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  • bin Zayed Al Nahyan, Abdullah
  • Cassis, Ignazio (fdp/plr) BR EDA / CF DFAE
  • Berset, Alain (sp/ps) BR EDI / CF DFI

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Trotz unterschiedlicher Standpunkte arbeiteten die sieben Bundesratsmitglieder gut zusammen und setzten sich für die Schweiz ein. Dies war die Botschaft, die der amtierende Bundespräsident Alain Berset mit dem neuen Bundesratsfoto 2023 laut offizieller Medienmitteilung vermitteln wollte. Die in eher klassisch dunklen Oberteilen gekleidete neu zusammengesetzte Regierung ist zusammen mit dem Bundeskanzler um einen gossen Konferenztisch angeordnet, in Gruppen miteinander diskutierend. Vor den acht Personen steht jeweils ein Weinglas gefüllt mit Wasser. Auf dem Tisch liegen zudem ein Kompass, eine Karte und die Bundesverfassung. Über den Köpfen der Bundesrätinnen und Bundesräte schweben einzelne Papierseiten und durch die mit weissen Tüllgardinen bevorhangten Fenster ist eine Landschaft sichtbar. Die Verfassung auf dem Tisch stehe für das sich im kommenden Jahr zum 175. Mal jährende Bestehen der Schweiz. Auf den Papierseiten, die das zunehmende Chaos auf der Welt symbolisieren würden, sei ein Gedicht von Charles-Ferdinand Ramuz abgedruckt. Die im Hintergrund sichtbare Landschaft wiederum verweise auf die Verbindung zwischen Bundesrat und Volk, so die Medienmitteilung.

Noch selten habe ein Bundesratsfoto so viele Fragen aufgeworfen, betonte die Sonntagszeitung, der der Veröffentlichung des Bundesratsfotos jeweils folgenden medialen Parodie frönend. Man frage sich, ob die schwebenden Papierseiten wohl ein Zeichen dafür seien, dass schon vor dem offiziellen Antritt der beiden neuen Mitglieder, Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti, die Fetzen geflogen seien, oder ob der Kompass darauf hinweise, dass der Bundesrat orientierungslos sei. Das Bild erinnere zudem stark an Leonardo Da Vincis «Abendmahl», wobei sich der in der Mitte sitzende Bundespräsident wohl «endgültig als göttliche Lichtgestalt» sehe. Es frage sich in diesem Fall allerdings, wer denn Judas sei, der ihn ans Messer liefere – eine Frage, die sich tags darauf auch der Blick stellte. Auch den Sonntags-Blick erinnerte das Foto an das Fresko von Leonardo Da Vinci. Wer das Sakrale nicht möge, dürfe sich aber auch «an eine dezente Firmenfeier» erinnert fühlen. Mit Verweis auf die Departementsverteilung, die nach den Bundesratsersatzwahlen vom Dezember 2022 nötig geworden war und bei der die Medien vermutet hatten, dass Alain Berset gerne das Finanzdepartement übernommen hätte, witzelte der Sonntags-Blick zudem, dass es der Bundespräsident nun doch in sein Lieblingsdepartement geschafft habe. Das Foto wurde nämlich im Bernerhof, dem Sitz des Finanzministeriums, geschossen. Der NZZ am Sonntag fiel hingegen auf, dass die «Bundesräte aus der lateinischen Schweiz sitzen, jene aus der Deutschschweiz stehen». Die Zeitung fragte sich, ob die Deutschschweizer dynamischer oder dominanter seien oder als «neue Minderheit» nicht einmal mehr Platz nehmen dürften.

Das jährliche Bundesratsfoto

Die Ankündigung der ersten von insgesamt vier von-Wattenwyl-Gesprächen im Jahr 2022 im Februar 2022 glich derjenigen des Vorjahres. Nicht nur der Ort war aufgrund der Covid-19-Pandemie noch immer nicht das namengebende Von-Wattenwyl-Haus, sondern erneut der Bernerhof, sondern auch die hauptsächlichen Traktanden der Gespräche zwischen den Parteispitzen und einer Bundesratsdelegation – im Februar bestehend aus dem frisch gekürten Bundespräsidenten und Aussenminister Ignazio Cassis, Gesundheitsminister Alain Berset und Energieministerin Simonetta Sommaruga sowie dem Bundeskanzler Walter Thurnherr – waren gleich wie im Vorjahr. Diskutiert wurde nämlich über die sich langsam entspannende gesundheitspolitische Lage sowie das in seiner neuen Stossrichtung formulierte Ziel der Regierung, die bilateralen Beziehungen zur EU zu stabilisieren. Einen weiteren aussenpolitischen Diskussionspunkt stellte der geplante Sitz der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat (2023–2024) dar. Simonetta Sommaruga informierte über die geplanten Vorhaben zur Senkung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis 2050 (Revision des CO2-Gesetzes und Schaffung des Bundesgesetzes über sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien).
Im Mai 2022 fanden die Gespräche nach über zwei Jahren wieder im Von-Wattenwyl-Haus statt. Und auch die Themen hatten sich innert Monaten aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs stark verschoben. Bundespräsident Ignazio Cassis, Simonetta Sommaruga, Guy Parmelin sowie Walter Thurnherr diskutierten mit den Vertretungen der Bundesratsparteien über die aussenpolitischen, wirtschaftlichen und energiepolitischen Auswirkungen des Konflikts. Konkrete Diskussionsgegenstände waren die neutralitätspolitische Ausrichtung der Schweiz, die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Lugano, der weltweite Teuerungsdruck und die Energieversorgungssicherheit – neben dem bereits im Februar diskutierten Stromversorgungsgesetz, dessen Umsetzung beschleunigt werden sollte, informierte die Energieministerin dabei über die geplanten Massnahmen zur Gasversorgungssicherheit.
Wie vor der Covid-19-Pandemie üblich traf sich die Landesregierung für die Von-Wattenwyl-Gespräche im Herbst in corpore und in Klausur mit den Parteispitzen. Neben dem Krieg und seinen Auswirkungen standen die Versorgungssicherheit, die Finanzplanung, wirtschaftspolitische Folgen der Inflation, die gesundheitspolitische Lage sowie einmal mehr die Europapolitik auf der Traktandenliste. In der bundesrätlichen Bilanz zu sechs Monaten Krieg nahm Justizministerin Karin Keller-Sutter Stellung zu den Migrationsbewegungen und dem Schutzstatus S, der rund 62'000 Personen gewährt worden sei; Verteidigungsministerin Viola Amherd betonte ihrerseits den Wandel der «europäischen Sicherheitsarchitektur» und die Bedeutung multilateraler Organisationen auch für die Schweiz; Aussenminister Ignazio Cassis berichtete über die Lugano-Konferenz. Die energetische Versorgungssicherheit wurde von Energieministerin Simonetta Sommaruga erörtert. Massnahmen seien etwa eine Wasserkraftreserve, Einrichtung von Reservekraftwerken und Plänen zur Bewältigung einer möglichen Gasmangellage; die Stromversorgung sei momentan aber sichergestellt. Wirtschaftsminister Guy Parmelin erklärte die steigenden Energiepreise zur Hauptursache für die ansteigende Inflation, die zwar mit 3.4 Prozent unter dem europäischen Mittel liege, aber auch in der Schweiz auf die Kaufkraft drücke. Über die schwierige Lage der Bundesfinanzen, denen ab 2024 strukturelle Defizite in Milliardenhöhe drohten, berichtete Finanzminister Ueli Maurer. Auch in der sich momentan beruhigenden Situation in der Covid-19-Pandemie gehe es weiterhin darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, gab Gesundheitsminister Alain Berset zu bedenken. Schliesslich informierte Aussenminister Ignazio Cassis auch über die Sondierungsgespräche mit der EU: Es bestünden weiterhin erhebliche Differenzen.
Die vierte Gesprächsrunde der Von-Wattenwyl-Gespräche fand am 11. November statt. Die Bundesratsparteispitzen liessen sich dabei über die Reise von Bundespräsident Ignazio Cassis in die Ukraine und die Weiterführung des Schutzstatus S informieren. Erneut wurde auch über die Massnahmen zur Verhinderung einer Strommangellage diskutiert, darunter etwa das Reservekraftwerk in Birr oder der Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmungen, aber auch über den Verzicht, Unternehmen oder Private aufgrund der hohen Energiepreise oder der Inflation zu unterstützen. Auch die laufenden Sondierungsgespräche mit der EU, die «besorgniserregende Haushaltsentwicklung» und die nach wie vor angespannte gesundheitspolitische Lage waren wie schon im Herbst Gegenstand der Diskussionen.

Von-Wattenwyl-Gespräche seit 2013

Jahresrückblick 2022: Parteien

Die Parteien als wichtige politische Akteure werden in der Öffentlichkeit besonders stark im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen wahrgenommen. Mit den Bundesratsersatzwahlen vom Dezember 2022 schnellte insbesondere die Medienpräsenz der SVP und der SP, in geringerem Mass auch jene der Grünen in die Höhe (siehe Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 im Anhang).
Die SVP hatte dabei den zurücktretenden Ueli Maurer zu ersetzen. Zu reden gab dabei, dass die in den letzten Jahrzehnten tonangebende Zürcher Kantonalsektion erst nach längerer Suche überhaupt eine Kandidatur präsentieren konnte (alt Nationalrat Hans-Ueli Vogt), während die Berner Sektion mit Nationalrat Albert Rösti und Ständerat Werner Salzmann gleich zwei Kandidaten ins Rennen schicken konnte. Relativ früh zeichnete sich ab, dass es anders als bei früheren Bundesratswahlen bei der SVP zu keiner Zerreissprobe und allfälligen Parteiausschlüssen kommen würde, da die anderen Fraktionen keine Ambitionen erkennen liessen, eine Person ausserhalb des offiziellen SVP-Tickets zu wählen, für das die SVP-Fraktion letztlich Vogt und Rösti auswählte. Schliesslich erhielt die SVP mit Albert Rösti einen Bundesrat, der als linientreu und gleichzeitig umgänglich im Ton gilt.
Die SP wiederum hatte nach dem überraschenden Rücktritt von Simonetta Sommaruga nur wenig Zeit für die Nominierung ihrer Kandidaturen. Für gewisse Turbulenzen sorgte hier der von der Parteispitze rasch und offensiv kommunizierte Antrag an die Fraktion, sich auf Frauenkandidaturen zu beschränken. Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) rebellierte zunächst dagegen und gab seine eigene Kandidatur bekannt, zog diese aber wieder zurück, nachdem die SP-Fraktion dem Antrag der Parteispitze deutlich zugestimmt hatte. Mit einer «Roadshow» der Kandidatinnen in verschiedenen Landesteilen versuchte die SP trotz der knappen Zeit noch vom Schaufenstereffekt der Bundesratswahlen zu profitieren. Aufs Ticket setzte die Fraktion schliesslich die beiden Ständerätinnen und ehemaligen Regierungsrätinnen Eva Herzog (BS), die Mitglied der SP-Reformplattform ist und eher dem rechten Parteiflügel zugerechnet wird, und Elisabeth Baume-Schneider (JU), die als umgänglicher und weiter links stehend gilt. Im Parlament gingen in den ersten Wahlgängen überraschend viele Stimmen an den nicht auf dem Ticket stehenden Jositsch, bevor schliesslich Baume-Schneider den Vorzug vor Herzog erhielt. Wenig erbaut zeigte sich die SP von der anschliessenden Departementsverteilung, bei der Baume-Schneider das EJPD zugeteilt und Alain Berset ein angeblich gewünschter Wechsel aus dem EDI verwehrt wurde.
Dass weder die SVP noch die SP um ihre zweiten Bundesratssitze bangen mussten, hatte auch damit zu tun, dass sich die Grünen, die bei den letzten Gesamterneuerungswahlen noch mit einer Sprengkandidatur angetreten waren, selbst früh aus dem Rennen nahmen. Manche Beobachterinnen und Beobachter warfen den Grünen deswegen Harmlosigkeit und mangelnden Machtinstinkt vor. Die Grünen argumentierten dagegen, dass ein Angriff auf den SP-Sitz dem rot-grünen Lager keine Stärkung bringen würde und ein Angriff auf den SVP-Sitz aussichtslos gewesen wäre, weil das «Machtkartell» der bisherigen Bundesratsparteien keine Sitzverschiebungen wolle.

Alle 2022 durchgeführten kantonalen Wahlen wurden von den Medien auch als Tests für den Formstand der Parteien im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst 2023 interpretiert. Die grossen Zwischenbilanzen, die im März nach den kantonalen Wahlen in Bern, der Waadt, Obwalden und Nidwalden gezogen wurden, bestätigten sich im Wesentlichen auch in den folgenden Glarner und Zuger Wahlen (allerdings nicht in Graubünden, das wegen einem Wechsel des Wahlsystems jedoch einen Sonderfall darstellt): Die «grüne Welle» rollte weiter, zumal die Grünen und noch stärker die GLP fast durchwegs Zugewinne verbuchen konnten. Demgegenüber büssten alle vier Bundesratsparteien Stimmenanteile ein, am deutlichsten die SP. Spekulationen über Gewinne und Verluste bei den nationalen Wahlen und mögliche Auswirkungen für die Sitzverteilung im Bundesrat sind freilich zu relativieren, weil sich Themen- und Parteienkonjunktur bis im Oktober 2023 noch deutlich verändern können und sich kantonale Wahlergebnisse aus mehreren Gründen nicht einfach auf die nationale Ebene übertragen lassen.

Misst man den Rückhalt der Parteien an ihrem Erfolg in den Volksabstimmungen, so ergibt sich ein etwas anderes Bild: Am häufigsten – nämlich bei 8 von 11 Abstimmungsvorlagen – stand dieses Jahr die EVP mit ihren Parolen auf der Siegerseite, gefolgt von EDU, FDP, GLP und Mitte (je 7). Seltener jubeln konnten die Parteien an den linken und rechten Polen des Spektrums (Grüne, PdA, SP und SVP: je 6). Freilich ist nicht jede Abstimmungsvorlage für jede Partei gleich wichtig. So war etwa für die SP das knappe Ja zur AHV-21-Reform mit der Frauenrentenaltererhöhung besonders schmerzhaft, die beiden Nein zu den Teilabschaffungen von Stempel- und Verrechnungssteuer hingegen besonders erfreulich. Für FDP und SVP war es gerade umgekehrt, daneben war für sie auch die Ablehnung des Medienpakets ein bedeutender Erfolg.

Mit Blick auf ihre Mitgliederzahlen sahen sich derweil fast alle grösseren Parteien im Aufwind: GLP, Grüne, Mitte, SP und SVP meldeten im Vergleich zu 2020 Mitgliederzuwächse im vierstelligen Bereich, die FDP hatte keine Informationen zu ihrer aktuellen Mitgliederentwicklung. Ein Grund für die vermehrte Hinwendung zu den Parteien könnte sein, dass die stark alltagsrelevante Covid-19-Pandemie, die intensivierte Diskussion um den Klimawandel und aussergewöhnlich intensive Abstimmungskämpfe etwa zur Konzernverantwortungsinitiative im November 2020 und zu den beiden Covid-19-Gesetzesvorlagen im Juni und im November 2021 viele Bürgerinnen und Bürger stärker politisiert haben.

Das Jahr brachte in der Schweizer Parteienlandschaft auch einige strukturelle Veränderungen. So ist mit der Gründung einer Kantonalsektion in Uri die GLP nun erstmals in sämtlichen Kantonen präsent. Bei der BDP fand zum Jahresbeginn der umgekehrte Weg seinen Abschluss: Am 1. Januar 2022 hörten die letzten beiden BDP-Kantonalsektionen auf zu existieren, nachdem die Partei auf nationaler Ebene schon ein Jahr davor in der Mitte aufgegangen war. Ganz aufgelöst wurde sodann die Partei national orientierter Schweizer (Pnos), die als parteipolitischer Arm der rechtsextremen Szene in der Schweiz gegolten hatte. Sie war im Parteiensystem nie über eine marginale Rolle hinausgekommen. Ihre Auflösung bedeutet allerdings nicht das Aussterben rechtsextremer Ideologien im Land, sondern lediglich das – vorläufige – Ende der parteipolitischen Aktionsform des Milieus.

Nachdem der Bundesrat im zu Ende gehenden Jahr das Gesetz und eine konkretisierende Verordnung zur Transparenz der Politikfinanzierung in Kraft gesetzt hat, werden sich die Parteien im neuen Jahr erstmals an die entsprechenden Regeln halten müssen. Die Parteien, die in der Bundesversammlung vertreten sind, haben unter anderem ihre Gesamteinnahmen sowie Zuwendungen von über CHF 15'000 offenzulegen.

Jahresrückblick 2022: Parteien
Dossier: Jahresrückblick 2022

Rétrospective annuelle 2022 : Problèmes politiques fondamentaux

En consultant leur boule de cristal pour les mois à venir dans leurs traditionnels articles de début d'année, peu de journaux auraient pu prédire les événements de 2022. Alors que la pandémie semblait s'essouffler, la guerre en Ukraine a pris le relais dans l'actualité. En lien avec le conflit, la question de l'approvisionnement énergétique a été l'une des trois préoccupations principales de la population, indique le baromètre des préoccupations 2022 du Credit Suisse. L'environnement et les retraites sont les deux autres thématiques les plus citées par les participantes et participants à l'enquête. Malgré les circonstances, les membres du Conseil fédéral ont quand même souhaité se montrer positifs dans leurs discours lors de la fête nationale. Le président de la Confédération Ignazio Cassis a d'ailleurs déclaré que le monde aurait besoin de plus de «suissitude» en ce moment. Une «suissitude» observable dans toute sa splendeur lors de la fête fédérale de lutte, qui s'est tenue à Pratteln (BL). Particulièrement populaire outre-Sarine, ce sport typiquement suisse a attiré plus de 400'000 personnes le temps d'un week-end. Un autre événement d'une ampleur particulière a eu lieu dans la vallée de Conches cet été. Le camp fédéral scout «Mova» a réuni 30'000 membres du mouvement de jeunesse, qui connaît un regain de forme ces dernières années. Occupant l'équivalent de 170 terrains de football, les scouts ont effectué diverses activités durant trois semaines, recevant notamment la visite de la conseillère fédérale Viola Amherd. Lors d'une fête de taille plus modeste, l'association des gardes suisses du Vatican a, de son côté, célébré ses 100 ans à Appenzell.

Selon Présence Suisse, l'image du pays à l'étranger demeure bonne. En 2021, c'est en particulier la rencontre entre Joe Biden et Vladimir Poutine, reçus à Genève par Guy Parmelin, qui a placé la Suisse sous le feu des projecteurs. En participant à l'exposition universelle de Dubaï, la Suisse souhaitait également soigner son image. Pourtant, l'exposition s'est plutôt attirée des critiques, notamment en raison de la démesure du site de l'événement et des accusations d'atteintes aux droits des travailleurs. En outre, la demande de crédit pour la participation de la Suisse à la prochaine exposition universelle a été validée, après de longues discussions, par le Conseil national. Quant au Conseil des États, il doit encore se prononcer. C'est la ville d'Osaka, au Japon, qui accueillera l'événement. Par ailleurs, les parlementaires ont jugé suffisantes les mesures prises par l'administration fédérale afin d'éviter des cas problématiques de parrainage privé d'événements publics. Suite à cela, Thomas Minder (sans parti, SH) a retiré son initiative parlementaire qui souhaitait l'interdiction pure et simple du sponsoring.
En ce qui concerne la tenue d'une nouvelle exposition nationale, plusieurs projets sont encore en concurrence. L'exposition pourrait avoir lieu en 2027, alors que 2022 marquait les vingt ans d'Expo.02.

Pour ce qui est de l'activité parlementaire, les chambres fédérales ont accepté deux motions similaires de Daniel Jositsch (ps, ZH) et Alfred Heer (udc, ZH), qui souhaitent ériger un lieu de commémoration en mémoire des victimes de l'Holocauste et du national-socialisme. En outre, une initiative parlementaire demandant la réhabilitation des Suisses et Suissesses ayant combattu dans la Résistance française doit encore passer devant le Parlement. Les commissions compétentes se sont prononcées en faveur de l'objet.
En proposant de modifier le préambule de la Constitution, Fabian Molina (ps, ZH) s'est heurté à une forte résistance au Conseil national, qui a refusé sa proposition. Le zurichois estimait que le préambule contrevient à la neutralité confessionnelle de l'État. Une discussion pourra à nouveau être menée à ce sujet si l'initiative pour une révision totale de la Constitution lancée en avril aboutit. Les initiants ont jusqu'à octobre 2023 pour récolter les 100'000 signatures.

En 2022, 2 pour cent du nombre total d'articles de presse sur la politique nationale traitaient de sujets liés au thème «Problèmes politiques fondamentaux», un peu moins qu'en 2021, indique l'analyse APS des journaux 2022. Sans surprise, c'est aux alentours du premier août que l'on retrouve la proportion la plus forte de coupures de presse consacrées à ce thème. Sans constituer l'activité principale des chambres fédérales, les discussions qui relèvent de ce chapitre donnent toujours matière à réflexion quant à la manière dont la société suisse soigne le vivre-ensemble, la cohésion nationale, et l'image de la Suisse à l'interne et à l'externe.

Rétrospective annuelle 2022: Problèmes politiques fondamentaux
Dossier: Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2022: Sozialversicherungen

Im Zentrum des Themenbereiches «Sozialversicherungen» standen im Jahr 2022 – wie in den meisten Jahren zuvor – die Altersvorsorge und die Krankenkassen.

Bei der Altersvorsorge wurde insbesondere über die AHV21 diskutiert, insbesondere vor der Abstimmung im September, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 verdeutlicht. Das Parlament hatte die neuste AHV-Reform im Dezember 2021 fertig beraten und dabei entschieden, das Rentenalter der Frauen auf 65 Jahre zu erhöhen und somit demjenigen der Männer anzupassen. Als Kompensation sollten die am stärksten von der Änderung betroffenen neun Jahrgänge entweder einen Rentenzuschlag erhalten oder bei einem frühzeitigen Rentenbezug geringere Renteneinbussen hinnehmen müssen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte sollte zusätzliche Mehreinnahmen für die AHV generieren. Nachdem die SP vor allem aufgrund der Rentenaltererhöhung der Frauen das Referendum ergriffen hatte – sie störte sich insbesondere am Umstand, dass die Renten der Frauen noch immer um einen Drittel tiefer liegen als diejenigen der Männer –, sprachen sich die Stimmberechtigten im September 2022 mit Ja-Anteilen von 50.6 Prozent und 55.1 Prozent für die Änderung des AHV-Gesetzes und für die Mehrwertsteuererhöhung zugunsten der AHV aus. Laut Nachbefragungen hatten sich Frauen mehrheitlich gegen die Erhöhung ihres Rentenalters ausgesprochen, waren aber von einer Mehrheit der Männer überstimmt worden.

Weil Frauen vor allem in der zweiten Säule deutlich tiefere Renten erhalten als Männer, wurde die Diskussion um die Angleichung des Rentenalters auch mit der Besserstellung der Frauen in der beruflichen Vorsorge verknüpft. Deren Revision war 2021 erstmals vom Nationalrat beraten worden. Im Zentrum stand dabei eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes. Für Frauen besonders zentral war die vom Bundesrat geplante Senkung des Koordinationsabzugs sowie die von der SGK-NR ergänzte Senkung der Eintrittsschwelle, welche den versicherten Lohn von Teilzeiterwerbstätigen erhöhen sollen. Statt die BVG21-Revision in der Frühjahrssession 2022 merklich voranzutreiben, schickte der Ständerat das Geschäft für vertiefte Abklärungen zurück an die Kommission. Damit verärgerte er jene Kreise, die ihre Unterstützung der AHV21 von einer Verbesserung der Situation von Teilzeiterwerbstätigen in der beruflichen Vorsorge abhängig machten. Für neuerliche Enttäuschung sorgte in diesen Kreisen dann die Meldung der Kommission, die Vorlage nicht in der Herbstsession, also noch vor der Abstimmung über die AHV21, zur Beratung bereit zu haben. Der Ständerat setzte sich also erst nach erfolgter Annahme der AHV21-Reform in der Wintersession mit der BVG-Reform auseinander und entschied sich dabei unter anderem für einen Mittelweg zwischen Bundesrat und Nationalrat bei der Eintrittsschwelle und für einen prozentualen Abzug beim Koordinationsabzug anstelle der vom Nationalrat geplanten Halbierung des bisherigen Abzugs.

Neben dem Gleichstellungsargument betonten die Gegnerinnen und Gegner der AHV21 im Abstimmungskampf auch ihre Befürchtung, dass die Rentenaltererhöhung der Frauen nur ein erster Schritt für weitere Erhöhungen des Pensionsalters sei. Dabei verwiesen sie unter anderem auf die Initiative der Jungfreisinnigen «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)», welche eine automatische Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung fordert. Diese empfahl der Bundesrat im Juni zur Ablehnung. Zudem beklagten die Gegnerinnen und Gegner der AHV21 die steigenden Lebenshaltungskosten – auch im Rahmen der Teuerung – und forderten einen Leistungsausbau bei der AHV. Dies bezweckt etwa die vom Gewerkschaftsbund eingereichte Initiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)». Der Bundesrat empfahl jedoch auch dieses Anliegen zur Ablehnung und der Nationalrat teilte diesen Antrag in der Wintersession. Stattdessen behandelte das Parlament die Teuerung in einer ausserordentliche Session, wobei eine Motion für einen vollständigen Teuerungsausgleich bei der AHV vom National- und Ständerat angenommen wurde.

Bei den Krankenversicherungen standen – nach einer dreijährigen Erholungspause, in der die Krankenkassenprämien jeweils weniger als 0.6 Prozent pro Jahr angestiegen waren – 2022 die Gesundheitskosten und Prämien im Mittelpunkt des Interesses. Bereits Mitte Jahr wurde aufgrund der steigenden Gesundheitskosten darüber spekuliert, dass die Krankenkassenprämien auf das Jahr 2023 hin wohl einen grossen Sprung machen würden – und tatsächlich musste Gesundheitsminister Berset Ende September eine Erhöhung der mittleren Prämie um 6.6 Prozent bekannt geben. Dies führte in den Medien einmal mehr zur Forderung an die Politik, den Anstieg der Gesundheitskosten endlich in den Griff zu bekommen, was gemäss APS-Zeitungsanalyse insbesondere im September ausführlich diskutiert wurde.
Bundesrat und Parlament beschäftigen sich in der Tat auch 2022 mit verschiedenen Projekten zur Dämpfung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen, etwa im Rahmen des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Im Jahr zuvor hatte das Parlament bereits das Teilpaket 1a gutgeheissen und unter anderem entschieden, auch ambulante Behandlungen zukünftig durch Patientenpauschalen abzurechnen und dafür eine neue Tarifstruktur zu schaffen. Die Frage der Tarifstrukturen im ambulanten Bereich beschäftigte die Tarifpartner denn auch während des ganzen Jahres.
Im Teilpaket 1b, welches das Parlament im Jahr 2022 verabschiedete, wurde unter anderem ein Beschwerderecht der Krankenversicherungen gegen Spitalplanungsentscheide der Kantone sowie ein «Monitoring der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» geschaffen. Ein ausführlicheres Kostenmonitoring mit verpflichtenden Massnahmen bei zu starkem Kostenanstieg schlug der Bundesrat zudem als indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei vor. Eine solche Massnahme war zuvor im zweiten Massnahmenpaket zur Kostendämpfung vorgesehen gewesen.
Auch zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP, die gleichzeitig zur Debatte stand, schuf der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag, mit dem er zukünftig einen Mindestbeitrag an Prämienverbilligungen für die Kantone festsetzen wollte. Der Nationalrat hiess diesen Vorschlag in der Sommersession gut, der Ständerat trat in der Wintersession jedoch nicht auf den Gegenvorschlag ein.
Einen anderen Ansatz zur Kostendämpfung verfolgte das Parlament schon seit mehreren Jahren: Seit 2011 wird an einer einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) gearbeitet. Im Jahr 2022 nahm sich der Ständerat dieses Themas an und schuf zahlreiche gewichtige Differenzen zum Erstrat: So entschied er unter anderem, bereits jetzt die Integration der Pflegeleistungen in EFAS zu regeln und mehr Steuerungsmöglichkeiten und Pflichten für die Kantone zu schaffen.
Eine Möglichkeit, die Prämien zu senken, sahen verschiedene Kantone der Romandie sowie das Tessin in den hohen Reserven der Krankenversicherungen. Ihre Standesinitiativen sowie weitere Vorstösse für eine verbindlichere Rückzahlung der zu hohen Reserven scheiterten 2022 jedoch allesamt im Parlament. Vielmehr wurden die im Vorjahr erfolgten Rückzahlungen der Reserven in verschiedenen Kommentaren als Mitgrund für den hohen aktuellen Prämienanstieg erachtet: Einerseits hätten die Rückzahlungen den Anstieg der Gesundheitskosten überdeckt, andererseits seien deshalb für das neue Jahr weniger Reserven zur Prämienreduktion vorhanden gewesen.

Nicht in erster Linie eine Senkung der Gesundheitskosten, sondern weniger Ärger für die Versicherten erhofften sich Bundesrat und Parlament durch das Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit. Damit soll der Bundesrat Branchenlösungen der Krankenversicherungen im Bereich der Vermittlertätigkeit allgemeinverbindlich erklären können, wodurch Werbeanrufe für Krankenversicherungen bei Personen, die nicht bereits bei der entsprechenden Krankenkasse versichert sind, verboten würden. Strittig war hier zwischen den Räten insbesondere, ob die Branchenlösungen zu Entschädigungen und Ausbildung neben den externen auch für interne Mitarbeitende gelten sollen. Nach der Durchführung einer Einigungskonferenz lenkte der Nationalrat diesbezüglich ein und das Parlament verzichtete auf die Schaffung einer entsprechenden Unterscheidung.

Jahresrückblick 2022: Sozialversicherungen
Dossier: Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2022: Aussenpolitik

Nach der Corona-Pandemie und dem institutionellen Rahmenabkommen 2020 und 2021 wurde das Jahr 2022 nun von einem gänzlich neuen Thema dominiert: Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine löste in der Schweiz nicht nur Diskussionen zum Sanktionswesen aus, sondern auch eine Grundsatzdebatte zur Schweizer Neutralitätspolitik. Die APS-Zeitungsanalyse für das Jahr 2022 zeigt – im Vergleich zu den Vorjahren – das Aufkommen komplett neuer Themenschwerpunkte wie «Neutralität» und «Sanktionen» in der Medienberichterstattung (vgl. Abbildung 2 der Analyse im Anhang). Wenig überraschend zeigen sich Ausschläge in der Artikelzahl zum Thema Aussenpolitik im Februar und März rund um den Kriegsausbruch in der Ukraine. Zwar nahm der prozentuale Anteil der Berichte dazu in den folgenden Monaten ab, hielt sich aber bis in den Herbst hinein auf einem hohen Niveau.

Das Jahr 2022 begann aussenpolitisch mit einem grossen Paukenschlag, dem Kriegsausbruch in der Ukraine Ende Februar, der den Bundesrat gemäss Medien völlig auf dem falschen Fuss erwischte. Noch im Januar hatten sich die Aussenminister Russlands und der USA in Genf getroffen, um die angespannte Lage an der russisch-ukrainischen Grenze zu deeskalieren. Aussenminister Cassis hatte damals von einer «freundschaftlichen, aber konzentrierten Stimmung» gesprochen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Donbass löste im Parlament, wie auch in der Bevölkerung heftige Reaktionen aus. Stände- und Nationalrat verabschiedeten wenige Tage nach Kriegsausbruch eine Erklärung, mit der sie einen sofortigen Waffenstillstand verlangten, und übten in der Folge Druck auf den Bundesrat aus, wirtschaftliche Sanktionen der EU zu übernehmen. Nach mehreren verbalen Verurteilungen des Vorgehen Russlands als völkerrechtswidrig und aufgrund des massiven Drucks aus dem In- und Ausland beschloss der Bundesrat am 27. Februar die Übernahme der Sanktionspakete der EU gegen Russland. Bundespräsident Cassis wurde in der Folge nicht müde zu betonen, dass die Schweiz ihre Neutralität mit dieser Art der Sanktionsübernahme beibehalte. In den folgenden Wochen und Monaten übernahm die Schweiz sämtliche Ausweitungen der Sanktionen der EU gegen Russland – und später auch gegen Belarus. Fast zeitgleich zur Übernahme des EU-Sanktionsregimes gab die Regierung bekannt, die ukrainische Bevölkerung mit Hilfsgütern zu unterstützen. Ein erstes Paket in Höhe von CHF 8 Mio. wurde in raschen Abständen durch weitere Hilfsgüterlieferungen und die finanzielle Unterstützung von humanitären Organisationen ergänzt. Im Bereich der Guten Dienste unterstützte die Schweiz den Reform- und Wiederaufbauprozess in der Ukraine mithilfe der von langer Hand geplanten Ukraine Recovery Conference, die im Juli in Lugano stattfand. Die seit 2017 jährlich stattfindende Ukraine Reform Conference wurde angesichts des Kriegsgeschehens umbenannt und inhaltlich neu ausgerichtet.

Der Erlass und die Übernahme von Sanktionen stellten nicht nur den Bundesrat, sondern auch das Parlament vor neue Fragen und hielten dieses auf Trab. Davon zeugen nicht nur die parlamentarischen Vorstösse zum Thema, sondern auch die intensiven Debatten, die im Rahmen der Anpassung des Embargogesetzes geführt wurden. Eine bereits im Jahr 2019 eingereichte parlamentarische Initiative zur Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen erhielt aufgrund der geopolitischen Umstände besondere Relevanz. Zwar wurde diese vom Ständerat abgelehnt, doch trug sie massgeblich zu einer umfassenden Debatte innerhalb des Parlaments über das Schweizer Sanktionswesen bei. Im Mai 2022 verlangte die APK-NR vom Bundesrat mittels einer Kommissionsmotion die Entwicklung einer kohärenten, umfassenden und eigenständigen Sanktionspolitik. Der reine Nachvollzug von EU- und UNO-Sanktionen genügten nach Ansicht der Kommission nicht, um die Landesinteressen der Schweiz in den Bereichen Sicherheit, Versorgungssicherheit und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.

Eng mit den Überlegungen zur Sanktionsthematik verknüpft war die Frage, inwiefern die Schweiz diese mit ihrer Neutralität respektive mit ihrer Neutralitätspolitik vereinbaren könne. Während die SVP die Schweizer Neutralität durch die übernommenen EU-Sanktionen als bedroht erachtete, liess Alt-Bundesrat Blocher bezüglich der Sanktionsübernahme verlauten: «Wer hier mitmacht, ist eine Kriegspartei.» Derweil wünschte sich die APK-SR vom Bundesrat in einem Postulat mehr Klarheit und Orientierung in der Neutralitätspolitik. Diese Forderung versprach der Bundesrat durch einen aktualisierten Neutralitätsbericht – der letzte stammte aus dem Jahr 1993 – zu erfüllen. Aussenminister Cassis scheiterte jedoch Anfang September mit der Konzeptionierung der von ihm geprägten «kooperativen Neutralität», als der Gesamtbundesrat den Neutralitätsbericht zurückwies. Erst Ende Oktober verabschiedete die Regierung den Bericht in Erfüllung des Postulats und beschloss, an der Neutralitätspraxis aus dem Jahr 1993 festzuhalten. Im gleichen Monat kündigte die neu gegründete nationalkonservative Gruppierung «Pro Schweiz» an ihrer Gründungsversammlung die Lancierung einer Volksinitiative an, mit der sie die «immerwährende bewaffnete Neutralität» der Schweiz in der Verfassung festschreiben will.

Wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie in den Jahren zuvor, sorgten aber auch im Jahr 2022 die bilateralen Beziehungen mit der EU für einige Schlagzeilen. Insbesondere die vom Bundesrat im Januar vorgestellte neue Stossrichtung für das Verhandlungspaket mit der EU sorgte aufgrund des gewählten sektoriellen Ansatzes vielerorts für Kopfschütteln, nicht zuletzt bei EU-Vertreterinnen und -Vertretern selbst. Auch das Parlament kämpfte weiterhin mit den Nachwehen des gescheiterten Rahmenabkommens und beschäftigte sich mit der Vielzahl der 2021 eingereichten parlamentarischen Vorstösse, deren Forderungen von einer nachhaltigen Zusammenarbeit mit der EU, über einen EWR-Beitritt bis zum EU-Beitritt reichten. Der vom Bundesrat versprochene Europabericht, welcher eine Vielzahl der Vorstösse hätte beantworten sollen, liess indes auf sich warten. Im März schwebte überdies die Abstimmung über das Frontex-Referendum wie ein Damoklesschwert über der sowieso schon belasteten Beziehung mit der EU. Ein Nein hätte unter Umständen den Ausschluss aus dem Schengen/Dublin-Abkommen nach sich ziehen können. Zwar verschwanden entsprechende Diskussionen nach dem deutlichen Ja im März 2022 rasch, ein im Sommer publik gewordener Briefwechsel zwischen EU-Vize-Kommissionspräsident Maros Sefčovič und Staatssekretärin Livia Leu warf jedoch ein erneut negatives Licht auf den Stand der bilateralen Verhandlungen. Daraus ging hervor, dass auf beiden Seiten weiterhin Unklarheiten über die jeweiligen Forderungen und roten Linien existierten. Etwas Versöhnlichkeit zeigte das Parlament im März, als es einer Aktualisierung des Abkommens mit der Europäischen Gemeinschaft über Zollerleichterungen und Zollsicherheit zustimmte, sowie in der Herbstsession mit der Annahme zweier Vorlagen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Auch die Anpassungen der Systeme ETIAS und VIS waren in beiden Räten ungefährdet.

Im Gegensatz zu den stagnierenden Beziehungen zur EU zeigte sich die Schweiz sehr aktiv im Umgang mit einzelnen Partnerländern. Das Verhältnis zum Vereinigten Königreich wurde im Frühling 2022 unter anderem durch ein Mobilitätsabkommen für Dienstleistungserbringende, ein Sozialversicherungsabkommen und durch einen Präsidialbesuch von Bundespräsident Cassis in London gestärkt. Ebenfalls im Frühjahr reiste Cassis wenige Wochen nach der Annahme des neuen Grenzgängerabkommens mit Italien im Parlament nach Italien, um sich unter anderem mit dem italienischen Aussenminister Luigi di Maio zu treffen. Generell zeigte sich Cassis in seiner Doppelrolle als Aussenminister und Bundespräsident sehr reise- und gesprächsfreudig. Das belegen unter anderem Staatsbesuche in Österreich und der Tschechischen Republik, Polen und Moldawien, Japan, Niger und dem Vatikan, aber auch Gespräche mit dem Aussenminister der VAE und der slowakischen Präsidentin Zuzana Čaputová.
In seiner Chinapolitik musste der Bundesrat 2022 innenpolitisch mehrere Dämpfer hinnehmen: Das Parlament stimmte gegen seinen Willen mehreren Motionen zu, mit denen die wirtschaftlichen Beziehungen mit China und der Whole-of-Switzerland-Ansatz anders ausgestaltet werden sollen.
Auf multinationaler Ebene stach insbesondere die erfolgreiche Wahl der Schweiz als nichtständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats im Juni hervor. Darüber hinaus beschloss das Parlament, dass sich die Schweiz weiterhin an der internationalen Währungshilfe beteiligen soll, und verabschiedete einen Verpflichtungskredit in Höhe von CHF 10 Mrd. bis 2028, der als Notreserve bei starken Störungen des internationalen Währungssystems eingesetzt werden kann.

Jahresrückblick 2022: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2022

In der Wintersession setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der vom Gewerkschaftsbund lancierten Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» auseinander. An der ausführlichen allgemeinen Aussprache mit 114 Wortmeldungen beteiligten sich zahlreiche Personen aus allen Fraktionen. Zu Beginn präsentierten Céline Amaudruz (svp, GE) und Andri Silberschmidt (fdp, ZH) die Initiative und legten die Position der Kommissionsmehrheit dar. Sie betonten, dass die AHV ihr in der Verfassung definiertes Ziel für die Mehrheit aller Rentnerinnen und Rentner gut erfülle und dass für diejenigen 12.5 Prozent, für welche die AHV eben nicht ausreiche, die Ergänzungsleistungen geschaffen worden seien. Insgesamt sei das Drei-Säulen-System der Altersvorsorge sehr leistungsstark, betonte etwa Silberschmidt. Die Initiative wolle nun aber nicht nur die Situation der bedürftigen Personen – die es durchaus gebe – verbessern, sondern allen per «Giesskannenprinzip» eine Rentenerhöhung von 8.3 Prozent gewähren. Im Jahr 2032 zum Beispiel würde dies zu Mehrausgaben von fast CHF 5 Mrd. führen, ergänzte Amaudruz. Die für eine Finanzierung nötige Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1.1 Prozentpunkte oder der Lohnabzüge um 0.8 Prozentpunkte lehne die Kommissionsmehrheit ebenfalls ab. Schliesslich benachteilige die Initiative Personen mit einer IV- oder Hinterlassenenrente, zumal gemäss Initiativtext nur die Beziehenden einer AHV-Altersrente eine dreizehnte Rente erhalten sollten.
Diese Meinung teilten in der Folge zahlreiche Sprechende der SVP-, der FDP- und der Mitte-Fraktion. Sie lehnten zudem einen Gegenvorschlag, den Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion in der Debatte mehrfach forderten, ab. Stattdessen verwiesen sie unter anderem auf eigene Projekte zur Reform der AHV, etwa auf die Renteninitiative der Jungfreisinnigen oder auf Bemühungen der Mitte-Fraktion «[pour abolir] les désavantages d'être marié» (Benjamin Roduit; mitte, VS), also zur Abschaffung der Benachteiligung der Verheirateten (bei den Steuern und den Renten). Etwas wohlgesinnter zeigten sich die Grünliberalen gegenüber der Initiative. Man lehne zwar eine Rentenerhöhung für die reichsten Haushalte ab, würde eine solche aber für die «ärmsten und ärmeren 30 bis 40 Prozent [der] Rentenhaushalte» befürworten (Melanie Mettler; glp, BE). Ihren Vorschlag für eine entsprechende Kommissionsinitiative habe die bürgerliche Mehrheit in der Kommission jedoch abgelehnt.

Somit erhielt die Volksinitiative nur aus Kreisen der SP und der Grünen Unterstützung. SGB-Präsident Maillard (sp, VD) begründete seinen Minderheitsantrag auf eine Empfehlung zur Annahme der Initiative: Er lobte die Solidarität, die man vor 75 Jahren mit der Schaffung der AHV gestärkt habe. Heute könne aber das Versprechen von damals aufgrund steigender Kosten und sinkender BVG-Renten – bei gleichem Kapital seien die Pensionskassenrenten heute 20 Prozent weniger wert als vor 15 Jahren – nicht mehr eingehalten werden. Folglich seien Massnahmen nötig; wenn nicht durch eine 13. AHV-Rente, dann solle das Parlament in einem Gegenvorschlag alternative Massnahmen vorschlagen, forderte er. Zahlreiche Sprechende der SP- und der Grünen-Fraktion ergänzten die Argumentation Maillards. So sei die Initiative gerade für Frauen, die im Schnitt eine um ein Drittel tiefere Altersrente hätten als Männer, zentral; zudem sei das «Umlageverfahren [...] am effektivsten, billigsten und fairsten» (Prelicz-Huber; gp, ZH), wurde argumentiert. Nicht gespart wurde von links-grüner Seite denn auch an Kritik an der beruflichen Vorsorge sowie an der neuen BVG-21-Reform, welche CHF 3 Mrd. koste und durch welche die Versicherten höhere Beiträge für tiefere Renten bezahlen müssten als bisher. Folglich seien die zusätzlichen Ausgaben für die AHV im Rahmen dieser Initiative sinnvoller, dadurch erhielten die Rentnerinnen und Rentner auch tatsächlich höhere Renten. Zur Finanzierung könne man daher zum Beispiel auch die «0.8 Prozent [an Lohnprozenten], die es für die Initiative braucht, vom BVG in die AHV hinüberschieben», schlug etwa Jacqueline Badran (sp, ZH) vor.

Abschliessend empfahl Gesundheitsminister Berset die Initiative im Namen des Bundesrates zur Ablehnung. Zwar müsse man eine Lösung für die gesunkenen BVG-Renten finden, dies solle aber nicht mit der vorgeschlagenen Initiative geschehen, da der dafür nötige finanzielle Spielraum in der AHV fehle. Mit 123 zu 67 Stimmen sprach sich der Nationalrat in der Folge für den Mehrheitsantrag aus und empfahl die Initiative den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zur Ablehnung. Entsprechend der Wortmeldungen stimmten die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion geschlossen für den Minderheitsantrag, die übrigen Fraktionen geschlossen für den Mehrheitsantrag.

Eidgenössische Volksinitiative «für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» (BRG 22.043)
Dossier: Volksinitiativen zur Altersvorsorge (seit 2015)

Im Dezember 2022 nahm Bundespräsident Cassis auf Einladung Frankreichs an einer hochrangigen Konferenz zur Unterstützung der Ukraine in Paris teil. Ziel des Treffens war es, die Nothilfe und die humanitäre Hilfe für die Ukraine vor dem Wintereinbruch zu koordinieren. Zur Eröffnung der Konferenz hielt der Bundespräsident eine Rede, in der er den Anlass als Fortsetzung der Ukraine-Konferenz in Lugano im Juli 2022 deutete. Er rief die Staatsvertreterinnen und -vertreter dazu auf, den Frieden in Europa wiederherzustellen, die Freiheit der Menschen und ihr Recht auf ein Leben in einem gerechten internationalen System zu verteidigen und der ukrainischen Bevölkerung dabei zu helfen, diese Krise zu überstehen sowie in ein normales Leben zurückzukehren. Bundesrat Cassis betonte die Notwendigkeit abgestimmten Handelns durch die Staatengemeinschaft. Die teilnehmenden Staaten beschlossen schliesslich einen Mechanismus zur Koordination der Nothilfe und der humanitären Hilfe während der kommenden vier Monate. Insbesondere die Bereiche Energie, Wasser, Ernährungssicherheit, Gesundheit und Verkehr sollten geschützt werden. Die Schweiz hatte bereits eine Woche vor der Konferenz 30 Stromgeneratoren in die Ukraine geliefert, 40 mobile Heizgeräte sollten noch vor Jahresende folgen. Insgesamt stelle die Schweiz rund CHF 23 Mio. zur Unterstützung der Ukraine über «multilaterale Kanäle» bereit, teilte das EDA in einer Medienmitteilung mit.

Hochrangige Konferenz zur Unterstützung der Ukraine in Paris
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

Ende Oktober 2022 kündigte das EDA eine Auslandreise von Bundespräsident Cassis nach Rumänien an, in deren Rahmen er sich mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Werner Iohannis, Premierminister Nicolae Ciuca und mehreren Parlamentsmitgliedern hätte treffen sollen. Dieser für Anfang November vorgesehene Besuch wurde kurz darauf jedoch aus terminlichen Gründen auf Dezember verlegt. Erst am 12. Dezember reiste Cassis begleitet von den Nationalrätinnen und Nationalräten Roduit (mitte, VS), Page (svp, FR), Walder (gp, GE) und Weber (glp, VD) – allesamt Mitglieder der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Rumänien – nach Bukarest. Die beiden Delegationen tauschten sich über den Krieg in der Ukraine, die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU und die verstärkte Partnerschaft mit Rumänien durch den zweiten Schweizer Beitrag im Rahmen der Kohäsionszahlung aus. Gemeinsam mit dem rumänischen Finanzminister Adrian Câciu unterzeichnete Cassis anschliessend das Abkommen über die Umsetzung des zweiten Schweizer Beitrags.

Reise von Bundespräsident Cassis nach Rumänien
Dossier: Staatsbesuche im Ausland 2022

Nach der Rückweisung an die Kommission war die Reform «BVG 21» des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge in der Wintersession 2022 erneut für den Ständerat traktandiert. In drei Sitzungen habe sich die SGK-SR entsprechend dem Rückweisungsantrag nochmals über die verschiedenen Kompensationsmodelle für die Übergangsgeneration – gemäss zahlreichen Sprechenden das «Herzstück der Vorlage» – gebeugt. Allgemein geht es beim Zuschlag darum, dass die Reduktion der Neurenten um 12 Prozent, die durch die Senkung des Umwandlungssatzes entsteht, für die ersten Jahrgänge, die das Rentenalter erreichen, abgefedert werden. Dazu, wie diese Personen unterstützt werden sollen, lagen nun drei verschiedene Konzepte (und vier spezifische Vorschläge) vor, deren Unterschied gemäss Kommissionssprecher Erich Ettlin (mitte, OW) vor allem in der Finanzierung – über Lohnprozente oder über Beiträge der versicherten Personen – und in der Frage bestand, ob die Rentenbeziehenden einen monatlichen Zuschuss zu ihrer Rente oder eine einmalige Einlage in ihr Vorsorgekapitel erhalten. Die Kommissionsmehrheit entschied sich für eine leicht angepasste Version des ehemaligen Einzelantrags Dittli (fdp, UR), die im Vergleich zur Version der Kommissionsmehrheit vor der Sommersession deutlich weniger Begünstigte und deutlich tiefere Kosten aufwies. Gleichzeitig lagen drei Minderheitsanträge vor.

Der Entwurf des Bundesrates, der auf dem Kompromiss der Sozialpartner beruhte, wurde im Ständerat von einer Minderheit III Rechsteiner (sp, SG) vertreten. Demnach sollen alle Versicherten der Übergangsgeneration (15 Jahrgänge) anfänglich einen Rentenzuschlag zwischen CHF 100 und CHF 200 monatlich erhalten, wobei dieser Zuschlag von ihrem Alter – nicht aber von ihrem Einkommen – abhängt. Allenfalls soll der Zuschlag auch für weitere Generationen weitergeführt werden können. Finanziert werden soll er durch einen neuen Abzug vom AHV-pflichtigen Lohn in der Höhe von 0.5 Prozent. Kritisiert wurde das Modell vor allem dafür, dass Beiträge im Umlageverfahren systemfremd seien, dass es zu teuer sei und dass auch Personen mit einem hohen Vorsorgekapital einen Zuschlag erhielten. Minderheitensprecher Rechsteiner bewarb das Modell unter anderem damit, dass AHV und Pensionskassen bereits heute ihr in der Bundesverfassung festgehaltenes Ziel, «die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen könnten und darum eine Kompensation für alle Versicherten der Übergangsgeneration nötig sei. Zudem stellte Rechsteiner einen Eventualantrag: Bei einem Entscheid für ein anderes Modell sollte der Ständerat auf die Senkung des Umwandlungssatzes verzichten.

Das Modell des Nationalrats beruhte auf der Idee, dass eigentlich nur die obligatorisch Versicherten (ungefähr 14 Prozent aller Versicherten) von einer Senkung des Umwandlungssatzes betroffen seien – bei den überobligatorisch Versicherten gebe es ja bereits jetzt eine Mischrechnung zwischen obligatorischem und überobligatorischem Vorsorgevermögen, wie Alex Kuprecht (svp, SZ), dessen Minderheit die nationalrätliche Version mehrheitlich aufnahm, argumentierte. Demnach sollen diejenigen Personen, deren zukünftige Rente tiefer liegt als gemäss aktuellem Gesetz, diese Differenz in Form einer einmaligen Kapitaleinlage beim Erreichen des Rentenalters erhalten. Konkret erhielten dadurch 35 bis 40 Prozent der Versicherten eine Ausgleichszahlung. Finanziert werden sollte diese über die Vorsorgeeinrichtungen durch Verlustreserven und durch zusätzliche Beiträge der BVG-Versicherten sowie ihrer Arbeitgebenden. Minderheitensprecher Damian Müller (fdp, LU) widersprach der Darstellung Kuprechts, wonach nur rein obligatorisch versicherte Personen von der Änderung des Umwandlungssatzes betroffen wären: Bei denjenigen, die über eine überobligatorische Versicherung verfügen, werde zukünftig ein immer grösserer Teil des Überobligatoriums zur Deckung der Kosten des Obligatoriums eingesetzt, bis der Umwandlungssatz auf Ersterem bei 0 Prozent liege. Verschiedene Sprechende kritisierten das Modell ebenfalls dafür, dass es zu geringe Kompensationen an zu wenige Personen beinhalte.

Ein neues Modell, beruhend auf dem ehemaligen Minderheitsantrag Dittli, verfolgten die Kommissionsmehrheit sowie die Minderheit II Müller Damian. Beide wollten den Kreis der Personen, die von einem Zuschlag profitieren, gegenüber dem nationalrätlichen Vorschlag vergrössern und gegenüber demjenigen des Bundesrates verkleinern. Die beiden Vorschläge setzten dazu auf das Vorsorgekapital der Versicherten bei Renteneintritt: Solange dieses unter einem Schwellenwert liegt (Kommissionsmehrheit: zweieinhalbfacher Grenzbetrag = CHF 215'000; Minderheit Müller: vierfacher Grenzbetrag = CHF 344'160), erhält die Person den vollen, nach dem Alter abgestuften Zuschlag, bis zu einem zweiten Schwellenwert (Kommissionsmehrheit: fünffacher Grenzbetrag = CHF 430'000; Minderheit Müller: sechsfacher Grenzbetrag=CHF 516'000) einen degressiv abnehmenden Zuschlag. Damit sollten Schwelleneffekte vermieden werden. Dadurch erhielten 25 Prozent (Bundesrat) respektive 40 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen vollen und 25 Prozent (Bundesrat) respektive 20 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen abgestuften Zuschlag. Die Minderheit II verlangte überdies einen Zuschlag für 20 Jahrgänge (Bundesrat: 15 Jahrgänge) sowie einen Mindestbezugsanteil für die Rente von 75 Prozent, während die übrigen Modelle einen Rentenbezug von mindestens 50 Prozent verlangten. Finanziert werden sollten die Zuschläge durch einen Abzug auf dem erweitert koordinierten Lohn von anfänglich 0.24 Prozent (Bundesrat) respektive 0.3 Prozent (Minderheit II). Minderheitssprecher Rechsteiner kritisierte insbesondere den Mehrheitsvorschlag dafür, dass dadurch noch immer zu wenige Versicherte von einem Zuschlag profitieren könnten und erachtete stattdessen den Minderheitsantrag II als «am wenigsten schlecht».

Zusammenfassend unterschieden sich die vier Modelle insbesondere im Anteil der betroffenen Versicherten sowie in den Kosten: Beim Bundesratsmodell und der Minderheit III Rechsteiner sollten 100 Prozent der Versicherten eine Kompensation bei Kosten von insgesamt CHF 29.7 Mrd. erhalten (kumuliert bis ins Jahr 2045), bei der Minderheit II Müller 60 Prozent der Versicherten für CHF 16.8 bis 17.1 Mrd., bei der Kommissionsmehrheit 50 Prozent der Versicherten für CHF 11.7 Mrd. und bei der Minderheit I Kuprecht 35 bis 40 Prozent der Versicherten für CHF 9.7 Mrd. Die Version, welche die Mehrheit der SGK-SR noch vor der Sommersession 2022 empfohlen hatte, wäre 88 Prozent der Versicherten (70% voller Zuschlag, 18% reduzierter Zuschlag) zugutegekommen und hätte CHF 25.2 Mrd. gekostet. In der Folge setzte sich der Mehrheitsantrag gegen alle drei Minderheiten durch (Minderheit I: 34 zu 9 Stimmen; Minderheit II: 24 zu 19 Stimmen; Minderheit III: 28 zu 15 Stimmen). Mit 30 zu 12 Stimmen lehnte der Ständerat gleich darauf auch den Eventualantrag der Minderheit Rechsteiner auf einen Verzicht auf die Senkung des Umwandlungssatzes ab. Bereits in allen vier Vorschlägen enthalten war ein vom Bundesrat geschaffener, aber vom Nationalrat abgelehnter Anspruch auf einen Rentenzuschlag für Personen, welche eine Invalidenrente einer Vorsorgeeinrichtung beziehen.

Obwohl das Modell der Kurzfristkompensation im Ständerat sehr umstritten war und gemäss den Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei einem möglichen Urnengang stark über Annahme oder Ablehnung der Vorlage mitentscheiden könnte, waren gerade auch die Bestimmungen zur Langfristkompensation, mit denen die Senkung des Umwandlungssatzes für diejenigen Personen abgemildert werden soll, die noch länger zu arbeiten haben, sehr zentral. Auch hier nahm der Ständerat zahlreiche Änderungen am nationalrätlichen Entwurf vor.
So schlug die Kommission zum Beispiel bei der Eintrittsschwelle einen Zwischenweg zwischen den Versionen des Bundesrates (CHF 21'510, wie bisher) und des Nationalrates (CHF 12'548) vor, wie es Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) formulierte. Die Eintrittsschwelle sollte demnach bei CHF 17'208 zu liegen kommen, zumal Personen mit sehr kleinen Einkommen nicht immer froh seien, wenn sie darauf noch BVG-Beiträge zahlen müssten. Stillschweigend folgte der Ständerat hier seiner Kommission und entschied in der Folge auch, dass junge Leute erst ab 25 Jahren – und nicht wie vom Nationalrat vorgeschlagen bereits ab 20 Jahren – Beiträge für die berufliche Vorsorge bezahlen müssen. Umstrittener waren hingegen die Änderungen beim Koordinationsabzug. Hier schlug die Kommissionsmehrheit einen Systemwechsel von einem fixen zu einem prozentualen Wert vor: Statt wie bisher CHF 25'095 oder wie vom Nationalrat vorgeschlagen CHF 12'443 sollte der Koordinationsabzug neu 15 Prozent eines Jahreslohns bis CHF 85'320 betragen. Dadurch könne man die Problematik lösen, dass Versicherte mit mehreren Stellen den Koordinationsabzug mehrmals bezahlen müssten und gleichzeitig die Geringverdienenden besserstellen, warb Kommissionssprecher Ettlin für diesen Vorschlag. Eine Minderheit Müller wollte hingegen dem Nationalrat folgen und den heutigen Abzug halbieren. Dies sei administrativ einfacher und günstiger, während Geringverdienende trotzdem gegenüber heute bessergestellt würden. Zudem bleibe die Rente bei einem Einkommen unter jährlich CHF 50'000 auch mit dem Vorschlag der Mehrheit unter der EL-Grenze, während die Versicherten und ihre Arbeitgebenden gleichzeitig deutlich höhere Lohnabzüge für die BVG-Beiträge bezahlen müssten. In der Folge lieferten sich Ruedi Noser (fdp, ZH) und Maya Graf (gp, BL) ein Streitgespräch zur Frage, ob es beim Mehrheitsantrag ein Problem sei, dass der AHV-Lohn der Mitarbeitenden erst im Februar oder März des nächsten Jahres feststeht und somit während des Jahres unklar ist, ob eine Person tatsächlich entsprechende Beiträge leisten muss und wie hoch diese ausfallen werden. Gesundheitsminister Berset verwies auf die stärkere Betroffenheit der Frauen, bei denen ein Drittel der Arbeitnehmenden Netto-Jahreslöhne unter CHF 36'000 aufwiesen – bei den Männern seien es 10 Prozent. Wie der Minderheitensprecher kritisierte auch er, dass der Vorschlag der Kommissionsmehrheit den koordinierten Lohn und somit die BVG-Beiträge gerade bei Personen mit solch tiefen Einkommen gegenüber heute auf das Sechsfache erhöhen würde. Es sei zwar wichtig, den Koordinationsabzug zu senken, «mais [...] il doit être supportable pour les personnes directement concernées». Mit 34 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit.

Darüber hinaus nahm der Ständerat zahlreiche weitere, unbestrittene Änderungen vor. Unter anderem pflichtete er dem Bundesrat sowie dem Nationalrat bei und schuf anstelle der bisherigen vier Stufen der Altersgutschriften neu zwei Stufen in der Höhe von 9 und 14 Prozent. Die einzige Differenz zum Nationalrat blieb hier in der Frage, wann junge Erwachsene mit dem Alterssparen beginnen müssen. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den BVG-21-Entwurf mit 25 zu 10 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten grösstenteils von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Die Medien konzentrierten sich drei Monate nach der Annahme der AHV21 an der Urne vor allem auf die Folgen der Revision für die Frauen. Hier waren sie sich jedoch nicht einig, ob die Frauen als häufiger Teilzeiterwerbstätige gegenüber heute genügend bessergestellt oder gar benachteiligt würden. Ganz allgemein zeigten sich die Medien unsicher, ob die Vorlage in dieser Form an der Urne durchzubringen wäre.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Nachdem der Nationalrat den Nachtragskredit für zusätzliche humanitäre Hilfsleistungen für die Ukraine in der Sommersession 2022 einstimmig angenommen hatte, beantragte die APK-SR ihrem Rat einstimmig die Ablehnung des Vorstosses. Das lag aber keineswegs daran, dass sie das Anliegen der Motion inhaltlich nicht unterstützte. Die Kommission verwies in ihrem Bericht darauf, dass der Bundesrat im März 2022 bereits einen Kredit für humanitäre Hilfe in der Region beschlossen habe, der von den eidgenössischen Räten in der Sommersession angenommen worden sei. Der in der Motion verlangte Betrag von CHF 15 Mio. sei in ebendiesem Kredit bereits enthalten, weshalb das Motionsanliegen erfüllt sei und gemäss ständerätlicher Praxis nicht angenommen werden könne.
Der Ständerat befasste sich in der Wintersession desselben Jahres mit der Motion der APK-NR. Kommissionssprecher Jositsch (sp, ZH) nannte die Forderung der nationalrätlichen Kommission «höchst berechtigt» und faktisch erfüllt, weshalb eine Annahme nicht mehr möglich sei. Bundesrat Cassis schloss sich dieser Argumentation an, woraufhin der Ständerat die Motion stillschweigend ablehnte.

Humanitäre Hilfe für die Ukraine (Mo. 22.3073)

Ständerat Carlo Sommaruga (sp, GE) reichte im September 2022 eine Motion ein, mit der er eine schrittweise Erhöhung des Beitrags der Schweiz an die internationale Zusammenarbeit und die internationale Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels forderte. Die Ausgaben dafür sollten bis 2030 mindestens ein Prozent des Schweizer BIP ausmachen. Er argumentierte, dass die Krisen der vergangenen Jahre einen erhöhten Finanzierungsbedarf zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO (SDG) und der Ziele des Klimaübereinkommens von Paris nach sich gezogen hätten. Zudem existiere ein nachgewiesener Zusammenhang zwischen Klimarisiken, Ernährungsunsicherheit und politischer Instabilität, weshalb Investitionen in die internationale Zusammenarbeit, die Friedensförderung und in den Kampf gegen den Klimawandel einen Beitrag zur weltweiten Sicherheit und Stabilität leisteten. Der Motionär erinnerte den Bundesrat in seiner Begründung daran, dass dieser bestätigt habe, sich im UNO-Sicherheitsrat für die Klimasicherheit einzusetzen. Ständerat Sommaruga bemängelte zudem, dass die Finanzierung für die geplante Einhaltung der SDGs und des Pariser Klimaübereinkommens noch nicht in ausreichendem Masse bereitgestellt worden sei.
Der Bundesrat gab in seiner Stellungnahme zu verstehen, dass er sich der steigenden Bedürfnisse in der IZA und im Bereich der internationalen Klimafinanzierung bewusst sei. Die Regierung halte es aber aufgrund der negativen Perspektiven des Bundeshaushaltes und der absehbaren Defizite in den kommenden Jahren für unrealistisch, ein dermassen hohes Finanzierungsziel für die nächsten acht Jahre festzulegen. Daher beantragte er die Ablehnung der Motion. Man werde die bestehenden Bedürfnisse im Rahmen der künftigen Finanzbeschlüsse der IZA abklären und dem Parlament Anfang 2023 die Botschaft über die Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 unterbreiten. Die Botschaft zu einem Verpflichtungskredit über die globale Umwelt 2023-2026, welche eine Erhöhung der internationalen Umweltfinanzierung vorsehe, liege bereits vor.

In der Wintersession 2022 beriet der Ständerat den Vorstoss. Motionär Sommaruga wies auf den Zusammenhang zwischen der Klimakrise und verschiedenen nationalen und globalen Sicherheitsrisiken hin, der von zahlreichen Experten und selbst von Bundesrat Cassis bestätigt worden sei. Das Argument, die Motion sei finanziell nicht umsetzbar, wollte er nicht gelten lassen. Erst kürzlich habe der Ständerat einer schrittweisen Erhöhung der Armeeausgaben auf ein Prozent des BIP zugestimmt. Auch seine Motion trage zum Ziel bei, die Sicherheit der Schweiz zu stärken. Bundesrat Cassis beschwor die kleine Kammer, die Motion abzulehnen und stattdessen die Finanzbeschlüsse für die IZA abzuwarten. Er hoffe, dass sich der Ständerat nach der eben erst geführten Debatte über den Haushalt 2023 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2024-2026 der trüben Perspektiven bewusst sei.
Das schien tatsächlich der Fall zu sein, denn der Ständerat stimmte mit 26 zu 12 Stimmen gegen den Vorstoss und versenkte ihn damit. Nur aufseiten der Ratslinken fand er Unterstützung.

Schrittweise Erhöhung des Beitrags der Schweiz an die internationale Sicherheit

Departementsverteilung und Prognosen

Bereits nach dem Rücktritt von Ueli Maurer hatten die Medien mögliche Szenarien für Departementswechsel skizziert. Viola Amherd würde das VBS wohl gerne abgeben und allenfalls könnte Karin Keller-Sutter mit dem Finanzdepartement ihr Lieblingsdossier übernehmen, wurde etwa spekuliert. Freilich wurden auch Alain Berset und Ignazio Cassis Wechselgelüste nachgesagt. Bei entsprechenden Wechseln müsste der neue SVP-Bundesrat das in den Medien als unbeliebt geltende Verteidigungs- oder das Justizdepartement übernehmen. Das wahrscheinlichste Szenario sei aber, dass alles beim Alten bleibe, weil sich bei den Gesamterneuerungswahlen 2023 mehr Möglichkeiten für einen Wechsel ergeben würden. Die Ausgangslage und damit auch die Spekulationen änderten sich freilich, als nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga klar wurde, dass auch das UVEK vakant werden würde. Die möglichen Szenarien hätten sich dadurch vervielfacht, urteilte etwa Le Temps wiederum unmittelbar nach der Rücktrittsankündigung von Simonetta Sommaruga. Die Karten würden auch deshalb neu gemischt, weil das frei werdende UVEK begehrt sei – was mit zahlreichen verschiedenen Szenarien untermauert wurde. Insbesondere Albert Rösti (svp, BE) dürfte daran interessiert sein, habe allerdings als allfälliger Bundesratsneuling kaum das Recht, zu wählen.

Normalerweise wird die Diskussion zwischen den Regierungsmitgliedern um die Verteilung der Departemente nach einer Bundesratswahl oder einer -ersatzwahl für die erste offizielle Bundesratssitzung am darauffolgenden Freitag traktandiert. Um eine Situation wie 2018 zu vermeiden, als die Parteien übers Wochenende versucht hatten, Einfluss auf die Verteilung zu nehmen, nachdem man sich am an der ersten (Freitags-)Sitzung nicht hatte einigen können, beraumte Bundespräsident Ignazio Cassis die Besprechung diesmal allerdings bereits früher an. Die eigentliche im Gremium intern zu regelnde Departementsverteilung sollte keinen öffentlichen, politischen Charakter erhalten. Entsprechend traf sich der Bundesrat mit den beiden neuen Mitgliedern bereits am Tag nach den Wahlen zu einer informellen Sitzung, bei der man sich auf eine neue Verteilung einigen konnte: Karin Keller-Sutter übernahm das Finanzdepartement; Elisabeth Baume-Schneider erhielt das EJPD und Albert Rösti das von ihm bevorzugte UVEK. Alain Berset (EDI), Viola Amherd (VBS), Guy Parmelin (WBF) und Ignazio Cassis (EDA) behielten entsprechend ihre Departemente.

Auch wenn Bundespräsident Ignazio Cassis betonte, dass man eine Verteilung im Interesse des Landes gesucht und gefunden habe, sprachen die Medien von «Frustrationen», welche die Verteilung auslöse (Le Temps). Zwar machten die Medien verschiedene «grosse Verlierer» und «grosse Gewinner» aus, waren sich darin aber nicht wirklich einig. Einerseits galt Alain Berset als «grosser Verlierer» der Bundesratswahl, da ihm trotz seiner Wechselgelüste ins EDA oder ins EFD angesichts des «Powerplays» der Bürgerlichen nichts anderes übrig geblieben, als im EDI zu bleiben, meinte etwa der Blick. Andererseits wusste die Aargauer Zeitung, dass er nicht bereit gewesen sei, das «für die Gewerkschaften wichtige Innendepartement, die Gesundheits- und Sozialpolitik in bürgerliche Hände zu geben». Berset selbst zeigte sich in einem Blick-Interview «sehr glücklich» mit seinem Departement.
Als «grosser Gewinner» wurde Albert Rösti bezeichnet, da er gleich sein Wunschdepartement erhalten habe. Der Traumjob des neuen Bundesrats sei aber der Alptraum der Linken, augurten der Blick und 24Heures. Dass der «Ölbaron», vom Blick als «Ölbert» bezeichnet, das UVEK übernehme, sei nicht gut für den Umweltschutz, twitterten etwa die Grünen. Der Umstand, dass Röstis erstes grosses Geschäft das Klimaschutz-Gesetz sei, das er nun verteidigen müsse, verspreche allerdings Spannung und sei ein erster Lackmustest für die Konkordanzfähigkeit des neuen SVP-Bundesrats, waren sich die Medien einig. Ebenfalls zu den Gewinnerinnen wurde Karin Keller-Sutter gezählt, die mit dem Finanzdepartement ihr Wunschdepartement erhalten habe und die bürgerliche Sparpolitik wohl weiterverfolgen werde.
Schwierig werde der Start wohl für Elisabeth Baume-Schneider werden, die im EJPD zahlreiche Baustellen übernehmen müsse, urteilten die meisten Medien. Die Jurassierin selber gab hingegen zu Protokoll, dass sie sich als ehemalige Sozialarbeiterin auf das Departement freue. In einigen Westschweizer Medien wurde darauf hingewiesen, dass jetzt ausgerechnet eine Jurassierin den Wechsel von Moutier vom Kanton Bern in den Kanton Jura supervisiere.
Von der SP wurde die Verteilung als Machtdemonstration der Bürgerlichen kritisiert. Dass der Entscheid im Konsens gefallen sei, wie die Bundesratsmitglieder versicherten, vermochte den Zorn der SP nicht zu mindern. Das sei ein Angriff auf die Kollegialität gewesen, liess sich Cédric Wermuth (sp, AG) in der Aargauer Zeitung zitieren.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

Die Wahl des Bundespräsidenten und des Vizepräsidenten des Bundesrates für 2023 geriet ob der Bundesratsersatzwahl etwas aus dem Rampenlicht. Im Anschluss an die Wahl von Albert Rösti und Elisabeth Baume-Schneider, die als Nachfolger und Nachfolgerin von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga gewählt worden waren, bestimmte die Vereinigte Bundesversammlung den amtierenden Vizebundespräsidenten Alain Berset turnusgemäss zum neuen Bundespräsidenten für 2023. Der SP-Magistrat erhielt dabei lediglich 140 Stimmen. Von den 232 eingelangten Stimmzetteln blieben ganze 46 leer. 16 entfielen auf Viola Amherd, 10 auf Karin Keller-Sutter, 15 auf Diverse und 5 Stimmzettel waren ungültig. Damit übersprang Berset zwar das absolute Mehr (91 Stimmen) klar, das Resultat war aber deutlich unterdurchschnittlich: Seit dem Zweiten Weltkrieg erhielten neue Bundespräsidentinnen und Bundespräsidenten im Schnitt 173 Stimmen. Micheline Calmy-Rey hält mit nur 106 Stimmen (2010) den Minusrekord. Am meisten Stimmen (213) hatte 1978 Willi Ritschard erhalten. Bei seiner ersten Wahl zum Bundespräsidenten im Jahr 2018 hatte Alain Berset noch ausgezeichnete 190 Stimmen erhalten.

Zur Vizepräsidentin wählte die Vereinigte Bundesversammlung ebenfalls turnusgemäss Viola Amherd, die also voraussichtlich 2024 zum ersten Mal Bundespräsidentin werden wird. Im Gegensatz zu Berset konnte sich die VBS-Chefin über ein glänzendes Resultat freuen. Von den 239 eingelangten Stimmzetteln waren zwar 13 leer und 3 ungültig, zudem entfielen 16 Stimmen auf Diverse, auf 207 Stimmzetteln stand hingegen der Name Amherds. Dies war das drittbeste Resultat für eine Vizepräsidiumswahl seit 1945. Nur Roger Bonvin (1966: 214), Eduard von Steiger (1949: 208) und erneut Willi Ritschard (1977: 207) erhielten mehr bzw. gleich viele Stimmen wie die Walliser Magistratin. Den Minusrekord mit 122 Stimmen hielt Ueli Maurer (2012); im Schnitt erhielten Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten seit 1945 gut 170 Stimmen.

Im Anschluss an die Wahl von Präsidium und Vizepräsidium gratulierte der für 2023 frisch gekürte Bundespräsident in seiner Ansprache seiner neuen Kollegin und seinem neuen Kollegen und bedankte sich bei den beiden scheidenden Bundesratsmitgliedern sowie beim scheidenden Bundespräsidenten Ignazio Cassis. In schwierigen und unsicheren Zeiten müsse «ensemble, insieme, ensemen, zusammen» Verantwortung übernommen werden, um Lösungen zu finden. Berset erinnerte daran, dass die Schweiz im kommenden Jahr ihren 175. Geburtstag feiere. Das Land habe sein Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Seine Kultur sei auf Anpassung und Reformen ausgerichtet, worum im Rahmen von starken Institutionen immer wieder gerungen werde. Er freue sich auf die anstehende gemeinsame Arbeit zur ständigen Erneuerung der Schweiz.

Die Medien sprachen angesichts der 140 Stimmen bei der Wahl Bersets von einem höchstens mediokren Resultat (La Liberté). Berset sei «angezählt», urteilte der Tages-Anzeiger. In einer «politisch schwarzen Woche» habe er mit der Präsidentschaftswahl einen «Tiefschlag» erlebt. Im vergangenen Jahr habe er «ungewöhnlich viel einstecken» müssen – der Tages-Anzeiger erinnerte an die versuchte Erpressung Bersets, die Diskussion über die Einsprache gegen eine Mobilfunkantenne in seiner Heimatgemeinde oder die Kritik am Privatpilotflug nach Frankreich, die in den Medien für viel negatives Echo und einen «Krisensommer» für den Freiburger Magistraten gesorgt hätten. Das Präsidialjahr werde freilich nicht einfacher werden, stünden doch zahlreiche Projekte in seinem Departement an, das er nicht habe wechseln dürfen, so der Tages-Anzeiger weiter. Die Weltwoche fragte sich, ob es der Gesundheitsminister im Präsidialjahr wohl schaffe, «sein angeschlagenes Image aufzupolieren». Le Temps vermutete, dass die leeren Stimmen vor allem von der FDP eingelegt worden seien, die ihren Unmut über die überraschende Wahl von Elisabeth Baume-Schneider habe kundtun wollen. Die Freisinnigen hatten im Vorfeld der Ersatzwahlen vor einer Mehrheit der sprachlichen Minderheiten im Bundesrat gewarnt, wie sie nun eingetreten war. Die Leerstimmen seien folglich ein Zeichen dafür, dass der Freisinn die SP auffordere, dieser nicht adäquaten Vertretung der Sprachregionen und der urbanen Schweiz so bald wie möglich ein Ende zu setzen – zum Beispiel mit einem Rücktritt von Alain Berset. Der neue Bundespräsident selber kokettierte mit dieser Kritik und bezeichnete sich in einem Interview mit Le Temps als «un peu périurbain et un peu péri-rural». In den Medien wurde zudem daran erinnert, dass Berset in Umfragen stets zu den beliebtesten Magistratspersonen gehöre.

Ende Jahr gab der scheidende Bundespräsident Ignazio Cassis 24Heures zu Protokoll, dass er sehr gerne noch eine zweite Präsidentschaft erleben würde. Er habe mit dem Ende der Covid-19-Pandemie, mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine und mit der Wahl zweier neuer Mitglieder in der Regierung ein ausserordentliches Präsidialjahr erlebt. Le Temps nahm zudem mit Befriedigung zur Kenntnis, dass dank Cassis mit der EU ein neuer Dialog etabliert worden sei. Der Tessiner selber zeigte sich froh, dass dieses Jahr zu Ende sei; er freue sich aber auf ein nächstes.

2023 – Alain Berset
Dossier: Wahlen des Bundespräsidiums

Die Wahl

Am Mittwoch 7. Dezember schritt die Vereinigte Bundesversammlung schliesslich zur Ersatzwahl. Entsprechend dem Protokoll wurden zuerst die beiden zurücktretenden Bundesratsmitglieder durch den Nationalratspräsidenten Martin Candinas (mitte, GR) verabschiedet. Als «Chrampfer» würdigte Candinas den zurücktretenden SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Er sei «das Gewissen der Finanzpolitik» gewesen und habe immer wieder vor Mehrausgaben gewarnt. Im Parlament würden seine Freundlichkeit, sein «verschmitzter Humor» und seine Vorlieben für Metaphern fehlen, so Candinas. Simonetta Sommaruga habe nicht nur «die Prinzipien der Kollegialität und der Konkordanz verkörpert», sondern auch stets das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt gestellt, lobte Nationalratspräsident Candinas die scheidende Magistratin. Insbesondere während ihres Präsidialjahres während der Covid-19-Krise habe sie die bemerkenswerte Fähigkeit gezeigt, auch «[i]m Moment der Unsicherheit Brücken zu bauen».
Ueli Maurer hob in seiner Abschiedsrede die Bedeutung von Freiheit hervor, die es zu verteidigen gelte, wozu auch ein gesunder Finanzhaushalt beitrage. Er sei stolz auf seinen Ruf als «Sparonkel», freue sich jetzt aber auf die Zeit danach. Simonetta Sommaruga ihrerseits betonte, wie wichtig es sei, dass dass man trotz unterschiedlicher Auffassungen aufeinander zugehe. Es sei ihr eine Freude und eine Ehre gewesen, Bundesrätin zu sein: «Ich habe es gerne gemacht», wiederholte sie noch einmal den Satz, den sie bereits bei ihrer Rücktrittsankündigung gesagt hatte. Die scheidende Magistratin und der scheidende Magistrat wurden unter grossem Beifall und stehenden Ovationen verabschiedet.

Nachdem Martin Candinas die Fraktionsempfehlungen für die Ersatzwahl von Ueli Maurer verlesen hatte – mit Ausnahme der grünen Fraktion, die keinen Kandidaten empfahl, schlugen alle anderen Fraktionen sowohl Albert Rösti (svp, BE) als auch Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) vor – und Fraktionssprecher Thomas Aeschi (svp, ZG) das Parlament gebeten hatte, jemanden vom SVP-Ticket zu wählen, schritt die Vereinigte Bundesversammlung zur ersten «Wahl eines neuen Mitglieds in den Bundesrat». Die Nachfolge von Ueli Maurer war sehr rasch geregelt: Bereits im ersten Wahlgang übersprang der Favorit Albert Rösti das absolute Mehr. Mit 131 von 243 gültigen Stimmen liess er Hans-Ueli Vogt, der 98 Stimmen erhielt, recht deutlich hinter sich. 14 Stimmen entfielen auf Verschiedene.
In seiner kurzen Rede, in welcher der neu gekürte Bundesrat «mit grosser Freude und grossem Tatendrang» die Wahl annahm, betonte Albert Rösti, dass er seine Lebenserfahrung einbringen und seine Überzeugungen im Bundestat vertreten werde; er wolle aktiv und konstruktiv an Lösungen arbeiten, die Bestehendes bewahren, aber wo nötig auch behutsam Anpassungen verlangen.

Die Ersatzwahl von Simonetta Sommaruga dauerte dann etwas länger. Auch hier gab der Nationalratspräsident die Empfehlungen der Fraktionen bekannt – ausser der GLP-Fraktion, die nur Eva Herzog (sp, BS) empfahl, schlugen alle anderen Fraktionen beide Kandidatinnen zur Wahl vor – und auch hier ergriff lediglich der Fraktionspräsident der SP das Wort. Roger Nordmann (sp, VD) dankte noch einmal den beiden scheidenden Bundesratsmitgliedern. Gemäss den seit einigen Jahren eingespielten Gepflogenheiten präsentiere auch die SP-Fraktion ein Zweierticket zur Auswahl, betonte er. Im ersten Wahlgang erhielten freilich nicht bloss die beiden offiziellen Kandidatinnen Stimmen: Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU) kam auf 96 von 243 gültigen Stimmen, Eva Herzog auf 83 Stimmen, gefolgt von Daniel Jositsch (sp, ZH), dem 58 Mitglieder der Bundesversammlung ihre Stimme gaben. 6 Stimmen entfielen auf Diverse. Das absolute Mehr von 123 wurde damit von niemandem erreicht.
Im Vorfeld des zweiten Wahlgangs ergriff noch einmal der Fraktionspräsident der SP das Wort. Er bitte die Bundesversammlung, eine der beiden vorgeschlagenen Frauen zu wählen. Die Zusammensetzung des Bundesrats mit fünf Männern und zwei Frauen sei nicht nur unausgewogen, sondern würde auch völlig aus der Zeit fallen. Er erinnere daran, dass bis heute – inklusive Albert Rösti, dem er gratuliere – 111 Männer, aber lediglich neun Frauen in der Landesregierung gesessen seien. Es sei Zeit für die zehnte. Nicht ans Rednerpult schritt hingegen Daniel Jositsch, obwohl viele Beobachterinnen und Beobachter erwartet hätten, dass er eine Verzichtserklärung abgeben würde. In der Folge erhielt er auch im zweiten Wahlgang 28 Stimmen, weshalb erneut weder Elisabeth Baume-Schneider (112 Stimmen) noch Eva Herzog (105 Stimmen) das absolute Mehr überspringen konnten.
Es brauchte entsprechend einen dritten Wahlgang, bei dem sich aber zur grossen Überraschung der meisten Kommentatorinnen und Kommentatoren die Reihenfolge der Kandidatinnen nicht mehr veränderte: Mit 123 Stimmen – genau so viele waren für das absolute Mehr nötig – wurde Elisabeth Baume-Schneider zur neuen Bundesrätin gewählt. Eva Herzog hatte 116 Stimmen erhalten, erneut entfielen 6 Stimmen auf Daniel Jositsch.
Es sorgte für Heiterkeit, dass die neu gekürte Bundesrätin bereits am Rednerpult stand, bevor sie der Nationalratspräsident dorthin gebeten hatte. Auch Elisabeth Baume-Schneider nahm die Wahl an. Sie gratuliere – das sei ganz seltsam, das auszusprechen – ihrem zukünftigen Kollegen Albert Rösti. Sie wolle getreu dem Satz in der Bundesverfassung, dass sich die Stärke des Volkes am Wohl der Schwachen messe, ihre Werte in den Dienst der Gesellschaft stellen. Sie sei sicher charmant, wie dies viele Kolleginnen und Kollegen im Vorfeld der Wahlen in den Medien immer wieder betont hätten, sie sei aber auch ehrlich und sie könne sehr ernsthaft arbeiten, worauf sie sich freue. In der Folge legte Albert Rösti den Eid und Elisabeth Baume-Schneider das Gelübde ab, woraufhin sie mit stehenden Ovationen bedacht wurden. Vor dem Bundeshaus feierten rund 200 Jurassierinnen und Jurassier den Überraschungssieg «ihrer» ersten Bundesrätin.

Die Medien sprachen praktisch unisono von einer Überraschung. Während die Presse in der Romandie den Sieg ihrer neuen Bundesrätin feierte – Le Temps betitelte sie als «La reine Elisabeth» –, die Wahl als «Höhepunkt eines überzeugenden politischen Werdegangs» darstellte und ihre hervorragende Kampagne lobte, hoben die Deutschschweizer eher die im Vergleich zur «distanziert-kühlen» Eva Herzog sympathischere Art der Jurassierin hervor, um die Überraschung zu erklären. Die NZZ vermutete, dass die Jurassierin von vielen Parlamentsmitgliedern nicht nur als zugänglicher, sondern auch als beeinflussbarer bewertet worden sei. Es sei nicht das erste Mal, «dass in einer Bundesratswahl die Gmögigere gewählt» werde. Die NZZ vermutete gar, dass «der männliche Teil des Parlaments [...] in dubio lieber eine Tochter- oder Mutterfigur [wählt], hingegen vor starken und machtbewussten Frauen [zurückschreckt]». Diese Aussagen wurden in der Folge verschiedentlich als sexistisch kritisiert.
Zahlreiche weitere Gründe wurden für die überraschende Wahl von Baume-Schneider in den Medien bemüht. Mehrmals wurde etwa strategisches Verhalten vermutet: Innerhalb der SP hätten einige den «natürlichen Berset-Nachfolger» Pierre-Yves Maillard (sp, VD) verhindern wollen, mutmasste etwa die NZZ und auch Le Temps glaubte, dass sich das Parlament mit der Wahl Baume-Schneiders für künftige Bundesratswahlen mehr Optionen habe offenlassen wollen. Für den Blick war der «Jura-Coup» eine Folge freisinniger Strategie: So hätten etwa die Stimmen aus der Landwirtschaft und von vielen Romand.e.s nicht für eine Wahl gereicht, die nötigen Stimmen habe sie aus der FDP-Fraktion erhalten, die erkannt habe, dass sie der SP schade, wenn diese zwei Mitglieder aus der Westschweiz in der Landesregierung habe. Als weiteren Grund machten einige Medien auch den Umstand aus, dass Herzog einigen Bürgerlichen wohl «zu europafreundlich» gewesen sei.

Für mediale Diskussionen sorgten auch die Stimmen, die Daniel Jositsch erhalten hatte. In verschiedenen Interviews wurde zudem Unmut darüber geäussert, dass der Zürcher Ständerat keine Verzichtserklärung abgegeben hatte. Insbesondere in seiner eigenen Partei habe er damit viel Geschirr zerschlagen. Der Blick sprach im Hinblick auf künftige Bundesratswahlen gar von einem «Eigengoal»: Mit seinem Verhalten habe er sein Ziel, Bundesrat zu werden, wohl endgültig verbaut. Die Stimmen für Daniel Jositsch seien wohl vor allem aus der SVP gekommen, wurde vermutet. In der Tat gab Christian Imark (svp, SO) in der Solthurner Zeitung zu Protokoll, aus «Protest gegen das Theater im Vorfeld» zuerst Daniel Jositsch die Stimme gegeben zu haben.

Weniger Analyse wurde in den Medien für die Wahl von Albert Rösti angestrengt. «Viel Drama bei der SP – null Drama bei der SVP», brachte dies der Tages-Anzeiger auf den Punkt. Das Resultat sei vor allem auch die Folge davon, dass die Berner Sektion im Gegensatz zur Zürcher Sektion für eine Nachfolge bereit gewesen sei, urteilte Le Temps; Hans-Ueli Vogt sei zudem wohl auch sein Ruf zum Verhängnis geworden, zu wenig hart für den Job zu sein. Die grosse Frage sei nun, wie stark Albert Rösti, der laut NZZ «Konkordanz verkörpert», die Linie der SVP im Bundesrat vertreten werde.

Die Bundesratsersatzwahlen brachten also eine Premiere: Zum ersten Mal seit seinem Bestehen (1979) war der Kanton Jura in der Landesregierung vertreten. Die Wahl seiner Bundesrätin wurde im Kanton Jura denn auch ausgiebig gefeiert. Die Kantonsregierung schaltete ein Inserat, mit dem sie Elisabeth Baume-Schneider gratulierte. Keine Premiere stellte hingegen die Regierungsmehrheit der Sprachminderheiten dar. Bereits von 1917 bis 1920 hatten ein Tessiner (Giuseppe Motta), ein Genfer (Gustave Ador), ein Waadtländer (Camille Decoppet) und der erste Rätoromane (Felix-Louis Calonder) im Bundesrat gesessen. In den restlichen rund 170 Jahren war die Mehrheit in der Landesregierung freilich stets deutschsprachig gewesen. Die von der Bundesverfassung seit 1999 empfohlene adäquate Vertretung der Sprachregionen entspräche mathematisch 2.3 Sitzen für nicht-deutschsprachige Regierungsmitglieder.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

Die Diskussionen um das Thema «Frauen im Bundesrat» begannen bereits fünf Tage nach dem Rücktritt von Ueli Maurer und begleiteten die ganzen Bundesratswahlen 2022. Die NZZ titelte zu Beginn, dass die SVP «auffällig viele Bundesratskandidatinnen» habe und «plötzlich Frauenpartei» sei. Auch wenn Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) und Diana Gutjahr (svp, TG) bereits abgesagt hätten, hätten die Medien mit Esther Friedli (svp, SG), Natalie Rickli (svp, ZH), Monika Rüegger (svp, OW) und Cornelia Stamm Hurter (SH, svp) «für eine Partei ohne Frauenförderungsprogramm [...] erstaunlich viele valable Kandidatinnen» ausgemacht. Nachdem bis auf die Nidwalder Regierungsrätin Michèle Blöchliger (NW, svp) alle Kandidatinnen abgesagt hatten, drehte jedoch der Wind in der Berichterstattung: Der SVP mangle es an Frauen, titelte etwa 24Heures. Sie bleibe «le parti des hommes», schrieb Le Temps, wofür sie die lediglich knapp 20 Prozent gewählten SVP-Frauen im nationalen Parlament, aber auch das Verhalten der Männer in der Partei als Belege ins Feld führte. Ueli Maurer habe 2014 Frauen beispielsweise als «Gebrauchtgegenstände im Haushalt» bezeichnet. Entsprechend habe Michèle Blöchliger gegen die männlichen SVP-Schwergewichte auch keine Chance. Der Tages-Anzeiger erinnerte daran, dass die SVP in Geschlechterfragen bereits einmal weiter gewesen sei: Im Jahr 2000 habe sie Rita Fuhrer als Bundesratskandidatin vorgeschlagen, das Parlament habe damals jedoch Samuel Schmid gewählt. Die Sonntagszeitung sprach ob der vielen Absagen hingegen von einer «Partei der Feiglinginnen».
Zwar forderten nicht wenige Exponentinnen und Exponenten der SVP – etwa Toni Brunner (svp, SG), der der Findungskommission angehörte, Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE) oder gar Christoph Blocher –, dass die Partei dem Parlament eine Kandidatin und einen Kandidaten zur Auswahl präsentiere. Letztlich war die einzige Frau unter den offiziell Kandidierenden allerdings chancenlos: In der Fraktion sprachen sich nur 4 (von 51) Mitgliedern für die Nidwaldner Kandidatin Blöchlinger aus.

Nicht nur die Gleichstellung von Frauen und Männern, auch die Genderdebatte erhielt im Zusammenhang mit den Wahlen einige mediale Aufmerksamkeit. So sorgte eine im Rahmen seiner Rücktrittsankündigung gemachte Aussage von Ueli Maurer für Kritik, wonach es keine Rolle spiele, ob eine Frau oder ein Mann seine Nachfolge übernehmen werde – «solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch». Das Transgender-Netzwerk forderte vom scheidenden Bundesrat eine Entschuldigung und Kim de l’Horizon, die genderfluide, nichtbinäre Person, die mit ihrem Debütroman 2022 mit dem Schweizer und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden war, fragte in einem NZZ-Feuilletonbeitrag, was so schlimm am Körper von Kim de l'Horizon sei, dass ihn Ueli Maurer von politischer Führung ausschliessen wolle. Kim de l'Horizon lade den noch amtierenden Bundesrat auf ein Bier ein, damit dieser ein «Es» kennenlernen könne.

Diese Debatten waren jedoch in der Folge auch deshalb nur noch Randthema, weil die Gleichstellungsdiskussion kurz nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga auf die SP übersprangen, nachdem die Parteileitung bekannt gegeben hatte, dass die SP auf ein reines Frauenticket setzen werde. Es sei «logisch», dass die SP nur Frauen aufstelle, weil sie mit Alain Berset bereits einen Mann in der Regierung habe, war zwar zuerst der allgemeine mediale Tenor gewesen. Auch nachdem Daniel Jositsch (sp, ZH), der selber Ambitionen auf den Sitz in der Bundesregierung hegte, diese Entscheidung kritisiert und eine eigene Kandidatur in den Raum gestellt hatte, war im linken Lager unbestritten, dass nur eine Frau als Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga in Frage kommen würde – auch wenn dieser Entscheid auch von einigen SP-Frauen kritisiert wurde. Einige Kritik wurde jedoch auch aus dem bürgerlichen Lager laut.

Für mehr mediale Aufmerksamkeit sorgte hingegen die von Tamara Funiciello (sp, ZH) lancierte Überlegung, dass es im Bundesrat mehr junge Mütter mit schulpflichtigen Kindern brauche, damit die Gleichstellung und die Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Fortschritte machten. Im Sonntagsblick wurde vermutet, dass junge Mütter wohl bei einer Wahl stärker in der Kritik stehen und wahlweise als schlechte Mutter oder schlechte Bundesrätin gelten würden. Mit Elisabeth Kopp, Micheline Calmy-Rey und Eveline Widmer-Schlumpf seien zwar bereits Mütter in der Landesregierung gewesen, nur die Tochter von Elisabeth Kopp sei damals allerdings im schulpflichtigen Alter gewesen, berichtete der Tages-Anzeiger. Karin Keller-Sutter habe vor einigen Jahren gar gesagt, dass ihre politische Karriere mit Kindern nicht möglich gewesen wäre. In anderen Ländern sei es hingegen Realität, dass junge Frauen mit Kindern Regierungsverantwortung übernähmen. Natürlich sei es in der Schweiz unüblich, dass jemand zwischen 30 und 40 Bundesrätin werde, dennoch sei es nie jemandem in den Sinn gekommen, bei Alain Berset in der entsprechenden Situation nach Vereinbarkeit von Amt und Familie zu fragen, so der Tages-Anzeiger. Freilich habe es auch schon Männer gegeben, die aus familiären Gründen auf einen Bundesratsposten verzichtet hätten, aktuell etwa Marcel Dettling (svp, SZ) bei der Nachfolge von Ueli Maurer. Die NZZ meinte hingegen, dass die Frage nicht sei, ob die Schweiz dafür bereit sei, sondern ob junge Schweizer Mütter sich überhaupt zur Verfügung stellen würden.
Vor allem bei der Kandidatur von Evi Allemann (BE, sp) war das Thema «junge Mütter im Bundesrat» Gegenstand jedes Interviews mit der Bernerin. Es sei «vielleicht eine neue Selbstverständlichkeit», dass junge Frauen, die vor 20 Jahren gewählt worden seien, dank ihrer Erfahrung mehr Verantwortung übernehmen wollten, mutmasste Evi Allemann in einem dieser Interviews. Ihre Arbeit im Regierungsrat des Kantons Bern zeige, dass es sehr wohl möglich sei, Kinder zu haben und ein Regierungsamt zu bekleiden, gab sie dabei zu Protokoll.

Dass Politikerinnen auch medial anders beurteilt werden als Politiker, zeigte dann auch die Kandidatur von Eva Herzog (sp, BS). Nicht ihre Mutterschaft, sondern ihr Alter war häufig Gegenstand der Berichterstattung: «Es ist halt immer das Gleiche. Zuerst sind die Frauen zu jung und unerfahren, dann haben sie Kinder und es geht nicht, und am Schluss sind sie zu alt», kritisierte die Basler Ständerätin die entsprechenden Diskussionen. Beim SVP-Kandidaten Heinz Tännler (ZG, svp), der 62 Jahre alt sei, rede niemand über das Alter. Letztlich gehe es im Bundesrat aber weder um Geschlecht, Familie oder Alter, sondern um Dossierkenntnisse, so Eva Herzog.
Interessanterweise wurde das Thema Vereinbarkeit von Amt und Familie in der Deutschschweizer Presse wesentlich virulenter diskutiert als in der Westschweizer Presse. Als möglichen Grund erachtete Min Li Marti (sp, ZH) in einem Interview mit der NZZ, dass die Vorstellung, dass Familie Privatsache sei und eine Frau, die sich nicht den Kindern widme, eine Rabenmutter sei, in der Deutschschweiz viel stärker verbreitet sei als in der Romandie.

Als positiv wurde es hingegen vielfach erachtet, dass die Diskussion um Frauenvertretung im Bundesrat heute wesentlich wichtiger sei als noch vor ein paar Jahren. Dass die Vertretung von Frauen in der Politik heute viel stärker als Selbstverständlichkeit betrachtet werde, sei ein grosser Fortschritt, urteilte etwa der Tages-Anzeiger. Vielleicht würden künftig andere Kriterien wichtiger. In der Tat gab es im Vorfeld der Ersatzwahlen etwa auch Forderungen für eine bessere Repräsentation hinsichtlich Ausbildung und von «Nicht-Studierten» im Bundesrat. Im Zusammenhang mit möglichen Wahlkriterien wurde zudem oft darauf hingewiesen, dass die früher bedeutende Konfessionszugehörigkeit heute überhaupt keine Rolle mehr spiele.

Mehrfach Grund für Kritik lieferte schliesslich die mediale Berichterstattung zu den Wahlen selbst. So spielten bei der Analyse der Gründe für die Wahl Albert Röstis und Elisabeth Baume-Schneiders in den meisten Deutschschweizer Medien Geschlechterdiskussionen eine relevante Rolle. Hervorgehoben wurde vor allem die im Vergleich zu Eva Herzog sympathischere Art der Jurassierin. Die NZZ beispielsweise kritisierte, dass die «sich zugänglicher und mütterlicher» präsentierende Elisabeth Baume-Schneider die «pragmatisch, kompetent und maximal unabhängig» und «überdurchschnittlich starke Kandidatin» Eva Herzog habe übertrumpfen können. Dies habe einen «schale[n] Nachgeschmack». Bei den beiden SVP-Kandidaten waren solche Attribute kaum zu finden. Zwar wurde anders als noch bei früheren Bundesrätinnenwahlen kaum über Frisur oder Kleidung geschrieben, trotzdem war auffällig, dass nur bei den Frauen ein «sympathisches und mütterliches» Auftreten als möglicher Wahlgrund aufgeführt wurde, nicht aber bei den beiden Männern. Albert Rösti wurde weder als «väterlich» noch als «zugänglich» beschrieben. Er sei zwar «ein fröhlicher Mensch», so die NZZ, er habe aber eine «andere Eigenschaft, die ihn für den harten Job eines Bundesrats empfiehlt: Er ist zäh».

Umgekehrt wurde insbesondere von verschiedenen Frauen mehrfach kritisiert, dass einmal mehr, wie bereits bei der Wahl von Ruth Metzler 1999, nicht die kompetentere, sondern die «Frohnatur», wie es die NZZ ausdrückte, gewonnen habe. «Starke Frauen» hätten es demnach schwer, von den Männern gewählt zu werden, lautete die Kritik. Hingegen verwies die NZZ darauf, dass auch bei den Männern nicht selten der «Gmögigere» gewinne.

Gleichstellungsdiskussionen im Rahmen der Bundesratswahlen 2022

Im Rahmen der Bundesratswahlen 2022 kam es auch zu ausführlichen Diskussionen um die Vertretung der Regionen, die sich vorab um die sehr unterschiedliche bisherige Zahl an Bundesratsmitgliedern aus den verschiedenen Kantonen drehte. Vor den Ersatzwahlen 2022 wurde die Rangliste vom Kanton Zürich mit bisher 20 Vertreterinnen und Vertretern in der Landesregierung angeführt, gefolgt vom Kanton Waadt mit 15 und dem Kanton Bern mit 14 Vertrenden. Noch nie im Bundesrat vertreten waren bis dahin die Kantone Jura, Nidwalden, Schaffhausen, Schwyz und Uri.
Seit der entsprechenden Abstimmung im Februar 1999 spielt die Kantonsklausel allerdings keine Rolle mehr. Bis damals war es nicht möglich gewesen, dass zwei Regierungsmitglieder aus dem gleichen Kanton stammten. Unklar war hingegen seit je her, wie die Kantonszugehörigkeit genau definiert wird: durch den Wohnkanton oder den Bürgerkanton; und aus welchem Kanton stamnen verheiratete Frauen, die über mehrere Heimatrechte verfügten? So war etwa Ruth Dreifuss im Kanton Aargau heimatberechtigt, hatte aber dem Berner Stadtrat angehört und ihre Papiere kurz vor ihrer Wahl nach Genf verlegt. Bei der Diskussion um die Kantonszugehörigkeit eines Bundesratsmitglieds stellt sich überdies die Frage, ob Mitglieder der Landesregierung effektiv für «ihren» Kanton lobbyieren, wenn sie im Bundesrat sitzen. Nichtsdestotrotz war die Kantonszugehörigkeit der verschiedenen Kandidierenden recht laute mediale Begleitmusik der Bundesratsersatzwahlen 2022. Ob bei den Diskussionen um eine mögliche Nichtvertretung des Kantons Zürich bei der Kandidierendensuche der SVP, um lange Zeit untervertretene Kantone bei der Bewerbung von Heinz Tännler (ZG, svp) oder Eva Herzog (sp, VS), um Kandidierende aus Kantonen, die gar noch nie im Bundesrat vertreten waren bei den Kandidaturen von Michèle Blöchliger (NW, svp) oder Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU), um die sich verändernden Chancen der Berner-SVP-Kandidaturen nach dem Rücktritt der Berner Bundesrätin Simonetta Sommaruga: Stets wurde dem Herkunftskanton Relevanz zugesprochen.

Für Diskussionen sorgte freilich auch die Vertretung der Sprachregionen. Dass es nach 1917 zum zweiten Mal in der Geschichte zu einer Mehrheit von nicht-deutschsprachigen Magistratinnen und Magistraten kommen könnte bzw. kam, wurde vor und nach den Ersatzwahlen vor allem von der FDP kritisiert. Die Freisinnigen forderten, dass dies nur für «eine kurze Übergangszeit» so bleiben dürfe. Diese Entscheidung obliege der Bundesversammlung, erwiderte SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (sp, VD). Die Schweiz gehe nicht unter, nur weil es keine deutschsprachige Mehrheit im Bundesrat gebe.

Das am meisten und nach den Ersatzwahlen vor allem in den Deutschschweizer Medien mit einiger Heftigkeit diskutierte Thema war dann freilich die Untervertretung der «urbanen Schweiz». Der Tages-Anzeiger sprach in seiner Online-Ausgabe davon, dass «dieser Mittwoch kein guter Tag für die Schweiz» gewesen sei. 70 Prozent der Bevölkerung und die «Fortschrittsmotoren» Zürich und Basel seien nun untervertreten. Offen forderte die Zeitung den baldigen Rücktritt von Alain Berset und Guy Parmelin, damit das Parlament dies nach den eidgenössischen Wahlen 2023 wieder korrigieren könne. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass hinsichtlich Finanzausgleich lediglich noch «Nehmerkantone» in der Regierung vertreten seien. Andrea Caroni (fdp, AR) gab dem St. Galler Tagblatt zu Protokoll, dass er Angst habe, dass die «erhebliche sprachliche und geographische Schlagseite» im Bundesrat die Bundesverfassung strapaziere. Die Aargauer Zeitung sprach von einer «Ballenberg-Schweiz», die jetzt dominiere, obwohl eine «urbane Sichtweise» nötig wäre. Die Millionen Menschen, die in städtischen Räumen lebten, seien nun ohne Stimme in der Landesregierung, die mehr «Zerrbild als Abbild» sei, kritisierte erneut der Tages-Anzeiger. In ebendieser Zeitung befürchtete Hannes Germann (svp, SH) schliesslich, dass das Parlament «ein Chaos angerichtet» habe, weil dieses «krasse Ungleichgewicht» unschweizerisch sei.
Für die WoZ stellte dies aber aus städtischer Sicht kein Problem dar, da wesentlich wichtiger sei, welche unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen vertreten seien. Noch pragmatischer urteilten die Westschweizer Medien. Mauro Poggia (mcg, GE) brachte diese Haltung in La Liberté auf den Punkt: Er habe Vertrauen in die Intelligenz der Personen in der Landesregierung: «Ce n'est pas parce qu'on est d'origine paysanne qu'on ne pense pas aux villes.» Die Erfahrung, selber einmal zur Minderheit zu gehören, könne der Deutschschweiz vielleicht auch guttun, zitierte der Blick den Chefredaktor seiner Romandie-Ausgabe. Auch Alain Berset meldete sich zu Wort: Er könne kein Problem erkennen, weil die Menschen heute so mobil seien, dass sie sich nicht mehr in Schablonen wie Stadt und Land pressen liessen. Die Vernetzung sei so gross, dass die regionale Herkunft kaum mehr eine Rolle spiele.

Diskussionen um die Vertretung der Regionen im Rahmen der Bundesratswahlen 2022

Im August 2022 publizierte der Bundesrat die Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Albanien über soziale Sicherheit. Das Abkommen schafft die völkerrechtliche Grundlage für die Koordinierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invaliditätsvorsorge beider Länder. Gemäss Botschaft entspricht das Abkommen inhaltlich den Sozialversicherungsabkommen, welche die Schweiz mit den anderen Balkanstaaten Montenegro, Serbien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina abgeschlossen hat. Dementsprechend regle es allgemein geltende Grundsätze wie die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen, die Auszahlung der Renten ins Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten, die Unterstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Zudem enthalte es eine Grundlage zur Bekämpfung von missbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen.

Das Geschäft wurde in der Wintersession 2022 vom Nationalrat besprochen, wobei die vorberatende SGK-NR das Geschäft mit grosser Mehrheit zur Annahme empfohlen hatte. Kommissionssprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) erklärte, dass die Inanspruchnahme von Leistungen der Altersvorsorge im Ausland eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei. Für die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme sei jedoch der Abschluss eines zwischenstaatlichen Vertrags notwendig. Die Umsetzung des Abkommens bringe zudem Mehrkosten von CHF 2.5 Mio. mit sich, wobei CHF 2 Mio. zulasten der Versicherungen und die restlichen CHF 500'000 zulasten des Bundes gingen. Es käme aber auch zu Einsparungen bei den Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligungen und der Sozialhilfe, indem die betroffenen Personen ihren Wohnsitz nach Albanien verlegten.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) beantragte dem Rat, nicht auf das Geschäft einzutreten. Minderheitssprecher Glarner wies darauf hin, dass nur 70 Schweizerinnen und Schweizer in Albanien lebten, im Vergleich zu den 3000 Albanerinnen und Albaner in der Schweiz. Die SVP-Fraktion lehne das Abkommen ab, weil die Kaufkraftdifferenz zum Überweisungsland nicht berücksichtigt werde, so Glarner. Zudem käme es bei einer Umsetzung des Abkommens zu einem «Export der schweizerischen Sozialversicherungsleistungen» und die AHV hätte Mehrkosten in Höhe von CHF 2 Mio. zu tragen, obwohl deren Finanzierung nach 2030 nicht gesichert sei. Bundesrat Berset erinnerte den Rat daran, dass das Abkommen identisch mit den bereits mit anderen Balkanstaaten abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen sei. Die finanziellen Auswirkungen bezeichnete er als gering, er hob jedoch die Bedeutung der Betrugsbekämpfungsklausel hervor. Die grosse Kammer trat mit 125 zu 53 Stimmen (bei 1 Enthaltung) auf das Geschäft ein und genehmigte das Abkommen mit 129 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen). Die Gegenstimmen stammten von der SVP-Fraktion.

Sozialversicherungsabkommen mit Albanien
Dossier: Sozialversicherungsabkommen mit den Nachfolgestaaten der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien

In der Wintersession 2022 beriet der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP. Die Initiative selbst sollte erst in einem zweiten Schritt beraten werden, um den Initiantinnen und Initianten die Möglichkeit zu geben, die Initiative in der Zwischenzeit zurückzuziehen. Erich Ettlin (mitte, OW) stellte dem Rat den Gegenvorschlag vor und betonte, dass der Bundesrat damit die Kantone in die Pflicht nehmen wolle – für den Bund würde die Vorlage denn auch keine neuen Verpflichtungen mit sich bringen. Bei den Kantonen, namentlich der FDK und der GDK, sei die Vorlage jedoch auf Widerstand gestossen; die FDK lehne Initiative und Gegenvorschlag ab, während die GDK «nur» Verbesserungen am Gegenvorschlag verlange. Die SGK-SR habe in der Folge einige Änderungen vorgenommen, sei bei ihrem Entwurf aber nahe an der bundesrätlichen Version geblieben. Zur Beratung dieser Details gelangte der Ständerat jedoch nicht. Zuvor hatte er einen Einzelantrag Würth (mitte, SG) auf Nichteintreten zu beraten. Bevor man über Verbesserungen am Gegenvorschlag diskutiere, solle man überlegen, «ob das geltende System wirklich revisionsbedürftig» sei, argumentierte Würth. Das aktuelle System sei im Rahmen der NFA geschaffen worden, wobei man den Kantonen bezüglich Prämienverbilligungen absichtlich viel Spielraum gelassen habe, zumal sie die sozialpolitische Situation – etwa alternative sozialpolitische Massnahmen, Einkommensverteilung, Gesundheitskosten und Prämienlast – am besten kennen würden. Wolle man die Regeln zur IPV erneut ändern, solle man das durch eine Entflechtung der Aufgaben von Bund und Kantonen tun, nicht durch eine noch stärkere Verflechtung, wie sie der Gegenvorschlag beinhalte. Zudem seien die Kantonsbeiträge aufgrund der Finanzkrise zwar deutlich gesunken, in den letzten Jahren aber wieder angestiegen. Auch Jakob Stark (svp, TG) zeigte sich vom Gegenvorschlag des Nationalrats nicht begeistert, er erachtete diesen als «dirigistisch-zentralistische Lösung [...], die den Kantonen den Spielraum nimmt».
Für Eintreten sprachen sich hingegen Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) und Paul Rechsteiner (sp, SG) aus. Bei der Schaffung des KVG habe man das Versprechen gegeben, dass aufgrund der Prämienverbilligungen niemand mehr als 8 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien aufbringen müsse – quasi als «Korrektiv der Kopfprämien» (Rechsteiner). Durch die Änderung im Rahmen der NFA sei das System dysfunktional geworden, weil die Kantone keine Mindestbeiträge mehr leisten müssten. Heute liege der Anteil der Krankenkassenprämien bei durchschnittlich 14 Prozent des Einkommens, in Extremfällen gar bei 20 Prozent. Mit der Initiative und dem Gegenvorschlag wolle man nun zum damaligen System zurückkehren.
Gesundheitsminister Berset rief dem Rat den Kontext des Projekts in Erinnerung, nämlich die Initiative, «[qui] aurait des conséquences financières assez importantes pour la Confédération», die also bei Annahme grosse finanzielle Auswirkungen für den Bund hätte. In den letzten Jahren seien die Beiträge der Kantone an die Prämienverbilligungen – wie von der Initiative kritisiert – stark auseinandergegangen, daher sei es nötig, hier wieder für mehr Konvergenz zu sorgen.
Mit 22 zu 20 Stimmen sprach sich der Ständerat jedoch gegen Eintreten aus. Geschlossen für Eintreten stimmten die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion, gespalten zeigte sich die Mitte-Fraktion. Geschlossen oder fast geschlossen gegen Eintreten votierten die Mitglieder der SVP- und der FDP-Fraktion.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Am 29. und 30. November 2022 reiste der italienische Präsident Sergio Mattarella für einen offiziellen Staatsbesuch in die Schweiz. Er wurde von Bundespräsident Cassis, den Bundesrätinnen Amherd und Sommaruga sowie von Bundesrat Parmelin in Bern empfangen. In der Folge führte er am ersten Besuchstag bilaterale Gespräche mit der Schweizer Delegation. Unter anderem wurde diskutiert, wie die Kooperation in den Bereichen Energie, Innovation, Forschung und in den wirtschaftlichen Beziehungen in Zukunft vertieft werden könnte. Laut Medienmitteilung seien auch die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU zur Sprache gekommen, zudem habe der Bundesrat dargelegt, wie man diese aus Sicht der Schweiz weiterentwickeln wolle. Weitere Themen seien die Zusammenarbeit bei Migrationsfragen innerhalb Europas und die Sicherheitslage aufgrund des Kriegs in der Ukraine gewesen. Am zweiten Besuchstag reisten Mattarella und Cassis an die ETH in Zürich, um sich über Innovation und Unternehmertum auszutauschen.

Staatsbesuch von Italiens Präsident Sergio Mattarella
Dossier: Staatsbesuche und öffentliche Besuche in der Schweiz seit 1990

In der Wintersession 2022 bereinigte das Parlament die fünfte Änderung des Covid-19-Gesetzes, bei der es darum ging zu entscheiden, welche Massnahmen nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz bis Juni 2024 weitergeführt werden sollen. Eintreten war im Ständerat unbestritten, umstritten war in der Folge nur die Frage, ob und wie lange die Covid-19-Teststrategie aufrechterhalten wird, wer dafür zuständig sein wird und wer diese bezahlen soll. Nach Testkosten von CHF 2.1 Mrd. im Jahr 2021 und laufenden CHF 1.6 Mrd. im Jahr 2022 würden für das kommende Jahr Testkosten in der Höhe von CHF 430 Mio. und für 2024 Kosten im Umfang von CHF 210 Mio. erwartet, erläuterte Kommissionssprecher Dittli (fdp, UR). Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, dass die Kantone von Januar bis März 2023 für die vom Bund abgerechneten Testkosten aufkommen und ab April 2023 neben den Kosten auch für die Durchführung und Detailregelungen der Tests zuständig sein sollen. Der Nationalrat wollte jedoch als Erstrat die Verantwortung für Durchführung und Kosten der Tests bis Juni 2024 beim Bund belassen. Eine Minderheit II Stöckli (sp, BE) vertrat die nationalrätliche Position im Ständerat und argumentierte, dass man das bewährte Testregime so lange fortsetzen solle, wie es nötig sei. Eine Übertragung an die Kantone sei nicht sinnvoll, da man ansonsten 26 verschiedene Testregimes haben werde. Die Kommissionsmehrheit pflichtete zwar dem Nationalrat bei, Organisation und Kosten der Tests bis Ende März 2023 beim Bund zu belassen, wollte aber ab April 2023 zum «Normalzustand» (Dittli) zurückkehren, also vollständig auf eine staatliche Finanzierung der Tests verzichten. In der Folge müssten erneut die Krankenkassen und die Privatpersonen für die Kosten aufkommen. Das Testregime sei aufwändig und kostenintensiv und bringe nach dem Ende der Grippesaison nur noch wenig, argumentierte der Kommissionssprecher. Als Kompromiss zwischen den beiden Positionen bezeichnete Maya Graf ihre Minderheit I, welche die Verantwortung wie der Bundesrat ab April 2023 den Kantonen übertragen, im Gegensatz zur Regierung jedoch die Kosten bis Ende März 2023 noch dem Bund belasten wollte. Einen etwas anderen Ansatz verfolgte eine Minderheit III Hegglin (mitte, ZG), welche die Testkosten nur bei einer besonderen Lage gemäss Epidemiengesetz vom Bund abgelten lassen wollte – mit dieser Regelung würden die Tests somit Ende 2022 auslaufen. Seit der Rückkehr in die normale Lage habe man keine Massnahmen gegen die Pandemie mehr ergriffen, entsprechend sei es auch nicht mehr zentral, eine «Übersicht über die epidemiologische Entwicklung» zu haben – die man überdies durch Abwasserproben günstiger haben könne, begründete der Minderheitensprecher seinen Antrag. Gesundheitsminister Alain Berset fürchtete vor allem die Verbindung der Tests mit der Lage gemäss Epidemiengesetz, zumal dies den Druck – auch der Kantone – zur Rückkehr in die besondere Lage verstärken könne. Er beantragte dem Rat folglich, beim bundesrätlichen Vorschlag zu bleiben. In der Ausmehrung setzte sich jedoch der Antrag der Minderheit III Hegglin durch. Der Ständerat entschied sich somit für die Verknüpfung der Testkostenübernahme mit der Lage gemäss Epidemiengesetz und schuf eine erste Differenz zum Nationalrat.

Stillschweigend folgte der Ständerat seiner Kommission bei der Frage der Vorhalteleistungen: Der Nationalrat hatte vorgeschlagen, dass die Kantone Finanzierungsvereinbarungen für ausserkantonale Covid-19-Patientinnen und -Patienten abschliessen sollten. Die Kantone hatten sich aufgrund des grossen administrativen Aufwands dagegen gewehrt, zudem kritisierte die SGK-SR, dass ein solches Vorgehen gegen die Regeln der Spitalfinanzierung verstosse. Der Ständerat lehnte die Regelung folglich ab und schuf eine zweite Differenz zum Nationalrat. Hingegen stimmte er – wie vom Nationalrat vorgeschlagen – für die Aufrechterhaltung der Regelung, wonach Nationalrätinnen und Nationalräte bei Covid-19-Quarantäne oder -Isolation – sollten diese wieder nötig werden – in Abwesenheit abstimmen können. Einstimmig nahm der Ständerat den Entwurf in der Folge an (mit 43 zu 0 Stimmen).

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

In der Wintersession 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit einer Motion Müller (fdp, LU), welche auf mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung abzielte. Während eine Mehrheit der SGK-NR die Annahme des Vorstosses forderte, um Versorgungsengpässen entgegenzuwirken, und sich davon überzeugt zeigte, dass das Zulassungsverfahren in den USA über einen der Schweiz ebenbürtigen Standard verfüge, sprach sich eine Kommissionsminderheit rund um Manuela Weichelt (al, ZG) gegen die Motion aus. Sie führte Bedenken zur Sicherheit der Patientenschaft und die Möglichkeit von Ausnahmebewilligungen ins Feld. Gesundheitsminister Alain Berset teilte die Ansicht bezüglich Patientensicherheit – in den USA gebe es zum Beispiel eine Tendenz zur Deregulierung der Gesetzgebung für Medizinprodukte («une tendance à la dérégulation de la législation sur les dispositifs médicaux») – und erklärte, dass die Versorgung der Schweiz mit Medizinprodukten derzeit gesichert sei. Nichtsdestotrotz folgte die grosse Kammer mit 100 zu 79 Stimmen dem Antrag der Kommissionsmehrheit und nahm die Motion an. Damit bestätigte sie ihren Beschluss, den sie bereits bei der gleichlautenden Motion Rösti (Mo. 20.3370) gefasst hatte.

Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung (Mo. 20.3211)

Ende November 2022 wurden Bundespräsident Cassis und seine Gattin Paola Rodoni Cassis in Belgien von König Philippe und Königin Mathilde zu einem zweitägigen Staatsbesuch empfangen. In seiner Rede betonte Cassis die Gemeinsamkeiten der beiden Länder, insbesondere die Mehrsprachigkeit und den Föderalismus, sowie die damit einhergehenden Herausforderungen.
Der Bundespräsident traf sich am ersten Besuchstag auch mit seinem belgischen Pendant, Premierminister Alexander De Croo zu einem offiziellen Gespräch, bei dem sich die beiden über die bilateralen Beziehungen ihrer Länder in wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht, den Krieg in der Ukraine, die europäische Energieversorgung und die Sicherheitslage Europas unterhielten. Darüber hinaus drehte sich das Gespräch um die Schweizer Europapolitik und die thematischen Schwerpunkte des Schweizer Einsitzes im UNO-Sicherheitsrat. Auch die Themen Bildung, Forschung und direkte Demokratie wurden abgedeckt. Danach tauschte sich Cassis mit den Präsidentinnen der beiden Kammern des belgischen Parlaments und mit dem Bürgermeister von Brüssel aus. Am zweiten Tag des Staatsbesuchs reiste die Schweizer Delegation in den französischsprachigen Landesteil Wallonien.

Bundespräsident Cassis in Belgien
Dossier: Staatsbesuche im Ausland 2022

Mitte November 2022 kündigte das EDA eine Reise von Bundespräsident Cassis nach Malta mit einer anschliessenden Teilnahme am Frankophoniegipfel in Djerba an. Am 18. November traf sich Bundespräsident Cassis mit dem maltesischen Aussenminister Ian Borg, um sich mit ihm über die bilateralen Beziehungen und die nichtständigen Sitze der beiden Länder im UNO-Sicherheitsrat zu unterhalten. Die beiden Kleinstaaten hatten sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam für die Eindämmung der Folgen des Klimawandels als Konfliktursache und für die Förderung der Rolle der Frauen als Friedensakteurinnen zu kämpfen. Darüber hinaus wurde die Zusammenarbeit im digitalen Bereich gewürdigt. Die beiden Staaten hatten 2002 die DiploFoundation gegründet, eine NGO in Genf, die kleine und mittlere Staaten im Bereich der digitalen Diplomatie unterstützt. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums nahm Cassis am Summit on Digital Diplomacy and Governance teil. Am Rande des Treffens unterzeichneten die beiden Parteien das bilaterale Abkommen zur Umsetzung des zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten.

Am Frankophoniegipfel im tunesischen Djerba nahmen rund 30 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs teil. Hauptthema des Gipfels war die Digitalisierung und die Vielfalt des frankophonen Raums. Cassis betonte in seiner Rede die Bedeutung neuer Technologien bei der Verbesserung öffentlicher Dienstleistungen und der Lebensbedingungen armer Menschen. Die Frankophonie – die Gesamtheit der französischsprachigen Länder – könne mithilfe der Digitalisierung einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Ziele der Agenda 2030 leisten, führte Cassis aus. Wie schon beim Staatsbesuch in Malta, wurde über die Stärkung der Rolle von Frauen und Jugendlichen in Friedens- und Entwicklungsprozessen gesprochen. Bundespräsident Cassis ging dabei vor allem auf deren Eingliederung durch Bildung und Beschäftigung ein und erwähnte diesbezüglich die Expertise der Schweiz in den Bereichen Bildung und Berufsbildung, die diese auch in der internationalen Zusammenarbeit einbringe. Der Bundespräsident warb an dem Anlass auch für das internationale Genf, insbesondere dessen Vorreiterrolle im Bereich der digitalen Gouvernanz.

Bundespräsident Cassis auf Malta und am Frankophoniegipfel in Djerba

Im November 2022 fand in Ägypten die 27. UNO-Klimakonferenz (die so genannte COP27) statt. Ein erstes wichtiges Ziel der Konferenz bestand laut Medienmitteilungen des EDA und des Bundesrates darin, sicherzustellen, dass die Staaten ihre an der Klimakonferenz von Paris eingereichten Reduktionsziele einhalten. Weiter sollte die Frage diskutiert werden, wie sich die Staaten besser an die Folgen des Klimawandels anpassen können. Auch sollten die Umsetzungsregeln für den an der COP26 beschlossenen Marktmechanismus betreffend die Anrechenbarkeit von im Ausland erzielten Emissionsverminderungen verabschiedet werden. Zudem sollte ein neues Finanzierungsziel für die Umsetzung von Klimaschutzmassnahmen in Entwicklungsländern ab 2025 festgelegt werden. Die Schweiz verfolgte bei den Verhandlungen unter anderem das Ziel, dass ein konkreter Zeitplan für den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen beschlossen wird. Die Schweiz wollte sich auch dafür einsetzen, dass sich die konkreten Beschlüsse auf die Länder und Sektoren mit den grössten Emissionen konzentrieren und dass auch die Finanzflüsse künftig klimafreundlich ausgestaltet werden. Seitens der Schweizer Regierung betonte Bundespräsident Cassis in seiner Rede am Eröffnungsanlass, dass die Schweiz vorsehe, Gelder für die Wiederauffüllung des Globalen Umweltfonds sowie für den Special Climate Change Fund und den Fonds für die Bedürfnisse der am wenigsten entwickelten Länder zu sprechen.
Am Ende der Konferenz einigten sich die Staaten auf ein Arbeitsprogramm bis 2026. Zum Bedauern der offiziellen Schweiz nahm dieses die Länder mit den höchsten Treibhausgasemissionen nicht speziell in die Pflicht, ihren Ausstoss zu verringern. Enttäuscht zeigte sich die Schweiz auch darüber, dass keine Beschlüsse zum Ausstieg aus Kohle und zum Abbau der Subventionen für Erdöl und Erdgas gefällt worden waren. Diese Pläne wurden insbesondere von China, Indien, Indonesien und Brasilien blockiert. Auch das Ziel, die weltweiten Finanzflüsse klimafreundlicher auszugestalten, konnte nicht erreicht werden. Erfreulicher war aus Schweizer Sicht der Beschluss, einen neuen Fonds zu errichten, mit dem die verletzlichsten Länder (bspw. Inselstaaten) im Umgang mit den Schäden des Klimawandels unterstützt werden sollen. Allerdings wurde noch nicht geregelt, welche Länder in den Fonds einzahlen sollen oder wie die Gelder verteilt werden.
Insgesamt zeigten sich die Schweizer Delegation an der COP27 sowie die Schweizer Medien weitgehend enttäuscht über die Resultate der Konferenz. Der Tages-Anzeiger argumentierte, dass insbesondere der Zustand, dass gewisse Länder mit grossem CO2-Ausstoss wie China und Indien weiterhin in der Kategorie der Entwicklungsländer eingestuft werden, höchst problematisch sei. Die Einstufung war an der Umweltkonferenz von 1992 in Rio de Janeiro vorgenommen und seither nicht mehr geändert worden. Dadurch müssten diese Länder nicht die gleichen Verpflichtungen wie die als Industriestaaten eingestuften Länder eingehen und drückten sich somit vor ihrer Verantwortung. Auch Simonetta Sommaruga und der Leiter der Schweizer Delegation Franz Perrez kritisierten, dass die grossen Emittenten und die starke Öl- und Gaslobby konkrete Massnahmen wie den Kohleausstieg und die Abkehr von Subventionen für fossile Energieträger verhindert hätten.

COP27 in Ägypten
Dossier: UNO-Klimakonferenzen