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  • Udry, Robin
  • Pfister, Gerhard (cvp/pdc, ZG) NR/CN

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Eine Folge der eidgenössischen Wahlen 2019, die einen massiven Wahlgewinn der Grünen und eine Niederlage der Polparteien mit sich gebracht hatten, waren die virulenten Diskussionen um die Zusammensetzung und die Bestellung des Bundesrats. Auf der einen Seite wurde eine neue Zauberformel gefordert. Das Parlament müsse bei der Bestellung der Regierung rascher auf Veränderungen reagieren können. Auf der anderen Seite wurden Reformen gefordert, die eine Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder, Koalitionsverhandlungen oder einen eigentlichen Systemwechsel weg von der Konkordanzidee vorsahen.

Die Zauberformel, die 1959 mit der Idee eingeführt worden war, dass die drei grössten Parteien je zwei und die viertgrösste Partei einen Sitz erhalten soll, wurde durch die aktuellen Wahlresultate gleich mehrfach in Frage gestellt. Jahrzehntelang passte die Formel gut zu den Kräfteverhältnissen, weil die FDP, die CVP und die SP bei den Nationalratswahlen jeweils mehr als 20 Prozent Wähleranteile hinter sich wussten und die SVP auf jeweils etwas mehr als zehn Prozent zählen konnte. Eine erste Verschiebung der Kräfteverhältnisse führte 2003 zu einem Sitzwechsel von der CVP zur SVP. Nach einer durch die Nichtbestätigung von Christoph Blocher 2007 beginnenden Übergangsphase, während der CVP, SVP und BDP je einen Sitz hatten, kehrte man mit der Wahl von Guy Parmelin im Jahr 2015 wieder zu dieser 2-2-2-1-Verteilung zurück – neu mit der CVP als Juniorpartner. War diese Verteilung freilich schon 2015 hinterfragbar, geriet sie 2019 vollends in die Kritik, weil mit der SVP nur noch eine Partei über 20 Prozent Wähleranteil verfügte (25.6%), aber vier Parteien neu über 10 Prozent lagen: Die SP mit 16.8 Prozent, die FDP mit 15.1 Prozent, die Grünen mit 13.2 Prozent und die CVP mit 11.4 Prozent. Diese Verteilung liess Raum für zahlreiche Rechenspiele, die in den Medien für viel Gesprächsstoff sorgten und die Diskussionen im Vorfeld der Bundesratswahlen anheizten.

Eine neue Zauberformel wurde natürlich insbesondere von den Gewinnerinnen und Gewinnern der eidgenössischen Wahlen 2019 gefordert. Die Frage war freilich, auf wessen Kosten die Grünen einen Bundesratssitz erhalten sollten. Wahlweise vorgeschlagen wurde, dass die CVP als neu kleinste Partei verzichten müsse. Aber auch die FDP und die SP hätten eigentlich – je nach Berechnung – keinen Anspruch auf zwei Sitze. Die GP selber forderte – unterstützt von der SP – den Sitz von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Mediale Aufmerksamkeit erhielt ein Vorschlag von Christoph Blocher, der eine Proporz-Zusammensetzung vorschlug, die der SVP zwei Sitze und allen anderen Parteien inklusive der GLP (die bei den Wahlen auf 7.8% Wähleranteil gewachsen war) je einen Sitz zugestand. Freilich wurde in der Diskussion auch die Frage laut, ob für die Berechnung der Zusammensetzung lediglich die Wählerprozente, also nur die Zusammensetzung des Nationalrats, oder nicht vielmehr die Sitzverteilung in National- und Ständerat herangezogen werden müssten. Auf der Basis der totalen Anzahl Sitze aus beiden Kammern wäre die CVP (total 38 Sitze) wiederum stärker als die GP (total 33 Sitze), was für den Status Quo sprechen würde.
Eine Erweiterung der Diskussion wurde durch die Überlegung geschaffen, nicht Parteien, sondern Blöcke zu betrachten. Die NZZ schlug vor, den Polen – bestehend aus SVP auf der einen und SP zusammen mit den Grünen auf der anderen Seite – je zwei Sitze und den Parteien in der Mitte (FDP, CVP und allenfalls GLP) drei Sitze zuzusprechen. Wenn die Grünen einen Sitz erhielten und die SP ihre beiden Sitze behalten würde, dann wäre das linke Lager, das kumuliert auf rund 30 Prozent Wählerstärke komme, stark übervertreten, so die Argumentation der NZZ.

Als Problem für eine flexiblere Gestaltung der Regierungszusammensetzung wurde zudem die variable Amtszeit der Bundesrätinnen und Bundesräte ausgemacht. Würde die Amtszeit eines Regierungsmitglieds auf acht Jahre fixiert – inklusive der Verpflichtung, nicht freiwillig vor Ablauf dieser Zeit zurückzutreten – ergäben sich bei jeder Gesamterneuerungswahl Vakanzen, die eine Neuausrichtung der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrats vereinfachen würden, schlug CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) als weitere – schon etwas ältere – Idee vor.

Ein weiteres, medial diskutiertes Problem der starren 2-2-2-1-Zauberformel war die Repräsentativität des Bundesrats. Wurden 1959 durch die vier Regierungsparteien noch 85 Prozent der Wählerschaft (gemessen anhand der Wählerprozente bei den Nationalratswahlen) repräsentiert, sank dieser Wert aufgrund der zunehmenden Volatilität, aber auch aufgrund der Ausdifferenzierung des Parteiensystems 2019 erstmals unter 70 Prozent (68.9%). Die «formule magique» verliere ihre Magie, urteilte die Zeitung Le Temps auf Basis dieser Zahlen. In der Regierung müsse sich der Wille der Wählenden unmittelbar niederschlagen; wer fordere, dass die Grünen ihren Wahlerfolg in vier Jahren noch einmal bestätigen müssten, um einen Anspruch auf Einbindung in die Regierung zu haben, sei deshalb «ein schlechter Demokrat», urteilte der Tages-Anzeiger. Letztlich seien es «nicht die Wahlprozente, sondern die Mandatsträger im National- und im Ständerat», welche über die Regierungszusammensetzung entschieden. Dies sei «die eigentliche Machtarithmetik der Bundesratswahlen», kommentierte der emeritierte Historiker Urs Altermatt in der NZZ.

Als Alternative zu einer neuen Zauberformel und als Möglichkeit einer besseren Repräsentation wurde eine weitere alte Idee hervorgekramt: die Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder auf neun. Zwar waren in der Vergangenheit zahlreiche Vorstösse für eine Umsetzung dieser Idee gescheitert – etwa im Rahmen der Staatsleitungs- und Regierungsreform zu Beginn des Jahrtausends, aber auch bei Debatten zu einzelnen Reformvorschlägen –, die elf Prozent Wähleranteil, die rein arithmetisch bei neun Sitzen für einen Bundesratssitz reichen würden, würden aber ermöglichen, dass die Grünen einen Sitz erhielten, ohne dass die CVP einen Sitz abgeben müsste, so ein Argument in der Aargauer Zeitung. Insbesondere Christian Levrat (sp, FR) machte sich in den Medien für die Erhöhung der Anzahl Regierungsmitglieder stark. Damit könne nicht nur dem Anspruch der Grünen genüge getan werden, so der SP-Parteipräsident, sondern es sei auch nicht mehr zeitgemäss, lediglich sieben Minister zu haben. Dies sei weltweit fast einmalig wenig.

Weitere Vorschläge stellten die Idee der Konkordanz grundsätzlich in Frage. Nicht die wichtigsten Kräfte sollten in der Regierung vertreten sein, stattdessen müsse man ein Oppositionssystem einführen, in welchem wahlweise eine Mitte-Rechts- oder eine Mitte-Links-Regierung einer linken oder rechten Opposition gegenüberstehe, so ein Vorschlag im Tages-Anzeiger. Auch die Idee, dass Parteien mit programmatischen Koalitionsvorschlägen für die Regierung kandidieren könnten, würde das bestehende Konkordanzsystem verändern. Man müsse aber in der Tat mehr über politische Inhalte als bloss über Formeln sprechen, forderte die Aargauer Zeitung.

Man komme wohl in Zukunft nicht darum herum, die Regierungszusammensetzung nach jeden Gesamterneuerungswahlen neu zu diskutieren, folgerte der Tages-Anzeiger. Freilich steht die Konkordanz und die Zusammensetzung der Regierung schon seit einigen Jahren und stets bei Bundesratswahlen zur Diskussion, nur um dann für die nächsten vier Jahre wieder aus dem Fokus der Medien zu verschwinden. Um ebendies nach den Bundesratswahlen 2019, die hinsichtlich Regierungszusammensetzung trotz aller Reformdiskussionen den Status Quo zementierten, zu verhindern, schlug Gerhard Pfister einen «Konkordanzgipfel» vor, wie ihn die Medien betitelten: «Wir müssen die Zauberformel im Bundesrat, die Konkordanz in der Landesregierung, neu erfinden», gab Pfister im Sonntags-Blick zu Protokoll. Es gehöre zum Schweizer System, dass man gemeinsam nach Lösungen suche, begrüsste GLP-Parteipräsident Jürg Grossen (glp, BE) die Initiative der CVP. Alle Parteien waren sich einig, dass die Regeln den zunehmend volatiler werdenden Wahlresultaten angepasst werden müssen. Wie diese Anpassung auszusehen hat, blieb hingegen naturgemäss umstritten.

Reformideen im Nachgang der Bundesratswahlen 2019

«Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen»: Einiges zu erzählen hatte in der Tat Nationalrat Claude Béglé (cvp, VD) von seiner privaten Reise nach Nordkorea und tat dies auch fleissig via soziale Medien. Er lobte laut der Basler Zeitung «'die gute Seite des Sozialismus', der den Menschen Zugang zu Wissen und Kultur verschaffe. Die Leute seien entspannt, 'trinken Bier und amüsieren sich'». Béglés Anwesenheit schlachtete das nordkoreanische Regime freilich mit Propaganda-Nachrichten aus. Er habe den Geburtsort des Revolutionsführers Kim Il-sung besucht und eine Massengymnastik-Aufführung genossen – so die nordkoreanische Propaganda. Die mediale Aufmerksamkeit in der Schweiz war Béglé dann nicht nur aufgrund der Kritik des Präsidenten seiner Partei, Gerhard Pfister (cvp, SZ), sicher. Dieser warf ihm vor, der nordkoreanischen Propaganda aufgesessen zu sein, und befürchtete kurz vor den eidgenössischen Wahlen Schaden für seine Partei, insbesondere im Hinblick auf den Sitz im Kanton Waadt, den Béglé zu verteidigen hatte. Pfister und die CVP hätten eine ganz andere Auffassung der Situation in Nordkorea als Béglé, so Pfister beschwichtigend. Mediale Kritik hagelte es dann aber auch, weil Béglé von Nordkorea augenscheinlich als offizieller Vertreter der Schweiz behandelt wurde. Dies löste Diskussionen über die Rolle von Parlamentsmitgliedern auf Auslandsreisen aus. Ihr Mandat komme einigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern auf Privatreisen gelegen, urteilte etwa der Tages-Anzeiger: Sie würden die Kosten zwar selber tragen, «fühlen sich als Würdenträger aber gebauchpinselt und schätzen damit verbundene Annehmlichkeiten und offene Türen». Angeheizt wurde die Diskussion zudem, weil Béglé mit einem Diplomatenpass unterwegs war, den Parlamentsmitglieder beantragen können, wenn sie – laut Ausweisverordnung – in parlamentarischem Auftrag ins Ausland reisen. Anscheinend waren einige Parlamentsmitglieder allerdings häufig auch privat mit einem Diplomatenpass unterwegs, da auch dieser auf Reisen einige Annehmlichkeiten verspricht. Auch wenn etwa Fabio Molina (sp, ZH) in der NZZ vor zu viel Aufhebens warnte – die parlamentarische Diplomatie sei durchaus auch als Gegengewicht zur bundesrätlichen Aussenpolitik wichtig –, wurde in der Folge eine klarere Regelung verlangt, um zu klären, «wie privat [...] Privatreisen von Parlamentariern überhaupt sein» können, wie die NZZ rhetorisch fragte.
Béglé selber verteidigte seine Aussagen an einer Pressekonferenz Ende August. Er habe damit das Vertrauen des Regimes gewinnen wollen, was ihm auch gelungen sei, sei er doch an zahlreiche Orte geführt worden, die eigentlich nicht auf der Reiseagenda gestanden hätten. Er stimme der Meinung zu, dass Nordkorea das undemokratischste Land der Welt sei, man müsse aber auch versuchen, Vorurteile abzubauen. Er würde wieder so handeln und finde die Berichterstattung über seine Reise übertrieben. Béglé blieb – nach einer Aussprache mit der kantonalen und der nationalen Partei – für die eidgenössischen Wahlen 2019 Spitzenkandidat für die CVP im Kanton Waadt.

Beglé - Reisen mit Diplomatenpass

Kaum war das Jahr 2019 eingeläutet, griffen die Medien auch schon den ersten politischen Dauerbrenner auf: das Verhältnis von Kirche und Staat. Die über Jahre und Jahrzehnte auch in der Schweiz viel diskutierte Frage nach der Politisierung der Kanzel wurde Anfang Jahr mit der Ankündigung über die Neugründung eines Think-Tanks «Kirche/Politik» neuerlich aufgekocht. Dessen Initiatoren, der CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) und die Freiburger FDP-Stadtparlamentarierin und Theologin Béatrice Acklin Zimmermann, stiessen sich gemäss dem Tages-Anzeiger an der Selbstgerechtigkeit, mit der sich Kirchenleute bisweilen zu politischen Themen äusserten und an der fehlenden Zurückhaltung hinsichtlich sachspezifischer Stellungnahmen und Abstimmungsparolen. Aktive Positionierungen wie beispielsweise von Bischof Felix Gmür zur Energiestrategie, von Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist zur Durchsetzungsinitiative oder vom Zürcher Generalvikar Josef Annen zu den Sozialdetektiven, aber auch Aussagen wie jene der Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen über die Unwählbarkeit der SVP oder die Absprache des Katholischseins von SVP-Nationalrätin Natalie Rickli (ZH) im Rahmen der No-Billag-Initiative waren mitunter Stein des Anstosses. Dieses Verhalten gleiche einem «tiefe[n] Rückfall ins Mittelalter» und sei «politreligiöser Populismus», wie sich die Initiatoren gegenüber dem Tages-Anzeiger äusserten. Es gehe ihnen nicht darum, die Kirchen «politisch zu sterilisieren», diese könnten und sollten sich weiterhin einbringen. Es stelle sich hier also weniger die Frage, ob sich die Kirchen einbringen sollten, sondern vielmehr, wie sie es täten. Gerhard Pfister betonte, es gehe nicht an, dass Kirchen mit biblischen Normen Politik machten, zumal die Kirchenleute oft nur schlechte Kenntnisse über die Dossiers hätten und nur zu gerne ausser Acht liessen, dass es bei der Tagespolitik um Kompromisse gehe. Die Kirchen könnten sich durchaus in die Diskussion einbringen, seien in diesem Kontext aber lediglich eine unter vielen Stimmen – und «keine bessere». Zudem beklagte Pfister, dass die Kirchen nebst dem Kompetenzproblem auch ein Glaubwürdigkeitsproblem hätten: Durch ihr derartiges Einmischen in die Tagespolitik scheuten sie sich davor ihr Alleinstellungsmerkmal – die katholische Soziallehre – zu vertreten und wollten stattdessen wie alle anderen sein. So würden sie aber lediglich noch zu «Sozialarbeitern» und damit auch verzichtbar. Acklin Zimmermann plädierte dafür, dass sich die Kirchen wieder vermehrt auf die Ethik zurückbesinnten und weniger über Moral diskutierten. Statt mittels politischer Stellungnahmen sollten sie den Meinungsbildungsprozess vermehrt über ihr ethisches Wissen und entsprechende Beiträge unterstützen. Zudem wünsche sie sich, dass die Kirchen sich breiter und auch vermehrt mit eigenen Themen einbrächten, schliesslich hätten sie sich lange genug lediglich auf bioethische Anliegen fixiert, was ihnen den Vorwurf der Fokussierung auf Themen wie Abtreibungen und Homosexualität eingebracht habe.
Mit ebensolchen Fragen wolle sich der Think-Tank nun einmal jährlich an einer öffentlichen Tagung beschäftigen und in diesem Rahmen zugleich Wertbegriffe wie Freiheit und Verantwortung oder Fragen der Menschenwürde diskutieren. Unterstützt wurden die beiden Initiatoren von Bundesparlamentarierinnen und -parlamentariern wie Eric Nussbaumer (sp, BL), Claudio Zanetti (svp, ZH) und Maja Ingold (evp, ZH) sowie von Theologen verschiedener Konfessionen wie Alt-Abt Berchtold Müller, Theologieprofessor Ralph Kunz und dem Glarner Kirchenratspräsidenten Ulrich Knöpfel. Letztgenannter, der zugleich auch Ratsmitglied des SEK ist, zeigte sich auf Anfrage der Online-Plattform Ref.ch bezüglich dieses Umstandes aber eher überrascht: Knöpfel bestätigte gegenüber der Redaktion, dass er im November als Privatperson an einem Treffen mit Pfister und Acklin Zimmermann teilgenommen habe und in diesem Rahmen über Kirche und Politik diskutiert worden sei, dass aber gleich ein Think-Tank gegründet wurde, sei ihm neu. Man habe in diesem Gespräch u.a. lediglich erwogen, 2019 eine Veranstaltung zu diesem Thema durchzuführen. Dennoch teile er grundsätzlich das Anliegen der Initiatoren, dass die Kirche sich nur in Ausnahmefällen zur Tagespolitik äussern solle.
Gänzlich anderer Ansicht war hingegen der Zürcher Neumünsterpfarrer Res Peter, der sich ob der Forderung der Initiatoren nur wenig überrascht zeigte. Peter, der sich selbst regelmässig in die politische Debatte einbringt – beispielsweise im Rahmen der Selbstbestimmungsinitiative oder der Unternehmenssteuerreform III – meinte gegenüber Ref.ch lediglich: «Es tut Politikern weh, wenn man konkret wird.» Es sei durchaus gut, dass Ethiker differenziert abwägten und diskutierten, im Unterschied zu ihnen sei es aber nun einmal seine Aufgabe als Pfarrer, Schlussfolgerungen zu ziehen und seine Überlegungen mit seiner Gemeinde zu teilen.
Die Diskussion um das neue Projekt wurde indes nicht nur zwischen den entzweiten Kirchenvertretungen ausgetragen; auch auf Mitinitiator Gerhard Pfister prasselte einige Kritik ein. Besonders die WOZ unterstellte ihm Bigotterie, da seine Kritik an den Kirchenleuten lediglich situationsbedingt ausfalle. Während Pfister in seiner Propagierung der Schweiz als ein christliches Land vor lauter Fixierung auf den islamischen den christlichen Fundamentalismus vergesse, sei sein «Glaubensfass» durch ein «Eintreten für ein Mindestmass an Grundrechten» – wie es beispielsweise in der Asyldebatte vorgenommen worden war – zum Überlaufen gebracht worden. Die weitläufigen und zumeist auch diffamierenden Kirchenpositionen im Rahmen der Diskussionen um die «Ehe für alle» hätten hingegen nie zur Diskussion gestanden. Auch stiess Pfisters Aussage, dass wir uns im Falle des Versäumnisses, Religion und Politik zu trennen, einem «Gottesstaat à la Iran» näherten, auf grosse Kritik. Gemäss der WOZ sei die Schweiz sehr weit von diesem Szenario entfernt. Es bestehe viel mehr die Gefahr, dass die Schweiz zu einem Unrechtsstaat werde, wenn wir uns weiterhin um Abstimmungsvorlagen bemühten, die offensichtlich die Menschenrechte tangierten. Vor diesem Hintergrund sei es auch von Kirchenleuten nichts anderes als ein reiner ziviler Akt, ihre Stimme gegen das Unrecht zu erheben.

Neugründung eines Thinktank «Kirche/Politik»

Im Konkordanzsystem Schweiz mangelt es – anders etwa als in einem System mit einem Präsidenten – an Köpfen, mit denen man aufgrund der zunehmenden Personalisierung Medienberichte besser verkaufen kann. Es verwundert deshalb nicht, dass sich die Medien für einzelne Exekutivmitglieder interessieren sowie gerne und häufig auch Spekulationen über Rücktritte und mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger amtierender Bundesrätinnen und Bundesräte anstellen. Dies taten sie auch bereits kurz nach der Wahl des neuen Bundesrates Cassis: Schliesslich ist nach der Wahl auch für das Regierungskollegium immer auch vor der Wahl.
In der Tat hatte Doris Leuthard ja bereits im Sommer 2017 ihren Rücktritt auf spätestens Ende der Legislatur im Herbst 2019 angekündigt. Dies war eine Steilvorlage für die Medien, die insbesondere den Umstand thematisierten, dass mit dem Rücktritt der Aargauerin nur noch eine Frau, nämlich Simonetta Sommaruga, in der Regierung sässe und die CVP deshalb gut daran täte, Frauen als mögliche Kandidatinnen aufzubauen – häufig genannt wurden die Ambitionen von Viola Amherd (cvp, VS). Freilich standen bei den Christdemokraten auch einige Männer in den Startlöchern: In den Medien kursierten insbesondere die Namen von Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG), der Ständeräte Konrad Graber (cvp, LU) und Pirmin Bischof (cvp, SO), aber auch Benedikt Würth (SG, cvp), Regierungsrat des Kantons St. Gallen, und Bundeskanzler Walter Thurnherr wurden als Kandidaten gehandelt. Der Bundeskanzler winkte jedoch relativ rasch ab und auch Parteipräsident Pfister zog sich mit dem Argument zurück, einen Austausch im Präsidium kurz vor den Wahlen vermeiden zu wollen. Auch Konrad Graber nahm sich mit seiner Ende August gemachten Ankündigung, bei den eidgenössischen Wahlen 2019 nicht mehr antreten zu wollen, aus dem Rennen.
Ende April 2018 gab dann auch Johann Schneider-Ammann bekannt, dass er keine weitere Legislatur mehr anstrebe. Neben der Forderung, dass auch die FDP nun ein Frauenticket aufstellen müsse, wurde mit der Ankündigung des Berner Magistraten auch die Diskussion um einen konzertierten Doppel- (zusammen mit Leuthard) oder gar Dreierrücktritt (zusammen mit Ueli Maurer) angestossen. Das Parlament müsse eine möglichst grosse Auswahl haben, damit eine genügend grosse Frauenvertretung gesichert sei, lautete der Tenor in den Medien. Auch das Kandidatenkarussell für die Nachfolge des Berner Magistraten begann sich rasch zu drehen. Neben Karin Keller-Sutter (fdp, SG), die bei der Wahl Schneider-Ammanns 2010 noch unterlegen war, brachten die Medien Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ), die Ständeräte Andrea Caroni (fdp, AR), Martin Schmid (fdp, GR) und Ruedi Noser (fdp, ZH) sowie Nationalrat Beat Walti (fdp, ZH) ins Spiel. Auch beim Freisinn zogen sich einige potenzielle Papabili allerdings bereits vor dem definitiven Rücktritt Schneider-Ammans zurück. So gab Petra Gössi etwa zu Protokoll, ihrer Partei eine Kandidatur nicht zumuten zu wollen. Mit dem Namen Keller-Sutter wurde in den Medien häufig auch der Anspruch der Zentral- und Ostschweiz auf einen Bundesratssitz zur Sprache gebracht.
Rücktrittspotenzial sahen die Medien schliesslich auch bei Ueli Maurer, bei dem sie vermuteten, dass er mit 67 Jahren und nach zehn Jahren im Amt bald genug haben könnte. Von verschiedener Seite wurde Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) als mögliche Nachfolgerin ins Spiel gebracht, die in mehreren Interviews ihre Bereitschaft signalisierte. Hierfür kam aber wenig später ein Dementi von der SVP-Spitze – Vater Christoph Blocher gab zu Protokoll, dass er seine Tochter nicht in das «Gefängnis» Landesregierung stecken wolle. Maurer selber gab in einem Interview zu Protokoll, dass er auf das Ende einer Legislatur zurücktreten werde – ob 2023, 2027 oder 2031 sei noch offen.
Ein vorläufiges Ende nahm zumindest ein Teil der Spekulationen Mitte September, als sowohl Johann Schneider-Ammann als auch Doris Leuthard ihren Rücktritt auf Ende 2018 bekannt gaben. In der Tat gilt die Herbstsession ein Jahr vor den Wahlen als idealer Zeitpunkt für einen Rücktritt vor Ende einer Legislatur, weil so Ersatzwahlen noch vor Ende eines Jahres stattfinden können. Rücktritte in einem Wahljahr selber gelten eher als unschicklich. Freilich war laut Aussage von Doris Leuthard der Doppelrücktritt vorher nicht abgesprochen worden; Schneider-Ammann habe immer davon gesprochen, erst auf Ende Legislatur 2019 zurückzutreten. In den Medien wurde das Vorpreschen des FDP-Bundesrats – er hatte seinen Rücktritt zwei Tage vor Doris Leuthard der Presse verkündet – als geplanter Mediencoup gewertet.

Spekulationen Rücktritt Bundesräte nach der Wahl von Cassis

Einen Monat nach der Abstimmung über die No-Billag-Initiative gab die SRG in einer Medienmitteilung bekannt, dass sie in Erwägung ziehe, das Berner Radiostudio nach Zürich-Leutschenbach zu verlegen. Betroffen wären davon etwa 150 bis 170 Personen. Eine örtliche Zusammenlegung von Radio-, TV- und Onlineinhalten würde klare publizistische Gewinne mit sich bringen, erklärte die SRG, weshalb auch das Zürcher Radiostudio von der Brunnhofstrasse nach Leutschenbach umziehen sollte. Die Bundeshausredaktion sowie die «Regionalredaktion Bern, Freiburg, Wallis» sollten hingegen in Bern verbleiben. Die freigewordenen Plätze des Radiostudios sollte die Generaldirektion der SRG übernehmen und damit das teurere Gebäude im Ostring verlassen können. Mit dieser Massnahme soll ein Teil der Einsparungen über CHF 100 Mio., welche die SRG nach der No-Billag-Abstimmung angekündigt hatte, erzielt werden. Im Gegenzug werde aber auch ein Ausbau der regionalen Korrespondentenstandorte angestrebt, erklärte die SRG. Man werde nun die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Massnahme überprüfen, anschliessend werde der Verwaltungsrat aufgrund dieser Resultate über den Umzug entscheiden.
Entschieden war zu diesem Zeitpunkt gemäss SRG zwar noch nichts, dennoch regte sich grosser Widerstand gegen die Ankündigung. Die Berner Stadtregierung erklärte in einer Medienmitteilung, dass sie eine «transparente und ergebnisoffene Standortüberprüfung und ein klares Bekenntnis zu Bern als SRG-Hauptsitz mit Inland- und Bundeshausredaktion» erwarte. Eine «starke Verankerung der SRG in der Hauptstadt» sei zentral. Die CVP Bern lancierte eine Onlinepetition gegen die Standortverlagerung und übergab diese der SRG-Generaldirektion nur zwei Wochen später mit 2‘000 Unterschriften. Sehr aktiv zeigte sich auch der 2010 gegründete Verein «Hauptstadtregion Schweiz», dem die Kantone Bern, Neuenburg, Freiburg, Solothurn und Wallis, verschiedene Städte, Gemeinden und Regionalorganisationen angehören. Er kritisierte die Idee unter anderem in einem Brief an Medienministerin Leuthard und SRG-Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina scharf und erklärte, er würde sich «mit aller Vehemenz» gegen den Umzug wehren. Kritische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SRG schlossen sich in der Organisation «Pro Radiostudio Bern» zusammen und taten ihren Unmut zum Beispiel durch einen Protestbrief an die SRG-Führung kund. Sie fühlten sich vor den Kopf gestossen, weil sie – trotz ihres starken Engagements gegen die No-Billag-Initiative – in dieser Frage nicht angehört würden. Schliesslich meldete sich auch der Vorstand der «Regionalgesellschaft Bern – Freiburg – Wallis» zu Wort und kritisierte den Entscheid der SRG. Ihr Präsident, Léander Jaggi, erklärte sogar, man diskutiere mögliche Szenarien bei einem Umzug, unter anderem auch den Austritt aus der SRG.
Ende August und somit kurz vor dem Entscheid des Verwaltungsrats fand auf dem Bundesplatz eine Demonstration statt, an der sich Journalistinnen und Journalisten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sowie Politikerinnen und Politiker beteiligten. Schliesslich überwies das Berner Kantonsparlament Anfang September mit 140 zu 7 Stimmen eine Motion mit dem Titel «Radiostudio gehört nach Bern» an die Kantonsregierung, gemäss der Letztere dem Radiostudio bestmögliche Rahmenbedingungen bieten soll. Obwohl sich zudem immer häufiger Politikerinnen und Politiker des nationalen Parlaments – unter anderem Adrian Amstutz (svp, BE), Kurt Fluri (fdp, SO) und Christian Levrat (sp, FR) – gegen den Entscheid der SRG aussprachen, gab es im nationalen Parlament vorerst keine Vorstösse zu diesem Thema. Bis diese erledigt seien, habe der Verwaltungsrat der SRG wohl bereits entschieden, mutmassten die Medien.

Ihren Widerstand gegen den Umzug begründeten die verschiedenen Akteure unter anderem damit, dass eine Konzentration der nationalen Medienhäuser in Zürich mit dem Prinzip einer föderalistischen Schweiz in Widerspruch stehe. Die SRG lebe von ihrer regionalen Struktur, erklärte etwa Nick Lüthi, Leiter der Medienwoche. Deshalb dürfe sie ihre Standortwahl, im Unterschied zu den privaten Medienunternehmen, nicht alleine aufgrund von betriebswirtschaftlichen Kriterien vornehmen. Man dürfe die nationale Politik nicht nur noch aus Zürcher Sicht wahrnehmen, erklärte zum Beispiel Priscilla Imboden von «Pro Radiostudio Bern». Bern sei das «Tor zur Schweiz für das Wallis», betonte Christophe Darbellay (VS, cvp) und auch «Pro Radiostudio Bern» erklärte die SRG-Vertretung in Bern aufgrund ihrer Funktion als Türöffner für die Romandie für sehr wichtig.
Insbesondere die SRG-Mitarbeitenden befürchteten darüber hinaus eine Vermischung der bisher vollständig getrennten Radio-, Fernseh- und Online-Redaktionen. Die Radiokultur mit Berichten, die in die Tiefe gingen, würde so aufgrund der ungleichen Kräfteverhältnisse marginalisiert und das gesunde Konkurrenzverhältnis zwischen Radio und Fernsehen würde verschwinden, war zu vernehmen. Insbesondere auch die von der SRG geplante Zusammenarbeit in einem Newsroom sei ein «Schritt zur Konvergenz von Radio und Fernsehen», erklärte etwa Tobias Gasser, Produzent bei Echo der Zeit, das ebenfalls vom Umzug betroffen wäre. Die Mitarbeitenden fürchteten sich gemäss Medien auch davor, dass nach diesem ersten Schritt ein Verschmelzen der Chefredaktionen von Radio und Fernsehen folgen könnte. Umgekehrt argumentierte etwa der Berner Regierungsrat Bernhard Pulver (BE, gp), dass eine Zentralisierung des Radios, falls diese tatsächlich stattfinden müsse, auch in Bern statt in Zürich geschehen könne. Diese Idee wurde kurze Zeit später durch den Vorschlag von Stadt und Kanton Bern sowie dem Verein Hauptstadtregion Schweiz, ein Kompetenzzentrum für Information inklusive Forschung und Entwicklung, Inlandberichterstattung, SRF News, SRF Wirtschaft und Auslandkorrespondenten zu schaffen, bekräftigt.
Nicht gelten liessen die Kritikerinnen und Kritiker des Umzugs das Sparargument der SRG: Das Sparpotenzial sei vergleichsweise tief; bei CHF 100 Mio., welche die SRG sparen müsse, seien die CHF 3 bis 5 Mio., von denen im Laufe der Diskussionen die Rede war, den Umzug nicht wert. Insbesondere zumal die Gegnerinnen und Gegner die eigentlichen Einsparungen als noch tiefer einschätzten: Es sei nicht einfach, Nachmieter für das bis 2032 gemietete Hochhaus im Ostring zu finden. Der Umzug lohne sich erst recht nicht, wenn der Verlust an Know-how mitberücksichtigt werde. In einem SRG-internen Dokument, auf das die Medien Bezug nahmen, hatte SRF-Direktor Ruedi Matter anscheinend damit gerechnet, dass 20 bis 30 Prozent der Mitarbeitenden den Umzug nicht mitmachen würden. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte Matter, die Zahl von 30 Prozent sei deutlich zu hoch. Auf das Kostenargument verwies auch die Stadt Bern, die der SRG anbot, ihr bei der Suche nach einer günstigeren, zentraleren Immobilie für die SRG-Generaldirektion sowie bei der Suche nach Nachmietern zu helfen. In der Tat schlug die Stadt Bern gemäss Medienberichten der SRG 18 mögliche Immobilien zur Miete vor.
Im Laufe der Zeit immer wichtiger wurde das Argument, wonach die Ablehnung der No-Billag-Initiative insbesondere auf die breite Verankerung der SRG und auf deren Hochhalten der Dezentralisierung zurückzuführen sei. Dieser Umzugsentscheid widerspreche jedoch ihrer Argumentation im Abstimmungskampf und stosse somit einerseits die damaligen Unterstützerinnen und Unterstützter vor den Kopf und führe zudem zukünftig zu Problemen. Kurt Fluri etwa sprach von einem «Schlag ins Gesicht der Unterstützter der SRG im Kampf gegen die No-Billag-Initiative». Zudem wurde der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Umzugs knapp einen Monat nach der Abstimmung kritisiert: Hätte die SRG die Ankündigung bereits zuvor gemacht, wäre die Initiative sicherlich nicht so deutlich abgelehnt worden, war der Tenor der Kritikerinnen und Kritiker.

Die SRG konzentrierte sich vor allem auf eine Argumentationslinie: Sie spare «lieber bei Mauern als bei Menschen», wurde Radio-Chefredaktorin Lis Borner, im Laufe der Zeit aber auch zahlreiche weitere SRG-Funktionäre, nicht müde zu betonen. Wenn das Radio in Bern bleibe, müsse auf andere Arten gespart werden, vermutlich auch durch Stellenabbau, beteuerte Urs Leuthard. Zudem bleibe Bern ein zentraler Radio-Produktionsstandort, Teile der Inlandredaktion sowie die Bundeshausredaktion verblieben in Bern. Ein kleiner Teil der Zürcher Inlandredaktion komme zudem zusätzlich nach Bern, ergänzte etwa die NZZ. Bern bleibe somit mit 550 Mitarbeitenden – 150 davon Journalistinnen und Journallisten – der zweitgrösste SRG-Standort. Eine lokale Verankerung bedeute nun aber nicht, dass die SRG überall gleich stark aufgestellt sein müsse, erklärte Matter. Die Medienvielfalt solle zudem gemäss BAZ nicht mit einer Vielfalt von Standorten gleichgestellt werden. Schliesslich beteuerten verschiedene SRG-Funktionäre, dass man nicht vorhabe, Radio und Fernsehen zu fusionieren; unter anderem blieben auch die Chefredaktionen getrennt. Unterstützung erhielt die SRG unter anderem von Filippo Lombardi (cvp, TI), der den Protest der Umzugsgegnerinnen und -gegner gegenüber den Medien als scheinheilig bezeichnete: Im Rahmen der No-Billag-Abstimmung seien alle für Sparen gewesen, bei der ersten konkreten Massnahme würden nun alle aufschreien. Er wies darauf hin, dass die SRG-Führung unternehmerische Entscheide unabhängig fällen können müsse. Schliesslich würde ein Abbruch des Umzugs gemäss NZZ ein «schlechtes Licht auf die Reformfähigkeit der SRG» werfen.

Ende September 2018 entschied sich der SRG-Verwaltungsrat nach zweitägiger Beratung endgültig für den Umzug. Dieser soll Ende 2020 beginnen. Die betroffene Belegschaft zeigte sich enttäuscht, die Gewerkschaft SSM sprach von fehlender Sensibilität für regionale Vielfalt. Sie kündigte an, die Rechtmässigkeit des Entscheids zu prüfen, da sie nicht angehört worden sei, obwohl dies im Gesamtarbeitsvertrag so vorgesehen sei. Die Stadt und der Kanton Bern sowie der Verein Hauptstadtregion Schweiz gaben eine gemeinsame Medienmitteilung heraus, in der sie sich über den Entscheid enttäuscht zeigten. Kurz darauf wurde bekannt, dass SRG-Generaldirektor Gilles Marchand im Mai 2018 in einem weiteren SRG-internen Dokument gesagt habe, dass sich der Umzug betriebswirtschaftlich nicht lohne, aber ein Verzicht darauf nicht in Frage komme, um solchen Protesten an anderen Standorten zukünftig nicht Vorschub zu leisten. Ladina Heimgartner, stellvertretende Generaldirektorin der SRG, habe zudem die öffentliche Diskussion als irrational bezeichnet. Dies empfanden verschiedene nationale Parlamentarierinnen und Parlamentarier gemäss Medien als Affront. Kurz darauf reichten vier Parteipräsidenten (Gerhard Pfister, cvp, ZG, Pa.Iv. 18.448; Regula Rytz, gp, BE, Pa.Iv. 18.450; Martin Landolt, bdp, GL, Pa.Iv. 18.451 und Albert Rösti, svp, BE, Pa.Iv. 18.457) sowie ein Vizepräsident (Beat Jans; sp, BS; Pa.Iv. 18.456) im Nationalrat und Beat Vonlanthen (cvp, FR; Pa.Iv. 18.449) im Ständerat gleichlautende parlamentarische Initiativen ein, welche die Festschreibung der SRG-Produktionsstandorte im Gesetz und somit den schwerpunktmässigen Verbleib des SRG-Radiostudios in Bern forderten. Beat Jans erklärte dazu: «Die SRG hat uns Politiker angehört, unsere Standpunkte zur Kenntnis genommen und dann einfach ignoriert. Also werden wir nun eben gesetzgeberisch aktiv.» Dieses Vorgehen zog sowohl Beifall als auch Kritik nach sich: Wegen der Medienfreiheit müsse sich die Politik auf generelle Vorgaben beschränken, erklärte etwa die NZZ.
Trotz Entscheids des Verwaltungsrats war der Umzug somit noch nicht definitiv, die Bemühungen um einen Verbleib des Radiostudios sowie die Diskussionen zu dieser Frage werden folglich weitergehen; insbesondere auch deshalb, weil die SRG kurz vor Bekanntgabe des Verwaltungsratsentscheids auch erklärte, dass sie in Betracht ziehe, einen Teil der Fernsehproduktion von Genf nach Lausanne zu verlegen.

Wegzug des SRG-Radiostudios aus Bern

Selbst Wochen nach der Verabschiedung der Botschaft zur Umsetzung der geänderten EU-Waffenrichtlinie durch den Bundesrat Anfang März 2018 ebbte die gesellschaftliche Debatte über die geplante Verschärfung des Schweizer Waffenrechts nicht ab. Mitte März schloss sich der schweizerische Büchsenmacher- und Waffenfachhändlerverband (SBV) medienwirksam der Front um den schweizerischen Schiesssportverband (SSV) an und liess durch seinen Präsidenten Daniel Wyss abermals verkünden, man werde das Referendum ergreifen, sollte die Gesetzesänderung wie vom Bundesrat vorgeschlagen vom Parlament gutgeheissen werden. Für den SBV habe die neue Regelung «eine riesige, existenzgefährdende Auswirkung», da sich der Aufwand für die Waffengeschäfte durch die auf sämtliche Transaktionen ausgedehnte Meldepflicht sowie die Markierungspflicht aller wesentlichen Waffenbestandteile schätzungsweise um eine Stunde pro Tag erhöhe; «und wir bekämpfen damit keinen einzigen Verbrecher», empörte sich Wyss gegenüber der Aargauer Zeitung. Der Schaden durch die Gesetzesänderung wäre so massiv, dass der SBV diesen höher gewichte als die Abkommen von Schengen und Dublin. Am besten wäre es jedoch, wenn das Parlament die Vorlage so abänderte, dass kein Referendum nötig wäre.

Gut zwei Wochen später drängten die Befürworter der Vorlage ins Rampenlicht, indem die SP zusammen mit dem Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB), der Verbindung der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte und den Evangelischen Frauen Schweiz vor den Medien die «Plattform für ein zukunftsfähiges Waffenrecht» präsentierte. Als gemeinsames Ziel nannten sie ein striktes Waffenrecht für eine sichere Schweiz; das schweizerische Waffenrecht solle dazu enger an die Vorgaben der EU-Richtlinie angepasst werden als dies der Bundesrat vorsah. Die SP hatte 14 Änderungsanträge vorbereitet, um den Entwurf des Bundesrates zu verschärfen, u.a. betreffend die Nachregistrierung und die Aufbewahrung von Waffen, die Marktpreise für Armeewaffen sowie die Möglichkeit für Kantone, ein psychologisches Gutachten zu verlangen, wenn die Gefahr von Selbst- oder Fremdgefährdung mit der Waffe besteht. Während sich die Ärztinnen und Ärzte in erster Linie zur Verhinderung von häuslicher Gewalt und Suiziden für eine Verschärfung des Waffenrechts einsetzten, war das Hauptanliegen der Polizeibeamten ein lückenloses, schweizweites Waffenregister, um vor einem Polizeieinsatz wissen zu können, ob mit Waffen zu rechnen ist. Die kantonalen Waffenregister seien unvollständig, da eine Registrierungspflicht erst seit 2008 bestehe, argumentierte VSPB-Generalsekretär Max Hofmann in der NZZ. Er wünschte sich deshalb die Nachregistrierung sämtlicher Waffen, nicht nur der halbautomatischen. Ausserdem betonte er im «Blick» die Unverzichtbarkeit des Schengener Informationssystems für die Polizeiarbeit.
Damit stellte sich der VSPB offen gegen der Polizei im Grunde wohlgesinnte Kreise wie die Schützen. Die Polizeibeamten liessen sich von der SP instrumentalisieren, kritisierten SVP-Nationalrat Werner Salzmann (svp, BE) und ProTell-Generalsekretär Robin Udry denn auch postwendend. Für Letzteren wäre die Nachregistrierung aller Schusswaffen gemäss NZZ «der Orwellsche Albtraum eines Überwachungsstaats». Hofmann entgegnete darauf, es gehe nicht um Ideologie, sondern um die Sache und der VSPB unterstütze auch nicht alle Visionen seiner Allianzpartner. Wenige Tage nach seinem Auftritt an der Medienkonferenz der «Plattform für ein zukunftsfähiges Waffenrecht» erntete Hofmann jedoch auch aus den eigenen Reihen Kritik. Erwin Rommel, Mitglied des Zentralvorstandes des VSPB, äusserte sich in der BaZ dahingehend, dass er vom Vorgehen der Geschäftsleitung nichts gewusst habe. Ein solcher Auftritt stehe Hofmann nicht an, da der Verband laut Statuten politisch neutral bleiben müsse. Ausserdem seien die Verbandsmitglieder nicht über ihre Meinung zur Waffenrechtsverschärfung befragt worden. Der interne Knatsch bei den Polizisten fand wohl ihren Höhepunkt, als sich die KKPKS vor der SiK-NR dezidiert gegen die Vorlage des Bundesrats aussprach. Die Gesetzesänderung bringe «viel Bürokratie bei wenig Nutzen», monierte sie in der Anhörung. Ob sie jedoch den zusätzlichen Aufwand in Kauf nähme, um das Schengen-Abkommen zu schützen, sei gemäss der NZZ unklar geblieben. Die SiK entschied in der Folge, zusätzlich auch noch die Polizeibeamten und die KKJPD zu einer schriftlichen Stellungnahme einzuladen. Derweil sah sich der VSPB zu einer Rechtfertigung gezwungen und stellte in einer Mitteilung klar, man fordere entgegen der Darstellung in den Medien keine striktere Umsetzung als die vom Bundesrat angedachte und unterstütze die weitergehenden Forderungen seitens der SP nicht.

Inzwischen herrschte aber auch aufseiten der Waffenlobby nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen: «Immer mehr bürgerliche Waffenfreunde gehen auf Distanz zur neuen Führungscrew um den interimistischen ProTell-Präsidenten Jean-Luc Addor, die radikale Tendenzen zeigt», schrieb die Aargauer Zeitung Mitte April. Presseberichten zufolge sei selbst Ständerat Josef Dittli (fdp, UR), seines Zeichens – notabene neben Addor – Co-Präsident der «Parlamentarischen Gruppe für ein freiheitliches Waffenrecht», der radikale Kurs der ProTell-Führung nicht geheuer. Er unterstütze die Forderung von Addor und «gleichgesinnten Protagonisten» nach öffentlichem Waffentragen nicht. «Die Schweiz ist nicht der Wilde Westen!», zitierte ihn beispielsweise die Luzerner Zeitung. Auch SVP-Nationalrat und Wortführer der Waffenfreunde, Werner Salzmann, stecke diesbezüglich «im Dilemma», berichtete dieselbe Zeitung. Zu Wort meldete sich ebenfalls Alt-Nationalrat Willy Pfund (fdp, SO), seinerzeit Präsident von ProTell, der dieses Amt 2016 jedoch «im Zorn über den Kurs des Addor-Lagers» (Aargauer Zeitung) niedergelegt hatte. Er bezeichnete den Wunsch nach Waffentragen in der Öffentlichkeit als «unsinnige und gefährliche Forderung»: Die Öffentlichkeit reagiere heute sensibler auf solche Fragen als noch vor einigen Jahren, weshalb man damit letztlich das liberale Schweizer Waffenrecht gefährde. Die Aargauer Nationalrätin Silvia Flückiger-Bäni (svp, AG) war gar so erbost über die ProTell-Führung um Addor, dass sie nach 14-jähriger Mitgliedschaft kurzerhand den Austritt aus der Organisation gab. Einig waren sich die waffenfreundlichen Bürgerlichen und ProTell einzig darin, dass die EU-Waffenrichtlinie bekämpft werden müsse. Dies kam denn auch an der Generalversammlung von ProTell am 14. April zum Ausdruck: Nachdem die SiK-NR wenige Tage zuvor auf die Vorlage des Bundesrates zur Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie eingetreten war, beschlossen die ProTell-Mitglieder vorsorglich einstimmig das Referendum. Zur Bekämpfung der Gesetzesvorlage werde man nächstens eine «sehr starke und einflussreiche» nationale Allianz gründen, gab ProTell-Generalsekretär Robin Udry in der Sonntagszeitung zu Protokoll.

Die SiK-NR schrieb in ihrer Medienmitteilung, sie sei mit 15 zu 9 Stimmen auf die Vorlage eingetreten, um einerseits das Schengen-Assoziierungsabkommen nicht zu gefährden und andererseits mit einer möglichst pragmatischen Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie die Traditionen des schweizerischen Schiesswesens wahren zu können. Das Volk solle überdies die Möglichkeit haben, sich im Rahmen eines fakultativen Referendums zur Frage zu äussern. Die Minderheit habe indes keinen Revisionsbedarf im schweizerischen Waffenrecht geortet, keinen Nutzen für die Terrorbekämpfung gesehen und den hohen administrativen Umsetzungsaufwand gefürchtet. Einen Rückweisungs- und eine Sistierungsantrag hatte die Kommission abgelehnt. Neben der schon erwähnten KKPKS hatte die Kommission auch den SBV, ProTell, den SSV, die schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) und die Organisation «Stop Suicide» angehört, was die NZZ zur Bemerkung veranlasste, bei den Anhörungen seien fast nur Gegner der Vorlage zu Wort gekommen.

Während sich der SBV, ProTell, der SSV und die AUNS – sowie auch die GSoA als explizite Befürworterin der Waffenrechtsverschärfung – schon auf den «wohl unausweichlichen Referendumskampf» (BaZ) vorbereiteten, zeigte sich die SOG in dieser Sache wenig enthusiastisch. Ihr Präsident Stefan Holenstein geizte gegenüber der BaZ zwar nicht mit Kritik an der Vorlage und an deren Befürwortern, erachtete das Referendum jedoch nicht als zwingend. So attestierte er der CVP und der FDP eine «übertriebene Angst vor einer Kündigung des Schengen/Dublin-Abkommens» und stellte sich auf den Standpunkt, es gebe bei der Umsetzung der EU-Richtlinie durchaus noch ungenutzten Spielraum. Die Pflicht, entweder Mitglied in einem Schiessverein zu sein oder die Waffe regelmässig für das sportliche Schiessen zu nutzen, bezeichnete er als «unverhältnismässig und eine Bevormundung». Die Vorlage bekämpfe so nicht den gefährlichen Handel mit illegalen Waffen, sondern treffe legale Waffenbesitzer und indirekt, über das ausserdienstliche Schiesswesen, auch die Armee. Es sei indes möglich, das Gesetz freiheitlich auszugestalten und dem «eigenständigen Staats- und Milizwesen» der Schweiz anzupassen. An das Parlament richtete er deshalb die Forderung, auf «vorauseilenden Gehorsam gegenüber der EU» zu verzichten. Es bestehe kein Anlass, «panikartig von Schengen-Rauswurf» zu reden, sei das Abkommen doch in gegenseitigem Interesse. In dieser Hinsicht sei die von Bundesrat und Verwaltung proklamierte «Entweder-Oder-Strategie» nicht richtig. Für die SOG stehe das Referendum daher nicht im Vordergrund, sondern komme nur als Ultima Ratio in Frage.

Frischen Wind in die Debatte brachte Mitte Mai schliesslich das Bekanntwerden des genaueren Inhalts der tschechischen Klage beim EuGH betreffend die EU-Waffenrichtlinie. Die Tschechische Republik zweifelte eben nicht nur wie bisher angenommen an deren Rechtmässigkeit, sondern machte mit Hinblick auf die Schweizer Sonderregelung für Armeewaffen auch eine Verletzung des Diskriminierungsverbots geltend. Sollte der EuGH der Klägerin in diesem Punkt Recht geben, bedeutete dies wohl das Aus für die von der Schweiz ausgehandelte Ausnahmeklausel. Aufgrund der so veränderten Ausgangslage wollte die SVP die Sistierung der Vorlage in der Kommission noch einmal zum Thema machen. Die Presse berichtete zudem, das Fedpol verfolge das Verfahren mit, für eine Stellungnahme sei es jedoch noch zu früh.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

Ende November 2017 löste ein Artikel in der Zeitung Le Temps über Yannick Buttet (cvp, VS) eine Debatte aus, mit der die aktuellen Diskussionen um #metoo – ein Kürzel, das im Rahmen der Anklage gegen den US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein aufgekommen war und auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe aufmerksam machen will – auch in Bundesbern virulent wurden und die letztlich zur Demission des Walliser Nationalrats führten.

Le Temps berichtete, dass gegen Buttet eine Klage wegen Stalking eingereicht worden sei. Er habe eine Frau, mit der er eine aussereheliche Beziehung gehabt habe, seit dem Ende dieser Beziehung über ein Jahr lang mit Sprachnachrichten und Telefonanrufen eingedeckt. Als er sie an ihrem Wohnort aufgesucht habe, habe die Frau die Polizei gerufen, die Buttet im Garten der ehemaligen Geliebten verhaftet habe.
Buttet bestritt die Vorwürfe nicht. Eine Ehekrise habe sein Verhalten beeinflusst und er entschuldige sich bei all jenen, «que j’ai pu blesser involontairement» (Le Temps). Anlass zu den Diskussionen gaben allerdings weniger das Privatleben von Buttet und der Stalking-Vorwurf – auch wenn zahlreiche Medien dem als wertkonservativ bezeichneten CVP-Vizepräsidenten, der sich für ein traditionelles Familienbild einsetze, Heuchelei vorwarfen («Ausgerechnet der Saubermann» titelte etwa der Tages-Anzeiger). Eine Debatte lösten vielmehr die von Le Temps in Bundesbern eingeholten Reaktionen verschiedener Politikerinnen und Journalistinnen auf die Affäre Buttet aus: Buttet habe «des pulsions sexuelles incontrôlées»; wenn er trinke, ändere sich seine Persönlichkeit: «Il se comporte mal et il a des gestes déplacés»; «il va trop loin et il ne connaît plus de limites», gaben die befragten Frauen zu Protokoll. Gar von «dérapages choquants» war die Rede. «Si tu couches, je vote pour ta motion» sei einer Parlamentarierin angeboten worden. Die Interviewten wollten allerdings anonym bleiben. Sie müssten um ihre Karriere fürchten, wenn sie sich öffentlich äussern würden. In der Folge nahm die Deutschschweizer Presse den Fall auf und weitete ihn aus. Anscheinend wisse nicht nur Buttet nicht, wo die Grenzen seien. Mehrere Parlamentarierinnen kamen zu Wort und berichteten über «unangebrachte Gesten, die sie wirklich darüber nachdenken lassen, wohin sie gehen oder ob sie es noch wagen, mit gewissen Personen den Lift zu nehmen» (Céline Amaudruz; svp, GE), über «sexistische Sprüche» (Yvonne Feri; sp, AG) oder gar Vergewaltigungsdrohungen in Kommissionssitzungen (Maria Roth-Bernasconi; sp, GE). Viele Parlamentarierinnen erhielten Bemerkungen zu ihrer Kleidung, ihrem Make-Up, ihren Beinen, ihren Brüsten; viele wüssten nicht, wie sie reagieren sollten, würden resignieren und versuchten, damit zu leben.
Maya Graf (gp, BL) forderte als Präsidentin des Frauendachverbandes Alliance F eine Meldestelle für Parlamentsmitglieder, bei der sexuelle Belästigung gemeldet werden könne. Sexismus gehöre leider immer noch zur Tagesordnung; das sei im Parlament nicht anders. Freilich gab es auch Stimmen, die ein Sexismus-Problem im Bundeshaus als «Blödsinn» bezeichneten (Verena Herzog; svp, TG) und keinen Handlungsbedarf sahen. Um gewählte Nationalrätin zu sein, müsse man stark und durchsetzungsfähig sein und könne sich wohl zur Wehr setzen, befand Andrea Gmür (cvp, LU). Natalie Rickli (svp, ZH) warnte davor, nun gleich alle Männer im Bundeshaus unter Generalverdacht zu stellen. Auch Kathrin Bertschy (glp, BE) betonte im Tages-Anzeiger, dass sich die grosse Mehrheit der männlichen Kollegen auch bei informelleren Anlässen, in denen Alkohol fliesse, «normal und anständig» verhalten würde. Wie überall gebe es aber auch hier «ein paar Typen, die enthemmter sind und die Grenzen nicht kennen.»

Wie ambivalent die Debatte um #metoo ist und wie schwierig es eben ist, sich zu wehren, zeigten die Auseinandersetzungen um die Anschuldigungen von Céline Amaudruz zu den unangebrachten Gesten und ihren Bedenken, mit gewissen Personen den Lift zu benutzen. Nachdem der Sonntags-Blick kolportiert hatte, dass ihre Andeutung wohl Buttet gegolten haben müsse – der Walliser soll sie beim Apéro nach der Wahl von Ignazio Cassis in stark angetrunkenem Zustand belästigt haben –, wurde die Genferin laut Medien in ihrer Fraktion von Adrian Amstutz (svp, BE) heftig kritisiert. Sie schade der Partei und allen Parlamentariern, wenn sie Äusserungen mache ohne konkret zu werden und Namen zu nennen. Laut Sonntags-Blick habe die Genferin darauf unter Tränen das Fraktionszimmer verlassen. In seinem Editorial in der Weltwoche doppelte Roger Köppel (svp, ZH) nach: Das Klima im Bundeshaus sei «sexismusfeindlich», Männer stünden unter Generalverdacht. Und weiter: «Eine Politikerin, die ich noch nie ohne kurzen Rock oder hautenge Bluse gesehen habe, beschwert sich, sie würde mit gewissen Herren niemals in den Lift steigen.» Das Problem sei, so die Tribune de Genève, dass Frauen von Opfern zu Täterinnen gemacht würden – auch im Bundeshaus. Die «manipulierende Wirkung der medialen Öffentlichkeit» – so die Wochen-Zeitung – sei vor allem für Frauen verheerend, denen, wenn sie eine Anschuldigung vorbrächten, eine mediale Hetzjagd und die Ausleuchtung ihres Privatlebens drohe: «Kann eine Situation juristisch nicht eindeutig geklärt werden, bleibt die Geschichte vor allem an der Frau kleben. Sie kriegt den Schlampenstempel aufgedrückt.»

Buttet wurde kurz nach Bekanntwerden der Anschuldigungen von seinem Amt als CVP-Vizepräsident suspendiert. Einen Rücktritt als Nationalrat schloss Buttet vorerst allerdings aus, auch wenn sich gar CVP-Bundesrätin Doris Leuthard in die Debatte einbrachte. Falls die Vorwürfe korrekt seien, habe Herr Buttet ein Problem, sagte die Magistratin bei einem TV-Interview: «Alle diese Herren, die sich nicht zu benehmen wissen, nerven mich [...]. In der Politik ist das inakzeptabel», wurde das Interview bei RTS im Blick zitiert. Rund fünf Tage nach Bekanntwerden des Stalking-Vorwurfs liess sich Buttet krank schreiben. Er wolle eine Kur beginnen, um sein Alkoholproblem in den Griff zu kriegen, liess er über seinen Anwalt verkünden. Damit vermied er eine geplante Anhörung durch die Parteileitung. CVP-Präsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) nahm in der Folge vor der Presse Stellung. Buttets Verhalten sei in der Tat inakzeptabel, aber auch für ihn gelte die Unschuldsvermutung.
Freilich wurden nicht nur die Rücktrittsforderungen, sondern auch die Forderungen nach einem Parteiausschluss lauter. Insbesondere nachdem in Le Temps sechs weitere Frauen zu Wort gekommen waren, die detailliert sexuelle Belästigungen von Buttet beschrieben, und nachdem bekannt wurde, dass die Walliser Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Nötigung eingeleitet hatte. Ohne mit seiner Partei das Gespräch gesucht zu haben, zog Buttet wohl auch deshalb die Reissleine und gab am Sonntag, 18. Dezember 2017 seine Demission als Nationalrat bekannt. Er erklärte via Communiqué, im Interesse der CVP und seiner Familie zurückzutreten. Er wolle sein Umfeld schützen und die notwendige Ruhe für den Heilungsprozess von seiner Alkoholabhängigkeit schaffen. Für Buttet, der Gemeindepräsident von Collombey-Muraz (VS) blieb, rutschte Benjamin Roduit (cvp, VS) in den Nationalrat nach.

Eine rasche Reaktion auf die Debatten zeigten die beiden Ratspräsidien. Karin Keller-Sutter (fdp, SG) und Dominique de Buman (cvp, FR) fassten eine «Lex Buttet» (Blick) ins Auge. Sexuelle Belästigung müsse verurteilt werden und gegen sie sei «mit aller Entschiedenheit» vorzugehen, so die Ständeratspräsidentin und der Nationalratspräsident in einem gemeinsamen Communiqué. Mitte Dezember legte die Verwaltungsdelegation in Absprache mit den Rats- und den Fraktionspräsidien dann ein Dokument vor, in dem den Parlamentsmitgliedern geraten wurde, sich bei sexueller Belästigung künftig an die Fraktionsspitzen oder eine externe Beratungsstelle zu wenden. Das Dokument hielt zudem den Unterschied zwischen einem Flirt und sexueller Belästigung fest, wie er auch im Ratgeber für Arbeitnehmende des Bundes vermerkt ist: Ein Flirt sei «aufbauend», «von beiden Seiten erwünscht» und löse «Freude aus», während sexuelle Belästigung «erniedrigend», «von einer Person nicht erwünscht» sei und «Ärger» auslöse. Mit diesem Dokument drifte die Debatte ins Lächerliche ab, bedauerte Natalie Rickli, als «fausse bonne idée» bezeichnete Doris Fiala (fdp, ZH) das Unterfangen laut Tages-Anzeiger. Leider mache man nur noch Witze, wenn man «wie Schulbuben» behandelt werde, obwohl es bei Stalking und sexuellen Belästigungen um wichtige Themen ginge. Géraldine Savary (sp, VD) befand es hingegen für nützlich, in Erinnerung zu rufen, «was normal sein sollte, es aber offenbar nicht für alle ist». Es sei gut darüber zu reden, weil das vor allem den Frauen helfe, sich bewusst zu werden, dass man Grenzen setzen dürfe und müsse, gab sie dem Tages-Anzeiger zu Protokoll.

Einige Medien reflektierten ihre eigene Rolle in der Affäre: Buttets Karriere ende, bevor erwiesen sei, ob und was er sich zuschulden habe kommen lassen – so etwa die Basler Zeitung. Die Unschuldsvermutung habe keinen Wert mehr und in den letzten drei Wochen habe eine «veritable Hetzjagd» mit zahlreichen anonymen Beschuldigungen stattgefunden. Nur eine Frau habe aber genug Rückgrat gehabt, Buttet anzuzeigen, seine ehemalige Geliebte. Die «tolérance zéro» sei zur Norm im Parlament geworden, urteilte die Tribune de Genève und stellte einen Vergleich mit dem Rücktritt von Jonas Fricker (gp, AG), dem Wirbel um ein aussereheliches Kind von Christophe Darbellay (VS, cvp) und der Affäre um Geri Müller (gp, AG) her. Jemand mache einen Fehler, es komme zu einem Mediengewitter und zu grossem politischen Druck, dem nur noch durch einen Rücktritt begegnet werden könne. Man müsse sich fragen, ob die immer schneller agierenden Medien Meinungen abbildeten oder selber formten. Sie hätten auf jeden Fall die Macht, zu definieren, was moralisch vertretbar sei. Die Vermischung von privatem und öffentlichem Leben nehme zu. Man müsse freilich unterscheiden zwischen moralischen und strafrechtlichen Verfehlungen – so die Tribune de Genève.

Mitte August 2018 wurde bekannt, dass Buttet wegen Nötigung und unrechtmässiger Aneignung zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt worden war. Er selber bezeichnete die damals publik gewordene Verhaftung laut der NZZ als Resultat einer politischen Verschwörung. Er überlege sich, im Herbst 2019 für den Ständerat zu kandidieren.

Affäre Buttet

A l'invitation de la Neue Zürcher Zeitung, les président-e-s des quatre plus grands partis échangent leurs points de vue sur leur idée de la patrie (ou "Heimat" en allemand). Petra Gössi pour le Parti libéral-radical et Albert Rösti pour l'Union démocratique du centre citent l'élément de la nature comme constitutif de leur vision de la partie. Pour les deux également, la patrie est l'endroit où l'on se sent à l'aise, en sécurité et où l'on a ses proches. Le président du Parti socialiste, Christian Levrat, quant à lui construit son image de la patrie autour de la variété et du vivre ensemble entre différentes cultures, langues et religions. Gerhard Pfister – président du Parti démocrate chrétien – fait également mention de la diversité et cite pour exemple son canton d'origine, Zoug, comme étant une Suisse en miniature – un canton où la campagne et le monde international se côtoient.
Les chef-fe-s de partis ont également réagi aux réponses d'un questionnaire sur cette idée de la patrie, fait par l'institution et musée "Stapferhaus" de Lenzbourg en Argovie. Celui-ci révèle que les 1000 suisses interrogés lient leur sentiment de patrie principalement aux humains y vivant, aux paysages et aux traditions. L'importance de la nature ressort fortement de ce sondage – les montagnes y prenant une signification particulière – et cela même pour les citadins. Selon le politologue Michael Hermann qui a analysé les résultats, la nature ferait même office d'agrafe patriotique. Par ailleurs, les personnes estimant que la patrie est en danger (la moitié des sondé-e-s) citent en premier lieu la destruction de la nature, puis le bétonnage intensif et troisièmement les cultures étrangères comme sources de menace.
Albert Rösti voit dans ces différentes menaces un vecteur commun qu'est l'immigration et postule que les Suisses et Suissesses se rattachent à une langue et à des valeurs communes. Il rappelle, par ailleurs, que tous ceux habitant en Suisse doivent respecter l'ordre juridique ainsi que la Constitution fortement teintée – tout comme l'hymne national – de christianisme. Christian Levrat fait remarquer que la Suisse ne possède pas qu'une langue commune et n'est pas faite que d'une seule culture unie. A la culture chrétienne prônée par les présidents de l'UDC et du PDC, il oppose la Suisse moderne et libérale fondée en 1848. Petra Gössi, quant à elle, estime, tout comme Christian Levrat, que la Suisse est un Etat séculaire, reposant sur les valeurs des Lumières et de la liberté. Malgré tout, elle considère qu'une Suisse multiculturelle ne peut fonctionner. Gerhard Pfister, en réponse aux propos de Christian Levrat, est de l'avis que la gauche sous-estime l'apport et l'influence du christianisme sur notre société, et considère que le christianisme (ainsi que le judaïsme) a été le socle de la démocratie. Ce dernier estime également que cette peur de la destruction de la nature est à lier avec la peur de la croissance. Le oui à l'initiative dite "d'immigration de masse" est un signe qui irait en ce sens.
L'une des autres menaces ressortant du questionnaire est la globalisation. Celle-ci est perçue différemment par les quatre président-e-s. Pour le chef de file du Parti socialiste, l'évolution du droit international est l'un des aspects positifs de ce phénomène, car cela permet de contrôler les firmes multinationales. Le président de l'UDC, quant à lui, considère que la libre circulation des matières est fondamentale pour le bon fonctionnement de l'économie, mais que celle-ci ne doit surtout pas s'accompagner de la libre circulation des personnes – vue comme non-compatible avec le sentiment de patrie. Petra Gössi reconnait que la globalisation et les changements rapides qu'elle implique font peur et estime que le rôle de la politique est de préparer au mieux les gens devant subir ses effets négatifs. Finalement, Gerhard Pfister voit un contre-mouvement à ce phénomène de globalisation où cette idée de patrie deviendrait de plus en plus importante pour la population.

Les chefs des trois plus grands partis échangent leurs points de vue sur leur idée de la patrie

Nach einer Phase fast jährlicher Rücktritte aus dem Bundesrat zwischen 2005 und 2011 zeichnete sich das Bundesratskollegium seit der Wahl von Alain Berset 2011 durch eine relativ lange Phase der Stabilität aus. Zwar trat dann auf die Wahlen 2015 Eveline Widmer-Schlumpf zurück, die im Vergleich wenigen Wechsel regten Pressevertreterinnen und -vertreter aber zu zahlreichen Spekulationen an. Gerüchte über Rückritte und mögliche Nachfolger betrafen insbesondere Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann. Wie nachhaltig solche Spekulationen sind, lässt sich an einer nicht abschliessenden kleinen Retrospektive für das Jahr 2016 aufzeigen:
Bei der Nomination von Walter Thurnherr zum Bundeskanzler wurde bereits 2015 gemutmasst, dass Doris Leuthard bald zurücktreten werde, weil sie mit Thurnherr einen engen Mitarbeiter ziehen lasse. Als mögliche Nachfolger der amtsältesten Magistratin wurden der damalige CVP-Präsident Christoph Darbellay sowie Filippo Lombardi und Pirmin Bischof gehandelt. Vor der Abstimmung über die Atomausstiegsinitiative ortete die Sonntagszeitung im Oktober 2016 Fehltritte bei der Energieministerin, die darauf hindeuteten, dass sie wohl bald ihren Rücktritt ankündigen werde. Ende 2016 spekulierte der Sonntags-Blick über einen Rücktritt der Aargauerin nach ihrem zweiten Präsidialjahr 2017. Als Nachfolger brachte das Sonntagsblatt neben Konrad Graber und Gerhard Pfister auch Bundekanzler Thurnherr ins Gespräch.
Ein Insider gab im nachrichtenarmen Sommer 2016 mehreren Westschweizer Medien zu Protokoll, dass Johann Schneider-Ammann bald zurücktreten werde. Der Berner sei amtsmüde und mehrere dynamischere potenzielle Nachfolger stünden bereit. Genannt wurden etwa Karin Keller-Sutter, Andrea Caroni, Martin Schmid oder Ruedi Noser. Auch die Zeitung Blick stimmte im September 2016 in diesen Chor mit ein und sprach von einem lethargischen Magistraten, der innerlich bereits gekündigt habe. Freilich stellte sich einige Tage darauf heraus, dass der Berner unter einer gebrochenen Rippe zu leiden hatte und deshalb etwas müde war. Der Sitz des Berner FDP-Bundesrats kam dann mit dem im Oktober lauter werdenden Anspruch der Ostschweiz auf einen Bundesratssitz zumindest medial ins Wackeln. Als Ostschweizer Vertretung kämen laut St. Galler Tagblatt eigentlich nur Karin Keller-Sutter oder Martin Schmid, beide von der FDP, in Frage. Dies setzte freilich einen Rücktritt von Schneider-Ammann voraus. Auch die BaZ sprach im November von sich mehrenden Gerüchten eines baldigen Rücktritts – es sei nicht unwahrscheinlich, dass Schneider-Ammann auf das Ende seines Präsidialjahres 2016 noch seinen Austritt aus der Landesregierung bekannt geben werde.

Spekulationen Rücktritt Bundesräte, Nachfolge Leuthard, etc.

Im Nachgang einer Recherche der SDA fiel das Schlaglicht der öffentlichen Debatte im Februar 2016 plötzlich auf die schon seit Monaten geplante Verschärfung des EU-Waffenrechts. Als Reaktion auf die Terroranschläge von Paris im vergangenen Jahr solle mit der Einschränkung des Waffenbesitzes und -handels nun verhindert werden, «dass Waffen in die Hände von Terroristen fallen», wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von der NZZ zitiert wurde. Sofern die Richtlinie tatsächlich zustande kommt, muss die Schweiz als Schengen-Vertragsstaat diese übernehmen, um ihre Mitgliedschaft im Schengener und damit verbunden auch im Dubliner Abkommen nicht zu gefährden. Dies erläuterte der Bundesrat in seiner Antwort auf eine entsprechende Interpellation Ruiz (sp, VD; Ip. 15.4199). Die Schweiz sei jedoch in der zuständigen Expertengruppe des Ministerrates vertreten, wenn auch ohne formales Stimmrecht und nur mit beratender Funktion, was eine gewisse Einflussnahme ermögliche. Von der Kommission vorgesehen sind unter anderem strengere Registrierungspflichten, ein Verbot des Onlinehandels von Waffen und Munition, strengere Regeln für unbrauchbar gemachte Waffen, ein Bedürfnisnachweis – sei es als Jäger, Sportschütze oder Sammler – und eine medizinische Untersuchung als Vorbedingungen für den Waffenerwerbsschein sowie ein Verbot von zivilen halbautomatischen Feuerwaffen, die wie vollautomatische Kriegswaffen aussehen. Diese werden von der EU nicht nur wegen des relativ leicht möglichen Umbaus zu vollautomatischen Waffen, sondern auch aufgrund ihrer hohen Munitionskapazität als sehr gefährlich angesehen. Waffen ebendieser Kategorie kommen im ausserdienstlichen Schiesswesen in der Schweiz jedoch zu breitem Einsatz. Die verschärften Regeln liessen es in der Folge auch nicht mehr zu, dass Armeeangehörige Ordonnanzwaffen nach dem Ende der Dienstpflicht mit nach Hause nehmen.
So liess denn auch die Kritik aus dem Umfeld der Waffenlobby nicht lange auf sich warten. Dora Andres, Präsidentin des Schweizerischen Schiesssportverbandes (SSV), erklärte in den Medien, der SSV lehne die Vorschläge der Europäischen Kommission vollumfänglich ab. Die Schweiz brauche kein schärferes Waffenrecht und nötigenfalls werde man dagegen politisch aktiv werden. Mit rund 133'000 Mitgliedern wäre der SSV problemlos referendumsfähig. Schützenhilfe erhielt Andres auch von bürgerlichen Politikerinnen und Politikern, darunter CVP-Präsident Christophe Darbellay (VS), welcher die vorgesehenen Regeln gegenüber dem Sonntags-Blick als «nicht kompatibel» mit dem schweizerischen Schützenwesen und der Milizarmee bezeichnete. FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger (AG) erachtete gegenüber der Aargauer Zeitung eine Verschärfung des Waffenrechts als schlicht nicht in der Lage, mehr Sicherheit zu garantieren; es sei ein «Irrglaube», dass mit strengeren Regeln der kriminelle Waffenmissbrauch verhindert werden könne. Die Milizarmee und die Armeewaffen zu Hause seien sogar Teil der «schweizerischen DNA», liess sie im Sonntags-Blick verlauten.

Im März 2016 gab Bundesrätin Simonetta Sommaruga nach einem Treffen der EU-Innenminister erste Entwarnung: «Die EU wird der Schweiz das Sturmgewehr nicht verbieten», wurde sie in der Presse zitiert. Neben der Schweiz hätten sich auch andere EU-Länder, darunter v.a. baltische und nordische Staaten mit Schützen- und Jägertradition, gegen zu zentralistische Verschärfungen gewehrt. In der Folge verabschiedete der Rat der Innenminister Mitte Juni einen entschärften Entwurf mit einer eigens auf die Schweiz zugeschnittenen Ausnahmebestimmung. Diese «Schutzklausel für das Schweizer Sturmgewehr» (Tages-Anzeiger) ermöglicht es Schweizer Armeeangehörigen weiterhin, die Waffe nach Ende der Dienstpflicht zu behalten. Bedingungen dafür sind allerdings die Mitgliedschaft in einem Schützenverein, der Nachweis von jährlichen Schiessübungen sowie die regelmässige medizinische und psychologische Beurteilung des Waffenbesitzers.
Ebendiese Bedingungen waren es denn auch, welche die Freude über den Schweizer Verhandlungserfolg zumindest auf Seiten der Waffenlobby erheblich trübten. So schrieb die Basler Zeitung weiterhin von der «Entwaffnung Hunderttausender Schweizer Bürgerinnen und Bürger»; alle seien auf die Entwarnung Sommarugas hereingefallen, denn durch die von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Bedingungen würden «unbescholtene Schweizerinnen und Schweizer, die eine Waffe besitzen», kriminalisiert und «der Grundsatz, wonach der Staat seinen Bürgern so lange vertraut, bis ihnen eine Straftat bewiesen werden kann, [...] ausgehebelt». Stattdessen müssten ehemalige Soldaten nun beweisen, «dass sie keine Gewalttäter sein wollen». Nicht zuletzt sah sie darin über Umwege die Umsetzung der 2011 abgelehnten Initiative gegen Waffengewalt. Auch bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier übten abermals Kritik an der Richtlinie und nun insbesondere an den Bedingungen im «Schweizer Paragraphen». Von einer «schlimme[n] Einmischung in die Schweizer Gesetzgebung» (Walter Müller, fdp, SG) und der Gefährdung der Souveränität der Schweiz (Adrian Amstutz, svp, BE) war die Rede. Die Urteile über die Richtlinie im Allgemeinen wie auch über die medizinisch-psychologischen Tests im Besonderen reichten von «inakzeptabel und lächerlich» (Yannick Buttet, cvp, VS) bis zu «absurd» (Dora Andres, SSV). Der neue CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) forderte von Bundesrätin Sommaruga gar eine Erklärung und allfällige Nachverhandlungen in Brüssel. Der SVP-Nationalrat und Präsident des Berner Schützenverbandes Werner Salzmann reichte indes Ende September eine Motion mit dem Titel «Wir lassen uns nicht durch die EU entwaffnen!» ein. Dem Vorstoss zufolge sollte die Schweiz gemeinsam mit jenen EU-Staaten, die dem neuen Waffenrecht ebenfalls kritisch gegenüberstehen, die «unannehmbaren Änderungen» bekämpfen.

Im Dezember 2016 einigten sich Vertreter der EU-Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments auf eine Fassung der Waffenrichtlinie, über die als nächstes das Europäische Parlament befinden wird. Unterdessen war es der europäischen Waffenlobby gelungen, die Vorlage weiter abzuschwächen. So sieht der Antrag zuhanden des Europäischen Parlaments kein Verbot halbautomatischer Waffen mehr vor, sondern lediglich Einschränkungen betreffend den Verkauf und die maximale Patronenzahl. Den Mitgliedstaaten ist es nun ausserdem freigestellt, ob für den Waffenerwerb medizinisch-psychologische Tests erforderlich sind oder nicht. Bei der Überführung in nationales Recht bietet die Richtlinie daher einen gewissen Spielraum. Was jedoch geblieben ist, sind die Mitgliedschaft in einem Schützenverein und die regelmässige Teilnahme an Schiessanlässen als Voraussetzungen, damit Schweizer Armeeangehörige das Sturmgewehr behalten dürfen. Diese Punkte waren im ausgehenden 2016 denn auch die meistkritisierten, denn mit Vereinspflicht und Schiesszwang wolle die EU die Freiheit und Selbstbestimmung der Schweizer beschränken, zeigte sich Werner Salzmann gegenüber der Luzerner Zeitung besorgt. Mit mehr Dramatik bezeichnete Jean-Luc Addor (VS), SVP-Nationalrat und Vizepräsident von ProTell, die Schusswaffe als «das Symbol des freien Mannes» und die Reform daher als unverhältnismässig. ProTell kündigte bereits das Referendum an; man toleriere keine Verschärfung des Schweizer Waffenrechts. Auch ein Ausschluss aus Schengen/Dublin würde gemäss diversen Zeitungsberichten von der Waffenlobby damit bewusst in Kauf genommen.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)