Teiländerung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (93.066)

Die 1989 durchgeführte Vernehmlassung über eine Totalrevision des Gesetzes über die politischen Rechte hatte ein breite Zustimmung zur Einführung der brieflichen Stimmabgabe ergeben. Auch das Parlament wünscht offenbar diese Neuerung: Der Nationalrat, der bereits 1988 einer entsprechenden Motion Segmüller (cvp, SG) zugestimmt hatte, überwies nun auch eine von der kleinen Kammer 1988 gutgeheissene Motion Rhinow (fdp, BL). Die angesprochene Totalrevision selbst wurde vom Bundesrat zurückgestellt, da er zuerst abwarten will, welche tiefgreifenden Anderungen des politischen Systems der Abschluss eines EWR-Vertrags erforderlich machen könnte.

Am 1. September veröffentlichte der Bundesrat die Botschaft für eine Teilrevision des aus dem Jahre 1976 stammenden Gesetzes über die politischen Rechte. Die Regierung stützte sich bei dieser Reform weitgehend auf Vorschläge, welche das Parlament in den letzten Jahren als Motionen oder Postulate überwiesen hatte. Grundlegende Änderungen werden jedoch keine angestrebt. Es ist insbesondere vorgesehen, gewissen Vollzugsschwierigkeiten zu begegnen, welche bei den Nationalratswahlen vor allem in den grossen Kantonen Bern und Zürich infolge der wachsenden Zahl von Listen und Kandidierenden aufgetreten waren. Engpässe wurden dabei bei der effizienten Ermittlung der Resultate ausgemacht. Probleme ergaben sich aber auch wegen der Verpflichtung der Behörden, sämtliche Listen zu drucken und zu verteilen. Der Bundesrat schlug deshalb vor, die Einreichung von sogenannten Juxlisten, welche zum vorneherein keine Wahlchancen haben, zu erschweren. Dazu soll die für die Anmeldung einer Liste erforderliche Zahl der Unterzeichner nach Kantonen abgestuft und für die grössten sechs von heute 50 auf maximal 200 erhöht werden. Zudem sollen die Verantwortlichen für Listen, welche nur eine sehr geringe Stimmenzahl erzielt haben, an den Druckkosten beteiligt werden. Unterlistenverbindungen möchte der Bundesrat in Zukunft verbieten, obwohl die Reaktion auf diesen Vorschlag in der Vernehmlassung mehrheitlich negativ ausgefallen war.

Um auf unnötige Wahlgänge zu verzichten, sollen in Kantonen mit nur einem Mandat die Nationalratswahlen auch still durchgeführt werden können. Die briefliche Stimmabgabe soll, wie sie in vielen Kantonen bereits praktiziert wird, voraussetzungslos möglich werden. Weil die grosse Flut von Listen und Kandidaturen es der Bundeskanzlei immer schwieriger machen, das Ergebnis der Nationalratswahlen vom zweitletzten Oktobersonntag bis zum Beginn der ordentlichen Wintersession Anfangs Dezember zu erwahren, möchte der Bundesrat zudem die Legislatureröffnungssession auf den Januar verschieben.

Auch im Bereich der direktdemokratischen Instrumente werden einige Änderungen vorgeschlagen. So sollen Volksinitiativen schneller behandelt werden. Während bisher dem Bundesrat und dem Parlament bei ausformulierten Begehren vier Jahre bis zum Beschluss über die Empfehlung zustanden, sollen sie neu spätestens drei Jahre nach ihrer Einreichung zur Volksabstimmung kommen. Bei Referenden schlägt der Bundesrat eine Verlängerung der Frist für das Sammeln von Unterschriften von 90 auf 100 Tage vor, will aber die Möglichkeit einer nachträglichen Beglaubigung der Unterschriften abschaffen.

Auf andere, ebenfalls vom Parlament angeregte Neuerungen, wie zum Beispiel die Offenlegungspflicht für die Finanzierung von Wahlkampagnen, die Entrichtung von Beiträgen an die Parteien für Kampagnekosten oder die Reglemetierung von Meinungsumfragen im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen, verzichtete der Bundesrat in seiner Botschaft.

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats beantragte dem Plenum, die unbestrittenen Punkte der Vorlage bereits in der Dezembersession zu behandeln, um sie noch auf die nächsten Nationalratswahlen in Kraft treten zu lassen. Der Rat beschloss jedoch auf Antrag von Spoerry (fdp, ZH) und Iten (cvp, NW) und gegen den Widerstand der Linken und der Grünen, sich nicht auf die formalen Änderungen zu beschränken, sondern auch die umstrittenen Massnahmen gegen Juxlisten und Unterlistenverbindungen in die Beratung zu ziehen. In der Detailberatung folgte der Rat den Vorschlägen des Bundesrates sowohl für eine Erhöhung der Unterschriftenzahl für die Einreichung von Wahllisten in den grossen Kantonen als auch für die Druckkostenbeteiligung für erfolglose Listen. An dem von SP und GP bekämpften Verbot von Unter-Unterlistenlistenverbindung hielt der Rat fest. Hingegen beschloss er auf Antrag seiner Kommission und gegen den Widerstand der AP, dass Unterlistenverbindungen für Gruppen gleichen Namens, die sich in bezug auf Geschlecht, Region oder Alter abgrenzen, weiterhin erlaubt sein sollen. Das revidierte Gesetz wurde gegen den Widerstand der SP, der GP und den Fraktionen LdU/EVP und SD/Lega zuhanden des Ständerats verabschiedet.

Der Ständerat befasste sich als Zweitrat mit demjenigen Teil der Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte, der das Verfahren bei den Nationalratswahlen regelt. Dabei folgte er weitgehend dem Nationalrat. Insbesondere stimmte er der Regelung zu, dass Unterlistenverbindungen dann zugelassen sein sollen, wenn sie sich bei gleicher Listenbezeichnung einzig durch einen Zusatz zur Kennzeichnung des Geschlechts, der Region, des Alters oder der Parteirichtung unterscheiden. Bei den Massnahmen zur Verhinderung von sogenannten Juxlisten wollte der Ständerat die Wahlteilnahme nicht von finanziellen Erwägungen abhängig machen. Auf Antrag Büttiker (fdp, SO), der argumentierte, dass davon vor allem auch die Jungparteien getroffen würden, verzichtete er auf die Beteiligung von erfolglosen Listen an den Druckkosten. Als Kompensation erhöhte er dagegen die zur Einreichung einer Liste erforderliche Unterschriftenzahl für Kantone mit mehr als 20 Sitzen von 200 auf 400. Der Nationalrat übernahm diese Änderungen. In der Schlussabstimmung hiess die grosse Kammer die neuen Vorschriften gegen den Widerstand der SP und der kleinen Parteien mit 105 zu 60 gut; im Ständerat gab es keine Gegenstimmen. Der Bundesrat setzte die neuen Bestimmungen, welche unter anderem auch die Einführung der uneingeschränkten brieflichen Stimmabgabe bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen enthalten, im Oktober in Kraft. Schliesslich konnten zwei vom Nationalrat 1993 überwiesene Motionen gegen die Listenvielfalt vom Ständerat als erfüllt abgeschrieben werden (93.3008 / 93.3009).

Nachdem die für die Nationalratswahlen 1995 relevanten Teile der Botschaft des Bundesrats über eine Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte herausgelöst und noch 1994 verabschiedet worden waren, befasste sich das Parlament mit dem Rest der Vorlage. Dieser behandelt insbesondere Fragen im Zusammenhang mit Initiativen, Referenden und Volksabstimmungen. Dabei geht es nicht um grundlegende Neuerungen, sondern eher um technische Anpassungen.

Der Nationalrat lehnte diverse SP-Zusatzanträge ab, so den Vorschlag, dass die Abstimmungsbotschaft an die Bürger nicht mehr vom Bundesrat, sondern vom Parlament verfasst werden soll. Keine Chance hatte auch die Forderung, an Komitees, welche Volksinitiativen einreichen, sowie an Parteien, welche an den Nationalratswahlen teilnehmen, finanzielle Beiträge auszuschütten. Beschlossen wurde eine Verlängerung der Referendumsfrist um 10 auf 100 Tage. Sie soll den Gemeinden eine korrekte Beglaubigung der Unterschriften erlauben; gleichzeitig wurde die Möglichkeit der nachträglichen Beglaubigung aufgehoben. Neu festgelegt wurde auch, dass eine Volksinitiative maximal neun Monate nach der Schlussabstimmung im Parlament dem Volk zum Entscheid vorgelegt werden muss.

Als Zweitrat behandelte der Ständerat den Rest der Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte. In Abweichung vom Nationalrat beschloss er eine neue Regelung für die Beurteilung der Gültigkeit von Volksinitiativen - welche der Nationalrat dann allerdings wieder strich - und eine Präzisierung der Frist, nach welcher eine Volksinitiative dem Volk spätestens zum Entscheid vorzulegen ist. Der Nationalrat übernahm diese Formulierung. Neu gilt demnach eine Referendumsfrist von 100 Tagen (inkl. Beglaubigung der Unterschriften) - wobei auf die Unterschriftenbogen neu nicht nur der Name, sondern effektiv auch eine Unterschrift zu setzen ist -, eine maximale Frist von neun Monaten zwischen der Schlussabstimmung resp. dem Ablaufen der dem Parlament eingeräumten Behandlungszeit für eine Volksinitiative und der Volksabstimmung sowie die erweiterte Kompetenz der Bundeskanzlei, irreführende Titel von Volksinitiativen abzuändern. Die neuen Bestimmungen wurden auf den 1.4.97 in Kraft gesetzt.

Die erfolgte Ungültigerklärung zweier Volksinitiativen (Asylinitiative der SD, Initiative „für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik“) durch die Bundesversammlung innerhalb nur eines Jahres löste ein gewisses Unbehagen darüber aus, dass eine solche Annullierung erst nach der erfolgreichen Unterschriftensammlung erfolgt. Anlässlich der Beratung der Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte beschloss der Ständerat deshalb auf Antrag seiner Kommission, dass bei der Lancierung einer Volksinitiative durch die Bundeskanzlei eine - allerdings unverbindliche - materielle Vorprüfung der Gültigkeit durchzuführen sei. Der Nationalrat strich diese Bestimmung wieder. Da grosse Wahrscheinlichkeit bestehe, dass es zu sich widersprechenden Entscheiden der Bundeskanzlei und des Parlaments kommen könnte, hielt er diese Lösung für nicht praktikabel.

Massnahmen zur Bekämpfung der Listenflut (Pa.Iv. 91.434)

Die Zahl der Listen von Nationalratskandidaten war in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Waren es 1979 gesamt schweizerisch noch 164 Listen gewesen, so wurden den Stimmberechtigten 1987 insgesamt 222 und 1991 gar 248 Listen vorgelegt. Vor allem in den bevölkerungsreichsten Kantonen, in denen es nur einen geringen Stimmenanteil für einen Sitzgewinn braucht, schossen die Listen von bisher kaum oder gar nicht bekannten Gruppierungen ins Kraut. Dies schaffte einerseits Probleme beim Versand der Stimmzettel und des Propagandamaterials sowie der Auszählung. Es wurde andererseits auch vermutet, dass sich die Stimmberechtigten infolge der grossen Anzahl von Listen nicht mehr zurechtfinden. Die Freisinnige Spoerry (ZH) hatte deshalb bereits Ende 1991 mit einer parlamentarischen Initiative «Massnahmen zur Bekämpfung dieser Listenflut» gefordert. Sie schlug vor, die für einen Wahlvorschlag erforderliche Unterschriftenzahl für grosse Kantone auf 200-300 zu erhöhen, ein Gelddepot zu verlangen, das bei Nichterreichen einer bestimmten Stimmenzahl verfallen würde, und Unterlistenverbindungen zu verbieten.

Da der Bundesrat ohnehin an einer Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte arbeitet, beantragte die vorberatende Staatspolitische Kommission des Nationalrats, diese Forderungen in Form einer Motion an den Bundesrat zu überweisen. Eine aus Grünen und Linken gebildete Minderheit der Kommission möchte allerdings nur den ersten Punkt verwirklichen. Unabhängig davon hatte Nationalrat Bürgi (fdp, SG) ein Postulat für ein Verbot von parteiübergreifenden Listenverbindungen bzw. Unterlistenverbindungen eingereicht. Da dieses von Thür (gp, AG) bekämpft wurde, konnte es im Berichtsjahr noch nicht behandelt werden.

Im März befasste sich der Nationalrat mit Massnahmen gegen die vor allem in grossen Kantonen als zu gross empfundene Anzahl von Listen bei den Nationalratswahlen. Da der Bundesrat in Aussicht gestellt hatte, noch im laufenden Jahr seine Vorschläge für eine Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte vorzulegen, in welcher auch dieses Thema angeschnitten würde, entschied sich der Nationalrat dafür, einer 1991 eingereichten parlamentarischen Initiative Spoerry (fdp, ZH) keine Folge zu geben. Immerhin verabschiedete er eine Motion, welche generell entsprechende Massnahmen verlangt. Da das in der Initiative Spoerry enthaltene Verbot von Listenunterverbindungen sowohl in der vorberatenden Staatspolitischen Kommission als auch im Plenum stark umstritten war, wurde es im Motionstext lediglich unverbindlich als Möglichkeit aufgeführt. Eine weniger umstrittene Motion des Nationalrats verlangte vom Bundesrat die Staffelung der für die Einreichung eines Wahlvorschlags erforderlichen Unterschriftenzahl nach der Kantonsgrösse.

Pa. Iv. Rechsteiner Referendum bei Verwaltungsakten

Ein Vorschlag, wie vermieden werden könnte, dass vom Parlament beschlossene grosse Rüstungsgeschäfte und Bauprojekte mit rückwirkenden Volksinitiativen bekämpft werden, kam vom Staatsrechtler Kölz und wurde auf politischer Ebene von Nationalrat Rechsteiner (sp, SG) in Form einer parlamentarischen Initiative aufgenommen. Diese verlangt, dass die Bundesversammlung auch Verwaltungsakte von ausserordentlicher Tragweite in der Form eines allgemeinverbindlichen – und damit dem fakultativen Referendum unterstellten – Bundesbeschlusses fassen kann. Gemäss Kölz hatte die anlässlich der Verfassungstotalrevision von 1874 eingeführte Rechtsform des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses ursprünglich die Bedeutung eines Verwaltungsreferendums für wichtige Entscheide. Sie war dann aber 1962 im Rahmen einer Revision des Geschäftsverkehrsgesetzes restriktiver gefasst worden, indem ihre Anwendung auf zeitlich befristete gesetzgeberische Entscheide beschränkt wurde.

Motion Petitpierre zur Unterschriftensammlung

Die in den letzten Jahren einige Male festgestellte Praxis, dass Personen für das Sammeln von Unterschriften für Initiativen und Referenden entschädigt worden sind oder dass – wie z.B. bei den Referenden gegen die Parlamentsreform – gleich Werbeagenturen mit der Unterschriftensammlung beauftragt wurden, veranlasste Ständerat Petitpierre (fdp, GE) zur Einreichung einer Motion. Er forderte darin, dass wie in Österreich Volksbegehren nur noch in bestimmten Büros (z.B. Gemeindeverwaltung) unterzeichnet werden dürfen. Nachdem Bundeskanzler Couchepin auf den für 1993 angekündigten Entwurf für die Revision des Gesetzes über die politischen Rechte verwiesen hatte, wandelte der Rat den Vorstoss in ein Postulat um.

Parlamentarische Initiative Robert Ständemehr

Im schweizerischen politischen System mit seiner Mischung aus direktdemokratischen und föderalistischen Elementen besteht die Möglichkeit, dass bei Volksabstimmungen Volks- und Ständemehr differieren. Um dieses Risiko zu verringern, und um zudem den Machtzuwachs zu korrigieren, der sich im Laufe der Zeit zugunsten von kleinen Kantonen mit geringem Bevölkerungswachstum ergeben hat, schlug Leni Robert (gp, BE) mit einer parlamentarischen Initiative vor, dass ein Volksmehr nur durch ein qualifiziertes Ständemehr von 15,5 Kantonen zu Fall gebracht werden kann. Die Mehrheit der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats lehnte diesen Vorstoss ab, da er dem in der Bundesverfassung von 1848 garantierten föderalistischen Prinzip widerspreche. Zudem besteht nach Meinung der Kommission auch kein Handlungsbedarf, sind doch bisher derartige divergierende Mehrheiten erst sechsmal vorgekommen (zuletzt 1983 beim Energieartikel). Der Nationalrat beschloss mit 99:52 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben.

Parlamentarische Initiative Zimmerli zur Einschränkung des fakultativen Referendums

Die im Berichtsjahr wieder etwas häufiger vorgekommenen Niederlagen der Parlamentsmehrheit in Volksabstimmungen führten zu neuen Vorschlägen, wie oppositionellen Initiativ-, Referendums- und Abstimmungskomitees das Leben schwerer gemacht werden könnte. Ökonomieprofessoren, die davon ausgehen, dass der schweizerische Staat handlungsunfähig geworden ist, schlugen eine massive Einschränkung des fakultativen Referendums vor. Dieses soll nur noch gegen Parlamentsbeschlüsse ergriffen werden können, die in den Räten keine Zweidrittelmehrheit erreicht haben. Nach der nur knapp ausgefallenen Zustimmung zu dem von fast allen Parteien unterstützten Antirassismus-Gesetz regte Ständerat Zimmerli (svp, BE) mit einer parlamentarischen Initiative an, dass ein Parlamentsbeschluss erst dann als abgelehnt gilt, wenn die ablehnende Mehrheit mindestens einen Drittel der Stimmberechtigten ausmacht; beim Beitritt zu supranationalen Organisationen oder bei Verfassungsteilrevisionen müsste dazu auch noch eine ablehnende Mehrheit der Stände kommen. Ein analoges Quorum von einem Drittel der Stimmberechtigten wäre für die Annahme einer Volksinitiative neben Stände- und Volksmehr erforderlich.

Disskussion um die Rekursmöglichkeit gegen Umsetzungen von Initiativen

Da in den letzten Jahren vermehrt Volksinitiativen angenommen worden sind (fünf seit 1982), stellt sich häufiger als früher das Problem, ob das Parlament - das sich in der Regel gegen die Begehren ausgesprochen hat - beim Erlass der Ausführungsgesetzgebung die Intentionen der Initianten ausreichend umsetzt. In jüngster Vergangenheit wurde diese korrekte Ausführung etwa bei der 1. August-Initiative (keine Lohnzahlungsgarantie) oder bei der Alpeninitiative (Bau der N9 bis Brig/VS) bestritten. Nationalrat Gross (sp, ZH) möchte für diese Fälle eine Rekursmöglichkeit einführen. Gemäss seiner 1993 eingereichten parlamentarischen Initiative sollen 10 000 Bürger und Bürgerinnen vom Bundesgericht eine Überprüfung der Übereinstimmung der Gesetzgebung mit dem Verfassungsauftrag verlangen können. Die Kommissionsmehrheit sprach sich aus grundsätzlichen Überlegungen gegen eine, wenn auch nur selektive, Verfassungsgerichtsbarkeit aus und verwies zudem auf die Möglichkeit, eine unbefriedigende Ausführungsgesetzgebung mit dem Referendum zu bekämpfen. Das Plenum teilte diese Ansicht und lehnte den Vorstoss mit 65:36 Stimmen ab.

Forderung nach Reglementierung der Unterschriftensammlung

Eine Reduktion der Unterschriftenzahl für Initiativen und Referenden visierte demgegenüber eine parlamentarische Initiative Blatter (cvp, OW) an. Allerdings wollte er gleichzeitig das Sammeln von Unterschriften wesentlich erschweren, indem die Formulare nur noch auf bestimmten, von den Gemeinden bezeichneten Amtsstellen rechtsgültig hätten unterzeichnet werden können. Nach Ansicht des Initianten könnten damit nicht nur gewisse Missstände bei Unterschriftensammlungen vermieden (z.B. Direct-Mail-Kampagnen durch bezahlte Werbebüros), sondern auch die Zahl der Volksbegehren insgesamt reduziert werden. Der Nationalrat stimmte dem Anliegen gegen den Antrag seiner Staatspolitischen Kommission vorerst zu, lehnte es dann aber nach einem Rückkommensantrag Steinemann (fp, SG) ab.

Motion zur materiellrechtliche Vorprüfung von Volksinitiativen

Nationalrat Keller (sd, BL) verlangte mit einer Motion, dass in Zukunft nicht mehr die Bundesversammlung über die Gültigkeit von Volksinitiativen entscheidet, sondern eine - nicht näher spezifizierte - Stelle eine verbindliche materiellrechtliche Vorprüfung durchführt. Der Vorstoss wurde in ein Postulat umgewandelt, obwohl ihn Vollmer (sp, BE), der sich für das Recht des Parlaments einsetzte, für diese Überprüfung allein zuständig zu bleiben, auch in dieser Form bekämpfte. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats zeigte an einer solchen Lösung grosses Interesse. Bei der Vorberatung der Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte (s. oben) beschloss sie, eine rechtliche Vorprüfung von Initiativen durch die Bundeskanzlei einzuführen. Deren Entscheid könnte innerhalb von 60 Tagen bei einer vom Parlament gewählten unabhängigen Rekurskommission angefochten werden, welche dann definitiv entscheiden würde. Der vom Bundesrat in die Vernehmlassung gegebene Entwurf für die Totalrevision der Verfassung schlägt vor, dass weiterhin die Bundesversammlung über die Gültigkeit entscheidet. Eine Ungültigkeitserklärung aufgrund von Nichtvereinbarkeit mit Völkerrecht müsste allerdings vom Bundesgericht sanktioniert werden.

Standesinitiative Solothurn zur Erhöhung der Unterschriftenhürde

Nachdem der Nationalrat bereits 1993 zwei parlamentarische Initiativen für eine Erhöhung der Unterschriftenzahl für Volksbegehren und Referenden abgelehnt hatte, sprach er sich nun auch mit 86:32 Stimmen gegen eine entsprechende Standesinitiative des Kantons Solothurn aus. Da der Ständerat dem Begehren jedoch mit 24:11 zustimmte, musste der Nationalrat seine ablehnende Haltung in einer zweiten, noch etwas deutlicher ausgefallenen Abstimmung definitiv bestätigen. Neben materiellen Argumenten sprach gegen die Initiative auch, dass eine Verdoppelung der Unterschriftenzahl ohnehin mit dem in der Zwischenzeit veröffentlichten Entwurf für eine Totalrevision der Bundesverfassung auf die Traktandenliste gesetzt worden war.

Forderungen nach obligatorischen Referendum für Volkerrechtliche Verträge

Der Nationalrat gab einer parlamentarischen Initiative Robert (gp, BE) keine Folge, welche dem Parlament die Kompetenz erteilen wollte, dem fakultativen Referendum unterstehende völkerrechtliche Verträge direkt, d.h. ohne Unterschriftensammlung, der Volksabstimmung zu unterstellen. Neben dem Einwand, dass damit das Instrumentarium der Volksrechte noch variantenreicher und damit unübersichtlicher würde, verwies die Staatspolitische Kommission auch auf die anstehende Totalrevision der Verfassung, welche den geeigneten Rahmen zur Reform der Volksrechte biete.

Vorstoss zum E-Voting

Die Bundesverwaltung baute ihr über Internet elektronisch abfragbares Informationsangebot im Berichtsjahr weiter aus. Eine Nutzung des Internet für die Stimmabgabe bei Volksabstimmungen erscheint dem Bundesrat und dem Parlament angesichts der technischen Probleme (Kontrolle, Fälschungsgefahr) jedoch wenig sinnvoll. Der Nationalrat lehnte deshalb die Überweisung eines Postulats de Dardel (sp, GE) ab, der sich davon eine Verbesserung der Stimmbeteiligung bei den Jungen versprochen hatte.

Inititative parlementaire Chiffelle en faveur du recours au référendum financier pour certaines dépenses militaires (97.418)

Dossier: Einführung eines Finanzreferendums auf nationaler Ebene

Le Conseil national, à une confortable majorité, n’a pas donné suite à une initiative parlementaire du socialiste vaudois Pierre Chiffelle qui préconisait d’inscrire dans la Constitution un droit de référendum en matières de dépenses d’armement. Le projet prévoyait que tout crédit de plus de 200 millions CHF destiné à l’armement pourrait être soumis à la sanction du peuple suisse. La CPS a refusé de se rallier aux arguments de l’initiant par quatorze voix contre neuf. Elle a notamment souligné qu’il ne serait pas très souhaitable de créer un référendum financier dans un seul domaine des dépenses de la Confédération, ni d’affaiblir le parlement en lui ôtant une de ses prérogatives. De plus, elle a considéré que le législatif était tout à fait à même de s’opposer à certaines dépenses d’armement, comme il l’avait fait en 1997 en refusant un crédit pour des obusiers blindés.

Unabhängig von den Bestrebungen im Rahmen der Verfassungstotalrevision unternahm der Waadtländer Sozialdemokrat Chiffelle einen neuen Anlauf zur Einführung des fakultativen Referendums für Kredite des VBS für Bauten, Landerwerb und Rüstungskäufe, welche die Summe von 200 Mio Fr. übersteigen. Seine von der SP unterstützte parlamentarische Initiative wurde im Nationalrat mit 120:57 Stimmen abgelehnt. Dabei hatte die vorberatende Kommission auf die Anträge zur Totalrevision der Bundesverfassung aufmerksam gemacht, welche das Finanzreferendum ebenfalls einführen möchten, es aber nicht auf ein einzelnes Departement beschränken wollen.