Diskussionen um die Forschung an embryonalen Stammzellen

Im Berichtsjahr erhitzte die Frage der Forschung an embryonalen Stammzellen die Gemüter. Dabei werden die bei einer In-vitro-Fertilisation anfallenden überzähligen Embryonen zur Züchtung von menschlichem Gewebe verwendet. Gemäss Verfassung (Art. 119 Abs. 2) und dem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz, das auf den 1.1.2001 in Kraft trat, ist die Gewinnung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken verboten, ebenso Eingriffe in das Erbgut menschlicher Keimzellen und Embryonen, eine beschränkte therapeutische Forschung hingegen möglich. Ein wissenschaftliches Team der Universität Genf reichte beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) ein Gesuch für die Finanzierung eines Versuchs mit importierten Stammzellen ein. Unterstützung fand es bei der Ethikkommission des Universitätsspitals Genf und bei der Zentralen Ethikkommission der SAMW sowie in einem Rechtsgutachten, das den Import von Stammzellen als mit dem Gesetz vereinbar erachtete. Der Forschungsrat des SNF diskutierte das Gesuch sehr kontrovers und leitete es schliesslich an den vom Glarner FDP-Ständerat Schiesser präsidierten Stiftungsrat weiter, um gewissermassen eine politische Entscheidung zu erwirken. Ende September entschied dieses Gremium, das Genfer Forschungsprojekt finanziell zu unterstützen. An einer Medienkonferenz äusserte sich Schiesser grundsätzlich positiv zur Stammzellenforschung, forderte aber den Gesetzgeber auf, rasch die noch fehlenden Grundlagen für diese Arbeiten zu schaffen. Anders sah dies die im Fortpflanzungsmedizingesetz vorgeschriebene nationale Ethikkommission für den humanen Bereich (NEK), die der Bundesrat Mitte Jahr eingesetzt hatte. Ohne sich im Grundsatz für oder gegen die Stammzellenforschung auszusprechen, empfahl sie, das Genfer Gesuch abzulehnen, da die ethischen und rechtlichen Fragen noch ungenügend geklärt seien.

Stammzellenforschungsgesetz (BRG 02.083)

1999/2000 war der Bundesrat mit einer von beiden Kammern überwiesenen Motion Plattner (sp, BS) verpflichtet worden, ein Rahmengesetz über die medizinische Forschung am Menschen vorzulegen. Als Reaktion auf die Kontroverse um das Genfer Gesuch beschloss er, die Regelung der Forschung an menschlichen Embryonen in einem eigenen Bundesgesetz vorzuziehen und dieses später in das Gesetz über die Forschung am Menschen zu integrieren. Das Vorgehen des SNF bezeichnete das EDI als „legal“, da es keine klare Regelung für den Import von Stammzellen gebe. Die Parteien hielten sich in dieser Frage relativ bedeckt. SVP und FDP erklärten, sich noch kaum mit der Materie beschäftigt zu haben; die FDP begrüsste allerdings den Entscheid des Nationalfonds. Die SP gründete eine Fachkommission, fasste aber keine Beschlüsse. Für die CVP verlangte Nationalrätin Dormann (LU) ein vorläufiges Verbot der verbrauchenden Forschung und strenge Regelungen für den Import embryonaler Stammzellen. Die GP sprach sich für ein umfassendes Verbot aus. Der Nationalrat wollte sich ebenfalls nicht festlegen und lehnte eine Parlamentarische Initiative Schmied (svp, BE) (Pa. Iv. 00.406) ab, die ein absolutes Verbot der Embryonenforschung verlangte

Wie im Vorjahr angekündigt, gab der Bundesrat im Frühjahr seinen Vorentwurf für ein eigenständiges Bundesgesetz über die Forschung an überzähligen menschlichen Embryonen und embryonalen Stammzellen in die Vernehmlassung. Von dieser Forschung erhofft man sich neue Therapiemöglichkeiten für heute nicht oder nur sehr schwer zu behandelnde Krankheiten. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, die Embryonen- und Stammzellenforschung in das vorgesehene Bundesgesetz über die medizinische Forschung am Menschen aufzunehmen. In den letzten Jahren wurde aber die Forschung in diesem Bereich derart vorangetrieben, dass sich das Fehlen klarer gesetzlicher Regelungen als zunehmend problematisch erwies. Zudem müssen gemäss Fortpflanzungsmedizingesetz jene rund 1000 überzähligen Embryonen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes (1.1.2001) angefallen sind, spätestens Ende 2003 vernichtet werden. Der Bundesrat hatte deshalb im Vorjahr beschlossen, die Stammzellenproblematik aus dem geplanten Gesetz herauszubrechen und vorzeitig zu regeln.

Mit seinem Gesetzesvorschlag will der Bundesrat die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen aus den bei der künstlichen Befruchtung anfallenden überzähligen Embryonen für die Forschung sowie die Forschung an diesen Embryonen und Stammzellen klar und umfassend regeln. Das Gesetz bezweckt, den missbräuchlichen Umgang mit diesen Embryonen und Stammzellen zu verhindern und die Menschenwürde zu schützen. Grundbedingung ist, dass das betroffene Paar nach entsprechender Aufklärung seine Einwilligung gibt und dafür kein Entgelt erhält. Die Forschung ist bewilligungspflichtig, muss wissenschaftlich wertvoll, ethisch vertretbar und nicht auf andere Weise (beispielsweise mit adulten Zellen) durchführbar sein. Über die Verwendung von bereits gewonnenen embryonalen Stammzellen soll eine Ethikkommission entscheiden. Verboten bleiben die Herstellung oder Verwendung von zu Forschungszwecken erzeugten embryonalen Stammzellen, weshalb auch deren Import aus dem Ausland untersagt wird, eine kommerzielle Verwendung von Embryonen und Stammzellen, das therapeutische Klonen sowie die Entwicklung eines Embryos über den 14. Tag hinaus.

FDP und LP, die Forschung und die Wissenschaft sowie die Spitzenverbände der Wirtschaft befürworteten mit kleineren Vorbehalten das Gesetz als massvoll und ausgewogen sowie als wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Forschungsplatzes Schweiz. Auch SVP und EVP beurteilten den Gesetzesentwurf grundsätzlich positiv, verlangten aber, dass die restriktiven Bedingungen zum Teil verschärft, auf alle Fälle aber nicht verwässert werden. Die CVP ortete Grauzonen, die einer „verbrauchenden Forschung“ Tür und Tor öffnen könnten. SP, Grüne und die CVP-Frauen verhielten sich ablehnend und verlangten eine Beschränkung auf die Forschung mit adulten Zellen; zudem müsse vor einer allfälligen Gesetzgebung eine breite ethische und wissenschaftliche Diskussion über das Thema geführt werden. Die Kritiker stiessen sich auch daran, dass das kaum zwei Jahre alte Fortpflanzungsmedizingesetz, welches die Embryonenforschung verbietet, mit dem neuen Gesetz bereits wieder Makulatur würde. Zu restriktiv war der Vorschlag hingegen einzelnen Forschern sowie der Lobby-Vereinigung „Gen Suisse“; sie verlangten, auf das Verbot der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken sowie des therapeutischen Klonens zu verzichten. Ende November verabschiedete der Bundesrat den gegenüber der Vernehmlassung praktisch unveränderten Gesetzesentwurf zuhanden des Parlaments.
(Zu berufsethischen Empfehlungen der SAMW im Bereich Forschung, siehe hier)

Der Ständerat behandelte in der Frühjahrssession als erster das Embryonenforschungsgesetz (EFG), mit dem der Bundesrat bis zum Vorliegen des geplanten Gesetzes über die Forschung am Menschen sowohl die Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen als auch die Forschung an embryonalen Stammzellen sowie an überzähligen Embryonen regeln wollte. Er begründete den Einbezug der Embryonenforschung mit dem sachlichen Zusammenhang: Sowohl für die Forschung an Embryonen als auch für die Gewinnung embryonaler Stammzellen werden Embryonen verwendet, die im Rahmen der medizinisch assistierten Fortpflanzung als überzählig anfallen und deshalb keine Entwicklungschance haben. Der Ständerat erachtete diesen Zusammenhang aber nicht als zwingend gegeben und beschloss, den Geltungsbereich des Gesetzes auf die Gewinnung von embryonalen Stammzellen und deren Erforschung zu beschränken, die Regelung der gemäss Kommissionssprecher „moralisch und rechtlich heiklen und deswegen besonders begründungsbedürftigen Forschung an überzähligen Embryonen“ hingegen dem künftigen Gesetz zuzuweisen. Sinngemäss wurde gleich zu Beginn der Detailberatung das Gesetz in Stammzellenforschungsgesetz (SFG) umbenannt. Gegen die Abspaltung der Embryonenforschung sprachen sich lediglich die Vertreter der FDP aus.

Für den Bereich der Stammzellenforschung setzte die kleine Kammer wie der Bundesrat enge Grenzen. Die Verwendung von Embryonen bedarf der Zustimmung der Eltern. Forschungsprojekte müssen wesentlichen Erkenntnissen dienen, die nicht auf anderem Weg gewonnen werden können; sie müssen von einer Ethikkommission beurteilt und vom BAG bewilligt werden. Mit 26 gegen neun Stimmen wurde ein Antrag Fünfschilling (fdp, BL) abgelehnt, die Gewinnung von embryonalen Stammzellen auch dann zuzulassen, wenn kein konkretes Projekt vorliegt. Mit dem gleichen Stimmenverhältnis scheiterte David (cvp, SG) mit seinem Antrag, auf die Entschädigung der Aufwendungen für Gewinnung, Bearbeitung, Aufbewahrung oder Weitergabe von embryonalen Stammzellen zu verzichten. Der Handel allerdings ist verboten. Im Patentgesetz wurde zudem die Patentierbarkeit unveränderter Stammzellen sowie von Verfahren zum Klonen von Menschen, zur Herstellung von Mischformen Mensch/Tier und zur Genmanipulation in der menschlichen Keimbahn verboten.

Eine nennenswerte Kontroverse entstand lediglich bei der Frage, ob die rund 1000 altrechtlichen Embryonen, die vor dem Inkrafttreten des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMG) (1.1.2001) angefallen sind und eingefroren wurden, und die laut FMG bis Ende 2003 vernichtet werden sollten, weiter für die Stammzellenforschung verwendet werden dürfen. Die Mehrheit entschied sich auch hier mit 22 zu 12 Stimmen für eine restriktive Linie. Die Frist wurde nicht verlängert. Der Forschung sollten somit nur überzählige Embryonen zugeführt werden, die in der Fortpflanzungsmedizin neu entstehen. Beerli (fdp, BE) setzte sich vergebens dafür ein, die Frist bis zum Inkrafttreten des SFG zu verlängern, da in der Praxis die Meinungen auseinandergehen, wie viele Embryonen für die Forschung nötig sind.

Dem Nationalrat lagen zu Beginn seiner Beratungen in der Herbstsession ein Nichteintretensantrag sowie zwei Rückweisungsanträge vor, die von linken, grünen und christlich orientierten Abgeordneten unterstützt wurden, doch hatten sie alle keine Chance. Eintreten wurde mit 91 zu 45 Stimmen beschlossen. Die Beschränkung auf die Stammzellenforschung wurde stillschweigend gutgeheissen. Aber auch die radikalen Verfechter der Forschungsfreiheit – Gutzwiller (fdp, ZH) und Kommissionssprecher Randegger (fdp, BS) – konnten sich in der Detailberatung nicht durchsetzen. Mit 60 zu 57 Stimmen verbot der Nationalrat zusätzlich zum Ständerat die Entwicklung von Parthenoten (Organismen, die sich aus einer unbefruchteten Zellteilung entwickeln), um daraus Stammzellen zu gewinnen. Auch die verschärften Auflagen für die Forschung (Erlaubnis zur Entnahme von Stammzellen nur, wenn keine geeigneten Zellen im Inland vorhanden sind) resp. die Zustimmung zum Ständerat (Forschung nur zugelassen, wenn kein anderes Verfahren gleichwertige Erkenntnisse ermöglicht), die Gutzwiller als „Gefängnis für die Forschenden“ bezeichnete, wurden, wenn auch knapp mit 80 zu 69 resp. 75 zu 72 Stimmen angenommen. Forschungsfreundlicher zeigte sich der Rat in der Frage der Patentierbarkeit veränderter Stammzellen. Mit 81 zu 73 Stimmen folgte er einem Minderheitsantrag Gutzwiller und stimmte dem Ständerat zu, lediglich die Patentierbarkeit von unveränderten Stammzellen zu verbieten. Die Mehrheit der Kommission hatte beantragt, auch die veränderten Stammzellen und die Stammzellinien von der Patentierbarkeit auszuschliessen.

Bei der Frage des Umgangs mit den vor 2001 entstandenen altrechtlichen Embryonen, setzte sich der Antrag der Kommission durch. Mit 90 gegen 38 beschloss die grosse Kammer, die Frist für deren Vernichtung bis Ende 2005 für die Fortpflanzungsmedizin und bis Ende 2008 für Forschungszwecke zu verlängern; dazu bedarf es allerdings der schriftlichen Einwilligung des betroffenen Paares. Der Ständerat stimmte dieser Regelung zu, worauf das Fortpflanzungsmedizingesetz in diesem Punkt mit Dringlichkeitsrecht revidiert wurde, um die Vernichtung der altrechtlichen Embryonen per Ende 2003 zu verhindern. Beim Stammzellenforschungsgesetz stimmte der Ständerat bei der einzigen wesentlichen Differenz (Verbot der Parthenoten) dem Nationalrat zu, verlangte aber, dass diese Frage im Rahmen der kommenden Gesetzgebung über die Forschung am Menschen nochmals eingehend geprüft wird. In der Schlussabstimmung wurde das SFG vom Ständerat mit 35 zu 1 Stimmen angenommen, vom Nationalrat mit 103 zu 57 Stimmen bei 25 Enthaltungen; die Nein-Stimmen stammten von den geschlossenen GP- und EVP/EDU-Fraktionen, von einer Mehrheit der SP- (die auch das Gros der Enthaltungen stellte) und einer starken Minderheit der CVP-Fraktion. Gegen das neue Gesetz wurde vom Basler Appell gegen Gentechnologie das Referendum ergriffen; dass das Referendum von Organisationen im Bereich des Lebensschutzes unterstützt werden würde, hatte Studer (evp, AG) bereits bei der Schlussabstimmung im Nationalrat angekündig

Wie bereits nach den Schlussabstimmungen in der Wintersession des Vorjahres angekündigt, wurde Mitte Januar von zwei Seiten erfolgreich das Referendum gegen das neue Stammzellenforschungsgesetz (StFG) ergriffen. Pro-Leben-Organisationen vertraten die Auffassung, das Gesetz widerspreche fundamentalen ethischen Werten und verletze die jedem Lebewesen in der Verfassung garantierten Grundrechte des Lebensschutzes und der Menschenwürde. Gentechnik-kritische Kreise orteten ebenfalls Widersprüche mit der Verfassung und anderen bereits bestehenden Gesetzen und verlangten, sich auf alternative Methoden wie die Forschung an adulten Stammzellen zu konzentrieren. Die Befürworter einer gesetzlichen Regelung machten in der Abstimmungskampagne geltend, die Schweiz würde durch ein Verbot bei dieser zukunftsträchtigen medizinischen Forschung international in Rückstand geraten. Es gelte abzuwägen zwischen der Möglichkeit neuartiger Therapien, die Leiden mindern könnten, und dem Schutz des Embryos. Die Forschung beschränke sich zudem auf die bei einer assistierten Fortpflanzung als überzählig anfallenden Embryonen, die sowieso keine Überlebenschance hätten. Ausser den Grünen, der EVP und der EDU unterstützten alle Parteien das Gesetz. Dieses wurde in der Volksabstimmung vom 28. November mit über 66% Ja deutlich angenommen.


Abstimmung vom 28. November 2004

Beteiligung: 37,0%
Ja: 1 156 706 (66,4%)
Nein: 585 530 (33,6%)

Parolen:
– Ja: CVP, FDP, SP (*3), SVP, LP, Lega; Economiesuisse, SAGV, SGV, SBV; SEK
– Nein: GP, EVP, EDU; SBK
– Stimmenthaltung: PdA, CSP; SGB, Travail suisse
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die Vox-Analyse dieses Urnengangs zeigte, dass das Abstimmungsverhalten von der Weltanschauung, insbesondere der Religiosität recht stark beeinflusst wurde, wobei die Konfessionszugehörigkeit nur eine sekundäre Rolle spielte. Hingegen war kein Konflikt zwischen Links und Rechts festzustellen. Am negativsten eingestellt waren CVP-nahe Stimmende, am positivsten die Anhänger der FDP; die Sympathisanten von SP und SVP verhielten sich sehr ähnlich und positionierten sich in der Mitte zwischen CVP und FDP. Nicht von Bedeutung waren Geschlecht, Einkommen und Siedlungsform.

Der Bundesrat setzte das neue Stammzellenforschungsgesetz auf den 1. März in Kraft. Unter strengen Auflagen (Zustimmung der Eltern, Unentgeltlichkeit der Spende, keine Möglichkeit, die Forschung mit anderen Methoden durchzuführen, Begutachtung durch eine Fachkommission) wird damit erlaubt, die bei einer In-vitro-Fertilisation anfallenden überzähligen Embryonen für die Forschung zugänglich zu machen.

Positionsbezug der FDP zur Stammzellenforschung

Im Mai präsentierten die Freisinnigen ein Positionspapier zur Migrationspolitik, dessen Inhalt weitgehend der Politik des Bundesrats entspricht. Als erste Bundesratspartei bezog die FDP Stellung zur Stammzellenforschung. Sie verlangte, die Forschung an überzähligen embryonalen Stammzellen im Interesse des medizinischen Fortschrittes zuzulassen. Es sei ethisch fragwürdig, zwar den Import menschlicher Stammzellen zu erlauben, deren Verwendung im eigenen Land jedoch zu verbieten, wie dies in Deutschland der Fall sei. Zudem drohe ohne liberale Regelung eine Abwanderung von Forschenden und Unternehmen.