf die Partei von Zensur sprach. Nebst ihren inhaltlichen Forderungen bescherten der SVP auch ein Wahlkampfsong, mit dem sie womöglich Urheberrechte verletzte, und ein aufwändig inszenierter Wahlkampfanlass viel Aufmerksamkeit.

Bei den Nationalratswahlen trug der intensive Wahlkampf für die Partei reiche Früchte, indem sie sowohl beim Wählendenanteil als auch bei der Sitzzahl markant zulegte und das drittbeste Resultat ihrer Geschichte erzielte. Im Ständerat musste die SVP hingegen Verluste hinnehmen und wurde nur viertstärkste Partei. Dass sich die SVP als Polpartei bei Majorzwahlen immer wieder schwertut, hatte sich auch bei den Baselbieter Wahlen gezeigt, wo sie ihren einzigen Sitz in der Kantonsregierung an die Kleinpartei EVP verlor.

Bei den Bundesratswahlen sprach sich die SVP für ein Festhalten an der bisherigen Sitzverteilung aus, erhob jedoch Anspruch auf die Nachfolge von Bundeskanzler Walter Thurnherr und legte dafür ein Zweierticket vor. In der Bundesversammlung machte jedoch der GLP-Kandidat und bisherige Vizekanzler Viktor Rossi das Rennen. Die SVP muss somit weiter auf ihre erste Bundeskanzlerin oder ihren ersten Bundeskanzler warten.

Im Übrigen zeigte sich die SVP auch in diesem Jahr aktiv bei der Nutzung der Volksrechte. So lancierte sie – passend zu ihren Wahlkampfthemen – die «Nachhaltigkeitsinitiative», die mit Massnahmen im Asyl- und Migrationsbereich das Bevölkerungswachstum bremsen soll. Zu Beginn des Jahres hatte die Partei zudem das Referendum gegen das Klimagesetz zustande gebracht – und dabei intern für böses Blut gesorgt, weil nach einem harzigen Start zur Unterschriftensammlung ein Strafgeld für Fraktionsmitglieder beschlossen wurde, die nicht mindestens 150 Unterschriften beisteuerten. An der Urne drang die SVP mit ihrem Widerstand gegen das Gesetz schliesslich nicht durch, ebensowenig wie mit ihrer Nein-Parole zur fünften Revision des Covid-19-Gesetzes.

Verschiedentlich wurde in den Medien diskutiert, ob sich die SVP genügend gegen Rechtsextremismus abgrenze. Anlass dazu boten unter anderem die in zwei Kantonen eingegangenen Listenverbindungen mit Mass-voll und das Bekanntwerden von Verbindungen einzelner SVP-Exponentinnen und -Exponenten zur Jungen Tat.

Für einige Schlagzeilen sorgten im Herbst Vorwürfe an SVP-Präsident Marco Chiesa, wonach dieser bei der Führung seiner Tessiner Treuhandfirma über ein Jahr lang gegen Vorgaben des kantonalen Gesetzes verstossen habe. Chiesa wies die Vorwürfe zurück.

Die SVP im Jahr 2023: Kurzüberblick
Dossier: Kurzüberblick über die Parteien im Jahr 2023

In der Wintersession 2023 gingen die Beratungen über die Abschaffung des Eigenmietwerts in die nächste Runde. Der Nationalrat hatte in der Sommersession 2023 zwei Differenzen zum Entscheid des Ständerates geschaffen. Während die kleine Kammer die Abschaffung des Eigenmietwerts lediglich bei selbstbewohnten Liegenschaften geltend machen wollte, sprach sich der Nationalrat für einen vollständigen Systemwechsel einschliesslich Zweitwohnungen aus. Weiter gab es eine Differenz bezüglich der Schuldzinsabzüge: Beide Räte waren sich einig, dass Ausgaben, wenn eine Liegenschaft Vermögenserträge abwirft, in einem gewissen Umfang weiterhin abgezogen werden dürfen. Die ständerätliche Version sah einen Schuldzinsabzug von 70 Prozent vor, der Nationalrat entschied dagegen auf eine Abzugsfähigkeit von 40 Prozent.

Die Mehrheit der WAK-SR beschloss, an ihrem Entscheid aus der Herbstsession 2021 festzuhalten und weiterhin gegen einen vollkommenen Systemwechsel und für eine höhere Abzugsfähigkeit einzustehen. Eine Minderheit Sommaruga (sp, GE) beantragte, die Fassung des Bundesrates zu übernehmen und den Systemwechsel auf das gesamte Wohneigentum, einschliesslich Zweitwohnungen, anzuwenden. Lediglich Erstwohnungen vom Eigenmietwert zu befreien, sei zu wenig konsequent und ein zweispuriges Besteuerungssystem weise ein hohes Missbrauchspotenzial auf, legte auch Mitte-Nationalrat Erich Ettlin (mitte, OW) dar. Auch der zusätzliche Verwaltungsaufwand infolge dieser divergierenden Systeme dürfe nicht unterschätzt werden. Ein vollständiger Systemwechsel gehe mit massiven Steuereinbussen in Kantonen mit einer hohen Zweitwohnungsquote einher, lautete es hingegen seitens der Kommissionsmehrheit. Deshalb würde die Vorlage in dieser Form mit hoher Wahrscheinlichkeit von den betroffenen Kantonen bekämpft werden, äusserte Hannes Germann (svp, SH) die entsprechenden Bedenken. Falls die Differenz zum Nationalrat weiter bestehe, erhalte dieser die Möglichkeit eine Objektsteuer auszuarbeiten, um den erwähnten monetären Ausfällen entgegenzuwirken. Vorausgesetzt diese Objektsteuer stelle eine realistische Alternative zur Eigenmietwertbesteuerung dar, ergebe ein vollständiger Systemwechsel Sinn, so der Schaffhauser SVP-Ständerat.
Bezüglich des Schuldzinsabzuges setzte sich eine Minderheit Zanetti (sp, SO) in Anlehnung an den ersten Entwurf der WAK-SR im Sommer 2021 für eine gänzliche Abschaffung ein. Die Abzüge, ungeachtet ihres Ausmasses, würden primär den Reichsten des Landes zugutekommen, argumentierte Carlo Sommaruga, welcher den Minderheitenantrag seines ehemaligen Parteikollegen aufgegriffen hatte, in der Detailberatung. Kommissionssprecher Pirmin Bischoff (mitte, SO) betonte hingegen, dass die Kommissionsmehrheit es als inkonsequent erachte, wenn Personen Mietzinseinnahmen aufweisen würden, die damit verbundenen Kosten aber nicht zumindest teilweise abziehen könnten.
Beide Minderheiten wurden in der kleinen Kammer abgelehnt und das Geschäft ging mit den beiden nach wie vor bestehenden Differenzen zurück an den Nationalrat.

Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung (Pa.Iv. 17.400)
Dossier: Vorstösse zur Abschaffung des Eigenmietwerts (1992-2023)

Lors de la session d'automne, le Conseil des Etats a rejeté tacitement une motion visant à lancer des projets numériques phares d'intérêt public pour faire avancer la Suisse. Cette décision fait suite à l'adoption du projet par le Conseil national en mars 2022. Avec sa proposition, le conseiller national Lars Guggisberg (udc, BE) souhaite créer des bases juridiques permettant de soutenir des projets numériques d'intérêt public en Suisse en leur fournissant un financement initial, qu'ils soient privés ou issus de partenariats public-privé.
Lors des délibérations, le conseiller aux Etats Benedikt Würth (centre, SG) a détaillé la situation au nom de la Commission de la science, de l'éducation et de la culture du Conseil des États (CSEC-CE). Cette dernière a proposé de rejeter la motion par 7 voix contre 0 et 2 abstentions. Dans son rapport, elle a souligné que le Conseil fédéral avait déjà exprimé sa volonté de créer une base juridique pour soutenir de tels projets, mais en veillant à ne pas empiéter sur d'autres instruments d'encouragement existants, et en vérifiant que les exigences constitutionnelles soient respectées. La commission considère également que l'objectif de la motion a déjà été atteint grâce à la loi sur l'utilisation des moyens électroniques pour l'exécution des tâches des autorités (LMETA), adoptée entre-temps et qui entrera en vigueur en 2024. Au nom du Conseil fédéral, le chancelier de la Confédération, Walter Thurnherr, s'est rallié à la proposition de la commission, soulignant que le but de la motion était déjà rempli.

Digitale Leuchtturmprojekte mit öffentlichem Interesse anschieben (Mo. 21.4490)
Dossier: Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG)

Die vom Nationalrat im Sommer 2022 angenommene Motion von Marcel Dobler (fdp, SG), die eine nutzenorientierte Digitalisierungsoffensive der Schweizer Verwaltung forderte, wurde vom Ständerat in der Herbstsession 2023 stillschweigend abgelehnt. Kommissionssprecher Benedikt Würth (mitte, SG) sowie Bundeskanzler Walter Thurnherr hatten zuvor die Empfehlung der Ablehnung seitens der WBK-SR sowie des Bundesrats damit begründet, dass zwei der drei Forderungen des Vorstosses mit dem neuen Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) bereits erfüllt seien: die Forderung nach «digital first», sowie die Regelungen von Ausnahmen. Die dritte Forderung – beim Vollzug auch die Kantone zu verpflichten – sei bei den Beratungen zum EMBAG hingegen explizit abgelehnt worden. Die Motion war damit erledigt.

Nutzenorientierte Digitalisierungsoffensive der Schweizer Verwaltung (Mo. 22.3122)

Mitte August gab der amtierende Bundeskanzler Walter Thurnherr seinen Rücktritt auf Ende 2023 bekannt. Es sei «Zeit, den Stab weiterzureichen» gab der 60-Jährige, der seit 2016 der Bundeskanzlei vorstand, den Medien zu Protokoll. Die vergangenen Jahre seien «intensiv und anspruchsvoll» gewesen – in La Liberté sprach er in Bezug auf die sich zur Ende neigenden 51. Legislatur von «la pire législature depuis la Seconde Guerre mondiale» – und er wolle sein Amt abgeben, solange er noch «auf der Höhe der Anforderungen» sei.
In den Medien wurde Thurnherr als intelligenter Kopf gewürdigt, der nicht nur brillante Reden gehalten habe, sondern auch von der Seitenlinie den Bundesrat kritisiert habe, so die Aargauer Zeitung. Der «Napoléon de l'ombre» (Le Temps) habe als «klügster Kopf in der Regierung» in schwierigen Situationen beratend eingegriffen und bei Konflikten vermittelt, lobte die NZZ. Er habe sich nie als achten Bundesrat gesehen, aber durchaus konstruktive Ideen eingebracht. Die Aargauer Zeitung bezeichnete den gebürtigen Aargauer als «institutionelles Gewissen des Bundesrats» und die Mitte lobte ihn in einer Medienmitteilung als «Staatsdiener par excellence», der dafür gesorgt habe, dass die Institutionen handlungsfähig blieben. Der Erfolg von E-Voting, das Thurnherr stets voran getrieben hatte, seien eher durchzogen, kritisierte hingegen die Liberté. Und die Weltwoche argwöhnte, der «saloppe Abgang» sei eine «Frühpensionierung auf Kosten der Steuerzahler», da Thurnherr nach zwei vollen Legislaturen Anspruch auf ein lebenslanges jährliches Ruhegehalt in der Höhe von CHF 191'000 habe. Der scheidende Bundeskanzler selber schaute ebenfalls nicht unkritisch auf sein Wirken zurück. Er habe sicher Einfluss gehabt, es sei ihm aber beispielsweise nicht gelungen, das «Silodenken in den Departementen» zu überwinden. Probleme könnten aber nur überdepartemental gelöst werden.
Der Rücktritt kam für die meisten Medien zwar überraschend, sie versprachen sich aber viel Spannung bei der Neubesetzung eines der «spannendsten Posten [...], den die Schweizer Politik zu bieten hat», so die NZZ. Dabei schwang die Überlegung mit, dass die Parteizugehörigkeit der künftigen Bundeskanzlerin oder des künftigen Bundeskanzlers eine wichtige Rolle bei der Diskussion um die Zusammensetzung des Bundesrats nach den anstehenden eidgenössischen Wahlen spielen werde.

Wahl einer neuen Bundeskanzlerin oder eines neuen Bundeskanzlers

Aufgrund der gemäss Hannes Germann (svp, SH) zum gegebenen Zeitpunkt nicht vorhandenen freien Kapazitäten im Asylbereich beantragte der Schaffhauser Ständerat in einer Motion die Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/25. Dieselbe Forderung lancierte die SVP-Fraktion mit einer identischen Motion im Nationalrat (Mo. 23.3072). Ende Mai 2019 hatte sich der Bundesrat bereit erklärt, sich stetig an den Resettlement-Aktivitäten des UNHCR zu beteiligen, in deren Rahmen die Schweiz alle zwei Jahre 1'500 bis 2'000 Personen anerkannter Flüchtlingsgruppen aufnimmt. Der Bundesrat sah keinen zusätzlichen Handlungsbedarf und empfahl die Ablehnung der Motionen. Das für das Resettlement-Programm zuständige EJPD beurteile die Situation laufend und könne auf Basis dessen das Programm temporär suspendieren, was Ende 2022 auf Empfehlung des Sonderstabs Asyl (SONAS) bereits geschehen sei. Auch der Bundesrat werde bei seinem Entscheid zum Antrag des EJPD über das Resettlement-Programm 2024/25 die aktuelle Situation im Asylbereich berücksichtigen, so der Bundesrat weiter. Der Ständerat behandelte die Motion im Rahmen der ausserordentlichen Session zur Migration im Juni 2023, wo er sie mit 26 zu 18 Stimmen befürwortete. Anders entschied am Tag zuvor der Nationalrat in seiner ausserordentlichen Session: Die grosse Kammer lehnte die Motion der SVP-Fraktion mit 112 zu 70 Stimmen (4 Enthaltungen) ab. In der grossen Kammer erhielt die Forderung neben der SVP-Fraktion lediglich Sukkurs von einer Grossmehrheit der FDP-Fraktion.
Einen Tag nach den parlamentarischen Debatten bewilligte der Bundesrat die Weiterführung des Resettlement-Programms 2024/25.

Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/25 (Mo. 23.3096, Mo. 23.3072)

Mit 24 zu 18 Stimmen bei 1 Enthaltung trat der Ständerat in der Sommersession 2023 nicht auf die Änderung der Bundesverfassung und des ParlG zur Einführung einer Regulierungsbremse gemäss der Motion 16.3360 ein. Während sich die SPK-SR im Vorfeld für Nichteintreten ausgesprochen hatte, hatte eine Minderheit Salzmann (svp, BE) Eintreten beantragt. Kommissionssprecher Hans Stöckli (sp, BE) erläuterte die vielen problematischen Aspekte der Vorlage aus Sicht der Kommissionsmehrheit. Erstens sei es aus staatspolitischer Sicht heikel, Unternehmen gegenüber anderen Akteursgruppen bevorzugt zu behandeln. Zweitens dürften die direkten Auswirkungen bei Annahme der Vorlage minim sein, da diese Regel gemäss Verwaltung bei höchstens 0.5 Prozent aller Abstimmungen Anwendung finden würde und ihr Nutzen nicht belegbar sei. Drittens fokussiere die Regel nur auf die Kosten, nicht aber auf den Nutzen, der eine neue Norm schaffe, was eine zu einseitige Betrachtung darstelle. Viertens sei es schwierig, Folgekosten von neuen Gesetzen abzuschätzen, was in der Folge Rechtsunsicherheit bezüglich der Frage schaffe, ob eine bestimmte Abstimmung dem qualifizierten Mehr zu unterstellen sei oder nicht. Schliesslich solle sich das Parlament «nicht ohne Not selbst binden». Dem Anliegen der ursprünglichen Motion der FDP-Fraktion könne im Rahmen des Unternehmensentlastungsgesetzes besser Rechnung getragen werden, schloss Stöckli. Werner Salzmann erkannte hingegen Handlungsbedarf und zeigte sich von dem vom Bundesrat präsentierten Umsetzungsvorschlag überzeugt. Der Wirtschaftsstandort Schweiz könne so gestärkt werden, da unnötige Regulierungen die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit hemmen würden. Auch wenn die Vorlage in der Vernehmlassung auf Widerstand gestossen sei, könne sie in Zukunft durch die zur Änderung der Verfassung nötige obligatorische Volksabstimmung legitimiert werden. Auch Hannes Germann (svp, SH) plädierte im Rat dafür, auf die Vorlage einzutreten, damit sich die Kommission erneut mit dem Anliegen auseinandersetzen könne. Diese könne die Regulierungskostenbremse gegebenenfalls auch auf Individuen ausweiten und damit die Chance eröffnen, «aus dem noch nicht Perfekten etwas Perfektes zu machen». Eine Mehrheit des Rates folgte schliesslich der bundesrätlichen Ansicht, wonach der vorliegende Entwurf nicht «le moyen approprié pour atteindre l'objectif visé» (Guy Parmelin) sei. Die befürwortenden Stimmen stammten von Ständerätinnen und Ständeräte der SVP- und der FDP-Fraktionen.

Einführung einer Regulierungsbremse (BRG); Umsetzung Mo. 16.3360
Dossier: Effektivere Berücksichtigung von Regulierungskosten bei der Gesetzgebung
Dossier: Unternehmensentlastungsgesetz und Regulierungsbremse: Umsetzung der Motionen 16.3388 und 16.3360

In der Sommersession 2023 beriet der Ständerat den bundesrätlichen Entwurf für ein neues Unternehmensentlastungsgesetz als Erstrat in einer eineinhalbstündigen Debatte. Nachdem die kleine Kammer stillschweigend auf die Detailberatung eingetreten war, folgte sie durchwegs den Anträgen ihrer Kommission.

Kommissionssprecher Stefan Engler (mitte, GR) erläuterte zu Beginn der Debatte, dass der Bundesrat mit der Vorlage einerseits die Regulierungsbelastung für Unternehmen reduzieren und andererseits die Digitalisierung von Behördenleistungen stärken möchte. Erstens sollten dazu Regulierungsgrundsätze festgelegt werden, die als Leitlinien für die Evaluation von bestehenden und neuen Normen herangezogen werden sollen. Zweitens sollten Prüfpflichten für Vereinfachungen bei der Erarbeitung neuer Erlasse definiert werden, drittens Vorgaben zur Schätzung der Regulierungskosten gemacht und viertens ein Monitoring für die Belastung erstellt werden. Des Weiteren sollen fünftens mit Studien und periodischen Berichten Entlastungsvorschläge vorgelegt werden. Schliesslich sollten als sechstes Element, im Sinne der Digitalisierung, Behördendienstleistungen – insbesondere über die Plattform EasyGov – vereinfacht werden. Wirtschaftsminister Guy Parmelin hob hervor, dass das Gesetz zentral sei, um attraktive wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen setzen zu können und sowohl bestehende als auch neue Gesetze auf ihr Entlastungspotential hin zu prüfen. Die Schweiz sei zwar international gesehen sehr innovativ, die Regulierungslast sei aber hoch und die Digitalisierung in diesem Bereich noch tief.

Der Ständerat befasste sich in der Folge mit je zwei Mehr- und Minderheitsanträgen aus der Kommission sowie einem Einzelantrag Minder (parteilos, SH). Letzterer verlangte eine Anpassung des Gesetzestitels zu «Regulierungsevaluationsgesetz», da er dieses nicht als Kostenentlastung für die Unternehmen, sondern als Aufblähung der Verwaltung erachtete. Das kleine «Regulierungsmonster», das gemäss Botschaft Kosten in der Höhe von CHF 1.5 Mio. bis CHF 4.3 Mio. verursache, zeige die paradoxe Situation auf, dass nicht einmal die Kosten für diese neue Verwaltungsaufgabe geschätzt werden könnten. Der Rat lehnte jedoch die Anpassung des Titels mit 28 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen ab.
Während eine Kommissionsmehrheit forderte, dass bei der Ausarbeitung neuer Gesetze im Sinne von volkswirtschaftlichen Kosten auch die Folgen für Private einbezogen werden, sprach sich eine Minderheit Germann (svp, SH) gegen diesen Zusatz aus, da dadurch das Gesetz verwässert werde und der Arbeitsaufwand zunehmen würde. Pirmin Bischof (mitte, SO) betonte hingegen, dass Gesetze in erster Linie «für die Menschen in diesem Lande» geschrieben würden, weshalb diese Ergänzung angebracht sei. Mit 27 zu 17 Stimmen folgte die kleine Kammer der Kommissionsmehrheit und dehnte damit den Radius für Folgekostenschätzungen aus.
Schliesslich befasste sich der Rat mit einem Minderheitsantrag Wicki (fdp, NW) zur Schaffung einer verwaltungsunabhängigen Prüfstelle für die Plausibilität der Regulierungskostenschätzungen der Bundesverwaltung, da ein Vieraugenprinzip die Schätzungen verbessere. Ein solcher «Preisüberwacher für Regulierungen», wie Kommissionssprecher Engler die geforderte Behörde im Rat bezeichnete, erachtete die Kommissionsmehrheit nicht als nötig, da die Verwaltung jederzeit zusätzlich Expertinnen und Experten für adäquate Schätzungen beiziehen könne. Mit 14 zu 30 Stimmen folgte der Ständerat auch hier seiner Kommissionsmehrheit und lehnte das zusätzliche Kontrollorgan ab.

In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat das Gesetzespaket mit 28 zu 9 Stimmen bei 4 Enthaltungen an, wobei die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen von Ständerätinnen und Ständeraten verschiedenster Fraktionen stammten. Gleichzeitig schrieb der Rat die dazugehörige Motion Sollberger (svp, BL; Mo. 16.3388) ab. Die modifizierte Vorlage mit dem Zusatz der erweiterten Prüfung für Private ging damit an den Nationalrat.

Unternehmen von Regulierungskosten entlasten – Unternehmensentlastungsgesetz UEG (BRG 22.082)
Dossier: Effektivere Berücksichtigung von Regulierungskosten bei der Gesetzgebung
Dossier: Unternehmensentlastungsgesetz und Regulierungsbremse: Umsetzung der Motionen 16.3388 und 16.3360

In der Sommersession 2023 lag das Schicksal des indirekten Gegenvorschlags des Bundesrates zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP in den Händen des Ständerats, denn bei einem erneuten Nichteintreten wäre der Gegenvorschlag vom Tisch. Wie bereits bei der ersten Behandlung beantragte die SGK-SR ihrem Rat, auf den Entwurf einzutreten, während erneut ein Minderheitsantrag auf Nichteintreten vorlag. Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) begründete den Antrag auf Eintreten zum einen mit dem in den letzten Jahren deutlich gesunkenen Anteil der Kantone an den Prämienverbilligungen zulasten des Bundes – wobei die Kommission dem Ständerat in der Detailberatung bei den Kosten noch etwas entgegenkommen wolle – und zum anderen damit, dass man es für zu gewagt halte, «ohne Gegenvorschlag zur Initiative in eine Volksabstimmung zu gehen». Minderheitensprecher Germann (svp, SH) erachtete die von der Kommission vorgeschlagenen Korrekturen jedoch als ungenügend, da sie trotzdem sehr hohe Kosten für die Kantone mit sich bringen würden. Zudem lehnte er eine Vereinheitlichung bei den Prämienverbilligungen ab, da deren Voraussetzungen und Ausgestaltung in den Kantonen sehr unterschiedlich sei, und schliesslich störte er sich daran, dass ein höherer Anteil an Personen mit Prämienverbilligungen den individuellen Sparanreiz und den Reformdruck im Gesundheitswesen verringere. Im Unterschied zur Abstimmung ein halbes Jahr zuvor entschied sich der Ständerat dieses Mal jedoch mit 24 zu 16 Stimmen (bei 2 Enthaltungen), auf den Entwurf einzutreten. Mehrere Mitglieder der FDP- und der Mitte-Fraktion hatten ins Ja-Lager gewechselt, etwa aus Angst vor einer Abstimmung über die Initiative ohne Gegenvorschlag oder aufgrund der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Änderungen am Entwurf.

In der Detailberatung folgte der Ständerat seiner Kommission denn auch bei ihrem neuen Konzept. Der Nationalrat hatte zuvor die Personen mit Ergänzungsleistungen von der Berechnung des Anteils mit Prämienverbilligungen unterstützter Personen ausgenommen – stattdessen sollte sich der Bund zukünftig an der Finanzierung der Prämienverbilligungen von Personen mit EL beteiligen. Damit würden die Kantone zusätzlich mehr Personen ohne Ergänzungsleistungen unterstützen, wodurch sich die Gesamtkosten für Prämienverbilligungen (von Bund und Kantonen, für Personen mit EL und Personen ohne EL) von jährlich CHF 356 Mio. auf CHF 2.2 Mrd. erhöhen würden. Diese vom Nationalrat bevorzugte Änderung, im Ständerat eingebracht von einer Minderheit Stöckli (sp, BE), lehnte die kleine Kammer mit 32 zu 11 Stimmen ab und schuf so eine erste grosse Differenz zum Erstrat. Zustimmung fand im Ständerat hingegen die vom Nationalrat ergänzte Festschreibung eines Sozialziels – die Kantone müssen somit festlegen, wie hoch der Anteil der Prämien am verfügbaren Einkommen maximal sein darf. Zudem behielt der Ständerat entgegen einer Minderheit Hegglin (mitte, ZG) die Definition von steuerbarem Einkommen und bezahlten Prämien bei, um zu verhindern, dass die Kantone durch Definitionsfreiheit in diesen Bereichen das Sozialziel unterlaufen könnten. Schliesslich entschärfte der Ständerat auf Antrag seiner Kommissionsmehrheit und entgegen einer Minderheit Stöckli den von den Kantonen übernommenen Mindestanteil: Der Bundesrat hatte vorgesehen, dass die Kantone bei Personen, bei denen die Prämien weniger als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen, 5 Prozent der Bruttokosten übernehmen müssen – der Ständerat erhöhte die Prämiengrenze auf 11 Prozent und senkte den zu übernehmenden Anteil auf 3.5 Prozent. Weiterhin sollen die Kantone jedoch bei Prämien von 18.5 Prozent des verfügbaren Einkommens 7.5 Prozent der Bruttokosten übernehmen – dazwischen würden die übernommenen Anteile abgestuft. Nachdem der Ständerat die Petition 17.2018 «für einkommensabhängige Krankenkassenprämien» zur Kenntnis genommen hatte, hiess er den indirekten Gegenentwurf in der Schlussabstimmung mit 26 zu 16 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gut.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Anfang Sommersession 2023 nahm sich der Ständerat einer Motion Roduit (mitte, VS) mit dem Titel «Aromatisierte Zigaretten. Junge Menschen schützen» an. Für die Mehrheit der SGK-SR sprach sich Hannes Germann (svp, SH) gegen das Geschäft aus. Er begründete diese Haltung damit, dass einige Forderungen des Vorstosses mit dem neuen Tabakproduktegesetz bereits erfüllt und andere erst vor kurzem abgelehnt worden seien. Hans Stöckli (sp, BE) von der Kommissionsminderheit, welcher auf die schädliche Wirkung entsprechender Produkte hinwies, sah dies anders und beantragte Annahme der Motion. Gesundheitsminister Berset wiederum schloss sich der Argumentation Germanns an und empfahl die Ablehnung der Geschäfts. Anschliessend schickte der Ständerat die Motion mit 24 zu 11 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) bachab.

Aromatisierte Zigaretten. Junge Menschen schützen (Mo. 20.3634)

Alors que le Parlement a décidé d'augmenter le budget dédié à l'armée, que l'Ukraine est en guerre avec la Russie et que la Suède a rejoint l'OTAN, le GSsA a fêté en 2023 ses 40 ans. Dans ce contexte brûlant se pose une question essentielle pour l'organisation antimilitariste: est-ce que le pacifisme envisagé par le GSsA à ses débuts a encore lieu d'être en Suisse?

Au cœur du monde politique suisse, depuis février 2022, divers débats, qui évoquent des interrogations essentielles lévitant autour de ce courant de pensée, ont été menés. D'une part, il a été décidé de rehausser le budget de l'armée afin d'atteindre un pour cent du PIB. D'autre part, la réexportation d'armes a remis beaucoup de questions sur le devant de la scène, principalement concernant la neutralité suisse. En juin 2023, le président ukrainien Volodymyr Zelensky a tenu un discours par vidéo conférence pour le Parlement. Il a ainsi essayé de convaincre les helvètes d'accepter la réexportation d'armes tout en les remerciant pour leur soutien. Il a clamé: «rappelez-vous que nous demandons des armes pour redevenir une terre de paix». La fraction UDC, à l'exception de Franz Grüter (udc, LU) et Hannes Germann (udc, SH), a boycotté l'événement, au nom de la neutralité suisse. Cette action a été très critiquée par d'autres politicien.ne.s à l'image de Roger Nordmann (ps, VD): «cette absence était totalement indigne. Elle montre la vassalisation de ce parti par rapport à la Russie de Vladimir Poutine», pouvait-on lire dans Le Temps le 16 juin.

La population suisse, a par le passé questionné l'usage d'armes pour atteindre la paix. En effet, en 1989, les votant.e.s suisses s'accordaient même à 35,6 pour cent pour abolir l'institution militaire suisse, une révolution. Même le GSsA, qui était alors à l'origine de cette initiative, avait été surpris du pourcentage de la population favorable à un tel changement. Cette révélation a par la suite aussi permis quelques innovations importantes comme la mise en place du service civil et la validation par la population de tout achat d’importance de matériel militaire qui jusqu'alors n'était pas nécessaire. Dans les années 90, certains membres du mouvement ont cependant pris un tournant, avançant deux nouvelles initiatives considérées comme étant «une grave erreur politique» par Andreas Gross (ps, ZH) – un des membres fondateurs –, le poussant à se retirer, remettant en doute la pérennité du mouvement. Plus de 20 ans après ces événements, le groupement était toujours présent dans l'arène politique helvétique et réussissait presque une victoire historique. En effet, en s'opposant à l'enveloppe budgétaire prévue pour des nouveaux jets de combat, les pacifistes rataient de peu la majorité dans les urnes en 2020. De plus, jusqu'au 24 février 2022, les dépenses militaires tendaient à diminuer chaque année un peu plus. Mais, comme avançait Alexandre Vautravers – rédacteur en chef de la «Revue militaire suisse»– dans Le Temps en mai 2023, «on a sifflé la fin de la récréation en Europe, où il s’agit à nouveau d’assumer ses responsabilités et ses frontières». Cette position reste toutefois en opposition avec celle des membres du GSsA, qui ne perdent pas foi en la naissance d'une Suisse sans armée. «Nous restons utopistes mais nous sommes aussi réalistes», s'est exprimée Pauline Schneider – secrétaire politique du GSsA – pour le quotidien vaudois. Cette position a aussi été appuyée par les propos d'Andreas Gross qui a affirmé qu'une politique de paix est beaucoup plus qu'une négation de l'armée, évoquant aussi les divergences d'opinions, marquées par le Röstigraben, que ceci crée au sein même du mouvement, entre pacifistes et antimilitaristes. A la question «le pacifisme est-il mort dans les rues de Boutcha un jour de février 2022», Paolo Gilardi – membre historique du mouvement à Genève – a répondu: «non, la situation actuelle nous donne plus que jamais raison.» En effet, les pacifistes, bien que divisés entre en idéalisme et réalisme, semblent convaincu que la paix reste possible.

Guerre et paix
Dossier: Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA)

In der Frühjahrssession 2023 setzte sich der Ständerat erstmals mit dem indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative auseinander, wobei ihm ein Nichteintretensantrag von Hannes Germann (svp, SH) vorlag. Erich Ettlin (mitte, OW) erklärte für die SGK-SR, dass der Bundesrat zwar das Anliegen der Initiative, das Kostenwachstum zu bremsen, teile, jedoch eine Koppelung des Wachstums an die Lohnentwicklung ablehne. Stattdessen sollten mithilfe des indirekten Gegenvorschlags Zielvorgaben für ein maximales Kostenwachstum in der OKP formuliert werden, die bei Nichteinhalten Diskussionen über korrigierende Massnahmen nach sich ziehen sollten. Die SGK-SR habe den indirekten Gegenvorschlag mit 6 zu 0 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) angenommen und auch die Zielvorgaben gutgeheissen, schlage aber in Detailfragen Alternativen zum Nationalrat vor, erläuterte Ettlin. Hannes Germann begründete seinen Nichteintretensantrag damit, dass der Gegenvorschlag überladen sei, zumal er neben den ersten drei Kostendämpfungspaketen (Paket 1a, Paket 1b und Paket 2) quasi das vierte Paket und einen «planwirtschaftlichen Eingriff[..]» darstelle. Zudem käme es bei Annahme dieser Regelungen zu Rationierungen im Gesundheitswesen. Diesen Argumenten widersprach Gesundheitsminister Berset deutlich, es gehe lediglich um Transparenz und um eine Planung der Kosten, wie sie für Unternehmen völlig normal sei. Mit 23 zu 19 Stimmen trat der Ständerat in der Folge auf den Gegenvorschlag ein. Gegen Eintreten stimmten die SVP- und die FDP-Fraktion.
In der zentralen Frage der Vorlage, den Kostenzielen, zeigte sich die Kommissionsmehrheit mit dem nationalrätlichen Vorschlag einverstanden. Der Nationalrat hatte jährliche in vierjährliche Zielvorgaben für die maximale Kostenentwicklung der OKP abgeschwächt, die Schaffung von Kostenblöcken gestrichen und die Kostenziele um Qualitätsziele ergänzt. Vor allem hatte er den Auftrag an Bundesrat und Kantonsregierungen, bei Überschreitung der Kostenziele Massnahmen zu prüfen, gestrichen. Eine Überschreitung der Kostenziele hätte somit keine «direkten Konsequenzen», wie der Kommissionssprecher erläuterte. Eine Minderheit Damian Müller (fdp, LU) lehnte die abgeänderten Zielvorgaben dennoch ab und argumentierte, man solle zuerst die Umsetzung des Kostendämpfungspakets 1b abwarten. Mit 24 zu 16 Stimmen folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit und bereinigte diesen Punkt. Für den Minderheitsantrag sprachen sich die Mitglieder der SVP- und FDP-Fraktion aus.
In anderen Aspekten der Vorlage schuf der Ständerat hingegen einige Differenzen zum Erstrat, etwa bei den nationalen Tarifstrukturen. Wie Kommissionssprecher Ettlin erklärte, wollte der Bundesrat hier einerseits die Möglichkeit schaffen, dass die Genehmigungsbehörde, üblicherweise die Kantone, bei «nicht mehr sachgerechten oder wirtschaftlichen Tarifen» eine Anpassung verlangen kann. Kommissionssprecher Ettlin lehnte die Änderungen im Namen der Kommissionsmehrheit ab, da das «System [...] an sich gut [funktioniert]». Der Nationalrat hatte diesen Änderungsvorschlag des Bundesrates gutgeheissen und zusätzlich eine Regelung zur Schaffung unterschiedlich hoher Taxpunktwerte ergänzt, wie sie gemäss Minderheitssprecher Hegglin (mitte, ZG) auch von den Kantonen – wenn auch in anderer Formulierung – gewünscht werde. Mit 22 zu 18 Stimmen folgte der Ständerat seiner Kommissionsminderheit und lehnte die von Bundesrat und Nationalrat vorgeschlagenen Änderungen ab. Zudem strich er eine Befähigung für den Bundesrat im stationären Bereich, nicht mehr sachgemässe Tarifstrukturen anzupassen, wenn sich die Tarifpartner nicht einigen können. Kein Anklang fand im Ständerat schliesslich der nationalrätliche Vorschlag, wonach Tarifverträge innert eines Jahres beurteilt werden müssen und ansonsten automatisch in Kraft treten. Befürchtet wurde, dass eigentlich unterstützte Tarifverträge, bei denen nur noch kleine Anpassungen nötig wären, verworfen werden, wenn ihre Behandlung zu lange dauert – um zu verhindern, dass sie automatisch in Kraft treten.
Mit weiteren kleineren Differenzen reichte die kleine Kammer den Entwurf zurück an den Erstrat.

Eidgenössische Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» (BRG 21.067)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

In der Frühjahrssession 2023 stand die Änderung des Tabaksteuergesetzes zur Besteuerung von E-Zigaretten auf der ständerätlichen Traktandenliste. Roberto Zanetti (sp, SO), Urheber des damaligen Vorstosses auf Steuerbefreiung der E-Zigaretten, nutzte die Chance, um auf seine «immerhin edle[n] Motive» hinzuweisen – er habe sich davon eine «Ausstiegshilfe» erhofft, es habe sich aber herausgestellt, dass es sich dabei eher um eine «Einstiegshilfe» handle. Die Mehrheit der SGK-SR hatte sich zuvor gänzlich mit dem bundesrätlichen Vorschlag einverstanden gezeigt, jedoch lag ein umfassender Minderheitsantrag von Carlo Sommaruga (sp, GE) für eine allgemeine Änderung des Tabakgesetzes vor. Revisionen des Tabakbesteuerungsgesetzes seien selten, deshalb müsse man diese Chance nutzen, um Ungereimtheiten im Gesetz zu beheben, begründete der Antragsteller sein Vorgehen. Heute gebe es neben Zigaretten und Feinschnitttabak eine weitere Kategorie mit Tabakprodukten zum Erhitzen – beispielsweise «Iqos» von Philip Morris – , welche um 88 Prozent tiefer besteuert würde als klassische Zigaretten. Die angeblich geringere Schädlichkeit dieser Produkte sei jedoch nicht erwiesen, argumentierte Sommaruga. Entsprechend sollen diese gleichbehandelt werden wie klassische Zigaretten, während Snus, das insbesondere bei der Jugend im Trend stünde, oder andere Tabakfabrikate zukünftig wie Feinschnitttabak besteuert werden sollten. Finanzministerin Keller-Sutter sprach sich gegen diese Änderung aus, da damit die Steuer auf einigen Produkten fünfmal höher ausfallen würde als bisher. Kommissionssprecher Kuprecht (svp, SZ) befürchtete davon überdies eine Zunahme des Einkaufstourismus und Schmuggels. Mit 31 zu 9 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich der Ständerat gegen den Minderheitsantrag aus. Erfolglos blieb auch Sommarugas Antrag, dass neben Zigaretten und Feinschnitttabak auch alle anderen Tabakprodukte über eine Abgabe zur Finanzierung des Präventionsfonds herangezogen würden, um eine Gleichbehandlung aller Produkte herzustellen.
Stillschweigend hiess der Ständerat hingegen die neuen Regelungen zu den E-Zigaretten gut. Einzig bei der Höhe der neuen Steuer lag ebenfalls ein Minderheitsantrag vor: Eine Minderheit Germann (svp, SH) schlug vor, die neue Steuer für nikotinhaltige Flüssigkeiten von nachfüllbaren E-Zigaretten auf 11 statt 20 Rappen pro Milliliter festzulegen. Da deren Schädlichkeitspotenzial um 95 Prozent tiefer liege als dasjenige von Zigaretten, solle auch die Steuer entsprechend 95 Prozent niedriger sein. Zwar seien 20 Rappen «im Vergleich zum Risikoprofil eher hoch», pflichtete ihm die Finanzministerin bei, jedoch entstamme die 95 Prozent tiefere Schädlichkeit aus Schätzungen und sei daher nicht sehr genau. Mit 24 zu 16 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit. Anschliessend nahm er den Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 40 zu 1 Stimme – derjenigen von Hannes Germann – an.

Änderung des Tabaksteuergesetzes zur Besteuerung von E-Zigaretten (BRG 22.069)

Überraschend und entgegen der Meinung des Nationalrats und seiner vorberatenden Kommission machte der Ständerat in der Frühlingssession 2023 eine Kehrtwende und wollte nunmehr keine sogenannte Titeläquivalenz für die höhere Berufsbildung vorschreiben. «Bachelor für Berufsleute abgeschmettert», titelte daraufhin etwa der Tages-Anzeiger. Mit 19 zu 16 Stimmen bei 6 Enthaltungen lehnte die kleine Parlamentskammer eine entsprechende Motion Aebischer (sp, BE) ab und folgte damit dem ablehnenden Votum des Bundesrates. Die vorberatende WBK-SR war im Januar 2023 mit 12 Stimmen bei 1 Enthaltung noch klar für eine Annahme gewesen, hatte also eine Stärkung der Profile der Höheren Fachschulen durch die Titelbezeichnungen «Professional Bachelor» und «Professional Master» unterstützt. Während sich im Vorfeld eine Mehrheit der Verbundpartner der Berufsbildung (Höhere Fachschulen) für eine solche Anpassung ausgesprochen hatten, hatten Medienberichten zufolge Universitäten und Fachhochschulen den Entwurf torpediert.

Im Ständerat zeigte sich ein besonderes Bild: Mehrere Nicht-Kommissionsmitglieder äusserten sich ablehnend zur Motion, so etwa Olivier Français (fdp, VD), Mitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften, der eine Gefahr der Verwechslung mit Abschlüssen der Universitäten und der Fachhochschulen befürchtete und einen Einzelantrag auf Ablehnung stellte. Diesem Votum schlossen sich auch Daniel Fässler (mitte, AI) und Carlo Sommaruga (sp, GE) an. Auch Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU), die zwar Kommissionsmitglied war, jedoch nicht an der entsprechenden Sitzung hatte teilnehmen können, befürchtete eine Vermischung der verschiedenen Titel und hätte es bevorzugt, das Anliegen in Form eines Postulats im Sinne eines Prüfberichts zu behandeln. Die negativen Stellungnahmen der Nicht-Kommissionsmitglieder wechselten sich dabei wiederholt ab mit den Stellungnahmen verschiedener positiv gestimmter Kommissionsmitglieder. So argumentierte etwa Johanna Gapany (fdp, FR) für eine Annahme, da die Titelbezeichnungen die Qualität der Schweizer Berufsbildung auf nationalem und internationalem Parkett verdeutlichen könne. Auch Hannes Germann (svp, SH) wollte den «Sonntagsreden über den Wert unserer dualen Berufsbildung» Taten folgen lassen und den Jungen eine Perspektive geben, indem ihre Ausbildung eine entsprechende Bezeichnung erhalte. Uneinig war sich der Rat schliesslich auch in der Frage, ob die Motion überhaupt vorschreibe, dass eine Aufwertung durch die Titel «Professional Bachelor» und «Professional Master» zu erfolgen habe, da diese im Motionstext nur in Klammern genannt wurden. Matthias Michel (fdp, ZG) meinte schliesslich, dass sich die «Dissonanz» nur auf die Titelfrage beschränke, nicht jedoch auf den Grundsatz, dass die höhere Berufsbildung gestärkt werden sollte. Nach der «achterbahnmässigen» Debatte im Ständerat, wie Eva Herzog (sp, BS) das Geschehen im Rat pointiert zu resümieren wusste, zogen sich die Gräben bei der Abstimmung zwischen den knapp unterliegenden Befürwortenden und den siegreichen Gegnerinnen und Gegnern quer durch die Fraktionen hindurch. Bundesrat Guy Parmelin beruhigte die Gemüter zum Schluss mit der Information, dass der Bundesrat dem Parlament demnächst eine Botschaft für eine Gesetzesrevision betreffend die Titelbezeichnungen unterbreiten wolle, womit sich die Räte schon bald erneut zu dieser Frage würden äussern können.

Der Tages-Anzeiger erkannte hinter dem Nein aus dem Stöckli einen erfolgreichen Widerstand der Universitäten und der Fachhochschulen. In ebendieser Zeitung liess alt-Nationalrat und Bildungsexperte Rudolf Strahm kein gutes Wort an diesem Entscheid. Der Verzicht auf die Bezeichnungen werte die Berufe ab und verstärke den Fachkräftemangel. Auch der Gewerbeverbandsdirektor Ulrich Bigler bedauerte den Entscheid und erkannte darin eine verpasste Chance.

Titeläquivalenz für die höhere Berufsbildung (Mo. 20.3050)
Dossier: Höhere Fachschulen

Der Ständerat machte kurzen Prozess mit der Motion von Marcel Dobler (fdp, SG), die Kostentransparenz bei der Erfüllung von Postulaten forderte. Der Nationalrat hatte die leicht veränderte Motion noch ohne Diskussion an die kleine Kammer weitergeleitet, mit 33 zu 0 Stimmen (4 Enthaltungen) wollte Letztere aber nichts von dieser Forderung wissen. Die Position der Kommission, welche die Motion mit 8 zu 2 Stimmen (2 Enthaltungen) zur Ablehnung empfohlen hatte, wurde von Heidi Z'graggen (mitte, UR) erläutert: Die veränderte Motion wolle, dass die Kosten für die Erstellung eines Postulatsberichts in diesem Bericht erwähnt werden. Es sei zwar löblich, etwas gegen die Zunahme an Vorstössen unternehmen zu wollen, so Z'graggen; die SPK-SR befürchte aber, dass diese Kostentransparenz zu einer Einschränkung des Parlamentsmandats führen könnte. Wenn man damit rechnen müsse, «in allfälligen Rankings als teuerstes Ratsmitglied zu gelten», würde man sich selber zensieren. Demokratie sei aber nicht gratis und aus Kostengründen auf ein wichtiges Instrument zu verzichten, sei nicht zielführend. Die Prüfung auch komplexer Fragen dürfe ihren Preis haben. Würden zudem nur die Kosten von Postulaten ausgewiesen, sei damit zu rechnen, dass andere Instrumente – etwa die Interpellation, die auch Kosten verursache – häufiger genutzt würden. Bundeskanzler Walter Thurnherr hieb in dieselbe Kerbe. Für den Bundesrat sollten Postulate eigentlich nach ihrem Nutzen hinsichtlich der Lösung eines Problems beurteilt werden. Der Ausweis der Kosten eines Berichts nach Erfüllung eines Postulats könne nach Einschätzung der Regierung allerdings durchaus zu einer «Verbesserung der Kostentransparenz» beitragen. Es werde ja immer wieder diskutiert, wie viel ein Vorstoss durchschnittlich koste. Dennoch lehnte der Ständerat die Motion deutlich ab.

Kostentransparenz bei Erfüllung von Postulaten (Mo. 21.4327)
Dossier: Massnahmen gegen zu viele parlamentarische Vorstösse

Trotz unterschiedlicher Standpunkte arbeiteten die sieben Bundesratsmitglieder gut zusammen und setzten sich für die Schweiz ein. Dies war die Botschaft, die der amtierende Bundespräsident Alain Berset mit dem neuen Bundesratsfoto 2023 laut offizieller Medienmitteilung vermitteln wollte. Die in eher klassisch dunklen Oberteilen gekleidete neu zusammengesetzte Regierung ist zusammen mit dem Bundeskanzler um einen gossen Konferenztisch angeordnet, in Gruppen miteinander diskutierend. Vor den acht Personen steht jeweils ein Weinglas gefüllt mit Wasser. Auf dem Tisch liegen zudem ein Kompass, eine Karte und die Bundesverfassung. Über den Köpfen der Bundesrätinnen und Bundesräte schweben einzelne Papierseiten und durch die mit weissen Tüllgardinen bevorhangten Fenster ist eine Landschaft sichtbar. Die Verfassung auf dem Tisch stehe für das sich im kommenden Jahr zum 175. Mal jährende Bestehen der Schweiz. Auf den Papierseiten, die das zunehmende Chaos auf der Welt symbolisieren würden, sei ein Gedicht von Charles-Ferdinand Ramuz abgedruckt. Die im Hintergrund sichtbare Landschaft wiederum verweise auf die Verbindung zwischen Bundesrat und Volk, so die Medienmitteilung.

Noch selten habe ein Bundesratsfoto so viele Fragen aufgeworfen, betonte die Sonntagszeitung, der der Veröffentlichung des Bundesratsfotos jeweils folgenden medialen Parodie frönend. Man frage sich, ob die schwebenden Papierseiten wohl ein Zeichen dafür seien, dass schon vor dem offiziellen Antritt der beiden neuen Mitglieder, Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti, die Fetzen geflogen seien, oder ob der Kompass darauf hinweise, dass der Bundesrat orientierungslos sei. Das Bild erinnere zudem stark an Leonardo Da Vincis «Abendmahl», wobei sich der in der Mitte sitzende Bundespräsident wohl «endgültig als göttliche Lichtgestalt» sehe. Es frage sich in diesem Fall allerdings, wer denn Judas sei, der ihn ans Messer liefere – eine Frage, die sich tags darauf auch der Blick stellte. Auch den Sonntags-Blick erinnerte das Foto an das Fresko von Leonardo Da Vinci. Wer das Sakrale nicht möge, dürfe sich aber auch «an eine dezente Firmenfeier» erinnert fühlen. Mit Verweis auf die Departementsverteilung, die nach den Bundesratsersatzwahlen vom Dezember 2022 nötig geworden war und bei der die Medien vermutet hatten, dass Alain Berset gerne das Finanzdepartement übernommen hätte, witzelte der Sonntags-Blick zudem, dass es der Bundespräsident nun doch in sein Lieblingsdepartement geschafft habe. Das Foto wurde nämlich im Bernerhof, dem Sitz des Finanzministeriums, geschossen. Der NZZ am Sonntag fiel hingegen auf, dass die «Bundesräte aus der lateinischen Schweiz sitzen, jene aus der Deutschschweiz stehen». Die Zeitung fragte sich, ob die Deutschschweizer dynamischer oder dominanter seien oder als «neue Minderheit» nicht einmal mehr Platz nehmen dürften.

Das jährliche Bundesratsfoto

Die Ankündigung der ersten von insgesamt vier von-Wattenwyl-Gesprächen im Jahr 2022 im Februar 2022 glich derjenigen des Vorjahres. Nicht nur der Ort war aufgrund der Covid-19-Pandemie noch immer nicht das namengebende Von-Wattenwyl-Haus, sondern erneut der Bernerhof, sondern auch die hauptsächlichen Traktanden der Gespräche zwischen den Parteispitzen und einer Bundesratsdelegation – im Februar bestehend aus dem frisch gekürten Bundespräsidenten und Aussenminister Ignazio Cassis, Gesundheitsminister Alain Berset und Energieministerin Simonetta Sommaruga sowie dem Bundeskanzler Walter Thurnherr – waren gleich wie im Vorjahr. Diskutiert wurde nämlich über die sich langsam entspannende gesundheitspolitische Lage sowie das in seiner neuen Stossrichtung formulierte Ziel der Regierung, die bilateralen Beziehungen zur EU zu stabilisieren. Einen weiteren aussenpolitischen Diskussionspunkt stellte der geplante Sitz der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat (2023–2024) dar. Simonetta Sommaruga informierte über die geplanten Vorhaben zur Senkung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis 2050 (Revision des CO2-Gesetzes und Schaffung des Bundesgesetzes über sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien).
Im Mai 2022 fanden die Gespräche nach über zwei Jahren wieder im Von-Wattenwyl-Haus statt. Und auch die Themen hatten sich innert Monaten aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs stark verschoben. Bundespräsident Ignazio Cassis, Simonetta Sommaruga, Guy Parmelin sowie Walter Thurnherr diskutierten mit den Vertretungen der Bundesratsparteien über die aussenpolitischen, wirtschaftlichen und energiepolitischen Auswirkungen des Konflikts. Konkrete Diskussionsgegenstände waren die neutralitätspolitische Ausrichtung der Schweiz, die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Lugano, der weltweite Teuerungsdruck und die Energieversorgungssicherheit – neben dem bereits im Februar diskutierten Stromversorgungsgesetz, dessen Umsetzung beschleunigt werden sollte, informierte die Energieministerin dabei über die geplanten Massnahmen zur Gasversorgungssicherheit.
Wie vor der Covid-19-Pandemie üblich traf sich die Landesregierung für die Von-Wattenwyl-Gespräche im Herbst in corpore und in Klausur mit den Parteispitzen. Neben dem Krieg und seinen Auswirkungen standen die Versorgungssicherheit, die Finanzplanung, wirtschaftspolitische Folgen der Inflation, die gesundheitspolitische Lage sowie einmal mehr die Europapolitik auf der Traktandenliste. In der bundesrätlichen Bilanz zu sechs Monaten Krieg nahm Justizministerin Karin Keller-Sutter Stellung zu den Migrationsbewegungen und dem Schutzstatus S, der rund 62'000 Personen gewährt worden sei; Verteidigungsministerin Viola Amherd betonte ihrerseits den Wandel der «europäischen Sicherheitsarchitektur» und die Bedeutung multilateraler Organisationen auch für die Schweiz; Aussenminister Ignazio Cassis berichtete über die Lugano-Konferenz. Die energetische Versorgungssicherheit wurde von Energieministerin Simonetta Sommaruga erörtert. Massnahmen seien etwa eine Wasserkraftreserve, Einrichtung von Reservekraftwerken und Plänen zur Bewältigung einer möglichen Gasmangellage; die Stromversorgung sei momentan aber sichergestellt. Wirtschaftsminister Guy Parmelin erklärte die steigenden Energiepreise zur Hauptursache für die ansteigende Inflation, die zwar mit 3.4 Prozent unter dem europäischen Mittel liege, aber auch in der Schweiz auf die Kaufkraft drücke. Über die schwierige Lage der Bundesfinanzen, denen ab 2024 strukturelle Defizite in Milliardenhöhe drohten, berichtete Finanzminister Ueli Maurer. Auch in der sich momentan beruhigenden Situation in der Covid-19-Pandemie gehe es weiterhin darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, gab Gesundheitsminister Alain Berset zu bedenken. Schliesslich informierte Aussenminister Ignazio Cassis auch über die Sondierungsgespräche mit der EU: Es bestünden weiterhin erhebliche Differenzen.
Die vierte Gesprächsrunde der Von-Wattenwyl-Gespräche fand am 11. November statt. Die Bundesratsparteispitzen liessen sich dabei über die Reise von Bundespräsident Ignazio Cassis in die Ukraine und die Weiterführung des Schutzstatus S informieren. Erneut wurde auch über die Massnahmen zur Verhinderung einer Strommangellage diskutiert, darunter etwa das Reservekraftwerk in Birr oder der Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmungen, aber auch über den Verzicht, Unternehmen oder Private aufgrund der hohen Energiepreise oder der Inflation zu unterstützen. Auch die laufenden Sondierungsgespräche mit der EU, die «besorgniserregende Haushaltsentwicklung» und die nach wie vor angespannte gesundheitspolitische Lage waren wie schon im Herbst Gegenstand der Diskussionen.

Von-Wattenwyl-Gespräche seit 2013

In der Wintersession 2022 befasste sich der Ständerat mit dem Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zur Koordinierung der sozialen Sicherheit. Die Genehmigung des Bundesbeschlusses war in der SGK-SR unumstritten gewesen, dementsprechend begnügte sich Kommissionssprecher Hannes Germann (svp, SH) mit einer kurzen Zusammenfassung des Abkommensinhalts. Germann wies die Ratsmitglieder darauf hin, dass das Abkommen im gegenseitigen Einverständnis bereits seit dem 1. November 2021 vorläufig angewendet werde, da das bestehende Freizügigkeitsabkommen mit der EU seit dem Brexit nicht mehr auf das Vereinigte Königreich anwendbar sei. Das vorliegende Abkommen sei im Rahmen der Mind-the-Gap-Strategie des Bundes ausgearbeitet worden und umfasse die Alters-, Hinterlassenen- und Invaliditätsvorsorge sowie die Kranken- und Unfallversicherung. Nebst einer weitgehenden Gleichbehandlung der Versicherten garantiere das Abkommen auch einen erleichterten Zugang zu den Leistungen im Bereich der sozialen Sicherheit. Dabei lehne es sich inhaltlich an das Abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU an, wodurch die Einheitlichkeit der anzuwendenden Regeln gewährleistet werde. Germann wies darauf hin, dass es im Abkommen eine Versicherungslücke bezüglich der Invalidenversicherung gebe. Personen, die sich nach ihrem Arbeitsleben im jeweils anderen Staat niederlassen, könnten ihre IV-Renten nicht exportieren. Die Kommission schloss sich aber der Meinung der Verwaltung und des Bundesrats an, dass das vorliegende Abkommen die bessere Variante sei, als gar kein Abkommen zu haben. Der Ständerat nahm den Entwurf einstimmig an.
In der Schlussabstimmung nahmen sowohl der National- wie auch der Ständerat den Bundesbeschluss einstimmig an.

Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zur Koordinierung der sozialen Sicherheit (BRG 22.032)
Dossier: Mind the Gap-Strategie nach dem Brexit

Nachdem der Nationalrat der parlamentarischen Initiative Grüter (svp, LU) in der Frühjahrssession 2022 Folge gegeben hatte, setzte sich in der Wintersession 2022 der Ständerat mit der Frage auseinander, ob Mineralölsteuern, der Mineralölsteuerzuschlag und Importabgaben auf Treibstoffe weiterhin für die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer auf Treibstoffen berücksichtigt werden sollen. Die WAK-SR hatte zuvor mit 10 zu 1 Stimmen (bei 1 Enthaltung) beantragt, der Initiative keine Folge zu geben, da eine Konsumsteuer «auf dem ganzen Betrag geschuldet [sei], der nötig ist, um ein Konsumgut zu erwerben». So seien auch im Preis anderer Konsumgüter durch staatliche Regulierung entstehende Kosten enthalten, zudem sei eine entsprechende Änderung kaum umsetzbar und würde zu grossem administrativem Aufwand und finanziellen Einbussen führen. Im Ständerat begründete Hannes Germann (svp, SH) den Minderheitsantrag Chiesa (svp, TI) auf Folgegeben: Es sei nicht in Ordnung, dass man «Steuern auf Steuern» bezahlen müsse, damit entstünden zusätzliche Steuereinnahmen in der Höhe von CHF 300 Mio. jährlich oder von 7 Rappen pro Liter Treibstoff – was überdies die Teuerung verstärke. Zudem sei die Mehrwertsteuerberechnung in allen Bereichen sehr kompliziert, nicht nur bei den Treibstoffen. Mit 28 zu 7 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) sprach sich der Ständerat gegen Folgegeben aus, womit der Vorstoss erledigt war.

Stopp der missbräuchlichen MWST-Belastung auf Steuern und Abgaben bei Treibstoffen

Als «formalistischen Leerlauf» bezeichnete Hans Stöckli (sp, BE) den aktuellen Rechtsmittelweg im Falle einer Beschwerde zu einer eidgenössischen Abstimmung. In der Tat sind Beanstandungen zuerst an eine Kantonsregierung zu richten, die dann in der Regel einen formellen Nichteintretensentscheid wegen Nichtzuständigkeit fällen muss, der in der Folge beim Bundesgericht angefochten werden kann. Stöckli forderte mittels Motion eine Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte, mit der neue Rechtsmittelwege für Abstimmungsbeschwerden geschaffen werden sollen, die den Zeitverlust beseitigen. Es sei zielführender, wenn eine Abstimmungsbeschwerde, die ein Kanton nicht beurteilen kann – z.B. der Antrag auf Ungültigerklärung eines Abstimmungsentscheids oder auf Rüge von Falschinformation durch die Bundesbehörden –, direkt ans Bundesgericht gelangen könne.
In der Wintersession 2022 wies Bundeskanzler Walter Thurnherr im Ständerat darauf hin, dass das Bundesgericht bereits mehrmals gerügt habe, dass das aktuelle Beschwerdeverfahren nicht zweckmässig sei. Der Bundesrat beantrage auch deshalb die Annahme der Motion. Es müsse bei der Umsetzung allerdings berücksichtigt werden, dass die Kantone nicht gänzlich ausgenommen würden, seien sie doch durchaus zuständig bei beanstandeten Unregelmässigkeiten hinsichtlich Vorbereitung und Durchführung von Urnengängen (z.B. Versand von Stimmmaterial, Auszählung der Stimmen). Der Ständerat überwies die Motion stillschweigend an den Nationalrat.

Abstimmungsbeschwerden – neuer Rechtsmittelweg (Mo. 22.3933)

Die 182 zu 1 Stimmen im Nationalrat liessen darauf schliessen, dass die Motion Dobler (fdp, SG), die bei eidgenössischen Abstimmungen auf dem Stimmzettel einen Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge verlangt, auf den ersten Blick «nachvollziehbar und sympathisch» sei, führte Mathias Zopfi (gp, GL) als Sprecher der SPK-SR die ständerätliche Debatte zum Vorstoss in der Wintersession 2022 ein. Der Kommission habe allerdings ein zweiter Blick genügt, um die Ablehnung der Motion zu beantragen. Im Gegensatz zum Motionär sei die Kommission der Meinung, dass die Willensbildung durch zusätzliche Informationen auf dem Stimmzettel nicht gefördert, sondern im Gegenteil gefährdet werde. Ein indirekter Gegenvorschlag sei ein politisches Argument und gehöre deshalb sicher nicht auf den Stimmzettel, der möglichst schlicht bleiben und nicht mit Hinweisen überladen werden soll. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger seien sehr wohl in der Lage, sich zum Beispiel im Abstimmungsbüchlein über bestehende Gegenvorschläge zu informieren. In der Tat war die Information über indirekte Gegenvorschläge in den Abstimmungserläuterungen mit deren Überarbeitung 2018 stark verbessert worden. Einen Minderheitsantrag auf Annahme gab es nicht, obwohl die SPK-SR die Ablehnungsempfehlung mit 9 zu 1 Stimmen und 1 Enthaltung beschloss. Weil er als Einziger in der Kommission für die Motion gestimmt habe, habe er auf einen Antrag verzichtet, so Thomas Minder (parteilos, SH). Er fände es aber eigentlich «logisch», wenn auf dem Stimmzettel vermerkt würde, über welche Alternativen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verfügten beziehungsweise welche Folgen die Ablehnung einer Initiative habe. Er denke nicht, dass alle Stimmberechtigten wüssten, was ein indirekter Gegenvorschlag sei. Auch Bundeskanzler Walter Thurnherr ergriff das Wort und führte für den Bundesrat, der die Motion ebenfalls zur Ablehnung empfohlen hatte, aus, dass das geltende Recht vorsehe, dass Abstimmungsfragen neutral formuliert sein und keinen Informationsauftrag erfüllen müssen. Es wäre unzulässig, ein Argument für oder gegen eine Vorlage in die Abstimmungsfrage einzufügen, und auch «demokratiepolitisch problematisch», wenn Hinweise auf Stimmzetteln die Meinungsbildung beeinflussen würden. Ohne Abstimmung lehnte die kleine Kammer die Motion in der Folge ab.

Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge auf dem Abstimmungszettel (Mo. 22.3132)
Dossier: Stimmzettel als Informationsträger?

Die SPK-SR beantrage dem Ständerat einstimmig, die Motion der Mitte-Fraktion, die Fristenstillstand und Verschieben von Wahlterminen in Krisenzeiten gesetzlich regeln will, aus formalen Gründen abzulehnen, führte Mathias Zopfi (gp, GL) für die Kommission in der Wintersession 2022 aus. Zwar habe der Nationalrat diese Motion in der Sommersession angenommen, das Anliegen entspreche aber wortwörtlich einer Motion Rieder (mitte, VS, Mo. 20.3419), die von beiden Räten bereits früher angenommen worden sei. Der Auftrag an den Bundesrat müsse nicht ein zweites Mal erteilt werden. Auch Bundeskanzler Walter Thurnherr ersuchte den Ständerat, die Motion aus «verfahrensökonomischen Gründen» abzulehnen. Dies tat die kleine Kammer in der Folge diskussionslos.

Bewahrung der demokratischen Rechte auch in Krisenzeiten (Mo. 20.3314)

In der Wintersession 2022 stand im Ständerat eine Erhöhung der Abzüge für Krankenversicherungsprämien und Zinsen von Sparkapitalien im DBG zur Debatte. Die Kommissionsmehrheit beantragte mit 6 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung, nicht auf den auf eine Motion Grin (svp, VD; Mo. 17.3171) zurückgehenden Entwurf einzutreten. Als Grund gab sie an, dass die sich «verschlechternde[...] Situation des Bundesfinanzhaushalts» zusätzliche Senkungen der Steuereinnahmen in der Höhe von jährlich CHF 315 Mio. beim Bund und CHF 85 Mio. bei den Kantonen nicht zulasse, wie Kommissionssprecher Hegglin (mitte, ZG) erläuterte. Dies hatte zuvor auch die FK-SR in einem Mitbericht befunden. Zwar sei man sich der grossen Belastung durch die Krankenkassenprämien bewusst, das Problem müsse aber durch gesundheitspolitische Beschlüsse gelöst werden, nicht durch Steuerabzüge. Minderheitensprecher Germann (svp, SH) wollte mit dem Antrag auf Eintreten «einen Teil der Glaubwürdigkeit [des] Vorgehens im Rat» retten, nachdem man die Motion Grin zuvor überwiesen hatte. Mit Nichteintreten breche man ein Versprechen, kritisierte er. Trotz stark gestiegener Prämien seien die Krankenkassenabzüge bisher aufgrund der kalten Progression nur leicht angepasst worden. Die in der Vernehmlassung geäusserten Vorbehalte gegen die Vorlage könnten nach Eintreten angegangen werden, zum Beispiel könne man den Abzug gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag reduzieren. Verschiedene Sprechende hielten in der Folge dagegen und verwiesen auch auf den Nichteintretensentscheid des Ständerates auf den Gegenvorschlag zur Prämien-Entlastungs-Initiative, weshalb es nur konsequent sei, nun auch auf diesen Entwurf nicht einzutreten. Mit 32 zu 11 Stimmen sprach sich der Ständerat in der Folge gegen Eintreten aus.

Im März 2023 entschied sich der Ständerat überdies stillschweigend auf Antrag seiner Kommission, die dem Gesetzesentwurf zugrunde liegende Motion Grin abzuschreiben.

Erhöhung der Abzüge für Versicherungsprämien und Zinsen von Sparkapitalien im DBG (BRG 22.053)
Dossier: Abzug der Krankenkassenprämien von den direkten Bundessteuern (seit 2002)