Standesinitiative des Kantons Genf für die Schaffung einer Mutterschaftsversicherung (Kt.Iv. 88.201)

Wie bereits erwähnt, wurde das heisse Eisen der Mutterschaftsversicherung in die bundesrätlichen Vorschläge für eine Totalrevision des KUVG nicht einbezogen. Ganz zur Seite schieben konnte man das Thema allerdings nicht, da seit 1988 eine Standesinitiative des Kantons Genf in den Räten hängig ist, welche den Bund auffordert, unverzüglich einen von der Krankenversicherung unabhängigen Entwurf für eine Mutterschaftsversicherung auszuarbeiten. Ende 1988 beschloss die vorberatende ständerätliche Kommission, der Initiative in Form eines Postulates Folge zu geben und holte beim Bundesrat eine Stellungnahme zur Frage einer nicht durch Lohnprozente finanzierten Mutterschafts-Erwerbsausfallversicherung ein. Der im November 1989 vorgelegte Bericht zeigte vier theoretische Lösungen auf (Modell Ergänzungsleistungen, Modell der Familienzulagen in der Landwirtschaft, Ergänzung von Art. 324a Abs. 3 OR, Ergänzung dieses Artikels verbunden mit einer Versicherung). Der Bundesrat hielt aber weiterhin an seiner schon bei anderer Gelegenheit geäusserten Ansicht fest, dass dem Problem der Abgeltung des Mutterschaftsurlaubs nach der Ablehnung in der Volksabstimmung keine vorrangige Bedeutung zukomme. Die Kommission mochte diese Auffassung nicht teilen und wünschte, dass der Bundesrat den Räten einen Bericht darüber unterbreite, wie unverzüglich ein von der Krankenversicherung unabhängiger Entwurf für die Mutterschaftsversicherung ausgearbeitet werden könne. Der Ständerat folgte der Kommission und überwies ein entsprechendes Postulat.

Die Kommission für soziale Sicherheit des Nationalrats gab bekannt, dass sie dem Plenum bei der Behandlung der Standesinitiative des Kantons Genf das gleiche Vorgehen empfehlen will, wie es der Ständerat wählte, nämlich die Umwandlung in ein Postulat, mit welchem der Bundesrat aufgefordert wird, den Räten darüber Bericht zu erstatten, wie unverzüglich ein Entwurf für eine von der Krankenversicherung unabhängige Mutterschaftsversicherung ausgearbeitet werden könne.

Gleich wie der Ständerat 1989 beschloss auch der Nationalrat einstimmig, einer Standesinitiative des Kantons Genf für die Schaffung einer von der Krankenversicherung unabhängigen Mutterschaftsversicherung Folge zu geben. Auch er überwies, wie vor ihm die kleine Kammer, ein Postulat, welches den Bundesrat ersucht, die Vorarbeiten dafür unverzüglich an die Hand zu nehmen. Die Sprecher der vorberatenden Kommission erinnerten daran, dass das Volk bereits 1945 einen diesbezüglichen Verfassungsartikel angenommen habe, dass aber dessen gesetzliche Umsetzung in der Volksabstimmung von 1987 an der Verquickung mit dem Krankenversicherungsgesetz gescheitert sei. Der Entkoppelung der beiden Bereiche müsse deshalb grosse Bedeutung beigemessen werden, weshalb auch klar festzuhalten sei, dass es sich hier nur um eine Taggeldversicherung handeln könne, da die Pflegeleistungen bereits im heutigen System von der Krankenversicherung übernommen würden.

Lohnfortzahlungspflicht bei Mutterschaft (Mo. 91.3039)

In seiner Stellungnahme zu einer vom Nationalrat als Postulat überwiesenen Motion Segmüller (cvp, SG) versprach der Bundesrat, eine Neuregelung der Lohnfortzahlung bei Mutterschaft speditiv an die Hand nehmen zu wollen und dem Parlament in der kommenden Legislatur entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Allerdings wollte er sich in bezug auf die Finanzierung (Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers und/oder Mutterschaftstaggeldversicherung) noch nicht festlegen.

Der Schutz bei Mutterschaft wurde im Nationalrat ebenfalls thematisiert. Eine von E. Segmüller (cvp, SG) eingereichte Motion für eine Lohnfortzahlung bei Mutterschaft wurde, da der Bundesrat versicherte, das Anliegen speditiv an die Hand nehmen zu wollen, auf seinen Antrag allerdings nur als Postulat angenommen.

Richtlinienmotion für eine Mutterschaftsversicherung (im Rahmen von BRG 92.037)

Dossier: Programme de législature 1991–1995 (MCF 92.037)

In seinem Bericht über die Richtlinien der Regierungspolitik sicherte der Bundesrat zu, noch in der laufenden Legislatur dem Parlament einen Gesetzesentwurf für eine Mutterschaftsversicherung unterbreiten zu wollen, welche den bezahlten Mutterschaftsurlaub für Arbeitnehmerinnen und Bedarfsleistungen für nichterwerbstätige und für selbständig erwerbende Frauen beinhalten soll. Eine Richtlinienmotion, welche den Bundesrat beauftragen wollte, dieses Gesetz bis spätestens 1994 vorzulegen, wurde lediglich als Postulat überwiesen (Mo. Ad 92.037).

Integration des Mutterschaftsurlaubs in die EO (Mo. 93.3276)

Bei der Behandlung einer Motion Hafner (sp, SH), welche den Bundesrat ersuchte, eine Revision der Erwerbsersatzordnung (EO) vorzubereiten, welche die Regelung des Erwerbsausfalls während eines 16-wöchigen Mutterschaftsurlaubs zum Ziel hat, bekräftigte der Bundesrat seine Intention, noch in der laufenden Legislatur dem Parlament die Botschaft und den Entwurf für eine Mutterschaftsversicherung zu unterbreiten. Die Mutterschaftsversicherung soll – in einem ersten Schritt – einen bezahlten Mutterschaftsurlaub für Arbeitnehmerinnen und Bedarfsleistungen für nichterwerbstätige oder selbständigerwerbende Frauen umfassen. Eine Regelung im Rahmen der EO wollte der Bundesrat allerdings nicht vorsehen, da das Volk dies 1987 abgelehnt hatte. Auf seinen Antrag wurde die Motion nur als Postulat angenommen.

Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG; BRG 97.055)

Fast 50 Jahre nach der Annahme einer entsprechenden Verfassungsgrundlage (Art. 34quinquies Abs. 4) schickte der Bundesrat Ende Juni seinen Vorentwurf zum Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung in die Vernehmlassung. Die Vorsteherin des dafür zuständigen EDI betonte, der Bundesrat erachte die Realisierung der obligatorischen Mutterschaftsversicherung für dringlich, da es gelte, die heute je nach Arbeitsvertrag unterschiedlich definierte und oftmals ungenügende Urlaubsregelung und Lohnfortzahlungspflicht, welche stossende Ungleichbehandlungen der verschiedenen Arbeitnehmerinnen bewirkten, abzulösen.

Der Bundesrat sieht die Mutterschaftsversicherung als eine eigenständige, obligatorische und von der Krankenversicherung unabhängige Sozialversicherung vor. In einem ersten Schritt sollen selbständig und unselbständig erwerbstätige Frauen Anspruch auf einen bezahlten 16-wöchigen Mutterschaftsurlaub erhalten, wovon mindestens acht Wochen auf die Zeit nach der Niederkunft fallen müssen. Die Entschädigung soll grundsätzlich den ganzen Lohnausfall decken, wie bei der Unfallversicherung aber höchstens 97'200 Fr., und unabhängig davon bestehen, ob die Mutter nach dem Urlaub weiterarbeitet oder nicht.

Für die Beitragserhebung und Auszahlung der Leistungen schlug der Bundesrat vor, diese über die AHV-Kassen abzuwickeln, wo bereits sämtliche Arbeitgeber und Selbständigerwerbenden angeschlossen sind. Die Kosten seien von den Sozialpartnern solidarisch zu tragen, wobei Arbeitnehmer und Arbeitgeber je 0,2% Lohnprozente aufzubringen hätten. Nach Ansicht des Bundesrates bleibt die Belastung für die Arbeitgeber ungefähr gleich hoch wie heute, da durch die Mutterschaftsversicherung die in vielen Gesamtarbeitsverträgen vereinbarten Lohnfortzahlungen wegfallen. Für Bund und Kantone entstehen keine Mehrkosten.

In der Vernehmlassung herrschte über den in der Verfassung verankerten Grundsatz zwar Einigkeit, über den Umfang, die Finanzierung und die Ausgestaltung gingen die Meinungen hingegen weit auseinander. Der Entwurf des Bundesrates wurde von FDP, SVP, CVP und den Arbeitgeber-Organisationen zur Überarbeitung zurückgewiesen, während ihm SP, Gewerkschaften und Frauenorganisationen grundsätzlich zustimmten. Übereinstimmend wurde von allen Parteien und Organisationen verlangt, dass früher oder später eine Ausdehnung der Leistungen auch auf nicht erwerbstätige Frauen erfolgen müsse. Mit Ausnahme der SP, die sich in der Frage der Finanzierung dem Bundesrat anschloss, legten die Regierungsparteien eigene, von den Lohnprozenten wegführende Leistungs- und Finanzierungsmodelle vor. Die CVP sprach sich für einen Solidaritätsbeitrag von 2500 Fr. während vier Monaten aus, wobei für niedrige Einkommen auch höhere Leistungen denkbar sein sollten. Die FDP plädierte für einen monatlichen Zuschuss von 1250 Fr. Die Finanzierung soll nach den Vorstellungen von FDP und CVP über eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um 0,4% bzw. 0,2% erfolgen. Die SVP votierte für eine Lösung, die den Versicherungsgedanken in den Vordergrund stellt und eine Finanzierung über Prämien für Männer und Frauen vorsieht. Vehemente Kritik an der gesamten Vorlage übte der Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen. Er schlug vor zu prüfen, ob die heutige Rechtslage, ergänzt durch das Krankenversicherungsgesetz, den Verfassungsauftrag von 1945 nicht bereits erfülle.

In ihrer Rede zum Abschluss des Internationalen Jahres der Familie erklärte Bundesrätin Dreifuss, die Forderung nach sofortigen Mutterschaftsleistungen für alle - also auch für nichterwerbstätige Frauen - gehe von einem konservativen Familienbild aus und sei nicht seriös, da dieses Vorhaben in nächster Zukunft nicht finanzierbar sei. Die Vermutung liege deshalb nahe, dass die bürgerlichen Parteien mit dieser unrealistischen Forderung das ganze Projekt einer Mutterschaftsversicherung zu Fall bringen wollten.

Die Vernehmlassung zu den Vorschlägen für eine Mutterschaftsversicherung ergab relativ kontroverse Ergebnisse. Von den insgesamt 122 Stellungnahmen sprachen sich 95 für die Errichtung einer Mutterschaftsversicherung und lediglich 18 dagegen aus, worunter aber starke Wirtschaftsverbände. 12 Kantone unterstützen den Vernehmlassungsentwurf, sieben votierten dagegen und weitere sieben brachten Vorbehalte an. Bei den politischen Parteien waren vier (SP, Grüne, LdU, EVP) für den ersten Vorschlag des Bundesrates, die anderen drei Bundesratsparteien lehnten ihn als zu weitgehend ab. 25 der eingegangenen Stellungnahmen verlangten eine Ausdehnung der Versicherungsleistungen auch auf nicht erwerbstätige Mütter. Die Direktiven des Bundesrates an das bei der Weiterbearbeitung der Vorlage federführende EDI trugen den Einwänden zum Teil Rechnung, indem das Departement Dreifuss beauftragt wurde, noch einmal die Möglichkeit zu prüfen, Leistungen nicht nur an erwerbstätige, sondern auch an nichterwerbstätige Mütter auszurichten resp. Familien in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen gezielt zu unterstützen.

Dass die Mutterschaftsversicherung angesichts der wenig kompromissbereiten Haltung aller Beteiligten zur Totgeburt verkommen könnte, motivierte Frauen aus den bürgerlichen Bundesratsparteien, ein eigenes Modell auszuarbeiten. Demnach würden alle Mütter während vier Monaten eine Grundleistung von 1500 bis 2000 Fr. pro Monat erhalten, es sei denn, das steuerbare Haushaltseinkommen übersteige den für die Leistungen der Unfallversicherung massgebenden Maximalbetrag von 97'200 Fr. Den erwerbstätigen Frauen sollte der Arbeitgeber während des 16-wöchigen Mutterschaftsurlaubs 80% des bisherigen Lohnes ausrichten, mindestens aber den Betrag der Grundleistung. Diese würde - analog der Militärversicherung - aus der Bundeskasse finanziert, wobei aber auch denkbar wäre, die Einnahmen aus den Spielkasinos dafür zu verwenden. Die Lohnfortzahlung über die Grundleistung hinaus sollte hingegen Sache der Arbeitgeber bleiben. Diese Lösung, so argumentierten die Frauen der drei bürgerlichen Parteien, würde den Mangel beseitigen, dass Hausfrauen nicht berücksichtigt werden, käme die Arbeitgeber aber kaum teurer zu stehen als die heutige Lösung. Die SP-Frauen wurden in diese erste Diskussionsrunde nicht einbezogen. Obgleich sie sich neuen Modellen gegenüber nicht verschliessen wollten, kritisierten sie doch den ihrer Meinung nach zu geringen Lohnersatz von 80%, da die meisten Gesamtarbeitsverträge bereits heute 100% vorsehen, allerdings bei unterschiedlicher Dauer. Da dieses Modell Firmen mit hohem Männerbestand bevorteilen würde, befürchteten sie zudem negative Auswirkungen für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Nach einem Treffen von Frauen der vier Bundesratsparteien mit Bundesrätin Ruth Dreifuss schloss sich namentlich die neue Genfer SP-Ständerätin und Gewerkschaftsvertreterin Christiane Brunner ihren bürgerlichen Kolleginnen an. Gemeinsam konzipierten sie ein weiteres, ihrer Meinung nach noch konsensfähigeres Modell für eine Mutterschaftsversicherung für alle Frauen. Um den Widerstand der Arbeitgeber zu überwinden, schlugen sie vor, von der Finanzierung über Lohnprozente abzusehen und stattdessen die Mehrwertsteuer um geschätzte 0,4% zu erhöhen. Mit diesem Vorgehen würde die Wirtschaft, welche jährlich rund 330 Mio. Fr. für den freiwillig gewährten oder gesamtarbeitsvertraglich geregelten Mutterschaftsurlaub ausgibt, gewaltig entlastet. Das neue Modell sieht eine Erwerbsausfallentschädigung von 100% während 16 Wochen für alle Frauen vor, die neun Monate vor der Geburt erwerbstätig waren, auch wenn das Arbeitsverhältnis während der Schwangerschaft von der Arbeitnehmerin gekündigt wurde. Ebenfalls anspruchsberechtigt sollten Frauen sein, die gegen Lohn im Betrieb des Mannes mitarbeiten, beispielsweise die Bäuerinnen und die Frauen von Gewerbetreibenden. Nichterwerbstätigen Frauen möchten die Parteienvertreterinnen während vier Monaten die Minimalrente der AHV ausrichten. Um sich nicht dem Vorwurf des Gieskannenprinzips auszusetzen, regten sie an, den Plafond beim maximalen rentenbildenden AHV-Einkommen (gegenwärtig knapp 70'000 Fr.) anzusetzen und nicht, wie dies der Vorschlag des EDI vorsah, beim dem für die obligatorische Unfallversicherung massgebenden Höchstbetrag von 97'200 Fr.

Kurz darauf empfing Bundesrätin Dreifuss - wenige Tage vor dem 50. Jahrestag der Volksabstimmung, welche die Einführung einer Mutterschaftsversicherung in der Bundesverfassung verankerte - rund 100 Vertreterinnen von Parteien, Verbänden und Organisationen, um über das Vorhaben Bilanz zu ziehen. Dabei verteidigte sie ihr Modell der Finanzierung über Lohnprozente, welches die Arbeitgeber nur leicht belasten würde. Eine Finanzierung über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erachtete sie hingegen als riskant, da es dazu eine Verfassungsänderung und damit eine Volksabstimmung brauchen würde, bei der auch das Ständemehr erreicht werden müsste.

Die gemeinsame Frauenplattform der Bundesratsparteien, die sich im Vorjahr abgezeichnet hatte, wurde am Rand des 5. schweizerischen Frauenkongresses bekräftigt. Danach sollten die Mutterschaftsleistungen für erwerbstätige Frauen während des 16-wöchigen Mutterschaftsurlaubs je hälftig aus Arbeitgeberbeiträgen und allgemeinen Bundesmitteln finanziert werden. Aus Gründen der Akzeptanz wurde auf Lohnprozente verzichtet und die Plafonierung der Leistungen auf der Basis der AHV-Grenzbeiträge (rund 70'000 Fr. pro Jahr) vorgeschlagen. Nicht erwerbstätige Mütter sollten viermal die monatliche AHV-Mindestrente (970 Fr.) erhalten. Auch für diese Leistungen war eine Finanzierung durch die öffentliche Hand vorgesehen. Arbeitgeber-Direktor Hasler signalisierte umgehend, dass für die Mitglieder seines Verbandes jede echte Mutterschaftsversicherung im jetzigen Zeitpunkt undenkbar sei. Allenfalls könne über eine garantierte Lohnfortzahlung von acht Wochen diskutiert werden. Diese Meinung vertrat auch Gerwerbeverbands-Präsident Triponez. Die Frauenplattform geriet aber auch durch ein unglücklich formuliertes Communiqué der SP-Frauen, in welchem ein 100%-iger Lohnersatz ohne Plafonierung und eine teilweise Finanzierung über Lohnprozente verlangt wurde, wieder ins Wanken, doch setzte sich schliesslich die Überzeugung durch, dass die Mutterschaftsversicherung nur eine Chance habe, wenn alle Frauen am gleichen Strick ziehen. Präsentiert wurde ein neuerlicher Kompromissvorschlag, nach welchem sowohl erwerbstätige als auch nichterwerbstätige Frauen Mutterschaftsleistungen während 16 Wochen erhalten sollen. Deren Finanzierung müsste von der ganzen Bevölkerung über Steuern getragen werden, wobei die Belastung der Arbeitgeber durch Sozialabgaben nicht weiter ansteigen sollte.

Mitte Juni präsentierte Bundesrätin Dreifuss ihren Kollegen ihren Vorschlag für die Mutterschaftsversicherung. Danach sollen alle Frauen in den Genuss von 16 Wochen bezahlten Mutterschaftsurlaub gelangen. Die Lohnfortzahlung an die berufstätigen Mütter (693 Mio. Fr. pro Jahr) würde über eine Erhöhung der Lohnprozente von 0,24%, die Entschädigung an die nichtberufstätigen Mütter (125 Mio. Fr.) zu Lasten der Bundeskasse erfolgen. Der Bundesrat nahm den Vorschlag durchaus wohlwollend zur Kenntnis, vertagte aber seinen Entscheid über die Form der Finanzierung. Kaum zwei Wochen später distanzierte sich Finanzminister Villiger jedoch bereits wieder von der Aussage, der Bundesrat habe dem Modell grundsätzlich zugestimmt, und er sprach sich für eine Lösung aus, die allein die erwerbstätigen Frauen berücksichtigt. Gleichzeitig scherten auch die FDP-Frauen aus der gemeinsamen Plattform aus, indem sie einen Brief von Vertreterinnen der CVP, SP und SVP, welche die Aufschiebung eines verbindlichen Beschlusses kritisierten, nicht unterzeichneten. Nach der Sommerpause fiel der für August versprochene Entscheid über die Finanzierung erneut nicht. Der Bundesrat nahm die Diskussion erst wieder bei seiner Beratung des IDA-FiSo-Berichts im September auf. Dabei beschloss er, die Frage der Finanzierung erneut auszusetzen und an die anstehenden Revisionen von IV und EO zu koppeln.

Im September des Vorjahres hatte der Bundesrat erklärt, er wolle noch vor Abschluss der Arbeiten von IDA-FiSo-2 die 4. IV-Revision, die 6. EO-Revision sowie die Einführung einer Mutterschaftsversicherung vorantreiben und dabei mögliche finanzielle Interdependenzen berücksichtigen sowie die drei Vorlagen zeitlich aufeinander abstimmen. Während die Verknüpfung zwischen IV und EO beibehalten wurde, beschloss der Bundesrat, die Vorlage zur Mutterschaftsversicherung nicht mit den beiden anderen Vorlagen zu koppeln. Aufgrund der in der Vernehmlassung zu einem ersten Entwurf gemachten Einwände wurden dabei neue Ausrichtungen für die Finanzierung und die vorgesehenen Leistungen vorgenommen. Entgegen den früheren Vorschlägen soll die Mutterschaftsversicherung nun doch allen Frauen zugute kommen, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Eine Grundleistung von maximal 3980 Fr. wird allen Müttern ausgerichtet, allerdings abhängig vom Familieneinkommen; bei einem Einkommen von 71'640 Fr. (sechsfache AHV-Mindestrente) sinkt sie auf null. Diese Grundleistung, welche auf 58 Mio. Fr. pro Jahr geschätzt wurde, soll aus allgemeinen Bundesmitteln finanziert werden. Zusätzlich dazu erhalten erwerbstätige Frauen einen Erwerbsersatz. Um Kosten zu sparen und die Wirtschaft nicht allzu sehr zu belasten, wurde der Mutterschaftsurlaub von 16 auf 14 Wochen verkürzt und die Ersatzquote von 100% auf 80% des versicherten Verdienstes herabgesetzt; diese deckt maximal den für die Unfallversicherung geltenden Höchstbetrag des versicherten Verdienstes ab (momentan 97'200 Franken). Finanziert werden soll der Erwerbsersatz paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit je 0,1 Lohnprozenten. Die Bestimmungen über den Mutterschaftsurlaub in den Gesamtverträgen sollen in Kraft bleiben, allerdings nur, wenn sie sich für die Frauen günstiger auswirken als die gesetzliche Regelung.

Die Reaktionen fielen erwartungsgemäss sehr unterschiedlich aus. Während sich die SP erleichtert darüber zeigte, dass endlich eine Vorlage auf dem Tisch liegt, wenn auch die Beschränkung auf 14 Wochen bedauert wurde, stiess der Entwurf bei den bürgerlichen Parteien - mit Ausnahme der CVP, die den Grundsatz bejahte, die Finanzierung via Lohnprozente aber ablehnte - auf vehemente Kritik. Die SVP erklärte, im Augenblick sei eine neue Sozialversicherung schlichtweg nicht finanzierbar. Und die FDP drohte gar mit dem Referendum, falls der Bundesrat an der teilweisen Finanzierung über Lohnprozente festhalte. Die Frauen der bürgerlichen Bundesratsparteien nahmen mit Genugtuung zur Kenntnis, dass ihre Forderungen nach Mutterschaftsleistungen für alle Frauen aufgenommen worden waren, und sie begrüssten, dass besonders die tieferen Einkommen bevorzugt behandelt werden sollen und der Bundesrat vom Gieskannenprinzip abgekommen sei. Allerdings verlangten auch sie einen anderen Finanzierungsmodus.

Die vorberatende Kommission des Ständerates trug den Bedenken aus dem bürgerlichen Lager Rechnung und erarbeitete für die Mutterschaftsversicherung (MSV) ein von den Vorschlägen des Bundesrates abweichendes Finanzierungsmodell unter Ausschluss von Lohnprozenten. Alle Leistungen für erwerbstätige und nichterwerbstätige Mütter (gesamthaft jährlich rund eine halbe Milliarde Franken) sollen aus einem neuen gemeinsamen Fonds bezahlt werden. Dieser soll in einer ersten Phase mit Geldern aus der Erwerbsersatzordnung für Militärdienstpflichtige (EO) gespiesen werden, die über ein Reservepolster von gut 2,5 Mia Fr. verfügt. Zeichnet sich ab, dass der Fonds unter den Betrag einer halben Jahresausgabe fällt, soll mit der Zustimmung der Stimmberechtigten die Mehrwertsteuer (MWSt) angezapft werden, und zwar mit 0,25% Prozent. Im Fall einer Ablehnung durch das Volk hätte der Bundesrat die Kompetenz, den EO-Lohnabzug von 0,3 auf 0,5% zu erhöhen. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Leistungen schienen der Mehrheit der Kommission hingegen angemessen.

Eintreten auf die Vorlage war in der kleinen Kammer nicht bestritten, doch ertönten sehr kritische Voten aus den Reihen der FDP. Am heftigsten äusserte sich Schiesser (GL). Er gestand zwar gute Gründe für eine MSV ein und bezeichnete die Vorlage als letztlich moderat. Er erinnerte Bundesrätin Dreifuss aber auch an die ungelösten Finanzierungsprobleme in den anderen Sozialversicherungen und stellte bei der Landesregierung einen Mangel an klaren Vorstellungen und nachhaltigen Konzepten zum Sozialversicherungssystem fest. Die Vorlage fand hingegen Unterstützung bei den beiden FDP-Frauen Saudan (GE) und Forster (SG), welche betonten, die heutigen Ungleichheiten im arbeitsrechtlichen Mutterschaftsschutz müssten unbedingt korrigiert werden. Die Vertreter der CVP stellten sich – traditionellerweise – voll und ganz hinter die MSV, vor allem da mit dem neuen Finanzierungsmodell ein durchaus wirtschaftsfreundlicher Vorschlag zur Debatte stehe. Die SP beteiligte sich nicht an der Eintretensdebatte.

Zu Beginn der Detailberatung stellte Beerli (fdp, BE) den Antrag, auf die Grundleistung für alle Mütter zu verzichten. Die Grundbeiträge stellten in Tat und Wahrheit eine ”Geburtsprämie” dar, die in einer liberalen Gesellschaft nicht zu suchen habe. Eine Versicherung könne nur einen Schaden ausgleichen, und der erfolge eben beim Erwerbseinkommen. Mit der Einführung der Grundbeiträge werde das Versicherungs- mit einem Bedarfssystem im gleichen Gesetz vermischt, wobei es sich bei der Geringfügigkeit der Beträge gar nicht um echte Bedarfsleistungen handle, für die ohnehin die Kantone zuständig wären. Mit ihrer Argumentation fand die Bernerin nicht viel Gehör. Sowohl Brunner (sp, GE) wie Delalay (cvp, VS) erinnerten an die vielen Frauen, die aufgrund ihrer familiären Pflichten gar nicht auswärts arbeiten können; ohne Grundleistung würden diese Frauen für ihr Engagement zugunsten der Familie quasi bestraft. Simmen (cvp, SO) setzte sich ebenfalls klar für die Grundbeiträge ein; es gehe weniger um die Frage, ob es eine echte Versicherung sei oder nicht, sondern vielmehr um einen gesellschaftspolitischen Entscheid für die Zukunft der Familien. Mit 25 zu 8 Stimmen wurde der Antrag Beerli deutlich abgelehnt. Mehr Glück hatte Respini (cvp, TI) mit seinem Antrag, die Adoption der leiblichen Geburt gleichzusetzen und mit analogen Leistungen zu honorieren. Die Kommission hatte diesen Vorschlag des Bundesrates wieder aus der Vorlage gekippt. Mit Unterstützung von Bundesrätin Dreifuss setzte er sich mit 23 zu 11 Stimmen durch.

Die Geister schieden sich dann aber vor allem an der Frage, ob die Erhöhung der MWSt in einer speziellen Abstimmung oder zusammen mit dem Gesamtpaket, das der Bundesrat im Jahr 2000 oder 2001 für die finanzielle Sicherung der Sozialwerke (AHV und IV) vorlegen will, erfolgen soll. Vor allem die Vertreter der FDP und SVP bezeichneten eine generelle Abstimmung als ”Mogelpackung” und drängten auf eine Grundsatzabstimmung vor Einführung der MSV, da es nicht angehe, einen neuen Versicherungszweig einzuführen, bevor dessen langfristige Finanzierung gesichert sei. Von ihren Kontrahenten aus SP und CVP mussten sie sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, auf diese Weise die gesamte Vorlage torpedieren zu wollen. Auch Bundesrätin Dreifuss plädierte für eine Verschiebung der Abstimmung, da Kaskadenabstimmungen zur MWSt vermieden werden sollten, und zu verhindern sei, dass die verschiedenen Sozialwerke gegeneinander ausgespielt werden. Schliesslich stand eine Gruppe aus FDP, SVP und einzelnen Christdemokraten einer gleich starken Koalition bestehend aus der SP, der Mehrheit der CVP und einzelnen Freisinnigen aus der Romandie gegenüber. Mit 20 zu 20 Stimmen führte die Abstimmung denn auch zu einem Patt. Ratspräsident Zimmerli (svp, BE) gab den Stichentscheid zugunsten einer vorgezogenen Abstimmung.

Im Nationalrat sprach sich ebenfalls (mit 139 zu 38 Stimmen) eine Mehrheit für die Eintreten aus. Einzig die SVP – mit Ausnahme ihrer weiblichen Abgeordneten , ein paar Freisinnige um Egerszegi (AG) sowie die äussere Rechte hatten Nichteintreten beantragt. In der Detailberatung war der Grundsatz, dass auch nichterwerbstätige Mütter eine Grundleistung beziehen sollen, kaum bestritten, ebensowenig wie das Prinzip, die Adoption der natürlichen Geburt gleichzusetzen. Zu etwas mehr Diskussionen führte die Ausgestaltung der Lohnfortzahlung für die erwerbstätigen Mütter. Gegen Bundesrat und Ständerat schlug die Kommission vor, hier 16 anstatt 14 Wochen vorzusehen, da dies auch dem internationalen Vergleich standhalten würde. Der Berner CVP-Vertreter Hochreutener warnte aber davor, das Fuder zu überladen, worauf sich der Rat mit 101 zu 75 Stimmen für die kürzere Frist entschied. Zweiter Diskussionspunkt war die Frage, welcher Prozentsatz des Lohnes entschädigt werden soll. Der Ständerat war hier dem Bundesrat gefolgt und hatte 80% des letzten Lohnes beschlossen. Die Grüne Baselbieterin Gonseth beantragte, den Lohnausfall zu 100% auszugleichen. Sie argumentierte, mit 14 Wochen Schwangerschaftsurlaub und 80% stehe die Schweiz im europäischen Vergleich immer noch am Schluss. Zapfl (cvp, ZH) gab demgegenüber zu bedenken, mit einer Pauschalleistung für alle Mütter und einem 80-prozentigem Lohnersatz biete dies Frauen mit einem Jahreseinkommen bis CHF 48'000 vollen Ausgleich. Mit 105 zu 67 Stimmen entschied der Rat gegen den Antrag Gonseth.

Bei der Finanzierung folgte der Nationalrat im Grundsatz diskussionslos der kleinen Kammer. Damit waren allfällige Lohnprozente definitiv vom Tisch. Um so heftiger war die Frage umstritten, ob der Start der MSV so lange ausgesetzt werden soll, bis die für eine langfristige Finanzierung nötigen Mehrwertsteuerzuschläge in einer Gesamtabstimmung vom Volk bewilligt sind. SP, CVP und GP erklärten, gegen das neue Gesetz könne ohnehin noch das Referendum ergriffen werden; jene (rechts)bürgerlichen Kreise, welche eine separate MWSt-Vorlage verlangten, wollten nur den neuen Versicherungszweig am Ständemehr scheitern lassen. Die SVP, die äussere Rechte und ein Teil der FDP bezeichneten die Vorlage ohne vorgängige langfristig sichergestellte Finanzierung hingegen einmal mehr als ”Mogelpackung”. Überraschend deutlich mit 111 zu 68 Stimmen setzte sich schliesslich die Auffassung durch, die vorläufige Finanzierung der MSV mit den Mitteln der EO sei legitim, weil dieser Fonds stark überschüssig sei und seit Beginn seines Bestehens mit Beiträgen erwerbstätiger Frauen gespiesen worden sei; der allfällig notwendig werdende Rückgriff auf die MWSt solle erst später im Rahmen eines ohnehin vorgesehenen Gesamtpaketes erfolgen.

Die Junge SVP kündigte bereits im Vorfeld der Differenzbereinigung an, dass sie das Referendum ergreifen werde, falls die MSV ohne vorgängige MWSt-Abstimmung eingeführt werden sollte. Obgleich sich die Arbeitgeber durch die MSV mehrheitlich entlastet sähen, da die tariflich vereinbarten internen Lohnfortzahlungen weitgehend wegfallen würden, erklärten sie dennoch, ihre Fundamentalopposition gegen dieses neue Sozialversicherungswerk beizubehalten und das Referendum höchst wahrscheinlich zu unterstützen. Die gleiche Haltung nahm auch der Gewerbeverband ein.

In der Wintersession debattierte der Ständerat noch einmal heftig über die Finanzierung bzw. über deren Fahrplan. Mit 23 zu 21 Stimmen schloss sich die kleine Kammer dann doch dem Nationalrat an, was bedeutet, dass die MSV auch ohne vorgängige MWSt-Abstimmung eingeführt werden kann. Zu verdanken war der Entscheid vor allem der Geschlossenheit und Diszipliniertheit der CVP, welche die Linke unterstützte. Die Freisinnigen (mit Ausnahme von Saudan, GE), die SVP und die Liberalen stimmten dagegen. Nach diesem Grundsatzentscheid waren nur noch unwesentliche Details zu bereinigen. In der Gesamtabstimmung wurde das Gesetz im Nationalrat mit 116 zu 58 Stimmen verabschiedet, mit 25 zu 10 Stimmen im Ständerat.

Wie bereits bei der Behandlung im Parlament angedroht, wurde im Januar von der Jungen SVP mit Unterstützung bürgerlicher Politikerinnen sowie der Präsidenten von Arbeitgeber- und Gewerbeverband das Referendum gegen die vom Parlament im Vorjahr verabschiedete Mutterschaftsversicherung ergriffen. Hauptargument der Gegnerinnen und Gegner der Vorlage war, mit den Beschlüssen des Parlaments sei ein neuer Sozialversicherungszweig „auf Pump“ eingeführt worden, der mit dem Verzicht auf eine vorgängige Mehrwertsteuerabstimmung am Volk „vorbeigemogelt“ werden solle und erst noch nach dem Gieskannenprinzip funktioniere. Prominent im Referendumskomitee vertreten waren die Nationalrätinnen Egerszegi (fdp, AG), Fehr (svp, ZH), Florio (lp, VD) sowie deren Vorgängerin Sandoz. Praktisch gleichzeitig konstituierte sich ein bürgerliches Pro-Komitee, dem auf FDP-Seite – neben der Zürcherin Nabholz – mehrheitlich Parlamentarierinnen aus der Romandie angehörten. Aus der CVP engagierten sich vor allem Dormann (LU) und Zapfl (ZH). Die SVP war hier lediglich mit Gadient (GR) vertreten; immerhin erhielt sie Unterstützung von der ehemaligen SVP-Generalsekretärin Welti.

Das Vorpreschen des Bundesrates führte auch dazu, dass die Abstimmungskampagne unmittelbar nach Einreichung des Referendums einsetzte. Dabei waren die Meinungen bei den meisten Parteien, Gruppierungen und Vereinigungen von Anfang an klar. Die CVP, das links-grüne Lager sowie die EVP und der LdU waren ebenso dezidiert dafür wie die SVP und die rechts-bürgerlichen Parteien dagegen. Nicht recht entscheiden mochte sich angesichts des Widerstands aus der Wirtschaft die FDP, deren Abgeordnete im Vorjahr noch mehrheitlich der MSV zugestimmt hatten. Neben der nicht definitiv geregelten Finanzierung kritisierten die Gegner vor allem die Grundleistungen für alle werdenden Mütter, welche den eigentlichen Versicherungsgedanken sprengten. Am meisten fielen bei den Freisinnigen jedoch die Unterschiede zwischen den Landesteilen ins Gewicht. Während sich in der Deutschschweiz zusehends Opposition gegen die Vorlage breit machte, stellten sich die welschen Kantonalsektionen nach wie vor geschlossen dahinter. An der Delegiertenversammlung in Brig schwang die ablehnende Haltung der Deutschschweizer nach einer hitzigen Debatte mit 85 zu 73 Stimmen obenaus, und die Partei beschloss die Nein-Parole. Da in der Zwischenzeit jedoch in Arbeitgeberkreisen die Nein-Front bröckelte, weil immer mehr Firmenverantwortliche realisierten, dass sie mit einer MSV finanziell eher entlastet würden, schien die Ausgangslage am Vorabend der Abstimmung noch völlig offen.

Offiziell wurde die Abstimmungskampagne Ende April mit einer gemeinsamen Pressekonferenz von BR Dreifuss und BR Villiger lanciert; Villiger stellte sich „nicht bedingungslos“ hinter die Vorlage, bezeichnete sie aber als „wirtschaftsverträglich und vernünftig“

Bereits mehrere Wochen bevor das Referendum am 9. April fristgerecht mit 70'320 gültigen Unterschriften eingereicht wurde, verlautete, der Bundesrat habe (wenn auch noch informell) beschlossen, die Volksabstimmung über die MSV auf den 13. Juni anzusetzen. Begründet wurde dies damit, dass wegen der eidgenössischen Wahlen für den Herbst kein Abstimmungstermin vorgesehen war; eine Verschiebung auf das Jahr 2000 lehnte der Bundesrat ab, weil der über 50jährige Verfassungsauftrag keinen weiteren Aufschub dulde. Dieses recht unschweizerische Tempo gab zu der Vermutung Anlass, die Befürworter der MSV in der Landesregierung wollten die Abstimmung unbedingt noch im Wahljahr durchpauken, weil damit wiederkandidierende Parlamentarierinnen und Parlamentarier besser auf ihrem Ja des Vorjahres behaftet werden könnten. Je nach Standpunkt wurde dieses Vorgehen des Bundesrates als geschickter Schachzug oder aber als politische „Zwängerei“ eingestuft. Jedenfalls entstand dadurch die ungewohnte Situation, dass das Referendumskomitee mitten in der Phase der Unterschriftensammlung bereits ihr Argumentarium für das "Bundesbüchlein" abliefern musste. Zudem blieben nur ganz wenige Tage, um die eingegangenen Unterschriften auszuzählen und zu beglaubigen, da der Bundesrat spätestens zwei Monate vor einem eidgenössischen Urnengang bekannt geben muss, welche Geschäfte zur Abstimmung gelangen.

Um so mehr erstaunte das klare Verdikt des Stimmvolkes. 61% sprachen sich an der Urne gegen die Mutterschaftsversicherung aus. Nach drei Anläufen (1984, 1987 und 1999) bleibt die Schweiz damit das einzige Land Europas, welches den Frauen keine gesetzlichen Leistungen bei Mutterschaft zuerkennt. Einmal mehr Anlass zu staatspolitischen Bedenken gab der tiefe Graben zwischen der deutschen und der lateinischen Schweiz. Alle Deutschschweizer Kantone lehnten die Vorlage ab, zum Teil mit Mehrheiten von über 80%. Am deutlichsten wurde die MSV in Appenzell-Innerrhoden mit rund 86% Nein-Stimmen verworfen, gefolgt von den Innerschweizer Kantonen mit annähernd 80%, also den eigentlichen Stammlanden der CVP, die sich neben der SP am stärksten für die Vorlage engagiert und die umstrittenen Grundleistungen an alle (erwerbstätigen oder nichterwerbstätigen) Mütter besonders forciert hatte. Am wenigsten ablehnend verhielten sich Kantone Basel-Stadt (43,5% Ja), Zürich (37,2%) und Bern (36,2%). Ganz anders präsentierte sich das Bild in der Romandie, wo praktisch alle Parteien die Ja-Parole ausgegeben hatten. Das Spitzenresultat erzielte die Vorlage im Kanton Genf mit 74,3% Zustimmung, gefolgt von Jura (70,3%), Waadt (64,0%) und Neuenburg (62,8%). Das Tessin hiess die Vorlage mit 62,6% gut, Freiburg mit 54,1%. Das Wallis lehnte die MSV knapp mit 49% ab, wobei das deutschsprachige Oberwallis entscheidend zur Verwerfung beitrug.


Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung
Abstimmung vom 13. Juni 1999

Beteiligung: 45,9%
– Ja: 822 458 (39%)
– Nein: 1 286 824 (61%)

Parolen:
– Ja: CVP (1*), SP, Grüne, LPS (*1), EVP, LdU, PdA; SGB, CNG, VSA, SBV, FDP-Frauen Schweiz.
– Nein: FDP (7*), SVP (2*), FPS, SD (*1), EDU; Vorort, Arbeitgeber, SGV.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die Vox-Analyse zu diesem Urnengang wies nach, dass bei dieser Abstimmung nicht nur der Gegensatz Deutschschweiz-Romandie seine Rolle gespielt hatte, sondern alle sozio-demographischen Merkmale, welche in den letzten Jahren bei kontroversen Abstimmungen beobachtet werden konnten. Deutlich war der Unterschied unter den Generationen: Die Vorlage wurde von den Jüngeren (bis 40 Jahre), welche von der MSV hätten profitieren können, mehrheitlich angenommen (zwischen 57% und 66%), während ihr die Älteren, welche für ihre Alterssicherung letztlich auf die Unterstützung der kommenden Generationen angewiesen sind, die Solidarität verweigerten (32% bis 42%). Genau so deutlich war einmal mehr der Unterschied zwischen Stadt und Land: rund 57% der stimmberechtigten Bevölkerung in den grossen Städten nahm die Vorlage an gegenüber nur 38%in ländlichen Gebieten. Ebenso stark fiel die Ausbildung ins Gewicht: Personen mit reiner Grundschulausbildung sagten nur zu 35% Ja, jene mit Universitätsabschluss zu rund 60%. Einmal mehr war auch die Parteisympathie ausschlaggebend: 85% der Personen, die der SP nahe stehen, stimmten der Vorlage zu, gegenüber 42% bei der CVP, 38% bei der FDP und 4% bei der SVP.

Bereits in den ersten Tagen nach der Ablehnung wurde im Parlament ein ganzer Strauss von Vorlagen eingereicht, welche die gesetzlichen Lücken beim Mutterschutz schliessen wollten oder anderweitige Entlastungen der Familien mit Kindern anregten. Der Bundesrat beantwortete alle diese Vorstösse am 20. September, wobei er einige in Postulatsform annehmen, andere hingegen ablehnen wollte. Er gab seinem Bedauern über die Verwerfung in der Volksabstimmung Ausdruck und erklärte, er halte am Ziel fest, die heutige, sozialpolitisch ungenügende Regelung des Erwerbsausfalles bei Mutterschaft gesetzgeberisch zu korrigieren. Er beabsichtige deshalb, dem Parlament zu Beginn der nächsten Legislaturperiode einen entsprechenden Lösungsvorschlag vorzulegen, wobei prioritär die Situation der unselbstständig erwerbstätigen Frauen berücksichtigt werden müsse.

Schaffung eines Rahmengesetzes für obligatorische Mutterschaftsbeihilfen (Mo. 94.3290)

Die CVP verlangte zusätzlich zur eigentlichen Mutterschaftsversicherung Bedarfsleistungen an Familien, die durch eine Mutterschaft in finanzielle Not geraten. Mit einer Motion forderte die christlichdemokratische Fraktion den Bundesrat auf, ein diesbezügliches Rahmengesetz auszuarbeiten, welches auf den in einzelnen Kantonen bereits bestehenden Lösungen aufbaut und Beiträge des Bundes an die Kantone (analog zu den Ergänzungsleistungen) vorsieht. Der Bundesrat war bereit, die Motion als Postulat entgegenzunehmen, doch wurde der Vorstoss von der Waadtländer Liberalen Sandoz bekämpft und seine Diskussion deshalb auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Präzisierung der Mutterschaftsversicherung im Rahmen der Legislaturplanung (BRG 96.016)

Dossier: Programme de législature 1995-1999 (96.016)

Im Rahmen der Legislaturplanung 1995-1999 präzisierte der Bundesrat seine Vorstellungen zu einer Mutterschaftsversicherung. Im Zentrum steht für ihn der Erwerbsersatz für berufstätige Mütter. Er möchte aber auch prüfen, in welcher Form Leistungen an nicht erwerbstätige Mütter ausgerichtet werden sollen.

Minimal achtwöchige Pause nach Geburt (Mo. 96.3361)

Die Vorstellungen von Bundesrat Villiger wurden von FDP-Parlamentarierinnen der beiden Kammern aufgenommen. Der Ständerat befasste sich in der Wintersession mit einer Motion Spoerry (fdp, ZH), die erreichen wollte, dass erwerbstätige Frauen in jedem Fall für die im Arbeitsgesetz festgesetzte achtwöchige Pause nach der Geburt eines Kindes einen Lohn erhalten. Sprecherinnen der CVP (Simmen, SO) und der SP (Brunner, GE) wie auch Bundesrätin Dreifuss wandten sich gegen diese "Minimallösung", da sie befürchteten, dass dadurch der Weg zu einer echten Mutterschaftsversicherung verbaut würde. Mit Stichentscheid des Präsidenten wurde die Motion abgelehnt.

Motion für einen vierzehnwöchigen bezahlten Mutterschaftsurlaub (Mo. 00.3182)

Nach Ablehnung der Mutterschaftsversicherung in der Volksabstimmung vom 13. Juni 1999 war eine Reihe parlamentarischer Vorstösse mit Vorschlägen für Ersatzlösungen eingereicht worden. Insbesondere freisinnige Politikerinnen machten sich für eine Regelung stark, die im Obligationenrecht die Lohnfortzahlung für den im Arbeitsrecht verankerten achtwöchigen Mutterschaftsurlaub festschreiben wollte. Das Parlament fand diese Vorschläge aber allzu bescheiden. Der Nationalrat lehnte in der Sommersession nach kurzer Diskussion eine diesbezügliche parlamentarische Initiative Egerszegi (fdp, AG) mit 99 zu 75 Stimmen ab (Pa.Iv. 99.429). Stattdessen nahm er mit 114 zu 62 Stimmen eine Motion seiner SGK an, die einen vierzehnwöchigen bezahlten Mutterschaftsurlaub verlangte. Zur Lohnfortzahlung während der ersten acht Wochen sollen die Arbeitgeber durch eine obligationenrechtliche Regelung verpflichtet werden; für die nächsten sechs Wochen sieht die Motion eine Abgeltung über die Erwerbsersatzordnung vor, an welche die erwerbstätigen Frauen Beiträge bezahlen, obgleich sie normalerweise keinen Militärdienst leisten. Da die Motion die konkrete Ausgestaltung der Lohnfortzahlung zwischen der 8. und der 14. Woche der Mutterschaft dem Bundesrat überlassen möchte, hatte dieser vergeblich Umwandlung in ein Postulat beantragt, um die noch offenen Fragen eingehender prüfen zu können.

Der Ständerat zeigte sich vorerst weniger grosszügig. Einstimmig überwies er in der Herbstsession eine Motion Spoerry (fdp, ZH) (Mo. 99.3269), nach welcher bloss die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber während des achtwöchigen Arbeitsverbots vorgeschrieben werden sollte. Zwei Standesinitiativen der Kantone Genf und Jura (Kt.Iv. 99.303, 00.302) sowie einer parlamentarische Initiative Brunner (sp, GE) (Pa.Iv. 99.424), die einen vierzehnwöchigen, vom Arbeitgeber bezahlten Mutterschaftsurlaub verlangten, wurde hingegen keine Folge gegeben, ebenso wenig wie einer parlamentarischen Initiative Beerli (fdp, BE) (Pa.Iv. 99.461), die während 14 Wochen eine Grundentschädigung zu Lasten der Erwerbsersatzordnung anregte. Im Anschluss an die Debatte verkündete Bundesrätin Metzler, dass ihr Departement bis Anfang 2001 im Auftrag des Bundesrates eine Vorlage ausarbeite, welche ebenfalls eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber vorsehe. Die Dauer der Fortzahlung werde voraussichtlich nach Dienstalter abgestuft sein. Möglicherweise war es diese Drohung eines allein von den Arbeitgebern finanzierten Mutterschaftsurlaubs von mehr als acht Wochen, die den Ständerat in der Wintersession veranlasste, mit 24 zu 17 Stimmen die Motion des Nationalrates mit ihrem Modell einer Mischfinanzierung anzunehmen. Gleichzeitig überwies er ein Postulat seiner SGK mit der Bitte um einen Bericht über die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten einer Mutterschaftsversicherung (Po. 00.3597). Drei Standesinitiativen der Kantone Freiburg, Genf und Neuenburg (Kt.Iv. 00.310, 00.309, 00.312) die verlangten, die Schweiz solle das ILO-Abkommen 103 über den Mutterschutz ratifizieren, wurde mangels gesetzlicher Grundlage keine Folge gegeben.

Weil die Mutterschaftsversicherung noch nicht realisiert ist, verzichteten beide Kammern gemäss gängiger Praxis mangels gesetzlicher Grundlage auf die Ratifizierung des ILO-Übereinkommens Nr. 183 über die Neufassung des Übereinkommens Nr. 103 über den Mutterschutz (BRG 01.061). Wie zuvor schon der Ständerat gab auch der Nationalrat drei Standesinitiativen der Kantone Genf, Freiburg und Neuenburg (Kt.Iv. 00.310, 00.312), die 2000 eine Ratifizierung des inzwischen obsolet gewordenen Übereinkommens Nr. 103 verlangt hatten, keine Folge.

Bund soll Hälfte der Kosten für den Mutterschaftsurlaub übernehmen (Mo. 99.3257)

Wie Nationalrätin Teuscher (gp, BE) beim Elternurlaub wollte ihre Ratskollegin Fehr (sp, ZH) den Bund verpflichten, als Arbeitgeber Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft zu übernehmen. Mit einer Motion verlangte sie, das Bundespersonalgesetz so anzupassen, dass – wenn ein Bundesangestellter Vater wird – der Bund die Hälfte der Kosten für den Mutterschaftsurlaub der Frau übernimmt. Damit sollte der Bund ein Beispiel dafür setzen, dass mangels einer echten Mutterschaftsversicherung die Kosten für den Mutterschaftsurlaub hälftig zwischen den Arbeitgebern beider Elternteile übernommen werden sollten, um eine Diskriminierung der Frauen im gebärfähigen Alter auf dem Arbeitsmarkt zu vermeiden. Der Bundesrat machte geltend, der Vorschlag wäre in der Praxis kaum durchführbar, weshalb er erfolgreich Umwandlung in ein Postulat beantragte.

Ausweitung der Erwerbsersatzansprüche auf erwerbstätige Mütter (Pa.Iv. 01.426)

Getreu seinem Versprechen nach der negativ verlaufenen Volksabstimmung von 1999 legte der Bundesrat im Sommer seine Vorschläge für einen rein obligationenrechtlich geregelten bezahlten Mutterschaftsurlaub für alle Arbeitnehmerinnen vor. Der Urlaub sollte allein von den Arbeitgebern finanziert werden und entweder je nach Dienstalter 8 bis 14 Wochen oder generell 12 Wochen dauern. Ein Lastenausgleich für Unternehmen und Branchen mit einem hohen Anteil an jungen Frauen unter den Angestellten war nicht vorgesehen.

Nur wenige Tage später präsentierten Abgeordnete der vier Bundesratsparteien (Triponez, fdp, BE – Fehr, sp, ZH – Meyer-Kälin, cvp, FR – Haller, svp, BE) ein eigenes Modell für eine über die EO finanzierte Mutterschaftsversicherung, die den erwerbstätigen Müttern während 14 Wochen 80% des Lohnes garantieren soll; im Gegenzug würde die Grundentschädigung für alle Dienstleistende in der Armee (mit Ausnahme der Rekruten) ebenfalls auf 80% des vor dem Erwerbsausfall erzielten Lohnes festgesetzt. Angesichts der beträchtlichen Reserven der EO kann bei dieser Lösung bis auf weiteres auf eine Erhöhung der Lohnabzüge zugunsten der EO verzichtet werden; eine spätere moderate Erhöhung des Beitragssatzes um ein Lohnpromill wurde nicht ausgeschlossen. Der Vorschlag wurde von Gewerbeverbandsdirektor Triponez – zwei Jahre zuvor einer der prononciertesten Gegner einer Versicherungslösung – versehen mit 108 Unterschriften in Form einer parlamentarischen Initiative im Nationalrat eingereicht.

Die FDP, für welche schon die Abstimmung von 1999 fast zu einer Zerreissprobe geführt hatte, bekundete vorerst Mühe, sich diesem Vorschlag anzuschliessen. Obgleich zahlreiche ihrer Abgeordneten die parlamentarische Initiative unterzeichnet hatten, lehnte die Parteileitung sie ab und beschloss, ganz auf der Linie der Arbeitgeber zu fahren, die eine blosse Koordination mit dem im OR verankerten Arbeitsverbot von acht Wochen nach der Geburt als einzig akzeptable Lösung bezeichneten. Damit hatte die Geschäftsleitung aber an der Basis vorbeipolitisiert: nachdem bereits die FDP-Frauen ausgeschert waren, votierte die Delegiertenversammlung mit 176 zu 27 Stimmen für das Modell Triponez; kurz darauf schwenkte auch der Gewerbeverband, 1998/99 Co-Autor des Referendums gegen die Mutterschaftsversicherung, auf die Linie seines Direktors ein. Angesichts dieser deutlichen Signale, die erahnen liessen, dass diese Lösung im Nationalrat mehrheitsfähig sein dürfte, zog der Bundesrat sein Modell noch vor der Beratung der Initiative Triponez im Nationalrat zurück; seine Vorschläge waren in der Vernehmlassung ohnehin auf heftigen Widerstand gestossen. In der Wintersession gab die grosse Kammer praktisch diskussionslos mit 124 zu 36 Stimmen der Initiative Folge; einzig die SVP stimmte mehrheitlich dagegen.

Gleichzeitig wurden eine Motion (99.3269) des Ständerates für einen lediglich achtwöchigen Mutterschaftsurlaub sowie zwei Standesinitiativen der Kantone Genf (99.303) und Jura (00.302) abgelehnt.

Im Vorjahr hatte der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Triponez (fdp, BE) für einen über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanzierten Mutterschaftsurlaub Folge gegeben und seine Fachkommission (SGK) mit der konkreten Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage beauftragt. Diese sprach sich für einen vierzehnwöchigen Mutterschaftsurlaub für unselbständig und selbständig erwerbstätige Mütter aus, mit einem Erwerbsersatz von 80% des vor der Geburt des Kindes erzielten durchschnittlichen Einkommens. Die Mutterschaftsentschädigung wird ins Bundesgesetz über die Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz aufgenommen. Parallel dazu schlug die Kommission vor, die Grundentschädigung für Dienstleistende – mit Ausnahme der Rekruten – von heute 65% auf 80% des entgehenden Verdienstes heraufzusetzen. Auch der Bundesrat unterstützte dieses Modell.

Im Plenum bekämpften der Freisinnige Wasserfallen (BE) und die SVP-Mitglieder der Kommission die Vorlage erfolglos mit zwei Nichteintretensanträgen. Sie argumentierten mit der erst drei Jahre zuvor erfolgten Ablehnung einer Mutterschaftsversicherung in der Volksabstimmung und monierten, damit werde einmal mehr der Volkswille missachtet. Die Befürworter erinnerten daran, dass die Mutterschaftsversicherung 1999 vor allem deshalb verworfen worden war, weil auch ein Teil der nichterwerbstätigen Frauen einbezogen werden und die Finanzierung über die MWSt erfolgen sollte; mit der neuen Lösung würden nur erwerbstätige Frauen berücksichtigt, welche seit jeher Beiträge in die EO einbezahlen. Zudem seien die Kosten des Modells moderat. Die Kommission bezifferte sie auf CHF 543 Mio jährlich, CHF 483 Mio. für die Mutterschaftsleistungen und CHF 60 Mio. für die Erhöhung der Entschädigung für die Dienstleistenden. Bis 2008 würden die Reserven des EO-Fonds für die Finanzierung ausreichen. Nachher müssten in zwei Schritten die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge von 0,3 auf 0,5 Promille angehoben werden. Um allfälligen Referendumsgelüsten gar nicht erst Nahrung zu geben, appellierte Nationalrätin Fehr (sp, ZH) – mit Triponez (fdp, BE), Meyer (cvp, FR) und Haller (svp, BE) Mitinitiantin des neuerlichen Anlaufs – bereits in der Eintretensdebatte an den Rat, keinen weitergehenden Anträge zuzustimmen, da sie die Vorlage gefährden könnten.

In der Detailberatung fand Fehr Gehör, allerdings nicht bei ihrer eigenen Partei. Diese unterstützte zusammen mit den Grünen zwei Anträge Maury Pasquier (sp, GE), die einen sechzehnwöchigen Mutterschaftsurlaub und den Einbezug von Adoptiveltern verlangten. Beide Anträge scheiterten mit 65 zu 57 resp. 84 zu 57 Stimmen. Abgelehnt (mit 91 zu 63 Stimmen) wurde auch ein Antrag Stahl (svp, ZH), der die Mutterschaftsversicherung auf Frauen ausweiten wollte, die im Betrieb des Ehemannes mitarbeiten. Wenig Verständnis fand ein Antrag Wasserfallen (fdp, BE), der dafür plädierte, auch den nichterwerbstätigen Müttern Leistungen der EO auszurichten. Da Wasserfallen 1999 die Ausdehnung auf die Nichterwerbstätigen an vorderster Front bekämpft hatte, wurde er verdächtigt, er wolle mit dem Antrag die ganze Vorlage zu Fall bringen. Nicht einmal die CVP, die dieses Anliegen 1995 in die Diskussion gebracht und wie eine Löwin dafür gekämpft hatte, mochte sich für den Antrag zu erwärmen, der mit 119 zu 33 Stimmen verworfen wurde. Engelberger (fdp, NW), der verlangte, auch die Entschädigungen für die Rekruten seien anzuheben, wurde auf eine in Zusammenhang mit „Armee XXI“ geplante EO-Revision vertröstet. Am Ende passierte die Vorlage mit 129 zu 27 Stimmen. Die Nein-Stimmen stammten von einer Mehrheit der männlichen SVP-Abgeordneten sowie von den beiden Freisinnigen Wasserfallen (BE) und Bosshard (ZH). Von der SVP stimmten die beiden Frauen Gadient (GR) und Haller (BE) sowie Hassler (GR), Siegrist (AG), Joder und Weyeneth (beide BE) dafür.

Noch bevor der Mutterschaftsurlaub im Ständerat behandelt wurde, forderte Nationalrat Blocher (svp, ZH) seine Partei zum Referendum auf. Dieses wurde im Sommer von der Delegiertenversammlung fast einstimmig beschlossen. Sukkurs erhielt die SVP von einigen rechtsfreisinnigen Parlamentariern. Der Arbeitgeberverband, der 1999 noch die Nein-Parole ausgegeben hatte, winkte nun ab; er hatte zwar aus ordnungspolitischen Gründen keine Freude an der Vorlage, bezeichnete sie aber als das kleinere Übel als eine Lösung über das OR. Vom Gewerbeverband war ebenfalls keine Unterstützung für das Referendum zu erwarten, ist doch die neue Lösung, welche vor allem die KMU entlastet, massgeblich von dessen Direktor eingebracht worden.

In der Sommersession behandelte der Ständerat die durch eine parlamentarische Initiative des Nationalrats initiierte Revision des Erwerbsersatzgesetzes, mit welchem der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Mütter ausdehnt wird, die im Zeitpunkt der Niederkunft als Arbeitnehmerinnen oder Selbstständigerwerbende im Sinn des Sozialversicherungsrechts gelten oder die im Betrieb des Ehemannes mitarbeiten und dafür einen Barlohn erhalten. Ihnen wird während 14 Wochen eine Erwerbsersatzentschädigung gewährt, die 80% des durchschnittlichen versicherten Lohnes beträgt, welcher vor dem Verdienstausfall erzielt wurde. In seinem Eintretensvotum betonte der Sprecher der Kommission, es handle sich nicht um eine eigenständige Mutterschaftsversicherung im Sinn eines neuen Sozialversicherungszweiges, sondern es werde – mit der Finanzierung über die EO – ein bisheriges Instrument ausgebaut, weshalb die zusätzlichen Administrativkosten gering seien. Forster (fdp, SG) betonte, eine Mutterschaftsversicherung gehöre „zu den vordringlichen politischen Aufgaben“. Mehrere Rednerinnen erklärten, auch wenn das Volk dreimal entsprechende Vorlagen abgelehnt habe, so sei der Verfassungsauftrag doch nie in Frage gestellt worden.

Eintreten wurde ohne Gegenantrag beschlossen, obgleich die SVP die Vorlage als „ordnungspolitischen Sündenfall“ bezeichnete, da damit der Sozialstaat weiter ausgebaut und die Eigenverantwortung der Familien geschwächt werde, sowie als „Zwängerei“ gegenüber dem Ergebnis der letzten Volksabstimmung. Für die meisten erstaunlich war die Argumentation von Germann (svp, SH), er widersetze sich dem Vorschlag deshalb, weil nur die erwerbstätigen Mütter berücksichtigt würden; dabei war es 1999 gerade die SVP gewesen, welche die Mutterschaftsversicherung mit dem Argument bekämpft hatte, der Einbezug der nichterwerbstätigen Frauen sei nicht statthaft. Bei der Detailberatung versuchte Jenny (svp, GL) noch einmal, auf die Einführung eines Mutterschaftstaggelds zurückzukommen, scheiterte aber mit 30 zu 8 Stimmen deutlich. Bei den meisten Bestimmungen schloss sich der Ständerat dem Nationalrat an, wobei er aber die Dauer der vorgängigen Erwerbsarbeit, die zu einem Anspruch führt, von drei auf fünf Monate ausdehnte. In einem Punkt schuf er allerdings eine gewichtige Differenz zur grossen Kammer: Mit 25 zu 10 Stimmen folgte er dem Antrag der Kommission, die Anspruchsberechtigung auch auf Fälle von Adoption auszudehnen, allerdings in eingeschränkter Form (lediglich vier Wochen, und nur, falls das zu adoptierende Kind jünger als vier Jahre ist). Forster (fdp, SG) machte vergebens geltend, damit lege man der Vorlage unnötig Stolpersteine in den Weg, weshalb es der Nationalrat auch ausdrücklich vermieden habe, die Adoption zu berücksichtigen. Vor den Beratungen hatten auch der Initiant und die drei Initiantinnen des Modells – Triponez (fdp, BE), Haller (svp, BE), Meyer (cvp, FR) und Fehr (sp, ZH) – erfolglos an den Ständerat appelliert, das Fuder nicht zu überladen.

Im Nationalrat wehrte sich Triponez vehement gegen einen Einbezug der Adoption. Er machte insbesondere geltend, dass – anders als bei leiblicher Geburt – im Arbeitsrecht kein Arbeitsverbot während acht Wochen nach einer Adoption bestehe. Deshalb sei die Lösung des Ständerates sowohl aus sachlichen wie auch referendumspolitischen Gründen abzulehnen. Mit 90 zu 60 Stimmen setzte er sich gegen Maury Pasquier (sp, VD) durch, welche aus Gründen der Gerechtigkeit auch den Adoptivmüttern Leistungen gewähren wollte. In der Frage der Dauer der vorgängigen Erwerbsarbeit schloss sich die grosse Kammer hingegen der kleinen an. Der Ständerat hielt im Grundsatz daran fest, dass seine Lösung bezüglich Adoption ihre Berechtigung habe, insbesondere da sie kaum mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre. Aus abstimmungstaktischen Überlegungen schloss er sich aber mit 21 zu 12 Stimmen dem Nationalrat an. In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage im Nationalrat mit 146 zu 41 Stimmen; dagegen stimmten lediglich eine grosse Mehrheit der SVP-Fraktion sowie einige Rechtsfreisinnige; im Ständerat wurde sie mit 31 zu 6 Stimmen angenommen.

Das von der SVP ergriffene Referendum gegen die Öffnung der Erwerbsersatzordnung für Frauen bei Mutterschaft, welche für (unselbständig und selbständig) erwerbstätige Frauen eine Lohnfortzahlung während 14 Wochen von 80% des letzten massgebenden Lohnes sicherstellt, beschränkt allerdings auf maximal CHF 172 pro Tag, kam trotz fehlender Unterstützung durch die Wirtschaft mit etwas über 70'000 Unterschriften zustande.

Im Abstimmungskampf begründeten die Gegner, zu denen auch die SVP-Frauen Schweiz sowie einige rechtsbürgerliche Abweichler aus der FDP gehörten, ihre Ablehnung vor allem mit dem ordnungspolitischen Argument, dass kein weiterer Ausbau des Sozialversicherungssystems mehr erfolgen dürfe. Sie machten geltend, die Geburtskosten seien durch das KVG abgedeckt, weshalb der über 50-jährige Verfassungsauftrag zum Mutterschutz erfüllt sei. Kinder seien zudem eine Privatsache; ihre Polemik gegen die Gesetzesänderung gipfelte denn auch im Begriff der „Staatskinder“, die es zu verhindern gelte. Zudem bemängelten sie, dass lediglich erwerbstätige Mütter in den Genuss von Leistungen kämen. Letztere Begründung war besonders bemerkenswert, da die gleichen Gegner 1999 die Vorlage einer Mutterschaftsversicherung gerade deshalb bekämpft hatten, weil auch die nichterwerbstätigen Mütter einbezogen werden sollten. Die Befürworter, mit Ausnahme der SD und der Lega alle anderen Parteien, machten für ihre Unterstützung den nie eingelösten Verfassungsauftrag von 1945 geltend sowie Anliegen der Familien- und der Gleichstellungspolitik. Sie unterstrichen, dass es sich eben gerade nicht um eine neue Sozialversicherung handle, sondern um die Ausdehnung der bestehenden EO, an welche die erwerbstätigen Frauen seit jeher Lohnbeiträge bezahlen, in den allermeisten Fällen ohne je Leistungen daraus zu beziehen. Die Befürworter erhielten prominente Unterstützung von den drei früheren Bundesrätinnen Dreifuss (sp), Kopp (fdp) und Metzler (cvp), denen sich über 60 ehemalige Parlamentarierinnen anschlossen.

Uneinheitlich war die Haltung der Wirtschaft, die fünf Jahre zuvor massiv zum Scheitern einer Mutterschaftsversicherung beigetragen hatte. Der Arbeitgeberverband anerkannte zwar, dass unter dem Strich die Wirtschaft eher entlastet würde, angesichts der starken ordnungspolitischen Opposition in seinen Reihen beschloss er aber Stimmfreigabe. Economiesuisse war mehrheitlich ablehnend eingestellt, wollte sich aber nicht exponieren und gab die Stimme ebenfalls frei. Der Vorstand des Gewerbeverbandes, dessen Direktor, Pierre Triponez (fdp, BE), zusammen mit Frauen aus den anderen Bundesratsparteien die nun vorliegende Lösung initiiert hatte, stellte sich klar hinter die Vorlage, konnte aber nicht die ganze Basis um sich scharen.

In der Volksabstimmung vom 26. September wurde die Gesetzesänderung mit 55,5% Ja-Stimmen klar angenommen. Am deutlichsten stimmten die Westschweizer Kantone Waadt (81,1% Ja), Jura (79,6%), Genf (79,5%) und Neuenburg (74,7%) sowie das Tessin (66,7%) zu, am schwächsten der Kanton Appenzell Innerrhoden (26,9%), gefolgt von Schwyz (32,3%) und Glarus (34,2%). Von den 17 Städten mit mehr als 30'000 Einwohnern lehnte einzig Schaffhausen den bezahlten Mutterschaftsurlaub ab, ein deutliches Zeichen, dass im urbanen Milieu heute die Berufstätigkeit der Frauen eine Selbstverständlichkeit ist, welche auch die Einstellung zur Frage des Erwerbsersatzes geprägt hat.

Die Gesetzesänderung wird Mitte 2005 in Kraft treten und stellt grosszügigere Regelungen wie etwa im Kanton Genf nicht in Frage.


Abstimmung vom 26. September 2004

Beteiligung: 53,8%
Ja: 1'417'159 (55,5%)
Nein: 1'138'580 (44,5%)

Parolen:
– Ja: FDP, CVP, SP, GP, LPS, CSP, EVP, EDU, PdA; SGB, Travail.Suisse, KV Schweiz; SGV, Gastrosuisse
– Nein: SVP (2*), SD, Lega
– Stimmenthaltung: Economiesuisse, SAGV
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Gemäss Vox-Analyse verhalf vor allem das gegenüber 1999 veränderte Abstimmungsverhalten der Männer der Vorlage zum Durchbruch. Während in der letzten Abstimmung lediglich 41% der Männer für einen bezahlten Mutterschaftsurlaub votiert hatten, waren es diesmal 61%. Der Ja-Stimmenanteil der Frauen stieg von 44 auf 52%. Mit 81% am deutlichsten nahm die Generation der 18- bis 29-Jährigen die Vorlage an. Der „Röstigraben“ brach weniger stark auf als 1999. Gleich wie damals nahm die lateinische Schweiz die Vorlage deutlich an, während die Deutschschweiz sie ablehnte, diesmal allerdings nur knapp mit 51% Nein-Stimmen (1999: 71%). Die Annäherung der Sprachregionen war darauf zurückzuführen, dass die kleinen und mittleren deutschschweizerischen Städte dem bezahlten Mutterschaftsurlaub jetzt klar zustimmten. Die Sympathisanten der SVP legten zu 86% ein Nein in die Urne, jene der SP zu 97% ein Ja. Die Anhängerschaften der FDP und CVP nahmen die Vorlage an, allerdings nicht sehr deutlich. Als Hauptmotive für die Zustimmung wurden Gründe der sozialen Gerechtigkeit, des nicht eingelösten Verfassungsauftrags und der Familienpolitik genannt.