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Anfang 2023 trat Regine Sauter das Präsidium des Spitalverbands H+ an. Die Generalversammlung folgte einstimmig der Empfehlung der Findungskommission, deren Chef Sauter aufgrund ihres Netzwerks in Bundesbern und ihres Gewichts im Parlament als Idealbesetzung für den Verband erachtete. Wie schon ihre Vorgängerin Isabelle Moret ist Sauter FDP-Nationalrätin und Mitglied der SGK-N. Der Spitalverband, der nach eigenen Angaben 205 öffentliche und private Spitäler, Kliniken und Pflegeinstitutionen vertritt, behält mit ihr also einen direkten Draht in dieses zentrale gesundheitspolitische Gremium. Moret war aufgrund ihrer Wahl in die Waadtländer Kantonsregierung vom Verbandsvorsitz zurückgetreten.
Sauter setzte sich in ihrer Antrittsrede zum Ziel, H+ solle «die massgebende Stimme sein, wenn es darum geht, die Rahmenbedingungen der Spital-, Klinik- und Pflegelandschaft der Schweiz für die nächsten Jahrzehnte zu definieren». Ihr Verband habe «die Kompetenz und auch die Legitimation dazu.» In einem Interview mit der NZZ äusserte sie sich kurz darauf zu weiteren gesundheits- und spitalpolitischen Positionen. Sauter sprach sich darin etwa für Versorgungsnetzwerke mit einem Spital als Zentrum aus, in denen verschiedene Akteure von Hausarztpraxen oder Permanencen über die Spitex bis zur Langzeitpflege zusammenarbeiten. Solche Netzwerke könnten etwa das Problem überlaufener Notfallstationen oder – dank einem effizienteren Einsatz des Personals – auch den Fachkräftemangel in der Pflege entschärfen. Ein weiteres Instrument gegen den Personalmangel sah Sauter in der Ausbildungsoffensive als Folge der 2021 angenommenen Pflegeinitiative. Auch das Parlament könne einen Beitrag leisten, wenn es sich künftig beim Erlass gesetzlicher Vorgaben zurückhalte, die das Arzt- und Pflegepersonal mit weiteren administrativen Arbeiten belasten würden. Mit Bezug auf die Spitalstrukturen wollte Sauter zwar «nicht pauschal» von zu vielen Spitälern in der Schweiz sprechen, befürwortete aber eine überkantonale Spitalplanung und Straffungen, die «nicht nur tiefere Kosten, sondern auch bessere Behandlungsqualität bringen» könnten. Mit Blick auf die Spitalfinanzierung forderte die Freisinnige eine Ausgliederung aller Spitäler aus der öffentlichen Verwaltung, um mehr Kostentransparenz und einen Wettbewerb mit gleich langen Spiessen zu erreichen.

Wechsel im Präsidium des Spitalverbands H+

Jahresrückblick 2022: Sozialversicherungen

Im Zentrum des Themenbereiches «Sozialversicherungen» standen im Jahr 2022 – wie in den meisten Jahren zuvor – die Altersvorsorge und die Krankenkassen.

Bei der Altersvorsorge wurde insbesondere über die AHV21 diskutiert, insbesondere vor der Abstimmung im September, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 verdeutlicht. Das Parlament hatte die neuste AHV-Reform im Dezember 2021 fertig beraten und dabei entschieden, das Rentenalter der Frauen auf 65 Jahre zu erhöhen und somit demjenigen der Männer anzupassen. Als Kompensation sollten die am stärksten von der Änderung betroffenen neun Jahrgänge entweder einen Rentenzuschlag erhalten oder bei einem frühzeitigen Rentenbezug geringere Renteneinbussen hinnehmen müssen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte sollte zusätzliche Mehreinnahmen für die AHV generieren. Nachdem die SP vor allem aufgrund der Rentenaltererhöhung der Frauen das Referendum ergriffen hatte – sie störte sich insbesondere am Umstand, dass die Renten der Frauen noch immer um einen Drittel tiefer liegen als diejenigen der Männer –, sprachen sich die Stimmberechtigten im September 2022 mit Ja-Anteilen von 50.6 Prozent und 55.1 Prozent für die Änderung des AHV-Gesetzes und für die Mehrwertsteuererhöhung zugunsten der AHV aus. Laut Nachbefragungen hatten sich Frauen mehrheitlich gegen die Erhöhung ihres Rentenalters ausgesprochen, waren aber von einer Mehrheit der Männer überstimmt worden.

Weil Frauen vor allem in der zweiten Säule deutlich tiefere Renten erhalten als Männer, wurde die Diskussion um die Angleichung des Rentenalters auch mit der Besserstellung der Frauen in der beruflichen Vorsorge verknüpft. Deren Revision war 2021 erstmals vom Nationalrat beraten worden. Im Zentrum stand dabei eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes. Für Frauen besonders zentral war die vom Bundesrat geplante Senkung des Koordinationsabzugs sowie die von der SGK-NR ergänzte Senkung der Eintrittsschwelle, welche den versicherten Lohn von Teilzeiterwerbstätigen erhöhen sollen. Statt die BVG21-Revision in der Frühjahrssession 2022 merklich voranzutreiben, schickte der Ständerat das Geschäft für vertiefte Abklärungen zurück an die Kommission. Damit verärgerte er jene Kreise, die ihre Unterstützung der AHV21 von einer Verbesserung der Situation von Teilzeiterwerbstätigen in der beruflichen Vorsorge abhängig machten. Für neuerliche Enttäuschung sorgte in diesen Kreisen dann die Meldung der Kommission, die Vorlage nicht in der Herbstsession, also noch vor der Abstimmung über die AHV21, zur Beratung bereit zu haben. Der Ständerat setzte sich also erst nach erfolgter Annahme der AHV21-Reform in der Wintersession mit der BVG-Reform auseinander und entschied sich dabei unter anderem für einen Mittelweg zwischen Bundesrat und Nationalrat bei der Eintrittsschwelle und für einen prozentualen Abzug beim Koordinationsabzug anstelle der vom Nationalrat geplanten Halbierung des bisherigen Abzugs.

Neben dem Gleichstellungsargument betonten die Gegnerinnen und Gegner der AHV21 im Abstimmungskampf auch ihre Befürchtung, dass die Rentenaltererhöhung der Frauen nur ein erster Schritt für weitere Erhöhungen des Pensionsalters sei. Dabei verwiesen sie unter anderem auf die Initiative der Jungfreisinnigen «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)», welche eine automatische Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung fordert. Diese empfahl der Bundesrat im Juni zur Ablehnung. Zudem beklagten die Gegnerinnen und Gegner der AHV21 die steigenden Lebenshaltungskosten – auch im Rahmen der Teuerung – und forderten einen Leistungsausbau bei der AHV. Dies bezweckt etwa die vom Gewerkschaftsbund eingereichte Initiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)». Der Bundesrat empfahl jedoch auch dieses Anliegen zur Ablehnung und der Nationalrat teilte diesen Antrag in der Wintersession. Stattdessen behandelte das Parlament die Teuerung in einer ausserordentliche Session, wobei eine Motion für einen vollständigen Teuerungsausgleich bei der AHV vom National- und Ständerat angenommen wurde.

Bei den Krankenversicherungen standen – nach einer dreijährigen Erholungspause, in der die Krankenkassenprämien jeweils weniger als 0.6 Prozent pro Jahr angestiegen waren – 2022 die Gesundheitskosten und Prämien im Mittelpunkt des Interesses. Bereits Mitte Jahr wurde aufgrund der steigenden Gesundheitskosten darüber spekuliert, dass die Krankenkassenprämien auf das Jahr 2023 hin wohl einen grossen Sprung machen würden – und tatsächlich musste Gesundheitsminister Berset Ende September eine Erhöhung der mittleren Prämie um 6.6 Prozent bekannt geben. Dies führte in den Medien einmal mehr zur Forderung an die Politik, den Anstieg der Gesundheitskosten endlich in den Griff zu bekommen, was gemäss APS-Zeitungsanalyse insbesondere im September ausführlich diskutiert wurde.
Bundesrat und Parlament beschäftigen sich in der Tat auch 2022 mit verschiedenen Projekten zur Dämpfung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen, etwa im Rahmen des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Im Jahr zuvor hatte das Parlament bereits das Teilpaket 1a gutgeheissen und unter anderem entschieden, auch ambulante Behandlungen zukünftig durch Patientenpauschalen abzurechnen und dafür eine neue Tarifstruktur zu schaffen. Die Frage der Tarifstrukturen im ambulanten Bereich beschäftigte die Tarifpartner denn auch während des ganzen Jahres.
Im Teilpaket 1b, welches das Parlament im Jahr 2022 verabschiedete, wurde unter anderem ein Beschwerderecht der Krankenversicherungen gegen Spitalplanungsentscheide der Kantone sowie ein «Monitoring der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» geschaffen. Ein ausführlicheres Kostenmonitoring mit verpflichtenden Massnahmen bei zu starkem Kostenanstieg schlug der Bundesrat zudem als indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei vor. Eine solche Massnahme war zuvor im zweiten Massnahmenpaket zur Kostendämpfung vorgesehen gewesen.
Auch zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP, die gleichzeitig zur Debatte stand, schuf der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag, mit dem er zukünftig einen Mindestbeitrag an Prämienverbilligungen für die Kantone festsetzen wollte. Der Nationalrat hiess diesen Vorschlag in der Sommersession gut, der Ständerat trat in der Wintersession jedoch nicht auf den Gegenvorschlag ein.
Einen anderen Ansatz zur Kostendämpfung verfolgte das Parlament schon seit mehreren Jahren: Seit 2011 wird an einer einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) gearbeitet. Im Jahr 2022 nahm sich der Ständerat dieses Themas an und schuf zahlreiche gewichtige Differenzen zum Erstrat: So entschied er unter anderem, bereits jetzt die Integration der Pflegeleistungen in EFAS zu regeln und mehr Steuerungsmöglichkeiten und Pflichten für die Kantone zu schaffen.
Eine Möglichkeit, die Prämien zu senken, sahen verschiedene Kantone der Romandie sowie das Tessin in den hohen Reserven der Krankenversicherungen. Ihre Standesinitiativen sowie weitere Vorstösse für eine verbindlichere Rückzahlung der zu hohen Reserven scheiterten 2022 jedoch allesamt im Parlament. Vielmehr wurden die im Vorjahr erfolgten Rückzahlungen der Reserven in verschiedenen Kommentaren als Mitgrund für den hohen aktuellen Prämienanstieg erachtet: Einerseits hätten die Rückzahlungen den Anstieg der Gesundheitskosten überdeckt, andererseits seien deshalb für das neue Jahr weniger Reserven zur Prämienreduktion vorhanden gewesen.

Nicht in erster Linie eine Senkung der Gesundheitskosten, sondern weniger Ärger für die Versicherten erhofften sich Bundesrat und Parlament durch das Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit. Damit soll der Bundesrat Branchenlösungen der Krankenversicherungen im Bereich der Vermittlertätigkeit allgemeinverbindlich erklären können, wodurch Werbeanrufe für Krankenversicherungen bei Personen, die nicht bereits bei der entsprechenden Krankenkasse versichert sind, verboten würden. Strittig war hier zwischen den Räten insbesondere, ob die Branchenlösungen zu Entschädigungen und Ausbildung neben den externen auch für interne Mitarbeitende gelten sollen. Nach der Durchführung einer Einigungskonferenz lenkte der Nationalrat diesbezüglich ein und das Parlament verzichtete auf die Schaffung einer entsprechenden Unterscheidung.

Jahresrückblick 2022: Sozialversicherungen
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Zu Beginn des Jahres 2022 wurde befürchtet, dass die Covid-19-Pandemie auch in diesem Jahr das politische Geschehen der Schweiz dominieren würde: Mitte Januar erreichte die Anzahl laborbestätigter täglicher Neuansteckungen mit 48'000 Fällen bisher kaum denkbare Höhen – im Winter zuvor lagen die maximalen täglichen Neuansteckungen noch bei 10'500 Fällen. Die seit Anfang 2022 dominante Omikron-Variante war somit deutlich ansteckender als frühere Varianten – im Gegenzug erwies sie sich aber auch als weniger gefährlich: Trotz der viermal höheren Fallzahl blieben die Neuhospitalisierungen von Personen mit Covid-19-Infektionen deutlich unter den Vorjahreswerten. In der Folge nahm die Dominanz der Pandemie in der Schweizer Politik und in den Medien fast schlagartig ab, wie auch Abbildung 1 verdeutlicht. Wurde im Januar 2022 noch immer in 15 Prozent aller Zeitungsartikel über Covid-19 gesprochen, waren es im März noch 4 Prozent. Zwar wurde im Laufe des Jahres das Covid-19-Gesetz zum fünften Mal geändert und erneut verlängert, über die Frage der Impfstoff- und der Arzneimittelbeschaffung gestritten und versucht, in verschiedenen Bereichen Lehren aus den letzten zwei Jahren zu ziehen. Jedoch vermochten weder diese Diskussionen, die zwischenzeitlich gestiegenen Fallzahlen sowie ein weltweiter Ausbruch vermehrter Affenpocken-Infektionen das mediale Interesse an der Pandemie erneut nachhaltig zu steigern.

Stattdessen erhielten im Gesundheitsbereich wieder andere Themen vermehrte Aufmerksamkeit, vor allem im Rahmen von Volksabstimmungen und der Umsetzung von Abstimmungsentscheiden.
Einen direkten Erfolg durch ein direktdemokratisches Instrument erzielte das Komitee hinter der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiessen diese Initiative am 13. Februar mit 56.7 Prozent gut. Das Volksbegehren ziel darauf ab, dass Kinder und Jugendliche nicht länger mit Tabakwerbung in Berührung kommen. Während das Initiativkomitee die Vorlage unter anderem damit begründete, dass durch das Werbeverbot dem Rauchen bei Jugendlichen Einhalt geboten werden könne, führten die Gegnerinnen und Gegner die Wirtschaftsfreiheit an. Zudem befürchtete die Gegnerschaft, dass in Zukunft weitere Produkte wie Fleisch oder Zucker mit einem vergleichbaren Werbeverbot belegt werden könnten. Der Bundesrat gab Ende August einen gemäss Medien sehr strikten Entwurf zur Umsetzung der Initiative in die Vernehmlassung. Während die Stimmbevölkerung Werbung für Tabakprodukte verbieten wollte, bewilligte das BAG ein Gesuch der Stadt Basel zur Durchführung von Cannabisstudien; die Städte Bern, Lausanne, Zürich und Genf lancierten ebenfalls entsprechende Studien. Zudem können Ärztinnen und Ärzte seit dem 1. August medizinischen Cannabis ohne Bewilligung durch das BAG verschreiben.

Teilweise erfolgreich waren im Jahr 2022 aber auch die Initiantinnen und Initianten der Organspende-Initiative. 2021 hatte das Parlament eine Änderung des Transplantationsgesetzes als indirekten Gegenvorschlag gutgeheissen, woraufhin das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückgezogen hatte. Im Januar kam das Referendum gegen die Gesetzesänderung zustande. Mit dem Gesetz beabsichtigten Bundesrat und Parlament die Einführung einer erweiterten Widerspruchslösung, wobei die Angehörigen der verstorbenen Person beim Spendeentscheid miteinbezogen werden müssen. Auch wenn es sich dabei um eine Abschwächung der Initiativforderung handelte, ging die Änderung dem Referendumskomitee zu weit; es äusserte ethische und rechtliche Bedenken. Die Stimmbevölkerung nahm die Gesetzesänderung am 15. Mai allerdings deutlich mit 60.2 Prozent an. Damit gewichtete sie die von den Befürwortenden hervorgehobene Dringlichkeit, die Spenderquote zu erhöhen und etwas gegen die langen Wartezeiten auf ein Spenderorgan zu unternehmen, stärker als die Argumente des Referendumskomitees. In den Wochen vor dem Abstimmungssonntag wurde die Vorlage vermehrt von den Zeitungen aufgegriffen, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse verdeutlicht.

Nach dem deutlichen Ja an der Urne im November 2021 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament im Mai 2022 seine Botschaft zur Umsetzung eines ersten Teils der Pflegeinitiative. Dieser entspricht dem indirekten Gegenvorschlag, den die Legislative ursprünglich als Alternative zur Volksinitiative ausgearbeitet hatte. Ohne grosse Änderungen stimmten die beiden Kammern der Gesetzesrevision zu.

Noch immer stark von der Covid-19-Pandemie geprägt waren die Diskussionen zu den Spitälern. Da die Überlastung der Spitäler und insbesondere der Intensivstationen während der Pandemie eine der Hauptsorgen dargestellt hatte, diskutierten die Medien 2022 ausführlich darüber, wie es möglich sei, die Intensivstationen auszubauen. Vier Standesinitiativen forderten zudem vom Bund eine Entschädigung für die Ertragsausfälle der Krankenhäuser während der ersten Pandemiewelle, der Nationalrat gab ihnen indes keine Folge.

Von einer neuen Krise betroffen war die Medikamentenversorgung. Die Versorgungssicherheit wurde als kritisch erachtet, was die Medien auf den Brexit, die Opioidkrise in den USA sowie auf den Ukrainekrieg zurückführten. Der Bundesrat gab in der Folge das Pflichtlager für Opioide frei. Das Parlament hiess überdies verschiedene Motionen für eine Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen gut, um so die Medikamentenversorgung auch mittelfristig sicherzustellen (Mo. 20.3211, Mo. 20.3370). Kein Gehör fand hingegen eine Standesinitiative aus dem Kanton Aargau zur Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten, durch ausreichende Lagerhaltung, Produktion in Europa und durch die Vereinfachung der Registrierung in der Schweiz.

Im Bereich des Sports war das Jahr 2022 durch mehrere Grossanlässe geprägt, die nicht nur in sportlicher, sondern auch in politischer Hinsicht für Gesprächsstoff sorgten. Die Olympischen Winterspiele in Peking Anfang Jahr und die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zum Jahresende standen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den Austragungsstätten in den Schlagzeilen. Skandale gab es aber nicht nur in der internationalen Sportwelt, sondern auch hierzulande, wo Vorwürfe bezüglich Missständen im Synchronschwimmen erhoben wurden und die 1. Liga-Frauen-Fussballmannschaft des FC Affoltern nach einem Belästigungsskandal praktisch geschlossen den Rücktritt erklärte. Erfreut zeigten sich die Medien hingegen über eine Meldung im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft der Frauen, dass die Erfolgsprämien durch die Credit Suisse und die Gelder für Bilder- und Namensrechte durch den SFV für die Spielerinnen und Spieler der Nationalmannschaft der Frauen und Männer künftig gleich hoch ausfallen sollen. Sinnbildlich für den wachsenden Stellenwert des Frauenfussballs stand ferner eine Erklärung des Nationalrats in der Wintersession 2022, wonach er die Kandidatur zur Austragung der Fussball-Europameisterschaft der Frauen 2025 in der Schweiz unterstütze. Trotz dieser verschiedenen Diskussionen im Sportbereich hielt sich die Berichterstattung dazu verglichen mit derjenigen zu gesundheitspolitischen Themen in Grenzen (vgl. Abbildung 1). Dies trifft auch auf die Medienaufmerksamkeit für die Sozialhilfe zu, die sich über das gesamte Jahr hinweg unverändert auf sehr tiefem Niveau bewegte.

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Jahresrückblick 2022: Bevölkerung und Arbeit

Das zentrale Thema im Politikbereich «Bevölkerung und Arbeit» stellten im Jahr 2022 die Löhne allgemein und das Lohndumping im Speziellen dar.

Allgemein standen die Löhne insbesondere Mitte des Jahres und ab Oktober im Zentrum der Diskussion – wie auch Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 verdeutlicht –, als die Gewerkschaften als Reaktion auf die Teuerung immer stärker auf eine Lohnerhöhung pochten. Die Löhne für das Jahr 2023 sollten demnach bis zu 4 Prozent ansteigen, um so die Senkung der Kaufkraft und der Reallöhne aufgrund der steigenden Inflation auszugleichen. Mit Lohnerhöhungen beschäftigte sich im Mai auch der Nationalrat, der eine Motion der SP-Fraktion, die eine Auszahlung von CHF 5'000 als Prämie für alle in der Covid-19-Pandemie als systemrelevant eingestuften Arbeitskräfte verlangte, deutlich ablehnte. Noch einmal Aufschwung erhielt die Diskussion um die Löhne im November 2022, als das BFS in einem Bericht die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern auf 18 Prozent bezifferte.

Das Thema «Lohndumping» stand insbesondere bei der Änderung des Entsendegesetzes (EntsG) zur Debatte. Dieses zielt darauf ab, die Anwendung der kantonalen Mindestlöhne schweizweit auf entsandte Arbeitnehmende auszudehnen. Zwar hatte der Nationalrat die Gesetzesänderung im März 2022 deutlich angenommen, der Ständerat sprach sich in der Sommersession jedoch gegen Eintreten aus. Damit brachte er die Gesetzesänderung nach zwei Jahren Arbeit zum Scheitern.
Ein Mittel gegen Lohndumping – mittels Anpassung der Bestimmungen zur missbräuchlichen Kündigung im OR – suchte auch der Kanton Tessin durch eine Standesinitiative, welcher der Ständerat in der Frühlingsession jedoch keine Folge gab. Thematisiert wurde das Lohndumping schliesslich auch in einer weiteren Tessiner Standesinitiative, welche die Einführung einer Informationspflicht über Lohndumping-Verfehlungen im Bereich des Normalarbeitsvertrages verlangte und welche das SECO 2022 zur Zufriedenheit der WAK-SR umsetzte.

Doch nicht nur bezüglich Lohndumping diskutierte das Parlament über ausländische Arbeitskräfte, auch die Abhängigkeit des Gesundheits- und Sozialwesen von ausländischem Personal wurde in der Sondersession 2022 thematisiert. Dabei lehnte das Parlament ein Postulat ab, das eine Strategie zur Verringerung dieser Abhängigkeit anstrebte. Mehr Anklang fand hingegen eine Motion, gemäss der die Stellenmeldepflicht wieder auf diejenigen Berufsarten beschränkt werden soll, die eine schweizweite Arbeitslosenquote über 8 Prozent aufweisen – sie wurde der Kommission zur Vorberatung zugewiesen.

Als Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie wurde auch im Jahr 2022 über die Flexibilisierung der Arbeitsformen gesprochen. Der Ständerat lehnte eine Motion ab, mit der das Arbeitsrecht bezüglich Homeoffice flexibler hätte gestaltet werden sollen. Zuspruch fand hingegen ein Postulat für eine Untersuchung der Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf die [Verkehrs-]Infrastrukturen.

Thematisiert wurde schliesslich auch das öffentliche Beschaffungswesen, wobei der Bundesrat im August einen Bericht zur Sicherstellung der Einhaltung der sozialen Mindestvorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen veröffentlichte. Darin beurteilte er das bestehende Kontroll- und Sanktionssystem zur Einhaltung der entsprechenden Vorschriften als angemessen. Eine weitergehende Forderung, wonach die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen so angepasst werden soll, dass auch Prinzipien aus anderen von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu sozialen Mindestnormen eingehalten werden müssen, scheiterte hingegen am Ständerat.

Jahresrückblick 2022: Bevölkerung und Arbeit
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Im Dezember 2022 publizierte der Bundesrat einen kurzen Bericht in Erfüllung des Postulats Clivaz (gp, VS) zur Aktualisierung der «Strategie Digitale Schweiz» aufgrund der Erfahrungen mit der Covid-19-Krise. Im Postulat wurde verlangt, die Chancen und Risiken der Nutzung digitaler Hilfsmittel im Beruf und im privaten Rahmen in den Bereichen «Familienleben und Telearbeit», «digitale Bildung», «Datenschutz und Privatsphäre», «Datennetzwerke» und «Bildschirmarbeit» aufzuzeigen. Der Bundesrat erläuterte im Bericht, dass all diese Forderungen des Postulats mit der aktualisierten Strategie, die er gleichentags beschloss, abgedeckt und damit erfüllt würden. So wurde etwa die Forderung von Clivaz, dass die Digitalisierung der Bildung so ausgestaltet sein müsse, dass Kompetenzen und Sinn für Kritik gestärkt würden, angegangen, indem das SBFI einen Aktionsplan mit dem Titel «Digitalisierung im BFI-Bereich in den Jahren 2019–2020» erarbeitete. Dieser verfolgte das Ziel, die digitalen Kompetenzen in den Bereichen Bildung und Forschung zu stärken und damit dafür zu sorgen, dass die Schweiz weiterhin eine Spitzenposition bei der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien einnimmt. In der Folge wurden die im Aktionsplan erarbeiteten Massnahmen in die BFI-Botschaft 2021-2024 integriert und würden nun von den entsprechenden Akteuren weitergeführt. Zudem würden auf allen Ebenen des Schweizer Bildungssystems digitale Kompetenzen in den Unterricht integriert. Gemessen werden könne der Erfolg dieser Massnahmen aufgrund der beiden Messgrössen «Anteil der Bevölkerung mit erweiterten digitalen Kompetenzen» sowie «Anteil IKT-Spezialistinnen und -Spezialisten auf dem Schweizer Arbeitsmarkt», die im Wirkungsbereich «Bildung und Kompetenzen» in der aktualisierten «Strategie Digitale Schweiz» aufgeführt sind. Auch in allen vier anderen Bereichen verwies der Bundesrat auf laufende Arbeiten. Beim Thema Telearbeit habe das SECO beispielsweise eine Empfehlungsbroschüre für Arbeitgebende herausgegeben, im Bereich des Datenschutzes bestehe eine nationale Strategie zum Schutz vor Cyberrisiken, die Datennetzwerke würden mit einer schnelleren Grundversorgung gestärkt und die negativen körperlichen Folgen von Bildschirmarbeit würden etwa mit der Strategie Gesundheit2030 angegangen. Der Bundesrat war deshalb der Ansicht, dass die aktualisierte Strategie des Bundes und die «Aktivitäten der federführenden Organisationen» die Forderungen des Postulats erfüllt hätten und kein weiterer Handlungsbedarf bestehe.

Strategie «Digitale Schweiz» nach dem Coronavirus (Po. 20.3363)

Mittels einer im Dezember 2020 eingereichten Motion forderte Greta Gysin (gp, TI) die Schaffung regionaler Stellen für eine erste Hilfe für Opfer von Missbrauch, Mobbing oder Diskriminierung am Arbeitsplatz. Obwohl sich die Opfer entsprechender Vergehen auf verschiedene Gesetze berufen könnten, kämen sie häufig nicht zu ihrem Recht, weil sie zum Beispiel Angst vor negativen Konsequenzen oder vor Jobverlust hätten. In seiner Stellungnahme vom Februar 2021 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen. Er erachtete die bestehenden rechtlichen Bestimmungen sowie die Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden als ausreichend. Das Arbeitsinspektorat könne zudem Arbeitgebende, die ihre Fürsorgepflicht nicht wahrnähmen, zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz verpflichten. Im Dezember 2022 wurde die Motion abgeschrieben, da sie nicht innerhalb der zweijährigen Frist behandelt worden war.

Regionale Stellen für eine erste Hilfe für Opfer von Missbrauch und Diskriminierung am Arbeitsplatz (Mo. 20.4429)

Ende September 2022 reichte die FDP-Fraktion ein Postulat ein, mit welchem sie den Bundesrat beauftragen wollte, eine Strategie zur Digitalisierung und zum Datenmanagement im Gesundheitswesen zu entwerfen. Mit der Strategie solle eine Stärkung der Transparenz und der Wahlfreiheit für die Patientenschaft sowie des Qualitätswettbewerbs angestrebt werden. Weiter solle die Strategie darauf abzielen, die Behandlungsqualität und die Patientensicherheit zu erhöhen und die Bürokratie zu reduzieren. Der Datenschutz und die Bewältigung von Gesundheitskrisen seien ebenfalls Punkte, welche in die Strategie einfliessen sollten. Die Umsetzung müsse Lösungen zu inhaltlichen und technischen Gesichtspunkten umfassen, wobei Erfahrungen aus anderen Staaten miteinzubeziehen seien. Adressiert werden sollten zudem die Themenbereiche, Ressourcen und Schritte zur Zielerreichung. In seiner Stellungnahme empfahl der Bundesrat die Annahme des Postulats. Das Anliegen der FDP-Fraktion könne im Rahmen eines Programms zur digitalen Transformation, das vom EDI zurzeit ausgearbeitet werde, behandelt werden. In der Wintersession 2022 nahm der Nationalrat das Postulat stillschweigend und diskussionslos an.

Potenzial von Digitalisierung und Datenmanagement im Gesundheitswesen nutzen. Die Schweiz braucht eine übergeordnete Digitalisierungsstrategie! (Po. 22.4022)

Eine im September 2022 von Marianne Maret (mitte, VS) eingereichte Motion befasste sich mit den sogenannten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (per- and polyfluoroalkyl substances, PFAS). Bei den PFAS handelt es sich um organische Verbindungen, die industriell hergestellt und in einer Vielzahl von Produkten verwendet werden. Maret forderte den Bundesrat dazu auf, in den entsprechenden Verordnungen PFAS-spezifische Grenzwerte festzulegen. Konkret sollen die Grenzwerte und Bedingungen für die Entsorgung von Materialien, Konzentrationswerte zur Evaluierung der Belastungen des Bodens und des Untergrunds sowie Grenzwerte für die Einleitung in Gewässer festgelegt werden. Die Walliser Ständerätin begründete ihren Vorstoss mit der Gefahr, die von diesen Stoffen ausgehe: Ein von der europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde im Jahr 2020 publiziertes Gutachten habe gezeigt, dass diese Stoffe besorgniserregender seien, als noch vor ein paar Jahren angenommen worden war. Ausserdem sei praktisch jede Person diesen Stoffen ausgesetzt. Indem PFAS-spezifische Grenzwerte festgelegt würden, könnten Bund und Kantone die Umweltbelastung durch PFAS angehen und somit die Gesundheit der Bevölkerung besser schützen. Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motion.
In der Wintersession 2022 stellte Marianne Maret ihren Vorstoss dem Ständerat vor. Umweltministerin Simonetta Sommaruga ergänzte, dass die PFAS eine grosse Herausforderung für alle betroffenen Akteure darstellten. Insbesondere die Kantone seien im Umgang mit den PFAS mit Problemen konfrontiert: Da es bisher keine generellen Grenzwerte gebe, müssten derzeit bei Sanierungen – zum Beispiel von belasteten Böden rund um Feuerlöschübungsplätze – noch aufwändig und im Einzelfall Grenzwerte festgelegt werden. Anschliessend nahm die kleine Kammer den Vorstoss stillschweigend an.

Festlegung von PFAS-spezifischen Werten in Verordnungen (Mo. 22.3929 und Mo. 23.3499)
Dossier: Mieux réguler la présence des PFAS, des PCB et de la dioxine dans l'environnement

Im November 2022 präsentierte die SGK-NR ihren Entwurf für eine Änderung des KVG bezüglich der dreijährigen Tätigkeitspflicht zur Zulassung von Leistungserbringenden zur Abrechnung mit der OKP.
Erst per 1. Januar 2022 hatte das Parlament die Zulassungsbeschränkungen für ausländische Leistungserbringende verschärft. Seither können bereits in der Schweiz tätige Ärztinnen und Ärzte ohne dreijährige Tätigkeit an einer Schweizer Weiterbildungsstätte, welche zuvor bereits über die OKP abgerechnet hatten, entsprechend den Übergangsbestimmungen zwar weiterhin praktizieren, jedoch nicht in einen anderen Kanton wechseln oder selbständig werden. Entsprechend gefährde die neue Regelung die ambulante medizinische Grundversorgung in der Schweiz, insbesondere in Randregionen, kritisierte die Kommission. Folglich soll eine bis Ende 2027 befristete Ausnahmeregelung die neu geschaffene Zulassungsbeschränkung abschwächen. Demnach sollen Kantone, die in Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie eine Unterversorgung aufweisen, Ausnahmen von dieser Zulassungsbeschränkung vornehmen können. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) beantragte, die Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie von der Liste der Fachgebiete zu streichen.
Anlässlich der von August bis Oktober 2022 durchgeführten Vernehmlassung waren 73 Stellungnahmen eingegangen, welche die Ausnahmeregelung mehrheitlich grundsätzlich guthiessen. Diskutiert wurde insbesondere, ob die Fachgebiete, für welche die Ausnahmeregelung gelten soll, abschliessend aufgelistet oder ihre Bestimmung den Kantonen überlassen werden soll, und ob die Kantone die Regelung in eigene Gesetze giessen müssen oder sich direkt auf das KVG beziehen können sollen.

Ausnahmen von der dreijährigen Tätigkeitspflicht gemäss Artikel 37 Absatz 1 KVG bei nachgewiesener Unterversorgung (Pa.Iv. 22.431)
Dossier: Limitation du nombre de médecins (depuis 1998)

In der Wintersession 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit einer Motion Müller (fdp, LU), welche auf mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung abzielte. Während eine Mehrheit der SGK-NR die Annahme des Vorstosses forderte, um Versorgungsengpässen entgegenzuwirken, und sich davon überzeugt zeigte, dass das Zulassungsverfahren in den USA über einen der Schweiz ebenbürtigen Standard verfüge, sprach sich eine Kommissionsminderheit rund um Manuela Weichelt (al, ZG) gegen die Motion aus. Sie führte Bedenken zur Sicherheit der Patientenschaft und die Möglichkeit von Ausnahmebewilligungen ins Feld. Gesundheitsminister Alain Berset teilte die Ansicht bezüglich Patientensicherheit – in den USA gebe es zum Beispiel eine Tendenz zur Deregulierung der Gesetzgebung für Medizinprodukte («une tendance à la dérégulation de la législation sur les dispositifs médicaux») – und erklärte, dass die Versorgung der Schweiz mit Medizinprodukten derzeit gesichert sei. Nichtsdestotrotz folgte die grosse Kammer mit 100 zu 79 Stimmen dem Antrag der Kommissionsmehrheit und nahm die Motion an. Damit bestätigte sie ihren Beschluss, den sie bereits bei der gleichlautenden Motion Rösti (Mo. 20.3370) gefasst hatte.

Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung (Mo. 20.3211)

Mittels einer parlamentarischen Initiative forderte Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) im Juni 2022, dass in der Werbung für Motorfahrzeuge jeweils auch auf eine alternative Mobilitätsform aufmerksam gemacht wird. Als Alternativen schlug die grüne Nationalrätin den Langsamverkehr, Fahrgemeinschaften oder den öffentlichen Verkehr vor. Begründet wurde die Initiative nicht nur mit klimapolitischen Überlegungen, sondern auch mit Hinweisen auf die Lärmbelastung und die Luftverschmutzung, welche durch den motorisierten Verkehr entstehen, sowie auf die Vorteile des gesünderen Lebensstils, der mit dem Langsamverkehr einhergehe.
Die KVF-NR befasste sich Mitte Oktober 2022 mit dem Anliegen. Die Kommission beantragte mit 16 zu 7 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben. Für die Kommissionsmehrheit stellten Eingriffe in die Werbefreiheit in diesem Bereich kein zielführendes Mittel und keine staatliche Aufgabe dar. Eine Minderheit hingegen sah in der Initiative eine Chance, das Kauf- und Konsumverhalten im Bereich der Mobilität positiv zu beeinflussen.

In der Werbung für Motorfahrzeuge auf Alternativen aufmerksam machen (Pa.Iv. 22.436)

Im August 2022, also über ein Jahr nach der Abstimmung in Moutier über einen Kantonswechsel des Städtchens von Bern zu Jura, reichten elf Stimmberechtigte eine Beschwerde gegen das Abstimmungsergebnis ein. Sie machten geltend, die jurassische Kantonsregierung habe die Stimmberechtigten vor der Abstimmung mit ihren Aussagen zur Zukunft des Spitals von Moutier in die Irre geführt. Das Spital gehört zu den grössten Arbeitgebern in Moutier und die Gegnerinnen und Gegner eines Kantonswechsels hatten schon seit Längerem argumentiert, ein Kantonswechsel würde die Zukunft des Spitals in Frage stellen. Die Zusicherung des jurassischen Regierungsrats, dass sich bei einem Kantonswechsel nichts an den im Spital Moutier angebotenen Leistungen ändern werde, hatte im Abstimmungskampf vor dem Urnengang vom 28. März 2021 deshalb viel Aufmerksamkeit erhalten. Ein Jahr nachdem sich die Stimmbevölkerung Moutiers 2021 schliesslich mit einer Mehrheit von 54.9 Prozent für einen Wechsel zum Kanton Jura ausgesprochen hatte, schickte das Gesundheitsamt des Kantons Jura indessen einen Entwurf für eine Spitalliste in die Vernehmlassung, mit welchem die Leistungen des Spitals Moutier – anders als im Abstimmungskampf versprochen – künftig reduziert würden.
Über die Beschwerde hatte die bernische Regierungsstatthalterin für den Berner Jura, Stéphanie Niederhauser, zu entscheiden, welche bereits 2018 eine frühere Abstimmung über einen Kantonswechsel Moutiers annulliert und diesen Entscheid unter anderem mit unzulässiger Abstimmungspropaganda durch die Gemeindebehörden begründet hatte. Die Geschichte wiederholte sich allerdings nicht: Im Oktober 2022 gab die Regierungsstatthalterin bekannt, dass sie die Beschwerde als unzulässig («irrecevable») erachte und nicht auf sie eintrete. Sie begründete dies damit, dass die künftige Spitalliste noch gar nicht definitiv sei. Ein Sprecher der Beschwerdeführenden gab daraufhin bekannt, man werde nun die definitive Spitalliste abwarten; falls diese weiterhin eine Reduktion des Leistungskatalogs beim Spital Moutier vorsehen und damit den jurassischen Zusicherungen aus dem Abstimmungskampf widersprechen sollte, werde man einen erneuten Rekurs prüfen. Die jurassische Regierungsrätin Nathalie Barthoulot (sp) wiederum liess verlauten, die medizinische Versorgung der Bevölkerung von Moutier werde auf jeden Fall garantiert; man werde sich bei der definitiven Festlegung der Spitalliste aber nicht von den Gegnerinnen und Gegnern des Kantonsübertritts unter Druck setzen lassen.

Votation communale du 18 juin 2017 à Moutier sur l'appartenance cantonale et répétition du 28 mars 2021
Dossier: Moutier et le conflit jurassien

In ihrer Medienmitteilung vom 23. Juni 2022 gab die SGK-NR bekannt, dass sie mit 22 zu 1 Stimme entschieden habe, die parlamentarische Initiative Nantermod (fdp, VS) «Organspende dank der Versichertenkarte stärken» zur Abschreibung zu beantragen. Als Grund für ihren Sinneswandel – bei ihrer ersten Behandlung hatte sie sich noch für das Anliegen ausgesprochen – nannte die Kommission den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten», der im Mai 2022 vom Schweizer Stimmvolk angenommen worden war. Im Rahmen der Detailberatung des Gegenvorschlags habe sich der Nationalrat mit dem Anliegen der parlamentarischen Initiative befasst, dieses damals jedoch unter anderem aus Praktikabilitäts- und Datenschutzgründen abgelehnt. Der Gegenstand der parlamentarischen Initiative sei also durch das Parlament bereits behandelt worden, weshalb die SGK-NR es nicht mehr als notwendig erachte, dem Begehren Nantermods nachzugehen. In der Herbstsession 2022 kam der Nationalrat seiner vorberatenden Kommission stillschweigend nach und schrieb die Initiative ab.

Organspende dank der Versichertenkarte stärken (Pa.Iv. 18.443)
Dossier: Transplantation d'organes, de tissus et de cellules

Im September 2020 reichte Nationalrat Mathias Reynard (sp, VS) ein Postulat ein, mit dem er einen Bericht über die Gesundheit am Arbeitsplatz in den Service-Public-Unternehmen des Bundes forderte. Der Bund verfüge mit seinen Unternehmen über eine Vorbildfunktion und solle daher aufzeigen, wie er die Gesundheit seiner Angestellten fördert.
In seiner Stellungnahme vom November 2020 beantragte der Bundesrat, das Postulat abzulehnen. Ein Bericht sei nicht nötig, da die Service-Public-Unternehmen des Bundes ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen würden und der Gesundheit ihrer Mitarbeiter auch über die gesetzlichen Anforderungen hinaus verpflichtet seien.
Im September 2022 wurde das Postulat abgeschrieben, da es nicht innert zwei Jahren vom Nationalrat behandelt worden war.

Stress, Burn-out und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den Service-Public-Unternehmen (Po. 20.4228)

Der Bundesrat nahm Ende September 2022 Stellung zum Bericht der GPK-NR «Grundwasserschutz in der Schweiz» und stimmte dabei den von der GPK-NR abgegebenen Empfehlungen vollumfänglich zu. Der Bundesrat teilte folglich die Ansicht, dass die Vollzugsdefizite in den Kantonen rasch behoben werden müssen, damit ein besserer Schutz der Trinkwasserressourcen gewährleistet werden kann. Dafür müssten die Rechtsgrundlagen, auf Basis derer der Bund den kantonalen Vollzug unterstützt und kontrolliert, gestärkt werden. Der Bundesrat plane daher unter anderem, im Rahmen der laufenden Anpassung des Gewässerschutzgesetzes die Instrumente des Vollzugs sowie die Verankerung des Grundwasserschutzes in der Raumplanung zu stärken.

Bericht Grundwasserschutz in der Schweiz
Dossier: Protection des eaux souterraines en Suisse

In der Herbstsession 2022 befasste sich der Nationalrat erneut mit der parlamentarischen Initiative Weibel (glp, ZH), welche eine Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme verlangte. Eine Mehrheit der vorberatenden SGK-NR hatte ihrem Rat die Abschreibung der Initiative beantragt. Flavia Wasserfallen (sp, BE) begründete den Sinneswandel der Kommission – ursprünglich hatte sich diese für Folgegeben ausgesprochen – unter anderem mit dem Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten, welcher dazu führe, dass sich Personen in erster Instanz an Notfallstationen wenden würden. Zudem stellten Notfallstationen gerade für Menschen in prekärer Situation «oft die erste und einzige medizinische Anlaufstelle» dar. Wichtig sei die Organisation der vorgelagerten Triagesituation, mit der eine Entlastung der Stationen bewirkt werden könne. Eine Minderheit rund um Jörg Mäder (glp, ZH) wollte hingegen an der parlamentarischen Initiative festhalten, da man die teuren Ressourcen der Notfallstationen effizient nutzen müsse. Der zusätzliche administrative Aufwand könne durch die Zeitersparnis durch die abnehmende Zahl an Bagatellfällen und allenfalls durch digitalen Fortschritt aufgewogen werden. Mit 114 zu 71 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) folgte die grosse Kammer der Minderheit und schrieb die Initiative nicht ab.

Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme (Pa.Iv. 17.480)

Die sozialdemokratische Fraktion wollte mittels einer während der Covid-19-Pandemie im Herbst 2020 eingereichten Motion erreichen, dass dem Personal von Krankenhäusern sowie vergleichbaren stationären und ambulanten Einrichtungen, welche Covid-19-Patientinnen und -Patienten behandeln, eine einmalige Corona-Prämie von CHF 4'000 zugestanden wird. Das Geschäft kam anlässlich der Herbstsession 2022 in den Nationalrat. Dort setzte sich Barbara Gysi (sp, SG) für das Anliegen ihrer Fraktion ein: Die Prämie sei angesichts der grossen Belastung und der unternommenen Anstrengungen und Überstunden der Betroffenen, mit denen sie die Gesundheitsversorgung während der Covid-19-Pandemie gewährleistet hatten, gerechtfertigt. Weiter betonte sie die Wichtigkeit der Wertschätzung des Gesundheitspersonals. Bundesrat Guy Parmelin anerkannte zwar den Beitrag, den das Gesundheitspersonal während der Pandemie geleistet hatte, gab aber zu bedenken, dass sich viele Arbeitnehmende aus unterschiedlichen Berufen in dieser Zeit speziell engagiert hätten. Eine Corona-Prämie sei nicht angebracht, weil diese einer Bevorzugung einer bestimmten Gruppe gleichkäme. Zudem wies der Wirtschaftsminister auf die Pflegeinitiative hin, mit deren Annahme sich die Stimmbevölkerung für eine Verbesserung der Situation von qualifizierten Arbeitskräften im Gesundheitswesen ausgesprochen habe. Der Bundesrat empfahl die Motion daher zur Ablehnung. Mit 118 zu 64 Stimmen folgte der Nationalrat dieser Empfehlung. Während sich die Fraktionen der SP und der Grünen geschlossen für den Vorstoss aussprachen, lehnten ihn die anderen Fraktionen geschlossen ab.

Corona-Prämie (Mo. 20.4307)

Die WBK-NR forderte im Juni 2022 eine Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung und gab damit der Petition 21.2037 der Frauensession, die Zugang zu ganzheitlicher und professioneller sexueller Bildung für alle gefordert hatte, Folge. Der Bundesrat solle in Zusammenarbeit mit den Kantonen einen Bericht erarbeiten, in welchem dargelegt wird, wie die Sexualaufklärung in den Schweizer Schulen in der Praxis vonstattengeht und welche Massnahmen unternommen werden, um die Qualität des Unterrichts zu sichern. Der Bericht solle dabei unter anderem analysieren, welche finanziellen Mittel und welches pädagogische Material in den Schulen zur Verfügung steht und ob sich Letzteres auch dazu eignet, die Problematik der sexuellen Gewalt zu diskutieren, ob der Lehrplan21 zu einer Harmonisierung der Sexualaufklärung in den deutschsprachigen Schulen geführt hat und welche Rolle ausserschulische Leistungserbringende bei der Sexualaufklärung einnehmen. Die Kommission begründete ihr Postulat damit, dass eine ganzheitliche Sexualaufklärung zur Gesundheitsförderung, zur Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen und zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften beitrage. Ausserdem werde dadurch Sexismus und sexueller Gewalt vorgebeugt. Die Sexualaufklärung leiste folglich einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Der Bundesrat solle den Expertenbericht zum Postulat Regazzi (mitte, TI; Po. 14.4115) als Ausgangslage nehmen, da dort bereits wichtige Vorarbeit geleistet worden sei.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, da er im Bereich der obligatorischen Schule nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfüge.
Der Vorstoss gelangte in der Herbstsession 2022 in die grosse Kammer. Dem Nationalrat lag dabei zwar kein Minderheitsantrag aus der Kommission, jedoch ein Einzelantrag Aeschi (svp, ZG) auf Ablehnung der Motion vor. Nachdem im Plenum keine neuen Argumente vorgebracht worden waren und Thomas Aeschi auf ein Votum verzichtet hatte, wurde der Vorstoss mit 101 zu 77 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen. Die Gegenstimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion sowie von Mitgliedern der Mitte- und der FDP.Liberalen-Fraktionen.

Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung in der Schweiz (Po. 22.3877)

Ende Juni 2022 lancierte die SGK-NR eine Motion zur Förderung der Gendermedizin und griff damit zwei Petitionen aus der Frauensession 2021 auf. Die Gendermedizin untersucht und behandelt Krankheiten vor einem geschlechtsspezifischen Hintergrund. Die Annahme, dass Krankheiten geschlechtsneutral verliefen und aufträten, könne Fehldiagnosen und -behandlungen mit sich ziehen. Um dies zu verhindern, müssten bestehende Ungleichheiten in der Medizin bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund forderte die Kommissionsmehrheit, dass ein nationales Forschungsprogramm zur Gendermedizin lanciert wird, dass Forschungsprojekte gefördert werden, welche sich mit Frauenkrankheiten beschäftigen, und dass das Geschlecht bei der Vergabe von Geldern des SNF berücksichtigt wird.
Zwei Kommissionsminderheiten waren jedoch nicht mit allen Forderungen einverstanden. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) rief dazu auf, die ersten beiden Forderungen der Motion abzulehnen, während eine Minderheit Sauter (fdp, ZH) die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Geldervergabe ablehnte. Nationalrat Glarner argumentierte, dass das Problem der geschlechtlichen Ungleichbehandlung in der Medizin wohl erst seit «der unsäglichen Gender-Debatte mit all ihren Absurditäten von Links-Grün» bestehe. Dahingegen anerkannte Nationalrätin Sauter die Wichtigkeit der Motion, aber sprach sich entschieden gegen die in der Motion vorgesehenen «engen Vorgaben» für zur Vergabe von Forschungsgeldern aus. Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Problematik bereits in den Antworten auf vergangene Vorstösse (etwa Mo. 19.3577) diskutiert worden sei und geschlechterspezifischer Unterschiede in der Medizin aufgrund des Postulats Fehlmann (sp, GE; Po. 19.3910) bereits untersucht würden. Des Weiteren sei eine Ablehnung der Motion nötig, damit Forschende aller Schweizer Hochschulen weiterhin gleiche Chancen beim Bewerbungsprozess für Gelder des SNF und von Innosuisse hätten.
Nach einer hitzigen Debatte nahm der Nationalrat die Forderungen zur Lancierung eines nationalen Forschungsprogramms und zur Förderung der Erforschung spezifischer Frauenkrankheiten mit 127 zu 54 Stimmen bei 2 Enthaltungen an und sprach sich somit gegen den Minderheitsantrag Glarner aus. Dem Antrag der Minderheit Sauter kam der Nationalrat indes nach und sprach sich mit 100 zu 83 Stimmen gegen die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Vergabe von SNF-Geldern aus.

Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin (Mo. 22.2868)
Dossier: Les pétitions de la Session des femmes 2021 sont intégrées dans d'autres interventions parlementaires

Aufgrund eines Unwohlseins von Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG) unterbrach der Nationalrat seine Sitzung zum Embargogesetz während der Herbstsession 2022. Laut Medien war der SVP-Nationalrat gegen 10 Uhr an seinem Platz zusammengebrochen, worauf Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) die Sitzung unterbrach. SP-Ständerätin Marina Carobbio (sp, TI) und SP-Nationalrat Angelo Barrile (sp, ZH) – beide medizinisch ausgebildet – leisteten erste Hilfe. Nachdem Reimann mit der Ambulanz ins Spital gebracht worden war, nahm der Rat die Verhandlungen wieder auf. Die Nationalratspräsidentin mahnte in der Folge alle Anwesenden, Fotos vom Vorfall zu löschen, und sprach Genesungswünsche aus. Via Twitter teilte Reimann einige Tage später mit, dass es ihm gut gehe und er «keine schwerwiegende Diagnose» erhalten habe.
Ende Oktober 2022 konnte Reimann wieder an einer Kommissionssitzung teilnehmen und wurde in Bern laut Medien sehr herzlich «mit vielen Umarmungen» empfangen. Die Ärzte hätten den Grund für seinen Bewusstseinsverlust nicht gefunden, ein Schlaganfall, ein Herzproblem oder Drogeneinnahme seien aber ausgeschlossen worden, gab der St. Galler den Medien zu Protokoll.

Sitzungsunterbruch wegen Zusammenbruch von Lukas Reimann

Mittels eines Postulats forderte Valérie Piller Carrard (sp, FR) den Bundesrat im Herbst 2020 zur Ausarbeitung eines Berichts über gynäkologische Gewalt in der Schweiz auf. Unter gynäkologischer Gewalt sind sowohl psychische Gewalt als auch physische Praktiken bei Arztbesuchen oder der Geburt zu verstehen. Für den verlangten Bericht soll man sich an Frankreich orientieren, wo bereits ein entsprechender Bericht vorliege. Thematisiert werden sollen unter anderem die Verbreitung gynäkologischer Gewalt, die dabei angewandten Praktiken und die Möglichkeit der betroffenen Frauen, sich zu wehren. Ebenfalls im Bericht enthalten sein solle eine Liste mit Empfehlungen, um das Phänomen zu stoppen. Das Postulat wurde in der Herbstsession 2022 vom Nationalrat behandelt. Piller Carrard unterstrich die Wichtigkeit ihres Vorstosses damit, dass zwischen 2018 und 2019 mehr als ein Viertel aller Frauen in der Schweiz während der Geburt informellen Zwang erfahren hätten. Gesundheitsminister Berset empfahl im Namen des Gesamtbundesrates indes die Ablehnung des Postulats, zumal die Durchführung der geforderten Studie nicht in den Kompetenzbereich des Bundes, sondern in denjenigen der Kantone und der Ärztegesellschaften falle. Der Nationalrat lehnte den Vorstoss mit 103 zu 85 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ab. Die Fraktionen der SP, GLP und der Grünen stimmten dem Postulat zu, die bürgerlichen Fraktionen stimmten grösstenteils für Ablehnung.

Erstellung eines Berichts über gynäkologische Gewalt in der Schweiz (Po. 20.4251)

Jörg Mäder (glp, ZH) störte sich im September 2020 daran, dass Spitäler Ärztinnen oder Ärzten Vergütungen für mengenmässige Ziele zukommen lassen – sowohl internen Ärztinnen und Ärzten bei Durchführung von Behandlungen als auch externen bei Vermittlung von Patientinnen und Patienten. Da Studien gezeigt hätten, dass mengenbezogene Entschädigungen bei der Ärzteschaft die Anzahl Eingriffe erhöhe – auch die Expertengruppe hatte diesen Aspekt hervorgehoben –, sollen solche Spitäler zukünftig von der Spitalliste gestrichen werden, forderte Mäder in einer Motion. Im September 2022 behandelte der Nationalrat das Anliegen. Obwohl Gesundheitsminister Berset erklärt hatte, dass das Anliegen in einer zwischenzeitlich verabschiedeten Verordnungsänderung umgesetzt worden sei, nahm der Nationalrat die Motion mit 112 zu 75 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) an.

Keine mengenbezogenen Lohnanreize für Spitalärzte

In der Wintersession 2022 setzte sich der Ständerat erstmals mit dem Entwurf für eine einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und stationären Bereich auseinander und nahm dabei verschiedene gewichtige Änderungen am Entwurf vor. Der Rat folgte dabei überall seiner Kommissionsmehrheit, deren Position Erich Ettlin (mitte, OW) darlegte.

Die zentrale Änderung gegenüber der nationalrätlichen Version stellte der Einbezug der Pflegefinanzierung in EFAS dar, wie ihn die Kantone ausdrücklich gefordert hatten. Der Nationalrat hatte einen solchen noch abgelehnt, da die dafür nötigen Informationen, etwa zur Kostentransparenz, erst beschafft werden müssten. Um unter anderem diesen fehlenden Informationen Rechnung zu tragen, soll die Pflegefinanzierung gemäss Vorschlag der SGK-SR jedoch erst nach sieben Jahren integriert werden. Stillschweigend folgte der Ständerat seiner Kommission in dieser zentralen Frage.
Doch auch allgemein will sich der Ständerat bei der Umsetzung von EFAS Zeit lassen, so sollen erst drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die ersten Umstellungen erfolgen, wobei während der anschliessenden vier Jahre die Anteile der Kantone langsam gesteigert werden – sieben Jahre nach Inkrafttreten sollen demnach die Kostenbeteiligungsziele der Kantone erfüllt sein. Minderheiten von Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) und Josef Dittli (fdp, UR), welche eine Umsetzungszeit von neun Jahren respektive einen vom Bundesrat festzulegenden Spielraum zwischen sieben und neun Jahren forderten, fanden keine Mehrheit.

Als Reaktion auf den Einbezug der Pflegefinanzierung legte die kleine Kammer den Kantonsbeitrag an die ambulanten und stationären Kosten auf 26.9 Prozent fest – der Nationalrat hatte ohne Pflegefinanzierung einen Beitrag von 25.5 Prozent vorgesehen. Damit wird der Kantonsbeitrag proportional zu den entstandenen Kosten bemessen und soll lediglich die Nettoleistungen berücksichtigen. Eine Minderheit Hegglin (mitte, ZG) hatte beantragt, auf die Bruttokosten abzustellen. Der Kantonsbeitrag wäre demnach aufgrund der gesamten Leistungen ohne Franchisen oder Selbstbehalt berechnet worden. So befürchtete Minderheitensprecher Hegglin, dass Personen mit hohen Franchisen bei Berücksichtigung der Nettobeträge benachteiligt würden und die Versicherungen die Prämien für hohe Franchisen zukünftig erhöhen müssten, weil sich die Kantone stärker an den Kosten von Personen mit tiefen Franchisen beteiligten. Die Kommissionsmehrheit und der Bundesrat erachteten es allerdings als eine – wohl sogar verfassungsrechtlich – unzulässige Ungleichbehandlung, wenn sich die Kantone an den Kosten von Franchisen und Selbstbehalten beteiligten, nicht aber die Versicherungen. Mit 28 zu 11 Stimmen folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit und lehnte damit auch den von der Minderheit vorgeschlagenen tieferen Kantonsbeitrag von 24.1 Prozent der Bruttokosten ab.

Als weiteren zentralen Punkt stärkte der Ständerat die Position der Kantone bezüglich Datenzugang und Steuerungsmöglichkeiten. Bisher verfügten die Kantone über sämtliche jährlich anfallenden 1.3 Mio. Rechnungen der stationären Behandlungen – da sie diese mitfinanzierten. Da sie neu aber auch die ambulanten Leistungen mitfinanzieren werden, verlangten sie zusätzlich Zugang zu den 130 Mio. Rechnungen der ambulanten Behandlungen. Dies lehnten jedoch die Versicherungen ab, da sie eine Verlängerung der Zahlungsverfahren befürchteten. Nach einem runden Tisch des BAG schlug die Kommissionsmehrheit vor, dass die Kantone weiterhin nur die Originalrechnungen des stationären Bereichs erhalten, eine Minderheit Stöckli (sp, BE) wollte jedoch den Kantonen auch Zugang zu aggregierten Daten zur Kostenentwicklung gewähren. Man solle die «Stellung der Kantone nicht unzulässig herabminder[n]» und ihnen Zugang zu denjenigen Daten geben, die sie für ihre vielen Aufgaben benötigen, verlangte er. Mit 22 zu 20 Stimmen lehnte der Ständerat diese Ergänzung jedoch knapp ab. Generell sollen die Kantone somit eine Wohnsitzkontrolle und eine formale Prüfung der stationären Leistungen vornehmen können, jedoch keine Prüfung der WZW-Kriterien.
Hingegen verbesserte der Ständerat die Steuerungsmöglichkeiten der Kantone, unter anderem durch eine neue Zulassungssteuerung bei nichtärztlichen Leistungserbringenden – bisher war nur eine Zulassungssteuerung bei ärztlichen Leistungserbringenden möglich. In Übereinstimmung mit der überwiesenen Motion 20.3914 sollte neu aber zum Beispiel auch bei psychotherapeutischen Leistungen ein Zulassungsstopp aufgrund eines überdurchschnittlich starken Anstiegs des Kostenniveaus verglichen mit anderen Kantonen möglich sein. Eine Minderheit Dittli erachtete dies «weder [als] nötig noch [als] sinnvoll», unter anderem da die bestehenden «Instrumente der Wirtschaftlichkeitskontrolle und der Qualitätsentwicklung» für eine Kontrolle der Kosten ausreichten. Mit 23 zu 16 Stimmen folgte der Ständerat aber seiner Kommissionsmehrheit.
Gestärkt werden sollte unter anderem auch die Gemeinsame Einrichtung KVG, indem diese zukünftig die Kantonsbeiträge berechnet, einfordert und die Aufteilung der Gelder der Kantone an die Versicherungen übernimmt. Neu sollen nach dem Willen des Ständerates zudem die Kantone darin Einsitz erhalten.

Im Nationalrat sehr umstritten war die Frage nach der Vergütung der Vertragsspitäler, die bisher bei 45 Prozent durch die Versicherungen lag, während die Listenspitäler neben den 45 Prozent durch die Versicherungen auch 55 Prozent Vergütung durch die Kantone erhielten. Die grosse Kammer wollte diese Vergütung der Vertragsspitäler von 45 Prozent auf 73.1 Prozent erhöhen, um den Finanzierungsanteil aus der OKP gleich zu behalten wie bei den Listenspitälern. Der Ständerat entschied sich hingegen stillschweigend für den bundesrätlichen Vorschlag, um eine Attraktivitätssteigerung der Vertragsspitäler und damit eine Einschränkung der Wirksamkeit der Spitalplanung zu verhindern.

Abgelehnt wurde schliesslich auch ein Minderheitsantrag Carobbio Guscetti, der ausdrücklich sicherstellen wollte, dass bei Anstieg der kantonalen Beteiligung die Kosten für die Prämienzahlenden in gleichem Verhältnis sinken. Bereits bei der Spitalfinanzierung 2012 sei der erhoffte dämpfende Effekt auf die Prämien ausgeblieben, mit dieser Regelung solle dieser deshalb sichergestellt werden, forderte die Minderheitensprecherin – jedoch vergeblich. Mit 30 zu 11 Stimmen lehnte der Ständerat den Antrag ab, Kommissionssprecher Ettlin hatte argumentiert, dass die Prämien automatisch sinken müssten, da sie «den Gesundheitskosten eines Kantons entsprechen müssen».

In der Folge sprach sich die kleine Kammer in der Gesamtabstimmung mit 29 zu 6 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) für den Entwurf aus. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten hauptsächlich von Mitgliedern der SP- und der Grünen-Fraktion.

Einführung eines monistischen Finanzierungssystems für die Gesundheitsleistungen (EFAS; Pa.Iv. 09.528)

Nachdem sich die SGK-NR gegen die vier Standesinitiativen zur Beteiligung des Bundes an den Ertragsausfällen und Mehrkosten von Spitälern und Kliniken während der ersten Covid-19-Welle (Kt.Iv. SH 20.331; Kt.Iv. AG 21.304; Kt.Iv. TI 21.307; Kt.Iv. BS 21.312) ausgesprochen hatte, kamen die Initiativen in der Herbstsession 2022 in den Nationalrat. Eine Minderheit rund um Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) war der Auffassung, dass der Bund in die Pflicht genommen werden sollte, da er während der Pandemie gewisse Eingriffe der Spitäler verboten hatte. Zudem habe er in vergleichbaren Situationen auch beim öffentlichen Ortsverkehr Vergütungen vorgenommen. Kommissionssprecher Christian Lohr (mitte, TG) teilte diese Ansicht indes nicht. Der Bund habe bereits die Finanzierung des grössten Teils der gesundheitlichen Covid-19-Massnahmen übernommen. So sei dieser etwa für Gesundheitskosten in der Höhe von CHF 5 Mrd. aufgekommen. Mit jeweils ungefähr 140 zu 35 Stimmen gab der Nationalrat den Standesinitiativen keine Folge. Einzig die grüne Fraktion sprach sich geschlossen für Folgegeben aus, die anderen Fraktionen votierten geschlossen (GLP-Fraktion) oder grossmehrheitlich dagegen.

Auch der Bund soll für die Spitäler zahlen (St.Iv. 20.331; St.Iv. 21.304; St.Iv. 21.307; St.Iv. 21.312)

In der Herbstsession 2022 kam eine Motion Silberschmidt (fdp, ZH), welche die Einführung eines eindeutigen Patientenidentifikators zum Ziel hatte, in den Ständerat. Hannes Germann (svp, SH) beantragte im Namen der SGK-SR die Annahme des Geschäfts, da die eindeutige Identifikation als Basis für die Digitalisierung im Gesundheitswesen diene. Gesundheitsminister Berset sprach sich ebenfalls für die Motion aus, erinnerte allerdings daran, dass der Bund nicht über die Kompetenz verfüge, alle Bereiche des Vorstosses zu regeln, und es daher einer Zusammenarbeit mit den Kantonen bedürfe. Stillschweigend nahm die kleine Kammer die Motion an.

Einführung eines eindeutigen Patientenidentifikators (Mo. 21.4373)
Dossier: Système de santé et numérisation