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  • Zanetti, Roberto (sp/ps, SO) SR/CE
  • Rechsteiner, Paul (sp/ps, SG) SR/CE

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In weiteren fünf Sitzungen bereinigte das Parlament den Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen. Nicht umstritten waren die Titeländerung sowie der Auftrag an den Bundesrat, innert sechs Jahren ein entsprechendes Bundesgesetz auszuarbeiten. Der Ständerat bereinigte beide Differenzen gleich in der ersten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens.

Er hielt jedoch nach langen Diskussionen entgegen einem Minderheitsantrag Rechsteiner (sp, SG) am Verteilschlüssel der zusätzlichen Steuereinnahmen von 75 Prozent für die Kantone und 25 Prozent für den Bund fest. Mit dieser Lösung gelange «möglichst viel Geld in den nationalen Finanzausgleich», so dass die Beiträge für die meisten Kantone anstiegen, begründete Kommissionssprecher Kuprecht (svp, SZ) diesen Entscheid. Umstritten war zwischen den Befürwortenden einer hälftigen Teilung und dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit auch die Frage, ob es sich um eine kantonale oder eine nationale Steuer handle. Bei einer kantonalen Steuer könne ein Bundesanteil von 25 Prozent als grosszügig erachtet werden, argumentiert etwa der Sprecher der WAK-NR, Martin Landolt. Umgekehrt würde bei nationalen Steuern eine hälftige Teilung etwa der Aufteilung der Gewinnsteuern von juristischen Personen entsprechen, betonte Jürg Grossen (glp, BE). Obwohl die nationalrätliche Kommission anfänglich eine hälftige Verteilung gutgeheissen hatte, übernahm nun Martin Landolt im Namen der Kommission das Bild einer «kantonalen Steuer» – auch wenn er später zuhanden des Protokolls betonte, dass es sich faktisch gemäss bundesrätlicher Botschaft um eine Bundessteuer handle – und willigte in die ständerätliche 75-zu-25-Prozent-Aufteilung ein. Mit 99 zu 87 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) folgte ihm der Nationalrat und lehnte damit einen Minderheitsantrag Grossen auf Festhalten ab. Die Grünen, Mehrheiten der SP und der GLP sowie eine Minderheit der Mitte-Fraktion sprachen sich für den Mehrheitsantrag aus und trugen somit zur Beseitigung dieser Differenz bei.

Offen blieb jedoch nach wie vor, ob die Beteiligung von Gemeinden und Städten ausdrücklich geregelt werden soll. Auch hier folgte der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit und lehnte einen Minderheitsantrag Aeschi (svp, ZG) ab, welcher die Definition einer angemessenen Beteiligung der Gemeinden und Städte den Kantonen überlassen wollte. Nachdem sich der Ständerat in dieser Frage erneut unnachgiebig gezeigt hatte – es sei «eigentlich fast verfassungswidrig, wenn wir hier den Kantonen vorschreiben, wie sie das Geld zu verteilen haben» (Stark; svp, TG), war argumentiert worden –, lenkte der Nationalrat auch hier ein. Er bereinigte somit die letzte Differenz mit 104 zu 72 Stimmen (bei 1 Enthaltung) – gemäss Kommissionssprecher Landolt jedoch nicht aus Überzeugung, sondern weil «das Ziel einer Differenzbereinigung eben darin besteht, Differenzen zu bereinigen».

Zusammen mit der Behandlung des Bundesbeschlusses über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen endete schliesslich auch der letzte Auftritt des zurücktretenden Finanzministers Maurer, der vom Nationalrat mit «[s]tehenden Ovationen» – wie es im Amtlichen Bulletin festgehalten wird – verabschiedet wurde.

Mit 127 zu 59 Stimmen (bei 10 Enthaltungen; Nationalrat) respektive 38 zu 2 Stimmen (bei 4 Enthaltungen; Ständerat) nahmen beide Kammern den neuen Bundesbeschluss in den Schlussabstimmungen an. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen im Nationalrat stammten von Mitgliedern der SP- und der Grünen-Fraktion. Somit wird die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni 2023 über die Verfassungsänderung befinden.

Besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen (OECD-Mindestbesteuerung; BRG 22.036)

In Anbetracht des Energiemangels und der vom Bundesrat kommunizierten Massnahmen zum Energiesparen reichte Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) im September 2022 eine Motion ein, mit der sie eine Anpassung der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz angehen wollte. Konkret forderte sie eine Flexibilisierung der Verordnung, so dass neu auch eine Strommangellage als dringendes Bedürfnis für Nacht- oder Sonntagsarbeit gelten soll. Dadurch könnten die Arbeitgebenden bei zeitlichen Beschränkungen des Verbrauchs die Arbeitszeiten zum Beispiel so anpassen, dass die Arbeit ausserhalb dieser Beschränkungen erledigt werden könnte. Der Bundesrat beantragte, die Motion abzulehnen. Bereits mit den aktuellen Regelungen sei es den Kantonen möglich, während sechs Monaten entsprechende Arbeitszeitbewilligungen vorzunehmen. Der Ständerat behandelte das Geschäft im Rahmen der Wintersession 2022. Ständerat Roberto Zanetti (sp, SO) stellte den Antrag auf Zuweisung an die WAK-SR, damit diese die Motion vertieft vorprüfen kann. Er zog den Antrag jedoch zurück, nachdem Motionärin Gmür-Schönenberger die Behandlung der Motion in der Wintersession als dringlich bezeichnet hatte, da eine Regelung bereits vor dem Winter nötig sei. Als Reaktion auf die bundesrätliche Antwort forderte sie zudem eine schweizweite Lösung. Paul Rechsteiner (sp, SG) sprach sich in der Folge für die bestehende Lösung und die Aufrechterhaltung des Schutzes der Arbeitnehmenden aus. Der Ständerat nahm die Motion mit 22 zu 11 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) an. Wie bereits Paul Rechsteiner erwähnt hatte, wird die geforderte Regelung damit aber für den Winter 2022/2023 nicht einsatzbereit sein – der Nationalrat wird die Motion frühestens in der Frühjahrssession 2023 behandeln.

Zeitlich befristete Flexibilisierung des Arbeitsgesetzes im Falle einer Strom- und/oder Gasmangellage (Mo. 22.3921)

Nach der Rückweisung an die Kommission war die Reform «BVG 21» des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge in der Wintersession 2022 erneut für den Ständerat traktandiert. In drei Sitzungen habe sich die SGK-SR entsprechend dem Rückweisungsantrag nochmals über die verschiedenen Kompensationsmodelle für die Übergangsgeneration – gemäss zahlreichen Sprechenden das «Herzstück der Vorlage» – gebeugt. Allgemein geht es beim Zuschlag darum, dass die Reduktion der Neurenten um 12 Prozent, die durch die Senkung des Umwandlungssatzes entsteht, für die ersten Jahrgänge, die das Rentenalter erreichen, abgefedert werden. Dazu, wie diese Personen unterstützt werden sollen, lagen nun drei verschiedene Konzepte (und vier spezifische Vorschläge) vor, deren Unterschied gemäss Kommissionssprecher Erich Ettlin (mitte, OW) vor allem in der Finanzierung – über Lohnprozente oder über Beiträge der versicherten Personen – und in der Frage bestand, ob die Rentenbeziehenden einen monatlichen Zuschuss zu ihrer Rente oder eine einmalige Einlage in ihr Vorsorgekapitel erhalten. Die Kommissionsmehrheit entschied sich für eine leicht angepasste Version des ehemaligen Einzelantrags Dittli (fdp, UR), die im Vergleich zur Version der Kommissionsmehrheit vor der Sommersession deutlich weniger Begünstigte und deutlich tiefere Kosten aufwies. Gleichzeitig lagen drei Minderheitsanträge vor.

Der Entwurf des Bundesrates, der auf dem Kompromiss der Sozialpartner beruhte, wurde im Ständerat von einer Minderheit III Rechsteiner (sp, SG) vertreten. Demnach sollen alle Versicherten der Übergangsgeneration (15 Jahrgänge) anfänglich einen Rentenzuschlag zwischen CHF 100 und CHF 200 monatlich erhalten, wobei dieser Zuschlag von ihrem Alter – nicht aber von ihrem Einkommen – abhängt. Allenfalls soll der Zuschlag auch für weitere Generationen weitergeführt werden können. Finanziert werden soll er durch einen neuen Abzug vom AHV-pflichtigen Lohn in der Höhe von 0.5 Prozent. Kritisiert wurde das Modell vor allem dafür, dass Beiträge im Umlageverfahren systemfremd seien, dass es zu teuer sei und dass auch Personen mit einem hohen Vorsorgekapital einen Zuschlag erhielten. Minderheitensprecher Rechsteiner bewarb das Modell unter anderem damit, dass AHV und Pensionskassen bereits heute ihr in der Bundesverfassung festgehaltenes Ziel, «die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen könnten und darum eine Kompensation für alle Versicherten der Übergangsgeneration nötig sei. Zudem stellte Rechsteiner einen Eventualantrag: Bei einem Entscheid für ein anderes Modell sollte der Ständerat auf die Senkung des Umwandlungssatzes verzichten.

Das Modell des Nationalrats beruhte auf der Idee, dass eigentlich nur die obligatorisch Versicherten (ungefähr 14 Prozent aller Versicherten) von einer Senkung des Umwandlungssatzes betroffen seien – bei den überobligatorisch Versicherten gebe es ja bereits jetzt eine Mischrechnung zwischen obligatorischem und überobligatorischem Vorsorgevermögen, wie Alex Kuprecht (svp, SZ), dessen Minderheit die nationalrätliche Version mehrheitlich aufnahm, argumentierte. Demnach sollen diejenigen Personen, deren zukünftige Rente tiefer liegt als gemäss aktuellem Gesetz, diese Differenz in Form einer einmaligen Kapitaleinlage beim Erreichen des Rentenalters erhalten. Konkret erhielten dadurch 35 bis 40 Prozent der Versicherten eine Ausgleichszahlung. Finanziert werden sollte diese über die Vorsorgeeinrichtungen durch Verlustreserven und durch zusätzliche Beiträge der BVG-Versicherten sowie ihrer Arbeitgebenden. Minderheitensprecher Damian Müller (fdp, LU) widersprach der Darstellung Kuprechts, wonach nur rein obligatorisch versicherte Personen von der Änderung des Umwandlungssatzes betroffen wären: Bei denjenigen, die über eine überobligatorische Versicherung verfügen, werde zukünftig ein immer grösserer Teil des Überobligatoriums zur Deckung der Kosten des Obligatoriums eingesetzt, bis der Umwandlungssatz auf Ersterem bei 0 Prozent liege. Verschiedene Sprechende kritisierten das Modell ebenfalls dafür, dass es zu geringe Kompensationen an zu wenige Personen beinhalte.

Ein neues Modell, beruhend auf dem ehemaligen Minderheitsantrag Dittli, verfolgten die Kommissionsmehrheit sowie die Minderheit II Müller Damian. Beide wollten den Kreis der Personen, die von einem Zuschlag profitieren, gegenüber dem nationalrätlichen Vorschlag vergrössern und gegenüber demjenigen des Bundesrates verkleinern. Die beiden Vorschläge setzten dazu auf das Vorsorgekapital der Versicherten bei Renteneintritt: Solange dieses unter einem Schwellenwert liegt (Kommissionsmehrheit: zweieinhalbfacher Grenzbetrag = CHF 215'000; Minderheit Müller: vierfacher Grenzbetrag = CHF 344'160), erhält die Person den vollen, nach dem Alter abgestuften Zuschlag, bis zu einem zweiten Schwellenwert (Kommissionsmehrheit: fünffacher Grenzbetrag = CHF 430'000; Minderheit Müller: sechsfacher Grenzbetrag=CHF 516'000) einen degressiv abnehmenden Zuschlag. Damit sollten Schwelleneffekte vermieden werden. Dadurch erhielten 25 Prozent (Bundesrat) respektive 40 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen vollen und 25 Prozent (Bundesrat) respektive 20 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen abgestuften Zuschlag. Die Minderheit II verlangte überdies einen Zuschlag für 20 Jahrgänge (Bundesrat: 15 Jahrgänge) sowie einen Mindestbezugsanteil für die Rente von 75 Prozent, während die übrigen Modelle einen Rentenbezug von mindestens 50 Prozent verlangten. Finanziert werden sollten die Zuschläge durch einen Abzug auf dem erweitert koordinierten Lohn von anfänglich 0.24 Prozent (Bundesrat) respektive 0.3 Prozent (Minderheit II). Minderheitssprecher Rechsteiner kritisierte insbesondere den Mehrheitsvorschlag dafür, dass dadurch noch immer zu wenige Versicherte von einem Zuschlag profitieren könnten und erachtete stattdessen den Minderheitsantrag II als «am wenigsten schlecht».

Zusammenfassend unterschieden sich die vier Modelle insbesondere im Anteil der betroffenen Versicherten sowie in den Kosten: Beim Bundesratsmodell und der Minderheit III Rechsteiner sollten 100 Prozent der Versicherten eine Kompensation bei Kosten von insgesamt CHF 29.7 Mrd. erhalten (kumuliert bis ins Jahr 2045), bei der Minderheit II Müller 60 Prozent der Versicherten für CHF 16.8 bis 17.1 Mrd., bei der Kommissionsmehrheit 50 Prozent der Versicherten für CHF 11.7 Mrd. und bei der Minderheit I Kuprecht 35 bis 40 Prozent der Versicherten für CHF 9.7 Mrd. Die Version, welche die Mehrheit der SGK-SR noch vor der Sommersession 2022 empfohlen hatte, wäre 88 Prozent der Versicherten (70% voller Zuschlag, 18% reduzierter Zuschlag) zugutegekommen und hätte CHF 25.2 Mrd. gekostet. In der Folge setzte sich der Mehrheitsantrag gegen alle drei Minderheiten durch (Minderheit I: 34 zu 9 Stimmen; Minderheit II: 24 zu 19 Stimmen; Minderheit III: 28 zu 15 Stimmen). Mit 30 zu 12 Stimmen lehnte der Ständerat gleich darauf auch den Eventualantrag der Minderheit Rechsteiner auf einen Verzicht auf die Senkung des Umwandlungssatzes ab. Bereits in allen vier Vorschlägen enthalten war ein vom Bundesrat geschaffener, aber vom Nationalrat abgelehnter Anspruch auf einen Rentenzuschlag für Personen, welche eine Invalidenrente einer Vorsorgeeinrichtung beziehen.

Obwohl das Modell der Kurzfristkompensation im Ständerat sehr umstritten war und gemäss den Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei einem möglichen Urnengang stark über Annahme oder Ablehnung der Vorlage mitentscheiden könnte, waren gerade auch die Bestimmungen zur Langfristkompensation, mit denen die Senkung des Umwandlungssatzes für diejenigen Personen abgemildert werden soll, die noch länger zu arbeiten haben, sehr zentral. Auch hier nahm der Ständerat zahlreiche Änderungen am nationalrätlichen Entwurf vor.
So schlug die Kommission zum Beispiel bei der Eintrittsschwelle einen Zwischenweg zwischen den Versionen des Bundesrates (CHF 21'510, wie bisher) und des Nationalrates (CHF 12'548) vor, wie es Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) formulierte. Die Eintrittsschwelle sollte demnach bei CHF 17'208 zu liegen kommen, zumal Personen mit sehr kleinen Einkommen nicht immer froh seien, wenn sie darauf noch BVG-Beiträge zahlen müssten. Stillschweigend folgte der Ständerat hier seiner Kommission und entschied in der Folge auch, dass junge Leute erst ab 25 Jahren – und nicht wie vom Nationalrat vorgeschlagen bereits ab 20 Jahren – Beiträge für die berufliche Vorsorge bezahlen müssen. Umstrittener waren hingegen die Änderungen beim Koordinationsabzug. Hier schlug die Kommissionsmehrheit einen Systemwechsel von einem fixen zu einem prozentualen Wert vor: Statt wie bisher CHF 25'095 oder wie vom Nationalrat vorgeschlagen CHF 12'443 sollte der Koordinationsabzug neu 15 Prozent eines Jahreslohns bis CHF 85'320 betragen. Dadurch könne man die Problematik lösen, dass Versicherte mit mehreren Stellen den Koordinationsabzug mehrmals bezahlen müssten und gleichzeitig die Geringverdienenden besserstellen, warb Kommissionssprecher Ettlin für diesen Vorschlag. Eine Minderheit Müller wollte hingegen dem Nationalrat folgen und den heutigen Abzug halbieren. Dies sei administrativ einfacher und günstiger, während Geringverdienende trotzdem gegenüber heute bessergestellt würden. Zudem bleibe die Rente bei einem Einkommen unter jährlich CHF 50'000 auch mit dem Vorschlag der Mehrheit unter der EL-Grenze, während die Versicherten und ihre Arbeitgebenden gleichzeitig deutlich höhere Lohnabzüge für die BVG-Beiträge bezahlen müssten. In der Folge lieferten sich Ruedi Noser (fdp, ZH) und Maya Graf (gp, BL) ein Streitgespräch zur Frage, ob es beim Mehrheitsantrag ein Problem sei, dass der AHV-Lohn der Mitarbeitenden erst im Februar oder März des nächsten Jahres feststeht und somit während des Jahres unklar ist, ob eine Person tatsächlich entsprechende Beiträge leisten muss und wie hoch diese ausfallen werden. Gesundheitsminister Berset verwies auf die stärkere Betroffenheit der Frauen, bei denen ein Drittel der Arbeitnehmenden Netto-Jahreslöhne unter CHF 36'000 aufwiesen – bei den Männern seien es 10 Prozent. Wie der Minderheitensprecher kritisierte auch er, dass der Vorschlag der Kommissionsmehrheit den koordinierten Lohn und somit die BVG-Beiträge gerade bei Personen mit solch tiefen Einkommen gegenüber heute auf das Sechsfache erhöhen würde. Es sei zwar wichtig, den Koordinationsabzug zu senken, «mais [...] il doit être supportable pour les personnes directement concernées». Mit 34 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit.

Darüber hinaus nahm der Ständerat zahlreiche weitere, unbestrittene Änderungen vor. Unter anderem pflichtete er dem Bundesrat sowie dem Nationalrat bei und schuf anstelle der bisherigen vier Stufen der Altersgutschriften neu zwei Stufen in der Höhe von 9 und 14 Prozent. Die einzige Differenz zum Nationalrat blieb hier in der Frage, wann junge Erwachsene mit dem Alterssparen beginnen müssen. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den BVG-21-Entwurf mit 25 zu 10 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten grösstenteils von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Die Medien konzentrierten sich drei Monate nach der Annahme der AHV21 an der Urne vor allem auf die Folgen der Revision für die Frauen. Hier waren sie sich jedoch nicht einig, ob die Frauen als häufiger Teilzeiterwerbstätige gegenüber heute genügend bessergestellt oder gar benachteiligt würden. Ganz allgemein zeigten sich die Medien unsicher, ob die Vorlage in dieser Form an der Urne durchzubringen wäre.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

In der Wintersession 2022 folgte der Ständerat seinem Schwesterrat und nahm eine Motion der Mitte-Fraktion (Mo. 22.3792) für einen vollständigen Teuerungsausgleich der AHV-Renten auf den 1. Januar 2023 an. Die SGK-SR hatte zuvor argumentiert, dass die «ungeschmälerte und unverzügliche Erhaltung der Kaufkraft der AHV-Renten» in Anbetracht der allgemein sinkenden Kaufkraft zentral sei. Diese ausserordentliche Rentenerhöhung sei jedoch nicht zusätzlich zu, sondern anstelle einer künftigen ordentlichen Rentenerhöhung zu verstehen. Eine Minderheit Kuprecht (svp, SZ) beantragte, die Motion abzulehnen, zumal man nicht vom «bewährten Mechanismus», bei dem ein Mittelwert der Preisentwicklung gemäss LIK und der Lohnentwicklung berechnet wird, abweichen solle. Zudem müssten auch die Arbeitnehmenden ohne vollständigen Teuerungsausgleich auskommen – vielmehr übersteige bereits die vom Bundesrat im Oktober 2022 beschlossene Erhöhung der AHV/IV-Renten um 2.5 Prozent den Teuerungsausgleich für die Arbeitnehmenden deutlich. Die Erhöhung des Rentenausgleichs auf 3 Prozent statt auf 2.5 Prozent bringe insgesamt Mehrkosten von CHF 1.2 Mrd. für die AHV, CHF 155 Mio. für die IV und CHF 245 Mio. für den Bundeshaushalt mit sich – zuzüglich der Durchführungskosten. Letztere seien wohl höher als die zusätzlichen monatlichen Renten von CHF 6 bis CHF 12 pro Person, welche überdies aufgrund der Referendumsfrist erst Mitte des Jahres ausbezahlt werden könnten.
Paul Rechsteiner (sp, SG) wehrte sich dagegen, «diese Beträge [...] zu bagatellisieren». Bei einer Teuerung von 3.6 Prozent – Kuprecht hatte mit 3.0 Prozent gerechnet – und über die zwei Jahre, für welche die Rentenanpassungen vorgesehen sind, gehe es hier um insgesamt CHF 500 pro Person, was für die Betroffenen sehr wichtig sei.
Mit 22 zu 20 Stimmen folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit und nahm die Motion an. Für Annahme stimmten die SP- und die Grünen- sowie eine Mehrheit der Mitte-Fraktion, dagegen die SVP- und die FDP-Fraktion. Bisher noch nicht behandelt wurden die in der ausserordentlichen Session im Herbst 2022 im Ständerat angenommenen Motionen von Pirmin Bischof (mitte, SO; Mo. 22.3803) und Paul Rechsteiner (Mo. 22.3799) mit demselben Anliegen.

Fünf Motionen zur Anpassung der AHV-Renten (Mo. 22.3792; Mo. 22.3799; Mo. 22.3803; Mo. 22.3818; Mo. 22.3861)
Dossier: Wie stark soll die AHV-Rente der Teuerung angepasst werden? (2023)
Dossier: Ausserordentliche Session 2022 zum Thema «Kaufkraft»

Die verbliebenen sechs Differenzen zum Voranschlag 2023 konnte das Parlament in der ersten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens klären. So pflichtete der Nationalrat seinem Schwesterrat bei, dass der Betrag für die internationalen Sportanlässe nicht zugunsten der Staffel-WM 2024 in Lausanne erhöht werden soll, nachdem die entsprechenden Weltmeisterschaften in der Zwischenzeit bereits an die Bahamas vergeben worden waren. Zudem bereinigte er die Differenz bezüglich den Direktzahlungen für die Landwirtschaft: In der ersten Beratung hatte der Nationalrat eine Mindesthöhe für die Versorgungssicherheitsbeiträge festlegen und den Bundesrat so daran hindern wollen, diese zugunsten anderer Kreditposten zu kürzen. Nun pflichtete die grosse Kammer dem Ständerat entgegen einem Minderheitsantrag Nicolet (svp, VD) bei und strich die entsprechende Rahmenbedingung der Kreditvergabe wieder. Offen blieben jedoch die vier übrigen Differenzen, bei denen der Nationalrat an seiner Position festhielt.

Diese bereinigte in der Folge der Ständerat. Er hiess die Krediterhöhung beim BASPO für Swiss Sport Integrity sowie die neue Rahmenbedingung zur Kreditvergabe beim BSV für Schutz und Rechte der Kinder stillschweigend gut. Bezüglich der Reservierung eines Betrags der Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Ostens für den Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur in der Ukraine habe sich die Kommission gemäss Sprecherin Johanna Gapany (fdp, FR) überzeugen lassen, dass diese Mittel einerseits für andere Länder reserviert seien und dass die Verwendung für die Ukraine aufgrund des Hilfskredits im Nachtrag II zum Voranschlag 2022 nicht nötig sei. Stillschweigend bereinigte der Ständerat diese Differenz. Bei den Investitionsbeiträgen für Entwicklungsländer, die ebenfalls für die Ukraine hätten eingesetzt werden sollen, wollte die FK-SR zwar an ihrer Position festhalten, der Ständerat folgte jedoch einer Minderheit Zanetti (sp, SO) auf Streichung der Planungsgrösse. Der Minderheitensprecher hatte die «psychologisch unmögliche Situation», in der man die entsprechenden Gelder entweder wie vorgesehen verschiedenen Ländern Afrikas oder neu der Ukraine zukommen lassen könne, damit aufgelöst, dass er um Bereinigung der Differenz bat, um eine Ablehnung der gesamten Planungsgrössen und damit sämtlicher bisher getroffener Einigungen zu verhindern. Aus formellen Gründen solle man dem Nationalrat zustimmen und den Kredit nicht zusätzlich der Ukraine zusprechen, was der Ständerat in der Folge mit 30 zu 12 Stimmen tat und somit diese letzte Differenz bereinigte.

Damit sich eine solche Situation, in welcher der Bundesbeschluss der Planungsgrössen nur vollständig angenommen oder abgelehnt werden kann, zukünftig nicht mehr ergibt, erarbeitete die FK-NR einen Entwurf zur Umsetzung ihrer parlamentarischen Initiative 21.503.

Voranschlag 2023 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2024-2026 (BRG 22.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2023: Voranschlag und Staatsrechnung

Die KVF-SR und die KVF-NR reichten im Oktober 2022 je eine gleichlautende Motion (Mo. 22.4263 und Mo. 22.4257) ein, mit welcher sie die rasche Gewährleistung einer ausgewogenen, leistungsfähigen und attraktiven Ost-West-Achse der Eisenbahn forderten. Die beiden Kommissionen wollten den Bundesrat beauftragen, bis Ende des Jahrzehnts mit den Arbeiten zu beginnen, damit die Bahn-Reisezeiten zwischen Lausanne und Bern sowie zwischen Winterthur und St. Gallen verkürzt werden können. Der Bundesrat beantragte die Annahme der beiden identischen Motionen.
Im Ständerat erläuterten die Herren Français (fdp, VD) und Rechsteiner (sp, SG), dass die Motion auf die Beschlüsse des STEP 2035 zurückgehe, gemäss welchem die Fahrzeiten auf der Ost-West-Achse reduziert werden sollten. Die vom Bundesrat im Juni 2022 vorgestellte Strategie «Bahn 2050» würde nun einen Rückschritt hinsichtlich der Ost-West-Verbindung bedeuten, da hauptsächlich auf die Schieneninfrastruktur der mittleren und kurzen Strecken fokussiert werde und die Vision für die Ost-West-Verbindung fehle. Die kleine Kammer nahm die Motion stillschweigend an.
Im Nationalrat lag ein Antrag Giezendanner (svp, AG) auf Ablehnung der Motion vor. Benjamin Giezendanner begründete seinen Antrag mit den Kosten, die bei Umsetzung der Motion entstehen würden. Die aktuelle Lage der Bundesfinanzen liessen solche Projekte nicht zu. Die grosse Kammer liess sich von dieser Argumentation jedoch nicht überzeugen und nahm die Motion mit 145 zu 34 Stimmen bei 4 Enthaltungen deutlich an. Der Antrag Giezendanner fand nur bei einer Mehrheit der SVP-Fraktion sowie vereinzelten Mitgliedern der Mitte-Fraktion Zustimmung.

Rasche Gewährleistung einer ausgewogenen, leistungsfähigen und attraktiven Ost-West-Achse der Bahn (Mo. 22.4263)

In der Wintersession 2022 beriet der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP. Die Initiative selbst sollte erst in einem zweiten Schritt beraten werden, um den Initiantinnen und Initianten die Möglichkeit zu geben, die Initiative in der Zwischenzeit zurückzuziehen. Erich Ettlin (mitte, OW) stellte dem Rat den Gegenvorschlag vor und betonte, dass der Bundesrat damit die Kantone in die Pflicht nehmen wolle – für den Bund würde die Vorlage denn auch keine neuen Verpflichtungen mit sich bringen. Bei den Kantonen, namentlich der FDK und der GDK, sei die Vorlage jedoch auf Widerstand gestossen; die FDK lehne Initiative und Gegenvorschlag ab, während die GDK «nur» Verbesserungen am Gegenvorschlag verlange. Die SGK-SR habe in der Folge einige Änderungen vorgenommen, sei bei ihrem Entwurf aber nahe an der bundesrätlichen Version geblieben. Zur Beratung dieser Details gelangte der Ständerat jedoch nicht. Zuvor hatte er einen Einzelantrag Würth (mitte, SG) auf Nichteintreten zu beraten. Bevor man über Verbesserungen am Gegenvorschlag diskutiere, solle man überlegen, «ob das geltende System wirklich revisionsbedürftig» sei, argumentierte Würth. Das aktuelle System sei im Rahmen der NFA geschaffen worden, wobei man den Kantonen bezüglich Prämienverbilligungen absichtlich viel Spielraum gelassen habe, zumal sie die sozialpolitische Situation – etwa alternative sozialpolitische Massnahmen, Einkommensverteilung, Gesundheitskosten und Prämienlast – am besten kennen würden. Wolle man die Regeln zur IPV erneut ändern, solle man das durch eine Entflechtung der Aufgaben von Bund und Kantonen tun, nicht durch eine noch stärkere Verflechtung, wie sie der Gegenvorschlag beinhalte. Zudem seien die Kantonsbeiträge aufgrund der Finanzkrise zwar deutlich gesunken, in den letzten Jahren aber wieder angestiegen. Auch Jakob Stark (svp, TG) zeigte sich vom Gegenvorschlag des Nationalrats nicht begeistert, er erachtete diesen als «dirigistisch-zentralistische Lösung [...], die den Kantonen den Spielraum nimmt».
Für Eintreten sprachen sich hingegen Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) und Paul Rechsteiner (sp, SG) aus. Bei der Schaffung des KVG habe man das Versprechen gegeben, dass aufgrund der Prämienverbilligungen niemand mehr als 8 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien aufbringen müsse – quasi als «Korrektiv der Kopfprämien» (Rechsteiner). Durch die Änderung im Rahmen der NFA sei das System dysfunktional geworden, weil die Kantone keine Mindestbeiträge mehr leisten müssten. Heute liege der Anteil der Krankenkassenprämien bei durchschnittlich 14 Prozent des Einkommens, in Extremfällen gar bei 20 Prozent. Mit der Initiative und dem Gegenvorschlag wolle man nun zum damaligen System zurückkehren.
Gesundheitsminister Berset rief dem Rat den Kontext des Projekts in Erinnerung, nämlich die Initiative, «[qui] aurait des conséquences financières assez importantes pour la Confédération», die also bei Annahme grosse finanzielle Auswirkungen für den Bund hätte. In den letzten Jahren seien die Beiträge der Kantone an die Prämienverbilligungen – wie von der Initiative kritisiert – stark auseinandergegangen, daher sei es nötig, hier wieder für mehr Konvergenz zu sorgen.
Mit 22 zu 20 Stimmen sprach sich der Ständerat jedoch gegen Eintreten aus. Geschlossen für Eintreten stimmten die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion, gespalten zeigte sich die Mitte-Fraktion. Geschlossen oder fast geschlossen gegen Eintreten votierten die Mitglieder der SVP- und der FDP-Fraktion.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

2. November 2022: Der Rücktritt von Simonetta Sommaruga

Am 25. Oktober, also kurz nachdem die fünf Kandidierenden der SVP offizialisiert waren, gab Simonetta Sommaruga via den Departementssprechenden bekannt, dass sie ihre Regierungstätigkeit temporär unterbrechen müsse, da ihr Ehemann Lukas Hartmann hospitalisiert worden sei. Dies war dann auch die Ursache für die wenige Tage später sehr überraschend erfolgende Rücktrittsankündigung der amtierenden Energie- und Verkehrsministerin: Am 2. November gab Simonetta Sommaruga ihren auch für sie persönlich abrupten Rücktritt auf Ende Jahr bekannt, weil der Hirnschlag ihres Mannes für sie ein schwerer Schock gewesen sei und gezeigt habe, dass sie die Schwerpunkte in ihrem Leben anders setzen wolle. Den Tränen nahe beteuerte die Bernerin, dass sie gerne Bundesrätin gewesen sei und eigentlich geplant habe, dies auch noch eine Weile zu bleiben. So ein Schicksalsschlag stimme aber nachdenklich und verschiebe die Prioritäten. Die 2010 in den Bundesrat gewählte Simonetta Sommaruga war zuerst Justizministerin bevor sie 2019 das UVEK übernommen hatte.

In den Medien wurde die SP-Magistratin als populäre Bundesrätin gewürdigt, die allerdings häufig Abstimmungsniederlagen in Kauf habe nehmen müssen (Le Temps) – die Schlimmste darunter sei wohl das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP gewesen. Im Zentrum ihrer Arbeit hätten stets die Menschen gestanden, urteilte der Blick. Die NZZ bezeichnete sie als «clever» und «beharrlich» mit einem «Hang zur Perfektion», der ihre Auftritte auch «angestrengt und belehrend» habe wirken lassen. Sie habe aber für eine SP-Bundesrätin auch dank «stoischer Beharrlichkeit» letztlich überraschend viele Vorlagen durch das Parlament gebracht. Die Aargauer Zeitung würdigte Simonetta Sommaruga als «Mensch gewordenes Verantwortungsgefühl», als «Bundesrätin, die niemals die Kontrolle verlieren will». Alle ausser der SVP hätten sie geliebt, titelte La Liberté. Die WoZ erinnerte angesichts der Betroffenheit, die Simonetta Sommaruga bei ihrer Rücktrittsmedienkonferenz ausgelöst hatte, daran, dass die Magistratin seit ihrer Wahl in den Bundesrat immer wieder von Teilen der Medien und der SVP angegriffen worden sei: «An der Bernerin offenbarte sich die Verunsicherung rechter Männer vor linken, machtbewussten Frauen», so die WoZ. In der Tat warf etwa Roger Köppel (svp, ZH) der Magistratin nach ihrem auch für den Bundesrat und ihre Partei überraschenden Rücktritt in der Weltwoche Parteikalkül und «Flucht» vor, weil sie schon lange «ermattet und ermüdet» sei. Dies stiess in vielen Medien freilich auf Kritik, da der Entscheid private Gründe habe und Respekt verdiene, so etwa der Tages-Anzeiger. Allerdings kommentierte die NZZ, dass der Rücktritt zwar verständlich sei, in Anbetracht der schwierigen Lage hinsichtlich Energieversorgung aber zur Unzeit komme. Ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger müsse nun innert kürzester Zeit «eine der schwersten Krisen für die Schweiz seit Jahrzehnten» meistern.

Auch bei der SP begann das von den Medien in Schwung gehaltene Kandidierendenkarussell noch am Tag der Demission von Simonetta Sommaruga zu drehen. Daran beteiligte sich freilich auch aktiv die Parteispitze, die unmittelbar ankündigte, dass die SP ein reines Frauenticket präsentieren werde, wobei egal sei, aus welcher Sprachregion die Kandidatinnen stammten. Da die SP mit Alain Berset bereits einen Mann in der Bundesregierung habe und den Grundsatz der Geschlechterparität pflegen wolle, sei ein reines Frauenticket angezeigt, so die Begründung des SP-Co-Präsidiums aus Mattea Meyer (sp, ZH) und Cédric Wermuth (sp, AG). In den Medien wurden entsprechend schnell Favoritinnen ernannt: Sehr häufig fielen dabei die Namen der Ständerätin Eva Herzog (sp, BL), der Nationalrätinnen Flavia Wasserfallen (sp, BE) und Nadine Masshardt (sp, BE) sowie der Regierungsrätinnen Jacqueline Fehr (ZH, sp) oder Evi Allemann (BE, sp). Obwohl sich vor allem die Westschweizer Medien nur geringe Chancen für eine Kandidatur aus der Westschweiz ausrechneten (beispielsweise Le Temps), da in diesem Fall vier nicht deutschsprachige Personen im Bundesrat sitzen würden – zwei davon für die SP –, fielen auch die Namen der Regierungsrätinnen Rebecca Ruiz (VD, sp) und Nuria Gorrite (VD, sp) sowie der Ständerätinnen Marina Carobbio (sp, TI) und Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU). Co-Präsidentin Mattea Meyer (sp, ZH) gab hingegen sofort bekannt, nicht zur Verfügung zu stehen.

Die in den Medien als vorschnell kritisierte Ankündigung der Parteispitze, ein reines Frauenticket präsentieren zu wollen, gab Raum für weitere Spekulationen. Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) etwa wurden laut Medien schon lange Bundesratsambitionen nachgesagt. Diese würden freilich stark geschmälert, wenn eine Deutschschweizer SP-Frau Simonetta Sommaruga beerben würde, weil für eine allfällige spätere Nachfolge von Alain Berset dann wohl Westschweizer Männer im Vordergrund stehen würden. Auch Regierungsrat Beat Jans (BS, sp) und die Nationalräte Matthias Aebischer (sp, BE) oder Jon Pult (sp, GR) dürften ob der Ankündigung «frustriert» sein, mutmasste La Liberté. Für den Westschweizer Nationalrat Pierre-Yves Maillard (sp, VD) sei der Fokus auf eine (Deutschschweizer) Frau hingegen eine gute Nachricht, mutmasste der Tages-Anzeiger wiederum im Hinblick auf eine Nachfolge von Alain Berset. Zu den eigentlichen Verliererinnen der SP-Strategie gehörten neben den Deutschschweizer Männern aber auch die Westschweizer Frauen, die sich eine Kandidatur eher zweimal überlegen dürften, analysierte 24Heures. Einerseits seien die Chancen gering, dass das Parlament eine vierte romanischsprachige Person in den Bundesrat wähle, und andererseits werde wohl bei einem Rücktritt von Alain Berset dann lediglich ein Männerticket aufgestellt.

Der SP blieben für die Kandidierendensuche nur wenige Tage. Sie setzte sich als Meldeschluss den 21. November, damit die Fraktion am 26. November ein Zweierticket nominieren konnte. Der Rücktritt Simonetta Sommarugas habe die Partei auf dem falschen Fuss erwischt, beurteilte der Blick die kurze Zeitspanne. Bevor sich die ersten Kandidierenden meldeten, kam es wie zuvor schon bei der SVP auch bei der SP zu einer Reihe von medial mehr oder weniger stark begleiteten Absagen. Ausser Mattea Meyer verzichteten neben den genannten Favoritinnen Jacqueline Fehr, Nadine Masshart, Rebecca Ruiz, Nuria Gorrite und Marina Carobbio auch die Nationalrätinnen Priska Seiler Graf (sp, ZH), Barbara Gysi (sp, SG), Edith Graf-Litscher (sp, TG), Yvonne Feri (sp, AG) und die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (ZH, sp) mit offiziellen Presseauftritten auf eine Kandidatur. Nach kurzer Bedenkzeit und grosser medialer Aufmerksamkeit verzichtete auch die ehemalige Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer (AG, sp) auf eine Kandidatur. Sie war gar mittels Petition von mehreren Personen zu einer Kandidatur aufgefordert worden. Das habe sie sehr berührt, eine Rückkehr in die Politik sei aber für sie kein Thema. Auch die Absage von Flavia Wasserfallen war den Medien mehr als eine Kurzmeldung wert. Wie Esther Friedli (svp, SG) bei der SVP wollte sich die Bernerin auf die Ständeratswahlen 2023 konzentrieren und den Sitz des auf Ende Legislatur zurücktretenden Hans Stöckli (sp, BE) verteidigen.

Im Gegensatz zu Jon Pult, der den Entscheid der SP-Spitze für ein reines Frauenticket befürwortete und sich entsprechend nicht zur Verfügung stellte, wollte sich Daniel Jositsch nicht aus dem Rennen nehmen. Er erhielt dabei Zuspruch von bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die das Vorgehen der SP-Parteileitung in den Medien als «diktatorisch» (Alfred Heer, svp, ZH) bezeichneten oder kritisierten, dass es «mit Gleichberechtigung nicht mehr viel zu tun habe» (Josef Dittli, fdp, UR). Jositsch liess verlauten, dass er sich eine Kandidatur überlege, wenn die Fraktion auch Männer zulasse. Dafür werde er sich parteiintern einsetzen, weil er ein reines Frauenticket als «diskriminierend» erachte. Es handle sich um eine Einschränkung der Wahlfreiheit, die dem Passus in den Statuten der SVP nahekomme, der jedes Mitglied automatisch ausschliesse, wenn es eine Wahl annehme, ohne von der Partei nominiert worden zu sein. Seine damit offiziell angekündigte Kandidatur brachte dem Zürcher Ständerat zahlreiche negative Kommentare ein. Der am rechten Rand der SP politisierende Daniel Jositsch fordere seine eigene Partei heraus und schaffe sich damit zahlreiche Feinde, befand LeTemps. Die «Granate Jositsch explodierte im Gesicht der SP», titelte 24Heures: «Il est vieux, blanc, mâle et riche», also alles, was die neue Garde der SP im Moment «verabscheue», so die Westschweizer Zeitung. Der Tages-Anzeiger warf Jositsch vor, mit dem «unsäglichen Theater» Frauen zu brüskieren, solange diese in den verschiedenen politischen Gremien nach wie vor nicht angemessen vertreten seien. Er sei auf einem «Egotrip», überschätze sich völlig und zeige damit nachgerade auf, dass er eben nicht geeignet sei für ein Bundesratsamt, zitierte der Blick verschiedene SP-Stimmen. Er habe Goodwill verspielt und müsse für den «Hochseilakt ohne Netz» wohl noch büssen. Die WoZ kritisierte, dass nach «173 Jahren Patriarchat [...] ein Mann auch heute noch nicht glauben [will], dass der eigene Karriereverzicht ein Akt der Gleichstellung sein kann». Auch die Weltwoche schrieb von «Selbstdemontage». Allerdings erhielt Jositsch auch Unterstützung aus der eigenen Fraktion. Sich auf ein reines Frauenticket zu konzentrieren sei «demokratisch und strategisch ungeschickt», meldete sich etwa Nationalrätin Franziska Roth (sp, SO) im Blick zu Wort. Es brauche Wettbewerb zwischen Frauen und Männern und keine Reduktion der Kandidierenden auf ihr Geschlecht. Roberto Zanetti (sp, SO) kritisierte vor allem die Parteileitung: «Ich mag es nicht, wenn man mir vorschreibt, wie ich mir meine Gedanken machen soll», so der Ständerat, der in der Folge ein Dreierticket vorschlug. Die Frage werde fraktionsintern wohl noch zu reden geben, vermutete der Blick. Die Fraktion selber versuchte etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie verkündete, den Vorschlag der Parteispitze für ein reines Frauenticket bzw. den Antrag von Jositsch auf ein gemischtes Ticket an ihrer Fraktionssitzung am 18. November zu diskutieren. Es sei der Verdienst von Jositsch, dass das Thema offen diskutiert werde, urteilte die NZZ. Er verdiene auch deshalb einen «fairen Prozess».

Nach der Kandidatur von Jositsch verging einige Zeit, bis die ersten Kandidatinnen ihre Bewerbung einreichten. Die erste Frau, die sich schliesslich am 10. November mit einer Kandidatur meldete, war Evi Allemann. Damit habe es die SP «geschafft, eine junge Mutter ins Rennen zu schicken [... und] mit einer Art Sanna Marin [...] für frischen Wind [zu] sorgen» (die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin war jüngste Ministerpräsidentin weltweit und bei ihrem Amtsantritt Mutter einer einjährigen Tochter). Die ehemalige Nationalrätin und seit 2018 Berner Regierungsrätin – und Mutter zweier Kinder im Alter von elf und sieben Jahren, wie sogleich in allen Medien berichtet wurde – habe allerdings national kaum Schlagzeilen gemacht, zudem könnte es ein Nachteil sein, dass sie seit fünf Jahren nicht mehr im nationalen Parlament sitze, mutmasste der Blick. Allemann sei nicht die Wunschkandidatin der SP gewesen, wusste 24Heures. Sie habe nicht das Charisma von Flavia Wasserfallen, die in Bundesbern wesentlich häufiger als Favoritin genannt worden sei. Die Kandidatur von Evi Allemann, die eine Bilderbuchkarriere ohne Kanten aufweise und bereits mit 20 Jahren in den Berner Grossen Rat gewählt worden war – 1998 war sie die jüngste Kantonsparlamentarierin der Schweiz – und 2003 den Sprung in den Nationalrat geschafft hatte, habe aber ein grosses «ouf de soulagement» bei der Parteileitung ausgelöst, so 24Heures weiter. Evi Allemann sei auch in bürgerlichen Kreisen beliebt und zeichne sich durch Pragmatismus aus. Sie habe zudem auf Anhieb jedes politische Mandat erhalten, das sie angestrebt habe, so der Tages-Anzeiger. Dass sie nicht mehr in Bundesbern sei, sei für die ehemalige VCS-Präsidentin allerdings ein Handicap, urteilte auch die NZZ.

Als klare Favoritin wurde in den Medien freilich Eva Herzog gehandelt, die tags darauf ihre Kandidatur bekannt gab. «Eva Herzog est la Albert Rösti du Parti socialiste» – sie sei die mit Abstand am häufigsten genannte Favoritin –, berichtete etwa Le Temps über die Kandidatur der Basler Ständerätin. Sie könne einige Trümpfe aufweisen, wie etwa ihre 19-jährige Erfahrung als Finanzvorsteherin des Kantons Basel-Stadt und ihre Ständeratskarriere seit 2019. Ihre gescheiterte Bundesratskandidatur im Jahr 2010, als sie von der Fraktion für die Nachfolge von Moritz Leuenberger nicht aufs Ticket gesetzt worden war, sei zudem ebenfalls kein Nachteil. Schliesslich sei der Kanton Basel-Stadt seit 1973 nicht mehr im Bundesrat vertreten gewesen. Dies sei auch ein Vorteil gegenüber der Bernerin Evi Allemann, waren sich die meisten Medien einig. Auch der Blick machte Eva Herzog zusammen mit Albert Rösti sogleich zum «Favoriten-Duo» und betonte «die Lust aufs Amt und den Gestaltungswillen», den die Baslerin versprühe. Als Nachteil bezeichnete 24Heures das fehlende Charisma von Eva Herzog. Sie sei «un peu cassante», wirke häufig ein wenig spröde.

Einen weiteren Tag später warf die vierte Kandidatin der SP ihren Hut in den Ring. «Elisabeth Wer?», titelte die WoZ in Anspielung auf die zumindest in der Deutschschweiz geringe Bekanntheit von Elisabeth Baume-Schneider, die ähnlich wie Eva Herzog seit 2019 im Ständerat sitzt und vorher während 13 Jahren im Kanton Jura als Regierungsrätin das Bildungsdepartement geleitet hatte. Ebendiese Unbekanntheit sei das grosse Manko der Kandidatin aus der Romandie, waren sich zahlreiche (Deutschschweizer) Medien einig. Auch wenn von der SP-Parteileitung explizit auch Frauen aus der lateinischen Schweiz zu einer Kandidatur aufgefordert worden seien, werde die Vereinigte Bundesversammlung kaum eine Mehrheit von nicht-deutschsprachigen Personen im Bundesrat goutieren, prognostizierte Le Temps – auch wenn Elisabeth Baume-Schneider bilingue ist, ihr Vater ist Deutschschweizer. Dass die Jurassierin «rien à perdre» habe, könne ihr aber auch zum Vorteil gereichen. Die Chancen seien «mince, mais pas nulles», hoffte Le Quotidien Jurassien. Es könnte sich gar für die Zukunft lohnen, den bisher noch nie im Bundesrat repräsentierten peripheren Kanton Jura bekannter zu machen, befand Le Temps mit Blick auf eine mögliche Wahl bei einem Rücktritt von Alain Berset. Für den Kanton sei dies «une belle publicité», so Le Temps. Zudem habe die ehemalige Regierungsrätin im Jura viel Rückhalt, so die Westschweizer Zeitung weiter. In der Tat gab der jurassische Regierungsrat ihre Kandidatur gar in einem Communiqué bekannt und stellte sich mit der Ankündigung, sie könne den Röstigraben verkleinern, öffentlich hinter seine ehemalige Kollegin. In den Medien wurde zudem Elisabeth Baume-Schneiders Nähe zur Landwirtschaft betont. Thema war freilich auch ihr Alter, das als «Handicap» gewertet wurde, weil sich die SP eine jüngere Frau wünsche, so der Blick. Die 58-jährige Ständerätin aus dem Kanton Jura gab zudem in Interviews zu Protokoll, dass sie sich mit 65 Jahren pensionieren lassen wolle. Sie betrachte sich deshalb als «conseillère fédérale de transition», so ihre Aussage in 24Heures. Eva Herzog bleibe aber auch deshalb Favoritin, weil die Jurassierin eher am linken Rand der SP politisiere und das Parlament deshalb weniger gut von sich überzeugen könne als die eher am rechten Rand der SP einzuschätzende Eva Herzog, so der Blick weiter. 24Heures befand zudem, dass Elisabeth Baume-Schneider das grünste Profil der SP-Kandidierenden habe, was ihr allenfalls Stimmen von den Grünen einbringen könnte. Kaum zur Sprache kam hingegen, dass die Jurassierin in ihren Jugendjahren bei der Revolutionären Marxistischen Liga politisiert hatte, galt sie doch auch in bürgerlichen Kreisen als «sehr konziliant». In Interviews gaben Ständerätinnen und Ständeräte aus allen Lagern etwa der Aargauer Zeitung zu Protokoll, sie sei «lösungsorientiert, ohne den grossen Auftritt zu suchen», «verlässlich und kollegial», «seriös, aber nicht verbissen» und sie strahle eine «positive Leichtigkeit» aus. Hingegen wurde das Thema Mutterschaft auch bei der Kandidatin aus dem Kanton Jura diskutiert: Der Blick wusste zu berichten, dass Elisabeth Baume-Schneider zwar nicht mehr das Profil der jungen Mutter habe, wie dies von der SP gewünscht werde, sie habe aber bereits im Jahr 2000 landesweit für Schlagzeilen gesorgt, weil sie damals als Parlamentspräsidentin ihr Baby an eine Sitzung im Jurassischen Parlament mitgenommen habe. Die Frage, ob ein Exekutivamt mit Kindern möglich sei, sei für Elisabeth Baume-Schneider deshalb ein «Déjà-vu». Die Sanna Marin, die die SP heute im Bundesrat haben wolle, sei die zweifache Mutter Elisabeth Baume-Schneider schon vor 20 Jahren gewesen, bemühte die Aargauer Zeitung den Vergleich mit der finnischen Präsidentin ein weiteres Mal.

Bevor die SP über die Nominierung entschied, stand die mit einiger Spannung erwartete Lösung der «Frage Jositsch» an. In den Medien hatte der Wind in der Zwischenzeit etwas gedreht und die SP wurde für ihr mangelndes strategisches Geschick kritisiert. Dass sofort kommuniziert worden sei, nur auf Frauen zu setzen, habe die Partei unnötigen Spannungen ausgesetzt, war in zahlreichen Medien zu lesen. In der Zwischenzeit hatte sich zudem die «Reformplattform», ein loser Zusammenschluss moderat-zentristischer Kräfte der SP, hinter Jositsch gestellt. Im Hinblick auf die eidgenössichen Wahlen 2023 habe die SP aber wohl keine andere Wahl, als mit einer Frau und einem Mann im Bundesrat vertreten zu sein, was nur ein reines Frauenticket garantiere, ergänzte der Tages-Anzeiger. Als Gleichstellungspartei sei sie sonst nicht glaubwürdig. Alles andere wäre denn auch «politisches Harakiri», urteilte auch die Republik. Denn würde Jositsch auf dem Ticket stehen, würde er «mit hoher Wahrscheinlichkeit» gewählt, was dem mächtigen «Momentum von feministischer Politik» völlig zuwiderlaufen und Proteste auslösen würde. Auch der 80-köpfige Parteirat, eine Art Parlament innerhalb der Partei, stärkte der Parteileitung den Rücken und sprach sich einstimmig für ein reines Frauenticket aus. Die diese Frage letztlich entscheidende Fraktion selber tagte dann am 18. November und sprach sich laut ihrem Chef Roger Nordmann (sp, VD) klar mit 37 zu 6 Stimmen (2 Enthaltungen) dafür aus, nur Frauen zu nominieren. Daniel Jositsch habe sich eloquent verteidigt, respektiere aber das Urteil, so Nordmann weiter. Der Vorschlag für ein Dreierticket sei mit 26 zu 19 Stimmen abgelehnt worden. In einem kurzen Statement gab Daniel Jositsch im Anschluss an die Fraktionssitzung den Medien zu Protokoll, er verstehe den Entscheid, es gebe keine innerparteilichen Konflikte und er ziehe seine Kandidatur angesichts der exzellenten Kandidatinnen zurück. Die Diskussionen seien freilich nicht so glatt verlaufen, wie dies für die Presse dargestellt worden sei, wusste der Tages-Anzeiger zu berichten. Vor allem die Parteispitze habe sich von einigen Fraktionsmitgliedern harsche Kritik anhören müssen: Dass Mattea Meyer und Cédric Wermuth unmittelbar nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga eigenmächtig ein Frauenticket angekündigt hätten, zeuge von schlechtem Kommunikationsstil und mangelndem Vertrauen in die Fraktion, so die interne Kritik laut Tages-Anzeiger.

Spannend blieb in der Folge also die Frage, welche beiden Kandidatinnen von der Fraktion aufs Ticket gehievt werden. Im Vorfeld der entsprechenden Fraktionsentscheidung vom 26. November hatte die SP vier von ihr so benannte «öffentliche Hearings» in Luzern, Lausanne, Zürich und Liestal geplant, in denen die drei Kandidatinnen Red und Antwort stehen – und «mit dem personellen Spektakel etwas Werbung» für die Partei machen sollten, wie die NZZ vermutete. Alle vier Hearings verliefen ohne Überraschungen. Es gebe kaum Unterschiede in den Positionen der drei Kandidatinnen war die ziemlich einhellige Meinung der Medien, was das Rennen um die Plätze auf dem Ticket freilich nur spannender mache.

Die Entscheidung der SP-Fraktion, Eva Herzog und Elisabeth Baume-Schneider auf das Ticket zu setzen, sorgte dann doch bei vielen Beobachterinnen und Beobachtern für überraschte Gesichter und einige Kritik. Der Entscheid habe etwas Zufälliges, urteilten einige Medien gestützt auf den Wahlprozess in der Fraktion, über den medial berichtet wurde. In den ersten beiden Wahlgängen waren die Unterschiede jeweils knapp, einmal verfügte Elisabeth Baume-Schneider und einmal Evi Allemann über die meisten Stimmen. Erst im dritten Wahlgang, in dem keine Zweitstimmen mehr zugelassen waren, war das Ergebnis schliesslich klar genug: 24 Stimmen für Eva Herzog, 23 für Elisabeth Baume-Schneider und lediglich noch 14 für Evi Allemann, die also für viele Fraktionsmitglieder anscheinend jeweils zweite Wahl gewesen war. Ausgerechnet die in den letzten Wochen so breit diskutierte «junge Mutter» hatte es damit nicht auf das Ticket geschafft. Dies stiess bei zahlreichen Beobachterinnen und Beobachtern auf Kritik. Die Sonntagszeitung wusste zu berichten, dass es in der Fraktion zwei Lager gegeben habe: Das eine habe auf die moderatere Eva Herzog gesetzt, während das andere vorwiegend aus Romand.e.s bestanden habe, unterstützt von Fraktionsmitgliedern, die bei der nächsten Vakanz die Wahlchancen Deutschschweizer Männer erhöhen wollten. Dieses Lager habe die eher links politisierende Westschweizer Kandidatin Elisabeth Baume-Schneider präferiert. Dies wiederum weckte Unbill bei der FDP, die sich im Vorfeld dezidiert gegen eine lateinische Mehrheit im Bundesrat ausgesprochen und bei der SP entsprechende Forderungen angemeldet hatte. Auch die SVP kritisierte die Auswahl, weil die Gefahr bestehe, dass am Schluss nur noch Kantone im Bundesrat vertreten seien, die im Finanzausgleich zu den Nehmerkantonen gehörten. Der Sonntagsblick hatte im Vorfeld der Fraktionssitzung eine Bevölkerungsbefragung durchführen lassen, bei der sich zeigte, dass die Mehrheit der Befragten ebenfalls die beiden Ständerätinnen auf das Ticket gesetzt hätte. Laut der Montagspresse änderte diese Vorauswahl allerdings wenig an der Ausgangslage: Wie bei der SVP Albert Rösti bleibe auch bei der SP Eva Herzog klare Favoritin. Die Aargauer Zeitung bezeichnete die Nomination von Elisabeth Baume-Schneider als «taktisch». Sie sei für Herzog die ungefährlichere Partnerin auf dem Ticket. Elisabeth Baume-Schneider selber war sich ihrer Outsider-Rolle bewusst, aber man könne ja nie wissen, gab sie dem Quotidien Jurassien zu Protokoll.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

Anfänglich habe man die E-Zigarette als «ein Mittel zur Rauchentwöhnung» erachtet, erklärte der Bundesrat in seiner Botschaft zur Änderung des Tabaksteuergesetzes zur Besteuerung von E-Zigaretten. Folglich habe man die E-Zigaretten aufgrund einer Motion Zanetti (sp, SO; Mo. 11.3178) im April 2012 von der Tabaksteuer befreit – diese Änderung solle nun teilweise rückgängig gemacht werden. In Umsetzung einer überwiesenen Motion der SGK-SR (Mo. 19.3958) soll bei E-Zigaretten erneut eine Tabaksteuer erhoben werden. Konkret soll die nikotinhaltige Flüssigkeit für E-Zigaretten mit nachfüllbaren Behältern sowie mit Einwegkartuschen und -kapseln besteuert werden, wobei der Steuersatz 20 Rp. pro Milliliter betragen und 93 Prozent unter demjenigen von klassischen Zigaretten liegen soll. Bei Einweg-E-Zigaretten werden hingegen sowohl die nikotinhaltige als auch die nikotinlose Flüssigkeit besteuert, hier soll der Steuersatz CHF 1 pro Milliliter betragen und 67 Prozent unter demjenigen der klassischen Zigaretten zu liegen kommen. Der Bundesrat erhoffte sich von dieser Besteuerung eine präventive Wirkung beim Jugendschutz ohne Abschreckung der «aufhörwillige[n] Raucherinnen und Raucher». Die geschätzten Zusatzeinnahmen von CHF 13.8 Mio. jährlich sollen wie die übrige Tabaksteuer der AHV und der IV zugutekommen.

Die Vernehmlassung zum Entwurf, welche zwischen Dezember 2021 und März 2022 stattgefunden hatte, war auf reges Interesse gestossen: Es waren 572 Stellungnahmen eingegangen, wobei die Wiedereinführung der Besteuerung breit begrüsst worden war – einzig die SVP und verschiedene Privatpersonen hatten sich dagegen ausgesprochen. Als Reaktion auf die Vernehmlassungsantworten hatte der Bundesrat die Steuerbemessung vereinheitlicht, sodass diese neu eben in Abhängigkeit der Menge nikotinhaltiger Flüssigkeit erfolgen soll. Auf Wunsch insbesondere von Präventionsorganisationen habe man überdies den Steuertarif auf Einweg-E-Zigaretten erhöht und zum Jugendschutz etwa auch nikotinlose Einweg-E-Zigaretten in die Steuer einbezogen, berichtete der Bundesrat in seiner Botschaft.

Änderung des Tabaksteuergesetzes zur Besteuerung von E-Zigaretten (BRG 22.069)

30. September 2022: Der Rücktritt von Ueli Maurer

Obwohl immer wieder über seinen Rücktritt spekuliert worden war, kam die Ankündigung von Ueli Maurer, nach 14 Jahren Regierungstätigkeit Ende 2022 sein Bundesratsmandat niederzulegen, einigermassen überraschend. Maurer selber hatte nach den letzten Spekulationen vor gut einem Jahr verlauten lassen, er werde mindestens bis Ende Legislatur (also bis Oktober 2023) in der Regierung bleiben und dann vielleicht gar nochmals vier Jahre anhängen. Am 30. September 2022 liess er dann aber an einer Pressekonferenz verlauten, er wolle wieder «der normale Ueli» sein und habe noch einige private Projekte in Planung. Mit 71 Jahren war Maurer der älteste amtierende Bundesrat seit Einführung der Zauberformel. Maurer war 2008 für Samuel Schmid in den Bundesrat gewählt worden und hatte damit die kurze Oppositionsphase der SVP beendet. Er hatte zuerst das Verteidigungsdepartement übernommen, bevor er 2015 ins Finanzdepartement gewechselt war. In den Medien wurde Maurer als «erfolgreichster Politiker der Schweiz» (St. Galler-Tagblatt) beschrieben, allerdings auch dafür kritisiert, dass er häufig mit den Grenzen der Kollegialität gespielt habe und aufgrund seines schlechten Französisch nur einen «reduzierten Kontakt mit der Romandie» gepflegt habe (Le Temps). Im Parlament habe er als Finanzminister grossen Respekt genossen, gaben mehrere Parlamentsmitglieder zu Protokoll. Gelobt wurden zudem seine umgängliche Art, seine Dossierkenntnis und sein Pragmatismus. Er sei sich treu, bodenständig und bescheiden geblieben, urteilte der Blick. Der «widerborstige Bauernsohn» habe sich «nicht vom System vereinnahmen lassen», fasste die Aargauer Zeitung zusammen. Der «erstaunlich wandlungsfähige» Maurer gehöre «zu den Politikern, die zu Anfang ihrer Karriere belächelt, später gefürchtet oder gehasst und am Schluss respektiert werden», befand die NZZ. Auch der «launische Umgang» mit den Medien war Gegenstand der medialen Würdigungen: Der Tages-Anzeiger bezeichnete den SVP-Magistraten als den letzten «Oppositions-Bundesrat» – «mäandriered zwischen den Rollen als Staatsmann und Oppositioneller» habe er es allerdings geschafft, die Konkordanz nach den unruhigen Jahren nach Christoph Blocher und Eveline Widmer-Schlumpf wieder zu stabilisieren. Die Weltwoche vermutete, dass «dem Berner Politikbetrieb» die Spontanität Maurers bald fehlen werde. Kritischer urteilte die WoZ: Maurer habe «wesentlich dazu beigetragen [...], rechtspopulistische Hetze zu normalisieren».

Bereits am Tag nach der Rücktrittsankündigung überboten sich die Medien mit Spekulationen über mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger von Ueli Maurer. Am häufigsten genannt wurden die Nationalrätinnen Esther Friedli (svp, SG) und Céline Amaudruz (svp, GE), die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (ZH, svp), die Nationalräte Albert Rösti (svp, BE), Gregor Rutz (svp, ZH) und Thomas Aeschi (svp, ZG), der frühere Parteipräsident und Nationalrat Toni Brunner (SG, svp) sowie der Aargauer Regierungrat Jean-Pierre Gallati (AG, svp). Albert Rösti galt in den meisten Medien als Kronfavorit. Seine einzige Schwäche sei, dass Christoph Blocher, der «noch immer ein entscheidendes Wort mitzureden» habe, wie der Blick wusste, gegen ihn ein Veto einlegen könnte. Dies gelte nicht für Esther Friedli, die als mögliche erste SVP-Bundesrätin gehandelt wurde. Dass neben Karin Keller-Sutter eine zweite St. Gallerin bereits in der Regierung sitze, sei kein Problem, urteilten vor allem die Ostschweizer Medien. Eine früher oft gehandelte Anwärterin auf einen Bundesratssitz, Magdalena Martullo-Blocher gab hingegen noch am Tag von Maurers Rücktritt bekannt, kein Interesse am Regierungsamt zu haben. Ebenfalls unverzüglich aus dem Rennen nahmen sich Roger Köppel (svp, ZH) und Franz Grüter (svp, LU). Auch Diana Gutjahr (svp, TG) erteilte entsprechenden medialen Anfragen eine Absage, da für sie «als junge Mutter [...] der richtige Zeitpunkt für eine Bundesratskandidatur nicht gegeben» sei, wie das St. Galler-Tagblatt bedauerte. Auch Toni Brunner schloss einen Rücktritt auf die nationale Bühne bald aus und nach einiger Bedenkzeit verzichtete auch seine Lebenspartnerin Esther Friedli. Sie wolle ihre regionale Verankerung für den Ständeratswahlkampf nutzen, der aufgrund des Rücktritts von Paul Rechsteiner (sp, SG) im kommenden Frühling 2023 anstand. Bundesrätin werden sei hingegen kein Lebensziel von ihr.

Nachdem sowohl Natalie Rickli als auch der ebenfalls angefragte Regierungsrat Ernst Stocker (ZH, svp) und auch Gregor Rutz bekannt gegeben hatten, nicht für die Nachfolge Maurers kandidieren zu wollen, schien sich abzuzeichnen, dass der Kanton Zürich in Kürze zum zweiten Mal in der Geschichte nicht im Bundesrat vertreten sein könnte. Nur während knapp sieben Jahren zwischen dem Rücktritt von Elisabeth Kopp (1989) und der Wahl von Moritz Leuenberger (1995) war der bevölkerungsreichste Kanton der Schweiz nicht in der eidgenössischen Regierung präsent gewesen und stellte folglich bisher mit 20 Magistratinnen und Magistraten die meisten Bundesratsmitglieder aller Kantone. Von einer «Blamage» für die kantonalzürcherische SVP, die es versäumt habe, rechtzeitig für mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger zu sorgen, sprach in der Folge der Tages-Anzeiger. Dass der Zürcher Flügel nicht vertreten sei, sei aber auch darauf zurückzuführen, dass die Kantonalpartei aufgrund der reihenweisen Absagen eine «Partei der Nein-Sager» sei, so der Blick weiter. Die «oppositionelle DNA der Zürcher SVP» entpuppe sich jetzt als Nachteil, analysierte die Aargauer Zeitung.

Im Gegensatz zum «Personalproblem» der Zürcher habe die Berner SVP einen Kandidaten zu viel, kommentierte der Tages-Anzeiger die Kandidatur von Werner Salzmann (svp, BE), der am 6. Oktober als erster offiziell ankündigte, Bundesrat werden zu wollen. Der Berner Ständerat betonte, er sei als Oberst der Schweizer Armee und Sicherheitspolitiker ein idealer Kandidat für das VBS. Salzmann stamme aus der Familie des BGB-Parteigründers Rudolf Minger, dem ersten Bundesrat der BGB (und späteren SVP) und habe entsprechend ein «Bundesrat-Gen», so der Tages-Anzeiger. Salzmann könne dem Favoriten Rösti zwar gefährlich werden, innerhalb der Berner SVP werde aber befürchtet, dass der Ständeratssitz verloren gehen könnte, wenn Salzmann in den Bundesrat gewählt würde, spekulierte der Tages-Anzeiger weiter. Wenige Tage später, am 10. Oktober 2023, gab auch Albert Rösti seine Kandidatur bekannt. Der Zweikampf zwischen den beiden Bernern bringe ein wenig Salz in den Wahlkampf, urteilte La Liberté. Allerdings vermuteten die Medien, dass der ehemalige Parteipräsident Rösti im Parlament mehr Rückhalt habe als Salzmann. Die BZ urteilte entsprechend, dass Röstis Kandidatur höchstens «wegen internen Widerstands» scheitern könnte. Die NZZ befand gar, dass die Kandidatur Röstis für Langeweile sorge, weil der «anstandslos anständige [...] Panorama-Politiker» kaum anecke – was eine wichtige Voraussetzung sei, um genügend Stimmen aus dem Parlament zu erhalten. Skeptischer zeigte sich die WoZ, die sich fragte, weshalb dem «Ölkönig», der «eine riesige Schadensbilanz» aufweise, so viele Sympathien zuflögen. Starke Kritik erwuchs Rösti auch in der Weltwoche, die befürchtete, dass Rösti seinen SVP-Kurs wohl aufgeben werde, wenn er im Bundesrat sitzen werde. Roger Köppel, Chefredaktor der Weltwoche, warnte vor einem «Kuckucksei» und einem «Trojanischen Pferd» für die SVP im Bundesrat. Rösti sei «der Prototyp eines Pöstchenjägers, ein Hansdampf an allen Kassen» und er sei mit seinem «Naturell des Jasagers» und als «Briefträger bezahlter Interessen» «der Falsche». Im Sonntagsblick wurde vermutet, dass «Atom-Rösti» auch deshalb im Parlament die grössten Chancen habe, weil er nicht die Kernthemen der SVP vertrete, sondern Energiepolitik betreibe. Würde er dem UVEK vorstehen, wäre dies «ein Coup», so der Sonntagsblick. Die zahlreichen Lobby-Mandate Röstis waren in der Folge ein ziemlich häufiges mediales Thema. Der Blick erinnerte schliesslich daran, dass die SVP mit den letzten Berner Vertretern in der Landesregierung nicht sehr glücklich gewesen sei. Sowohl Adolf Ogi, der innerparteilich als zu europafreundlich gegolten habe, als auch Samuel Schmid, der als «halber Bundesrat» bezeichnet worden war, hätten in der SVP selber nur wenig Rückhalt gehabt.

Am 15. Oktober gab der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler (ZG, svp), seit 2006 in der Zuger Kantonsregierung, bekannt, dass er die Innerschweiz und einen «boomenden Kanton» vertreten wolle. Als «zupackender Wirtschaftspolitiker» wolle er den beiden Berner Bewerbungen etwas entgegensetzen und der Partei eine Auswahl bieten. Es sei nicht gut, dass die Zentralschweiz seit dem Rücktritt von Kaspar Villiger im Jahr 2003 nicht mehr im Bundesrat vertreten sei. In zahlreichen Gesprächen sei er darauf aufmerksam gemacht worden, dass «diese Region wieder eine Stimme in der Landesregierung haben» müsse. Er wolle aber auch alle anderen finanzstarken Kantone vertreten, so Tännler in der Ankündigung seiner Kandidatur. In den Medien wurden Tännler trotz Exekutiverfahrung eher geringe Chancen eingeräumt, da er im Gegensatz zu Salzmann und Rösti nicht dem Bundesparlament angehöre, was häufig ein Nachteil sei. Zudem stehe er als Finanzdirektor des reichen Kantons Zug vor allem bei Linken in Verdacht, «Politik für die Reichen und Mächtigen zu machen», so die Bewertung der NZZ.

Am 18. Oktober meldete auch Michèle Blöchliger (svp, NW), seit 2018 Gesundheitsministerin des Kantons Nidwalden, ihre Ambitionen an. Sie sei überzeugt, dass sie «den nötigen Rucksack» mitbringe, den es für das Amt als Bundesrätin brauche: Sie sei sich gewohnt, das Kollegialitätsprinzip zu achten, habe politische Exekutiverfahrung und bringe mit einer englischsprachigen Mutter wichtige Sprachkompetenzen mit. Die SVP könne aufatmen, weil sie doch noch eine Frau gefunden habe, befand 24Heurers. Für die Nidwaldner Regierungsrätin und Rechtsanwältin «mit juristischem Gewissen», wie die Nidwaldner Zeitung wusste, spreche nicht nur ihr Geschlecht, sondern auch der Umstand, dass aus dem Innerschweizer Kanton noch nie jemand in der Landesregierung gesessen habe. Zudem sei sie parteiintern gut vernetzt und der Umstand, dass auch innerhalb der SVP viele eine Frau auf einem Zweierticket forderten, erhöhe ihre Chancen ebenfalls, waren sich viele Medien einig. Allerdings sei sie in Bundesbern etwa auch im Vergleich zu Tännler praktisch unbekannt und liefe Gefahr, sich «in einer undankbaren Rolle als Alibikandidatin» wiederzufinden, prognostizierte die NZZ. Für Schlagzeilen sorgte in der Folge die Aussage Blöchligers, dass Wikipedia nicht zutreffende Angaben über sie verbreite. Sie besitze – im Gegensatz zu den Informationen auf Wikipedia – die britische Staatsangehörigkeit seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr. Der Tages-Anzeiger, der diese Aussage überprüfte, fand allerdings heraus, dass Blöchliger nie formell auf den britischen Pass verzichtet habe. Die Zeitung machte daraus auch deshalb eine Geschichte, weil die SVP 2019 mit einem Vorstoss – erfolglos – das Verbot einer doppelten Staatsbürgerschaft von Bundesratsmitgliedern gefordert hatte. «Blöchligers Hin und Her um ihre zweite Nationalität» biete neuen «Zunder für diese Debatte», so der Tages-Anzeiger. Blöchliger selber gab bekannt, dass sie offiziell auf die britische Staatsangehörigkeit verzichten werde. Allerdings war die Geschichte für viele Medien ein gefundenes Fressen. Der Tages-Anzeiger urteilte, dass sich Blöchliger mit der versuchten Vertuschung ihrer doppelten Staatsbürgerschaft – «um der eigenen Partei zu gefallen» – wohl selbst aus dem Rennen genommen habe. Als «denkbar schlecht» bezeichnete die Weltwoche den Kampagnenstart Blöchligers.

Weitere Kandidatinnen und Kandidaten hatten entsprechend der Terminplanung der SVP bis zum 21. Oktober Zeit, ihr Interesse zu bekunden. Einen Tag vor Ablauf dieser Frist meldete sich die SVP Zürich mit einem eigentlichen Überraschungscoup doch noch zurück und präsentierte den 2021 aus dem Nationalrat zurückgetretenen Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) als Kandidierenden. Er sei aus der Politik ausgestiegen, weil ihm die parlamentarische Arbeit nicht zugesagt habe, das Bundesratsamt reize ihn aber, erklärte Vogt. Er wolle «ein Opfer erbringen», zudem sei seine Kandidatur «weder eine Verlegenheitslösung noch eine Alibiübung», gab Vogt der NZZ zu Protokoll, eine urbane Vertretung in der Landesregierung sei zudem wichtig. «Professor Vogt» sei der «Wunschkandidat» der Zürcher Kantonalsektion, betonte Kantonalpräsident Domenik Ledergerber (ZH, svp), der den Kandidierenden als «gründlich, aber zielstrebig, urban und doch bodenständig» beschrieb. In den Medien wurde die Kandidatur begrüsst. Nun habe Zürich doch noch einen Kandidaten, freute sich etwa die NZZ. Vogt sei in Bern auch nach seinem Rücktritt 2021 noch genügend bekannt und werde nach wie vor als seriöser Sachpolitiker geschätzt; vor allem auf linker Seite könne er punkten, ergänzte die NZZ. Auch 24Heures urteilte, dass Vogt mit den Eigenschaften «Intello, urbain, gay» das Zeug habe, die Kampagne aufzumischen. Innerhalb der SVP sei Vogt allerdings ein «OVNI», ein unbekanntes Flugobjekt, urteilte La Liberté. Seine Chancen wurden auch vom Tages-Anzeiger vor allem im Vergleich mit dem «berechenbareren» Albert Rösti als geringer eingestuft. Vogt sei gleichzeitig «Verlegenheitslösung und Befreiungsschlag» für die Zürcher SVP, befand die Weltwoche.

Da bis zum Ende der Meldefrist alle weiteren Favoriten abgesagt hatten – darunter etwa auch Thomas Aeschi, der nach seinem Misserfolg 2015 auf eine zweite Bundesratskandidatur verzichten und sich auf seine Parlamentsarbeit konzentrierten wollte, oder der Aargauer Regierungsrat Jean-Pierre Gallati (AG, svp), der sich bis Meldeschluss bedeckt gehalten hatte – und sich keine neuen Personen mehr gemeldet hatten, standen mit Werner Salzmann, Albert Rösti, Heinz Tännler, Michèle Blöchliger und Hans-Ueli Vogt die fünf Kandidierenden für die Nachfolge von Ueli Maurer fest. Die Partei habe sich knapp gerettet, fasste die Aargauer Zeitung zusammen. Mit einer Frau und einem Kandidaten aus Zürich könne die SVP nun doch verschiedene Optionen bieten. Die Empfehlung der Kandidierenden durch die jeweiligen Kantonalsektionen war Formsache. Für Spannung sorgte einzig die Frage, ob die Kantonalberner Sektion eine Vorselektion treffen und lediglich einen der beiden Kandidierenden vorschlagen würde. Sie schob die Frage einer allfälligen Vorselektion allerdings an die nationale Findungskommission weiter und nominierte sowohl Albert Rösti als auch Werner Salzmann einstimmig. Besagte Findungskommission nahm sich dann bis Mitte November Zeit, die Kandidierenden auf Herz und Nieren zu prüfen, um der Fraktion einen Vorschlag zu unterbreiten.
Wie schon die Kantonalberner scheute sich dann allerdings auch die Findungskommission, eine Vorentscheidung zu treffen. Alle fünf Kandidierenden seien wählbar und in den Hauptthemen strikt auf der Parteilinie. Sie würden einen eindrücklichen Leistungsausweis und die nötige Führungserfahrung mitbringen. Die von alt-Nationalrat Caspar Baader (BL, svp) präsidierte Kommission empfehle der Fraktion zudem, ein Zweierticket zu bilden. Somit stand also die Fraktion in der Verantwortung, die Vorauswahl zu treffen. An der Favoritenrolle von Albert Rösti ändere dies nichts, waren sich die Medien einig. Spannend sei einzig, wer neben ihm aufs Ticket komme, so etwa die NZZ.
Am 18. November entschied sich dann die SVP-Fraktion für ein Zweierticket aus Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt. Rösti sei in der ersten Runde mit 26 von 51 Stimmen zum einen Kandidaten auf dem Zweierticket bestimmt worden, wussten die Medien zu berichten. In dieser ersten Runde hätten Michèle Blöchliger vier und Heinz Tännler lediglich eine Stimme auf sich vereinen können. Vogt sei auf 13 und Salzmann auf 5 Stimmen gekommen. Dreimal sei es dann in der Folge zu einem 25:25 Unentschieden zwischen dem Berner und dem Zürcher Kandidaten gekommen, bevor wahrscheinlich eine sich bis dahin enthaltende Stimme in der fünften Runde den Ausschlag für Hans-Ueli Vogt gegeben habe. Das Ringen zeige, dass fraktionsintern befürchtet werde, dass Vogt im Parlament auf linker Seite Stimmen holen könnte und so zum «Rösti-Verhinderer» werde, analysierte die NZZ. Das Rennen zwischen Bern und Zürich sei nun neu lanciert, waren sich die meisten Medien einig.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

In der Herbstsession 2022 befasste sich der Ständerat als Erstrat mit dem Bundesbeschluss über eine besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen, mit der die OECD-Mindestbesteuerung in der Schweiz umgesetzt werden sollte. Für die FK-SR erläuterte Alex Kuprecht (svp, SZ) dem Rat die Vorlage: Unternehmensgruppen mit weltweitem Umsatz über CHF 750 Mio. sollen in der Schweiz eine Ergänzungssteuer bezahlen müssen, wenn ihr Steuersatz – wie er gemäss den OECD-Regeln berechnet wird – ansonsten nicht mindestens bei 15 Prozent liegt. Ziel der Vorlage sei es, den Verbleib dieser Steuereinnahmen in der Schweiz sicherzustellen und gleichzeitig den Unternehmen Rechtssicherheit zu geben. Dafür wolle man in einem ersten Schritt die Bundesverfassung ändern und die Ergänzungssteuer mittels einer befristeten Verordnung einführen und erst in einem zweiten Schritt die gesetzlichen Regelungen dazu schaffen. Betroffen seien von den Änderungen vermutlich vor allem diejenigen Kantone, die bisher tiefe Steuersätze haben (v.a. Zug, Basel-Stadt und Schwyz), womöglich aber auch Zürich. Die zusätzlich generierten Steuereinnahmen seien schwierig abzuschätzen, würden aber wohl zwischen CHF 1 Mrd. und CHF 2.5 Mrd. zu liegen kommen. In der Folge meldeten sich zahlreiche Sprechende zu Wort und betonten mehrheitlich, dass sie zwar mit der Ursache für die Verfassungsänderung – dem faktischen Zwang durch die OECD und die G20 – nicht einverstanden seien, der Bundesrat aber eine gute Lösung für das Problem gefunden habe. Lobende Worte für das OECD-Projekt fand hingegen Paul Rechsteiner (sp, SG), der sich davon «mehr Steuergerechtigkeit» erhoffte. Eintreten war in der Folge unbestritten.
In der Detailberatung diskutierte der Ständerat vor allem über die Frage der Verteilung allfälliger Mehreinnahmen – insbesondere Eva Herzog (sp, BS) erinnerte jedoch daran, dass die Vorlage in einigen Kantonen durchaus auch zu Mindereinnahmen führen könnte. Der Bundesrat wollte den Kantonen anfänglich die gesamte Ergänzungssteuer zukommen lassen, hatte sich dann aber auch aufgrund eines Briefes der Finanzdirektorenkonferenz für eine Verteilung von 75 Prozent für die Kantone, welche die Gemeinden berücksichtigen müssen und 25 Prozent für den Bund festgelegt. Eine Minderheit Rechsteiner schlug stattdessen aber vor, den Kantonen denselben Anteil zuzuweisen wie bei den übrigen Bundessteuern, also 21.2 Prozent. Ansonsten würde mit diesen Geldern nur der Steuerwettbewerb und der «Wildwuchs an Standortförderungsmassnahmen» verstärkt, da diejenigen Kantone mit tiefen Steuern noch mehr Gelder zur Steuerreduktion zur Verfügung hätten. Das Argument, wonach durch eine stärkere Beteiligung der betroffenen Kantone auch mehr Geld in den Finanzausgleich und somit an die anderen Kantone fliessen würde, liess Rechsteiner nicht gelten. Das seien lediglich «Brosamen». Für einen gemäss ihren Aussagen stark von dieser Regelung betroffenen Kanton setzte sich Eva Herzog für die gegenüber den Kantonen grosszügigere Aufteilung ein: Falls es durch die zwei Säulen der OECD-Revision zu Mindereinnahmen für die betroffenen Kantone komme, bräuchten diese Handlungsspielraum in Form dieser zusätzlichen Steuereinnahmen. Mit 30 zu 8 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit und blieb beim bundesrätlichen Vorschlag. Stillschweigend sprach sich der Ständerat überdies dafür aus, eine Möglichkeit zu schaffen, die Ergänzungssteuer als Aufwand bei den Gewinnsteuern von Bund und Kantonen abzuziehen. Mit dieser Formulierung könne später noch immer geprüft werden, ob eine solche Regelung gegen die internationalen Richtlinien verstosse oder nicht, zeigte sich auch der Finanzminister damit einverstanden, obwohl er eine solche Regelung zuvor abgelehnt hatte. Mit 44 zu 0 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Ständerat den Entwurf ohne grössere Änderungen an. Einzig Paul Rechsteiner verzichtete darauf, dem Entwurf zuzustimmen, und enthielt sich stattdessen der Stimme.

Besondere Besteuerung grosser Unternehmensgruppen (OECD-Mindestbesteuerung; BRG 22.036)

Im September 2020 reichte Christophe Clivaz (gp, VS) ein Postulat betreffend die Verunreinigung des Trinkwassers mit dem Pflanzenschutzwirkstoff Chlorothalonil ein. Clivaz reihte sich damit in eine Reihe von Vorstössen zum Thema Chlorothalonil ein (bspw. Mo. 20.3052 von Kurt Fluri (fdp, SO) und Mo. 20.3625 von Roberto Zanetti (sp, SO)). Clivaz führte in seinem Vorstoss aus, dass trotz des Verbots von Chlorothalonil noch problematische Abbauprodukte im Trinkwasser festgestellt worden seien. Die Behörden müssten nun zum Schutz der Bevölkerung die Konzentration der Abbauprodukte reduzieren, etwa indem sie Trinkwasser aus verschiedenen Quellen mischen. Wenn die Entnahme von unbelastetem Wasser nicht möglich sei, müsse ein komplexes und kostspieliges Verfahren zur Reinigung des Wassers angewandt werden. Avenir Suisse habe die Kosten, die durch den Einsatz von Pestiziden entstehen, jüngst auf ca. CHF 100 Mio. pro Jahr beziffert. Clivaz forderte den Bundesrat nun dazu auf, in einem Bericht die Fristen und die Kosten für die Sanierungsarbeiten der Trinkwasserfassungen zu veranschlagen und das Risiko zu berechnen, dass gewisse Teile der Bevölkerung bis zum Ende der Sanierungsarbeiten weiterhin belastetes Wasser konsumieren müssen. Zudem solle der Bundesrat unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips Lösungen für die Finanzierung der Arbeiten, die die Gemeinden in Angriff nehmen müssten, vorschlagen.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, da der geforderte Bericht nicht nötig sei: Die Fragen seien entweder schon beantwortet, befänden sich in Bearbeitung oder könnten gar nicht beantwortet werden. So sei es etwa aufgrund der stark unterschiedlichen Situationen in den Gemeinden quasi unmöglich, die Dauer und die Kosten der Sanierungsarbeiten abzuschätzen. Der Bundesrat vertrat zudem die Ansicht, dass die Lösung der Pestizidproblematik beim Grund- und Trinkwasser darin bestehe, den vorsorglichen Schutz des Grundwassers zu stärken. Dies sei bereits im Rahmen der Motion Zanetti sowie im Rahmen der parlamentarischen Initiative 19.475 vorgesehen.
Der Vorstoss gelangte in der Herbstsession 2022 in die grosse Kammer. Diese nahm das Postulat äusserst knapp, mit 95 zu 94 Stimmen an. Nebst den geschlossen stimmenden SP-, Grünen- und GLP-Fraktionen stimmten auch einzelne Mitglieder der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion für Annahme des Postulats.

Verunreinigung des Trinkwassers mit Chlorothalonil. Wie reagieren und wie die nötigen Sanierungen finanzieren? (Po. 20.4087)
Dossier: Pestizidbelastung in Fliessgewässern

In der Herbstsession 2022 führten National- und Ständerat eine ausserordentliche Session zum Thema «Kaufkraft» (22.9013) durch, in der sie verschiedene Vorstösse für eine finanzielle Entlastung der Bürgerinnen und Bürger aufgrund der steigenden Teuerung, insbesondere im Bereich Energie, diskutierten. Eine Gruppe von Unterstützungsvorschlägen betraf dabei die AHV-Renten.

So forderten die Mitte-Fraktion im Nationalrat (Mo. 22.3792) sowie Pirmin Bischof (mitte, SO; Mo. 22.3803) und Paul Rechsteiner (sp, SG; Mo. 22.3799) im Ständerat eine ausserordentliche Anpassung der ordentlichen AHV-Renten durch einen vollständigen Teuerungsausgleich auf den 1. Januar 2023. Gemäss aktueller Regelung würde die Teuerung durch Anwendung des sogenannten Mischindexes nur teilweise ausgeglichen, weil neben dem Preisindex auch der Lohnindex berücksichtigt wird. Diese Problematik wurde etwa auch im Rahmen der Initiative für eine 13. AHV-Rente diskutiert. Der Bundesrat bestätigte, dass der Mischindex in diesem Jahr die Teuerung vermutlich unterschätze, verwies aber darauf, dass das Lohnniveau üblicherweise stärker ansteige als das Preisniveau – so etwa auch im Jahr 2020 –, wodurch die Rentnerinnen und Rentner von dieser Regelung üblicherweise profitierten. Darüber hinaus verlangten die drei Vorstösse, dass die Renten bei allfälligen zukünftigen überdurchschnittlichen Teuerungsanstiegen über 2 Prozent des LIK regelmässig angepasst werden.
Alfred Heer (svp, ZH; Mo. 22.3818) im Nationalrat und Marco Chiesa (svp, TI; Mo. 22.3861) im Ständerat wehrten sich mit ihren Motionen gegen die vorgeschlagene Abweichung vom Mischindex. Auch sie forderten eine Rentenanpassung, jedoch weiterhin in Übereinstimmung mit dem Mischindex. Finanziert werden solle dieser Teuerungsausgleich neu jedoch über Ausgabenwachstumsplafonierungen im Bundesbudget, etwa bei der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, beim Forschungs- und Bildungsbereich oder bei den Aufwendungen des Bundes für Personal und externe Beratende. Zur Begründung verwiesen die Motionäre auf verschiedene kostentreibende Projekte, die in der Sommersession 2022 vom Parlament gutgeheissen worden waren und die Einsparungen nötig machten.
Der Bundesrat erklärte in seiner Stellungnahme, dass die Rentenanpassungen keine höheren Bundesbeiträge an die AHV nach sich ziehen würden und die Plafonierung somit nicht nötig sei. Zudem erhöhe die Teuerung nicht nur die Ausgaben, sondern auch die Einnahmen der AHV. Mit 99 zu 92 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und mit 24 zu 17 Stimmen respektive 16 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) nahmen National- und Ständerat die Motionen der Mitte, von Pirmin Bischof und von Paul Rechsteiner an, während sie die Motionen von Alfred Heer und Marco Chiesa mit 142 zu 53 Stimmen respektive 34 zu 6 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ablehnten. Während sich die Mitglieder der SVP-, der GLP- und die Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion erfolglos gegen die Erhöhung des Teuerungsausgleichs aussprachen, fanden die Motionen von Heer und Chiesa nur in der SVP-Fraktion Zustimmung.

Fünf Motionen zur Anpassung der AHV-Renten (Mo. 22.3792; Mo. 22.3799; Mo. 22.3803; Mo. 22.3818; Mo. 22.3861)
Dossier: Wie stark soll die AHV-Rente der Teuerung angepasst werden? (2023)
Dossier: Ausserordentliche Session 2022 zum Thema «Kaufkraft»

Dans le cadre de la mise en application suivant l'acceptation de l'initiative parlementaire 19.475, le Conseil fédéral a fixé à 20 pour cent l'objectif de réduction des pertes d'éléments fertilisants d'ici à 2030. Redoutant les conséquences d'un objectif considéré comme trop ambitieux, la sénatrice fribourgeoise Johanna Gapany (plr, FR) demande de le revoir à la baisse. En effet, la seule manière d'atteindre cet objectif pour l'azote serait de réduire le cheptel en Suisse, d'après la sénatrice libérale-radicale, touchant donc à l'autoapprovisionnement alimentaire. S'opposant au texte, tant Adèle Thorens Goumaz (verts, VD) que Roberto Zanetti (ps, SO) ont rappelé que les décisions prises à cet égard en 2021 s'inscrivaient dans le contexte des initiatives populaires visant les pesticides et les intrants fertilisants et que certains gages avaient été donnés à l'époque pour contrer les initiatives. Revenir sur ces engagements est problématique selon les deux élu.e.s. De plus, ces discussions devraient être menées en commission, et idéalement dans le cadre des travaux en cours sur la politique agricole 22+. Le ministre de l'agriculture, Guy Parmelin, a également appelé les sénatrices et sénateurs à rejeter cette motion, soulignant que la trajectoire actuelle permettra d'atteindre 11 pour cent de réduction pour les pertes d'azote et 18 pour cent pour celles de phosphore, sans prendre en considération les mesures que les interprofessions sont appelées à prendre. Une majorité d'élu.e.s (25 voix contre 18 et une abstention) a toutefois décidé de suivre la motionnaire, les voix de la gauche complétées par quelques élu.e.s du Centre et de l'indépendant Minder (SH) ne suffisant pas à faire échouer ce texte.

Demande de révision à la baisse de l'objectif de réduction des pertes des éléments fertilisants (Mo. 22.3795)

Im Mai 2022 stellte die WAK-SR fest, dass das SECO die von ihm in Aussicht gestellten Änderungen zur Erfüllung der Standesinitiative des Kantons Tessin für eine Informationspflicht über Lohndumping-Verfehlungen im Bereich des Normalarbeitsvertrags vorgenommen hatte oder dabei war, letzte Änderungen umzusetzen. Damit sei das Anliegen der Standesinitiative «auf eine niederschwellige, aber effizienten Art und Weise umgesetzt» worden, erklärte die Kommisison und beantragte einstimmig, die Standesinitiative abzuschreiben.
In der Herbstsession 2022 beschäftigte sich der Ständerat mit der Abschreibung. In den Augen der Kommission setze das SECO die Massnahmen der Standesinitiative inzwischen um, wie Kommissionssprecher Paul Rechsteiner (sp, SG) betonte. Zum Beispiel seien einerseits die Informationspflicht und andererseits wiederkehrende Kontrollen von Unternehmen, die gegen Mindestlöhne verstossen haben, eingeführt worden. Der Ständerat folgte somit dem Antrag der Kommission und schrieb die Standesinitiative stillschweigend ab.

Obligation d'informer les employés victimes d'abus salariaux (Iv.ct 18.326)
Dossier: Vorschläge zur Änderung des Entsendegesetzes (EntsG)

Der Ständerat befasste sich in der Herbstsession 2022 als Zweitrat mit dem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative. Zu Beginn der intensiven Debatte berichtete Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU) im Namen der vorberatenden UREK-SR, dass diese vorschlage, den Ausbau der Photovoltaik sowohl auf freien Flächen als auch auf Gebäuden zu beschleunigen. Die Kommission wolle daher einzelne Artikel des vorliegenden indirekten Gegenvorschlags abspalten und diese in Form eines dringlichen Bundesgesetzes mit dem Titel «Bundesgesetz über dringliche Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter» behandeln. Dies erlaube es, die Förderung der Photovoltaik mit der gebotenen Eile anzugehen. Der Gegenvorschlag beinhaltete somit das «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz» sowie die zwei dazu gehörigen Finanzierungsvorlagen – die Bundesbeschlüsse 2 und 3; nicht aber das neue dringliche Bundesgesetz. Die Mehrheit der UREK-SR beantragte in der Folge beim indirekten Gegenvorschlag kaum Abweichungen von der nationalrätlichen Linie, hingegen lagen verschiedene Minderheitsanträge vor.
Knapp wurde es zum Beispiel bei den Bestimmungen zur Förderung von neuartigen Technologien und Prozessen. Eine Minderheit Stark (svp, TG) beantragte, diese Massnahmen zur Technologieförderung sowie zum Heizungsersatz im Rahmen des CO2-Gesetzes zu regeln und als Konsequenz aus dem Gegenvorschlag zu streichen und infolgedessen auch nicht auf die Bundesbeschlüsse 2 und 3 einzutreten. Stark kritisierte, dass im Gesetzesentwurf nicht nur auf die Ziele des Klimaschutzes fokussiert werde, sondern auch bereits konkrete Umsetzungsmassnahmen festgehalten würden. Diese Massnahmen gehörten jedoch ins CO2-Gesetz, alles andere sei «falsch – staatspolitisch, rechtstechnisch, sachlich», monierte Stark. Dieser Antrag wurde mit 24 zu 21 Stimmen abgelehnt. Er erhielt Unterstützung aus den Reihen der SVP-, der Mitte- und der FDP.Liberalen-Fraktion.
Beim Programm zum Ersatz der fossilen Heizsysteme und der elektrischen Widerstandsheizungen ergänzte der Ständerat die Vorlage um eine Bestimmung zur Förderung der Energieeffizienz und stimmte der vom Nationalrat beschlossenen Kredithöhe von CHF 200 Mio. pro Jahr (für 10 Jahre) auf Antrag der Minderheit Reichmuth (mitte, SZ) zu. Die Kommissionsmehrheit hätte den Kredit auf CHF 100 Mio. pro Jahr senken wollen. Damian Müller (fdp, LU) hatte den Mehrheitsantrag damit begründet, dass es angesichts des Fachkräftemangels und der Lieferschwierigkeiten bei manchen Bauteilen nicht realistisch sei, pro Jahr mehr als CHF 100 Mio. für diese Arbeiten ausgeben zu können.
Der Ständerat schuf schliesslich im indirekten Gegenvorschlag noch einige kleinere Differenzen zum Nationalrat, beispielsweise bei den Berg- und Randgebieten; diese sollen nach dem Willen der kleinen Kammer stets zusätzlich in ihren Massnahmen unterstützt werden, sofern eine besondere Ausgangslage bestehe.

Den meist diskutierten Aspekt stellte sodann der Ausbau der Photovoltaik in Form des erwähnten abgespaltenen dringlichen Bundesgesetzes dar. Dabei ging es insgesamt um drei verschiedene Punkte, die vor der Abstimmung über die Überführung in ein eigenes Gesetz bereinigt werden mussten.
Der erste Punkt betraf die generelle Pflicht, auf Dächern oder Fassaden von Neubauten zukünftig eine Solaranlage zu erstellen. Kommissionssprecherin Baume-Schneider führte aus, dass der Ausbau der Photovoltaik bei Neubauten bisher eher schleppend vorangehe; dieser müsse aber vorangebracht werden, wenn man den Ausbau der Photovoltaik als umfassendes Konzept verstehe. Die daher geforderte neue Pflicht wurde von einer starken Minderheit Fässler (mitte, AI) bekämpft: Fässler argumentierte, dass mit dieser Bestimmung sowohl die Eigentumsgarantie nach Artikel 26 BV als auch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Energieversorgung in Frage gestellt würden. Es sei daher angebracht, diese Fragen im Rahmen des Mantelerlasses zum Energiegesetz zu behandeln. Roberto Zanetti (sp, SO) entgegnete, dass man als Bauherr ohnehin in seinen Eigentumsrechten eingeschränkt sei: «Ob das über ein kommunales Baureglement, über Bundesgesetze oder über ein kantonales Gesetz geschieht, ist, wie gesagt, für mich als Grundeigentümer piepegal.» Anschliessend sprachen sich 25 Mitglieder des Ständerates für diese Bestimmungen aus, 19 waren dagegen. Bei Letzteren handelte es sich um Mitglieder der SVP-, der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion.
Der zweite Punkt, der vor der Überführung bereinigt werden musste, war unumstritten: Der Ständerat nahm eine Bestimmung, in welcher die bestmögliche Nutzung der Sonnenenergie auf den dafür geeigneten Infrastrukturoberflächen des Bundes vorgeschrieben wurde, stillschweigend an.
Der dritte Punkt umfasste die Bestimmungen zur Förderung von Photovoltaik-Grossanlagen und wurde wiederum ausgiebig diskutiert. Hier beantragte die Kommissionsmehrheit, dass Photovoltaik-Grossanlagen, die jährlich mindestens 20 Gigawattstunden Strom produzieren, wovon mindestens 45 Prozent im Winterhalbjahr anfallen müssen, von einer besonderen Förderung profitieren sollen, bis schweizweit mit solchen Anlagen 2 Terawattstunden Strom produziert würden. Diese besondere Förderung soll unter anderem Bestimmungen umfassen, wonach für diese Anlagen keine Planungspflicht und keine UVP-Pflicht gelten sollen, da das Interesse an ihrer Realisierung den anderen nationalen und kantonalen Interessen vorgehe. Zudem sollen diejenigen Photovoltaik-Grossanlagen, die bis Ende 2025 zumindest teilweise an das Stromnetz angebunden sind, seitens des Bundes eine Einmalvergütung von 50 bis 60 Prozent der Investitionskosten erhalten.
Pirmin Bischof (mitte, SO) sprach von einem mutigen, aber notwendigen Schritt, diese «Alpen-Solaranlagen» unter Umgehung der üblichen Verfahrensvorschriften zu bewilligen. Zu diesen Vorschlägen der Kommissionsmehrheit lagen drei Einzelanträge vor. Ein Antrag Würth (mitte, SG) verlangte, dass diese Anlagen lediglich 10 anstatt 20 Gigawattstunden erbringen müssen. Ansonsten könnten fast keine solchen Anlagen realisiert werden, argumentierte er. Die grosse Mehrheit des Rates (43 zu 1 Stimmen) kam diesem Begehren Würths nach. Heidi Z'graggen (mitte, UR), Präsidentin der ENHK, forderte, dass solche Anlagen in Mooren und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und gesamtschweizeri­scher Bedeutung verboten sowie in Landschaften, Naturdenkmälern und Biotopen von nationaler Bedeutung nur beschränkt möglich sein sollen. Zudem müssten die Anlagen nach der Ausserbetriebnahme ersatzlos zurückgebaut und die Gebiete wieder in ihren Zustand vor dem Ausbau zurückversetzt werden. Zwar stimmte der Ständerat dem Verbot in Mooren und Moorlandschaften sowie der Pflicht zu einem ersatzlosen Rückbau der Solaranlagen und der Wiederherstellung der Ausgangslage einstimmig oder deutlich zu, lehnte aber eine Einschränkung in Landschaften, Naturdenkmälern und Biotopen von nationaler Bedeutung mit 24 zu 17 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) ab. Ein Antrag Hegglin (mitte, ZG) verlangte schliesslich, dass die Einmalvergütung nicht einfach als 50 bis 60 Prozent der Investitionskosten definiert wird, sondern dass sich diese auch an der Wirtschaftlichkeit der Investition orientieren soll. Hegglin wollte damit verhindern, dass der Bund die Schuldenbremse nicht mehr einhalten kann, sein Antrag scheiterte jedoch mit 31 zu 12 Stimmen.
Nachdem diese Vorbedingungen geklärt waren, überführte der Ständerat diese Bestimmungen zur Photovoltaik einstimmig in ein eigenes Bundesgesetz.

In den Gesamtabstimmungen nahm der Ständerat alle vier einzelnen Entwürfe an: Am meisten Unterstützung genoss der neue Entwurf des Bundesgesetzes über dringliche Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter (Photovoltaik-Anlagen), welcher bei 4 Enthaltungen ohne Gegenstimmen angenommen wurde. Das Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz wurde von 4 Mitgliedern der SVP-Fraktion abgelehnt, 2 enthielten sich der Stimme, während die restlichen Ständerätinnen und Ständeräten dem Entwurf zustimmten. Der Bundesbeschluss über die Finanzierung der Förderung von neuartigen Technologien und Prozessen und der Bundesbeschluss über die Finanzierung des Sonderprogrammes zum Ersatz von Heizungsanlagen wurden mit ähnlichen Stimmenverhältnissen angenommen (33 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen und 32 zu 9 bei 4 Enthaltungen), wobei jeweils einzelne Mitglieder der SVP-, der FDP- sowie der Mitte-Fraktionen gegen die Beschlüsse stimmten. Somit nahm der Ständerat alle drei Entwürfe des indirekten Gegenvorschlags an.

Indirekter Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 (Pa.Iv. 21.501)
Dossier: Die Gletscherinitiative, ihr direkter Gegenentwurf und ihr indirekter Gegenvorschlag

Im Juni 2022 publizierte die GPK-NR den Bericht «Grundwasserschutz in der Schweiz». Darin wies die Kommission darauf hin, dass die Qualität des Grundwassers und damit auch des Trinkwassers in den letzten Jahren stärker in den Fokus von Bevölkerung und Politik gelangt sei. So stimmte die Schweizer Bevölkerung etwa über die Trinkwasserinitiative und die Pestizidinitiative ab und der Bundesrat thematisierte dieses Thema auch in der Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+). Vor diesem Hintergrund beauftragten die beiden Geschäftsprüfungskommissionen im Januar 2020 die PVK mit einer Evaluation des Grundwasserschutzes in der Schweiz. Darauf basierend erarbeitete die GPK-NR den vorliegenden Bericht. Das BAFU habe im Rahmen der Arbeiten zu diesem Bericht darauf hingewiesen, dass vor allem in drei Bereichen Vollzugsdefizite beim planerischen Grundwasserschutz bestünden, obwohl die rechtlichen Vorgaben grösstenteils seit dem Inkrafttreten der GschV im Jahr 1998 gälten. Zum einen hätten noch nicht alle Kantone die Zuströmbereiche für die Trinkwasserfassungen definiert, worauf auch in der angenommenen Motion Zanetti (sp, SO; Mo. 20.3625) hingewiesen wurde. Zum anderen seien nicht um alle wichtigen Fassungen entsprechende Schutzzonen ausgeschieden worden. Und drittens komme es auch an Orten, wo die Grundwasserschutzzonen korrekt definiert seien, zu Nutzungskonflikten. Dies bedeute, dass die vorgegebenen Nutzungseinschränkungen, etwa für die Landwirtschaft, nicht konsequent durchgesetzt würden. Die GPK-NR kritisierte diese Defizite stark und erachtete es als dringend notwendig, dass der Bund als Aufsichtsbehörde endlich griffige Massnahmen durchsetze, um den Grundwasserschutz zu stärken. Zu diesem Zweck empfahl die GPK-NR mehrere rechtliche Anpassungen. Erstens forderte sie verbindliche Fristen für die Umsetzung aller rechtlich vorgesehenen Massnahmen des planerischen Grundwasserschutzes durch die Kantone (Motion 22.3873). Zweitens solle der Bund mehr Interventions- und Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung gesetzlicher Vorgaben durch die Kantone erhalten (Motion 22.3874). Ein weiterer Punkt betraf die konkrete Aufsicht des BAFU über den Vollzug der Kantone, wobei das BAFU proaktiver agieren müsse. Beim Grundwasserschutz in der Landwirtschaft empfahl die GPK-NR Verbesserungen beim so genannten «Gewässerschutzprogramm» (Postulat 22.3875). Schliesslich müsse auch sichergestellt werden, dass die Akteurinnen und Akteure der Raumplanung die Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes stärker berücksichtigten.

Bericht Grundwasserschutz in der Schweiz
Dossier: Grundwasserschutz in der Schweiz

In der Sommersession 2022 bereinigte das Parlament die Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule und die Optimierung der Aufsicht in der 2. Säule. Zuerst beriet der Ständerat die offenen Differenzen und hiess die meisten Änderungen des Nationalrats gut. Einziger Streitpunkt war die Frage, ob es Einschränkungen bezüglich des Einsitzes in die Aufsichtsbehörden geben soll. Der Bundesrat hatte hier ursprünglich vorgeschlagen, Mitgliedern der Kantonsregierung den Einsitz gänzlich zu verbieten, der Nationalrat wollte nur die Angehörigen der für die Zweite Säule zuständigen Departemente vom Einsitz ausschliessen. Der Ständerat lehnte solche Einschränkungen hingegen erneut ab. Man sehe nicht ein, «wieso Regierungsräte wegen vermuteter Interessenkonflikte ausgeschlossen werden sollen, die Branche und beaufsichtigte Körperschaften jedoch in der Aufsichtsbehörde Einsitz nehmen dürfen», begründete Erich Ettlin (mitte, OW) diesen Einwand im Namen der Mehrheit der SGK-SR. Eine Minderheit Müller (fdp, LU) beantragte hingegen, die Regelung des Nationalrats zu übernehmen. Seit der Strukturreform beim BVG 2011 wolle man die Dominanz der Regierungsratsmitglieder in den regionalen Aufsichtsbehörden reduzieren, nun solle man dies explizit auf Gesetzesstufe regeln. Mit 28 zu 15 Stimmen folgte die kleine Kammer jedoch der Kommissionsmehrheit. Bereinigt wurde hingegen die Frage, ob Versicherungsträger ihre Entscheide elektronisch zustellen können sollen. Der Ständerat hatte eine solche Möglichkeit zuvor gegen den Willen des Nationalrats gutgeheissen, folgte nun aber einer Minderheit Rechsteiner (sp, SG), der auf die Tragweite dieser Bestimmung verwies. Wichtige Entscheide, die anfechtbar sein sollen, müssten auch zukünftig schriftlich erfolgen, forderte er. Zudem sei eine Vernehmlassung zur Digitalisierung in der Verwaltung und im Justizwesen im Gange, die eine umfassende Lösung dieser Problematik anstrebe. Mit 24 zu 18 Stimmen folgte der Rat der Minderheit und bereinigte diese Differenz.

In der Nationalratsdebatte stellten die Kommissionssprecherinnen Céline Amaudruz (svp, GE) und Regine Sauter (fdp, ZH) klar, wie die vom Nationalrat vorgeschlagene Bestimmung zur Mitgliedschaft in den Aufsichtsbehörden der beruflichen Vorsorge zu verstehen war: Einsitz haben dürften demnach weder Regierungsrätinnen und Regierungsräte der betroffenen Departemente, noch Mitarbeitende der betroffenen Departemente. Mit 23 zu 0 Stimmen (bei 1 Enthaltung) hatte die SGK-NR entschieden, an dieser Bestimmung festzuhalten – entsprechend folgte ihr die grosse Kammer stillschweigend. Ob diesem deutlichen Resultat in der grossen Kammer gab der Ständerat in der Folge nach und sprach sich für die vom Nationalrat formulierte Regelung aus.

Somit konnte die letzte Differenz der Vorlage bereinigt werden und die Modernisierung der AHV war bereit für die Schlussabstimmungen. Diese passierte der Entwurf ohne Widerstand: Mit 197 zu 0 Stimmen und 41 zu 0 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) stellten sich beide Räte hinter die getroffenen Regelungen.

Aufsicht in der 1. Säule (BRG 19.080)

In der Sommersession 2022 beugte sich der Ständerat über den Entwurf seiner UREK betreffend die zweite Etappe der Teilrevision des RPG. Da die Kommission ihren Entwurf als einen indirekten Gegenentwurf zur Landschaftsinitiative ausgestaltet hatte, führte der Ständerat die Eintretensdebatte über die beiden Geschäfte zusammen. Kommissionssprecher Jakob Stark (svp, TG) stellte die wichtigsten Elemente der Vorlage vor, welche die UREK nach der Vernehmlassung überarbeitet und im Mai einstimmig (bei einer Enthaltung) zuhanden ihres Rats verabschiedet hatte. Die Kernelemente der Vorlage sind ein Stabilisierungsziel der Anzahl Gebäude ausserhalb der Bauzone sowie der Ansatz, mittels welchem dieses Ziel erreicht werden soll. Dieser Ansatz umfasst zum einen ein Planungsinstrument, das die Kantone verpflichtet, in ihren Richtplänen festzuhalten, wie sie das Stabilisierungsziel erreichen wollen. Das zweite Instrument ist eine neu zu schaffende Abbruchprämie für Bauten und Anlagen ausserhalb des Baugebiets. Das letzte Instrument besteht in einer Sanktion: Für den Fall, dass die Kantone die Ziele nicht erreichen, müssten sie ihre Richtpläne innerhalb von fünf Jahren anpassen, ansonsten wären neue Gebäude ausserhalb der Bauzone nur noch zulässig, wenn sie kompensiert würden. Die Kommission zielte also insgesamt darauf, das erwünschte Stabilisierungsziel mit Anreizen anstatt mit Verboten zu erreichen. Der Entwurf umfasst zudem einen sogenannten «Gebietsansatz», der es Kantonen erlauben soll, ausserhalb der Bauzonen Spezialzonen zu definieren, in denen sie nicht standortgebundene Nutzungen (also Nutzungen, die auch innerhalb der Bauzone denkbar wären) erlauben könnten, sofern sie gleichzeitig Aufwertungs- und Kompensationsmassnahmen treffen, welche die «Gesamtsituation von Siedlungsstruktur, Baukultur, Landschaft, Kulturland und Biodiversität» verbessern. Damit sollen die Kantone mehr Spielraum erhalten, um in der Raumplanung ihren kantonalen oder regionalen Eigenheiten Rechnung zu tragen, während aufgrund der Kompensationsmassnahmen gleichzeitig eine «Aufwertung der räumlichen Gesamtsituation resultiert». Ausserdem soll neu der Grundsatz des Vorrangs der Landwirtschaft in Landwirtschaftszonen gegenüber nicht landwirtschaftlicher Nutzung im Gesetz festgeschrieben werden. Nicht zuletzt soll der Vollzug des Abbruchs illegaler Bauten ausserhalb der Bauzone gestärkt werden, indem die Zuständigkeiten der relevanten kantonalen Behörden ausgebaut werden, womit den Gemeinden in dieser Sache der Rücken gestärkt werden soll.

Das Eintreten auf die Vorlage war unbestritten. Unter anderem war man sich einig, dass der Zersiedlungsdruck auf die Nichtbauzonen gestiegen sei und auch noch weiter steigen werde – etwa durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft, die Bevölkerungsentwicklung sowie das gewachsene Bedürfnis in der Bevölkerung nach Freizeitbeschäftigungen auf dem Land. Nachdem in der ersten Teilrevision des RPG die Eindämmung der Zersiedelung innerhalb der Bauzonen angegangen worden war, müsse man nun aufpassen, dass sich die Zersiedlung nicht auf die Nichtbauzonen verlagere, sagte etwa Heidi Z'graggen (mitte, UR). Einer solchen Entwicklung müsse jetzt mit der zweiten Teilrevision vorgebeugt werden. Auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga sprach sich für Eintreten aus. Sie lobte die Vorlage und die Arbeit der Kommission. Insgesamt sei die Vorlage ein guter indirekter Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative, denn sie trage zu einer Stärkung des Grundsatzes der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet bei. Eintreten wurde schliesslich ohne Gegenantrag beschlossen.

Allerdings kündigten verschiedene Redner und Rednerinnen bereits in der Eintretensdebatte an, dass bei der Detailberatung noch einige wichtige Fragen zu klären seien. So kam es denn auch zu einer langen Detailberatung der Vorlage. Die Ständerätinnen und Ständeräte folgten beispielsweise einem Minderheitsantrag von Martin Schmid (fdp, GR), der eine Ausnahme für touristische Nutzung vom Stabilisierungsziel für die Bodenversiegelung in der ganzjährig bewirtschafteten Landwirtschaftszone in den Entwurf aufnehmen wollte. Weiter stellten sie sich hinter eine Minderheit Daniel Fässler (mitte, AI) und beschlossen damit, den Gebietsansatz nicht nur auf Bergkantone zu beschränken, sondern allen Kantonen zugänglich zu machen. Eine zweite Minderheit Fässler, die vom Ständerat ebenfalls angenommen wurde, zielte darauf ab, explizit im Gesetz festzuhalten, dass nicht mehr benötigte landwirtschaftliche Bauten unter den gleichen Bedingungen wie beim Gebietsansatz generell zu Wohnzwecken umgenutzt werden können. Kommissionssprecher Jakob Stark gab zu bedenken, dass solche Umnutzungen bereits im Gebietsansatz möglich seien. Eine explizite Formulierung im Gesetz würde allerdings den Eindruck erwecken, dass die Umnutzungen eine spezielle Bedeutung hätten. Der Artikel sei auch in der Vernehmlassung gewesen und dort hätten die Landwirtschaftsverbände zurückgemeldet, dass sie davon einen verstärkten Druck auf die Landwirtschaftszonen erwarteten. Ganze 17 Kantone hätten sich explizit ablehnend geäussert und nur der Kanton Wallis habe den Artikel positiv bewertet. Roberto Zanetti (sp, SO) bezeichnete den Antrag gar als «Sargnagel» für die Vorlage als indirekten Gegenentwurf zur Landschaftsinitiative. Eine Mehrheit der kleinen Kammer folgte jedoch Daniel Fässler und Beat Rieder (mitte, VS), welche in dieser Sache Klarheit schaffen wollten – vor allem, um zu verhindern, dass möglicherweise durch «bundesgerichtliche Rechtsprechung der Parlamentswille nicht vollzogen wird». Schliesslich folgte die kleine Kammer auch einem Minderheitsantrag von Lisa Mazzone (gp, GE), mit dem explizit im Entwurf festgehalten wurde, dass die Revision einen indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative darstellt. Die Mehrheit der Kommission hatte den inoffiziellen Status als indirekter Gegenentwurf bevorzugt, weil die Vorlage nur in gewissen Teilen ein indirekter Gegenvorschlag zur Initiative sei, in anderen Teilen aber nicht, weshalb die Revision unabhängig von der Initiative weiterberaten und entschieden werden solle. Eine Mehrheit der kleinen Kammer empfand den offiziellen Status der Vorlage als indirekten Gegenentwurf hingegen als logisch und angezeigt. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den Entwurf einstimmig und ohne Enthaltungen an.

Das Initiativkomitee der Landschaftsinitiative zeigte sich ob der Entscheide des Ständerates nur teilweise zufrieden. Zwar habe der Ständerat das Stabilisierungsziel mit einer griffigen Umsetzung beschlossen und damit das zentrale Anliegen der Initiative aufgenommen. Gleichzeitig habe der Rat aber auch zusätzliche Ausnahmen für das Bauen ausserhalb der Bauzonen beschlossen, womit die Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet wieder in Frage gestellt werde. Das Komitee störte sich insbesondere daran, dass die Vorlage in der Version des Ständerates die Umnutzung von nicht mehr benötigten landwirtschaftlichen Gebäuden zu Wohnzwecken «praktisch unbegrenzt [erlaube]». Die Initiantinnen und Initianten zögen weiterhin einen Rückzug der Initiative in Betracht, falls der Gegenvorschlag den Anliegen der Initiative gerecht werde. «Davon sind wir allerdings noch ein gutes Stück entfernt», sagte Elena Strozzi, die Geschäftsleiterin der Landschaftsinitiative.

2. Etappe der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (BRG 18.077)
Dossier: 2. Etappe der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes und damit zu erfüllende Vorstösse
Dossier: Revision des Raumplanungsgesetzes RPG
Dossier: Bauen ausserhalb der Bauzonen

Le Conseil des Etats a décidé de soutenir le principe d'une rémunération des paysan.ne.s laissant leurs cornes aux vaches. Cette idée – sur laquelle le corps électoral avait été amené à voter en 2018 – défendue par le sénateur socialiste Roberto Zanetti (ps, SO) a profité d'une analyse préalable de la CER-CE qui a donné un avis favorable. La majorité de la commission de l'économie et des redevances du Conseil des Etats est, en effet, de l'avis que cette proposition, soutenue par une partie importante de la population, doit se voir attribuer une place dans l'ordonnance sur les paiements directs. En 2018, près de 45 pour cent des personnes s'étant rendues aux urnes avaient souhaité voir les éleveuses et éleveurs laissant leurs cornes aux vaches se faire aider financièrement. Cela aurait toutefois été inscrit dans la Constitution, ce qui a incité une part non-négligeable des votant.e.s à glisser un non. La solution proposée par le socialiste soleurois évite le passage par le texte suprême et aurait pu séduire une majorité des citoyennes et citoyens selon lui. 8 membres de la commission ont défendu cette position, qui impliquera également une légère hausse du plafond des dépenses des paiements directs afin de ne pas prétériter d'autres domaines profitant du pot commun.
La question du bien-être animal a été au centre des discussions de la commission comme rapporté par Pirmin Bischof (centre, SO), les parlementaires s'interrogeant sur les fondements philosophiques de l'animal au service de l'humain. Peut-on réduire les animaux au statut de presque objet en les formatant et en leur infligeant des douleurs de telle sorte qu'ils soient le plus efficient possible pour les intérêts humains, reflète l'élu centriste. Cette motion vise à réduire des douleurs vues comme non nécessaires par la majorité de la commission. Une minorité constituée de 4 parlementaires a émis elle des craintes que cette disposition n'incite les paysan.ne.s à avoir recours à la stabulation entravée, c'est-à-dire à un abandon de la liberté de mouvement des vaches dans les étables, néfaste pour leur bien-être. La question des blessures entre vaches mais aussi à l'encontre des éleveuses et éleveurs a été soulevée par le représentant de la minorité, le centriste Peter Hegglin (centre, ZG), qui ne veut donc pas d'un soutien financier qui pourrait amener à une augmentation des accidents. A cela, le motionnaire Roberto Zanetti, n'a pas manqué de souligner que, pour être conséquent, il faudrait alors supprimer les paiements directs incitant à la plantation d'arbres à hautes tiges, source d'un plus grand nombre d'accidents dans l'agriculture. Pour l'élu socialiste, les cornes ont une importance de taille pour les vaches, celles-ci leur servant à communiquer, établir des hiérarchies au sein des troupeaux et ainsi diminuer les affrontements.
Le Conseil fédéral a appelé à rejeter ce texte, tant pour des questions de bien-être animal – défendant les mêmes positions que la minorité –  que de budget – d'autres domaines verront-ils leurs moyens réduits? – ce qui n'aura pas suffi à convaincre une majorité de sénatrices et sénateurs qui, par 23 voix contre 19 et deux abstentions ont décidé de donner une chance à cette proposition.

Rémunérer les paysan.ne.s qui laissent les cornes à leurs vaches (Mo. 21.3197)

Nachdem die WAK-SR Ende März 2022 mit 8 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) empfohlen hatte, nicht auf die Änderung des EntsG einzutreten, debattierte der Ständerat im Rahmen der Sommersession 2022 diese Frage. Kommissionssprecher Hannes Germann (svp, SH) betonte dabei, dass die Änderung des EntsG zu einer Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmenden aus EFTA- und EU-Staaten führen würde. Zudem könnten die Kantone selbst für den Vollzug ihrer Mindestlöhne sorgen. Somit solle der Rat nicht auf die Vorlage eintreten. Paul Rechsteiner (sp, SG) führte hingegen Argumente für Eintreten an: Erstens habe der Ständerat mit Annahme der Motion Abate (fdp, TI; Mo. 18.3473) ursprünglich die Gesetzesänderung angestossen, zudem hätten sich 23 Kantone bei der Vernehmlassung für die Änderung ausgesprochen. Die Ausnahme der Entsendebetriebe von den kantonalen Mindestlöhnen sei eine «Einladung zu Lohndumping» und damit vor allem für den Kanton Tessin ein grosses Problem. Schliesslich werde mit der Revision auch eine Plattform für die digitale Kommunikation im Entsendebereich geschaffen, die bei Nichteintreten ebenfalls nicht zustandekomme. Marina Carobbio (sp, TI) präzisierte, dass nur der Bund, nicht aber die Kantone in der Lage seien, Mindestlöhne einzuführen, die auf alle im Kanton tätigen Personen (auch aus der EU und EFTA) gelten, weil die entsendeten Arbeitnehmenden lediglich Bundesgesetzen unterstünden. Am Ende der Debatte betonte auch Bundesrat Guy Parmelin (svp, VD) noch einmal die Wichtigkeit dieser Anpassung. Dennoch sprach sich der Ständerat in der Folge mit 26 zu 19 Stimmen erneut für Nichteintreten aus, womit das Geschäft erledigt war.

Révision partielle de la loi sur les travailleurs détachés (MCF 21.032)
Dossier: Vorschläge zur Änderung des Entsendegesetzes (EntsG)

Ende März 2022 sprach sich nach dem Bundesrat auch die SGK-SR mehrheitlich für Annahme der Motion Silberschmidt (fdp, ZH; Mo. 20.4078) für eine Finanzierung der AHV im Jahr 2050 ohne Umlagedefizit aus. «Aus politischer Sicht gibt es keinen Grund, diese Motion abzulehnen», betonte die Kommissionsmehrheit im Kommissionsbericht. Dies sah eine Minderheit Rechsteiner (sp, SG) anders und beantragte die Motion zur Ablehnung. Mangels verlässlicher Vorhersagen für eine «derart langfristige Perspektive» solle die Motion abgelehnt werden.
In der Sommersession 2022 folgte der Ständerat mit 22 zu 18 Stimmen der Kommissionsmehrheit und nahm die Motion an. Zwei Tage später zog Andri Silberschmidt seine ursprüngliche Motion (Mo. 20.3833) zurück, welche die defizitfreie Finanzierung der AHV zusätzlich durch gleich starke ausgaben- wie einnahmenseitige Massnahmen erreichen wollte.

Netto-null-Ziel im Jahr 2050. Ein Nachhaltigkeitsziel auch für die AHV (Mo. 20.3833 & Mo 20.4078))

Die Errichtung eines souveränen, gemeinwohl- und ertragsorientierten Staatsfonds verlangte Beat Rieder (mitte, VS) im März 2022 in einer Motion. Dieser solle durch einen Teil der Währungsreserven der SNB geäufnet werden, wobei die SNB im Gegenzug Obligationen des Staatsfonds als Sicherheit erhalten würde. Die Gewinne des Fonds sollten Bund und Kantonen zugutekommen, welche sie für Beteiligungen an systemrelevanten Schweizer Unternehmen oder an strategischen Sachwerten sowie zur Finanzierung von Investitionsprogrammen zur Konjunkturbelebung einsetzen könnten. Der Motionär störte sich daran, dass die SNB ihre Währungsreserven in ausländische Aktien anlegte, und erachtete einen ähnlichen Staatsfonds wie in Norwegen oder Singapur als Möglichkeit, die Gelder «vorteilhafter, strategischer und unabhängiger» einzusetzen.
Der Bundesrat lehnte die Motion als «Eingriff in die verfassungsrechtliche Unabhängigkeit der SNB» ab. Die SNB müsse uneingeschränkt über ihre Währungsreserven verfügen können, um eine übermässige Aufwertung des Frankens verhindern zu können. Zudem kritisierte der Bundesrat unter anderem die fehlende Berücksichtigung der Möglichkeit eines Anlageverlustes sowie die sehr heterogenen Einsatzzwecke des Fonds.
In der Sommersession 2022 entschied sich der Ständerat auf Antrag von Roberto Zanetti (sp, SO) mit 19 zu 16 Stimmen (bei 1 Enthaltung), die Motion der zuständigen Kommission zur Vorberatung zuzuweisen.

Errichtung eines souveränen Staatsfonds (Mo. 22.3153)

Nachdem der Bundesrat infolge eines 2019 überwiesenen Postulats Rechsteiner (sp, SG) einen Bericht zur Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) veröffentlicht hatte, beantragte er im Rahmen seines Berichts über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2021 die Abschreibung des Postulats. Der Ständerat folgte dieser Empfehlung im Sommer 2022 und schrieb den Vorstoss stillschweigend ab.

Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (Po. 19.3942)

Anders als der Nationalrat, der tags zuvor trotz zahlreicher Minderheitsanträge keine Änderungen am bundesrätlichen Nachtrag Ib zum Voranschlag 2022 vorgenommen hatte, schuf der Ständerat eine gewichtige und eine kleine Differenz. So schlug die FK-SR mit 9 zu 1 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) vor, den Kredit für den Bundesbeitrag an die ALV von CHF 2.1 Mrd. auf CHF 300 Mio. zu reduzieren. Wie bereits im Nationalrat von einer erfolglosen Minderheit beantragt, sollten Urlaubs- und Feiertagsentschädigungen bei KAE nur an Unternehmen nachbezahlt werden, welche entsprechende Einsprachen oder Beschwerden getätigt hatten, nicht aber an Unternehmen mit rechtskräftigen Verfügungen, erläuterte Johanna Gapany (fdp, FR) die Position der Kommission. Im Hinblick auf die hohen bisherigen Kosten der Pandemie und aus Rücksicht auf die zukünftigen Generationen solle man hier vom grosszügigeren bundesrätlichen Vorschlag abweichen. Roberto Zanetti (sp, SO) verwies als «informelle Minderheit» – er verzichtete als einziger Ablehnender auf einen Minderheitsantrag – darauf, dass vom Vorschlag der Kommission vor allem Mikrounternehmen mit bis zu neun Mitarbeitenden benachteiligt seien, denen die Kantone und Arbeitslosenkassen von einer Einsprache oder Beschwerde abgeraten hätten und die «keine HR- oder Rechtsabteilungen [hätten], die sie vor den Fallstricken der Revisions- und Wiedererwägungstatbestände bewahren könnten». Nach Treu und Glauben wolle der Bundesrat auch diesen Unternehmen nun die Möglichkeit geben, rund 14 Prozent der Lohnsumme bei den KAE zusätzlich geltend zu machen. Anstelle von Roberto Zanetti beantragte Ruedi Noser (fdp, ZH) in einem Einzelantrag, die von der Kommission eingefügte Rahmenbedingung der Kreditvergabe, wonach bei rechtskräftigen Verfügungen keine Ferien- und Feiertagsentschädigungen nachbezahlt würden, zu streichen. Über diesen Antrag musste jedoch nicht mehr abgestimmt werden, da der Ständerat mit 25 zu 17 Stimmen dem Antrag des Bundesrats folgte und den Nachtragskredit für die ALV bei CHF 2.1 Mrd. beliess. Als kleinere Differenz entschied der Ständerat jedoch, den entsprechenden Nachtragskredit nur freizugeben, wenn auf Verzugszinsen auf diese Forderungen verzichtet würde.
Eine grössere Differenz schuf der Ständerat hingegen beim Kredit zur Beschaffung von Impfstoffen gegen Covid-19. Hier hatte die Kommissionsmehrheit eine Reduktion des Nachtragskredits von CHF 314 Mio. auf CHF 68 Mio. und des Verpflichtungskredits von CHF 780 Mio. auf CHF 300 Mio. vorgeschlagen. Gemäss Kommissionssprecherin Gapany habe man in der Kommission lange darüber diskutiert, ob man – wie der Bundesrat – eher eine Sicherheitsstrategie fahren und genügend Impfstoffe für die ganze Bevölkerung kaufen wolle. Mit 7 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) habe sich die Kommission stattdessen entschieden, etwas weniger Impfstoffe zu beschaffen, um Verschwendung zu vermeiden. In der Zwischenzeit habe sie überdies erfahren, dass womöglich bereits Verträge zum Impfstoffkauf unterzeichnet worden seien, die nicht rückgängig gemacht werden könnten, liess Johanna Gapany verlauten. Damit wäre der Parlamentsvorbehalt, also die Möglichkeit, dass der Bund von einem Vertrag zurücktritt, wenn das Parlament den entsprechenden Finanzierungskredit verweigert, verletzt worden. Dies sei ein Argument mehr, um in diesem Punkt eine Differenz zu schaffen, sodass man nach der Beschaffung weiterer Informationen nochmals darüber diskutieren könne. Finanzminister Maurer ergänzte, dass unklar sei, ob man überhaupt bei einem einzigen Vertrag Kürzungen anbringen könne oder ob dies auch die übrigen Verträge betreffen würde. Eine Minderheit Herzog (sp, BS) befürwortete zwar die Strategie des Bundesrates, der «auf Sicherheit setzt und nicht knapp berechnet», zeigte sich aber ob der offenen Fragen zu den Verträgen mit der Schaffung einer Differenz einverstanden. Mit 32 zu 9 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) reduzierte der Ständerat folglich den Nachtragskredit für die Impfstoffe auf CHF 68 Mio. und den Verpflichtungskredit auf CHF 300 Mio.

Nachtrag I zum Voranschlag 2022 (BRG 22.007)
Dossier: Bundeshaushalt 2022: Voranschlag und Staatsrechnung