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In der Wintersession 2022 stimmte der Nationalrat erstmals über eine parlamentarische Initiative Kessler (glp, SG) ab, welche eine Übertragung des Mutterschaftsurlaubs auf hinterbliebene Väter vorsieht, sollte die Mutter während des 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs versterben. Im Vorfeld hatte die SGK-NR einen Entwurf in die Vernehmlassung geschickt, der forderte, dass nach dem Ableben der Mutter oder des Vaters unmittelbar nach der Geburt eines Kindes der Elternurlaub des verstorbenen Elternteils dem verbleibenden Elternteil zusätzlich zum bereits bestehenden Urlaub gewährt werden solle. In der Vernehmlassung wurde die Übertragung des Vaterschaftsurlaubs auf die Mutter von den Kantonen Nidwalden und St. Gallen lediglich unter Vorbehalt akzeptiert, unter anderem da die Regelung solcher Einzelfälle mehrheitlich den Sozialpartnern überlassen sein sollte. Bei der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden, darunter 22 Kantone, alle stellungnehmenden Parteien oder etwa die FER und der SGB, stiess der ursprüngliche Entwurf im Grunde jedoch auf Anklang. Mit dem SAV und dem SGV lehnten zwei Sozialpartner den Entwurf gänzlich ab, ebenso wie der Kanton Thurgau. Bei der Ausgestaltung der Urlaube zeigten sich die Vernehmlassungsteilnehmenden gespalten. So sprachen sich sowohl die Kantone Appenzell-Innerrhoden, Glarus, Schaffhausen und Uri als auch die SVP und GastroSuisse gegen die Kumulation des Mutter- und Vaterschaftsurlaubs im Todesfall der Mutter oder des anderen Elternteils aus. Die Kantone Graubünden und Zug sowie die FDP sahen lediglich bei der Übertragung des Vaterschaftsurlaubs auf die hinterbliebene Mutter vom Mehrheitsantrag der SGK-NR ab. Der Kanton Aargau dagegen stellte sich gegen eine Kumulation von Mutter- und Vaterschaftsurlaub im Falle des Ablebens der Mutter. Die Mehrheit der SGK-NR entschied sich in Anbetracht der Ergebnisse der Vernehmlassung mit 17 zu 0 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) dazu, auf den Anspruch auf einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub bei Ableben des Vaters zu verzichten und lediglich beim Tod der Mutter dem verbliebenen Elternteil den 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub zu gewähren.

Über die nachträgliche Änderung am Entwurf nicht erfreut zeigten sich im Nationalrat zwei Minderheiten: Der erste Minderheitsantrag Mettler (glp, BE) forderte eine Berufung auf die ursprüngliche Vernehmlassungsvorlage und zielte somit darauf ab, den Anspruch auf den Vaterschaftsurlaub zu bewahren. Des Weiteren solle bei Ableben der Mutter der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub nicht gänzlich erlöschen, sondern mit dem übertragenen Mutterschaftsurlaub kumuliert werden. Noch weiter ging der Minderheitsantrag Flavia Wasserfallen (sp, BE), welcher forderte, dass der hinterbliebene Elternteil – egal ob Vater oder Mutter – insgesamt 20 Wochen Elternurlaub erhalten solle. Der Bundesrat beantragte dem Nationalrat, dem Minderheitsantrag Mettler Folge zu leisten, da dieser die Forderungen der parlamentarischen Initiative am besten zur Geltung bringe. Dieser erste Minderheitsantrag konnte sich gegenüber dem Mehrheitsantrag mit 112 zu 76 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) behaupten, wobei sich lediglich die geschlossenen SVP- und FDP-Fraktionen für den Vorschlag der Kommissionsmehrheit aussprachen. Auch bei der Gegenüberstellung der Minderheitsanträge Mettler und Flavia Wasserfallen nahm der Nationalrat mit 122 zu 69 (bei 2 Enthaltungen) ersteren an, während der Minderheitsantrag Flavia Wasserfallen lediglich auf die Unterstützung der geschlossenen SP- und Grünen-Fraktionen zählen konnte. In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer den so abgeänderten Entwurf auf Antrag des Bundesrats mit 171 zu 1 Stimme (bei 20 Enthaltungen) an.

Mutterschaftsurlaub für hinterbliebene Väter (Pa.Iv. 15.434)

In der Wintersession 2022 folgte der Ständerat seiner Kommission und gab der Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt für eine baldige Einführung und Umsetzung der Individualbesteuerung auf Bundes- und Kantonsebene stillschweigend keine Folge. Bereits Anfang Jahr hatten die beiden Kommissionen über die verschiedenen, in der Auslegeordnung des Bundesrats enthaltenen Möglichkeiten der Ehe- und Familienbesteuerung diskutiert und sich für ein modifiziertes Ecoplan-Modell mit Haushaltsabzug ausgesprochen.

Baldige Einführung und Umsetzung der Individualbesteuerung (Kt.Iv. BS 21.317)
Dossier: Réforme de l’imposition du couple et de la famille depuis 2000 – Imposition commune ou imposition individuelle?
Dossier: Tentatives d'introduction de l'imposition individuelle

Im Rahmen der Bundesratswahlen 2022 kam es auch zu ausführlichen Diskussionen um die Vertretung der Regionen, die sich vorab um die sehr unterschiedliche bisherige Zahl an Bundesratsmitgliedern aus den verschiedenen Kantonen drehte. Vor den Ersatzwahlen 2022 wurde die Rangliste vom Kanton Zürich mit bisher 20 Vertreterinnen und Vertretern in der Landesregierung angeführt, gefolgt vom Kanton Waadt mit 15 und dem Kanton Bern mit 14 Vertrenden. Noch nie im Bundesrat vertreten waren bis dahin die Kantone Jura, Nidwalden, Schaffhausen, Schwyz und Uri.
Seit der entsprechenden Abstimmung im Februar 1999 spielt die Kantonsklausel allerdings keine Rolle mehr. Bis damals war es nicht möglich gewesen, dass zwei Regierungsmitglieder aus dem gleichen Kanton stammten. Unklar war hingegen seit je her, wie die Kantonszugehörigkeit genau definiert wird: durch den Wohnkanton oder den Bürgerkanton; und aus welchem Kanton stamnen verheiratete Frauen, die über mehrere Heimatrechte verfügten? So war etwa Ruth Dreifuss im Kanton Aargau heimatberechtigt, hatte aber dem Berner Stadtrat angehört und ihre Papiere kurz vor ihrer Wahl nach Genf verlegt. Bei der Diskussion um die Kantonszugehörigkeit eines Bundesratsmitglieds stellt sich überdies die Frage, ob Mitglieder der Landesregierung effektiv für «ihren» Kanton lobbyieren, wenn sie im Bundesrat sitzen. Nichtsdestotrotz war die Kantonszugehörigkeit der verschiedenen Kandidierenden recht laute mediale Begleitmusik der Bundesratsersatzwahlen 2022. Ob bei den Diskussionen um eine mögliche Nichtvertretung des Kantons Zürich bei der Kandidierendensuche der SVP, um lange Zeit untervertretene Kantone bei der Bewerbung von Heinz Tännler (ZG, svp) oder Eva Herzog (sp, VS), um Kandidierende aus Kantonen, die gar noch nie im Bundesrat vertreten waren bei den Kandidaturen von Michèle Blöchliger (NW, svp) oder Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU), um die sich verändernden Chancen der Berner-SVP-Kandidaturen nach dem Rücktritt der Berner Bundesrätin Simonetta Sommaruga: Stets wurde dem Herkunftskanton Relevanz zugesprochen.

Für Diskussionen sorgte freilich auch die Vertretung der Sprachregionen. Dass es nach 1917 zum zweiten Mal in der Geschichte zu einer Mehrheit von nicht-deutschsprachigen Magistratinnen und Magistraten kommen könnte bzw. kam, wurde vor und nach den Ersatzwahlen vor allem von der FDP kritisiert. Die Freisinnigen forderten, dass dies nur für «eine kurze Übergangszeit» so bleiben dürfe. Diese Entscheidung obliege der Bundesversammlung, erwiderte SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (sp, VD). Die Schweiz gehe nicht unter, nur weil es keine deutschsprachige Mehrheit im Bundesrat gebe.

Das am meisten und nach den Ersatzwahlen vor allem in den Deutschschweizer Medien mit einiger Heftigkeit diskutierte Thema war dann freilich die Untervertretung der «urbanen Schweiz». Der Tages-Anzeiger sprach in seiner Online-Ausgabe davon, dass «dieser Mittwoch kein guter Tag für die Schweiz» gewesen sei. 70 Prozent der Bevölkerung und die «Fortschrittsmotoren» Zürich und Basel seien nun untervertreten. Offen forderte die Zeitung den baldigen Rücktritt von Alain Berset und Guy Parmelin, damit das Parlament dies nach den eidgenössischen Wahlen 2023 wieder korrigieren könne. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass hinsichtlich Finanzausgleich lediglich noch «Nehmerkantone» in der Regierung vertreten seien. Andrea Caroni (fdp, AR) gab dem St. Galler Tagblatt zu Protokoll, dass er Angst habe, dass die «erhebliche sprachliche und geographische Schlagseite» im Bundesrat die Bundesverfassung strapaziere. Die Aargauer Zeitung sprach von einer «Ballenberg-Schweiz», die jetzt dominiere, obwohl eine «urbane Sichtweise» nötig wäre. Die Millionen Menschen, die in städtischen Räumen lebten, seien nun ohne Stimme in der Landesregierung, die mehr «Zerrbild als Abbild» sei, kritisierte erneut der Tages-Anzeiger. In ebendieser Zeitung befürchtete Hannes Germann (svp, SH) schliesslich, dass das Parlament «ein Chaos angerichtet» habe, weil dieses «krasse Ungleichgewicht» unschweizerisch sei.
Für die WoZ stellte dies aber aus städtischer Sicht kein Problem dar, da wesentlich wichtiger sei, welche unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen vertreten seien. Noch pragmatischer urteilten die Westschweizer Medien. Mauro Poggia (mcg, GE) brachte diese Haltung in La Liberté auf den Punkt: Er habe Vertrauen in die Intelligenz der Personen in der Landesregierung: «Ce n'est pas parce qu'on est d'origine paysanne qu'on ne pense pas aux villes.» Die Erfahrung, selber einmal zur Minderheit zu gehören, könne der Deutschschweiz vielleicht auch guttun, zitierte der Blick den Chefredaktor seiner Romandie-Ausgabe. Auch Alain Berset meldete sich zu Wort: Er könne kein Problem erkennen, weil die Menschen heute so mobil seien, dass sie sich nicht mehr in Schablonen wie Stadt und Land pressen liessen. Die Vernetzung sei so gross, dass die regionale Herkunft kaum mehr eine Rolle spiele.

Diskussionen um die Vertretung der Regionen im Rahmen der Bundesratswahlen 2022

Im Herbst 2022 befasste sich die WBK-SR im Rahmen mehrerer Sitzungen mit zwei Standesinitiativen zur Assoziierung der Schweiz an das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe (Kt.Iv. 21.327 und Kt.Iv. 21.328).
In ihrer ersten Sitzung Ende August 2022 kam die Kommission aufgrund eines Gesprächs mit SBFI-Direktorin Martina Hirayama zum Schluss, dass diese angestrebte Assoziierung in naher Zukunft nicht realistisch sei und aufgrund der voranschreitenden Zeit – viele Forschungsprojekte des Rahmenprogramms sind bereits gestartet – auch immer weniger attraktiv werde. Die Kommission beschloss daher mit 10 zu 1 Stimmen (bei 1 Enthaltung), stattdessen in Umsetzung der beiden Standesinitiativen gesetzliche und finanzielle Grundlagen zur Stabilisierung des Forschungsstandorts Schweiz zu erarbeiten. Konkret solle die Bundesverwaltung einen Gesetzesentwurf für die Schaffung eines bis 2027 befristeten Fonds ausarbeiten, mit welchem die internationale Forschungszusammenarbeit und die Förderung der wissenschaftlichen Exzellenz der Schweizer Forschung finanziert werden.
An ihrer zweiten Sitzung im Oktober 2022 beschloss die WBK-SR mit einem Stimmenverhältnis von 12 zu 1, den von der Bundesverwaltung zwischenzeitlich ausgearbeiteten Vorentwurf zur Umsetzung der beiden Standesinitiativen in die Vernehmlassung zu schicken. Aus verfahrenstechnischen Gründen entschied die Kommission ausserdem, der ähnlich gelagerten und bislang sistierten Standesinitiative des Kantons Genf (Kt.Iv. 21.320) keine Folge zu geben.
Im Rahmen ihrer Sitzung vom 4. November 2022 lancierte die Kommission sodann die Vernehmlassung. Gemäss den Vernehmlassungsunterlagen sollen mit dem sogenannten Horizon-Fonds-Gesetz nicht zusätzliche Mittel gesprochen, sondern die bereits gesprochenen Gelder für die Schweizer Forschung gesichert werden. Auch ist vorgesehen, dass allfällige Kreditreste im Fonds verbleiben. Das Gesetz soll dringlich erklärt werden und beim Abschluss eines Abkommens mit der EU oder spätestens Ende 2027 auslaufen.

Drei Standesinitiativen zum Forschungsprogramm Horizon Europe (Kt. Iv. GE 21.320; Kt. Iv. BL 21.327; Kt. Iv. BS 21.328) & Horizon-Fonds-Gesetz
Dossier: Erasmus et Horizon

Im Juni 2022 verabschiedete die RK-NR drei separate Entwürfe für die Umsetzung von insgesamt vier parlamentarischen Initiativen betreffend das Mietrecht zuhanden ihres Rates. Vorlage 1 (Untermiete) setzte eine Initiative Egloff (svp, ZH; Pa.Iv. 15.455) um. Vorlage 2 (Formvorschriften) setzte gleich zwei Initiativen um, nämlich eine Initiative Vogler (csp, OW; Pa.Iv. 16.458) und eine Initiative Feller (fdp, VD; Pa.Iv. 16.459).
Die dritte Vorlage zur Kündigung wegen Eigenbedarfs ging derweil auf eine Initiative von Giovanni Merlini (fdp, TI) zurück, welche eine Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf gefordert hatte. Der von der RK-NR ausgearbeitete Entwurf umfasste drei Änderungen im OR. Die erste Änderung sah vor, dass eine Kündigung vorgenommen werden kann, wenn die Vermieterschaft nach «objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht». Bis dato musste ein «dringender Eigenbedarf» geltend gemacht werden. Dringlichkeit zu beweisen sei mit der aktuellen Rechtsprechung eine zu hohe Hürde, so die Mehrheit der Kommission. Die zweite Änderung übertrug die gleiche Formulierung auf die Regeln der Anfechtung von Kündigungen durch die Vermieterschaft. Die dritte Änderung strich die «Dringlichkeit» des Eigenbedarfs aus den Kriterien, nach welchen Behörden über eine von der Mieterschaft beantragte Erstreckung des Mietverhältnisses entscheidet. Hingegen umfasste der Entwurf keine Änderung der ZPO. Merlini hatte seinen Initiativtext diesbezüglich so formuliert, dass sein Anliegen mit einer Änderung von OR «und/oder» ZPO umgesetzt werden solle.

Die RK-NR hatte ihren Entwurf, zusammen mit den anderen beiden Vorlagen, im September 2021 in die Vernehmlassung geschickt. Bis zum Ablauf der Frist gingen 49 Stellungnahmen ein, wovon 16 positiv ausfielen. Die Hälfte der teilnehmenden Kantone (BE, BS, GR, OW, SO, VD), eine Mehrheit der Parteien (FDP, SP, Grüne) sowie eine Mehrheit der Verbände (unter anderem SGB, SSV, SMV und HEV) lehnten die Änderungen ab. Die ablehnenden Stellungnahmen wurden laut der Kommission unterschiedlich begründet. Eine Seite bemängelte eine Reduktion des Mieterschutzes, die andere Seite insbesondere das Fehlen beschleunigender Verfahrensregeln in der ZPO. Die RK-NR nahm die Vernehmlassungsantworten zur Kenntnis, beschloss jedoch in der Gesamtabstimmung mit 14 zu 9 Stimmen, den Entwurf ohne Änderungen dem Rat zu unterbreiten.

Mitte Oktober 2022 nahm der Bundesrat Stellung zum Entwurf. Er erachtete diesen als kritisch, da er die Stellung von Vermieterinnen und Vermietern auf Kosten von Mieterinnen und Mietern stärke. Das geltende Recht basiere aber auf einer im Rahmen einer grösseren Revision erfolgten Abwägung der Interessen von Vermietenden und Mietenden, weshalb der Bundesrat der Meinung war, dass nicht in dieses «diffizile Gleichgewicht eingegriffen werden sollte». Er sehe zudem keine Not, das Recht anzupassen, da dieses gut funktioniere, was etwa auch die hohen Einigungsquoten vor den Schlichtungsbehörden zeigten. Nicht zuletzt gelte es, auch die Vernehmlassungsantworten zu berücksichtigen. Die Polarisierung in der Vernehmlassung spreche gegen eine Anpassung der Regelungen zum Eigenbedarf.

Verfahrensbeschleunigung bei Kündigung des Mietverhältnisses wegen dringendem Eigenbedarf (Pa.Iv. 18.475)

Im Juli 2021 – wenige Monate nach der Lancierung der Eidgenössischen Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung – reichte der Kanton Basel-Stadt eine Standesinitiative ein, mit der er eine baldige Einführung und Umsetzung der Individualbesteuerung auf Bundes- und Kantonsebene verlangte. Das Steuerrecht müsse in Anbetracht der «neuen Gleichstellungsbewegung» und des gesellschaftlichen Diskurses dringend «einen Schritt vorwärts» machen, zumal die Individualbesteuerung «der Frau als Erwerbstätige[r] endlich die gleiche Eigenständigkeit» zugestehe wie dem Mann. Den ersten Schritt müsse jedoch das Bundesparlament machen.
Die WAK-SR beantragte im Oktober 2022 mit 9 zu 4 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben. Das Parlament habe den Bundesrat bereits mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Botschaft betraut, dieser habe eine Vernehmlassungsvorlage bis Ende 2022 versprochen. Man lehne parallele Aktivitäten des Parlaments ab, erklärte die Kommissionsmehrheit.

Baldige Einführung und Umsetzung der Individualbesteuerung (Kt.Iv. BS 21.317)
Dossier: Réforme de l’imposition du couple et de la famille depuis 2000 – Imposition commune ou imposition individuelle?
Dossier: Tentatives d'introduction de l'imposition individuelle

Bereits im Juni 2022 häuften sich die Meldungen, wonach die Krankenkassenverbände eine starke Erhöhung der Krankenkassenprämien für das Jahr 2023 erwarteten. In den letzten drei Jahren hatte der Anstieg der mittleren Prämie maximal 0.5 Prozent betragen, was die Medien als eine Art «Erholungspause» erachteten. Nun war jedoch von einem Anstieg bis zu 10 Prozent die Rede, Santésuisse schrieb von einer «dramatische[n] Kostenentwicklung». Bis Ende September verdichteten sich die Anzeichen auf einen Prämienschock, so dass die Medien die Mitteilung von Gesundheitsminister Berset zur tatsächlichen Erhöhung der mittleren Prämie schon fast mit Erleichterung aufnahmen: Die mittlere Prämie für das Jahr 2023 stieg gegenüber dem Vorjahr um 6.6 Prozent.
Das EDI begründete den Prämienschub hauptsächlich mit der Covid-19-Pandemie: Einerseits hätten 2020 und im ersten Halbjahr 2021 deutlich weniger ärztliche Behandlungen stattgefunden – diese würden seit dem zweiten Halbjahr 2021 nun nachgeholt. Neben diesem «Nachholeffekt» habe die Pandemie selbst aber auch hohe zusätzliche Kosten verursacht, Santésuisse sprach etwa von CHF 250 Mio. für Impfungen, CHF 300 Mio. für stationäre Aufenthalte – bis Ende 2022 wurden gut 60'000 Spitaleintritte mit oder wegen Covid-19 registriert – sowie Zusatzkosten in unbekannter Höhe durch Covid-19-bedingte Arztbesuche.

Die mittlere Prämie stieg in allen Kantonen an, wie üblich gab es jedoch beträchtliche Unterschiede. Am höchsten war der Prämienanstieg in den Kantonen Neuenburg (9.5%), Appenzell Innerrhoden (9.3%) und Tessin (9.2%), am niedrigsten in Basel-Stadt (3.9%), Genf (4.7%) und Glarus (4.8). Besonders erzürnt zeigten sich die Medien in Neuenburg und Tessin, die zusammen mit verschiedenen anderen französischsprachigen Kantonen eine bisher erfolglose Offensive für tiefere Krankenkassenprämien gestartet hatten. Unterschiede gab es erneut auch zwischen den Krankenversicherungen, wobei diese jedoch tiefer zu liegen kamen als in früheren Jahren. Die Medien spekulierten daher, ob die Zeit der Billigkassen nun vorbei sei. Nicht vorbei waren hingegen die Diskussionen zu den Prämienverbilligungen, welche durch den Prämienanstieg erneut Schwung erhielten.

Auch für die Zukunft erwartete das EDI weiterhin einen Anstieg der Gesundheitskosten, der – wie in den Jahren vor der Pandemie – wieder eher auf den «medizinisch-technischen Fortschritt», die steigende Anzahl Gesundheitsleistungen und die Alterung der Gesellschaft zurückzuführen sein werde. Daneben machten die Medien aber zahlreiche weitere Gründe für den Kostenanstieg aus, etwa die starke Gesundheitslobby, die zu passiven Kantone, die zu teuren Medikamente, die zu hohen Verwaltungskosten der Krankenkassen, die zu grosse Anzahl regionaler Spitäler, die zu hohen Löhne verschiedener Ärztinnen und Ärzte, aber auch die zu häufigen medizinischen Konsultationen der Versicherten.
Zwar nicht den Anstieg der Gesundheitskosten, wohl aber denjenigen der Prämien führten die Medien überdies auf den Reserveabbau des Vorjahrs zurück. Dank dem Abbau der Krankenkassenreserven war die mittlere Prämie 2022 erstmals seit Jahren leicht zurückgegangen – und dies obwohl die Gesundheitskosten gemäss einer Schätzung von Santésuisse 2021 um 6.4 Prozent gestiegen waren. Zwar war diese Entlastung inmitten der Pandemie damals breit befürwortet worden, nun fragten sich die Medien jedoch, ob die Reserven nicht besser für grössere Notfälle – wie eben im aktuellen Jahr – aufgespart worden wären. Zwar konnten die Prämien auch in diesem Jahr durch den Abbau von Reserven teilweise gesenkt werden, das EDI betonte jedoch, dass dies aufgrund der von 205 auf 155 Prozent gesunkenen Solvenzquote der Krankenkassen nur beschränkt möglich gewesen sei. Die tiefere Solvenzquote führte das Bundesamt auf Verluste an den Finanzmärkten, steigende Zinsen und höhere Kosten zurück.

Als problematisch wurde der Prämienanstieg insbesondere im Hinblick auf die Teuerung verstanden – zum «Strompreishammer» komme nun also auch noch der «Prämienschock», titelte etwa der Blick. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier nahmen die hohen Krankenkassenprämien denn auch in ihre ausserordentliche Session zum Thema «Kaufkraft» auf und behandelten verschiedene Vorstösse für einen höheren Bundesanteil an den Prämienverbilligungen oder für einen vollständigen Abzug von den Bundessteuern; sie wurden aber allesamt abgelehnt.

Krankenkassenprämien 2023
Dossier: Développement des primes et des coûts de l'assurance maladie (depuis 2010)

Nachdem sich die SGK-NR gegen die vier Standesinitiativen zur Beteiligung des Bundes an den Ertragsausfällen und Mehrkosten von Spitälern und Kliniken während der ersten Covid-19-Welle (Kt.Iv. SH 20.331; Kt.Iv. AG 21.304; Kt.Iv. TI 21.307; Kt.Iv. BS 21.312) ausgesprochen hatte, kamen die Initiativen in der Herbstsession 2022 in den Nationalrat. Eine Minderheit rund um Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) war der Auffassung, dass der Bund in die Pflicht genommen werden sollte, da er während der Pandemie gewisse Eingriffe der Spitäler verboten hatte. Zudem habe er in vergleichbaren Situationen auch beim öffentlichen Ortsverkehr Vergütungen vorgenommen. Kommissionssprecher Christian Lohr (mitte, TG) teilte diese Ansicht indes nicht. Der Bund habe bereits die Finanzierung des grössten Teils der gesundheitlichen Covid-19-Massnahmen übernommen. So sei dieser etwa für Gesundheitskosten in der Höhe von CHF 5 Mrd. aufgekommen. Mit jeweils ungefähr 140 zu 35 Stimmen gab der Nationalrat den Standesinitiativen keine Folge. Einzig die grüne Fraktion sprach sich geschlossen für Folgegeben aus, die anderen Fraktionen votierten geschlossen (GLP-Fraktion) oder grossmehrheitlich dagegen.

Auch der Bund soll für die Spitäler zahlen (St.Iv. 20.331; St.Iv. 21.304; St.Iv. 21.307; St.Iv. 21.312)

Der Nationalrat hatte im März 2022 den Abschreibungsantrag für die parlamentarische Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) für die Einführung eines Stimm- und Wahlrechts für 16-Jährige abgelehnt und seine SPK-NR damit, nachdem er der Initiative im Jahr 2020 Folge gegeben hatte, erneut aufgefordert, eine entsprechende Vorlage auszuarbeiten. Die Kommission legte entsprechend im Herbst einen Entwurf vor, der, wie von der parlamentarischen Initiative vorgeschlagen, die Senkung des passiven Wahlrechts und des Stimmrechts auf 16 Jahre vorsah; gewählt werden können Wahl- und Stimmberechtigte entsprechend des Entwurfs also nach wie vor erst mit 18 Jahren. Trotz Ablehnung einer Minderheit der SPK-NR – der Entwurf wurde mit 13 zu 7 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) angenommen – wurde der Vorschlag für eine Teilrevision der Verfassung (Artikel 136 BV) Mitte September 2022 in die Vernehmlassung gegeben.

In der Zwischenzeit war das Thema auch deshalb in den Medien präsent, weil sowohl im Kanton Zürich als auch im Kanton Bern entsprechende kantonale Vorschläge an der Urne abgelehnt worden waren. Im Kanton Zürich hatten Regierung und Parlament und alle Parteien mit Ausnahme von EDU, FDP und SVP eine Senkung des aktiven (nicht aber passiven) Wahl- und Stimmrechtsalters auf 16 Jahre empfohlen, die Vorlage wurde aber Mitte Mai 2022 mit 64.4 Prozent Nein-Stimmenanteil von der kantonalen Bevölkerung deutlich verworfen. Auch im Kanton Bern wollte die Mehrheit der Stimmberechtigten Ende September 2022 nichts von einer Ausweitung der politischen Rechte auf junge Menschen wissen. Auch hier war die Ablehnung mit 67 Prozent klar; einzig in der Stadt Bern stimmten 59 Prozent der Stimmberechtigten zu. Auch in Bern hatten sich das Parlament sowie alle Parteien mit Ausnahme von EDU, FDP und SVP für eine Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters ausgesprochen – nicht aber die Regierung, die auf das Jahr 2009 verwies, als schon einmal eine ähnliche Initiative an der Urne abgelehnt worden war (damals allerdings noch deutlicher mit 75% Nein-Stimmenanteil).
Weil in den letzten Jahren in den Kantonen Neuenburg (2020: 58.5% Nein), Uri (2021: 68.4% Nein; 2009: 79.9% Nein), Basel-Landschaft (2018: 84.5% Nein) und Basel-Stadt (2009: 72% Nein) die Ausweitung der politischen Rechte auf 16 bis 18-Jährige ebenfalls an der Urne gescheitert war und sich in den Kantonen Genf (2022), Luzern (2021), Schwyz (2021), Waadt (2021), Zug (2021), Jura (2020), St. Gallen (2020), Schaffhausen (2019), Thurgau (2019) und Freiburg (2010) die kantonalen Parlamente gegen entsprechende Vorstösse aus den eigenen Reihen ausgesprochen hatten, können weiterhin lediglich im Kanton Glarus auch Menschen zwischen 16 und 18 Jahren an politischen Entscheidungen teilhaben.

In den Medien gingen die Meinungen zu diesem Thema auseinander: In NZZ-Meinungsbeiträgen wurde es als «diskriminierend und heuchlerisch» bezeichnet, dass «junge Nachwuchspolitiker als Hoffnungsträger» gefeiert würden, sich «Politiker im Pensionsalter» hingegen für eine Wiederwahl rechtfertigen müssten; dies zeige die vermeintliche Stimmung in der Politik, die Jugendlichen mehr Beteiligung einräumen wolle, die aber in Anbetracht der Ablehnung an den kantonalen Abstimmungsurnen von der Stimmbevölkerung nicht geteilt werde. Hinterfragt wurde in der NZZ zudem, ob Jugendliche über «ausreichend Kenntnisse» verfügten, um sich an Abstimmungen und Wahlen zu beteiligen. Weil der Geschichtsunterricht immer stärker abgewertet werde, sei diese Frage zu verneinen, so ein Zürcher EVP-Kantonsrat. Anderer Ansicht war etwa der Blick: Insbesondere die Klimastreiks hätten gezeigt, dass junge Menschen mobilisiert würden, wenn es um Anliegen gehe, die sie interessierten. Auch Le Temps hob die wachsende Zahl an Jugendlichen hervor, die auf die Strasse gingen und sich wohl auch an der Abstimmungs- und Wahlurne äussern würden. Die Westschweizer Zeitung erinnerte zudem daran, dass auch der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts sowie der Senkung des Stimmrechtsalter von 20 auf 18 Jahre eine jahrelange Debatte vorangegangen sei. Zuletzt hätten 1991 mehr als 72 Prozent der Stimmberechtigten der Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters zugestimmt, nachdem 1979 noch eine knappe Mehrheit von 50.1 Prozent diese abgelehnt hatte. Einig war man sich in den Medien freilich darüber, dass die kantonalen Resultate wohl einen eher negativen Einfluss auf die nationale Debatte haben könnten; die NZZ etwa fasste die «Schlappe für die Regierung und das Parlament» in Zürich als «Dämpfer» für ähnliche kantonale und nationale Anliegen auf. Der Berner SVP-Kantonalpräsident Manfred Bühler (BE, svp) wünschte sich im Vorfeld der Berner Abstimmung denn auch, dass möglichst deutliche kantonale Resultate der nationalen Diskussion ein Ende setzen würden.

Allerdings dürften die Diskussionen nicht nur national – die Vernehmlassung für die von der SPK-NR erarbeitete Vorlage war bis Ende 2022 geplant –, sondern auch kantonal weitergehen: Im Kanton Graubünden wird die Stimmbevölkerung über die vom Parlament deutlich gutgeheissene Herabsetzung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre abstimmen und in den Kantonen Aargau, Luzern und Solothurn waren 2022 Unterschriftensammlungen für kantonale Volksinitiativen mit demselben Ziel im Gange. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden wurde zudem das Stimm- und Wahlrechtsalter in der noch nicht zu Ende beratenen Totalrevision der Kantonsverfassung auf 16 Jahre festgesetzt; bleibt dies so, werden auch in diesem Kanton die Stimmberechtigten das letzte Wort in dieser Frage haben. Im Kanton Tessin war ein entsprechender Vorstoss hängig und im Kanton Basel-Stadt hatte das Parlament die Regierung mit dem Entwurf einer entsprechenden Vorlage beauftragt.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Donner le droit de vote à 16 ans

Das Bundesgericht fällte im August 2022 ein Urteil betreffend Härtefallklauseln beim Eigenmietwert. Der Eigenmietwert wird auf selbstbewohntem Wohneigentum erhoben und entspricht dem Betrag, den die Hauseigentümerschaft bei Fremdvermietung durch Mieteinnahmen erwirtschaften würde. Dieser Betrag wird in der Schweiz als Einkommen versteuert. Das Bundesgerichtsverfahren geht auf eine Härtefallregelung beim Eigenmietwert im Tessiner Steuergesetz zurück. Diese Regelung sah vor, dass der steuerbare Eigenmietwert bei Personen mit einem steuerbaren Vermögen von weniger als CHF 500'000 höchstens 30 Prozent der Bareinkünfte betragen darf. Damit sollten Personen entlastet werden, welche im Verhältnis zum Geldeinkommen hohe Steuern auf den Eigenmietwert zahlen müssen und dadurch in Liquiditätsschwierigkeiten kommen. Dies könnten beispielsweise Rentnerinnen und Rentner sein, die zwar ein Haus besitzen, aber kein hohes Geldeinkommen haben. Gegen diese Regelung hatten zwei Tessiner SP-Kantonsräte Beschwerde eingereicht. Das Bundesgericht gab ihnen nun Recht. Das Richtergremium kam in seinem Urteil zum Schluss, dass die Härtefallbestimmungen die durch den Eigenmietwert angestrebte Rechtsgleichheit zwischen Mieterinnen und Mietern und Wohneigentümerinnen und Wohneigentümer verletze. Der Eigenmietwert dürfe deshalb nur an die marktübliche Miete gekoppelt sein und die Kantone müssten mindestens 60 Prozent des marktüblichen Mietzinses als Eigenmietwert festlegen. Härtefallregelungen blieben gemäss NZZ zwar zulässig, aber nur wenn der Eigenmietwert auch mit ihnen in jedem Fall mindestens 60 Prozent der Marktmiete beträgt.
Neben dem Kanton Tessin kennen noch acht weitere Kantone ähnliche Härtefallregelungen. Gestützt auf eine Zusammenstellung des Bundes vom Herbst 2021 berichtete die NZZ, dass die Härtefallregelungen von zwei der acht Kantone (LU und SG) eine Bestimmung enthalten, wonach der Eigenmietwert auch mit Sonderabzug nicht unter 60 Prozent der Marktmiete fallen darf. Die anderen sechs Kantone (GE, GR, OW, SH, VD, ZH) müssten ihre Härtefallregelungen nun aufgrund des Bundesgerichtsurteils wohl anpassen, so die NZZ. Im Übrigen ist die Härtefalllösung auch auf Bundesebene als mögliche Variante für die Umsetzung einer parlamentarischen Initiative zu einem Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung (Pa.Iv. 17.400) im Gespräch.

Bundesgerichtsurteil betreffend Härtefallklauseln beim Eigenmietwert

Gleich vier Standesinitiativen verlangten eine bessere Vereinbarkeit von Mutterschaft und Parlamentsmandat. Die Kantone Zug (Kt.Iv. 19.311), Basel-Landschaft (Kt.Iv. 20.313), Luzern (Kt.Iv. 20.323) und Basel-Stadt (Kt.Iv. 21.311) beanstandenden, dass eine Frau laut geltendem Recht ihre Mutterschaftsentschädigung verliere, wenn sie während ihres Mutterschaftsurlaubs ihrer Tätigkeit als Parlamentarierin nachkomme und Sitzungsgelder erhalte. Die Parlamentstätigkeit sei aber mit Erwerbstätigkeit nicht gleichzusetzen, da es sich um ein durch die Wahlbevölkerung erteiltes politisches Mandat handle.
Die SPK-SR und die SPK-NR erteilten allen vier Vorstössen ihre Zustimmung und die ständerätliche Kommission arbeitete einen Entwurf für eine Revision des Erwerbsersatzgesetzes aus, der Mitte August 2022 in die Vernehmlassung geschickt wurde. Vorgesehen sind Ausnahmeregelungen für Sitzungen, bei denen eine Stellvertretung nicht möglich ist – auf nationaler Ebene also die Ratssitzungen. Umstritten war, ob die Ausnahmen auch für Kommissionssitzungen gelten sollen. Aufgenommen wurden schliesslich auch Kommissionstätigkeiten, allerdings nur dann, wenn keine Stellvertretungsregelung besteht. Die Kommission hatte auch einen Einbezug von Exekutiv- und Judikativmandaten sowie eine Ausweitung auf alle Frauen, also auch solche ohne politisches Mandat, diskutiert, diese Überlegungen aber schliesslich verworfen. Die Vernehmlassung dauerte bis November 2022.

Mutterschaft und Parlamentsmandat (Kt.Iv. 19.311, Kt.Iv.20.313, Kt.Iv.20.323 und Kt.Iv.21.311)
Dossier: Part de femmes au parlement
Dossier: Compatibilité du travail parlementaire avec la vie familiale et professionnelle

Im November 2021 hiess die SGK-NR den Vorentwurf zur Umsetzung einer parlamentarischen Initiative von Ulrich Giezendanner (svp, AG) «Sicherstellung der Blutversorgung und die Unentgeltlichkeit der Blutspende» einstimmig gut, nachdem sie einen Antrag, welcher ein Diskriminierungsverbot bei der Blutspende durchsetzen wollte, mit 7 zu 4 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen hatte.

Am 24. Februar 2022 wurde die Vernehmlassung über den Entwurf, der eine Änderung des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte vorsah, eröffnet. Insgesamt trafen 43 Stellungnahmen zum Vernehmlassungsentwurf ein. Der Grossteil der Kantone, die GDK, der SGB sowie die GLP, die Mitte und die SP unterstützten die Vorlage ohne spezifische Änderungsvorschläge, fügten jedoch Kommentare an. Bei den anderen Vernehmlassungsteilehmenden gab insbesondere die vorgeschlagene Unentgeltlichkeit der Blutspende zu reden. Der Kanton Zürich erachtete die geforderte Unentgeltlichkeit bei der Einfuhr von Blut und Blutprodukten aus dem Ausland als hindernd für die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl an Blutkonserven in der Schweiz. Auch die Blutspendeorganisationen wünschten sich Ausnahmen der Unentgeltlichkeit, unter anderem im Falle der Einfuhr von Blut mit seltenen Merkmalen zu Forschungszwecken. Die Kantone Basel-Landschaft und Thurgau schlugen vor, dass bei einem akuten Engpass Ausnahmen der Unentgeltlichkeit zum Zuge kommen sollten, also auch entgeltlich gespendete Blutkonserven eingeführt werden könnten. Bezüglich des Diskriminierungsverbots, erachtete es der Kanton Tessin nicht als nötig, die sexuelle Orientierung spezifisch zu erwähnen, da der heutige Ausschluss von Männern, welche Sex mit Männern haben (MSM), nicht durch deren sexuelle Orientierung, sondern durch das daraus potentiell entstehende HIV-Risikoverhalten gerechtfertigt werde. Der Kanton Waadt hielt fest, dass bei der vorgesehenen Änderung noch klarer aufgezeigt werden müsse, dass spezifische Sperrfristen für MSM abgeschafft werden würden und das Sexualverhalten einheitlich, und von der sexuellen Orientierung unabhängig, beurteilt werde. Als Eingrenzung des noch sehr breit gefassten Diskriminierungsverbots, schlugen die Grünen eine individuelle Beurteilung des Risikoverhaltens von Spenderinnen und Spendern, unabhängig von deren Geschlecht und sexueller Orientierung, vor. Auch die GLP und die Mitte kommentierten, dass das individuelle Risikoverhalten eines Individuums im Vordergrund zu stehen habe, brachten aber keine spezifischen Vorschläge zur Umsetzung ein. Diese Meinung teilten auch eine Reihe von LGBTQIA+-Organisationen. Die Blutspendeorganisationen warnten jedoch, dass ein allgemeines Diskriminierungsverbot in bestimmten Fällen die Patienten- und Produktsicherheit gefährden könne. Andere Teilnehmende der Vernehmlassung, so auch die Kantone Basel-Stadt und Zürich, empfanden die Anti-Diskriminierungsklausel in der Bundesverfassung als ausreichend und wollten darauf verzichten, das HMG entsprechend zu ergänzen. Die SVP wünschte sich, dass unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse der Ausschluss gewisser Personengruppen von der Blutspende weiterhin möglich bleibe. Schliesslich äusserten sich auch viele Vernehmlassungsteilnehmende zur geplanten Finanzhilfe zur Sicherstellung des sicheren Umgangs mit Blut. Blutspendeorganisationen sprachen sich für eine starke Verbindlichkeit bei der Förderung von Finanzhilfen aus; sie wollten aber auch Klarheit darüber, welche konkreten Leistungen der Bund unterstütze. FDP und SVP verlangten, dass diese Finanzierungshilfen nur im äussersten Notfall zum Zuge kommen sollten, währenddem der Kanton St. Gallen an der Effektivität finanzieller Unterstützung zur Verbesserung der Blutspende-Problematik zweifelte.
In Reaktion auf die Vernehmlassungsergebnisse entschied die SGK-NR im August 2022 ihren Entwurf in zwei Punkten anzupassen: Erstens sollten bei der Unentgeltlichkeit der Blutspende Ausnahmen möglich sein, zweitens solle der Ausschluss von der Blutspende am individuellen Risikoverhalten festgemacht und wissenschaftlich begründet werden.

Sicherstellung der Blutversorgung und Unentgeltlichkeit der Blutspende
Dossier: Don du sang

«Vielfalt» war eines der Mottos des Präsidialjahres von Ignazio Cassis und ebendieses Motto war auch leitend für den vom Bundespräsidenten organisierten Bundesrats-Ausflug 2022, der am 30. Juni ganz im Norden der Schweiz begann und am 1. Juli ganz im Süden endete. Einer Bootsfahrt am Rheinfall folgte eine Begegnung mit der Schaffhauser Bevölkerung und ein Mittagessen mit der Kantonsregierung. Normalerweise führt das «Bundesratsreisli» in den Heimatkanton des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin. Da Schaffhausen allerdings bisher noch nie ein Bundesratsmitglied stellte, wollte Cassis dem Kanton die Referenz erweisen. Das Tessin war dann freilich die nächste Station des Ausflugs, die mit einem Extrazug erreicht wurde. Am Nachmittag des ersten Tages besuchten die Regierungsmitglieder nämlich das nationale Jugendsportzentrum in Tenero und nahmen dort an einem Bogenschiesswettkampf teil. Anschliessend ging die Reise noch weiter in den Süden: In Mendrisio besuchte der Bundesrat am zweiten Tag der Reise die Accademia di architettura, wo der Architekt Mario Botta ein Referat zur Geschichte der Akademie hielt. Auch in Mendrisio traf sich die Landesregierung mit der ansässigen Bevölkerung und dem kantonalen Regierungsrat. Mit einem Mittagessen im kleinen Kreis wurde der Ausflug beschlossen.
Für das Treffen mit der Bevölkerung in Schaffhausen hatte auch der Präsident der Corona-Massnahmen-skeptischen Organisation «Mass-Voll», Nicolas A. Rimoldi, seinen Besuch angemeldet. Tatsächlich kam Rimoldi mit Alain Berset und Ueli Maurer ins Gespräch, was von den Medien festgehalten wurde. Selbst dieses Treffen sei – abgesehen von ein paar Buh-Rufen – «massvoll verlaufen», berichtete der Blick. Solange so lockere Gespräche möglich seien, sei «unser Land noch in Ordnung», fand die Sonntagszeitung; sei die Schweiz tatsächlich eine Diktatur, wie Mass-Voll behaupte, dann sei sie «die angenehmste der Welt».

Bundesratsreise

In Erfüllung eines Postulats der SiK-SR veröffentlichte der Bundesrat im Juni 2022 einen Bericht zur Bekämpfung des Hooliganismus. Darin betonte er zuallererst, dass die Polizeihoheit bei den Kantonen liege und dem Bund somit nur eine subsidiäre und sektorielle Kompetenz in diesem Bereich zufalle. Für den Erlass und den Vollzug von Massnahmen zur Gewaltbekämpfung an Sportveranstaltungen, sowohl gegenüber Gewalttäterinnen und -tätern als auch gegenüber den Sportklubs, seien die Kantone zuständig. Diese verfügten mit dem Hooligan-Konkordat tatsächlich über das nötige Instrumentarium, um Gewalt bei Sportveranstaltungen zu verhindern. «Es ist nicht ersichtlich, welche anderen gesetzgeberischen Massnahmen ergriffen werden könnten, die wirkungsvoller wären», konstatierte die Regierung. Sie erwarte allerdings von den Kantonen, dass diese ihre Bewilligungspflicht dazu nutzten, den Klubs schärfere Auflagen zu Massnahmen gegen Hooliganismus zu machen. Des Weiteren seien Massnahmen, die zur Bekämpfung der Covid-Pandemie eingeführt wurden, namentlich personalisierte Tickets, die Aufhebung von Stehplätzen und Restriktionen bei den Gästefans, seiner Auffassung nach auch nach der Pandemie flächendeckend fortzuführen, hielt der Bundesrat fest. Zudem forderte er von den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft den Beitritt zur revidierten Fassung des Hooligan-Konkordats sowie von allen Kantonen, dass sie vermehrt Meldeauflagen aussprechen, mehr Personal für die Täteridentifikation einsetzen und den Dialog zwischen Polizei und Fans intensivieren.
Soweit es ihm aufgrund der Kompetenzordnung möglich sei, nehme der Bund die Kantone und Klubs in die Pflicht, indem sich das Fedpol an operativen Spielbesuchen beteilige und Massnahmen gegen gewalttätige Personen beantrage. Zur Unterstützung stelle er das Informationssystem «Hoogan» bereit, das den Kantonen zur polizeilichen Lagebeurteilung von anstehenden Spielen diene. Darüber hinaus engagiere sich das Fedpol, u.a. in seiner Rolle als National Football Information Point, im internationalen Informationsaustausch und bringe Good Practices aus dem Ausland in der Schweiz ein. Gegen gewaltbereite Fans erlasse der Bund Ausreise- bzw. Einreiseverbote und nehme entsprechende Grenzkontrollen vor. Nicht zuletzt beteilige er sich an der Finanzierung der Forschungsstelle «Gewalt bei Sportveranstaltungen» der Universität Bern. Um die Kantone und Klubs noch besser zu unterstützen, drückte der Bundesrat seinen Willen aus, die Hoogan-Datenbank an neue Anforderungen anzupassen und sie – nebst dem EV Zug, der sie jetzt schon dafür nutzt – weiteren Sportklubs für elektronische Eingangskontrollen zur Verfügung zu stellen sowie Abklärungen zur elektronischen Kontrolle von Meldeauflagen zu unterstützen.

Bekämpfung des Hooliganismus (Po. 19.3533)

Die SPK-SR folgte im Juni 2022 dem Nationalrat und entschied mit 8 zu 3 Stimmen, der Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt, welche forderte, zusätzliche, in Griechenland gestrandete, besonders schutzbedürftige Personen aufzunehmen, keine Folge zu geben. In einer Medienmitteilung erklärte die Kommission, dass das Anliegen zwar berechtigt sei, der vorgeschlagene Ansatz in den Augen der Kommissionsmehrheit jedoch keine Besserung der Situation bringen würde.

Aufnahme von Menschen aus Griechenland und Auslastung der Asylzentren (Kt.Iv. 21.310)
Dossier: Le règlement Dublin

Nachdem sich die SPK-NR entgegen ihrer Schwesterkommission entschieden hatte, der Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt, welche forderte, zusätzliche, in Griechenland gestrandete, besonders schutzbedürftige Personen aufzunehmen, keine Folge zu geben, kam das Anliegen in der Sommersession 2022 in die grosse Kammer.
Marianne Binder-Keller (mitte, AG) argumentierte für die Kommissionsmehrheit, dass die Situation in Griechenland nicht mehr «dermassen tragisch» sei wie im Herbst 2020, weshalb sich die Mehrheit der Kommission dafür ausgesprochen habe, der Standesinitiative keine Folge zu geben. Ausserdem tue die Schweiz bereits viel – etwa in Form von Hilfsgütern oder mit der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden. Als Sprecherin der Kommissionsminderheit setzte sich Tamara Funiciello (sp, BE) für Folgegeben ein und forderte den Nationalrat auf, «endlich das Richtige» zu tun und mehr humanitäre Verantwortung zu übernehmen. Der Krieg in der Ukraine habe gezeigt, dass die Schweiz durchaus in der Lage sei, schutzbedürftigen Menschen die nötige Sicherheit und Aussicht auf Arbeit zu geben. Die Frage sei nun, wieso dies für Menschen, welche an den europäischen Aussengrenzen unter prekären Umständen ausharren müssen, nicht auch möglich sein soll. Funiciello vermochte jedoch den Nationalrat nicht für das Anliegen zu gewinnen, welcher mit 98 zu 59 Stimmen entschied, der Standesinitiative keine Folge zu geben. Lediglich die Fraktionen der SP und der Grünen stimmten geschlossen für das Anliegen, zusätzliche Unterstützung erfuhr die Standesinitiative darüber hinaus lediglich von den beiden EVP-Nationalrätinnen.

Aufnahme von Menschen aus Griechenland und Auslastung der Asylzentren (Kt.Iv. 21.310)
Dossier: Le règlement Dublin

Um eine überwiesene Motion Baumann (cvp, UR) umzusetzen, die eine faire Lastenverteilung bei den Familienzulagen verlangte, gab der Bundesrat Ende April 2020 einen Vorentwurf in die Vernehmlassung, der für diejenigen Kantone, die bisher über keinen oder lediglich einen teilweisen Lastenausgleich verfügten, Auswirkungen hätte. Konkret müssten diese Kantone – insgesamt 15 an der Zahl – für die Finanzierung der Familienzulagen spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten der entsprechenden Änderung des Familienzulagengesetzes einen vollständigen Lastenausgleich für Arbeitnehmende und Selbständigerwerbende einführen. Dabei soll den Kantonen freigestellt sein, auf welchem Weg sie diesen Lastenausgleich gewährleisten.

In der Vernehmlassung stiess der bundesrätliche Vorschlag auf einigen Widerstand. 6 von 15 Kantonen, die direkt von der Vorlage betroffen wären, lehnten eine solche Regelung ab (AG, BS, NE, SG, TG, ZH), wobei sie föderalistische Bedenken anbrachten und betonten, dass damit für den eigenen Kanton massgeschneiderte Lösungen nicht mehr länger möglich wären. Aus diesen Gründen lehnten auch die FDP, die SVP, der Schweizerische Arbeitgeberverband sowie die Mehrheit der stellungnehmenden Wirtschafts- und Branchenverbände die vorgeschlagene Lösung ab. Darüber hinaus betonte die FDP, dass es insbesondere für die Kantone mit einem teilweisen Lastenausgleich nicht angemessen wäre, wenn sie die von ihnen erarbeiteten Lösungen vollständig revidieren müssten. Die ablehnenden Wirtschafts- und Branchenverbände erachteten ferner das Subsidiaritätsprinzip als verletzt. Der jetzt bestehende Wettbewerb zwischen den Familienausgleichskassen sei gesund, weswegen dieser nicht durch staatlich festgelegte Lösungen beeinträchtigt werden solle.
Die 11 anderen Kantone, die bereits einen vollen Lastenausgleich kennen, befürworteten hingegen eine solche Lösung. Einige betonten dabei den Sozialversicherungscharakter der Familienzulagen, weswegen in Anlehnung an die AHV, IV, ALV und EO auch hier ein Ausgleichsfonds notwendig sei. Zudem habe sich dieses Modell bewährt und sei «einfach und kostengünstig» umsetzbar, betonten weitere Kantone. Auch lasse ein Lastenausgleich auf kantonaler Ebene weiterhin unterschiedliche und passende Lösungen für die jeweiligen Kantone zu. Nicht zuletzt erhöhe ein voller Lastenausgleich die Fairness im wirtschaftlichen Wettbewerb, wovon vor allem die KMU profitierten. Auch die restlichen vier stellungnehmenden Dachverbände der Wirtschaft, der SBV, der SGV, der SGB und Travail.Suisse, begrüssten die Vorlage, wobei sie die Vorteile einer solchen Regelung für Wirtschaftszweige im Tieflohnsegment sowie für solche mit einem hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten hervorhoben. Aus ebendiesen Gründen wurde die vorgeschlagene Regelung von der CVP und der SP befürwortet.

Nach Einsicht der Vernehmlassungsergebnisse und des dort festgestellten teilweisen Widerstands gegen die Vorlage erachtete der Bundesrat eine entsprechende Anpassung des Familienzulagengesetzes als «weder notwendig noch zielführend», weswegen er dem Parlament in seinem Bericht über die Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahr 2022 die Abschreibung der Motion beantragte. Dieser Antrag wiederum stiess in den beiden Parlamentskammern auf breiten Widerstand. Die Mehrheit der SGK-NR sowie die SGK-SR beantragten entgegen dem Antrag des Bundesrats und einer Minderheit Aeschi (svp, ZG) im Nationalrat, den Vorstoss nicht abzuschreiben. Zusätzlich zum Verweis auf die «weiterhin markante(n) Unterschiede» betonten die Kommissionen, dass sowohl eine Mehrheit aller Kantone als auch eine Mehrheit derjenigen Kantone, die von der Lösung effektiv betroffen wären, die Vorlage in der Vernehmlassung unterstützt hätten.
Mit 34 zu 6 Stimmen im Ständerat sowie 100 zu 71 Stimmen (3 Enthaltungen) im Nationalrat folgten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier mehrheitlich dem Antrag ihrer Kommission und schrieben den Vorstoss nicht ab. Ebenso wie in der Vernehmlassung stammten die für Abschreibung plädierenden Stimmen im Nationalrat aus den Fraktionen der FDP und der SVP. Im Ständerat setzten sich einzelne Mitglieder diverser Parteien für die Abschreibung ein.

Familienzulagen. Für eine faire Lastenverteilung (Mo. 17.3860)

Wie könnte die Stimm- und Wahlbeteiligung gefördert werden? Um diese Frage zu beantworten, beantragte Gabriela Suter (sp, AG) mittels eines Postulats beim Bundesrat einen Bericht. Die politische Partizipation sei in der Schweiz «chronisch tief», begründete die Sozialdemokratin ihr Anliegen und führte in der Debatte in der Sommersession 2022 ein paar aktuelle kantonale und kommunale Wahlen auf, bei denen nicht einmal ein Drittel aller Wahlberechtigten ihr Wahlrecht genutzt hatten. Es stelle sich nicht nur die Frage der demokratischen Legitimation bei solch geringer Beteiligung, sondern diese gehe auch mit Ungleichheit einher, so die Postulantin. Junge, Frauen und Angehörige unterer Bildungs- und Einkommensschichten beteiligten sich weniger stark und würden entsprechend auch weniger gut repräsentiert. Der Bundesrat solle deshalb in einem Bericht mögliche Massnahmen aufzeigen, mit denen die zu geringe politische Partizipation wieder erhöht werden könnte. Zu denken sei etwa an eine Einführung der Stimmpflicht wie im Kanton Schaffhausen, an die Etablierung von sogenannten Super Sundays, an denen mehrere Kantone gleichzeitig Regierung und Parlament wählen, eine gezielte Sensibilisierung von Bevölkerungsgruppen, die Belohnung der Teilnahme mittels eines Steuerabzugs oder die Erweiterung der Zahl der Stimmberechtigten. Bundeskanzler Walter Thurnherr vertrat die ablehnende Position des Bundesrats. Dieser teile die Einschätzung über die grosse Bedeutung der politischen Beteiligung für eine Demokratie. Diese könne in der Schweiz aber nicht nur sehr häufig ausgeübt werden, sondern sei gemessen an nationalen Wahlen und Abstimmungen auch nicht rückläufig. Zahlreiche Studien hätten zudem gezeigt, dass der Verzicht auf das Stimm- und Wahlrecht kein Zeichen für «Politikverdrossenheit» sei, sondern es vielmehr Anzeichen dafür gebe, dass viele Personen selektiv teilnehmen würden. Bereits heute fördere der Bund die Mobilisierung mittels verschiedener Kommunikationsinstrumente und auch die vom Bund finanzierten VOX-Abstimmungsanalysen trügen «zum besseren Verständnis der politischen Beteiligung bei». Aus Sicht des Bundesrats würden schliesslich weder Stimmpflicht noch monetäre Anreize zur «Qualität der politischen Partizipation» beitragen. Dies habe der Nationalrat bereits vor sechs Jahren bei der Ablehnung einer entsprechenden parlamentarischen Initiative von Lorenz Hess (bdp, BE; Pa.Iv. 15.498) so gesehen. Eine bürgerliche Mehrheit des Nationalrats folgte dem Bundesrat und lehnte das Postulat mit 103 zu 80 Stimmen ab. Die geeinten Fraktionen von SP, GP und GLP standen den geschlossenen Fraktionen von FDP, Mitte-EVP und SVP gegenüber.

Stimm- und Wahlbeteiligung fördern (Po. 20.4720)

Im Mai 2022 präsentierte das BAV einen Grundlagenbericht für den Ausbau des Bahnknotens Basel. Unter dem Namen Ausbau des Bahnknotens Basel planten das BAV und die SBB zusammen mit den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft sowie der Deutschen Bahn den langfristigen Ausbau der Bahninfrastruktur in Basel. Kernstück des sogenannten Fünfpunkteplans bildete dabei der Bau eines neuen Tiefbahnhofs Basel SBB für die trinationale S-Bahn. Als sogenanntes Herzstück sollte eine unterirdische Verbindung zwischen den beiden Bahnhöfen Basel SBB und Basel Badischer Bahnhof entstehen, mit dem zusätzlichen Bau mindestens einer neuen Haltestelle Basel Mitte (und möglicherweise weiterer Stationen) sowie einer Verzweigung nach Basel St. Johann in Richtung Elsass und Flughafen Basel Mulhouse. Für den Ausbau des Bahnknotens Basel rechnete das BAV im Grundlagenbericht mit Kosten von rund CHF 9 Mrd. Der Ausbau der Basler Bahninfrastruktur würde Jahrzehnte dauern – eine Fertigstellung sei gemäss dem Bericht in der Zeitspanne 2053 bis 2070 denkbar – und sollte über verschiedene Ausbauschritte des Bundes verteilt werden.

Die Idee für den Bau einer solchen unterirdischen S-Bahn-Verbindung stammte bereits aus den 1980er Jahren, wie etwa die Basellandschaftliche Zeitung berichtete. Im Jahr 2000 liess der Kanton Basel-Stadt erstmals eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Die Parlamente beider Basel sprachen in den Jahren 2009 und 2014 schliesslich entsprechende Kredite zur Vorplanung und für ein Vorprojekt. Drei Jahre später hatte der Bundesrat den Bahnknoten Basel anfänglich im STEP 2035 nicht aufnehmen wollen, National- und Ständerat ergänzten jedoch im Jahr 2019 die Basler Durchmesserlinie auf der Projektliste und sprachen für die Planung und Projektierung CHF 100 Mio.
Nach dem Vorliegen des Grundlagenberichts sollten Anfang 2022 bis Ende 2024 im Rahmen einer Vorstudie verschiedene Varianten des Ausbaus durch das BAV geprüft werden. Es wurde erwartet, dass das Eidgenössische Parlament mit der Botschaft 2026 einen Entscheid über den Bau des Projekts beziehungsweise über Teilprojekte fällen wird.

Projekt Bahnknoten Basel – trinationale S-Bahn

Anders als die SPK-SR wollte die SPK-NR einer Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt, die verlangte, dass die Schweiz zusätzliche, in Griechenland gestrandete, besonders schutzbedürftige Personen aufnehme, mit 14 zu 8 Stimmen keine Folge geben. Sie argumentierte dabei gleich wie bei der zeitgleich gefassten ablehnenden Entscheidung zu einer parlamentarischen Initiative der Grünen Fraktion (Pa.Iv. 21.519): Für eine solche Lösung müssten Kantone und Gemeinden einbezogen werden, was «äusserst komplex wäre und im Widerspruch zum aktuellen System stünde».

Aufnahme von Menschen aus Griechenland und Auslastung der Asylzentren (Kt.Iv. 21.310)
Dossier: Le règlement Dublin

Eine parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion wollte es Kantonen und Gemeinden ermöglichen, auf eigene Initiative hin zusätzliche Flüchtlingsgruppen aufzunehmen, sofern sie sich zur Übernahme der ansonsten bei Kontingentsflüchtlingen beim Bund anfallenden Kosten bereit erklären und die Unterbringung der Flüchtlinge sicherstellen können. In ihrer Begründung betonten die Initiantinnen und Initianten, dass dieser Wille bei gewissen Kantonen und Gemeinden bestehe und dass es «weder aus humanitärer Sicht noch aus föderalistischer Logik Sinn [mache]», sie daran zu hindern. Ein Kanton, der sich in diesen Belangen engagierte, war etwa der Kanton Basel-Stadt, der diesen Willen nicht zuletzt in einer eigenen Standesinitiative mit ähnlicher Forderung bekräftigte. Im Frühjahr 2022 beschloss die SPK-NR, weder der Standesinitiative noch der parlamentarischen Initiative der Grünen Fraktion Folge zu geben. Letzteren Beschluss fasste sie mit 13 zu 9 Stimmen. Den Einbezug von Gemeinden und Kantonen in solche Lösungen erachtete die Mehrheit der Kommission als äusserst komplex und nicht mit dem aktuellen System vereinbar.

Aufnahme von Asylsuchenden: Willkommensstädte und solidarische Gemeinden ermöglichen (Pa.Iv. 21.419)

Die WBK-NR folgte im April 2022 ihrer Schwesterkommission und gab zwei Standesinitiativen aus Basel-Landschaft und Basel-Stadt betreffend die rasche Assoziierung der Schweiz an das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe Folge.

Drei Standesinitiativen zum Forschungsprogramm Horizon Europe (Kt. Iv. GE 21.320; Kt. Iv. BL 21.327; Kt. Iv. BS 21.328) & Horizon-Fonds-Gesetz
Dossier: Erasmus et Horizon

Im Mai 2021 reichte der Kanton Basel-Stadt eine Standesinitiative ein, mit der er die Öffnung der Grenzen forderte. Das Parlament und der Bundesrat sollten die im Rahmen der Corona-Verordnung 3 erlassene Einreiseverweigerung aufheben und sich dafür einsetzen, dass keine Grenzen mehr geschlossen werden. Der Kanton beklagte vor allem die negativen psychischen Effekte der Massnahmen auf die Bevölkerung in der trinationalen Region, die aufgrund der Grenznähe besonders stark davon betroffen sei. Zudem habe der Basler Kantonsarzt die Effektivität der Grenzschliessung zur Eindämmung der Corona-Ausbreitung in Frage gestellt, zusätzlich erschwere die Grenzschliessung die Versorgung mit medizinischem Bedarf.
Der Ständerat gab dem Vorstoss in der Frühjahrssession 2022 stillschweigend keine Folge. Kommissionsprecher Zopfi (gp, GL) erklärte, dass die Kommission die Formulierung der Initiative als zu «starr» empfinde, weil dadurch der Handlungsspielraum der Bundesregierung in einer zukünftigen Pandemie zu stark eingeschränkt würde. Die Motion Herzog (sp, BS; Mo. 21.3698), die der Ständerat im September 2021 angenommen hatte, wurde stattdessen als angemessenere Lösung für das nachvollziehbare Anliegen des Kantons betrachtet. Selbst Eva Herzog, Urheberin der angesprochenen Motion, sprach sich für eine Ablehnung der Standesinitiative aus, vorausgesetzt ihre Motion werde auch im Nationalrat angenommen.

Öffnung der Grenzen (Kt.Iv. 21.314)
Dossier: Contrôle des frontières nationales suisses à l'heure de Covid-19

Im März 2022 gab die Alternative Liste des Kantons Schaffhausen nach 19-jährigem Bestehen ihre Auflösung bekannt. Viele bisherige AL-Mitglieder und die meisten der Mandatsträgerinnen und -träger der Partei – immerhin vier Kantonsratsmitglieder, vier Mitglieder des Schaffhauser Stadtparlaments und zwei Mitglieder weiterer Gemeindeparlamente – wollten sich der SP anschliessen.
Die AL hatte in Schaffhausen am linken Rand des politischen Spektrums politisiert und sich als «Protestbewegung gegen die etablierten Denkmuster» verstanden. Einer nationalen Partei hatte sie nicht angehört. Wie aus der Medienmitteilung der Partei hervorging, stand dieses provokante, unangepasste Selbstverständnis in einem zunehmenden Spannungsverhältnis zum Mitwirken der Partei in den etablierten Institutionen. Ein weiteres Motiv für die Parteiauflösung war gemäss verschiedenen Exponentinnen und Exponenten, dass die Arbeit für die Aufrechterhaltung der Parteistrukturen und die Rekrutierung von Nachwuchs viel Zeit und Energie gekostet und auf wenigen Schultern gelastet habe. Diese Zeit sei besser in inhaltliche politische Arbeit investiert.

Auflösung der Alternativen Liste Schaffhausen

Im März 2022 lancierte die SP eine Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle». Die sogenannte Kita-Initiative will in der Bundesverfassung eine Garantie auf ein ausreichendes und bedarfsgerechtes, institutionelles familienergänzendes Betreuungsangebot für alle Kinder ab dem Alter von drei Monaten bis zum Abschluss der Grundschule festschreiben. Um die hohe Qualität des Betreuungsangebots zu gewährleisten, will die Initiative eine angemessene Entlöhnung und gute Arbeitsbedingungen für das ausgebildete Betreuungspersonal in der Verfassung verankern – ebenso wie die Verteilung der Kosten, die zu zwei Dritteln vom Bund übernommen werden sollen. Die finanzielle Beteiligung der Eltern, sofern von den Kantonen so vorgesehen, soll ferner maximal zehn Prozent des elterlichen Einkommens betragen und je nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit unterschiedlich ausfallen.
Mit Vertreterinnen und Vertretern aus weiteren Parteien und Organisationen, namentlich der Grünen, der GLP, der Mitte sowie der Operation Libero, demonstrierte das Initiativkomitee eine relativ breite politische Unterstützung. Der Verband Kinderbetreuung (Kibesuisse) wollte die Volksinitiative trotz Sympathien für das Grundanliegen hingegen nicht unterstützen, da diese die pädagogische Qualität der Einrichtungen und damit die bestmögliche Entwicklung der Kinder im Vergleich zu den finanziellen Aspekten zu wenig in den Fokus stelle. Ferner äusserte Kibesuisse Kritik am Vorhaben, den Bund finanziell so stark in die Pflicht zu nehmen. Im Namen des Initiativkomitees begründete SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (ZH) die hohe finanzielle Beteiligung durch den Bund damit, dass für eine angemessene familienexterne Kinderbetreuung zusätzliche finanzielle Mittel aufgewendet werden müssten. Zudem garantiere die Finanzierung durch die Bundeseinnahmen, dass einkommensstärkere Haushalte aufgrund der Steuerprogression einen höheren Beitrag leisteten als einkommensschwächere Haushalte.
Auch in den Kantonen Basel-Stadt, Luzern und Schwyz waren zum gegebenen Zeitpunkt Volksinitiativen der SP-Kantonalsektionen mit ähnlichen Anliegen hängig. Das Komitee der eidgenössischen Volksinitiative hat bis am 8. September 2023 Zeit, die notwendigen 100'000 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei einzureichen.

Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)»