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Acteurs

  • Metzler, Ruth (cvp/pdc) alt-BR/ex-CF
  • Blocher, Christoph (svp/udc) BR EJPD / CF DFJP

Processus

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Lange Zeit waren die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats fast eine Pflichtübung. Das hatte vor allem damit zu tun, dass die eidgenössischen Wahlen lange Jahre kaum politische Verschiebungen nach sich zogen. Zwar war die alte Zauberformel (2 CVP, 2 FDP, 2 SP, 1 SVP) mit dem Wahlerfolg der SVP stark hinterfragt und schliesslich nach einigen Jahren der Transition mit mehr oder weniger gehässigen und aufreibenden Regierungswahlen, der Nichtwiederwahl von Ruth Metzler (2003) sowie Christoph Blocher (2007) und einem Intermezzo der BDP in der Regierung gesprengt worden. Nach den eidgenössischen Wahlen 2015, dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf aus der nationalen Exekutive und dem Einzug eines zweiten SVP-Regierungsmitglieds schien dann aber eine neue Formel gefunden: 2 FDP, 2 SP, 2 SVP, 1 CVP.

Schon im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2019 war freilich spekuliert worden, dass die Grüne Partei die CVP hinsichtlich des Wähleranteils überflügeln könnte und damit einen Anspruch auf einen Sitz in der nationalen Regierung hätte – umso mehr, wenn sich die Grünen mit der GLP quasi zu einem gemeinsamen Sitz für die «Öko-Parteien» zusammenraufen könnten, wie die Aargauer Zeitung spekulierte. Falls sich die CVP halten könnte, wäre auch der Angriff auf einen der beiden FDP-Sitze denkbar, so die Hypothese zahlreicher Medien. Die angegriffenen Parteien wehrten sich mit dem Argument, dass eine Partei ihren Wahlerfolg zuerst bestätigen müsse, bevor sie einen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erhalten könne. Dies sei auch bei der SVP der Fall gewesen – so etwa FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) bereits Mitte August 2019 in der Zeitung Blick. Zudem dürfe nicht nur der Wähleranteil bei den Nationalratswahlen in die Berechnung einfliessen, sondern man müsse auch die Vertretung im Ständerat berücksichtigen. Martin Bäumle (glp, ZH), Ex-Präsident der GLP, gab zudem zu verstehen, dass ein Öko-Lager aus GP und GLP kaum denkbar sei; zu unterschiedlich sei man in diversen Sachfragen. Ebenfalls früh wurde in den Medien über einen möglichen Rücktritt von Ueli Maurer spekuliert, was aus der vermeintlichen Pflichtübung eine spannende Wahl gemacht hätte. Maurer gab dann allerdings Anfang November bekannt, noch eine weitere Legislatur anzuhängen.

Die aussergewöhnlichen Erfolge der Grünen Partei bei den eidgenössischen Wahlen 2019 gaben dann den Diskussionen über die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats sehr rasch wieder ganz viel Nahrung und schafften Raum für allerlei Reformvorschläge zur Bestimmung der Landesregierung. In der Tat hatten die Grünen mit 13 Prozent Wähleranteil die CVP (11.4%) deutlich überflügelt und als viertstärkste Partei abgelöst. Die GLP kam neu auf 7.8 Prozent. Die NZZ rechnete vor, dass die aktuelle Regierung so wenig Wählerinnen und Wähler vertrete wie zuletzt vor 60 Jahren. Die Grünen und die Grünliberalen hätten rein rechnerisch ein Anrecht auf je einen Bundesratssitz.
Neben den medial zahlreich vorgetragenen Berechnungen wurde allerdings auch inhaltlich und historisch argumentiert. Der Einbezug in die Regierung sei immer auch an den Umstand geknüpft gewesen, dass eine Oppositionspartei auch in verschiedenen Sachthemen glaubhaft ihre Referendumsmacht ausspielen könne, wurde etwa argumentiert. Zwar sei das Klimathema wichtig und würde wohl auch nachhaltig bleiben, die Grünen und die GLP müssten aber – wie auch die SVP mit ihren gewonnenen Volksbegehren – mit Abstimmungserfolgen ihren Anspruch noch untermauern, so ein Kommentar in der NZZ. Die Grünen würden trotz Wahlgewinnen keinen Regierungssitz erhalten, weil «niemand Angst vor ihnen hat», wie die Aargauer Zeitung diesen Umstand verdeutlichte. Argumentiert wurde zudem, dass eine «Abwahl» – eigentlich handelt es sich um eine Nichtwiederwahl – nicht dem politischen System der Schweiz entspreche. Es brauche mehrere Wahlen, bei denen sich eine Partei konsolidieren müsse, um die Stabilität in der Regierung auch über längere Zeit zu gewährleisten, kommentierte dazu der Blick.

Der Tages-Anzeiger führte gar eine Umfrage durch, die aufzeigte, dass eine Mehrheit der Befragten die Zeit für einen grünen Bundesrat noch nicht für gekommen hielt. Wer ein grünes Bundesratsmitglied jedoch befürwortete (rund 40% der Befragten), wünschte sich, dass dies auf Kosten eines Sitzes der SVP (50%) oder der FDP (21%), aber eher nicht auf Kosten der CVP (10%) oder der SP (6%) gehen solle.
Für die WoZ war allerdings klar: «Cassis muss weg!» In der Tat forderte auch Regula Rytz (gp, BE) via Medien, dass die FDP freiwillig auf einen Sitz verzichte, da sie als lediglich drittgrösste Partei keinen Anspruch auf zwei Sitze habe. In der Folge schienen sich die Medien dann in der Tat vor allem auf den zweiten Sitz der FDP einzuschiessen. Freilich wurden auch andere Modelle diskutiert – so etwa ein von Christoph Blocher in der Sonntagszeitung skizziertes Modell mit der SVP, die zwei Sitze behalten würde, und allen anderen grösseren Parteien (SP, FDP, CVP, GP, GLP) mit je einem Sitz –, «sämtliche Planspiele» drehten sich aber «um einen Namen: Aussenminister Ignazio Cassis», fasste die Aargauer Zeitung die allgemeine Stimmung zusammen. Er sei «der perfekte Feind», «visionslos und führungsschwach». Der Aussenminister befinde sich im «Trommelfeuer» befand die Weltwoche. Häufig wurde seine Haltung im Europadossier kritisiert und entweder ein Rücktritt oder wenigstens ein Departementswechsel gefordert. Mit Ersterem müsste allerdings die Minderheitenfrage neu gestellt werden, war doch die Vertretung des Tessins mit ein Hauptgrund für die Wahl Cassis im Jahr 2017. Der amtierende Aussenminister selber gab im Sonntags-Blick zu Protokoll, dass er sich als Tessiner häufig benachteiligt fühle und spielte so geschickt die Minderheitenkarte, wie verschiedene Medien tags darauf kommentierten. Die Sonntags-Zeitung wusste dann noch ein anderes Szenario zu präsentieren: Einige SVP-Parlamentarier – das Sonntagsblatt zitierte Andreas Glarner (svp, AG) und Mike Egger (svp, SG) – griffen Simonetta Sommaruga an und forderten, dass die SP zugunsten der Grünen auf einen Sitz verzichten müsse. Die CVP sei in «Versuchung», wagte sich dann auch die NZZ in die Debatte einzuschalten. Würde sie Hand bieten für einen grünen Sitz auf Kosten der FDP, dann könnte sie im Bundesrat «das Zünglein an der Waage» spielen und Mehrheiten nach links oder nach rechts schaffen. Die NZZ rechnete freilich auch vor, dass grün-links mit zusammen rund 30 Prozent Wähleranteil mit drei von sieben Regierungssitzen klar übervertreten wäre, denn die GLP dürfe man nicht zu den Grünen zählen. Dies hatten vor allem die Grünen selbst implizit immer wieder gemacht, indem sie vorrechneten, dass die GLP und die GP zusammen auf 21 Prozent Wähleranteile kämen.

Neben Kommentaren und Planspielen warteten die Medien auch mit möglichen grünen Bundesratsanwärterinnen und -anwärtern auf. Häufig gehandelte Namen waren die scheidende Parteipräsidentin Regula Rytz, die Waatländer Staatsrätin Béatrice Métraux (VD, gp), die Neo-Ständerätin Maya Graf (gp, BL), der Berner alt-Regierungsrat Bernhard Pulver (BE, gp), der amtierende Fraktionschef der Grünen, Balthasar Glättli (gp, ZH) oder der Zürcher Nationalrat Bastien Girod (gp, ZH). Ins Gespräch brachte sich zudem der Genfer Staatsrat Antonio Hodgers (GE, gp).

Die Grünen selber gaben sich lange Zeit bedeckt und waren sich wohl auch bewusst, dass eine Kampfkandidatur nur geringe Chancen hätte. Sie entschieden sich zwar an ihrer Delegiertenversammlung Anfang November in Bern für eine forschere Gangart und forderten einen grünen Bundesratssitz – Regula Rytz sprach davon, dass vorzeitige Rücktritte aus dem Bundesrat ein Ärgernis seien, weil sie Anpassungen nach Wahlverschiebungen erschweren würden. Mit der Forderung war einstweilen aber noch kein Name verknüpft, was der Partei prompt als «Lavieren» ausgelegt wurde (Blick). «Der grüne Favorit», wie der Tages-Anzeiger Bernhard Pulver betitelte, sagte Mitte November, dass er nicht zur Verfügung stehe. Auch der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (BE, gp) und die Aargauer alt-Regierungsrätin Susanne Hochuli (AG, gp), die ebenfalls als Kandidierende gehandelt worden waren, sagten via Medien, dass sie nicht zur Verfügung stünden.
Die «Kronfavoritin» (Tages-Anzeiger) Regula Rytz ihrerseits stand im zweiten Umgang der Ständeratswahlen im Kanton Bern. Ihr wurden intakte Chancen eingeräumt und wohl auch um diese nicht zu gefährden, versicherte sie, dass sie auf eine Bundesratskandidatur verzichten würde, sollte sie für den Kanton Bern in die kleine Kammer gewählt werden. Da sie dies allerdings verpasste, kündigte die Bernerin rund 20 Tage vor den Bundesratswahlen ihre Kandidatur an – noch bevor die Fraktion offiziell beschlossen hatte, eine Kandidatur einzureichen. Nach einer solchen Richtungswahl, wie es die eidgenössischen Wahlen gewesen seien, könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, erklärte sie gegenüber der Presse. Sie wolle für die Menschen und die Natur Verantwortung übernehmen. Ihr Angriff gelte aber nur dem FDP-Sitz von Ignazio Cassis. Würde sie für ein anderes Regierungsmitglied gewählt, würde sie die Wahl nicht annehmen – so die Bernerin. Die Fraktion der Grünen gab dann allerdings tags darauf bekannt, dass es nicht um die Person, sondern um die Übervertretung der FDP gehe. Ein Angriff auf Karin Keller-Sutter schien damit nicht wirklich ausgeschlossen. Die nach aussen als wenig abgesprochen erscheinende Strategie für die Ansage der Kampfwahl brachte der GP Kritik ein. Die Partei zeige sich «unbeholfen» und der Start sei «misslungen», urteilte etwa die NZZ. Auch die Weltwoche redete von einem «verpatzten Start» und die Sonntagszeitung sprach gar von dilettantischem Vorgehen. Es sei, als wären die Grünen ein Sprinter, der kurz vor dem Ziel auf die Uhr schaue und sich hinknie, um die Schuhe zu binden, so die Zeitung weiter.

Eine medial oft diskutierte Frage im Vorfeld der Wahlen war, welche Parteien die Grünen in ihrem Anliegen unterstützen würden. Klar schien, dass die FDP nicht Hand bieten würde. Auch die SVP würde – wenn überhaupt – die GP nur auf Kosten der SP unterstützen. Die CVP bzw. die neue Mitte-Fraktion (CVP zusammen mit BDP und EVP) entschied, Rytz nicht einmal zu einem Hearing einzuladen. Man sei nicht gegen eine grüne Vertretung in der Regierung, es sei aber «etwas zu früh», liess sich CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) in der Sonntagszeitung zitieren. Die GLP und die SP gaben bekannt, Rytz vor den Wahlen anhören zu wollen. Für Schlagzeilen sorgte dabei SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR), der die CVP aufforderte, mitzuhelfen, die Grünen in die Regierung zu hieven. Die Schweiz wäre sonst die einzige Demokratie, in der Wahlen keine Auswirkungen auf die Regierungszusammensetzung hätten. Zudem würde sich die Weigerung der CVP wohl über kurz oder lang rächen. Bei der GLP zeigte sich das Dilemma zwischen ökologischem und liberalem Gedankengut. Insbesondere in der Europafrage fanden sich die GLP und der amtierende Aussenminister eher auf der gleichen Linie. Für Rytz spreche das ökologische Anliegen, gegen sie ihre eher linke Ausrichtung, erklärte Tiana Moser (glp, ZH) dann den Entscheid für Stimmfreigabe der GLP. Zudem würde Rytz ohne Absprache mit den Grünliberalen den «Sitz der Ökokräfte» für sich beanspruchen. Letztlich stellte sich einzig die SP-Fraktion offiziell hinter Rytz. Die eher laue Unterstützung und der Versuch der amtierenden Regierungsparteien, die eigene Macht zu zementieren, mache das Unterfangen «grüne Bundesrätin» für Regula Rytz zu einer «mission impossible», fasste die Zeitung Le Temps die Situation dann kurz vor den Wahlen zusammen.

Nicht die Medien, nicht Umfragen und «nicht die Wahlprozente» (NZZ), sondern die Vereinigte Bundesversammlung bestimmt freilich letztlich, welche Parteien in der Regierung vertreten sein sollen. Und diese Entscheidung brachte das Resultat, das viele im Vorfeld aufgrund der Aussagen der verschiedenen Parteien auch erwartet hatten: die Wiederwahl aller Amtierenden und das Scheitern des Angriffs der Grünen. Auch die Ansprachen der Fraktionschefinnen und -chefs im Vorfeld der einzelnen Wahlen – die Erneuerungswahlen finden in der Reihenfolge der Amtszeit der Bundesratsmitglieder statt – machten dies bereits deutlich. Die CVP plädierte für Konkordanz und Stabilität und die SVP betonte, dass zum Erfolgsmodell Schweiz die angemessene Vertretung der Landesteile in der Regierung gehöre – die Diskriminierung der kleinsten Sprachregion durch die Grüne Partei sei abzulehnen. Die GLP erklärte, dass die Stärkung der ökologischen Anliegen und der Wähleranteil der Grünen zum Vorteil für Rytz gereiche, ihre Positionierung am linken Rand und der fehlende Anspruch von links-grün auf drei Sitze aber gegen sie spreche. Die SP erklärte, die Zauberformel sei keine exakte Wissenschaft, aber die beiden stärksten Parteien sollten zwei Sitze und die restlichen jeweils einen Sitz erhalten, was für Regula Rytz spreche. Die Fraktion der Grünen geisselte den Umstand, dass die Regierungsparteien während der Legislatur Sitze «austauschten» und so bewusst verunmöglichten, dass das Parlament die Resultate nach eidgenössischen Wahlen berücksichtigen könne. Die FDP schliesslich wollte sich einer künftigen Diskussion um eine Anpassung der Zusammensetzung des Bundesrats nicht verschliessen, amtierende Regierungsmitglieder dürften aber nicht abgewählt werden.

Der Angriff der Grünen folgte bei der fünften Wahl, auch wenn der Name Regula Rytz schon bei der Bestätigungswahl von Simonetta Sommaruga auftauchte. Gegen die 145 Stimmen, die Ignazio Cassis erhielt, war Regula Rytz jedoch chancenlos. Sie erhielt 82 Stimmen, was in den Medien als schlechtes Abschneiden kommentiert wurde, hätten doch die Grünen (35 Stimmen) und die SP (48 Stimmen) in der Vereinigten Bundesversammlung gemeinsam über 83 Stimmen verfügt. Weil darunter sicherlich auch ein paar CVP- und GLP-Stimmen seien, müsse dies wohl so interpretiert werden, dass einige SP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier die grüne Konkurrenz fürchteten; Ignazio Cassis könne hingegen zufrieden sein. Von den 244 Wahlzetteln waren 6 leer geblieben und 11 enthielten andere Namen als «Rytz» oder «Cassis».
Schon zuvor hatten die meisten Parlamentsmitglieder auf Experimente verzichtet. Bei der ersten Wahl wurde der amtsälteste Bundesrat, Ueli Maurer, mit 213 von 221 gültigen Wahlzetteln gewählt. 23 der 244 ausgeteilten Bulletins waren leer geblieben und acht auf Diverse entfallen. Beim Wahlgang für Simonetta Sommaruga entfielen 13 Stimmen auf Regula Rytz und 13 Stimmen auf Diverse. Da ein Wahlzettel ungültig war und 25 leer blieben, durfte sich die künftige Bundespräsidentin über 192 Stimmen freuen. Alain Berset erhielt 214 Stimmen. Bei ihm waren 14 Wahlzettel leer geblieben und 16 auf Diverse entfallen. Die Anzahl ungültige (1) und Leerstimmen (39) wuchs dann bei Guy Parmelin wieder an, so dass der Wirtschaftsminister noch 191 Stimmen erhielt – 13 Stimmen entfielen auf Diverse. Einen eigentlichen «Exploit» (Tages-Anzeiger) erzielte Viola Amherd bei der sechsten Wahl. Mit 218 Stimmen erhielt sie die zweitmeisten Stimmen der Geschichte; nur Hans-Peter Tschudi hatte 1971 mehr Stimmen erhalten, nämlich 220. Elf Stimmen blieben leer und 14 entfielen auf Diverse. Eingelangt waren nur noch 243 Wahlzettel. Ein etwas seltsames Gebaren zeigt sich bei der letzten Wahl. Karin Keller-Sutter wurde zwar auch hier im Amt bestätigt, sie erhielt aber lediglich 169 Stimmen, da von den 244 ausgeteilten Wahlzetteln 37 leer und einer ungültig eingelegt wurden und 21 Stimmen auf Marcel Dobler (fdp, SG) sowie 16 auf Diverse entfielen. In den Medien wurde spekuliert, dass dies wohl eine Retourkutsche vor allem von Ostschweizer SVP-Mitgliedern gewesen sei, weil Keller-Sutter sich im St. Galler Ständeratswahlkampf zugunsten von Paul Rechsteiner (sp, SG) ausgesprochen habe.

Der Angriff der Grünen sei zwar gescheitert, dies könne für die Partei aber auch befreiend sein, könne sie nun doch Oppositionspolitik betreiben und mit Hilfe der direkten Demokratie den Druck auf die anderen Parteien erhöhen, urteilte Le Temps nach den Wahlen. Ihr Anspruch auf einen Bundesratssitz sei nach diesen Bundesratswahlen nicht einfach vom Tisch, kommentierte Balthasar Glättli. In zahlreichen Medien wurde zudem die Stabilität des politischen Systems betont – auch der Umstand, dass es zu keinem Departementswechsel kam, obwohl kurz über einen Wechsel zwischen Alain Berset und Ignazio Cassis spekuliert worden war, wurde als Indiz dafür gewertet. Doch Stabilität bedeute nicht Stillstand; die neuen Mehrheiten im Nationalrat müssten sich auch auf die Diskussionen um eine neue Zauberformel auswirken – so die einhellige Meinung der Kommentatoren. An einem vor allem von der CVP geforderten «Konkordanzgipfel» sollten Ideen für die künftige Zusammensetzung der Landesregierung beraten werden. Entsprechende Gespräche wurden auf Frühling 2020 terminiert.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2019
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

Aufgrund der Vorkommnisse im Untersuchungsfall Fifa stellte die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) in einer Pressekonferenz Ende April die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen Bundesanwalt Michael Lauber in Aussicht. Die Frage stand im Raum, ob Lauber die Aufsichtsbehörde angelogen hatte, indem er ein drittes Geheimtreffen mit Fifa-Generalsekretär Gianni Infantino nicht erwähnt hatte, obwohl er, nachdem aufgrund der sogenannten «Fussball-Leaks» bekannt geworden war, dass bereits zwei solche Treffen stattgefunden hatten, explizit danach gefragt worden sei. Weil Laubers Wiederwahl bevorstand und die Gerichtskommission (GK) Mitte Mai das Wahlgeschäft für die Sommersession vorbereiten wollte, eilte die Abklärung durch die AB-BA.

Am 10. Mai gab die Aufsichtsbehörde dann bekannt, eine Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber zu eröffnen. Man wolle dafür einen externen Spezialisten einsetzen, um Unabhängigkeit zu garantieren. Die Eröffnung der Untersuchung präjudiziere deren Ergebnis «in keiner Art und Weise», explizierte die AB-BA in ihrer Medienmitteilung. Je nachdem wie der Expertenbericht ausfällt, kann die AB-BA drei mögliche Sanktionen verhängen: eine Verwarnung, einen Verweis oder, als schärfste Massnahme, eine Lohnkürzung von maximal 10 Prozent während eines Jahres.

Gleichentags nahm Lauber an einer Pressekonferenz ziemlich «heftig» und «geharnischt» Stellung (NZZ). Er werde vorverurteilt und es werde nicht in Betracht gezogen, dass er die Wahrheit sage, so der Bundesanwalt. Es gebe kein Vertrauen mehr zwischen ihm und der Aufsichtsbehörde. Er werde aber trotzdem zur Wiederwahl antreten – «jetzt erst recht» (Blick). Das Verfahren und seine Wiederwahl dürften nicht vermischt werden, weil das Parlament seine Arbeit der letzten acht Jahre zu beurteilen habe. Lauber kündigte zudem an, dass er sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wehren werde.
In den Medien wurde vermutet, dass die Affäre wohl auf einen Zweikampf zwischen Michael Lauber und Hanspeter Uster, dem Präsidenten der AB-BA hinauslaufe. Le Temps sah dunkle Wolken gegen Lauber aufziehen und der Sonntags-Blick prophezeite einen «brutalen Fight» zwischen dem Bundesanwalt und seinem Aufseher.
In der Folge geriet auch Hanspeter Uster in den Fokus der Presse. Der ehemalige Zuger Regierungsrat und mitverantwortlicher Experte für die unter dem damaligen Bundesrat Christoph Blocher eingeleitete Reorganisation der Bundesanwaltschaft habe bereits 2011, also kurz vor Amtsantritt Laubers, gegen diesen «gestichelt» (Aargauer Zeitung). Uster wurde von der NZZ zwar als nüchtern, sachlich und konstruktiv beschrieben, er zeichne sich aber auch durch «missionarischen Eifer» aus. Nur einer der beiden werde den «filmreifen Kampf voller Animositäten und Emotionen» politisch überleben, kommentierte die Weltwoche.

Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber (2019-2020)
Dossier: Michael Lauber - Procureur général

Das Salär eines Bundesrates ist immer mal wieder Gegenstand medialer Debatten. Zudem war der Durchschnittslohn der Magistratinnen und Magistraten auch Gegenstand in der Debatte um die Kaderlöhne in bundesnahen Betrieben. Die Kosten eines Bundesratsmitglieds bemessen sich aus seinem an die Teuerung angepassten Lohn, der – Stand Januar 2017 – CHF 445'163 beträgt, und einer Spesenpauschale von CHF 30'000 pro Jahr. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin erhalten zusätzlich CHF 12'000. Darüber hinaus übernimmt der Bund die Kosten für Festnetzanschluss, Mobilteleton und PC und die Magistratinnen und Magistraten dürfen ein Repräsentations- und ein Dienstfahrzeug nutzen, bezahlen für deren private Nutzung allerdings 0.8 Prozent des Neupreises pro Monat. In den Leistungen inbegriffen sind zudem ein SBB-Generalabonnement für die erste Klasse und ein GA für die Schweizer Seilbahnen.
Zu reden gibt aber insbesondere die Rente, die zurückgetretene Bundesrätinnen und Bundesräte auf Lebenszeit erhalten. Sie beträgt CHF 220'000 pro Jahr, also rund die Hälfte des ursprünglichen Lohnes. Nur wenn ein ehemaliges Bundesratsmitglied nach seinem oder ihrem Rücktritt mehr verdient als im Amt, wird die „Versorgung der Magistratspersonen” entsprechend gekürzt. Der Tages-Anzeiger rechnete aus, dass ein Grund für das Wachstum des Personalaufwandes der Bundesverwaltung ebendiese Ruhegehälter sind, deren Reserve laut Staatsrechnung stark aufgestockt werden musste. 2017 waren 20 Personen – neben den Exekutivmitgliedern erhalten auch ehemalige Bundeskanzlerinnen und -kanzler sowie Bundesrichterinnen und -richter eine Rente – bezugsberechtigt. 17 dieser 20 Personen und drei Witwen erhielten eine Rente, wobei nicht bekannt gegeben wird, um wen es sich dabei handelt. Der Tages-Anzeiger mutmasste, dass Christoph Blocher, Ruth Metzler und Joseph Deiss die Rente nicht beziehen. Insgesamt wurden laut Staatsrechnung 2016 CHF 10.67 Mio. an pensionierte Richterinnen und Richter und CHF 4.28 Mio. an ehemalige Magistratspersonen, Kanzlerinnen und Kanzler sowie Bundesratswitwen ausbezahlt. Diese Summe wurde verschiedentlich als zu hoch betrachtet. Thomas Burgherr (svp, AG) kündigte eine parlamentarische Initiative an, mit der nur noch jene Alt-Bundesrätinnen und Alt-Bundesräte ein Ruhegehalt beziehen sollen, die im Pensionsalter abtreten.

Kosten eines Bundesrates
Dossier: Retraites des magistrat.e.s

Verschiedene Studien zeigten auf, dass das Vertrauen in den Bundesrat 2014/2015 neue Höchstwerte erreichte. Eine Auswertung aller VOX-Analysen, also der Nachbefragungen nach Abstimmungen, zeigte für 2014 den höchsten Wert seit 15 Jahren. Im Schnitt vertrauten laut GfS 61% der Befragten der Landesregierung, was auch auf die ausserordentliche Stabilität und Kollegialität des Gremiums zurückgeführt wurde. So liess sich aus der Auswertung etwa auch lesen, dass zwischen 2003 und 2007 das Vertrauen eher gering war. Verletzungen des Kollegialitätsprinzips und Reibereien im Kollegium zur Zeit von Christoph Blocher im Bundesrat seien mitursächlich dafür gewesen, so der Studienleiter Claude Longchamp. Le Temps schrieb über diese Zeit von einer „Cohésion perdu”.
Auch die jährliche ETH-Befragung zeigte neue Höchstwerte im Vertrauen in die Regierung, was den Blick zur Aussage verleitete, wir hätten die „beste Regierung aller Zeiten”. Dass die Regierung „das Volk spüre” zeige auch der Umstand, dass die meisten Abstimmungen im Sinne der Regierung ausfielen – so die Boulevardzeitung weiter. Kritik erhielt der Bundesrat allerdings von der NZZ: Das geeinte Auftreten vermöge das Fehlen einer strategischen Voraussicht nur bedingt zu kaschieren. Diskutiert wurde, ob die Kollegialität mit der Wahl eines zweiten SVP-Bundesrates, Guy Parmelin Ende 2015, anhalten werde. Während auf der einen Seite eine grössere Anpassung und Druck auf Didier Burkhalter, der jetzt zwischen den Fronten stehe, vermutet wurden, gab Doris Leuthard zu Protokoll, dass es weiterhin sehr kollegial zu und her gehe.

Bundesratskollegium

Die Forderung der SVP, nach einem zweiten Regierungssitz, gehörte seit der Nichtbestätigung von Christoph Blocher (svp, ZH) nach den Wahlen 2007 zum Standardrepertoire der Volkspartei. Bei den Bundesratswahlen 2011 hatte sich die SVP mit ihrem nicht sehr professionellen Nominierungsverfahren praktisch selber aus dem Rennen genommen. Die Vehemenz der Forderung, nach einer adäquaten Regierungsbeteiligung, nahm 2015 gar noch zu und die Attacken der Volkspartei, vor allem auf den BDP-Bundesratssitz, wurden lauter. Die zahlreichen Kandidierenden, die vor den Parlamentswahlen als mögliche Herausforderer angepriesen wurden, dienten dabei einerseits als Nebelpetarden. Weil diese Ankündigungen und sofortigen Dementis, etwa von Toni Brunner (svp, SG) oder Adrian Amstutz (svp, BE), von den Medien bereitwillig aufgenommen und diskutiert wurden, schadete dies anderseits dem Wahlkampf der SVP in keinster Weise. Auch die anderen Parteien profitierten freilich von der medial breitgeschlagenen Diskussion um mögliche Szenarien für die nach den Gesamterneuerungswahlen anstehenden Bundesratswahlen. Die Bürgerlichen bestätigten zwar den prinzipiellen Anspruch der SVP auf einen zweiten Regierungssitz, Regierungsmitglieder, die ihre Sache gut machten, wolle man aber nicht abwählen. SP und GP betonten mit ebendiesem Argument, dass sie Eveline Widmer-Schlumpf (bdp) auf jeden Fall bestätigen wollten.
Die Ausgangslage änderte sich freilich nach der Demissionsankündigung der BDP-Bundesrätin. Die Linke pochte zwar auf einen neuen Mitte-Kandidaten, falls die SVP Kandidierende nominiere, die gegen die Bilateralen seien, und die Grünen sahen ebenfalls weit und breit keinen wählbaren SVP-Kandidierenden. Die restlichen Parteien signalisierten aber rasch, dass sie den Anspruch der SVP auf einen zweiten Bundesratssitz guthiessen und für Spielchen nicht zu haben seien. Dazu gehörte auch die Bestätigung, Bisherige nicht abwählen zu wollen. In der Tat wurde die Möglichkeit diskutiert, einen FDP-Bundesrat abzuwählen und mit einem Kandidierenden der Mitteparteien zu ersetzen, um eine rechtslastige Regierung mit 2 FDP und 2 SVP Magistraten zu verhindern. Die Chance für ein solches Szenario, war allerdings mehr als gering, würden doch dafür weder die FDP noch die SVP Hand bieten.
Rasch zeigte sich zudem, dass die Volkspartei das Nominierungsverfahren dieses Mal mit grösserer Sorgfalt angegangen war als vier Jahre zuvor. Aus den elf ursprünglichen Bewerbungen präsentierte die SVP nach ihrer Fraktionssitzung am 20. November drei Kandidierende aus den drei hauptsächlichen Sprachregionen: Thomas Aeschi (svp, ZG), Guy Parmelin (svp, VD) und Norman Gobbi (TI, lega). Der Tessiner Lega-Regierungsrat stellte sich unter das Banner der SVP, wollte aber auf kantonaler Ebene Legist bleiben. SVP-Fraktionspräsident Adrian Amstutz (svp, BE) wies darauf hin, dass Gobbi Mitglied der SVP Schweiz sei und das Gedankengut der SVP vertrete. Man kooperiere mit der Lega auf nationaler Ebene schon lange. Die Lega gehöre im Parlament schliesslich auch zur SVP-Fraktion. Gobbi sei von der Fraktion praktisch einstimmig nominiert worden (mit 72 von 74 Stimmen). Parmelin (svp, VD) siegte mit 48 zu 29 Stimmen über Oskar Freysinger (VS, svp) und Aeschi setzte sich im fünften Wahlgang mit 44 zu 37 Stimmen gegen Heinz Brand (svp, GR) durch. Ohne Chancen, oder gar nicht ins engere Auswahlverfahren aufgenommen, waren die Kandidaturen von Hannes Germann (svp, SH), Thomas Hurter (svp, SH), Res Schmid (NW, svp), Thomas de Courten (svp, BL), Albert Rösti (svp, BE) und David Weiss (BL, svp).
Die Dreier-Auswahl überraschte, waren doch im Vorfeld andere Favoriten gehandelt worden, die im Parlament eine breitere Unterstützung erhalten hätten. Die SVP machte aber von Anfang an klar, dass sie ihre – nach der Nicht-Bestätigung Blochers – in den Parteistatuten verankerte Regel, strikte anwenden werde. In diesem Sinne würden nicht nominierte, aber gewählte Kandidaten, die ihre Wahl dennoch annähmen, aus der Partei ausgeschlossen. Die Chancen für Hannes Germann (svp, SH), der laut der NZZ mehr Freunde im Parlament als in seiner Partei habe und der erste Bundesrat aus dem Kanton Schaffhausen gewesen wäre, oder für Heinz Brand (svp, GR), der lange als Kronfavorit aus der vernachlässigten Ostschweiz gegolten hatte, lagen damit praktisch bei Null. Es wurden zwar Szenarien für einen Sprengkandidaten aus der Reihe der SVP diskutiert und linke Stimmen kritisierten die Ausschlussregel als Erpressungsversuch, dem man sich nicht beugen werde. Mögliche Sprengkandidaten gaben allerdings rasch bekannt, eine allfällige Wahl nicht annehmen zu wollen.
Die SVP wurde nicht müde zu betonen, dass man mit dem sprachregional ausgewogenen Dreierticket eine echte Auswahl anbiete. Man sei der Forderung der SP und der CVP nachgekommen, einen Kandidierenden aus der Westschweiz aufzustellen und wolle als grösste Partei auch in der Regierung zwei Landesteile repräsentieren. Die Auswahl sorgte allerdings auch für Misstöne. Mit der Nominierung von Norman Gobbi (TI, lega) und Guy Parmelin (svp, VD) – der eine laut Presse bekannt für seine verbalen Entgleisungen, der andere ein politisches Leichtgewicht – wolle die SVP dem Parlament den Deutschschweizer Kandidaten Thomas Aeschi (svp, ZG) aufzwingen. Die Romandie wäre mit drei Sitzen deutlich übervertreten und Gobbi sei Vertreter der Lega. Dies sei keine echte Auswahl und der schweizerischen Konkordanz unwürdig – liess sich etwa Eric Nussbaumer (sp, BL) zitieren. Auch die NZZ kommentierte die Dreier-Nomination als Auswahl, die keine sei. In den Medien galt vorab der Zuger Thomas Aeschi als Kronfavorit. Er vertrete den neuen Stil der SVP, sei jung und ein Vertreter Blocher'scher Prägung – so etwa der TA. Die SVP wurde freilich nicht müde zu betonen, dass sie gerne Regierungsmitglieder aus unterschiedlichen Sprachregionen hätte.
Die Stimmen – auch aus der SVP – , die gerne eine breitere Auswahl aus der Deutschschweiz gehabt hätten, verstummten allerdings nicht. Es gebe durchaus Spielraum für einen (SVP-internen) Sprengkandidaten, zitierte das SGT Vertreter von SP und CVP. Immerhin war in den letzten 100 Jahren jeder fünfte gewählte Bundesrat wild, also nicht von der eigenen Partei nominiert worden. Freilich hatte die Volkspartei alle ursprünglich elf SVP-Kandidaten dazu bewegt, schriftlich zu bestätigen, eine Wahl als Sprengkandidat nicht anzunehmen.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2015 – Nachfolge Eveline Widmer-Schlumpf
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

Die personelle Zusammensetzung des Regierungsgremiums war schon lange Zeit nicht mehr so konstant gewesen wie beim Bundesrat der Ausgabe 2011 bis 2015. Tatsächlich hatte die letzte Mutation Ende 2011 stattgefunden, als Micheline Calmy-Rey (sp) ihren Sitz für Alain Berset (sp) geräumt hatte. Ähnlich lange Phasen unveränderter Zusammensetzung gab es in der Geschichte der Landesregierung nur sehr selten. Im Schnitt kam es in den letzten rund 50 Jahren alle eineinhalb Jahre zu personellen Veränderungen. Einiges sprach dafür, dass die Regierung auch nach den Gesamterneuerungswahlen von 2015 nicht verändert werden würde. Zwar wurde vor allem seitens der SVP immer wieder der Rücktritt von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf (bdp) gefordert, weder die BDP-Bundesrätin noch ein anderes Regierungsmitglied äusserte aber vor den Parlamentswahlen Rücktrittsgedanken.
Erst zehn Tage nach den eidgenössischen Wahlen, die ein Erstarken von SVP und FDP und deutliche Verluste für BDP, CVP und GLP brachten, reichte die Bündner Magistratin ihre Demission ein. Das Wahlresultat sei zwar ein Faktor für ihren Rücktritt, aber nicht der entscheidende. Sie sei auch nicht amtsmüde, wolle aber zugunsten ihrer Familie kürzer treten, die wesentlich mehr unter den dauernden Attacken auf ihre Person gelitten hätte als sie selber. Sie sei ob des Entscheides nicht erleichtert, aber trotzdem davon überzeugt, mit ihrem Entschluss, welcher bei den Gesamterneuerungswahlen gereift war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Auch für die Entwicklung der BDP, die in den Medien stets sehr stark mit ihrem Namen in Verbindung gebracht werde, sei es besser, wenn sie zurücktrete.
In den acht Jahren ihrer Amtszeit, die mit der Nicht-Bestätigung von Christoph Blocher begonnen hatte, stand Eveline Widmer-Schlumpf zuerst drei Jahre dem EJPD und dann dem EFD vor. Die Regierungszeit der BDP-Bundesrätin war geprägt durch stetige und harte Attacken seitens der SVP, der sie ursprünglich als Regierungsrätin von Graubünden vor der Abspaltung der BDP selber angehört hatte. In der Bevölkerung war die Magistratin allerdings beliebt, wurde sie doch im Januar 2009 zur Schweizerin des Jahres 2008 gekürt. Damit sei ihre Standhaftigkeit gegenüber der Hetzkampagne der SVP belohnt worden. Die Volkspartei hatte sie aufgefordert, sofort zurückzutreten oder die SVP Graubünden werde aus der Partei ausgeschlossen. Auch die deutliche Bestätigung bei den Bundesratswahlen nach den Parlamentswahlen 2011 zeigte den Rückhalt, den die Bündnerin auch in grossen Teilen des Parlaments hatte. In den Medien wurde Widmer-Schlumpf als sehr dossiersicher, tüchtig und fachkompetent beschrieben. Der Umstand, dass sie nie über eine Hausmacht im Parlament verfügt habe und sich trotzdem acht Jahre habe halten können, zeige ihre Standhaftigkeit. Die Rückzugsgefechte beim Bankgeheimnis und die Steuerkonflikte mit den USA bleiben mit ihrem Namen behaftet. Die NZZ urteilte, dass Widmer-Schlumpf als Finanzministerin mehr verändert habe, als viele ihrer Vorgänger zusammen. Laut der BZ werde sie als Frau in die Geschichte eingehen, die das Bankgeheimnis beerdigte. Zudem weise ihre Bilanz auch Makel auf. Vor allem die Reorganisation des Bundesamtes für Migration während den ersten Jahren im Justizdepartement sei auf viel Misskredit gestossen. Im TA wurde die Bundesrätin gelobt, weil sie ohne Ideologie getan habe, was nötig gewesen sei. Der Abgang erfolge zudem mit Würde; sie leiste damit der Schweiz einen Dienst und vermeide schmutzige Spielchen bei den anstehenden Bestätigungswahlen. Auch Le Temps lobte Eveline Widmer-Schlumpf als Frau mit Nerven aus Stahl, die mit ihrer Dossiersicherheit unaufgeregt getan habe, was getan werden musste. Weil ihre Basis immer mehr schwächelte – hingewiesen wurde etwa auch auf die geplatzte Zusammenarbeit zwischen CVP und BDP – und die Bündnerin auf wechselnde Koalitionen angewiesen gewesen sei, sei der Rücktritt aber letztlich gar nicht zu verhindern gewesen.
Bei der Verabschiedung der Magistratin im Rahmen der Bundesratswahlen Anfang Dezember würdigte Nationalratspräsidentin Christa Markwalder (fdp, BE) den feinen Humor von Eveline Widmer-Schlumpf und sprach ihr eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise zu. Dass die Finanzen im Lot geblieben seien, sei auch ihr Verdienst. Der langanhaltende Applaus und die stehende Ovation wurde auch von den SVP-Ratsmitgliedern gespendet. Für Unmut sorgte allerdings Neo-Nationalrat Roger Köppel (svp, ZH), der während der Würdigung an seinem Notebook arbeitete. In ihrer Abschiedsrede hob die scheidende Magistratin den Mahnfinger und wies darauf hin, dass der Weg der Schweiz darin bestehe, Minderheiten zu respektieren und Kompromisse zu suchen.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2015 – Nachfolge Eveline Widmer-Schlumpf
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

Nicht nur Wirtschaftskader geraten ob ihrer Entlohnung in die Medien, sondern in schöner Regelmässigkeit auch immer wieder die Bundesrätinnen und Bundesräte. Laut der Bundesinformationsseite ch.ch verdiente ein Mitglied der Landesregierung im Jahr 2015 rund CHF 445'000 zuzüglich etwa CHF 30'000 Spesenentschädigung. Das Präsidialamt wird mit zusätzlichen CHF 12'000 pro Jahr entschädigt. Zu diskutieren gaben allerdings nicht die im Vergleich zur Privatwirtschaft eher geringen Saläre der aktiven Bundesrätinnen und Bundesräte als vielmehr die Ruhegehälter der ehemaligen Magistratinnen und Magistrate. Diese erhalten in der Regel die Hälfte des Lohnes, den sie während ihrer Amtszeit bezogen hatten. Voraussetzung ist allerdings, dass die Amtszeit mindestens vier Jahre betragen hat. War dies nicht der Fall oder ist ein ehemaliges Regierungsmitglied weiterhin arbeitstätig, wird das Ruhegehalt gekürzt - insbesondere dürfen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit und die Pension zusammen den Lohn während der Amtszeit nicht übersteigen. Auch die Witwen ehemaliger Bundesräte erhalten eine Entschädigung, die in etwa ein Viertel des Lohnes des Verstorbenen ausmacht. Diese seit 1919 geltende Regel war nach der Nicht-Bestätigung von Ruth Metzler in Anbetracht des jungen Alters der CVP-Magistratin virulent diskutiert worden. Auch Parlamentarier stiessen sich damals am Umstand, dass die junge Ex-Magistratin während langer Zeit ein Ruhegehalt beziehen würde. Metzler gab damals ihren Verzicht auf die Rente bekannt. Mediale und parlamentarische Auseinandersetzungen zum Thema Ruhegehalt löste auch die Bekanntgabe von alt-Bundesrat Moritz Leuenberger aus, dass dieser bei der Implenia ein Verwaltungsratsmandat übernommen hatte. 2015 störte sich der Blick am Umstand, dass Alt-Bundesrat Kaspar Villiger trotz eines mehrere Millionen umfassenden Vermögens das volle Ruhestandsgehalt erhielt. Die Weltwoche berichtete über den Versuch der Bundeskanzlerin Corina Casanova, Licht ins Dunkel der Ruhegehälter zu bringen. Wer genau wie viel Ruhegehalt bezieht, ist nämlich ein gut gehütetes Geheimnis und es werden lediglich die Gesamtsumme und die Anzahl Renten öffentlich gemacht – laut Weltwoche bezogen 2014 fünfzehn ehemalige Bundes­räte, drei ehemalige Bundeskanzler sowie vier Witwen insgesamt CHF 4,4 Mio. Ruhegehalt. Unklar bleibt somit zum Beispiel, ob Ruth Metzler, Joseph Deiss oder Christoph Blocher nach wie vor auf ihre Rente verzichten, wie sie dies in der Presse verlauten liessen. Laut Weltwoche prallte die Bundeskanzlerin mit ihrem Begehren, das sie mit immer zahlreicher werdenden Anfragen seitens der Medien begründete, an einer Mauer des Schweigens ab: Die angefragten ehemaligen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger möchten Anonymität in Sachen Ruhegelder bewahren – so das Fazit des Wochenblattes.

Ruhegehälter der ehemaligen Magistratinnen und Magistraten
Dossier: Retraites des magistrat.e.s

Die Stimmberechtigten befanden am 9. Juni über die Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates. Das von der SVP lancierte Volksbegehren verlangte, dass die Schweizer Regierung nicht mehr von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt, sondern durch die Wahlbevölkerung bestimmt wird. Die Wahl wäre zeitgleich mit den Gesamterneuerungswahlen für den Nationalrat und in gesamtschweizerischem Majorzverfahren mit einem Wahlkreis abzuhalten. Für die italienischen und französischen Sprachminderheiten würden insgesamt zwei Sitze reserviert. Im Vorjahr hatten sich Bundesrat und Parlament ziemlich eindeutig gegen das nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat 2007 aufgegleiste Begehren ausgesprochen, das schon bei den Verfassungsdiskussionen 1848 und 1872 und zwei Mal als Initiative der SP in den Jahren 1900 und 1942 keine Mehrheiten gefunden hatte. Die Initiative wurde von einem überparteilichen Komitee bekämpft, dem alle Parteien ausser der SVP angehörten. Sogar die Grünen, die als Oppositionspartei selber schon ähnliche parlamentarische Vorstösse lanciert hatten, sprachen sich gegen das Anliegen aus. Das Gegnerkomitee trat unter dem Motto an, dass Bewährtes nicht aufs Spiel zu setzen sei. Das aktuelle Gleichgewicht zwischen den Gewalten sei eine zentrale Determinante für die politische Stabilität und den Wohlstand in der Schweiz. Der von der SVP geforderte Systemwechsel sei kaum begründbar und beruhe auf populistischen Forderungen. Der Verweis auf die Kantone, wo die Volkswahl der Regierung funktioniere – das bedeutendste Argument der Initiativbefürworter – wurde von den Initiativgegnern abgewiesen, da ein Wahlkampf in den Kantonen mit einem Wahlkampf auf nationaler Ebene kaum vergleichbar sei. Ein solcher würde amerikanische Verhältnisse evozieren und die zeitlich bereits arg belasteten Bundesräte nicht nur zusätzlich unter Druck setzen, sondern auch in einen Dauerwahlkampf verwickeln, der eine Kollegialregierung verunmöglichen würde. Stille Schaffer hätten zudem gegen charismatische, medial taugliche Personen weniger gute Chancen und Geld würde eine noch grössere Rolle spielen als heute. Schliesslich wurde auch die Quotenregel für die sprachlichen Minderheiten kritisiert; die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Sitze an die Romandie gingen und der Kanton Tessin kaum mehr Regierungsvertreter stellen könnte, sei enorm hoch. Die SVP ihrerseits setzte sich überraschend lau für ihr Anliegen ein. Zwar wurde ein 2,8 Mio. Auflagen starkes Extrablatt in die Haushalte gestreut, in dem mit dem Untergang der Schweiz gedroht wurde, wenn den Mauscheleien im Bundesrat und den Hintertreppen-Absprachen bei Regierungswahlen nicht durch das Volk Einhalt geboten würden. Im Gegensatz zu anderen Parteien wolle man die Mitspracherechte des Souveräns stärken und nicht noch weiter abbauen. Zudem schaltete die Partei ein für SVP-Verhältnisse sehr unspektakuläres Text-Plakat („Dem Volk vertrauen!“). Wichtige Exponenten der Partei schalteten sich aber kaum in den Abstimmungskampf ein und nahmen teilweise gar demonstrativ Stellung gegen die Initiative. Die Kantonalsektion Thurgau empfahl gar die Nein-Parole und die SVP Unterwallis beschloss Stimmfreigabe bei der parteieigenen Initiative. Es wurde parteiintern auch befürchtet, dass sich eine Volkswahl zuungunsten der SVP auswirken könnte. Prominente Unterstützung erhielt die Idee der Volkswahl allerdings durch die ehemalige SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Sie befand, dass die Volkswahl zu einer besseren Machtbalance zwischen Bundesrat und Parlament führe, weil die Regierung damit über mehr Legitimität verfügen würde. Erste Umfragen Anfang Mai liessen eine relativ geringe Begeisterung in der Bevölkerung für die Idee der Volkswahl erahnen. Tatsächlich wurde das Begehren Anfang Juni dann auch deutlich mit 76,3% Nein-Stimmenanteil und durch alle Kantone abgelehnt. In einigen Kantonen der Romandie (FR, NE, JU) lagen die Ja-Anteile gar unter 20%. Am höchsten war die Zustimmung im Kanton Tessin (32,2% Ja), was aufgrund der Debatten um den Minderheitenschutz etwas überraschend war. Die gesamtschweizerische Stimmbeteiligung lag bei 39,2%, was die laue Kampagne neben dem Umstand, dass die APS-Inserateanalyse einen absoluten Negativrekord hinsichtlich Anzahl Zeitungsinserate ausmachte, ebenfalls wiederspiegelt. Noch am Abend der Abstimmung äusserten sich die Parteipräsidenten zum Abstimmungsausgang. CVP-Präsident Darbellay wertete das Resultat als Zeichen nationaler Kohäsion, FDP-Präsident Müller war froh über die Wahrung der Konkordanz, die durch eine Volkswahl in Gefahr geraten wäre, und SP-Präsident Levrat freute sich, dass die „psychologische Verarbeitung der Abwahl Blochers“ nun zum Abschluss kommen könne. SVP-Präsident Brunner anerkannte zwar, dass das Thema vom Tisch sei, wehrte sich aber vorsorglich gegen künftige Beschneidungen der direkten Demokratie. Der Leidensdruck sei anscheinend momentan noch zu tief. Justizministerin Sommaruga sah im Resultat den Wunsch des Souveräns, die Demokratie vor Dauerwahlkämpfen zu schützen. Das deutliche Nein wurde in der Presse als Vertrauensbeweis in die Institutionen und insbesondere in den Bundesrat gewertet, man sah im Abstimmungsergebnis aber auch eine Ohrfeige an die SVP, die an einem wenig experimentierfreudigen Volk vorbeipolitisiert habe. Die noch im Vorjahr von Wermuth (sp, AG) eingereichte parlamentarische Initiative (12.489), die neben der Volkswahl auch einige zusätzliche Reformen wie die Aufstockung der Regierungsmitglieder auf neun oder die Transparenz der Wahlkampagnenfinanzierung gefordert hatte, wurde im Berichtjahr kurz nach dem abschlägigen Volksentscheid zurückgezogen.


Abstimmung vom 9. Juni 2013

Beteiligung: 39,5%
Ja: 480 291 (23,7%) / 0 Stände
Nein: 1 550 080 (76,3%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
– Ja: SVP (2)*.
– Nein: FDP, CVP, SP, GP, GLP, BDP, EVP, CSP; SGV, Travail.Suisse.
* in Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen.

Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates (BRG 12.056)
Dossier: Propositions pour une élection du Conseil fédéral par le peuple
Dossier: 9 membres du Conseil fédéral au lieu de 7?

Die Bundesratswahlen vom 14. Dezember verliefen schliesslich weit weniger spektakulär, als dies die Berichterstattung im Vorfeld hätte vermuten lassen. Die NZZ betitelte die Wahlen gar als „Ruhe nach dem Sturm“ und die AZ bezeichnete das Ereignis als „langweilig“, was Bundesratswahlen aber eigentlich gut anstünde. In den Fraktionserklärungen vor dem Wahlakt wurde noch einmal von allen Parteien die Konkordanz beschworen, wobei Antonio Hodgers (gp) auf den Punkt brachte, dass es zwischen den Parteien eben „keine Konkordanz darüber (gebe), was Konkordanz konkret bedeutet“. Schliesslich wurden alle amtierenden Bundesrätinnen und Bundesräte bereits im ersten Wahlgang bestätigt: Doris Leuthard (cvp) erhielt glanzvolle 216 Stimmen (11 Stimmen entfielen auf Verschiedene). Die mit Spannung erwartete Bestätigungswahl von Eveline Widmer-Schlumpf war relativ eindeutig: die BDP-Magistratin erhielt 131 Stimmen und war damit im ersten Umgang gewählt. 63 Stimmen entfielen auf Hansjörg Walter und 41 Stimmen auf Jean-François Rime (Verschiedene: 4 Stimmen). Ueli Maurer wurde mit respektablen 159 Stimmen gewählt. 41 Stimmen fielen hier auf Hansjörg Walter und 13 auf Luc Recordon (gp) (Verschiedene: 13). Erstaunlicherweise erfolgte vor der Wahl von Didier Burkhalter – der FDP-Bundesrat erhielt 194 Stimmen und 24 Stimmen entfielen auf Jean-François Rime (Verschiedene: 14) – keine Erklärung der SVP. Fraktionspräsident Baader ergriff erst vor dem fünften Wahlgang das Wort und klagte, dass sich die FDP nicht an die Konkordanz gehalten habe und die SVP deshalb alle drei verbleibenden Sitze mit Jean-François Rime angreifen werde. Dieses Unterfangen scheiterte jedoch sowohl bei der Bestätigung von Simonetta Sommaruga (sp), die mit 179 Stimmen (Rime: 61 Stimmen; Verschiedene: 2 Stimmen) genauso im ersten Wahlgang bestätigt wurde wie auch bei Johann Schneider-Ammann (fdp), der 159 Stimmen auf sich vereinte (Rime: 64 Stimmen; Verschiedene: 11 Stimmen). Auch bei der Ersatzwahl von Micheline Calmy-Rey war rasch klar, dass dem Angriff der SVP kein Erfolg beschieden war. Im ersten Wahlgang erhielten die beiden SP-Kandidaten mehr Stimmen als der Sprengkandidat Rime: Auf Alain Berset entfielen 114 Stimmen, Pierre-Yves Maillard und Jean-François Rime erhielten beide 59 Stimmen. Die 10 Stimmen, die Marina Carobbio im ersten Wahlgang erhielt (Verschiedene: 1), fielen dann wahrscheinlich Alain Berset zu, der bereits im zweiten Wahlgang mit 126 Stimmen das absolute Mehr erreichte und zum neuen SP-Bundesrat erkoren wurde (Maillard: 63 Stimmen; Rime: 54 Stimmen; Verschiedene: 2 Stimmen).

Eine weitere Bestätigung erhielt Eveline Widmer-Schlumpf mit der Wahl zur Bundespräsidentin 2012. Sie bekam 174 Stimmen; 32 Stimmen entfielen auf Bundesrat Maurer, der anschliessend mit 122 Stimmen turnusgemäss zum Vizepräsidenten gewählt wurde.

Die Bundesratswahlen wurden in der Presse unterschiedlich kommentiert. Auf der einen Seite wurde der SP eine strategische Meisterleistung attestiert. Der ideale Zeitpunkt des Rücktritts von Calmy-Rey, die guten Kandidaten und die Erfolge bei den Ständeratswahlen hätten ihr eine ausgezeichnete Ausgangslage verschafft, die sie gut genutzt habe. Zudem hätte die Allianz zwischen SP, GP, GLP und CVP gut funktioniert, um die Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf zu schaffen. Auf der anderen Seite wurden der SVP Fehler und eine wenig überzeugende Strategie vorgeworfen. Das Verheizen bekannter Köpfe bei den Ständeratswahlen, die (zu) späte Nominierung der Kandidaten und die negativen Schlagzeilen um Bruno Zuppiger hätten der erfolgsverwöhnten Partei geschadet. Alain Berset wurde als viertjüngster Bundesrat in der Geschichte des Bundesstaates als idealer, linker Bundesrat gewürdigt. (Nur Numa Droz (31 Jahre; 1876-1892), Jakob Stämpfli (34 Jahre; 1855-1863) und Ruth Metzler (34; 1999-2003) waren bei Amtsantritt jünger als Berset.) Insgesamt habe sich das Parlament nach den Querelen von 2003 und 2007 wieder für Stabilität im Gremium entschieden. Allerdings bleibe abzuwarten, wie die SVP, die in der Regierung deutlich untervertreten sei, nun reagieren werde. Für ersten Wirbel sorgte der Umstand, dass Ueli Maurer entgegen des Kollegialprinzips seine Wahl nicht im Bundeshaus, sondern mit Parteifreunden in einer Gaststätte verfolgt und dort auch Kommentare zu den Wahlen abgegeben hatte.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2011 – Nachfolge Micheline Calmy-Rey
Dossier: Elections de la présidence de la confédération
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

Die Kommentare in den Medien zur Nichtwiederwahl Blochers waren sich ziemlich einig, dass Blocher nicht wegen seiner Politik als Bundesrat gescheitert war, sondern wegen der permanenten Angriffe von ihm und seiner Partei gegen alle anderen politischen Kräfte. Der weitgehend auf seine Person ausgerichtete Parlamentswahlkampf der SVP hatte für viele bürgerliche Politiker, vor allem aus der CVP aber auch aus der FDP, das Fass zum Überlaufen gebracht.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates 2007

Nachdem sie sich am Wahltag eine Bedenkzeit erbeten hatte, erklärte Eveline Widmer-Schlumpf am nächsten Morgen vor der Vereinigten Bundesversammlung, dass sie ihre Wahl annehme. SVP-Fraktionschef Baader trat noch einmal ans Rednerpult und kündigte an, dass die beiden SVP-Bundesräte Schmid und Widmer-Schlumpf wie bereits zu Jahresbeginn angedroht, aus der SVP-Fraktion ausgeschlossen würden, die SVP damit nicht mehr in der Landesregierung vertreten sei und sich in Zukunft als Oppositionspartei betrachten würde. (Die Bundesräte sind als nicht dem Parlament Angehörende nur Gäste und nicht Mitglieder der Fraktionen ihrer Parteien.) Als solche werde sie alle den Zielen der SVP zuwiderlaufenden Beschlüsse dieser neuen „Mitte-Links-Regierung“ aber auch des Parlaments bekämpfen und mit Referenden und Volksinitiativen Druck ausüben. Blocher doppelte nach und kündigte an, dass er im Rahmen dieser neuen Opposition politisch aktiv bleiben werde. Dies werde ihm umso leichter fallen, als er sich nun wieder frei und ausserhalb von Konkordanz und Kollegialitätsprinzip werde äussern können. Die neue Bundesrätin Widmer-Schlumpf erklärte, dass sie die Wahl angenommen habe, um der SVP den Sitz zu retten, der sonst an die CVP gegangen wäre. Die SVP-Fraktion bestätigte eine Woche später mit 60 zu 3 Stimmen den Ausschluss von Schmid und Widmer-Schlumpf von den Fraktionssitzungen.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates 2007

Am 12. Dezember trat die Vereinigte Bundesversammlung zur Wahl des Bundesrates für die neue Legislaturperiode zusammen. Am zahlenmässigen Kräfteverhältnis zwischen den Blöcken hatte sich im neuen Parlament gegenüber demjenigen von 2003 wenig geändert. Trotz der Sitzgewinne der SVP im Nationalrat verfügten diejenigen Parteien, die 2003 Blocher gegen die CVP-Bundesrätin Metzler unterstützt hatten (SVP, FDP, LP und kleine Rechtsparteien), über drei Sitze weniger als 2003 und blieben mit 118 Sitzen deutlich unter dem absoluten Mehr von 123. Noch nicht klar war, wie sich die CVP verhalten würde, nachdem ihr Präsident Darbellay (VS) in den Medien mit seiner eigenen Kandidatur gegen Blocher kokettiert hatte. Am Tag vor der Wahl wurde er dann von seiner Fraktion zurückgepfiffen, welche mehrheitlich beschloss, nicht mit einem eigenen Kandidaten anzutreten, aber auch Blocher nicht zu unterstützen. Die meisten professionellen Beobachter rechneten nicht damit, dass es wie 2003 zur Nichtwiederwahl eines Amtsinhabers kommen würde, wobei allerdings für viele offen war, ob es Blocher bereits im 1. Wahlgang schaffen würde.

Obwohl alle bisherigen Bundesräte wieder kandidierten, beantragte einzig die FDP-Fraktion, sie alle in ihrem Amt zu belassen. Die SVP empfahl nur ihre beiden eigenen Vertreter Christoph Blocher und Samuel Schmid sowie die FDP-Bundesräte Pascal Couchepin und Hans-Rudolf Merz zur Wahl. Die SP und die CVP/EVP/GLP-Fraktion sprachen sich für alle Bisherigen mit Ausnahme von Blocher aus, und die Grünen unterstützten in ihrem schriftlichen Antrag nur die beiden SP-Bundesräte Micheline Calmy-Rey und Moritz Leuenberger und präsentierten den grünen Ständerat Luc Recordon (VD) als Kandidaten. Nachdem die Sprecher der SP und der CVP dargelegt hatten, dass sie der SVP ihren zweiten Sitz nicht streitig machen wollten, darauf aber nicht mehr Blocher sehen möchten, trat Zisyadis (pda, VD) ans Rednerpult und schlug die Bündner SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf zur Wahl vor. In den Medien war Widmer-Schlumpf zusammen mit Nationalrat Zuppiger (svp, ZH) als mögliche Alternative für Blocher bereits in der Berichterstattung über die CVP-Fraktionssitzung erwähnt worden. Baader (svp, BL) als Fraktionssprecher appellierte anschliessend an die CVP, Blocher zu wählen und sicherte zu, dass in diesem Fall entgegen ihrem schriftlichen Antrag die SVP auch Doris Leuthard (cvp) unterstützen würde.

Anschliessend schritt das Parlament zur Besetzung der Bundesratssitze in der Reihenfolge der Amtsdauer der bisherigen Inhaber. Zuerst wurde Leuenberger mit 157 Stimmen gewählt, dann Couchepin mit 205, Schmid mit 201 und Calmy-Rey mit 153. Vor der Besetzung des Sitzes von Blocher meldete sich Baader nochmals zu Wort und legte dar, dass Blocher in den letzten vier Jahren „einen Leistungsausweis erbracht (habe) wie kaum ein anderes Regierungsmitglied“. Frösch (BE) zog im Namen der Grünen die Kandidatur Recordons „zugunsten einer aussichtsreicheren Kandidatur“ zurück. Im ersten Wahlgang erzielte Widmer-Schlumpf mit 116 Stimmen das bessere Resultat als Blocher mit 111. Das absolute Mehr von 120 verfehlte sie aber; sechs Stimmzettel waren leer, zwei ungültig und elf entfielen auf andere Namen. Im zweiten Wahlgang entfielen nur noch zwei Stimmen auf Diverse, vier blieben leer und keiner war ungültig. Das absolute Mehr stieg damit auf 122. Widmer-Schlumpf übertraf es mit 125, Blocher kam nur auf 115 und verlor damit seinen Sitz. Nachdem ein Ordnungsantrag der SVP auf Verschiebung der weiteren Wahlen abgelehnt worden war, bestätigte die Bundesversammlung Merz und Leuthard mit 213 resp. 160 Stimmen in ihren Ämtern.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates 2007

Der Bundesrat nahm Ende November Stellung zu den Vorwürfen der GPK (nicht aber zu den Verdächtigungen der Subkommission) und stellte sich hinter den Justizminister. Er stützte sich dabei nur teilweise auf das von ihm eingeholte Rechtsgutachten eines aussenstehenden Experten, der einige, allerdings nicht gravierende Kompetenzüberschreitungen Blochers moniert hatte.

Rücktritt von Bundesanwalt Valentin Roschacher (2006)

Die SP begann spätestens im Sommer Avancen gegenüber der CVP (die 2003 wegen der Wahl Blochers ihren zweiten Bundesratssitz verloren hatte) zu machen. Sie schlug ihr vor, gemeinsam einen Sitz für die CVP zurückzuerobern. Zuerst monierte Parteipräsident Fehr (sp, SH), die mit zwei Sitzen überproportional vertretene FDP ins Visier zu nehmen. Die CVP reagierte jedoch zurückhaltend bis ablehnend auf diesen Vorschlag, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie vor den Parlamentswahlen kein Interesse hatte, als Partnerin der Linken zu erscheinen. Aber auch die Grünen stellten sich in diesem Fall nicht hinter die SP, sondern verlangten vielmehr einen Sitz für sich selbst, und zwar denjenigen von Blocher. Ende August nahm die SVP diese öffentlichen Forderungen nach einer Abwahl Blochers – notabene von Parteien, die Blocher auch 2003 nicht die Stimme gegeben hatten – zum Anlass, um an einer Medienkonferenz von einem „Geheimplan“ zur Abwahl Blochers zu warnen. Sie lancierte eine millionenteure Inserate- und Plakatekampagne, in der sie mit dem Slogan: „Blocher stärken! SVP wählen“ dazu aufrief, bei den Parlamentswahlen dafür zu sorgen, dass der von diesem „Geheimplan“ bedrohte Blocher Bundesrat bleiben könne. Ohne Blocher in der Landesregierung würden gemäss den SVP-Inseraten die Steuern ansteigen, die Schweiz der EU beitreten, die demokratischen Rechte abgebaut und die Kriminalität zunehmen. Der Bericht einer Subkommission der GPK-NR im Sommer 2006, der die Beteiligung Blochers an einem Komplott zur Entlassung von Bundesanwalt Roschacher suggerierte, stellte für Blocher und die SVP einen weiteren Beweis für die Existenz eines solchen Geheimplans gegen Blocher dar. Diese Inseratekampagne der SVP sorgte auch bei Freisinnigen, namentlich aus der französischen Schweiz, für Unmut. Bundesrat Couchepin kritisierte sie in einem Interview im Radio der italienischen Schweiz und erwähnte, dass diese Werbung, die das Wohl des Landes von der Wiederwahl einer einzigen Person abhängig mache, ihn an die Propaganda der italienischen Faschisten mit dem Duce Mussolini erinnere.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates 2007

Wie noch nie zuvor war 2007 die parteipolitische und personelle Zusammensetzung des Bundesrates ein Thema für die nationalen Parlamentswahlen gewesen. Anlass dafür war nicht so sehr die 2003 an die neuen Kräfteverhältnisse angepasste Zauberformel an sich, sondern die Person des damals in die Landesregierung gewählten zweiten SVP-Vertreters, Christoph Blocher. Die SVP beschwor an ihrer Delegiertenversammlung zu Jahresbeginn Schreckensszenarien herauf, die über die Schweiz im Fall einer Nichtwiederwahl Blochers hereinbrechen würden. Die Delegierten bestätigten an diesem Anlass auch einen früheren Beschluss ihrer Parlamentsfraktion, dass die Partei im Fall seiner Nichtwahl alle übrigen in den Bundesrat gewählten SVP-Mitglieder aus der Fraktion ausschliessen würde. Der zweite SVP-Bundesrat, Samuel Schmid, zeigte sich davon allerdings wenig beeindruckt und erklärte, dass er auch bei einer Abwahl Blochers in der Regierung bleiben würde. Die SP und die Grünen gaben den Gegenpart zur SVP und verkündeten, dass Blocher nicht länger als Bundesrat tragbar sei und auch in der CVP sprachen sich massgebliche Personen gegen eine Wiederwahl Blochers aus.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrates 2007

Am 19. September reichten die Fraktionen der SVP, der SP und der GP im Nationalrat Dringliche Interpellationen dazu ein, mit der Absicht, die Diskussion über die Affäre um Roschacher noch in der laufenden Herbstsession, das heisst vor den Nationalratswahlen durchführen zu können (07.3573 - 07.3577). Das Ratsbüro, die CVP und die FDP lehnten die Dringlichkeit dieser Vorstösse ab, und unterstellten der Linken und der SVP, diese Debatte für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren zu wollen. Sie konnten sich aber nicht durchsetzen. Die Diskussion fand am 3. Oktober statt und wurde direkt vom Fernsehen übertragen. An der neunzig Minuten dauernden Debatte nahmen von Seiten des Bundesrates der direkt involvierte Justizminister Blocher und Bundespräsidentin Calmy-Rey teil. Bundesrat Blocher bezog in einem sehr ausführlichen Votum zu den Vorwürfen der GPK Stellung und rechtfertigte sich für das, was die GPK als Verstösse gegen die Gewaltenteilung und die Kompetenzordnung gerügt hatte. Die Diskussion im Plenum wurde wie erwartet voll in den Dienst des Wahlkampfs gestellt. So stellte die CVP kleine Plakate mit ihren Wahlkampfslogans auf ihre Pulte und SVP-Präsident Maurer (ZH) schloss seine Rede mit einem direkten Aufruf an das Fernsehpublikum, die SVP zu wählen. Als Replik darauf befasste sich SP-Präsident Fehr (SH) in seiner Rede statt mit dem GPK-Bericht mit allen bisherigen „Fehlleistungen“ von Bundesrat Blocher und rief das Parlament auf, ihn als Sanktion im nächsten Dezember nicht wieder zu wählen.

Rücktritt von Bundesanwalt Valentin Roschacher (2006)

Der im Sommer 2006 erfolgte Rücktritt von Bundesanwalt Valentin Roschacher hatte die GPK des Nationalrats veranlasst, eine Untersuchung über die Umstände dieser Demission durchzuführen. Der am 5. September des Berichtsjahres präsentierte Bericht stellte fest, dass Bundesrat Blocher bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses seine Kompetenzen überschritten habe, namentlich was die Ausrichtung einer Abgangsentschädigung betreffe. Indem er sich mit einem Vertreter des Bundesstrafgerichts, das die fachliche Aufsicht über den Bundesanwalt ausübt, über die Durchführung einer Überprüfung von Roschachers Amtstätigkeit abgesprochen habe, habe er überdies die Gewaltentrennung nicht beachtet. Und drittens habe Blocher unzulässig in die Kompetenzen des Bundesanwalts eingegriffen, als er ihm in einem Fall die Durchführung einer Medienkonferenz untersagte. Viel mehr Aufsehen als diese Vorwürfe erregten aber die Äusserungen von Lucrezia Meier-Schatz (cvp, SG), Präsidentin einer von der GPK gebildeten Subkommission. Sie stellte Dokumente vor, die beweisen sollten, dass der Abgang von Roschacher von langer Hand geplant gewesen sei. Neben einem Bankier namens Oskar Holenweger, gegen den die Bundesanwaltschaft ermittelte, seien daran Journalisten und Politiker und eventuell sogar Bundesrat Blocher selbst beteiligt gewesen. Die Subkommission schloss dies aus Notizen und der Skizze eines Terminplans, welche bei Holenweger von der Polizei beschlagnahmt worden waren, und die den zeitlichen Ablauf der Untersuchungen, politischen Interventionen, Medienenartikel und Massnahmen gegen den Bundesanwalt enthielten. Gemäss Holenweger handelte es sich dabei allerdings nicht um einen im voraus erstellten Aktionsplan, sondern um private Aufzeichnungen, deren Einträge er als persönliche Gedächtnisstütze jeweils nach den Ereignissen gemacht habe.

Die SVP bezeichnete diesen GPK-Subkommissions-Bericht als „Putschversuch gegen Bundesrat Blocher“ (so lautete der Titel der dazu im Nationalrat eingereichten Interpellation; 07.3573). Die Originale der von der GPK-Subkommission als kompromittierend beurteilten Dokumente hatte sich die SVP bei Holenweger beschafft, veröffentlicht und als irrelevant bezeichnet. Die SVP integrierte ihren Protest sofort in ihre kurz vorher gestartete, auf Bundesrat Blocher zentrierte neue Inseratekampagne zu den Nationalratswahlen.

Rücktritt von Bundesanwalt Valentin Roschacher (2006)

Auch im vierten Jahr seiner Tätigkeit als Bundesrat stand Christoph Blocher im Zentrum des politischen Interesses. Er selbst trat an unzähligen Wahlkampfveranstaltungen seiner Partei auf und sein Porträt zierte während Wochen die Wahlinserate und -plakate der SVP. Im Sommer veröffentlichte ein ihm nahestehender Journalist ein Buch mit einer Zusammenstellung der unternehmerischen und politischen Führungsprinzipien Blochers. Bei diesen steht das kompromisslose Erfüllen von Aufträgen im Rahmen einer strengen hierarchischen Ordnung im Zentrum. Ab Mitte September produzierte derselbe Journalist wöchentlich ein Interview mit Blocher, das unter dem Titel „Blocher-TV“ als Video ins Internet gestellt und auch vom Schaffhauser Lokalfernsehen und, zumindest am Anfang, noch von einigen weiteren lokalen Fernsehstationen in der Ost- und Zentralschweiz ausgestrahlt wurde. Auch Blochers politische Gegner gaben vor den Parlamentswahlen ein Buch heraus. Darin finden sich neben Analysen und allgemeineren Betrachtungen zum Aufstieg von Blocher und seiner SVP auch Aufrufe zu dessen Nichtwiederwahl als Bundesrat.

Christoph Blocher

Im Zentrum von Diskussionen über die Zusammenarbeit im Bundesrat und über das Verhalten einzelner Mitglieder stand auch im Berichtsjahr Bundesrat Christoph Blocher. Besonders heftig waren die Reaktionen auf seine Rede an einer SVP-Veranstaltung am 20. Januar im Albisgüetli in Zürich. Er hatte dort zwei albanische Asylbewerber als Kriminelle tituliert und die Asylrekurskommission (ARK) angegriffen, welche zum Schluss gelangt war, dass die Anschuldigungen des albanischen Staates gegen die beiden aus politischen Gründen fingiert seien. Nachdem Blocher vor dem Ständerat abgestritten hatte, die beiden als Kriminelle bezeichnet zu haben, eröffnete die GPK des Ständerats eine Untersuchung. In ihrem Bericht kritisierte sie Blocher dafür, vor dem Ständerat die Unwahrheit gesagt zu haben. Sie rügte den Justizminister zudem wegen der Nichtbeachtung der Unschuldsvermutung bei den beiden Asylbewerbern und wegen seiner öffentlichen Kritik an den Urteilen der ARK. Derartige Aussagen beeinträchtigten, vor allem wenn sie vom Justizminister kämen, das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtssprechung. Konkrete Massnahmen beantragte die GPK aber nicht. Der Bundesrat seinerseits „bedauerte“, dass es eines seiner Mitglieder an der gebotenen Ausgewogenheit und Sachlichkeit habe fehlen lassen und teilte die Haltung der GPK bezüglich der Respektierung der Gerichte durch die Exekutive. Auch der Präsident des Bundesgerichts, Guisep Nay, hatte Blocher für seine unvollständige Darstellung und seine Kritik an Gerichtsurteilen getadelt. Bundesrat Blocher selbst entschuldigte sich an einer Medienkonferenz Ende März dafür, dass er von „Kriminellen“ und nicht von „mutmasslichen Kriminellen“ gesprochen habe. (Zu den umstrittenen Äusserungen Blochers zum Anti-Rassismusgesetz anlässlich eines Besuchs in der Türkei siehe hier.)

Unvorbildliches Verhalten Blochers im Zusammenhang mit zwei albanischen Asylbewerbern (2006)

Nach sehr kritischen Artikeln in den Medien über die Ermittlungsmethoden von Bundesanwalt Valentin Roschacher geriet dieser unter massiven Druck. Bundesrat Blocher ordnete aufgrund dieser Berichte am 5. Juni eine ausserordentliche Untersuchung an. Diese konzentriere sich auf führungstechnische, finanzielle und organisatorische Fragen, für deren Kontrolle nach geltender Ordnung das EJPD zuständig ist. Das Bundesstrafgericht als Kontrollinstanz für inhaltliche Belange leitete gleichzeitig eine fachliche Überprüfung der Arbeit der Bundesanwaltschaft ein. Diese Analysen konstatierten strukturelle und organisatorische Mängel, hingegen keine Verfehlungen der Bundesanwaltschaft und ihres Leiters. Anfang Juli erklärte Roschacher seinen Rücktritt auf Ende Jahr; die operative Führung gab er sofort ab. (Zu den Untersuchungen von Bundesrat Blocher siehe auch die Frage Vischer (gp, ZH) (06.5121) und die Interpellation Baumann (svp, TG) (06.3154)).

Rücktritt von Bundesanwalt Valentin Roschacher (2006)

Zur allgemeinen Überraschung kündigte Bundesrat Joseph Deiss (cvp) am 27. April seinen Rücktritt auf Ende Juli an. Der 60jährige hatte der Landesregierung während sieben Jahren angehört, zuerst als Aussenminister, dann als Vorsteher des EVD. Die erfolgreich verlaufene Volksabstimmung über den UNO-Beitritt sowie die Aushandlung der bilateralen Verträge mit der EU wurden als grösste politische Leistungen des engagierten, aber wenig spektakulären Freiburgers gewürdigt. Deiss verhehlte nicht, dass er als pragmatischer Konsenspolitiker Mühe hatte mit der seit der Wahl von Christoph Blocher zum Bundesrat rauher gewordenen Gangart in der Regierung und mit dem selbstbezogenen Verhalten einzelner ihrer Mitglieder. Für die in der Junisession vorzunehmende Ersatzwahl galten in den Medien sofort die CVP-Präsidentin und Nationalrätin Doris Leuthard (AG) sowie der CVP-Fraktionschef und Ständerat Urs Schwaller (FR) als Favoriten.

Bundesratsersatzwahlen 2006

Es ist zwar nicht neu, kommt aber im Vergleich zu früher wesentlich häufiger vor, dass den Medien Informationen aus den Bundesratsberatungen und den dazugehörenden Positionspapieren zugespielt werden. Beobachter führten dies auf die mit dem Amtsantritt Christoph Blochers verschärfte Polarisierung innerhalb der Regierung zurück. Vermutet wurde, dass in die Amtsgeschäfte eingeweihte Mitarbeiter der Verwaltung Indiskretionen mit dem Ziel begehen würden, der Position ihres Departementschefs grösseres Gewicht zu verleihen oder diese der Öffentlichkeit überhaupt klar zu machen. Bundeskanzlerin Huber reichte zu Jahresbeginn bei der Bundesanwaltschaft mehrere Strafanzeigen gegen Unbekannt wegen Amtsgeheimnisverletzung ein. Als desaströs und für die Swisscom geschäftsschädigend bezeichneten Parlamentarier und Medien die Informationspolitik der Landesregierung Ende November im Zusammenhang mit ihren Entscheiden über die Geschäftsstrategie der Swisscom. Obwohl der Bundesrat vorläufiges Stillschweigen über sein Verbot eines Auslandengagements der Swisscom beschlossen hatte (er wollte zuerst die Swisscom selbst informieren), geriet diese Nachricht vorzeitig an die Öffentlichkeit. Dies geschah, weil Bundesrat Blocher sie in einem zum voraus produzierten Radio-Interview verraten hatte. Ob Absicht hinter dieser Indiskretion steckte, lassen die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte durch eine Subkommission abklären.

Amtsgeheimnisverletzung im Bundesrat (2005)

Die Regierung gab Mitte September den eigentlichen Startschuss zu einer Verwaltungsreform. Ziel sei es gemäss Bundesrat Merz, Abläufe zu vereinfachen und Strukturen auf ihre Zweckmässigkeit zu überprüfen. Dabei gehe es nicht um Personalabbau und direkte Einsparungen, sondern primär um Effizienzgewinne. Als Beispiele wurden später die Schaffung von Dienstleistungszentren genannt, welche für die Bundesämter Routinearbeiten aus dem Personal- oder Rechnungswesen zentral erledigen könnten, wie etwa Stellenausschreibungen und die erste Triage der Bewerbungen. Aufsehen erregten die rigorosen Sparanstrengungen im EJPD. Nach einer 2004 eingeleiteten Aufgabenüberprüfung kündigte Departementschef Blocher im Juni an, bis 2008 in den zentralen Diensten seines Departementes netto 116 Stellen (d.h. ein Fünftel) abzubauen. Dabei sollen primär Doppelspurigkeiten und unnötige Hierarchiestufen eliminiert werden. Bereits gestrichen wurde unter anderem die Stelle der stellvertretenden Generalsekretärin des Departements.

Startschuss zu besserer Effizienz in der Bundesverwaltung (2005)
Dossier: Réforme des structures administratives de la Confédération (2008)

Die Sparpläne des Bundes und die in diesem Zusammenhang angekündigten Personalreduktionen haben zu einer Abnahme der Arbeitszufriedenheit beim Bundespersonal geführt. Gemäss einer vom EFD durchgeführten repräsentativen Befragung sind im Vergleich zu früheren Befragungen wesentlich mehr Mitarbeiter demotiviert oder gar resigniert. Besonders schlecht fiel das Urteil bei den Beschäftigten der Departemente von Blocher (EJPD) und Merz (EFD) aus.

Bundespersonalbefragung 2005

Der Leiter des Bundesamtes für Personal, Peter Hablützel, reichte nach sechzehn Jahren Amtstätigkeit seine Demission ein. Obwohl Sozialdemokrat, hatte er sich als Modernisierer des Personalwesens, unter anderem durch die Abschaffung des Beamtenstatus, bei den Gewerkschaften mehr als einmal unbeliebt gemacht. Hablützel machte kein Hehl daraus, dass sein Rücktritt direkt mit der seit der Wahl von Blocher und Merz in den Bundesrat wesentlich härter gewordenen Personalpolitik des Bundes zusammen hänge. Der Ständerat überwies im Einverständnis mit dem Bundesrat ein Postulat Fetz (sp, BS) für eine verbindlichere Sozialpartnerschaft in der Personalpolitik des Bundes.

Überprüfung der Sozialpartnerschaft beim Bund (05.3286) und Rücktritt Peter Hablützel