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  • Ordre juridique

Acteurs

  • Gapany, Johanna (plr/fdp, FR) SR/CE
  • Baume-Schneider, Elisabeth (ps/sp, JU) SR/CE
  • Marti, Min Li (sp/ps, ZH) NR/CN

Processus

7 Résultats
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In der Herbstsession 2021 überwies der Nationalrat gemäss Mehrheitsantrag der RK-NR die Motion Caroni (fdp, AR) für eine Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe. Ihre Empfehlung begründete die zuständige Kommission damit, dass der Bundesrat in seinem Bericht zur Reform der lebenslangen Haftstrafe zwar keinen grundlegenden Handlungsbedarf erkannt hatte, jedoch punktuelle Revisionsmöglichkeiten einräumte. Sowohl aus dem Kommissionsbericht als auch aus den Erläuterungen der beiden Kommissionssprechenden Andrea Martina Geissbühler (svp, BE) und Sidney Kamerzin (mitte, VS) im Ratsplenum ging hervor, dass eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder diese Verbesserungen am bestehenden System unterstützten und als notwendig erachteten. Im Namen der starken Minderheit widersprach SP-Nationalrätin Min Li Marti (ZH): Da erstens in der Praxis weder Handlungs- noch Sicherheitsprobleme bestünden und zweitens der Bundesrat in seinem Bericht keinen akuten Reformbedarf sehe, lohne sich der Anstoss eines Gesetzgebungsprozesses nicht. Besonders schwere Straftaten könnten bereits heute angemessen bestraft und so dem Schutzbedürfnis der Gesellschaft Rechnung getragen werden. Darüber hinaus sei die generalpräventive Wirkung von langen Haftstrafen umstrittener als deren erschwerender Effekt auf die Resozialisierung. Justizministerin Karin Keller Sutter stimmte dem insofern zu, als dass die Verbesserungsmöglichkeiten von eher untergeordneter Bedeutung seien. Der Bundesrat wolle einer Gesetzesrevision jedoch nicht im Wege stehen und habe deshalb die Annahme beantragt. Der Nationalrat stimmte der Motion mit 110 zu 60 Stimmen zu.

Reform der lebenslangen Freiheitsstrafe (Mo. 20.4465)

Drei Tage nachdem die Schweizer Stimmbevölkerung am 7. März 2021 das E-ID-Gesetz an der Urne verworfen hatte, reichten Verfechterinnen und Verfechter einer staatlichen Lösung aus allen politischen Lagern sechs gleichlautende Motionen für eine «vertrauenswürdige staatliche E-ID» ein. Gerhard Andrey (gp, FR; Mo. 21.3124), Franz Grüter (svp, LU; Mo. 21.3125), Min Li Marti (sp, ZH; Mo. 21.3126), Jörg Mäder (glp, ZH; Mo. 21.3127), Simon Stadler (mitte, UR; Mo. 21.3128) sowie die FDP-Liberale-Fraktion (Mo. 21.3129) argumentierten übereinstimmend, die Volksabstimmung habe deutlich gezeigt, dass sich die Bevölkerung eine E-ID wünsche, aber deren Herausgabe und Betrieb nicht privaten Unternehmen überlassen werden dürfe. Nur wenn der Staat dafür zuständig sei, könne die E-ID Vertrauen und Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer geniessen. Die Vorstösse enthielten demzufolge den Auftrag an den Bundesrat, eine staatliche E-ID zu schaffen, die insbesondere die Grundsätze der «privacy by design», der Datensparsamkeit und der dezentralen Datenspeicherung einhalten soll.
Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motionen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter interpretierte das Abstimmungsresultat gleich wie die Motionärinnen und Motionäre und erklärte, der Bundesrat wolle so rasch wie möglich einen neuen Vorschlag für eine E-ID präsentieren. Ende Mai habe er deshalb das EJPD bereits mit der Ausarbeitung eines Grobkonzepts beauftragt. Die daraus resultierende Auslegeordnung verschiedener staatlicher Lösungsansätze befinde sich momentan in öffentlicher Konsultation. Basierend darauf wolle der Bundesrat voraussichtlich Mitte 2022 ein neues E-ID-Gesetz in die Vernehmlassung schicken, führte die EJPD-Chefin im Nationalratsplenum aus.
Für etwas Dissonanz in all dem Einklang sorgte Jean-Luc Addor (svp, VS), der die Vorstösse bekämpfte. Er sah den Ursprung des Misstrauens vonseiten der Stimmbevölkerung nicht in der privatwirtschaftlichen Natur des abgelehnten Vorschlags, weshalb es die falsche Schlussfolgerung sei, nun alles dem Staat überlassen zu wollen. Auch die Zentralisierung und der Datenschutz seien wichtige Fragen für die Konzeption der E-ID. Erfahrungen hätten zudem gezeigt, dass der Bund auch kein «unerschütterliches Vertrauen» bei der erfolgreichen Durchführung von IT-Projekten geniesse. Ausserhalb seiner eigenen Fraktion verfing die Kritik Addors allerdings nicht. Die grosse Kammer nahm die sechs Motionen in der Herbstsession 2021 mit 145 zu 39 Stimmen bei 7 Enthaltungen an. Ausser der SVP stimmten alle Fraktionen geschlossen dafür.

Vertrauenswürdige, staatliche E-ID (Mo. 21.3124, 21.3125, 21.3126, 21.3127, 21.3128 und 21.3129)
Dossier: Identification électronique

In der Frühjahrssession 2021 begrüsste Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) seine Ratskolleginnen und -kollegen zur «kleinen Monsterdebatte» über die Revision der Strafprozessordnung. Der Nationalrat nahm sich der punktuellen Anpassung der StPO zur Verbesserung ihrer Praxistauglichkeit (in Umsetzung der Mo. 14.3383) als Erstrat an. Er trat ohne Gegenantrag auf die Vorlage ein. Zwei Minderheitsanträge Nidegger (svp, GE) und Addor (svp, VS) auf Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, noch verschiedene zusätzliche Punkte in die Revision zu integrieren, fanden ausserhalb der SVP-Fraktion keine Zustimmung und blieben damit chancenlos.
Erster Kernpunkt der Diskussion war die Einschränkung der Teilnahmerechte der beschuldigten Person. Die aktuell geltende Regelung wurde in der Debatte immer wieder als einer der Auslöser für die vorliegende StPO-Revision genannt. Der Bundesrat hatte im Entwurf vorgesehen, dass die beschuldigte Person von einer Einvernahme ausgeschlossen werden kann, solange sie sich zum Gegenstand der Einvernahme noch nicht selber einlässlich geäussert hat. Er wollte damit der Strafverfolgung die Wahrheitsfindung erleichtern, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter erklärte. Indem Beschuldigte unter bestimmten Voraussetzungen von der Einvernahme anderer Personen ausgeschlossen werden können, soll verhindert werden, dass sie ihre Aussagen einander anpassen. Befürworterinnen und Befürworter im Nationalrat argumentierten überdies, dass Zeuginnen und Zeugen durch die Anwesenheit der beschuldigten Person – oder letztere durch die Anwesenheit des «Bandenboss[es]» (Barbara Steinemann, svp, ZH) – eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden könnten, was die Qualität der Aussagen beeinträchtige. Vertreterinnen und Vertreter der Gegenseite warnten dagegen vor der Einführung einer «faktische[n] Mitwirkungspflicht» (Ursula Schneider Schüttel, sp, FR): Die neue Regelung bewirke, dass die beschuldigte Person sich zur betreffenden Sache im Detail äussern – d.h. auf ihr Aussageverweigerungsrecht verzichten – müsse, um bei den Beweiserhebungen dabei sein zu dürfen. Für jemand Unschuldiges sei das besonders schwierig, führte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus, «[d]enn der kann nämlich nichts anderes sagen, als dass er unschuldig ist». Den Beweiserhebungen nicht beizuwohnen und daher nicht genau zu wissen, was einem vorgeworfen werde, erschwere indessen die eigene Verteidigung, so Ursula Schneider Schüttel weiter. Zwar gab auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Gegenstimmen recht, dass das Teilnahmerecht der Beschuldigten «als Ausgleich für die strukturell starke Stellung der Staatsanwaltschaft notwendig» sei, hielt die vorgeschlagene Einschränkung jedoch für «massvoll und zurückhaltend». Für ihre Fraktion sei der Artikel allerdings die «Pièce de Résistance» der Vorlage, bekundete SP-Vertreterin Ursula Schneider Schüttel ebenso wie Christian Lüscher (fdp, GE), der für die Mehrheit der FDP-Fraktion sprach. Sinngleich erklärte auch Sibel Arslan (basta, BS), im Falle der Annahme der neuen Einschränkung werde die Grüne Fraktion «die ganze Vorlage infrage stellen müssen». Mit 103 zu 85 Stimmen bei zwei Enthaltungen folgte die grosse Kammer schliesslich ihrer Kommissionsmehrheit, die beim Status quo bleiben wollte. SP und Grüne setzten sich mit Unterstützung von Teilen der FDP- und der Mitte-Fraktionen durch.
Erfolgreicher war der Bundesrat mit seinem Ansinnen, die Voraussetzungen für die Untersuchungs- und Sicherheitshaft bei Wiederholungsgefahr zu lockern, wobei der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit folgend eine vom Bundesrat abweichende Formulierung wählte. Justizministerin Karin Keller-Sutter stellte im Rat jedoch fest, dass nach Ansicht des Bundesrates kein materieller Unterschied zwischen den beiden Formulierungen bestehe. Eine weitere Niederlage musste der Bundesrat bei der vorgesehenen Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts hinnehmen. Er hatte diese in der StPO festschreiben wollen, um die ohnehin bereits vom Bundesgericht angewandte Praxis gesetzlich zu verankern. «Es ist unbefriedigend, wenn sich weder die Legitimation noch das Verfahren aus dem Gesetz ergeben», begründete die Justizministerin diese Neuerung. Der Nationalrat folgte auch in dieser Frage mit 98 zu 89 Stimmen seiner Kommissionsmehrheit und strich den betreffenden Absatz aus der Vorlage. Die geschlossen für die Version des Bundesrates stimmenden Fraktionen der SVP und der FDP sowie einzelne Stimmen aus der Mitte- und der GLP-Fraktion befürchteten, ohne Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft könnte «eine zu Unrecht erfolgte Nichtanordnung von Haft» in gewissen Fällen «eine Fortsetzung der Strafuntersuchung illusorisch» machen, wie es Christa Markwalder (fdp, BE) formulierte. Die Ratsmehrheit folgte indessen der Argumentation von Mitte-Vertreter Philipp Matthias Bregy: Wenn die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Nichtanordnung, Nichtverlängerung oder Aufhebung der Untersuchungshaft einlegen könne, könne die Untersuchungshaft «durch systematische Beschwerden der Staatsanwaltschaften unnötig verlängert» werden. Selbst Bundesrätin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, es sei «alles andere als klar», ob sich die Beschwerdeberechtigung für die Staatsanwaltschaft mit den Vorgaben der EMRK vereinbaren lasse. Weil die Überführung der bundesgerichtlichen Praxis in das Gesetz von einer angenommenen parlamentarischen Initiative Jositsch (sp, ZH; Pa.Iv. 12.497) gefordert und in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst worden sei, habe sich die Regierung «trotz aller Bedenken und Unsicherheiten» entschieden, die nun im Nationalrat durchgefallene Regelung in den Entwurf aufzunehmen, so die Justizministerin.
Weiter sollten DNA-Profile gemäss dem Entwurf des Bundesrates neu auch dann erstellt werden dürfen, wenn «erhebliche und konkrete Anhaltspunkte» für eine Verwicklung der beschuldigten Person in bereits begangene oder künftige Delikte bestimmter Schwere bestünden, und nicht mehr nur zur Aufklärung von Verbrechen, die Gegenstand des aktuellen Verfahrens sind. Die Kommissionsmehrheit wollte hier einerseits einen Schritt weiter gehen und schlug vor, dass bei vergangenen Straftaten eine «gewisse Wahrscheinlichkeit» bereits genügen sollte; für die Aufklärung zukünftiger Straftaten lehnte sie andererseits die Erstellung eines DNA-Profils gänzlich ab. Die Volkskammer folgte diesen beiden Anträgen, wobei die Verschärfung bezüglich der vergangenen Straftaten gegen den Widerstand des links-grünen Lagers und die Streichung bezüglich der zukünftigen Straftaten gegen die SVP- und Teile der Mitte-Fraktion durchgesetzt wurde.
Überdies nahm der Nationalrat mit grosser Mehrheit auch einen Einzelantrag Regazzi (mitte, TI) an, der darauf zielte, die Möglichkeiten zur verdeckten Ermittlung im Bereich der Kinderpornografie zu erweitern. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass der Antrag in die sorgfältig austarierte Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen eingreife und deshalb abzulehnen sei. Ebenfalls gegen den Willen des Bundesrates fügte die grosse Kammer einen neuen Artikel über die restaurative Gerechtigkeit («justice restaurative», Wiedergutmachungsjustiz) in die StPO ein. Die Kommission habe sich mit 15 zu 6 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu diesem «mutigen Schritt» entschieden, berichtete Kommissionssprecher Beat Flach. Wenn beide Seiten damit einverstanden sind, soll neu eine Art Mediation zwischen Opfern und Tätern durchgeführt werden können. Es gehe nicht darum, wie von ablehnenden Stimmen aus SVP und Mitte kritisiert, die Verfahren zu verlängern oder «dem Straftäter gegenüber irgendwie Milde walten zu lassen», sondern dem Opfer eine Möglichkeit zu geben, sich mit dem Geschehenen zu beschäftigen und es aufzuarbeiten. Erfahrungen aus der Westschweiz und aus Belgien zeigten, dass solche Prozesse das «rein[e] Aburteilen und Strafen» gut ergänzen und vor allem für die Opfer «eine Hilfe auf dem weiteren Lebensweg» sein könnten. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, dass der Bundesrat die «justice restaurative» nicht generell ablehne, mahnte den Nationalrat aber zur Vorsicht, nicht übereilt zu handeln. Sie kritisierte die unpräzise Formulierung, die sowohl den Anwendungsbereich als auch die Folgen einer allenfalls erfolgreichen Wiedergutmachung zu stark offen lasse; das sei «unter dem Aspekt der rechtsgleichen Behandlung heikel». Auch müsste die Frage zuerst mit den Kantonen diskutiert werden, die die StPO schliesslich anwendeten. Den Einwand, das Konzept sei zu wenig ausgereift, liess Kommissionssprecher Flach nicht gelten: Der Ständerat könne als Zweitrat noch «nachjustieren». Mit 122 zu 71 Stimmen sah das auch der Nationalrat so und hiess den Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit gut, wobei sich die SVP-Fraktion geschlossen und die Mitte-Fraktion mehrheitlich gegen die Einführung der Wiedergutmachungsjustiz aussprach.
Eine weitere Neuerung, die der Bundesrat nicht durchsetzen konnte, war das Ansinnen, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die beschuldigte Person im Strafbefehlsverfahren zwingend einzuvernehmen, wenn ihr eine unbedingte Freiheitsstrafe droht. Eine Einvernahme erhöhte die Akzeptanz eines Strafbefehls, begründete die Justizministerin diesen Schritt. Während eine links-grüne Minderheit die Einvernahme auch bei hohen Geldstrafen verpflichtend machen wollte, erachtete die bürgerliche Ratsmehrheit die heutige Regelung als ausreichend und strich den Artikel gänzlich aus dem Entwurf.
Damit hatte der Nationalrat der Revisionsvorlage einige Zähne gezogen, die insbesondere den Strafverfolgungsbehörden zugute gekommen wären. Von der Ratslinken hatte sich der Bundesrat zunächst vorwerfen lassen müssen, einer «durchaus beeindruckende[n] PR-Offensive» (Min Li Marti, sp, ZH) der Staatsanwaltschaft erlegen zu sein. Gegen die Vorlage, wie sie nun vom Nationalrat angepasst worden war, regte sich in der Gesamtabstimmung von linker Seite aber kein Widerstand mehr. «Den Ton gaben Anwältinnen und Anwälte an», resümierte denn auch die NZZ die Debatte. Mit dem Ergebnis explizit unzufrieden zeigte sich die SVP-Fraktion. Die versprochene Verbesserung der Praxistauglichkeit der StPO für die Strafverfolgungsbehörden sei «heute in diesem Saal nicht passiert», so SVP-Vertreter Pirmin Schwander (svp, SZ), weil die Ratsmehrheit die zentralen Neuerungen verworfen habe. Die grosse Kammer verabschiedete den Entwurf schliesslich mit 139 zu 54 Stimmen an den Zweitrat. Stillschweigend schrieb er die Motionen 09.3443, 11.3223, 11.3911, 12.4077 und 14.3383 sowie die Postulate 15.3447 und 15.3502 ab. Die vom Bundesrat ebenfalls beantragte Abschreibung des Postulats 18.4063 zur Wiedergutmachungsjustiz lehnte er jedoch ab.

Änderung der Strafprozessordnung (BRG 19.048)
Dossier: Révision du code de procédure pénale (mise en œuvre de la mo. 14.3383)

In der Volksabstimmung vom 7. März 2021 wurde das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) mit 64.4 Prozent Nein-Stimmen schweizweit wuchtig abgelehnt. Kein Kanton stimmte dem Gesetz zu; den höchsten Ja-Anteil erzielte es im Tessin mit 44.2 Prozent. Am deutlichsten fiel die «Ohrfeige», wie die Presse das Resultat vielfach betitelte, im Kanton Basel-Stadt aus, wo sich nur 29.3 Prozent der Stimmberechtigten für die Vorlage aussprachen. Die Stimmbeteiligung lag schweizweit bei 51.3 Prozent.
Das ausgesprochen klare Nein bedurfte in den Medien denn auch nicht langer Interpretation: «Durchgefallen» lautete das Verdikt im St. Galler Tagblatt und im «Corriere del Ticino»; die Stimmbevölkerung habe die E-ID «versenkt», urteilten die Westschweizer Zeitungen «La Liberté», «L'Express» und «Le Nouvelliste». Wahlweise als «Schlappe», «Klatsche», «Abfuhr», «Bruchlandung» oder «Debakel» wurde das Resultat in verschiedenen Deutschschweizer Zeitungen bezeichnet. Im Hinblick auf die vorgesehene Lösung mit privaten E-ID-Anbieterinnen und -Anbietern erkannte die NZZ darin ein «Misstrauensvotum gegen die Banken, Versicherungen und bundeseigenen Unternehmen», die sich im Konsortium SwissSign zusammengeschlossen und auf die Herausgabe der E-ID vorbereitet hatten.
Einig waren sich das unterlegene Befürwortendenlager und die siegreiche Gegnerschaft darin, dass sich das Votum nicht gegen die Idee einer E-ID an sich richtete – von der Notwendigkeit einer solchen im digitalen Zeitalter zeigten sich alle überzeugt –, sondern gegen die Ausgestaltung mit privaten Anbieterinnen und Anbietern. «Das Misstrauen gegenüber einer nicht staatlichen Lösung reichte weit ins bürgerliche Lager, obwohl die offiziellen Parteidevisen jeweils eindeutig schienen», resümierte die Aargauer Zeitung. Der «Blick» fasste zusammen: «Alle wollen die E-ID – aber vom Staat!»
So kündigte die Contra-Seite bereits am Abstimmungssonntag an, im Parlament schnellstmöglich auf ein neues Projekt mit einer staatlichen E-ID hinarbeiten zu wollen. SP, Grüne und GLP wollten in der Folgewoche zwei entsprechende Vorstösse einreichen, liess die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti in der NZZ verlauten. Die für das gescheiterte Gesetz zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter wollte ihrerseits dem Bundesrat ein Aussprachepapier vorlegen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden, wie sie gegenüber den Medien bekanntgab. Es sei nun wichtig, dass die Regierung und die Parteien die Unsicherheiten und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen würden. Unterdessen bedeute das Abstimmungsresultat aber nicht, dass eine rein staatliche Lösung automatisch eine Mehrheit erzielen würde, gab sie zu Bedenken.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.29%
Ja: 984'574 (35.6%)
Nein: 1'778'196 (64.4%)

Parolen:
– Ja: EVP (2*), FDP, KVP, Mitte (Junge Mitte: 2*), SVP (2*; JSVP: 1*); KdK, SGV, SSV, Economiesuisse, SAV, SGV, Baumeisterverband, Swissmem, SwissICT, SwissBanking, VöV
– Nein: EDU, GLP (6*; JGLP: 1*), GP (1*), PdA, Piratenpartei, SD, SP (1*); SGB, Travail.Suisse, VPOD, Syndicom, Schweizerischer Seniorenrat, Schweizerischer Verband für Seniorenfragen, Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen in der Schweiz (VASOS)
– Stimmfreigabe: Pro Senectute
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

E-ID-Gesetz
Dossier: Identification électronique

In der Herbstsession 2020 stand der erste Teil der Erbrechts-Revision, mit der in erster Linie die Verfügungsfreiheit von Erblassern und Erblasserinnen vergrössert werden sollte, auf der Tagesordnung des Nationalrats, der die Vorlage als Zweitrat behandelte. Einige Mitglieder der SVP-Fraktion beantragten Nichteintreten, weil sie es für falsch hielten, die Pflichtteile der Eltern und Kinder zugunsten des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin zu verringern. Diese Bevorzugung der horizontalen und temporären gegenüber der vertikalen und beständigen Beziehung stelle «die traditionellen Linien auf den Kopf», begründete Yves Nidegger (svp, GE) die Ablehnung der Vorlage. Ausserhalb der SVP-Fraktion fand der Antrag jedoch keine Unterstützung, sodass der Nationalrat mit 142 zu 48 Stimmen bei einer Enthaltung auf das Geschäft eintrat.
Inhaltlich hatte sich die grosse Kammer mit drei Minderheitsanträgen aus ihrer vorberatenden Rechtskommission zu befassen. Der erste betraf eine Bestimmung, die der Ständerat noch stillschweigend durchgewunken hatte, die in der RK-NR jedoch für heftige Diskussionen gesorgt hatte: Hat ein Ehepaar nichts anderes vereinbart, kommt grundsätzlich die Hälfte der Errungenschaft (d.h. des während der Ehe gebildeten Vermögens) der verstorbenen Person dem überlebenden Ehegatten zugute, während die andere Hälfte zusammen mit dem Eigengut (d.h. des vor der Ehe gebildeten Vermögens) in den Nachlass fällt und unter den Erben aufgeteilt wird. Mit einem Ehevertrag kann ein Ehepaar von dieser Regel abweichen und den überlebenden Ehegatten stärker oder sogar maximal begünstigen, indem ihm die gesamte Errungenschaft zugewiesen wird, sodass nur noch das Eigengut der verstorbenen Person in den Nachlass fällt. In der juristischen Lehre und Literatur sei nun seit längerem umstritten, erläuterte Bundesrätin Karin Keller-Sutter, ob eine solche Bevorzugung des Ehegatten für die Berechnung der Pflichtteile der gemeinsamen Kinder berücksichtigt werden muss oder nicht. Der Bundesrat hatte hier darum eine klärende Regelung vorgeschlagen, wonach der überhälftige Teil der Errungenschaft, der an den überlebenden Ehegatten geht, bei der Berechnung der Pflichtteilsmasse zu berücksichtigen wäre. Konkret müsste der Pflichtteil berechnet werden, bevor die zusätzliche Begünstigung gemäss Ehevertrag angewandt wird, sodass die Basis zur Berechnung der Pflichtteile damit grösser wäre, als wenn die ehevertragliche Bevorzugung nicht berücksichtigt wird. In der Kommission wurde kritisiert, dass in der Praxis eine andere Interpretation des geltenden Rechts vorherrsche und diese Berücksichtigung bei der Berechnung der Pflichtteile üblicherweise gerade nicht gemacht werde, sodass in der Folge zahlreiche bestehende Verfügungen an das neue Recht angepasst werden müssten, was zu noch mehr Rechtsunsicherheit führe. Die Justizministerin erklärte, der Bundesrat habe sich dabei auf die Analyse einer Expertengruppe aus juristischer Lehre und Praxis gestützt, die ein grosses Interesse an der Klärung der Rechtslage kundgetan habe. Eine Minderheit der Kommission wollte eine in der Formulierung verbesserte Version des bundesrätlichen Vorschlags übernehmen, währenddessen die Kommissionsmehrheit beantragte, beim geltenden Recht zu bleiben. Der Nationalrat folgte mit 106 zu 80 Stimmen bei einer Enthaltung dem Mehrheitsantrag. Da dieser Entscheid aber ohnehin zu einer Differenz mit dem Ständerat führte, könne der Bundesrat gemäss Karin Keller-Sutter auch damit gut leben; wichtig sei, dass sich der Ständerat noch einmal mit der Thematik befasse.
Mit einem zweiten Minderheitsantrag brachte Nationalrätin Min Li Marti (sp, ZH) die im Ständerat bereits gescheiterte Idee erneut ein, dass die erblassende Person den Pflichtteil weiter, d.h. bis auf die Hälfte des neu im Gesetz vorgeschriebenen Werts, verringern können sollte, um so den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin in grösserem Umfang zu begünstigen. Diese noch grössere Verfügungsfreiheit als vom Bundesrat vorgesehen ging jedoch auch dem Nationalrat zu weit; er lehnte den Minderheitsantrag mit 106 zu 81 Stimmen ab.
Bei der dritten Minderheit ging es um den vom Bundesrat neu ins Gesetz eingebrachten Unterstützungsanspruch für faktische Lebenspartnerinnen und Lebenspartner, der von der Kommissionsmehrheit wie vom Ständerat abgelehnt worden war und für dessen Beibehaltung die Minderheit Arslan (basta, BS) eintrat. Der Unterstützungsanspruch sei gedacht, um Notlagen zu verhindern, beispielsweise weil der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin die verstorbene Person gepflegt und darum kein Erwerbseinkommen hatte, und entspreche damit der Gerechtigkeit, so das Argument der Minderheit. Die Kommissionsmehrheit war dagegen der Ansicht, dass die Verringerung der Pflichtteile und die damit erweiterte Verfügungsfreiheit eine ausreichende Möglichkeit schaffe, den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin zu begünstigen, wie Kommissionssprecher Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) ausführte. Eine knappe Mehrheit aus den geschlossenen Fraktionen der SVP und der Mitte sowie zwei Dritteln der FDP-Fraktion besiegelte schliesslich das Aus für diese Idee. Sie wurde von der Volkskammer mit 94 zu 90 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt, womit die entsprechenden Artikel definitiv aus dem Gesetzesentwurf gestrichen sind.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 140 zu 48 Stimmen bei einer Enthaltung an, wobei alle Opposition aus der SVP-Fraktion kam. Stillschweigend schrieb er zudem die Motion Gutzwiller (fdp, ZH; Mo. 10.3524) für ein zeitgemässes Erbrecht und das Postulat Nantermod (fdp, VS; Po. 16.3416) betreffend eine gesetzliche Regelung der Erbfolge in Patchworkfamilien ab.

Revision des Erbrechts (BRG 18.069)
Dossier: Révision du droit successoral (2016– )

In der Herbstsession 2019 ging das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) in die Differenzbereinigung. In der ersten Runde konnte sich die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat bei allen Streitpunkten durchsetzen, womit die Volkskammer an ihren ursprünglichen Positionen festhielt und keine grosse Kompromissbereitschaft an den Tag legte. Obwohl sich die Frage um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die E-ID wie ein roter Faden durch die Debatte zog, schienen die diesbezüglichen Überlegungen die Entscheidungen des Rats nur wenig zu beeinflussen. So lehnte der Nationalrat sowohl den von einer Minderheit Arslan (basta, BS) geforderten Zwang als auch die vom Ständerat eingeführte, vorbedingungslose Möglichkeit für den Staat zur Herausgabe einer E-ID ab und hielt an der rein subsidiären staatlichen Herausgabe fest, obwohl sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter für den ständerätlichen Kompromiss ausgesprochen hatte. Der Staat sollte sich auch nicht wie vom Ständerat vorgesehen an privaten E-ID-Anbietern (Identity Providern) beteiligen können. Des Weiteren hielt die grosse Kammer an der Nennung der Sorgfaltspflichten im E-ID-Gesetz fest und strich lediglich die Delegationsnorm, welche die Konkretisierung der Sorgfaltspflichten durch den Bundesrat vorgesehen hätte. Eine Minderheit Flach (glp, AG) blieb mit dem Vorschlag eines Mittelwegs erfolglos, der das explizite Verbot der Weitergabe der E-ID streichen, die abstrakte Beschreibung der Sorgfaltspflichten aber beibehalten wollte. Ebenfalls erfolglos blieb die durch Beat Flach eingebrachte Forderung des Konsumentenschutzes, dass Dienstleistungen, für die eine E-ID der Sicherheitsstufe «niedrig» ausreicht, auch ohne E-ID genutzt werden können müssen. Da die Angst, im Internet eine Datenspur zu hinterlassen, nachvollziehbar sei, hatte sich Bundesrätin Keller-Sutter auch hierfür vergebens stark gemacht. Die vom Ständerat neu eingeführte E-ID-Kommission (Eidcom) als unabhängige Stelle zur Anerkennung und Kontrolle der Identity Provider blieb im Nationalrat vorerst ebenso chancenlos wie die von der Schwesterkammer verschärften Datenschutzbestimmungen.
Im Ständerat erklärte es Kommissionssprecher Beat Vonlanthen (cvp, FR) zum Ziel dieses Gesetzgebungsprozesses, dass das Gesetz bzw. die E-ID «vertrauenswürdig sein und in einer allfälligen Volksabstimmung bestehen können» müssten. In diesem Lichte hielt die Kantonskammer an ihren Positionen zur Möglichkeit für eine staatliche Herausgabe der E-ID und für eine staatliche Beteiligung an Identity Providern sowie zur Einführung der Eidcom, die sie allesamt als zentral für die Vertrauensbildung in der Bevölkerung erachtete, stillschweigend fest. Einen Schritt auf ihre Schwesterkammer zu machte sie bei den Sorgfaltspflichten, wo sie sich für den zuvor im Nationalrat diskutierten, aber dort noch abgelehnten Mittelweg Flach entschied. Mit der im Nationalrat abgelehnten, zwingenden Alternative zur E-ID bei Dienstleistungen, die nur Sicherheitsstufe «niedrig» verlangen, fand das Anliegen des Konsumentenschutzes im Ständerat Gehör und wurde ins Gesetz aufgenommen. Zugeständnisse an den Nationalrat machte die kleine Kammer auch beim Datenschutz, indem sie einen Kompromiss einführte, wonach die Zweckbindung der Datenverarbeitung erhalten bleiben, eine Bearbeitung durch Dritte im Rahmen des Datenschutzgesetzes aber erlaubt sein soll, um die konzerninterne Arbeitsteilung und das Outsourcing der Datenbearbeitung nicht zu verunmöglichen.
Während sich der Nationalrat bei den Sorgfaltspflichten schliesslich auf den Mittelweg Flach einliess und diese Differenz damit ausräumte, brachte die RK-NR einen neuen Vorschlag betreffend die Rolle des Staates vor. Demnach soll der Staat nur dann selber ein E-ID-System betreiben dürfen, wenn die Zwecke der E-ID gemäss Art. 1 BGEID nicht erfüllt werden. Der Bundesrat unterstützte diese Subsidiaritätsregel nun, da sie die Voraussetzungen für das Tätigwerden des Staates klar formuliere und der Bund auch ohne diese Einschränkung ohnehin nur mit gebührender Zurückhaltung agiert hätte. Entgegen einer Minderheit Min Li Marti (sp, ZH), die von der SP-, der Grünen- sowie einzelnen Mitgliedern der FDP-Fraktion getragen wurde und an der ständerätlichen Version festhalten wollte, entschied sich die grosse Kammer für diesen neuen Kompromiss. Bezüglich der Eidcom hatte sich die Mehrheit der RK-NR seit der letzten Beratung umstimmen lassen; sie setzte sich nun gemeinsam mit dem Bundesrat für deren Einführung als unabhängige Aufsicht ein, da der Staat, würde er subsidiär tätig, sich im Falle der Aufsicht durch das Informatiksteuerungsorgan des Bundes letztlich selber beaufsichtigen würde. Die Mehrheit des Nationalratsplenums liess sich davon überzeugen und schloss sich mit 113 zu 69 Stimmen dem Ständerat an, während die SVP- und die BDP-Fraktionen sowie einige FDP-Vertreterinnen und -vertreter dagegen votierten. Dem ständerätlichen Kompromiss beim Datenschutz stimmte die grosse Kammer stillschweigend ebenfalls zu.
In der einen verbleibenden Differenz zum subsidiären E-ID-System des Bundes schloss sich der Ständerat schliesslich stillschweigend dem neuen nationalrätlichen Vorschlag an. Die so bereinigte Vorlage passierte die Schlussabstimmung im Nationalrat mit 144 zu 51 Stimmen bei 2 Enthaltungen und jene im Ständerat mit 35 zu 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Wie bereits seit längerem angekündigt, zeigten sich die SP und die Grünen nicht zufrieden mit dem Gesetz, weil sie sich die Herausgabe der E-ID durch den Staat gewünscht hätten. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit dürfte wohl das Volk haben, mutmasste die Presse.

E-ID-Gesetz
Dossier: Identification électronique

Wie schon in der Vernehmlassung stellte sich auch im Nationalrat die Frage der Aufgabenteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft als der zentrale Knackpunkt des Bundesgesetzes über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) heraus. Während Eintreten in der Frühjahrssession 2018 unbestritten war, wurde lange und ausführlich über einen Rückweisungsantrag der links-grünen Kommissionsminderheit diskutiert, mit dem der Bundesrat beauftragt werden sollte, eine Vorlage auszuarbeiten, die die Ausstellung der E-ID als öffentliche Aufgabe definiert, die der Bund allenfalls mittels Leistungsauftrag an Private übertragen könnte. Die SP- und die Grüne Fraktion unterstützten die Rückweisung mit dem Argument, analoge Ausweise wie der Pass und die Identitätskarte würden auch vom Staat ausgegeben. Alle übrigen Fraktionen sprachen sich jedoch für die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung aus, wonach die Prüfung und Bestätigung der Identität einer Person dem Staat zufallen, die technologische Umsetzung der E-ID hingegen von der Privatwirtschaft übernommen werden soll. Sie betonten, privatwirtschaftliche Anbieter könnten besser auf die technologischen Entwicklungen und die Bedürfnisse der Anwenderinnen und Anwender reagieren, was die E-ID sicherer und nutzerfreundlicher mache; die Innovation werde durch den Wettbewerb gefördert. Mit 131 zu 53 Stimmen bei 2 Enthaltungen wurde das links-grüne Lager überstimmt und der Rückweisungsantrag abgelehnt.
Auch in der Detailberatung stand das links-grüne Lager mehr oder weniger isoliert; alle dessen Minderheitsanträge wurden mit grosser Mehrheit abgelehnt. Die Streichung der Sorgfaltspflichten für E-ID-Inhaberinnen und -Inhaber aus dem Gesetz, wie erstens von einer Minderheit Arslan (basta, BS) gefordert, ändere nichts an der Rechtslage, so die Ansicht der ablehnenden Ratsmehrheit, da die Verschuldenshaftung des OR ohnehin zum Tragen komme – d.h. haftbar ist grundsätzlich, wer in Verletzung von Sorgfaltspflichten einen Schaden verursacht. Um die E-ID nutzen zu können, müssen die Antragstellerinnen und Antragsteller zweitens einwilligen, dass ihre persönlichen Daten ans Fedpol übermittelt werden, damit dieses die Identität bestätigen kann. Ebenfalls eine Minderheit Arslan beantragte, diese Einwilligung durch eine Kenntnisnahme der Übermittlung zu ersetzen, da man sie nicht verweigern könne, sofern man die E-ID nutzen möchte, und unterlag damit der Mehrheit, die fand, die Formulierung mache hier letztendlich keinen Unterschied, wobei die Einwilligung einfacher verständlich sei. Drittens wollte eine Minderheit Marti (sp, ZH) dem Bund die Möglichkeit einräumen, ein eigenes E-ID-System zu betreiben bzw. sich an einem bestehenden System zu beteiligen, und zwar nicht nur wie im Entwurf vorgesehen, wenn der Markt kein Angebot mit den für behördliche Applikationen geforderten Sicherheitsniveaus «substanziell» und «hoch» bereitstellt. Damit sollte verhindert werden, dass bei Nichtfunktionieren der Marktlösung, z.B. infolge Vertrauensverlust nach Hackerangriffen oder Ausstieg der Anbieter aufgrund zu geringer Rentabilität, gar keine E-ID mehr angeboten wird. Der Ratsmehrheit zufolge sei jedoch ein Staatseingriff nur subsidiär zum Markt akzeptabel und eine Mehrheitsbeteiligung von Bundesunternehmen an E-ID-Anbietern nicht wünschenswert, weshalb es keine solche Bestimmung brauche; mit Minderheitsanteilen seien die SBB, die Post und die Swisscom auch ohne explizite gesetzliche Grundlage bereits am SwissSign-Konsortium beteiligt. Viertens solle die Beantragung einer E-ID nicht nur wie vom Bundesrat vorgesehen online direkt beim Anbieter, sondern auch analog auf der Gemeindekanzlei oder beim Passbüro eingeleitet werden können, um Nicht-Digital-Natives den Zugang zu erleichtern, so ein Minderheitsantrag Flach (glp, AG). Die ablehnende Mehrheit argumentierte jedoch, man wolle den Gemeinden und Kantonen keine Zusatzaufgaben aufbürden und ohnehin würden Personen, die nicht mit dem Internet vertraut sind, keine E-ID benutzen. Weitere Minderheiten forderten vergebens die sofortige Vernichtung der Daten durch die Identity Provider, statt wie vorgesehen die Löschung nach sechs Monaten, ein explizites Verbot der kommerziellen Nutzung dieser Daten (beide Arlsan), die Anbindung der Preise an die tatsächlich anfallenden Kosten (Marti) und ausdrückliche Garantien, dass staatliche Dienstleistungen auch weiterhin ohne E-ID zugänglich und eine E-ID auch ohne Kundenbeziehung zum Anbieter erhältlich sein müssen (beide Mazzone, gp, GE).
Als Einzige mit ihrem Minderheitsantrag erfolgreich war Andrea Gmür-Schönenberger (cvp, LU), die Bundesrätin Karin Keller-Sutter sowie eine knappe Ratsmehrheit von der Notwendigkeit überzeugen konnte, den barrierefreien Zugang zur E-ID im Gesetz zu verankern, sodass Menschen mit Behinderung bei der Beantragung einer E-ID nicht benachteiligt werden. Als zweite substanzielle Änderung am bundesrätlichen Entwurf ergänzte der Nationalrat das Gesetz auf Antrag seiner Kommission dahingehend, dass die Identity Provider allen Personen, die einen Antrag stellen und die Voraussetzungen erfüllen, eine E-ID ausstellen müssen. Der Bundesrat plädierte vergeblich für die Wirtschaftsfreiheit der privaten Anbieter. Mit 181 zu 1 Stimme war die grosse Kammer der Ansicht, dass niemand von der E-ID ausgeschlossen werden soll. Das viel und heftig diskutierte, am Ende gegenüber dem Entwurf des Bundesrates aber nur leicht angepasste Gesetz passierte die Gesamtabstimmung im Nationalrat schliesslich mit 128 zu 48 Stimmen bei 4 Enthaltungen; dagegen votierten die Fraktionen der Grünen und der SP – letztere mit einer Ausnahme – geschlossen.

E-ID-Gesetz
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