Zuletzt aktualisiert: 29.03.2017, 11:18 Uhr

Dossier: Lebenslängliche Verwahrung von Straftätern (Volksinitiative und Gesetz) Als PDF speichern

Motion Aeppli zur Verwahrung von Gewalttätern (Mo. 96.3504)

Mit einer ohne Gegenstimme verabschiedeten Motion forderte der Nationalrat den Bundesrat auf, besondere Vollzugsanstalten für die Verwahrung von Gewalttätern mit schweren Persönlichkeitsstörungen vorzuschreiben. Die von der Sozialdemokratin Aeppli (ZH) eingereichte Motion verlangt zudem hohe Anforderungen für die Beendigung einer Verwahrung. Insbesondere soll ein durch den behandelnden Therapeuten verfasstes Gutachten für eine Entlassung nicht mehr ausreichen.

Die im Vorjahr vom Nationalrat überwiesene Motion der Sozialdemokratin Aeppli (ZH) für die Verwahrung von Gewalttätern mit schweren Persönlichkeitsstörungen fand auch im Ständerat ungeteilte Zustimmung. Die Absicht eines Mitglieds der Jungen SVP des Kantons Bern, eine Volksinitiative für die Wiedereinführung der Todesstrafe zu lancieren, erzeugte zwar grosses Aufsehen in den Medien, verlief aber im Sande. Die Leitung der Berner SVP hatte für den Fall der Lancierung mit einem Parteiausschluss gedroht.

Verwahrungsinitiative

Noch strengere Massnahmen gegen rückfallgefährdete Gewalttäter als das revidierte Strafgesetzbuch verlangt eine im Oktober lancierte Volksinitiative mit dem Titel «für lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewalttäter». Diese sieht nicht nur den Verzicht auf eine Freilassung nach Verbüssung der Zuchthausstrafe vor, sondern auch die Streichung von Hafturlauben. Falls das Gutachten, das eine Nichttherapierbarkeit konstatiert hat, durch eine spätere Beurteilung revidiert wird, könnten die Behörden die Verwahrung aufheben. Sollte der Verurteilte rückfällig werden, wären allerdings diese Behörden haftbar. Treibende Kraft hinter dieser Initiative sind Mütter von jugendlichen Opfern von brutalen Gewalt- und Sexualdelikten; dem Komitee gehören aber auch Mitglieder der Jungen SVP (Thomas Fuchs, BE) resp. der Freiheits-Partei (Jürg Scherrer, BE) an. (Siehe auch Motion Aeppli).

Die nach einem brutalen Sexualverbrechen an einem Kind im Jahre 1998 von betroffenen Eltern und Verwandten lancierte Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewalttäter“ konnte im Mai eingereicht werden. Nachdem es noch zu Jahresbeginn danach ausgesehen hatte, als ob sie scheitern würde, wurden nach einem öffentlichen Aufruf in kürzester Zeit noch fast 150'000 zusätzliche Unterschriften gesammelt, was das Total der Unterzeichnenden auf mehr als 190'000 ansteigen liess.

Der Bundesrat war der Ansicht, dass die Forderungen der Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewalttäter“ in juristisch und praktisch befriedigenderer Form in die Revision des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs aufgenommen worden seien. Er empfahl sie deshalb zur Ablehnung.

Das Parlament folgte dem Antrag des Bundesrats und beschloss, die Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ zur Ablehnung zu empfehlen. In der Debatte waren sich zwar alle einig, dass sich die Gesellschaft besser vor rückfallgefährdeten extrem gefährlichen Straftätern schützen müsse. Für die meisten waren aber die dazu im Vorjahr im Rahmen der Strafrechtsrevision beschlossenen Mittel ausreichend und auch besser geeignet als die von der Initiative verlangten. Im Nationalrat sprachen sich nur eine klare Mehrheit der SVP, zwei Freisinnige und die beiden Vertreter der SD und der EDU dafür aus. Vorangehend war ein Antrag von Rechsteiner (sp, SG) gescheitert, die Initiative von der Rechtskommission eingehender auf ihre völkerrechtliche Zulässigkeit überprüfen zu lassen. Dass die Initiative, welche für lebenslänglich Verwahrte eine periodische Überprüfung der Verwahrungsgründe praktisch ausschliesst, nicht EMRK-konform ist, war auch von Strafrechtlern moniert worden. Allerdings verstösst sie nicht gegen zwingendes Völkerrecht (wie etwa Folterverbot, Sklavereiverbot), was gemäss neuer Bundesverfassung automatisch zu einer Ungültigkeitserklärung führen würde. Justizministerin Metzler vertrat bei der Begründung ihrer Ablehnung des Antrags Rechsteiner die Ansicht, dass der Initiativtext eine völkerrechtskonforme Auslegung zulassen würde. Der Ständerat plädierte mit einer Gegenstimme ebenfalls für die Ablehnung der Initiative.

Volk und Stände nahmen am 8. Februar die Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ relativ deutlich an. Trotz dem sehr emotionalen Gehalt der Vorlage („Schutz unserer Kinder vor Gewalttätern“ lautete ein Slogan der Befürworterinnen) war die Kampagne nicht sehr intensiv. Die sonst üblichen Zeitungsinserate und Plakate fehlten weitgehend, und in den Printmedien – welche grösstenteils ein Nein empfahlen – kamen auf der Kontra-Seite vor allem Strafrechtler zu Wort; von den Politikern (mit Ausnahme der SVP und der kleinen Rechtsaussenparteien empfahlen alle Parteien ein Nein) und dem von ihnen gegründeten Kontra-Komitee war wenig bis nichts zu hören. Die Gegner wiesen hauptsächlich darauf hin, dass die Ziele der Initiative mit dem revidierten Strafgesetz ebenfalls und zudem umfassender und menschenrechtskonform erreicht werden können.
Zugunsten des Volksbegehrens trat nicht so sehr ein der SVP nahe stehendes Komitee, sondern vor allem eine der Initiantinnen, Anita Chaaban aus Buchs (SG), in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Ihre von direkt Betroffenen gebildete Selbsthilfegruppe hatte die Initiative ohne Hilfe von politischen Parteien zustandegebracht und verzichtete auch während der Kampagne auf die Zusammenarbeit mit diesen. Die selbst von einem schweren Sexualverbrechen mit beinahe tödlichem Ausgang an einem Patenkind betroffene 44-jährige Hausfrau legte in ihrer Argumentation vor allem Gewicht darauf, dass es keinen Sinn mache, einen in einem Gerichtsgutachten als nichttherapierbar deklarierten Täter später regelmässig auf seine Gefährlichkeit zu überprüfen. Da sich das Risiko einer Wiederholungstat grundsätzlich nie ausschliessen lasse, hätten solche Personen ausnahmslos bis an ihr Lebensende in Verwahrung zu bleiben.


Abstimmung vom 8. Februar 2004

Beteiligung: 45,5%
Ja: 1 198 867 (56,2%) / 19 5/2 Stände
Nein: 934 569 (43,8%) / 1 1/2 Stände

Parolen:
Ja: SVP, SD, EDU, Lega, FP.
Nein: SP, FDP (3*), CVP (2*), GP, LP, EVP; SGB.
keine Parole: Economiesuisse, SGV, SBV.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Das Ergebnis war mit 1 198 867 zu 934 569 Stimmen (56,2% Ja) recht deutlich. Alle Kantone mit Ausnahme von Basel-Stadt und Waadt stimmten zu, am deutlichsten das Tessin mit 74%. Die Vox-Analyse ergab, dass sich die politische Orientierung stark auf den Stimmentscheid ausgewirkt hatte: Wer sich zum linken Spektrum zählt, lehnte die Initiative mehrheitlich ab, wer sich rechts positioniert, stimmte noch deutlicher zu; ausschlaggebend war deshalb die politische Mitte, welche zu rund 60% Ja stimmte. Neben dem Links/Rechts-Gegensatz war auch ein deutlicher Graben zwischen den Bildungsschichten erkennbar: Je höher die formale Bildung ist, umso stärker fiel die Ablehnung aus. Keine Verhaltensunterschiede gab es hingegen zwischen den Geschlechtern und zwischen der deutschen und der französischen Sprachregion.

Parlamentarische Umsetzung der Verwahrungsinitiative

Unmittelbar nach der Volksabstimmung begannen die Diskussionen über eine mit dem internationalen Recht verträgliche Umsetzung des neuen Verfassungsartikels. Bundesrat Blocher setzte zu diesem Zweck anfangs April eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Direktors des Bundesamtes für Justiz, Heinrich Koller, ein, in welcher neben internen und externen Sachverständigen auch die Initiantinnen vertreten sind. Diese Arbeitsgruppe legte im Juli einen ersten Entwurf vor, den Blocher im September präsentierte. Dieser sieht keine automatische Überprüfung der Verwahrung vor, sondern ein mehrstufiges Verfahren: Ein lebenslänglich Verwahrter soll ein Gesuch um eine neue Begutachtung stellen dürfen. Danach würde eine Fachkommission abklären, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Therapierbarkeit vorliegen oder ob bekannte Therapien aufgrund persönlicher Veränderungen des Täters erfolgreich sein könnten. Falls dem so ist und die Therapie zu einer erheblichen Reduktion der Gefährlichkeit des Täters führt, könnte ein Gericht die lebenslange Verwahrung in eine befristete umwandeln. Blocher gab gleichzeitig bekannt, dass er dem Parlament beantragen werde, die in der Strafrechtsreform geschaffenen Bestimmungen über die ordentliche Verwahrung in zwei Punkten zu verschärfen. Erstens soll eine Verwahrung auch für rückfallgefährdete Täter angeordnet werden können, die zu einer Strafe von weniger als zehn Jahren verurteilt worden sind. Zweitens soll eine ordentliche oder lebenslange Verwahrung nachträglich auch gegen bereits verurteilte Täter ausgesprochen werden können; diese Bestimmung soll zudem rückwirkend angewendet werden, d.h. auch auf Täter, die vor Inkraftsetzung des Gesetzes verurteilt worden sind. In einer ersten Stellungnahme erklärten sich die Initiantinnen mit dieser Lösung einverstanden unter der Bedingung, dass sämtliche drei Punkte realisiert werden. Negativ auf die Vorschläge reagierten hingegen, mit Ausnahme der SVP, die Parteien sowie die Dachverbände der Juristen und der Ärzte. Diese seien nicht menschenrechtskonform (insbesondere die nachträgliche Aussprechung der Verwahrung) und stünden im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Grundlagen und der ärztlichen Ethik, wurde dagegen eingewendet.

Gegen Jahresende gab der Bundesrat seine Vorschläge für die Umsetzung der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ bekannt. Nachdem die 2004 durchgeführte Vernehmlassung starke Kritik hervorgerufen hatte, hatte das EJPD angekündigt, Alternativen auszuarbeiten. Der Bundesrat hielt dann trotzdem weitgehend am Vernehmlassungsentwurf fest, er trennte allerdings die Umsetzung der Volksinitiative von den Ausbesserungsarbeiten an den Allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs. Da der Wortlaut des von der Volksinitiative geschaffenen Verfassungsartikels unter juristischen Aspekten sehr unklar ist, muss auf Gesetzesebene vorerst einmal bestimmt werden, was unter „extrem gefährlichen Sexual- oder Gewaltstraftätern“ zu verstehen ist. Gemäss der Botschaft sind darunter Täter folgender Verbrechen zu verstehen: Mord, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung oder Entführung, Geiselnahme, Menschenhandel oder Völkermord, bei denen der Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person beeinträchtig hat. Vorgesehen ist, dass für die Anordnung einer lebenslangen Verwahrung ein Gericht sich auf zwei unabhängige Gutachten stützen muss. Bei der Überprüfung der Weiterführung einer angeordneten Verwahrung glaubt der Bundesrat ein mit Art. 5 der EMRK vereinbares Verfahren gefunden zu haben. Dieses sieht ein mehrstufiges Vorgehen vor: Ein lebenslänglich Verwahrter soll ein Gesuch um eine neue Begutachtung stellen dürfen; ein solches kann, in Abweichung vom Vernehmlassungsentwurf, aber auch von der Vollzugsbehörde eingereicht werden. Danach würde eine Fachkommission abklären, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Therapierbarkeit vorliegen oder ob bekannte Therapien aufgrund persönlicher Veränderungen des Täters erfolgreich sein könnten. Falls dem so ist und die Therapie zu einer erheblichen Reduktion der Gefährlichkeit des Täters führt, könnte ein Gericht die lebenslange Verwahrung in eine befristete umwandeln. Das Gericht könnte eine lebenslange Verwahrung zudem bedingt aufheben, wenn der Täter infolge seines hohen Alters oder einer schweren Krankheit keine Gefahr für die Öffentlichkeit mehr darstellt. Während sich der Bundesratsentwurf bei der Möglichkeit einer Überprüfung der Fortsetzung der Verwahrung von den Forderungen der Initiantinnen und ihrem Verfassungstext entfernen musste, um den Widerspruch zur EMRK möglichst klein zu halten, blieb er beim Verbot von Urlauben während der Strafverbüssung und der Verwahrung auf einer kompromisslosen Linie. Die Initiantinnen protestierten umgehend gegen den Entwurf des Bundesrates, da dieser nicht dem Initiativtext entspreche. Sie drohten mit dem Referendum, falls das Parlament keine Verschärfungen beschliessen würde.

Der Ständerat befasste sich als Erstrat mit den Vorschlägen des Bundesrats für die Umsetzung der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“. In der Eintretensdebatte wurde die Option erwähnt, auf den Erlass von ausführenden Gesetzesbestimmungen zu diesem unklaren und überdies kaum menschenrechtskonformen Verfassungsartikel zu verzichten und die Auslegung den Richtern zu überlassen. Ein entsprechender Nichteintretensantrag unterblieb aber. EJPD-Vorsteher Blocher verteidigte den Erlass einer Ausführungsgesetzgebung auch mit dem Argument, dass diese eine einheitliche Rechtsanwendung ermögliche. Blocher räumte zudem ein, dass diese Bestimmungen wohl nur in ganz seltenen Einzelfällen zur Anwendung kommen würden. Den mit dem Entwurf unzufriedenen Initiantinnen gab er zu bedenken, dass auch dank ihrem Vorstoss bereits heute ein wesentlich strengeres Regime für die Verwahrungen und den Strafvollzug von gefährlichen Straftätern gelte als früher. Der Ständerat folgte, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen, den Anträgen des Bundesrates und hiess die StGB-Revision in der Gesamtabstimmung bei zwei Enthaltungen gut.

Eine klare Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats fand hingegen, dass sich dieser Verfassungsartikel nicht menschenrechtskonform umsetzen lasse. Seine Anwendung solle deshalb den Richtern, die sich gewohnt sind, zwischen verschiedenen Rechtsgütern abzuwägen, überlassen werden. Mit 16 zu 4 Stimmen beschloss die Kommission, dem Plenum Nichteintreten zu beantragen. Die Initiantinnen lancierten eine Petition, in der sie gegen diesen Nichteintretensantrag, aber auch gegen die vom Ständerat beschlossene Version protestieren. Sie verlangten, dass der in die Verfassung aufgenommene Initiativtext vollständig und ohne irgendwelche Einschränkungen umgesetzt wird.

Das Parlament verabschiedete die gesetzgeberische Umsetzung der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“. Der Nationalrat folgte dem Antrag seiner Rechtskommission nicht, auf die Vorlage nicht einzutreten, weil sich dieser Verfassungsartikel nicht verfassungskonform umsetzen lasse. In der Wintersession führte er dann die Detailberatung durch und schloss sich der Version des Bundesrats und des Ständerats an. In der Schlussabstimmung, die im Nationalrat mit 128 zu 59 Stimmen ausging, opponierten die SP und die GP gegen dieses ihrer Ansicht nach unnötige Gesetz, das nicht EMRK-konform sei, aber auch den Verfassungsauftrag der Volksinitiative nicht umsetze. Auch die Initiantinnen hatten ursprünglich gegen die ihrer Ansicht nach unzureichende Umsetzung der Volksinitiative protestiert. Nach dem Beschluss der Rechtskommission des Nationalrats, sich der Fassung der kleinen Kammer anzuschliessen, erklärten sie sich aber als einigermassen zufrieden und verzichteten auf eine Referendumsdrohung.