Dringlicher Bundesbeschluss über Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung (BRG 93.010)

Da sich in unmittelbarer Zukunft eher noch eine Verschärfung der Arbeitsmarktlage abzeichnet, gab der Bundesrat ausserdem einen Entwurf für einen dringlichen Bundesbeschluss in die Vernehmlassung. Zur Diskussion stellte er dabei eine Verlängerung der Bezugsberechtigung der Arbeitslosengelder von maximal 300 auf 400 Tage, eine Reduktion des Entschädigungssatzes von 80 auf 70% des vorherigen Lohnes, wobei allerdings ein Ausnahmekatalog vorgesehen war, administrative Erleichterungen (Wegfall der Kontrollpflicht bei Kurzarbeit) sowie Anreize für vorübergehende Arbeitseinsätze (Erhöhung der Subventionssätze für Programme zur vorübergehenden Beschäftigung von Arbeitslosen). Eine tiefgreifende Revision der ALV wollte der Bundesrat hingegen auf den ordentlichen Gesetzgebungsweg verweisen. Als Zeithorizont nannte er Mitte 1994.

Angesichts der sprunghaft angestiegenen Arbeitslosigkeit beschloss der Bundesrat Mitte Jahr, die Beiträge an die Arbeitslosenversicherung ab dem kommenden Jahr von 0,4 auf 1,5 Lohnprozente anzuheben. Die paritätisch zusammengesetzte ALV-Aufsichtskommission hatte dem Bundesrat anfangs Mai eine Verdreifachung der Prämien auf 1,2% vorgeschlagen und dabei in Kauf genommen, dass sich die ALV teilweise über den Kapitalmarkt finanzieren müsste. Aus finanzrechtlichen Überlegungen und um der Staatsverschuldung nicht weiter Vorschub zu leisten, entschloss sich die Regierung — gegen den Willen der Arbeitgeber, aber mit Billigung der Gewerkschaften — für den neuen Beitragssatz. Im November musste sie wegen dem drohenden Milliardenloch im ALV-Ausgleichsfonds eine weitere Erhöhung auf zwei Lohnprozente per 1. Januar 1993 ankündigen. Damit wurde das gesetzlich festgesetzte Maximum der Beiträge der Sozialpartner ausgeschöpft.

In der Vernehmlassung war vor allem die Kürzung der Taggelder hart umstritten. Die Arbeitgeber erklärten sich nur bereit, der Verlängerung der Bezugsdauer zuzustimmen, wenn die Ausnahmeregelung bei der Kürzung der Taggelder deutlich eingeschränkt werde. Diese Haltung nahm auch die FDP ein. Grundsätzliche Opposition gegen jegliche Kürzung meldeten hingegen die SP, die GP und der SGB an, welcher zudem verlangte, die Bezugsdauer sei auf 500 Tage zu erhöhen. Mit dem Hinweis auf den enormen zusätzlichen administrativen Aufwand, welcher bei der Abklärung der Ausnahmeberechtigungen entstehen würde, plädierten auch einzelne Westschweizer Kantone sowie Bern für eine Beibehaltung von 80%. Einzig CVP und SVP fanden die Ausnahmeregelung des Bundesrates akzeptabel.

Das Ausmass der Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Finanzierungslücke in der Arbeitslosenversicherung veranlassten Bundesrat und Parlament, gewissermassen im Eilzugstempo eine Minirevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) zu beschliessen. Der dringliche Bundesbeschluss, der in der Frühjahrssession nach heftigen Diskussionen von beiden Räten verabschiedet wurde, führte zu einer Erhöhung des Taggeldanspruchs von höchstens 300 auf maximal 400 Tage innerhalb von zwei Jahren. Damit verbunden war bei Taggeldern über 130 Fr. eine Reduktion des Taggeldes von 80 auf 70% des versicherten Verdienstes, es sei denn, der Versicherte beziehe Kinderzulagen oder sei alleinerziehend. Entgegen dem Vorschlag des Bundesrates verzichtete das Parlament hingegen auf eine weitere Degression nach dem 250. Tag.

Als eigentliche Neuerung wurde– gekoppelt an die Frage der Zumutbarkeit einer Arbeit – der Begriff des Zwischenverdienstes eingeführt. Nach geltendem AVIG war bisher eine Arbeit nur zumutbar, wenn sie dem Arbeitslosen einen Lohn einbrachte, der nicht geringer war als die ihm zustehende Arbeitslosenentschädigung. Mit dem Instrument des Zwischenverdienstes wurde ein Anreiz geschaffen, durch die Annahme einer Aushilfsbeschäftigung die Dauer der Arbeitslosigkeit zu vermindern. Bei Erzielung eines Zwischenverdienstes wird während sechs Monaten 80% des Verdienstausfalls entschädigt. Durch diese Regelung sind die Einnahmen eines Versicherten, der einen Zwischenverdienst annimmt, während eines halben Jahres höher als die normale Arbeitslosenentschädigung. Ausserdem wird der Taggeldanspruch weniger rasch ausgeschöpft, und es werden Beitragszeiten für eine spätere Arbeitslosigkeit erworben. Unbestritten war die Erhöhung des Beitragssatzes der Bundessubventionen an die Durchführung von Programmen zur vorübergehenden Beschäftigung Arbeitsloser von 50% auf 85% und in Ausnahmefällen sogar auf 100%. Zudem wurde der Anspruch der Betriebe auf Kurzarbeitsentschädigung von 18 auf 21 Monate verlängert und dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, diesen bei andauernder, erheblicher Arbeitslosigkeit auf zwei Jahre auszudehnen.

Vor allem wegen der Reduktion des Entschädigungssatzes von 80 auf 70% und der Einführung der Zwischenverdienstregelung, die ihrer Ansicht nach zu einem generellen Lohndumping führen könnte, ergriff die PdA mit Unterstützung des SGB und der SP – nicht aber des CNG, der die Vorteile der neuen Regelung (längere Bezugsdauer) höher einstufte als deren Nachteile – das Referendum. Weil sie die Ausdehnung der Bezugsdauer und den Verzicht auf die zusätzliche Degression nach 250 Tagen ablehnten, sprangen auch Dachverbände der Arbeitgeber und des Gewerbes – wenn auch nur inoffiziell – auf den Referendumszug auf. Trotz dieser "unheiligen Allianz" wurde die Vorlage in der Volksabstimmung mit einer deutlichen Mehrheit von mehr als 70% Ja-Stimmen angenommen.

Dringlicher Bundesbeschluss über Massnahmen in der Arbeitslosenversicherung. Abstimmung vom 26. September 1993

Beteiligung: 39,7%
Ja: 1'225'069 (70,4%) / 20 6/2 Stände
Nein: 515'113 (29,6%) / 0 Stände

Parolen:
-Ja: FDP (1*), CVP, SVP (1*), GP, LP(1*), LdU, EVP, AP, SD, EDU; CNG, SBV.
-Nein: SP (1*), PdA, Lega; Vorort, ZSAO, SGV, SGB.
– Stimmfreigabe: Angestelltenverbände.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die Vox-Analyse dieser Abstimmung machte deutlich, dass die hohe Zustimmung vor allem auf die Verbesserung des sozialen Schutzes der Langzeitarbeitslosen zurückzuführen war, ein Argument, das offensichtlich auch viele SP-Wähler überzeugte. Am deutlichsten wurde die Vorlage von jenen Personen angenommen, die dem Zentrum nahestehen. Auf dem Land wurde dem Bundesbeschluss in geringerem Masse als in den Grossstädten und namentlich den kleinen und mittleren Städten zugestimmt. Bei den Nein-Stimmenden handelte es sich einerseits um Personen aus dem linken Lager, welche den Parolen und Argumenten von PdA, SP und SGB folgten, andererseits um Wähler aus dem rechten Parteienspektrum, die in der Ausdehnung der Bezugsdauer ein Missbrauchspotential witterten.

Linke fordern Überarbeitung des ALV (Erhöhung der Bezugsdauer, administrative Erleichterungen, Unterstützung von Beschäftigungsprogrammen)

Auch das Parlament befasste sich bereits vor Bekanntwerden der bundesrätlichen Vorschläge mit der weiteren Ausgestaltung der ALV. In mehreren Motionen forderte die Ratslinke eine Erhöhung der Bezugsdauer, administrative Erleichterungen und die Unterstützung von Beschäftigungsprogrammen (Mo. 91.3297, 91.3404, 91.3409, 92.3063 und 92.3082). Im Gegensatz zum Bundesrat verlangten die Sozialdemokraten dabei aber eine nach Einkommen gestaffelte Erhöhung der Taggelder auf bis zu 95% des vorherigen Lohnes. Mit Ausnahme einer abgelehnten Motion Zisyadis (pda, VD) (Mo. 91.3379) wurden diese Vorstösse als Postulate angenommen. Zwei Postulate Maître (cvp, GE) für eine Aufhebung der Wartefristen sowie eine Erleichterung bei den Kontrollen der Arbeitslosen durch die Arbeitsämter wurden ebenfalls überwiesen (Po. 92.3338 und 91.3413). Zwei weitere SP-Motionen (Leuenberger, SO (Mo. 92.3342) und Hafner, SH) (Mo. 92.3388) wurden von Allenspach (fdp, ZH) bekämpft und somit vorderhand der parlamentarischen Diskussion entzogen.

Studie zum Missbrauch in der Arbeitslosenversicherung (Po. 92.3581)

Seit der enormen Zunahme der ALV-Leistungen wurde vor allem im rechtsbürgerlichen Lager immer wieder die Vermutung geäussert, Arbeitsunwillige betrieben mit der Arbeitslosenversicherung Missbrauch. Da dies von den Gewerkschaften grundsätzlich in Abrede gestellt wird, regte der Freiburger Nationalrat und CNG-Präsident Fasel (csp) in einem überwiesenen Postulat eine entsprechende Studie an. Die aufgrund fehlender Daten einzelner Kantone unvollständige Untersuchung des Biga ergab, dass 1992 22% der Arbeitslosen von einer vorübergehenden Einstellung der Taggeldzahlungen betroffen waren, weil sie das Gesetz geritzt, missachtet oder vorsätzlich umgangen hatten. In den meisten Fällen bemühten sich die derart sanktionierten Arbeitslosen ungenügend um eine neue Stelle oder hatten die Arbeitslosigkeit selber verschuldet, indem sie eine Stelle verliessen, ohne eine neue auf sicher antreten zu können. Das Biga verwies auf die schwierige Interpretierbarkeit dieser Zahlen, da auch geringfügige Fehlleistungen der Arbeitslosen erfasst wurden und Mehrfacheinstellungen der gleichen Person in der Untersuchung ihren Niederschlag fanden, und stellte fest, dass der Anteil der Missbräuche seit 1989 (40%) beträchtlich gesunken ist. Das Biga, aber auch Verantwortliche der kantonalen Arbeitsämter vermuteten Missbräuche eher auf Arbeitgeberseite, wo zum Teil Kurzarbeitsentschädigungen unrechtmässig bezogen oder nicht an die Arbeitnehmer weitergeleitet wurden. Oft war aber auch die Rede von "legalen Missbräuchen", so etwa bei Jugendlichen, die es nach Abschluss der Schulpflicht vorziehen, Arbeitslosengelder zu beziehen, anstatt eine Weiterbildung oder Lehre in Angriff zu nehmen, oder bei Arbeitslosen, die vor Inkrafttreten der Zwischenverdienstregelung eine an und für sich zumutbare Arbeit ausschlugen, nur weil sie weniger einbrachte als 80% des versicherten Verdienstes. Auch hier handelt es sich gemäss Biga um marginale Phänomene. Dennoch soll mit der Revision des AVIG durch die Neudefinierung der zumutbaren Arbeit und durch verschärfte Zulassungskriterien für Schul- und Studienabgänger die Schraube stärker angezogen werden.

Parlament überwies mehrere Vorstösse zur Revision des AVIG

Der Ständerat behandelte ebenfalls mehrere Vorstösse zur ALV. Eine Motion Weber (ldu, ZH), welche – analog zur Motion Dünki (evp, ZH) im Nationalrat – eine Aufhebung der Beitragslimite bei gleichbleibendem Leistungsplafond verlangte, wurde in Anbetracht der laufenden Gesetzgebung lediglich als Postulat überwiesen. Dasselbe geschah mit einer Motion Delalay (cvp, VS) für die fiskalische Förderung von Arbeitsplätzen (Mo. 93.3312) und einer Motion Schüle (fdp, SH) zur Verbesserung der Struktur und Funktion der ALV im Bereich der Arbeitsämter (Mo. 93.3355).

Das Parlament überwies mehrere Vorstösse, die Massnahmen anregten, welche entweder mit den dringlichen Massnahmen zur Arbeitslosenversicherung eingeführt wurden, oder die der Bundesrat zumindest teilweise in seinen Vorschlag zur 2. Teilrevision des AVIG aufnehmen wollte. In Anbetracht der laufenden Gesetzgebung wurden alle diese Vorstösse nur in der Postulatsform überwiesen. Der Nationalrat verabschiedete so praktisch diskussionslos ein Postulat Carobbio (sp, TI) zur Ausdehnung der Schlechtwetterentschädigung (Po. 92.3243), eine Motion Leuenberger (sp, SO) zur Aufhebung des Beitragsplafonds (Mo. 92.3342), eine Motion Hafner (sp, SH) für eine Verbesserung der ALV (Mo. 92.3388), eine Motion Goll (sp, ZH) für gleiche Rechte für arbeitslose Mütter (Mo. 92.3444), ein Postulat Dünki (evp, ZH) zur Aufhebung der Höchstgrenze für die Ausschüttung von Taggeldern sowie der Stempelpflicht (Po. 92.3538), eine Motion Cavadini (fdp, TI) zur Unterstützung für jugendliche Arbeitslose (Mo. 92.3578), eine Motion Bircher (sp, AG) für eine verstärkt bildungspolitische Ausrichtung der Arbeitslosenversicherung (Mo. 92.3583), ein Postulat Hafner (sp, SH) für eine Verbesserung der Vermittlungs- und Beratungstätigkeit der Arbeitsämter (Po. 92.3589), eine Motion Dünki (evp, ZH) für mehr Solidarität in der ALV (Mo. 93.3134), ein Postulat Hafner (sp, SH) zur Vertretung der Arbeitslosenkomitees in der Aufsichtskommission der Arbeitslosenversicherung (Po. 93.3165), eine Motion Zisyadis (pda, VD) zur Heraufsetzung der Höchstgrenze für den massgebenden Lohn (Mo. 93.3181) sowie ein Postulat Iten (cvp, NW) zur mittelfristigen Sicherung der Finanzierung der ALV (Po. 93.3472).

2.Teilrevision Arbeitslosenversicherungsgesetz (BRG 93.095)

Im Spätherbst leitete der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft für eine zweite Teilrevision des AVIG zu. Damit sollen einerseits Teile aus dem dringlichen Bundesbeschluss (Abstufung der Taggelder je nach Familienpflichten, Zwischenverdienstregelung) gesetzlich definitiv verankert, andererseits die Finanzierungsgrundlagen dieses Versicherungszweiges verbessert werden. In Anbetracht der Dringlichkeit der Sanierung der Arbeitslosenversicherung beschränkt sich die Vorlage zur Hauptsache darauf, die Versicherungsleistungen, die Finanzierung der Versicherung sowie die aktiven Präventionsmassnahmen der aktuellen wirtschaftlichen Lage anzupassen. Tiefgreifende Anderungen des AVIG – wie etwa neue Finanzierungsmodelle – wurden auf die 3. Revision verschoben. Hauptpunkte der bundesrätlichen Vorschläge sind eine je fünfprozentige Degression der Leistungen nach 125 und 250 Tagen, deutlich verschärfte Zumutbarkeitskriterien und eine massive Erhöhung der Limite der beitragspflichtigen Löhne (von heute 97'200 auf 243'000 Fr.) bei gleichbleibendem Leistungsplafond, die Anhebung der Lohnbeiträge auf maximal 3% sowie die Einführung von à-fonds-perdu-Beiträgen des Bundes und der Kantone in der Höhe von je 5% der Versicherungsausgaben, wenn die Reserven und Beitragseinnahmen zur Deckung der Versicherungsausgaben nicht ausreichen.

Die Vorschläge stiessen in allen Lagern umgehend auf harsche Kritik. Die Gewerkschaften erachteten sie als inakzeptabel, da sie zu einem Zweiklassensystem der Versicherten, zur beruflichen Dequalifizierung der Arbeitslosen und zu Lohndumping auf Kosten der Arbeitslosenversicherung führten. Insbesondere wurde die Redefinition des Begriffs der Zumutbarkeit kategorisch bekämpft. Galt bisher eine Arbeit nur als zumutbar, wenn sie gewisse Kriterien erfüllte, so wird mit der Botschaft die Ausgangslage umgekehrt. Neu ist – mit abschliessend geregelten Ausnahmen – grundsätzlich jede Arbeit zumutbar, auch wenn der Verdienst deutlich tiefer ausfällt als das Taggeld. Die Gewerkschaften monierten zudem, die Anhebung des Plafonds der beitragspflichtigen Löhne und der Prämien sei ungenügend zur längerfristigen Finanzierung der ALV. Indem der Bund keine neuen Finanzierungsquellen vorschlage, erzeuge er einen finanziellen Druck, der schliesslich zur Abschaffung der Versicherung in ihrer heutigen Form führe. Auch die Arbeitgeberseite kritisierte die vorgesehene Finanzierung, allerdings aus ganz anderen Gründen. Ihrer Ansicht nach hätten Bund und Kantone stärker in die Pflicht genommen werden müssen. Die Anhebung des Plafonds lehnten sie rundweg ab, da sie eine massive – und ihrer Ansicht nach für die ALV verfassungswidrige – Umverteilung bewirke. Richtig erschienen den Arbeitgebern nur der Abbau der Taggelder nach 125 und 250 Tagen und die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien. Einzig der bundesrätliche Vorschlag zur Einführung von Bundes- und Kantonsbeiträgen (anstelle blosser Darlehen) und die Verbesserungen bei der Beratung der Arbeitslosen fand die Unterstützung beider sozialpartnerschaftlicher Lager.

Mit wenig Begeisterung trat der Ständerat in der Frühjahrssession auf die im Vorjahr vom BIGA ausgearbeitete zweite Teilrevision des AVIG ein. Die Vorlage wurde als notdürftiges Flickwerk kritisiert, das keine neuen Ideen bringe und keine angemessene Antwort auf die Situation der fast 200'000 Arbeitslosen darstelle. Da sie aber auch nicht eine schnell realisierbare, bessere Lösung sah, schwenkte die kleine Kammer vorab aus finanziellen Gründen schliesslich in fast allen Punkten auf die Vorschläge des Bundesrates ein. In Detailfragen setzte der Rat dennoch etwas andere Akzente als der Bundesrat. So limitierte er die Kompetenz zur Heraufsetzung des Beitragssatzes auf drei Lohnprozente bis Ende 1999 und entband die Kantone von der Verpflichtung, sich in ausserordentlichen Situationen mit nicht rückzahlbaren Darlehen an den Ausgaben beteiligen zu müssen. Die Wartefrist vor dem erstmaligen Bezug von ALV-Entschädigungen für Schul- und Studienabgänger verlängerte er gegenüber dem Bundesratsentwurf um weitere sechs Monate auf ein Jahr.

Bei der Verschärfung des Begriffs der zumutbaren Arbeit fügte er zusätzlich das Kriterium ein, dass eine Arbeit auch dann zumutbar ist, wenn der Lohn bis zu 10% unter dem letzten Taggeld liegt. Als neue Leistung bezog der Ständerat sogenannte Vorruhestandszuschüsse ins Gesetz ein. Diese sollten an Arbeitnehmer ausgerichtet werden, die mindestens zwei Jahre vor dem ordentlichen Pensionierungsalter in den Ruhestand treten, sofern an ihrer Stelle eine junge Person eingestellt wird. Einstimmig verabschiedete die kleine Kammer die Vorlage zuhanden des Nationalrats.

Die Kommission des Nationalrates - im Gegensatz zum Ständerat nicht die SGK, sondern die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) - war dann endgültig nicht mehr bereit, einer fast ausschliesslich auf die Finanzierung ausgerichteten Vorlage zuzustimmen, welche die Anspruchsbedingung für ALV-Leistungen in erster Linie aufs Stempeln beschränkt. Sie setzte eine Arbeitsgruppe ein, der auch Vertreter der Sozialpartner angehörten, welche wegweisende Lösungen ausarbeiten sollte, nach denen vorab die Wiedereingliederung der Arbeitslosen verstärkt wird.

Bei der Finanzierung folgte die Kommission in den grossen Linien Bundes- und Ständerat, brachte aber noch einige Retouchen an. So soll die Finanzierung grundsätzlich weiterhin über maximal 2% des für die obligatorische Unfallversicherung massgebenden Lohnes, d.h. bis 97'200 Fr. pro Jahr erfolgen. Zur Tilgung der bis Ende 1995 aufgelaufenen Schulden soll der Bundesrat aber die Kompetenz erhalten, auf den über den plafonierten Betrag hinausgehenden Lohnsummen einen Beitrag von 1% zu erheben. Im Gegensatz zum Ständerat führte die WAK wieder die Bestimmung ein, dass bei ausserordentlichen Verhältnissen Bund und Kantone A-fonds-perdu-Beiträge in der Höhe von maximal 10% der laufenden Verpflichtungen zu leisten haben, d.h. je 5%.

Neu - und vor allem von den Medien als fast schon revolutionäre Kehrtwende gefeiert - war die Übernahme des Grundsatzes der IV, wonach Wiedereingliederung vor Rente kommt. Zu diesem Zweck soll die Arbeitsvermittlung in neuen regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) zusammengefasst und professionalisiert werden, damit die Versicherten während der ganzen zweijährigen Rahmenfrist intensiv betreut werden können. Um vom passiven Taggeldbezug wegzukommen, reduzierte die WAK den Anspruch auf "normale" Taggelder grundsätzlich auf 150. Einzig ältere Versicherte sollten ohne Gegenleistung während 250 bzw. 400 Tagen Leistungen der ALV beziehen können. In der Absicht, aktive arbeitsmarktliche Massnahmen zu fördern, sollten bis zur Ausschöpfung der Rahmenfrist "besondere" Taggelder ausgerichtet werden, wenn der Arbeitslose einen Kurs besucht, an einem Beschäftigungsprogramm teilnimmt, einen Zwischenverdienst erzielt oder eine von der ALV unterstützte selbständige Arbeit aufnimmt. Zudem sollte die ALV unter gewissen Bedingungen Ausbildungszuschüsse für höchstens drei Jahre gewähren können.

Mit dieser neuen Ausrichtung wollte die WAK auch die Kantone in die Pflicht nehmen, vermehrt Plätze in Kursen und Beschäftigungsprogrammen zur Verfügung zu stellen. Sie führte deshalb die Bestimmung ein, dass die Kantone, falls sie dazu nicht imstande sind, einen Teil - 25% im Normalfall, 15% bei überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit - der ersatzweise auszurichtenden 80 besonderen Taggelder berappen müssen, auf die jeder Versicherte Anspruch hat. Im Gegenzug sollte der Arbeitslosenversicherungsfonds neu 90% der anrechenbaren Kosten für Programme zur vorübergehenden Beschäftigung übernehmen anstatt 50 bis 85% wie bis anhin.

Aber auch die Versicherten wurden von der WAK härter angefasst. Der Begriff der Zumutbarkeit einer Arbeit wurde gegenüber dem Ständerat noch etwas verschärft, die Wartezeit von 12 Monaten für Schul- und Studienabgänger bekräftigt und für alle Versicherten eine generelle Karenzfrist von fünf Tagen vor dem erstmaligen Bezug von ALV-Leistungen eingeführt. Da in letzter Zeit immer häufiger Missbräuche der ALV durch Arbeitgeber ruchbar geworden waren, verkürzte die WAK den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung und führte strengere Kontrollen ein. Die Schlechtwetterentschädigung wollte sie ganz streichen.

Nach ausgiebigen Diskussionen - und nach der deutlichen Ablehnung von drei Rückweisungsanträgen Blocher (svp, ZH), Zisyadis (pda, VD) und SD/Lega-Fraktion - folgte das Plenum des Nationalrates der Kommission in den wesentlichen Punkten. Es kam aber den Kantonen insofern entgegen, als es die Finanzierung der ersatzweise auszurichtenden Taggelder in dem Sinn änderte, dass der Kantonsanteil bei andauernder Arbeitslosigkeit bis auf 10% reduziert werden kann. Die Beteiligung der Kantone an den Kursauslagen wurde auf 5% gesenkt und der Beitrag des ALV-Fonds an die Beschäftigungsprogramme auf 95% erhöht. Der Aufhebung der Schlechtwetterentschädigung stimmte die grosse Kammer nicht zu. In der Gesamtabstimmung passierte das revidierte Gesetz mit 123:30 Stimmen bei 16 Enthaltungen.

Bei der zweiten Lesung der Gesetzesrevision zollte der Ständerat den Vorarbeiten des Nationalrates volle Anerkennung. Der Systemwechsel von passiver Versicherung zu aktiver Wiedereingliederungs- und Erwerbsfähigkeit wurde ebenso begrüsst wie die Neuregelung des Taggeldanspruchs, die Einführung regionaler Arbeitsvermittlungszentren und die Neuordnung der Finanzierung. Von links bis rechts waren sich die Standesvertreter aber einig, dass sich das Weiterbildungs- und Beschäftigungsprogramm für Arbeitslose in dem vom Nationalrat beschlossenen Umfang nicht realisieren lasse. Der Aufbau einer Parallelwirtschaft mit über 60'000 Arbeitsplätzen, an denen die reale Wirtschaft offenbar kein Interesse habe, sei den Kantonen nicht zuzumuten, ebenso wenig wie die Auflage, sich bei ungenügendem Angebot an der Finanzierung der deswegen notwendig werdenden ALV-Mehraufwendungen zu beteiligen.

Der Rat reduzierte deshalb das arbeitsmarktliche Pflichtangebot auf junge Arbeitslose bis zum 25. Altersjahr, womit sich die den Kantonen abverlangten Stellen auf knapp 15'000 Plätze verringerten. Bei den A-fonds-perdu-Beiträgen entliess er die Kantone angesichts ihrer anderweitigen Belastung wieder aus der Pflicht, gleich wie der Bund 5% ans jährliche Defizit zu leisten. Die Ständevertreter verschärften hingegen die Arbeitsannahmepflicht, indem nach vier Monaten Erwerbslosigkeit auch Arbeiten als zumutbar gelten sollten, die auf die Fähigkeiten oder bisherigen Tätigkeiten des Arbeitslosen nicht angemessen Rücksicht nehmen. Sie wollten die Karenzfrist von fünf Tagen vor dem ersten Bezug von ALV-Leistungen zwar ebenfalls sozialverträglich gestalten, bezeichneten aber keinen fixen Grenzbetrag, unterhalb dessen die Wartefrist nicht gilt, sondern wollten es dem Bundesrat überlassen, die Härtefälle zu bezeichnen.

Dies genügte nun der Kommission des Nationalrates wiederum nicht, weshalb sie erneut den Dialog mit den Sozialpartnern suchte, diesmal aber auch die Kantone und die Kommission des Ständerates als Gesprächspartner mit einbezog. Aus diesen Verhandlungen entstanden neue Vorschläge - in Anlehnung an den Tagungsort "Solothurner Kompromiss" genannt -, welche einen austarierten Mittelweg zwischen den ersten Entscheiden des Nationalrates und den Korrekturen des Ständerates darstellten.

Festgehalten wurde im Nationalrat an der möglichst raschen Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Jeder Arbeitslose soll inskünftig gehalten sein, in einem arbeitsmarktlichen Programm tätig zu werden. Je nach Alter besteht ein unterschiedlicher Anspruch auf "freie" Taggelder: Erwerbslose unter 50 Jahren erhalten höchstens 150 ordentliche Taggelder, den Rest müssen sie mit dem Besuch von Beschäftigungsprogrammen, Kursen usw. "verdienen". Zwischen 50 und 60 Jahren werden 250 Taggelder ohne Vorbedingungen ausbezahlt, über 60-jährige erhalten 400 Taggelder. Anders als im bisher geltenden Gesetz, wo durch die Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen und Weiterbildungsmassnahmen die Bezugsdauer von Taggeldern ständig neu ausgelöst werden konnte, wurde diese nun definitiv auf zwei Jahre beschränkt.

Um nicht nur die Jugendlichen in den Genuss von arbeitsmarktlichen Massnahmen kommen zu lassen, wurde das Pflichtangebot der Kantone zur Bereitstellung von Beschäftigungs- und Weiterbildungsprogrammen wieder auf 25'000 Plätze erhöht, wobei Kantone, welche die vom Bundesrat festgesetzte Quote, die im Verhältnis zur Arbeitslosen- und Einwohnerzahl definierte werden sollte, nicht erfüllen, 40% der Taggelder jener Arbeitslosen übernehmen müssen, die in keinem Programm untergebracht werden können. Der Ständerat hatte hier nur 20% vorgesehen. Als Gegenleistung an die Kantone wurde auf deren A-fonds-perdu-Beiträge an den ALV-Fonds verzichtet. Diese sollten im Rahmen von 5% nur noch vom Bund geleistet werden. Hingegen wurden die Kantone nicht von der Verpflichtung enthoben, dem ALV-Fonds Darlehen mit einem gegenüber dem freien Markt niedrigeren Zinssatz zur Verfügung zu stellen.

Bei allem Entgegenkommen schuf der Nationalrat aber doch wichtige Differenzen zum Ständerat. Die nach vier Monaten vorzunehmende Verschärfung bei der Zumutbarkeit einer Arbeit lehnte er mit 101:62 recht deutlich ab. Zu einer längeren Diskussion führte die Ausgestaltung der Karenzfrist vor dem ersten Bezug von Taggeldleistungen. Die Genfer SP-Vertreterin Brunner beantragte im Namen einer Minderheit, diese Massnahme durch besondere Überbrückungs-Taggelder in der Höhe von 50% der ordentlichen Taggelder abzufedern. Nationalrat Epiney (cvp, VS) bezeichnete die Karenzfrist als eigentlichen Schwachpunkt der Vorlage. Es genüge nicht, den Bundesrat zu Ausnahmeregelungen zu ermächtigen, er müsse dazu verpflichtet werden. Sein Genfer Parteikollege Maitre wollte zumindest all jene Versicherten von der Karenzfrist ausnehmen, deren Verdienst weniger als zwei Drittel des für die obligatorische Unfallversicherung massgebenden Höchstbetrags von rund 97'200 Fr. beträgt. Schliesslich wurde dem Antrag Epiney zugestimmt.

Mit 92:43 Stimmen hielt der Nationalrat an der - leicht restriktiver ausgestalteten - Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung fest, obgleich quer durch die Parteien der Verdacht geäussert wurde, dass damit von Arbeitgeberseite sehr oft Missbrauch betrieben werde. Andererseits trat aber auch Brunner (sp, GE) für deren Beibehaltung ein, da mit dieser Lösung vielfach Entlassungen vermieden werden könnten, die sonst die Versicherung viel teurer zu stehen kämen.

Nach längerer Diskussion verzichtete der Ständerat mit 29:9 Stimmen auf seine ursprünglich beschlossene Verschärfung bei der Definition der zumutbaren Arbeit. Da auch Bundesrat Delamuraz bekräftigt hatte, ein rigoroses Festhalten an den vier Monaten dürfte einer befriedigenden Regelung im Einzelfall nicht gerecht werden, stimmte der Ständerat hier der gemässigteren Fassung des Nationalrates zu. Gewichtige Differenzen wurden hingegen bei der Art der Finanzierung beibehalten resp. neu geschaffen. Entgegen dem Nationalrat, der die Kantone neu mit 10% an den Kosten der Kurse und mit 20% an jenen der Beschäftigungsprogramme beteiligen wollte, schlug der Ständerat vor, für die Kantone einen Pauschalbeitrag von 2500 Fr. einzuführen. Die Bereitstellung von gesamthaft 25'000 Plätzen in arbeitsmarktlichen Massnahmen wurde bestätigt, doch wurden die Kriterien für deren Verteilung auf die Kantone anders definiert. Während der Nationalrat hier eine Mischrechnung zwischen Einwohner- und Arbeitslosenzahlen vorgeschlagen hatte, beantragte die Kommission der kleinen Kammer aus Solidarität mit der besonders von Arbeitslosigkeit betroffenen Romandie, dass jeder Kanton höchstens für 30% aller Arbeitslosen Programmplätze zur Verfügung zu stellen habe. Auf Antrag von Ständerat Schiesser (fdp, GL) wurde dieser Satz mit 30:7 Stimmen um weitere 10% auf 20% gesenkt.

Da die Vorlage bereits zweimal in beiden Räten beraten worden war, wurde sie nun der Einigungskonferenz zugewiesen. Diese schlug in der noch strittigen Frage der Mittelbeschaffung für arbeitsmarktliche Massnahmen vor, dass die finanzielle Beteiligung der Kantone an den Weiterbildungs- und Beschäftigungsprogrammen tatsächlich pauschalisiert werden soll, erhöhte den kantonalen Beitrag pro Jahresplatz jedoch auf 3000 Fr. In der Verteilung auf die Kantone setzte sich ebenfalls ein Kompromiss durch. So sollte bei der Festsetzung der kantonalen Quote die Zahl der Einwohner und der Versicherten, nicht aber mehr der real Arbeitslosen, berücksichtigt werden, wobei die Verpflichtung für die Mindestzahl der Plätze, die ein Kanton bereitzustellen hat, 25% aller Versicherten im Kanton nicht übersteigen darf. Auf diesen Kompromiss konnten beide Kammer einschwenken, worauf die Vorlage in der Sommersession definitiv verabschiedet wurde. Unbestritten war seit Beginn der Beratungen, dass zu Lasten des ALV-Fonds regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eingerichtet werden, welche die Wiedereingliederung effizienter vornehmen sollen als die lokalen Arbeitsämter. Keine Opposition erwuchs auch der Einführung von Ausbildungszuschüssen, welche mindestens 30-jährigen Versicherten erlaubt, eine Berufslehre nachzuholen, sowie den Massnahmen zur Förderung der selbständigen Erwerbstätigkeit.

Das neue Gesetz wird etappenweise eingeführt. Auf den 1. Januar 1996 werden vorab jene Bestimmungen in Kraft gesetzt, die kurzfristig realisiert werden können, wie z.B. die Anhebung des beitragspflichtigen Lohnes, die Neuregelung der zumutbaren Arbeit, die Wartefristen für Jugendliche nach Abschluss der Ausbildung sowie die Verschärfungen bei der Kurzarbeits- und Schlechtwetterentschädigung. Bereits ab 1996 wirksam ist auch die Gesetzesbestimmung, wonach Arbeitslose bei der SUVA gegen Nichtberufsunfälle versichert sind.

Der Bundesrat setzte den zweiten Teil des im Sommer 1995 vom Parlament verabschiedeten revidierten AVIG auf den 1. Januar 1997 in Kraft. Die Änderungen betreffen zur Hauptsache das neue Taggeldregime mit altersabhängigen und besonderen Taggeldern, den Anspruch auf vorübergehende Beschäftigung oder Kompensationszahlungen bei ungenügendem Angebot, die Pflicht der Kantone, ein Mindestangebot von 25'000 Jahresplätzen für Wiedereingliederungsmassnahmen bereitzustellen, sowie die Neugestaltung der Beratung und Kontrolle, die inskünftig auf regionaler Stufe - durch die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) - erfolgen wird. Ferner wurden die Bestimmungen über die Dauer der Einstellung in der Anspruchsberechtigung verschärft und die Karenzzeit bei Kurzarbeit von zwei auf drei Tage erhöht. In einer neuen, auf zwei Jahre befristeten Verordnung wurde zudem die Förderung des Vorruhestandes geregelt. Diese Massnahme sieht vor, dass Arbeitgeber, die den freiwilligen Ruhestand eines Mitarbeiters mitfinanzieren und an dessen Stelle eine arbeitslose Person einstellen, unter bestimmten Voraussetzungen Unterstützungszahlungen der ALV erhalten.

Auf den 1. Januar 1997 trat die zweite Etappe des revidierten Konzepts der ALV in Kraft. Die Kantone waren erstmals dazu verpflichtet, im Bereich der arbeitsmarktlichen Massnahmen eine minimale Anzahl an Jahresplätzen (25'000) bereit zu stellen. Insgesamt gut 200'000 stellenlose Personen konnten im Berichtsjahr von einer derartigen Massnahme profitieren. Rund 35% der Angebote betrafen den Bereich der Aus- und Weiterbildung (Kurse, Übungsfirmen, Ausbildungspraktika), rund 57% Beschäftigungsprogramme (Programme zur vorübergehenden Beschäftigung, Berufspraktika) und etwa 8% spezielle Massnahmen (Einarbeitungszuschüsse, Ausbildungszuschüsse, Förderung der Selbständigkeit, Pendlerkostenbeiträge und Beiträge an Wochenaufenthalter).

Mit einer besonderen Verordnung setzte der Bundesrat auf den 1. Juli die Bestimmung des revidierten Arbeitslosenversicherungsgesetzes in Kraft, wonach arbeitslose Personen in der beruflichen Vorsorge gegen die Risiken Tod und Invalidität zu versichern sind. Der Beitragssatz, der je zur Hälfte von den Arbeitslosen und der Arbeitslosenkasse getragen wird, beläuft sich auf 5,28% des koordinierten Taggeldes.

Finanzierung der ALV über eine Ressourcen- oder Konsumsteuer (Mo. 94.3323)

Im Anschluss an diese Beratungen wollte die WAK des Nationalrates den Bundesrat verpflichten, dem Parlament bis Ende 1996 die gesetzlichen und verfassungsmässigen Grundlagen für eine teilweise oder vollständige Finanzierung der ALV über eine Ressourcen- oder Konsumsteuer anstelle von Lohnprozenten zu unterbreiten. Die Landesregierung machte geltend, die Frage der Finanzierung der ALV müsse im Kontext aller Sozialversicherungen gesehen werden, weshalb der Zeitrahmen 1996 zu eng gesteckt sei. Zudem verwies sie darauf, dass sie zur Prüfung dieser Problematik eine interdepartementale Arbeitsgruppe eingesetzt habe. Da die WAK die Ausführungen des Bundesrates nachvollziehen konnte, wurde mit ihrem Einverständnis die Motion nur als Postulat überwiesen.

Dringliche Massnahmen zur Entlastung des Voranschlages 1996 (BRG 95.055)

Ende Mai beschloss der Bundesrat, das Ausgabenwachstum im Voranschlag 1996 auf ein Niveau von unter 4% zu drücken und Einsparungen in der Höhe von CHF 1.3 Mrd. vorzunehmen. Die Departemente, deren Budgeteingaben sich zuvor auf insgesamt CHF 45.4 Mrd. belaufen hatten, unterzogen sich daraufhin Streichungen in Höhe von fast einer Milliarde Franken. Zusätzlich beschloss der Bundesrat dringliche Gesetzesänderungen in den Bereichen Forschung und Arbeitslosenversicherung (ALV). Mit einem ersten dringlichen Beschluss sollte die vom Parlament beschlossene Aufstockung der Mittel für die Schwerpunktprogramme der Forschung in den Jahren 1996 bis 1999 um CHF 62 Mio. rückgängig gemacht werden, womit sich 1996 CHF 15 Mio. einsparen liessen. Gestrichen werden sollten sodann die A-fonds-perdu-Beiträge von CHF 220 Mio. an die ALV, die der Bund künftig in Form von Darlehen gewähren will. Weil so die Kantone die Hälfte beisteuern müssten, ergäbe sich für den Bund ein Spareffekt von CHF 100 Mio. Anfang September präsentierte Bundesrat Stich für 1996 ein Budget, das mit einem Defizit von CHF 4.3 Mrd. abschliesst. Das Ausgabenwachstum wurde auf 4,1% begrenzt, während bei den Einnahmen mit einem Anstieg um 9,8% gerechnet wurde. Die Zunahme ist unter anderem Folge des Steuersystems mit einnahmenstarken geraden Jahren. Bereits abgezogen wurde der erwartete Steuerausfall von CHF 140 Mio. durch den MWSt-Sondersatz für die Hotellerie. Auf der Ausgabenseite fielen der Anstieg der Beiträge an die Krankenversicherung von CHF 750 Mio. und die einmalige Entschädigung von über CHF 200 Mio. für den Verzicht auf das Atomkraftwerk Graben ins Gewicht. Die Überschüsse der Bundespensionskasse figurieren weiterhin unter den Einnahmen. Ebenso wurden die Darlehen an die Bundesbahnen im Umfang von gut einer Milliarde Franken, welche die SBB nicht werden zurückzahlen können, gegen den Willen von Bundesrat Stich nicht unter den Ausgaben verbucht. Nicht zuletzt aufgrund dieses «geschönten» Budgets, dessen Defizit sich bei einer sachgerechten Darstellung - trotz einem verbesserten konjunkturellen Umfeld - auf über CHF 6 Mrd. erhöht hätte, gab der Finanzminister seinen Rücktritt bekannt.

Im Rahmen der dringlichen Massnahmen zur Entlastung des Voranschlages 1996 des Bundes versuchte die Landesregierung auf den Entscheid des Parlaments zurückzukommen, wonach nur der Bund A-fonds-perdu-Beiträge zu leisten habe und beantragte, diese ganz zugunsten der Finanzierung über Darlehen fallenzulassen. Ausgehend von einer geschätzten Arbeitslosenzahl von durchschnittlich 130'000 Personen versprach er sich davon eine Einsparung von 220 Mio. Fr. Das Parlament zeigte sich unangenehm berührt vom Ansinnens des Bundesrates, ein Gesetz noch vor dessen Inkrafttreten bereits wieder mit dringlichem Bundesrecht abzuändern; beide Kammern beschlossen recht deutlich Nichteintreten auf die Vorlage.

Um das Defizit im Budget 1996 auf unter CHF 4 Mrd. zu drücken, forderten die vorberatenden Finanzkommissionen des National- und Ständerates zusätzliche Ausgabenkürzungen von CHF 437 bzw. 277 Mio. Die ständerätliche Kommission lehnte andererseits beide dringlichen Gesetzesänderungen ab, während die nationalrätliche Kommission nur den dringlichen Sparbeschluss zur ALV zurückwies. In der Wintersession folgten beide Räte ihren Kommissionen in weiten Teilen. Der Ständerat als Erstrat lehnte die beiden dringlichen Sparbeschlüsse ab. Gegen den Willen seiner Kommission stockte er zudem gemäss einem Antrag Cavadini (lp, NE) den Kredit für den Nationalstrassenbau um CHF 163.4 Mio. auf. Im Nationalrat fanden vier Rückweisungsanträge von LdU/EVP, SD, FPS und EDU keinen Sukkurs. Im Gegensatz zum Ständerat nahm die grosse Kammer den Sparbeschluss zu den Schwerpunktprogrammen der Forschung mit 89 zu 79 Stimmen an, verwarf hingegen mit 94 zu 81 Stimmen ebenfalls den dringlichen Sparbeschluss zur ALV. Der Aufstockung des Kredits im Nationalstrassenbau stimmte der Rat zu und sanktionierte damit den teuren Ausrutscher des Ständerats vom Sparpfad. Ausserdem kürzte er gegen den Willen des Bundesrates die Beiträge an die Kantone zur Verbilligung der Krankenkassenprämien um CHF 80 Mio.; bei den Militärausgaben kürzte er CHF 65 Mio. In der Differenzbereinigung setzte sich der Ständerat mit seinem Veto durch, die Schwerpunktprogramme der Forschung nicht zu kürzen, und er behielt auch beim am längsten umstrittenen Punkt, den Etatsstellen, das letzte Wort: lediglich 300 Stellen werden definitiv gestrichen, nachdem sich im Nationalrat eine bürgerliche Minderheit für die Streichung von 400 Stellen ausgesprochen hatte.

Voranschlag 1997: Dringlicher Bundesbeschluss ALV (BRG 96.070)

Weil sich die Beschäftigungslage weiter verschlechterte, beantragte der Bundesrat mit dem zweiten Nachtrag zum Voranschlag 1996 dem Parlament mit Erfolg einen Kreditnachtrag von 550 Mio. Fr. für die rückzahlbaren Darlehen an die Arbeitslosenversicherung. Die A-fonds-perdu-Beiträge für das laufende Jahr wurden von 225 Mio. Fr. auf 300 Mio. Fr. aufgestockt.

Knapp ein Jahr nach Inkrafttreten des ersten Teils der 2. Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) musste das Regelwerk bereits wieder über einen dringlichen Bundesbeschluss abgeändert werden. In der Dezembersession beschlossen die Räte bei der Behandlung des Budgets 1997 weitere Ausgabenkürzungen. Die Zumutbarkeitsgrenze für die Annahme einer neuen Stelle wurde dabei von bisher 70% auf 68% des versicherten Verdienstes gesenkt. Taggelder, die 130 Fr. übersteigen, werden ab Januar 1997 um 3%, Taggelder unter 130 Fr. um 1% gekürzt. Bei Personen mit Unterhaltspflichten gegenüber eigenen Kindern beträgt die Kürzung generell 1%. Ab 1. Juli 1997 werden die Taggelder um weitere 0,3% bis 1,7% gekürzt, um damit die Arbeitslosen in der beruflichen Vorsorge minimal für Tod und Invalidität zu versichern. Die Kurzarbeitsentschädigung beträgt neu 78% des anrechenbaren Verdienstes (bisher 80%). Auf das Erbringen von A-fonds-perdu-Beiträgen durch den Bund wird ab 1997 verzichtet. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Streichung der Schlechtwetterentschädigung lehnte das Parlament hingegen ab, da den Einsparungen erhebliche Mehrausgaben gegenüberstünden. Mit diesen Massnahmen wird der Bundeshaushalt um 200 Mio. Fr. entlastet.

Ende März deponierten kantonale Gewerkschaften und Arbeitlosenkomitees aus der Westschweiz rund 54'000 Unterschriften für das Referendum gegen den dringlichen Bundesbeschluss zur Arbeitslosenversicherung vom Dezember 1996. Dieser wollte einerseits den fünfprozentigen A-fonds-perdu-Beitrag des Bundes an die ALV (rund 230 Mio Fr.) ersatzlos streichen und andererseits mit einer Kürzung der Taggelder um 1% bzw. 3% die Arbeitslosenkasse um 70 Mio. Fr. entlasten. Sowohl SGB wie SP hatten beschlossen, das Referendum zumindest in der Startphase nicht mitzutragen. Als Begründung wurde angeführt, dass Partei und Gewerkschaft mit dem Kampf um eine Neuauflage des Arbeitsgesetzes und mit den Vorarbeiten an Volksinitiativen zum KVG und zur Arbeitszeitreduktion voll ausgelastet seien. Zudem räumten sie dem Referendum kaum eine Chance ein, hatten sie doch 1993 bei einem ersten ALV-Leistungsabbau eine deutliche Referendumsniederlage einstecken müssen. Angesichts des grossen Erfolgs der Unterschriftensammlung, beschlossen dann aber die Gewerkschaften, doch noch mit zum Teil beträchtlichen finanziellen Mitteln auf den Referendumszug aufzuspringen. Die neue SP-Präsidentin, Ursula Koch, setzte ebenfalls voll auf einen Erfolg in der ersten von ihr mitgeleiteten nationalen Abstimmungskampagne.

In den Wochen vor dem Urnengang konnte das linke und gewerkschaftliche Lager von verschiedenen Ungeschicklichkeiten des BIGA sowie anderer Amtsstellen profitieren. Im Frühsommer liess sich einer der Vizedirektoren des BIGA öffentlich dahingehend vernehmen, dass die rund 200'000 Arbeitslosen in drei etwa gleich grosse Kategorien einzuteilen seien: echte Arbeitslose, Drückeberger und Sozialfälle (Alkoholiker, Drogenabhängige sowie Asylbewerber). Trotz der von Bundesrat Delamuraz umgehend angesetzten Disziplinaruntersuchung gegen den allzu redseligen Chefbeamten konnte der publizistische Schaden nicht mehr ausgeglichen werden. Im August wurde dann durch eine Indiskretion bekannt, dass Finanzminister Villiger weitere massive Kürzungen bei den Leistungen der ALV prüfen lasse, um bis ins Jahr 2001 die Darlehen des Bundes an die Arbeitslosenkasse um 500 Mio. Fr. pro Jahr zu reduzieren. Weitere Alarmsignale für die Arbeitslosen und all jene, die um ihren Arbeitsplatz fürchteten, waren die bereits behandelten oder eingereichten parlamentarischen Vorstösse (Mo. 97.3139 und Pa.Iv. 96.442), die eine weitere Kürzung der Arbeitslosengelder bis hin zum Existenzminimum verlangten.

Bundesbeschluss über die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung
Abstimmung vom 28. September 1997


Beteiligung: 40,6%
Nein: 931'457 (50,8%)
Ja: 901'361 (49,2%)

Parolen:
- Nein: SP, GP, LdU, SD, Lega, PdA; SGB, CNG, Angestelltenverbände.
- Ja: FDP, CVP (3*), SVP, LP, EVP, FP, EDU; SGV, Arbeitgeberverband, Vorort.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Mit rund 30'000 Stimmen Unterschied fiel das Resultat ziemlich knapp aus. Zur Ablehnung trugen vor allem die Westschweizer Kantone bei. Am deutlichsten scheiterte die Vorlage im Kanton Jura, wo der Nein-Stimmen-Anteil 80,4% betrug. Unterstützung erhielten die Romands aus dem Wallis (62,5%) und dem Tessin (53,2) sowie aus den Nordwestschweizer Kantonen Basel-Stadt (52,3%), Basel-Land (50,1%) und Solothurn (51,3%). Während in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit die Nein-Stimmen überwogen, befürworteten vor allem die Stimmberechtigten in den Regionen mit einer geringen Arbeitslosenquote die Kürzung der Taggelder, allen voran die beiden Appenzell sowie St. Gallen und Glarus.

Die Linke wertete ihren Abstimmungserfolg als Zeichen der Solidarität und als eine deutliche Absage an einen weiteren Sozialabbau, während die bürgerlichen Befürworter sich besorgt darüber zeigten, dass Besitzstanddenken die dringend nötige Sanierung der Bundesfinanzen erschwert habe. Für Bundesrat Delamuraz war der knappe Ausgang ein Hinweis dafür, wie gespalten das Stimmvolk bei dieser Frage offenbar ist. Einerseits sei der Wille unverkennbar, die Solidarität mit den Arbeitlosen aufrecht zu erhalten, andererseits bestehe aber auch die Einsicht in die Notwendigkeit, die öffentlichen Finanzen wieder in Ordnung zu bringen.

Wie nach jeder Abstimmung analysierte das Bundesamt für Statistik (BFS) die Ergebnisse aufgrund der Resultate in den Gemeinden. Hauptbefund war, dass die Romandie ausnahmsweise einmal die Deutschschweiz überstimmt hatte, und dass die Unterschiede unter den Gemeinden sehr stark ausgeprägt waren. Nein sagten Zentrumsstädte und Regionen mit vielen Arbeitslosen, Ja stimmten reiche, agrarische und touristische Gemeinden. Der tiefste und der höchste Ja-Stimmenanteil lagen mit 25% bzw. 69% um ganze 44 Prozentpunkte auseinander. Die grösste Polarisierung war dabei entlang der Sprachgrenze zu verzeichnen: In den französischsprachigen Gemeinden stimmten im Mittel nur 32% zu, im Tessin 47% und in der Deutschschweiz 54%. Vorlagen mit ähnlich starker Polarisierung zwischen Romandie und Deutschschweiz betrafen in den letzten 15 Jahren - neben dem EWR-Beitritt und dem Schuljahresbeginn - vor allem agrar- und verkehrspolitische Themen. In einer sozialpolitischen Frage trat das Phänomen vorher erst einmal auf, nämlich 1994 beim knapp angenommenen KVG. Auch damals war eine gespaltene Deutschschweiz von einer geeinten Romandie überstimmt worden.

Gemäss der Vox-Analyse des Urnengangs trugen vor allem die Frauen und die Jungen zum ablehnenden Resultat bei. Das Stimmverhalten liess sich mit der individuellen Arbeitssituation recht gut erklären. Die Pensionierten (59% Ja-Stimmen), Selbständigerwerbenden (58%) sowie die Kader der Privatwirtschaft (54%) stimmten dem Sparbeschluss zu. Die meisten anderen Berufskategorien bildeten eine ablehnende Front, so die in der Privatwirtschaft Angestellten (52% Nein-Stimmen), die Kader und Angestellten des öffentlichen Sektors (67% bzw. 58% Nein) und die Lehrlinge (58%). Am deutlichsten verworfen wurde die geplante Kürzung der Arbeitslosentaggelder naheliegenderweise von den Erwerbslosen selbst (59% Nein-Stimmen). Die Frauen äusserten sich an den Urne skeptischer als die Männer. Nur 39% der befragten Frauen gaben an, für die Sparvorlage gestimmt zu haben; bei den Männern waren es 52%. Zudem wurde ein Generationenkonflikt sichtbar: Während bei den über 60-jährigen der Ja-Anteil klar überwog, lehnten die jüngeren Personen die Vorlage mehrheitlich ab, am deutlichsten die noch nicht 30-jährigen. Sehr klar trat bei der Nachbefragung ein klassischer Links-Rechts-Gegensatz hervor. Die Linke lehnte den Beschluss wuchtig ab (71% Nein), während die Rechte ihm genauso klar zustimmte. Das Gefälle zwischen den politischen Lagern trat in der Romandie deutlicher hervor als in der Deutschschweiz.