Nationaler Wahlkampf 2011

Breit medial rezipiert wurden jeweils die Wahlumfragen. Die SRG führte ihr Wahlbarometer in sieben Wellen von Oktober 2010 bis Oktober 2011 durch. Grosse Veränderungen konnten jeweils kaum ausgemacht werden. Für die SP und die SVP wurden leichte Gewinne und für die FDP und die CVP Verluste prognostiziert. Für die neuen Mitteparteien wurde ein gutes Ergebnis erwartet. Die Veränderungen im Vergleich zu 2007 lagen aber in aller Regel innerhalb der Fehlerbereiche. Trotzdem stiess die Abweichung zwischen der letzten Wahlprognose zehn Tage vor den Wahlen und dem effektiven Wahlergebnis bei den Parteien auf Kritik. So wurde für die SVP Mitte Oktober ein Wähleranteil von 29,3% prognostiziert, also rund 3 Prozentpunkte zu hoch, was die SVP zu einer harschen Kritik veranlasste: Umfragen seien schädlich, weil einflussnehmend. Gfs Bern, welche die Umfragen durchgeführt hatte, führte die Unterschiede auf die schlechtere Mobilisierung der in der Umfrage noch unentschiedenen Wählenden durch die SVP zurück. Als präziser als die Umfragen erwiesen sich die so genannten Wahlbörsen bei denen statt mit Firmenaktien mit imaginären Parteiaktien gehandelt werden konnte.

Weil es vor vier Jahren aufgrund einer bewilligten Demonstration der SVP bzw. einer nicht bewilligten Gegendemonstration von linken Autonomen auf dem Bundesplatz zu heftigen Zwischenfällen und grossen Sachbeschädigungen gekommen war, wollte die Stadt Bern ein Demonstrations- und Veranstaltungsverbot auf dem Bundesplatz während des gesamten Monats Oktober verfügen. Dies nachdem im Januar sowohl die SVP als auch die SP Gesuche für die Nutzung des Bundesplatzes eingereicht hatten. Der Gemeinderat argumentierte, dass es im Sinne eines Nicht-Diskriminierungsgebots nicht seine Aufgabe sei festzulegen, welche Partei den Vorteil einer möglichst späten Kundgebung nutzen dürfe. Hatte sich die SVP zuerst gegen das Verbot gewehrt, gab sie in der Folge nach und wich auf den 10, September aus. Anstelle eines Umzuges plante sie lediglich ein „SVP-Familienfest“ auf dem Bundesplatz. Linke Aktivisten planten zeitgleich ein „Ganz Fest gegen Rassismus“ in der Reitschule. Die Polizeipräsenz war am entsprechenden Sonntag sehr hoch. Rund tausend Polizisten führten Personenkontrollen durch. Zu Ausschreitungen kam es zwar nicht, die Polizeikontrollen und die hohen Sicherheitskosten sorgten aber für viel Kritik.

Für die vom Schweizer Radio und Fernsehen durchgeführte Sendung „Treffpunkt Bundesplatz“ verlangte der Berner Gemeinderat keine Gebühren. Ziel der Sendung war es, mit diversen Sendungen die Parteien und Politiker, welche zu den National- und Ständeratswahlen antraten, zu präsentieren und ihnen auf den Zahn zu fühlen. Die Sendungen wurden zwischen dem 19. und dem 30. September live vom Bundesplatz ausgestrahlt. Die Einschaltquoten blieben allerdings unter den Erwartungen.

Mit dem Thema Zuwanderung verknüpft wurden die Beziehungen zur EU. Anders als vor vier Jahren war die Europäische Union allerdings nicht mehr derart beherrschendes Thema im Wahlkampf. Lediglich die SVP hob immer wieder hervor, dass sie sich gegen einen Beitritt wehren würde. Die schwache Einbindung des Themas „Europäische Union“ in den Wahlkampf war auch der Eurokrise geschuldet, die dazu geführt hatte, dass die früher eher positiv zur EU stehenden Parteien ebenfalls verhalten Kritik äusserten und sich des Themas nicht bedienten. In einzelnen Medien wurde gar eine allgemeine Euroskepsis festgestellt.

Wie bereits vor vier Jahren schaffte es die SVP auch bei den Wahlen 2011 die Zuwanderung zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen zu machen. Das Vorgehen der Volkspartei war dabei sehr ähnlich wie vor vier Jahren. Wieder wurde eine Initiative als zentrales Wahlkampfinstrument eingesetzt für die mit markigen Slogans und Karikaturen geworben wurde. Im Gegensatz zu den Schäfchenplakaten von vor vier Jahren nahmen allerdings weder die Medien noch die Öffentlichkeit den Ball auf. Die SVP versuchte zwar geschickt, aktuelle Ereignisse in ihren Anti-Zuwanderungs-Wahlkampf einzubauen (z.B. Messerattacke, Schweizerkreuz-Debatte, Verhandlungen zur Ausschaffungsinitiative), sie vermochte dabei aber nicht mehr wie vor vier Jahren mediale Reaktionen zu provozieren, die ihr zusätzliche Aufmerksamkeit generiert hätten. Dennoch zeigten Medienanalysen, dass über das Thema „Zuwanderung“ in den Medien sehr häufig berichtet wurde. Die von der SVP geforderte Sondersession zum Thema Migration im Herbst verhalf dem Thema zudem kurz vor den Wahlen ebenfalls noch einmal zu Beachtung.

Ein weiteres aktuelles, aber von den Parteien nur wenig aufgenommenes Thema war der starke Franken. Aufgrund der Verwerfungen an den Devisenmärkten waren die Parteien gezwungen, Position zu beziehen, was sie allerdings aufgrund der wenig mobilisierenden Komplexität des Themas nur widerwillig taten. Zwar forderte etwa SP-Präsident Christian Levrat eine Anbindung des Frankens an den Euro und Christoph Blocher machte sich für ein Revitalisierungsprogramm stark, eine eigentliche Einbindung des aktuellen Themas in die Wahlagenda der Parteien fand aber nicht statt. Weil die Parteien lieber bei ihren Wahlkampf-Themen blieben, wurde die Frankenstärke trotz ihrer Bedeutung nicht zu einem Wahlkampfschlager.

Der Entscheid des Parlaments, Militärkampfjets zu kaufen, wurde Ende August kurzfristig auch zu einem Thema des Wahlkampfs. Die SP-Delegierten beauftragten ihre Parteispitze Anfang Oktober dafür zu sorgen, dass der Kaufentscheid den Wahlberechtigten vorgelegt wird – sei es per Referendum oder per Initiative. Auch die Grünen bekundeten ihre Unterstützung für eine entsprechende Initiative, die von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) bereits ein paar Wochen zuvor angekündigt worden war.

Der Wahlkampf verlagerte sich auch in den virtuellen Raum. Soziale Medien (Social Media) wurden aber wenig systematisch genutzt. Vor allem junge und bereits bekannte Kandidierende setzten Facebook und Twitter für ihren Wahlkampf ein. Allerdings waren sich die meisten Parteien darin einig, dass die neuen sozialen Medien die traditionellen Wahlkampfinstrumente wie Standaktionen, Inserate und Plakate und vor allem die direkte Kommunikation auf der Strasse nicht ersetzen könnten. Die Selects-Befragung der Kandidierenden brachte zu Tage, dass rund ein Drittel der Kandidierenden eine eigene Homepage eingerichtet hatte. 19% unterhielten einen Blog und 52% gaben an, ein Facebook-Profil für die Wahlen aufgeschaltet zu haben.

Für einige Diskussionen sorgte das von der Bundeskanzlei erstellte und an rund 5 Mio. Haushalte verschickte Wahlmagazin ‚In der Kürze liegt die Würze‘, das mit Vergleichen aus der Gastronomie das Wahlprozedere erklärte und die Parteien vorstellte. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Empörte Politiker, die sich verhöhnt fühlten, belustigte Kommentatoren, die den mobilisierenden Effekt der Appetitanregung hinterfragten, kritische Experten, die die Darstellungen und den Gehalt kritisierten sowie Kolumnisten, die den Mut der Bundeskanzlerin und die Idee der Hervorhebung der Gemeinsamkeiten von Politik und Kochkunst lobten, standen sich gegenüber.

Für Wirbel sorgte die Weigerung einiger Printmedien, die SVP-„Messerschlitzerinserate“ abzudrucken. Die SVP wollte mit dem Messerangriff eines Kosovaren auf einen Schweizer Werbung für ihre Masseneinwanderungsinitiative machen. Auch die SBB verweigerte der SVP zumindest teilweise die Plakatwerbung. Da die Volkspartei im August fast die gesamte Werbefläche des Hauptbahnhofes Zürich für ihre Wahlreklame gemietet hatte und sich Reisende ob der erdrückenden politischen Werbung beschwert hatten, entschloss die SBB, per Oktober eine neue Regelung einzuführen. Fortan sollten Parteien maximal die Hälfte der Werbefläche für sich beanspruchen dürfen. Die SBB revanchierte sich mit einer Einladung an alle Parteien, am 22. September die Bahnhofshalle als Wahlplattform zu nutzen.

Die Wahlhilfe „Smartvote“ spielte wie bereits 2007 eine prominente Rolle im Wahlkampf. Praktisch täglich waren in den Medien die bekannten Spiderdiagramme abgedruckt, mit denen die Positionierung von Parteien und Kandidierenden erfasst wurde. Allerdings war die Online-Wahlhilfe zunehmender Kritik ausgesetzt. Zu Beginn des Wahlkampfes monierten einige Parteien den finanziellen Beitrag den sie zu leisten hatten. Kritisiert wurde auch die „Smartvotisierung“ der Politik. Zudem schienen einige Parteien ihren Kandidierenden vorzuschreiben, wie sie den Smartvote-Fragebogen auszufüllen haben, der Grundlage für die Positionierungen von Parteien und Kandidierenden darstellte. Mit der Wahlplattform ‚Vimentis‘ erhielt ‚Smartvote‘ zudem Konkurrenz.

Wie schon 2007 weilte auch 2011 eine Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zwecks Beobachtung der Wahlen in der Schweiz. Die elf Beobachter, die vom 10. bis 28. Oktober in der Schweiz waren, stellten freie und aktive Kampagnen und professionelle und kompetente für die Wahlen zuständige Personen in den Kantonen fest. Kritisiert wurde die teilweise mangelhafte Sicherstellung des Wahlgeheimnisses, was allerdings aufgrund des hohen Vertrauens in die Behörden nicht gravierend sei. Zudem wurden die mangelnde Transparenz hinsichtlich Parteienfinanzierung sowie technische und rechtliche Mängel bei den elektronischen Wahlmöglichkeiten für Auslandschweizerinnen und -schweizer gerügt.

Eine Analyse von mehr als 60 Schweizer Online-Print-Medien und Social-Media-Plattformen zeigte drei hauptsächliche Strategien, welche die Parteien anwendeten, um in den Medien zu erscheinen: Parteiereignisse wie Delegiertenversammlungen oder Wahlfeste, Auftritte von Parteiexponenten (Parteipräsidenten, Bundesrätinnen und Bundesräte) oder das Erzeugen von Ereignissen, die Reaktionen anderer Akteure provozierten. Die Analyse zeigte auf, dass Online vor allem über die SVP berichtet wurde, die alle drei Strategien anwendete. Mit der Analyse der Online-Medien liess sich zudem der Konjunkturzyklus der online-medial vermittelten Wahlkampfthemen nachzeichnen. Insgesamt – also von Juni bis Oktober – am meisten Aufmerksamkeit erhielten die Themen Energie, Migration und EU.

Bereits der Wahlkampf von 2007 galt als teuerster aller Zeiten: geschätzte CHF 50 Mio. wurden damals insgesamt ausgegeben. Entsprechend war die Finanzierung der Wahlwerbung im Jahr 2011 ein beliebtes Medienthema. Bereits Mitte September präsentierte die Firma Media Focus eine Auszählung von Presseinseraten, Plakaten und Kinowahlwerbung von Mai bis August. Die SVP hatte dieser Analyse zur Folge bereits CHF 3,4 Mio. ausgegeben. Für die FDP wurden CHF 1,7 Mio., für die CVP CHF 1,3 Mio. und für die weit abgeschlagene SP CHF 0,2 Mio. geschätzt. Die Grünen (CHF 78'531), die GLP (CHF 30'291) und die BDP (CHF 8'257) hatten bis dahin laut Media Focus relativ geringe Summen ausgegeben. Eine Analyse des Tages Anzeigers der Wahlinserate in 16 Tages- und Sonntagszeitungen kurz vor den Wahlen kam zu ähnlichen Befunden: die SVP war für rund ein Drittel der Inseratewerbung verantwortlich (CHF 1,2 Mio.), gefolgt von der FDP (CHF 0,75 Mio.) und der SP (CHF 449'000). Die CVP (CHF 195'000), die BDP (CHF 165'000), die Grünen (CHF 92'000), die GLP (CHF 58'000) und die EVP (CHF 26'000) gaben zusammen weniger als die Hälfte der SVP für Inserate aus. Laut einer weiteren Untersuchung von Media-Focus hatten die Parteien im Monat September insgesamt über CHF 10 Mio. für Wahlwerbung ausgegeben. Die SVP (CHF 3,7 Mio.) und die FDP (CHF 2,7 Mio.) schafften es gar unter die zehn in diesem Monat meist beworbenen Produkte. Im Oktober stiegen laut Media Focus die gesamten Ausgaben dann noch einmal auf CHF 36,6 Mio. Eine genaue Schätzung der Ausgaben ist jedoch aufgrund der nach wie vor fehlenden Transparenz der Parteienfinanzierung kaum möglich. So wurden denn im Nachgang der Wahlen sehr unterschiedliche Zahlen genannt, die von rund 40 Mio. CHF bis hin zu 100 Mio. CHF Wahlausgaben reichten. Die Selects-Befragung der Kandidierenden zeigte, dass die Kandidatinnen und Kandidaten durchschnittlich etwa CHF 8'700 für den Wahlkampf aufwendeten. Dabei zeigten sich jedoch grosse Unterschiede. Gewählte wendeten im Schnitt rund CHF 38'000 auf, Nicht-Gewählte durchschnittlich CHF 7'000. Männer gaben rund CHF 3'000 mehr aus als Frauen und Kandidierende der SVP wendeten im Schnitt wesentlich mehr Mittel auf (CHF 20'000) als Kandidierende der FDP (CHF 16'000), der SP, CVP und BDP (je CHF 9'000), der Grünen (CHF 6'000) oder der GLP (CHF 5'000). Die Kandidierenden der SVP, der BDP und der FDP warfen diese Summen zu einem grossen Teil privat auf. Im Rahmen des immer teurer werdenden Wahlkampfes wurden auch immer mehr Stimmen laut, die sich für mehr Transparenz einsetzten. Verlangt wurden die Offenlegung von Wahlkampfspenden und griffige Parteienfinanzgesetze. Die Schweiz ist nach wie vor eines der wenigen demokratischen Länder, das keine Parteifinanzierungsgesetzgebung kennt.

Die Ankündigung des Rücktritts von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey am 7. September belebte den Wahlkampf. Die SP konnte den Rücktritt und die Diskussionen um mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger geschickt für verstärkte Medienaufmerksamkeit nutzen.

Der Wahlkampf wurde in vielen Medien als lau bezeichnet. Dies sei unter anderem auch auf den wesentlich moderateren Ton der SVP im Vergleich zu vor vier Jahren zurückzuführen, der auch deshalb von der Volkspartei angeschlagen worden sei, weil sie ihren Angriff auf den Ständerat nicht zum Vornherein habe kompromittieren wollen. Darüber hinaus sei – anders als noch vor vier Jahren – kaum Empörung über den Wahlkampf der SVP laut geworden. Der gehässige und destruktive Ton, der vor vier Jahren angeschlagen worden sei, sei einer eher gesitteten, mit vielen Events gespickten Wahlshow gewichen. Nicht mehr Negativkampagnen, sondern oberflächliche Wahlfeste, an denen sich die Parteien selber in den Mittelpunkt stellten, seien im Zentrum gestanden. Dies hätte allerdings dazu geführt, dass klare und konkrete Profile nahezu fehlten. Profitiert hätten davon insbesondere die programmatisch unscharfen neuen kleinen Mitteparteien, die noch niemanden enttäuscht hätten. Die ehemals kantigen Parteien hätten es hingegen nicht mehr geschafft, breit zu mobilisieren.

Deutlich weniger präsent im Wahlkampf als vor vier Jahren waren die Bundesrätinnen und Bundesräte. Bei den Wahlen 2007 liessen sich Bundesrätin Leuthard (cvp) und Bundesrat Blocher (svp) von ihren Parteien noch als eigentliche Lokomotiven einsetzen. Bundesrat Maurer (svp) gab bereits im Januar des Berichtjahres bekannt, dass er diese Rolle nicht übernehmen werde. Das Exekutivgremium entschied sich in der Folge zwar gegen neue Regeln im geltenden Aide-Mémoire, das die Rolle der Regierung im Wahlkampf spezifiziert, mahnte aber für die einzelnen Mitglieder Zurückhaltung an. Zudem machte der Bundesrat seinen Entscheid von vor vier Jahren rückgängig, der es Regierungsmitgliedern erlaubt hatte, mit ihrem Konterfei auf Wahlplakaten für die eigene Partei Werbung zu machen. Auch die Bundesratswahlen waren im Vorfeld der Parlamentswahlen weit weniger prominentes Thema als noch vor vier Jahren.

Im ersten Halbjahr dominierte die Atomenergie den Wahlkampf. Die Atomkatastrophe in Fukushima und die Atomausstiegsdebatte in den Räten verhalfen dem Thema zu grosser Beachtung. In Vorwahlbefragungen profitierten die Grünen und die Grünliberalen von der Sensibilisierung der Wählerschaft hinsichtlich der Atomausstiegsfrage. Die eher atomfreundlichen SVP und FDP schnitten in diesen Umfragen entsprechend weniger gut ab. Allerdings schien das Thema in der zweiten Hälfte des Wahlkampfes, auch aufgrund der zunehmenden Negativschlagzeilen aus der Wirtschaft, eher wieder in den Hintergrund zu rücken. Hinzu kam, dass die weitgehende Einigkeit zwischen SP und CVP hinsichtlich der Zukunft der Atomenergie der Atomfrage Zündstoff entzog. Insbesondere die Grüne Partei schien mit Fortschreiten des Wahlkampfes keinen Nutzen aus dem Fukushima-Effekt mehr ziehen zu können. Daran änderte auch die in der Herbstsession im Ständerat gehaltene Sonderdebatte zum Atomausstieg nichts mehr.

Noch nie wurden im Vorfeld der Wahlen derart viele Initiativen lanciert, die als Schwungräder des Wahlkampfes dienen sollten. Ganz im Zentrum des Wahlkampfes der SVP stand deren Masseneinwanderungsinitiative. Darüber hinaus reichte die Volkspartei während der Wahlkampfphase ihre Initiative zur Volkswahl des Bundesrates ein. Schliesslich beschloss sie an ihrem Parteitag Anfang Oktober, eine neue Ausschaffungsinitiative („Durchsetzungsinitiative“) zu lancieren. Auch die anderen Parteien hatten Initiativen in ihrem Köcher. Die SP hatte noch 2010 ihre Cleantech-Initiative lanciert, die sie im September einreichte, was ihr zu einem wichtigen Zeitpunkt einige mediale Aufmerksamkeit bescherte. Anfang 2011 hatten die Sozialdemokraten zudem mit der Unterschriftensammlung zur Mindestlohn- und zur Krankenkasseninitiative (Einheitskrankenkasse) begonnen. Punkten wollte die SP auch mit der Ankündigung einer Kampfjetinitiative. Die CVP versuchte mit ihren beiden Familieninitiativen, die sie im Mai lancierte, zu mobilisieren und auch die FDP sammelte Unterschriften für ihre bereits Ende 2010 gestartete Bürokratiestopp-Initiative. Die Grünen versuchten mit zwei Initiativen (Grüne Wirtschaft und Atomausstieg) ihre Themenführerschaft in Umweltfragen zu festigen.

Ein Novum stellte der starke Fokus auf die Ständeratswahlen dar. Wurden Ständeratswahlkämpfe bis anhin eher in den Kantonen ausgefochten, versuchte die SVP die Wahlen in die kleine Kammer zu einem nationalen Ereignis zu machen. An einer Medienkonferenz Anfang April kündigte die Volkspartei den Kampf gegen den „Linksrutsch der europhilen Dunkelkammer“ an. Wenn die Wählerschaft einen EU-Beitritt verhindern wolle, müsse sie die SVP im Ständerat stärken. Die SVP versuchte, auch den eigentlich vorwiegend personenbezogenen Wahlkampf um den Ständerat mit Themen zu besetzen. Sie bekräftigte ihr Vorhaben, indem sie mit dem ehemaligen Bundesrat Christoph Blocher (ZH), Parteipräsident Toni Brunner (SG), Fraktionspräsident Caspar Baader (BL), dem ehemaligen Bundesratskandidaten Jean-François Rime (FR), Nationalrat Oskar Freysinger (VS), Neo-Ständerat Adrian Amstutz (BE; im Ständerat seit Frühjahr 2011) und Nationalrat Ulrich Giezendanner (AG) eigentliche Schwergewichte in den Ständeratswahlkampf schickte. Die Medien nahmen die Vorlage dankbar auf und schrieben fortan von einem „Sturm aufs Stöckli“.

In die Kritik gerieten auch die zahlreichen Politexperten, die von den Medien zunehmend als „Denkprothesen“ verwendet und zu zahlreichen Begebenheiten befragt wurden. Einige Diskussionen verursachte zudem die Darstellung einer zweiachsigen politischen Landkarte, auf der die Nationalrätinnen und Nationalräte basierend auf Parlaments-Schlussabstimmungen auf einer Links-Rechts- und einer Liberal-Konservativ-Achse abgetragen waren. Eine ähnliche Abbildung fand sich auch in der Wahlbroschüre des Bundes. Zu reden gab dabei die Anordnung und die Messung der Achsen, welche einige Nationalrätinnen und Nationalräte der SP und der GP als konservativer abbildete als jene der SVP.

Beobachter attestiertem dem Wahlkampf in der Schweiz eine zunehmende Professionalisierung. Die vermehrte Konzentration auf Personen statt auf Themen, die immer früher beginnenden Kampagnen, und der zunehmende Rückgriff auf Werbe- und Marktforschungsstrategien wurden als Zeichen dafür gedeutet. Im Gegensatz zu früheren Wahlen wurden die Kampagnen zudem stärker national organisiert. Alle Parteien hatten parteiinterne Wahlkampfteams, die eng mit den Kantonalsektionen zusammenarbeiteten und diese auf eine einheitliche Linie einschworen. Als besonders wichtig wurde die Medienarbeit der Parteien hervorgehoben, da mediale Beachtung Gratiswerbung darstelle.

Rücktritte Eidgenössische Wahlen 2011

Für die Wahlen 2011 traten 38 Nationalrätinnen und Nationalräte und 12 Ständerätinnen und Ständeräte nicht mehr an. Damit gab es 2011 mehr Rücktritte als 2007; vor vier Jahren traten gesamthaft 24 Volks- und 14 Kantonsvertreterinnen und -vertreter zurück. In drei Kantonen mussten mindestens die Hälfte der Nationalratssitze ersetzt werden: im Kanton Tessin (vier von acht), in Graubünden (drei von fünf) und im Kanton Schwyz (zwei von vier). Kein Sitz frei wurde in den Kantonen Wallis, Zug, Schaffhausen, Neuenburg und Basel-Stadt. Den grössten Aderlass an bisherigen Nationalräten hatte die FDP zu verkraften (10 Rücktritte). Von der SVP, der SP und der CVP traten je acht Volksvertreterinnen und -vertreter nicht mehr an. Die Grünen mussten zwei Rücktritte verteidigen und die BDP und die PdA je einen. André Daguet (sp, BE) war zudem bereits per Ende Frühlingssession zurückgetreten, auch um damit dem nachrückenden Corrado Pardini die Wahlchancen zu verbessern. Aus der kleinen Kammer traten sechs Kantonsvertreter der FDP (Briner, SH; Büttiker, SO; Forster, SG; Leumann, LU; Marty, TI und Schweiger, ZG), sowie je drei von der CVP (Inderkum, UR; Maissen, GR; Stähelin, TG) und der SVP (Brändli, GR; Bürgi TG und Reimann, AG, der mit Nationalrat Giezendanner eine Rochade plante) zurück.

Vor allem die Jungparteien kritisierten den Umstand, dass einige langjährige Nationalrätinnen und Nationalräte noch einmal kandidierten. So trat etwa die SVP mit Toni Bortoluzzi (svp, ZH), Max Binder (svp, ZH), Roland F. Borer (svp, SO), Ulrich Giezendanner (svp, AG) und Luzi Stamm (svp, AG) mit fünf Kandidierenden an, die seit 20 Jahren in der grossen Kammer sitzen. Auch der wieder kandidierende Christoph Blocher sass schon 24 Jahre im Nationalrat und der 80-Jährige Jacques Neirynck (cvp, VD), der von 1999 bis 2003 und von 2007 bis 2011 in der grossen Kammer sass, kandidierte ebenfalls noch einmal. Die Ankündigungen von Anita Thanei (sp, ZH) und Andreas Gross (sp, ZH), für eine sechste Legislatur zu kandidieren führten innerhalb der Zürcher Kantonalpartei zu einem neuen Verfahren: ab zwölf Amtsjahren muss zwei Drittel der Delegiertenstimmen hinter sich vereinen, wer erneut für den Nationalrat kandidieren will. Dieser Regel fiel Thanei, nicht aber Gross zum Opfer. Die Tessiner FDP kennt eine parteiinterne Amtszeitbeschränkung von 12 Jahren, was für den Parteipräsidenten Fulvio Pelli den Rücktritt bedeutet hätte. Die Partei entschied allerdings, dass Pelli als Parteipräsident der FDP Schweiz erneut für die Kandidatur zugelassen werden sollte.

Überblick Eidgenössische Wahlen 2011

Die Resultate der Ständeratswahlen standen erst Ende November nach einer rekordhohen Anzahl zweiter Wahlgänge (13) fest. Auch hier musste die SVP eine Niederlage einstecken. Ihr Ziel, mit grossen, polarisierenden Namen einen von den Medien kolportierten „Sturm aufs Stöckli“ anzutreten, misslang, und die Volkspartei musste im Vergleich zu 2007 sogar den Verlust von zwei Sitzen in der kleinen Kammer verkraften (neu: 5 Sitze), wobei der eine der beiden bereits 2008 durch die Abspaltung der BDP verlustig gegangen war. Das gleiche Schicksal eines Verlustes von zwei Sitzen ereilte die CVP, die allerdings mit 13 Ständeräten die stärkste Kraft in der kleinen Kammer bleibt. Gewinnerin der Ständeratswahlen war die SP, die mit zwei zusätzlichen Sitzen auf die gleiche Anzahl Sitze kommt wie die FDP, die einen Sitz verlor (neu: 11 Sitze). Die GLP konnte ihre beiden Sitze, die sie seit 2007 (ZH) bzw. seit 2010 (UR) innehatte, verteidigen. Auch die BDP konnte ihr Berner Mandat, das sie seit 2008 dank der Abspaltung von der SVP besitzt, halten. Die Grünen konnten die Angriffe auf ihre beiden bei den letzten Wahlen erstmals gewonnenen Sitze in der kleinen Kammer ebenfalls abwehren. In den Ständerat gewählt wurde zudem der Schaffhauser Parteilose Thomas Minder, der sich als Initiant der Abzocker-Initiative einen Namen gemacht hatte und sich – nachdem er von der GLP eine Absage erhalten hatte – der Fraktion der SVP anschloss.

Die Wahlbeteiligung nahm gegenüber 2007 erneut leicht zu und lag bei 48,5%. Zwar ging damit immer noch mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten nicht an die Urnen, insgesamt hatten aber mit 2'485'403 Personen anzahlmässig noch nie so viele Schweizerinnen und Schweizer seit Beginn des Bundesstaates von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht wie 2011. Damit war die Wahlbeteiligung zum vierten Mal hintereinander (seit 1999) angestiegen; im Vergleich zu 2007 (48,3%) allerdings nur schwach. Die mittlere Wahlbeteiligung für die elf zweiten Wahlgänge für den Ständerat – zwei der total 13 zweiten Umgänge waren stille Bestätigungen – lag bei 43,8%. Dies war im Vergleich zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung bei den zweiten Wahlgängen 2007, die in fünf Kantonen nötig waren, ebenfalls leicht höher (43,3%).

Zum ersten Mal seit Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 nahm der Frauenanteil im Nationalrat ab und zwar von 29,5% auf 29,0% (-1 Sitz). Von den 200 Gewählten waren 58 Frauen. Auch im Ständerat war der Frauenanteil rückgängig; nach 2007 zum zweiten Mal in Folge. In der kleinen Kammer sassen noch neun Frauen, was einem Anteil von 19,5% entspricht (2007: 21,7%). Insgesamt sind damit im Parlament 67 der 246 Sitze von Frauen besetzt (27,2%; 2007: 28%).

Bei den Nationalratswahlen vom 23. Oktober 2011 mussten die grossen Parteien Verluste hinnehmen. Wahlsiegerinnen waren die kleinen Mitteparteien GLP und BDP, die beide je 5,4% der Wahlbevölkerung von sich überzeugen konnten. Die GLP ist neu mit zwölf und die BDP mit neun Sitzen im Nationalrat vertreten. Zum ersten Mal seit 1991 musste die SVP einen Dämpfer hinnehmen. Zwar legte sie in einigen Kantonen im Vergleich zu den Wahlen 2007 an Wähleranteilen zu, verlor aber insgesamt 2,3 Prozentpunkte und kam gesamtschweizerisch neu auf 26,6%, was 54 Sitzen in der grossen Kammer entspricht. Die Verluste der SP hielten sich – nachdem sie 2007 fast vier Prozentpunkte eingebüsst hatte – mit minus 0,8 Prozentpunkten in Grenzen. Neu wissen die Sozialdemokraten 18,7% der Wählerschaft hinter sich, die sie mit 46 Sitzen vertreten. Dank Proporzglück konnte die SP, trotz tieferer Wählerstärke, drei Sitze hinzugewinnen. Der Niedergang der beiden Traditionsparteien FDP und CVP konnte auch 2011 nicht aufgehalten werden. Beide mussten einen historischen Tiefstand in ihrem Wähleranteil seit Einführung des Proporzwahlrechts (1919) hinnehmen. Der Freisinn hielt dank der Fusion mit der Liberalen Partei (LPS) die Verluste mit -0,7 Wählerprozentpunkten allerdings in Grenzen (neu: 15,1%). Er verlor in der grossen Kammer lediglich einen Sitz (neu: 30 Sitze) und verfügt damit über zwei Sitze mehr als die CVP, die drei Sitze und 2,2 Prozentpunkte verlor (neu: 28 Sitze; 12,3%). Die Grünen hatten auch unter der Konkurrenz der GLP zu leiden und verloren 1,2 Prozentpunkte. Das Proporzglück, von dem die GPS 2007 profitiert hatte, wandelte sich bei den diesjährigen Wahlen in Proporzpech, was sich in einem Verlust von fünf Sitzen manifestierte (neu: 15 Sitze). Bei den kleineren Parteien gehörten die Lega und der MCR zu den Gewinnerinnen. Während die Tessiner Rechtspartei einen Sitz gewinnen konnte und mit einem nationalen Wähleranteil von 0,8% (+0,2 Prozentpunkte) neu zwei Mandate in Bern hält, nimmt das nur in den Kantonen Genf und Waadt angetretene Mouvement Citoyens Romand mit 0,4 Wählerprozenten zum ersten Mal mit einem Mandat in Bern Einsitz. Ihre Sitze halten konnte die EVP (2 Sitze, 2%). Nicht mehr im Parlament vertreten ist die CSP. Die CSP-Obwalden, die ein Mandat gewinnen konnte, gehört offiziell nicht der CSP Schweiz an, sondern gilt als regionale Gruppierung. Sie hat sich der CVP-Fraktion angeschlossen. Ihren jeweiligen Sitz verloren haben auch die Polparteien EDU und PdA. Insgesamt wurde das Wahlergebnis als Stärkung der Mitte und als Ende der Polarisierung interpretiert. Gleichzeitig kam es aber auch zu einer Zersplitterung der Mitte.

Resultate Nationalratswahlen 2011 (nach Parteien)

Zum ersten Mal seit 1991 konnte die SVP nicht mehr an Wählerprozenten zulegen. Ihr Wähleranteil brach im Gegenteil gesamtschweizerisch von 28,9% (2007) auf 26,6% ein, was ihr insgesamt 54 Mandate einbrachte. Im Vergleich zu den Wahlen 2007 kam dies einem Minus von acht Sitzen gleich. Allerdings waren der Volkspartei aufgrund der Abspaltung der BDP bereits im Laufe der Legislatur vier Sitze verlustig gegangen (je zwei in Bern und in Graubünden). Aufgrund des Übertritts von Nationalrat Thomas Müller (SG) von der CVP zur SVP hielt die Partei vor den Wahlen also 59 Mandate. Der unmittelbare Sitzverlust betrug somit fünf Sitze. Leicht zulegen konnte die SVP in einigen Westschweizer Kantonen, im Tessin und / oder in jenen Kantonen, in denen die BDP nicht antrat (AR, SH, NW, OW, TI, VS, VD, JU). Ausnahme von diesem Muster bildete Genf wo das Mouvement Citoyens Romand (MCR) einen Teil der Stammwählerschaft der SVP für sich gewinnen konnte. Trotz der Verluste blieb die SVP aber die mit Abstand stärkste Partei im Nationalrat.

Zweitstärkste Partei blieb die SP, die im Vergleich zu 2007 0,8 Prozentpunkte an Wählerinnen und Wählern einbüsste. Mit 18,7% Wähleranteil erzielte sie das drittschlechteste Resultat ihrer Geschichte. Dank Proporzglück konnte die SP aber im Vergleich zu 2007 dennoch drei Sitzgewinne verzeichnen. Dieser Gewinn ist umso eindrücklicher, wenn bedacht wird, dass die Sozialdemokraten im Verlauf der Legislatur zwei Sitze verloren hatten: Der Glarner Sitz ging nach dem Rücktritt von Werner Marti (2009) an die BDP und mit dem Parteiaustritt von Ricardo Lumengo (BE) ging der SP 2010 ein weiterer Sitz verlustig. Im Vergleich zur letzten Session vor den Wahlen konnten sich die Sozialdemokraten also sogar über den Gewinn von fünf Sitzen freuen. Wichtige Wählergewinne konnte die SP insbesondere in den Kantonen Freiburg (+4 Prozentpunkte), Waadt (+ 3,2 Prozentpunkte) und St. Gallen (+2 Prozentpunkte) verbuchen. Allerdings war der Wähleranteil in nicht weniger als 14 Kantonen rückläufig.

Zu den grossen Gewinnerinnen der Nationalratswahlen 2011 gehörten die BDP und die GLP. Beide konnten gesamtschweizerisch jeweils 5,4% der Wählerschaft von sich überzeugen. Die GLP erhielt dabei zwölf und die BDP neun Mandate. Im Vergleich zu 2007 bedeutete dies für beide Parteien den Gewinn von neun Sitzen. Freilich war die BDP aufgrund der Abspaltung von der SVP bereits vor den Wahlen mit fünf Sitzen in der grossen Kammer (je 2 Sitze aus Bern und Graubünden und 1 Sitz aus Glarus) vertreten. Die Gewinne der beiden neuen Mitteparteien gingen auch auf Kosten der beiden traditionellen bürgerlichen Parteien.

Der Wähleranteil der CVP ging gesamtschweizerisch von 14,5% auf 12,3% zurück. Das ist das schlechteste Resultat für die CVP seit der Einführung der Proporzwahlen 1919. Damit einher ging – verglichen mit 2007 – ein Verlust von drei Sitzen. Neu kam die CVP auf 28 Sitze, wobei sie aufgrund des oben erwähnten Parteiwechsels von Thomas Müller unmittelbar vor den Wahlen nur noch über 30 Sitze verfügt hatte.

Die Verluste der FDP hielten sich in Grenzen. Der Wähleranteil von 15,1% war lediglich 0,7 Prozentpunkte tiefer als nach den Wahlen 2007, Verglichen mit den letzten Wahlen verlor die FDP damit einen Sitz und kam neu auf 30 Mandate. Allerdings profitierte der Freisinn von der Fusion mit der LPS (in VS, NE und GE). Dank dieser Fusion konnte sich die FDP vor allem in der Westschweiz verbessern. Im Kanton Neuenburg etablierte sie sich als stärkste Partei. Noch keine Fusion gab es zum Zeitpunkt der Wahlen in den Kantonen Waadt und Basel-Stadt. Trotzdem konnte die FDP auch in diesen Kantonen zulegen. Die LPS büsste in diesen beiden Kantonen hingegen jeweils 2,3 Prozentpunkte ein, konnte damit jedoch ihren Sitz im Kanton Waadt verteidigen. Der Sitz von Fathi Derder wird seit der Fusion 2012 offiziell allerdings der FDP zugerechnet.

Zu den Verlierern der Wahlen 2011 gehörten auch die Grünen. Bei den letzten Wahlen 2007 konnten sie ihren Wähleranteil nicht nur fast verdoppeln, sondern hatten auch viel Proporzglück. Dieses wendete sich 2011 allerdings in Proporzpech. Die GP verlor 1,2 Prozentpunkte und kam neu auf 8,4% Wählerstimmenanteil, was freilich immer noch zweitbestes Resultat in der jungen Geschichte der Grünen Partei darstellt. Allerdings hatten die Grünen den Verlust von fünf Sitzen zu beklagen (neu: 15 Sitze).

Die EVP konnte trotz leichten Wählerverlusten (-0,4 Prozentpunkte, neu: 2%) ihre beiden Mandate in den Kantonen Zürich und Bern halten. Die CSP, die als eigenständige Partei nur in den Kantonen Zürich Freiburg und Wallis angetreten war, musste ihren seit 1991 gehaltenen Freiburger Sitz abgeben. Gesamtschweizerisch kamen die Christlichsozialen noch auf 0,3% Wähleranteil (-0,1 Prozentpunkte). Die CSP-Obwalden zählt sich nicht zur CSP Schweiz.

Die kleinen linken Polparteien, die in vielen Kantonen als Alternative Linke auftraten, konnten den ursprünglichen PdA-Sitz des zurückgetretenen Josef Zysiadis (VD) nicht halten und sind im Nationalrat nicht mehr vertreten. Die gesamtschweizerischen 0,8% Wähleranteil (-0,3 Prozentpunkte; inkl. Sol.) der linken Gruppierungen reichten nicht mehr für einen Sitz. Auch die seit 1991 in der grossen Kammer vertretene EDU musste – obwohl sie ihren Wähleranteil bei 1,3% halten konnte – ihren Sitz abgeben. Am rechten Rand zugelegt hatten dafür zwei regionale Parteien: die LEGA holte im Kanton Tessin 17,5% Wähleranteile (+3,5 Prozentpunkte), was zum Gewinn eines weiteren Sitzes reichte (neu: 2 Sitze) und einer gesamtschweizerischen Stärke von 0,8% entsprach (+0,2 Prozentpunkte). Der in den Kantonen Genf und Waadt antretende Mouvement Citoyens Romand (MCR) kam auf eine nationale Parteienstärke von 0,4% und eroberte in Genf, wo die Bewegung 9,8% der Wählerschaft auf sich vereinen konnte (+7,3 Prozentpunkte), einen Sitz und war somit erstmals im Nationalrat vertreten. Die SD, die ihren Sitz 2007 verloren hatte, konnte diesen mit 0,2% Wählerstimmenanteil nicht zurückerobern (2007: 0,5%). Die kurz vor den Wahlen, aufgrund des Parteiaustritts von Ricardo Lumengo gegründete und nur im Kanton Bern antretende SLB (Sozio-liberale Bewegung) hatte keine Chance, ihren Sitz zu verteidigen.

Der Ausgang der Wahlen wurde in der Presse als Zeichen für ein Ende der Polarisierung und als Stärkung einer neuen Mitte interpretiert. Abhängig von der Zuteilung der Parteien zu den drei Blöcken Rechts (SVP, SD, EDU, Lega, MCR), Mitte (CVP, FDP, GLP, BDP, LPS, EVP, CSP) und Links (SP, GP, AL) können tatsächlich Verschiebungen hin zur Mitte festgestellt werden. Das rechte Lager erzielte 2011 einen Stimmenanteil von 29,3%, was im Vergleich zu 2007 einer Abnahme von 2,1 Prozentpunkten entspricht. Das links-grüne Lager musste im Vergleich zu den letzten nationalen Wahlen einen Rückgang von 2,3 Prozentpunkten in Kauf nehmen (neu: 27,9%). In den letzten 30 Jahren hatte Links-Grün nur 1971 (25,9%) und 1991 (27,5%) noch schlechter abgeschnitten. Die Mitte konnte dank den Gewinnen von BDP und GLP um 4,1 Prozentpunkte zulegen und kam neu auf 40,5% Wähleranteile. Ein Vergleich der drei Sprachregionen zeigt allerdings unterschiedliche Erfolge und Anteile der drei Blöcke. In der Deutschschweiz waren die Verschiebungen markanter als in der gesamten Schweiz (Links: 25,7%, -3 Prozentpunkte; Rechts: 31,1%, -3,7 Prozentpunkte; Mitte: 40,6%, +5,6 Prozentpunkte). In der Westschweiz waren die Verluste von Links (37,1%, -0,8 Prozentpunkte) und die Gewinne der Mitte (38,6%, +0,8 Prozentpunkte) etwas geringer, während das rechte Lager in der französischen Schweiz sogar noch etwas zulegte (22,9%, +0,7 Prozentpunkte). In der italienischsprachigen Schweiz gewannen Rechts (27,2% +4,1 Prozentpunkte) und Links (24,8%, +0,5 Prozentpunkte) und die Mitte verlor sogar sieben Prozentpunkte (44,7%). Zum ersten Mal überhaupt vertrat das rechte Lager im Tessin mehr als einen Viertel der Wählerschaft und wusste die Mitte weniger als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hinter sich.