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  • Coronavirus (Covid-19)
  • Climat national
  • Relations avec l'Union européenne (UE)
  • Prévoyance professionnelle

Acteurs

  • Zelensky, Volodymyr
  • Berset, Alain (sp/ps) BR EDI / CF DFI

Processus

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Die Ankündigung der ersten von insgesamt vier von-Wattenwyl-Gesprächen im Jahr 2022 im Februar 2022 glich derjenigen des Vorjahres. Nicht nur der Ort war aufgrund der Covid-19-Pandemie noch immer nicht das namengebende Von-Wattenwyl-Haus, sondern erneut der Bernerhof, sondern auch die hauptsächlichen Traktanden der Gespräche zwischen den Parteispitzen und einer Bundesratsdelegation – im Februar bestehend aus dem frisch gekürten Bundespräsidenten und Aussenminister Ignazio Cassis, Gesundheitsminister Alain Berset und Energieministerin Simonetta Sommaruga sowie dem Bundeskanzler Walter Thurnherr – waren gleich wie im Vorjahr. Diskutiert wurde nämlich über die sich langsam entspannende gesundheitspolitische Lage sowie das in seiner neuen Stossrichtung formulierte Ziel der Regierung, die bilateralen Beziehungen zur EU zu stabilisieren. Einen weiteren aussenpolitischen Diskussionspunkt stellte der geplante Sitz der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat (2023–2024) dar. Simonetta Sommaruga informierte über die geplanten Vorhaben zur Senkung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis 2050 (Revision des CO2-Gesetzes und Schaffung des Bundesgesetzes über sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien).
Im Mai 2022 fanden die Gespräche nach über zwei Jahren wieder im Von-Wattenwyl-Haus statt. Und auch die Themen hatten sich innert Monaten aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs stark verschoben. Bundespräsident Ignazio Cassis, Simonetta Sommaruga, Guy Parmelin sowie Walter Thurnherr diskutierten mit den Vertretungen der Bundesratsparteien über die aussenpolitischen, wirtschaftlichen und energiepolitischen Auswirkungen des Konflikts. Konkrete Diskussionsgegenstände waren die neutralitätspolitische Ausrichtung der Schweiz, die Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Lugano, der weltweite Teuerungsdruck und die Energieversorgungssicherheit – neben dem bereits im Februar diskutierten Stromversorgungsgesetz, dessen Umsetzung beschleunigt werden sollte, informierte die Energieministerin dabei über die geplanten Massnahmen zur Gasversorgungssicherheit.
Wie vor der Covid-19-Pandemie üblich traf sich die Landesregierung für die Von-Wattenwyl-Gespräche im Herbst in corpore und in Klausur mit den Parteispitzen. Neben dem Krieg und seinen Auswirkungen standen die Versorgungssicherheit, die Finanzplanung, wirtschaftspolitische Folgen der Inflation, die gesundheitspolitische Lage sowie einmal mehr die Europapolitik auf der Traktandenliste. In der bundesrätlichen Bilanz zu sechs Monaten Krieg nahm Justizministerin Karin Keller-Sutter Stellung zu den Migrationsbewegungen und dem Schutzstatus S, der rund 62'000 Personen gewährt worden sei; Verteidigungsministerin Viola Amherd betonte ihrerseits den Wandel der «europäischen Sicherheitsarchitektur» und die Bedeutung multilateraler Organisationen auch für die Schweiz; Aussenminister Ignazio Cassis berichtete über die Lugano-Konferenz. Die energetische Versorgungssicherheit wurde von Energieministerin Simonetta Sommaruga erörtert. Massnahmen seien etwa eine Wasserkraftreserve, Einrichtung von Reservekraftwerken und Plänen zur Bewältigung einer möglichen Gasmangellage; die Stromversorgung sei momentan aber sichergestellt. Wirtschaftsminister Guy Parmelin erklärte die steigenden Energiepreise zur Hauptursache für die ansteigende Inflation, die zwar mit 3.4 Prozent unter dem europäischen Mittel liege, aber auch in der Schweiz auf die Kaufkraft drücke. Über die schwierige Lage der Bundesfinanzen, denen ab 2024 strukturelle Defizite in Milliardenhöhe drohten, berichtete Finanzminister Ueli Maurer. Auch in der sich momentan beruhigenden Situation in der Covid-19-Pandemie gehe es weiterhin darum, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, gab Gesundheitsminister Alain Berset zu bedenken. Schliesslich informierte Aussenminister Ignazio Cassis auch über die Sondierungsgespräche mit der EU: Es bestünden weiterhin erhebliche Differenzen.
Die vierte Gesprächsrunde der Von-Wattenwyl-Gespräche fand am 11. November statt. Die Bundesratsparteispitzen liessen sich dabei über die Reise von Bundespräsident Ignazio Cassis in die Ukraine und die Weiterführung des Schutzstatus S informieren. Erneut wurde auch über die Massnahmen zur Verhinderung einer Strommangellage diskutiert, darunter etwa das Reservekraftwerk in Birr oder der Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmungen, aber auch über den Verzicht, Unternehmen oder Private aufgrund der hohen Energiepreise oder der Inflation zu unterstützen. Auch die laufenden Sondierungsgespräche mit der EU, die «besorgniserregende Haushaltsentwicklung» und die nach wie vor angespannte gesundheitspolitische Lage waren wie schon im Herbst Gegenstand der Diskussionen.

Von-Wattenwyl-Gespräche seit 2013

Jahresrückblick 2022: Sozialversicherungen

Im Zentrum des Themenbereiches «Sozialversicherungen» standen im Jahr 2022 – wie in den meisten Jahren zuvor – die Altersvorsorge und die Krankenkassen.

Bei der Altersvorsorge wurde insbesondere über die AHV21 diskutiert, insbesondere vor der Abstimmung im September, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 verdeutlicht. Das Parlament hatte die neuste AHV-Reform im Dezember 2021 fertig beraten und dabei entschieden, das Rentenalter der Frauen auf 65 Jahre zu erhöhen und somit demjenigen der Männer anzupassen. Als Kompensation sollten die am stärksten von der Änderung betroffenen neun Jahrgänge entweder einen Rentenzuschlag erhalten oder bei einem frühzeitigen Rentenbezug geringere Renteneinbussen hinnehmen müssen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte sollte zusätzliche Mehreinnahmen für die AHV generieren. Nachdem die SP vor allem aufgrund der Rentenaltererhöhung der Frauen das Referendum ergriffen hatte – sie störte sich insbesondere am Umstand, dass die Renten der Frauen noch immer um einen Drittel tiefer liegen als diejenigen der Männer –, sprachen sich die Stimmberechtigten im September 2022 mit Ja-Anteilen von 50.6 Prozent und 55.1 Prozent für die Änderung des AHV-Gesetzes und für die Mehrwertsteuererhöhung zugunsten der AHV aus. Laut Nachbefragungen hatten sich Frauen mehrheitlich gegen die Erhöhung ihres Rentenalters ausgesprochen, waren aber von einer Mehrheit der Männer überstimmt worden.

Weil Frauen vor allem in der zweiten Säule deutlich tiefere Renten erhalten als Männer, wurde die Diskussion um die Angleichung des Rentenalters auch mit der Besserstellung der Frauen in der beruflichen Vorsorge verknüpft. Deren Revision war 2021 erstmals vom Nationalrat beraten worden. Im Zentrum stand dabei eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes. Für Frauen besonders zentral war die vom Bundesrat geplante Senkung des Koordinationsabzugs sowie die von der SGK-NR ergänzte Senkung der Eintrittsschwelle, welche den versicherten Lohn von Teilzeiterwerbstätigen erhöhen sollen. Statt die BVG21-Revision in der Frühjahrssession 2022 merklich voranzutreiben, schickte der Ständerat das Geschäft für vertiefte Abklärungen zurück an die Kommission. Damit verärgerte er jene Kreise, die ihre Unterstützung der AHV21 von einer Verbesserung der Situation von Teilzeiterwerbstätigen in der beruflichen Vorsorge abhängig machten. Für neuerliche Enttäuschung sorgte in diesen Kreisen dann die Meldung der Kommission, die Vorlage nicht in der Herbstsession, also noch vor der Abstimmung über die AHV21, zur Beratung bereit zu haben. Der Ständerat setzte sich also erst nach erfolgter Annahme der AHV21-Reform in der Wintersession mit der BVG-Reform auseinander und entschied sich dabei unter anderem für einen Mittelweg zwischen Bundesrat und Nationalrat bei der Eintrittsschwelle und für einen prozentualen Abzug beim Koordinationsabzug anstelle der vom Nationalrat geplanten Halbierung des bisherigen Abzugs.

Neben dem Gleichstellungsargument betonten die Gegnerinnen und Gegner der AHV21 im Abstimmungskampf auch ihre Befürchtung, dass die Rentenaltererhöhung der Frauen nur ein erster Schritt für weitere Erhöhungen des Pensionsalters sei. Dabei verwiesen sie unter anderem auf die Initiative der Jungfreisinnigen «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)», welche eine automatische Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung fordert. Diese empfahl der Bundesrat im Juni zur Ablehnung. Zudem beklagten die Gegnerinnen und Gegner der AHV21 die steigenden Lebenshaltungskosten – auch im Rahmen der Teuerung – und forderten einen Leistungsausbau bei der AHV. Dies bezweckt etwa die vom Gewerkschaftsbund eingereichte Initiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)». Der Bundesrat empfahl jedoch auch dieses Anliegen zur Ablehnung und der Nationalrat teilte diesen Antrag in der Wintersession. Stattdessen behandelte das Parlament die Teuerung in einer ausserordentliche Session, wobei eine Motion für einen vollständigen Teuerungsausgleich bei der AHV vom National- und Ständerat angenommen wurde.

Bei den Krankenversicherungen standen – nach einer dreijährigen Erholungspause, in der die Krankenkassenprämien jeweils weniger als 0.6 Prozent pro Jahr angestiegen waren – 2022 die Gesundheitskosten und Prämien im Mittelpunkt des Interesses. Bereits Mitte Jahr wurde aufgrund der steigenden Gesundheitskosten darüber spekuliert, dass die Krankenkassenprämien auf das Jahr 2023 hin wohl einen grossen Sprung machen würden – und tatsächlich musste Gesundheitsminister Berset Ende September eine Erhöhung der mittleren Prämie um 6.6 Prozent bekannt geben. Dies führte in den Medien einmal mehr zur Forderung an die Politik, den Anstieg der Gesundheitskosten endlich in den Griff zu bekommen, was gemäss APS-Zeitungsanalyse insbesondere im September ausführlich diskutiert wurde.
Bundesrat und Parlament beschäftigen sich in der Tat auch 2022 mit verschiedenen Projekten zur Dämpfung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen, etwa im Rahmen des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Im Jahr zuvor hatte das Parlament bereits das Teilpaket 1a gutgeheissen und unter anderem entschieden, auch ambulante Behandlungen zukünftig durch Patientenpauschalen abzurechnen und dafür eine neue Tarifstruktur zu schaffen. Die Frage der Tarifstrukturen im ambulanten Bereich beschäftigte die Tarifpartner denn auch während des ganzen Jahres.
Im Teilpaket 1b, welches das Parlament im Jahr 2022 verabschiedete, wurde unter anderem ein Beschwerderecht der Krankenversicherungen gegen Spitalplanungsentscheide der Kantone sowie ein «Monitoring der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» geschaffen. Ein ausführlicheres Kostenmonitoring mit verpflichtenden Massnahmen bei zu starkem Kostenanstieg schlug der Bundesrat zudem als indirekten Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei vor. Eine solche Massnahme war zuvor im zweiten Massnahmenpaket zur Kostendämpfung vorgesehen gewesen.
Auch zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP, die gleichzeitig zur Debatte stand, schuf der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag, mit dem er zukünftig einen Mindestbeitrag an Prämienverbilligungen für die Kantone festsetzen wollte. Der Nationalrat hiess diesen Vorschlag in der Sommersession gut, der Ständerat trat in der Wintersession jedoch nicht auf den Gegenvorschlag ein.
Einen anderen Ansatz zur Kostendämpfung verfolgte das Parlament schon seit mehreren Jahren: Seit 2011 wird an einer einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) gearbeitet. Im Jahr 2022 nahm sich der Ständerat dieses Themas an und schuf zahlreiche gewichtige Differenzen zum Erstrat: So entschied er unter anderem, bereits jetzt die Integration der Pflegeleistungen in EFAS zu regeln und mehr Steuerungsmöglichkeiten und Pflichten für die Kantone zu schaffen.
Eine Möglichkeit, die Prämien zu senken, sahen verschiedene Kantone der Romandie sowie das Tessin in den hohen Reserven der Krankenversicherungen. Ihre Standesinitiativen sowie weitere Vorstösse für eine verbindlichere Rückzahlung der zu hohen Reserven scheiterten 2022 jedoch allesamt im Parlament. Vielmehr wurden die im Vorjahr erfolgten Rückzahlungen der Reserven in verschiedenen Kommentaren als Mitgrund für den hohen aktuellen Prämienanstieg erachtet: Einerseits hätten die Rückzahlungen den Anstieg der Gesundheitskosten überdeckt, andererseits seien deshalb für das neue Jahr weniger Reserven zur Prämienreduktion vorhanden gewesen.

Nicht in erster Linie eine Senkung der Gesundheitskosten, sondern weniger Ärger für die Versicherten erhofften sich Bundesrat und Parlament durch das Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit. Damit soll der Bundesrat Branchenlösungen der Krankenversicherungen im Bereich der Vermittlertätigkeit allgemeinverbindlich erklären können, wodurch Werbeanrufe für Krankenversicherungen bei Personen, die nicht bereits bei der entsprechenden Krankenkasse versichert sind, verboten würden. Strittig war hier zwischen den Räten insbesondere, ob die Branchenlösungen zu Entschädigungen und Ausbildung neben den externen auch für interne Mitarbeitende gelten sollen. Nach der Durchführung einer Einigungskonferenz lenkte der Nationalrat diesbezüglich ein und das Parlament verzichtete auf die Schaffung einer entsprechenden Unterscheidung.

Jahresrückblick 2022: Sozialversicherungen
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

In der Wintersession setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der vom Gewerkschaftsbund lancierten Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» auseinander. An der ausführlichen allgemeinen Aussprache mit 114 Wortmeldungen beteiligten sich zahlreiche Personen aus allen Fraktionen. Zu Beginn präsentierten Céline Amaudruz (svp, GE) und Andri Silberschmidt (fdp, ZH) die Initiative und legten die Position der Kommissionsmehrheit dar. Sie betonten, dass die AHV ihr in der Verfassung definiertes Ziel für die Mehrheit aller Rentnerinnen und Rentner gut erfülle und dass für diejenigen 12.5 Prozent, für welche die AHV eben nicht ausreiche, die Ergänzungsleistungen geschaffen worden seien. Insgesamt sei das Drei-Säulen-System der Altersvorsorge sehr leistungsstark, betonte etwa Silberschmidt. Die Initiative wolle nun aber nicht nur die Situation der bedürftigen Personen – die es durchaus gebe – verbessern, sondern allen per «Giesskannenprinzip» eine Rentenerhöhung von 8.3 Prozent gewähren. Im Jahr 2032 zum Beispiel würde dies zu Mehrausgaben von fast CHF 5 Mrd. führen, ergänzte Amaudruz. Die für eine Finanzierung nötige Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1.1 Prozentpunkte oder der Lohnabzüge um 0.8 Prozentpunkte lehne die Kommissionsmehrheit ebenfalls ab. Schliesslich benachteilige die Initiative Personen mit einer IV- oder Hinterlassenenrente, zumal gemäss Initiativtext nur die Beziehenden einer AHV-Altersrente eine dreizehnte Rente erhalten sollten.
Diese Meinung teilten in der Folge zahlreiche Sprechende der SVP-, der FDP- und der Mitte-Fraktion. Sie lehnten zudem einen Gegenvorschlag, den Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion in der Debatte mehrfach forderten, ab. Stattdessen verwiesen sie unter anderem auf eigene Projekte zur Reform der AHV, etwa auf die Renteninitiative der Jungfreisinnigen oder auf Bemühungen der Mitte-Fraktion «[pour abolir] les désavantages d'être marié» (Benjamin Roduit; mitte, VS), also zur Abschaffung der Benachteiligung der Verheirateten (bei den Steuern und den Renten). Etwas wohlgesinnter zeigten sich die Grünliberalen gegenüber der Initiative. Man lehne zwar eine Rentenerhöhung für die reichsten Haushalte ab, würde eine solche aber für die «ärmsten und ärmeren 30 bis 40 Prozent [der] Rentenhaushalte» befürworten (Melanie Mettler; glp, BE). Ihren Vorschlag für eine entsprechende Kommissionsinitiative habe die bürgerliche Mehrheit in der Kommission jedoch abgelehnt.

Somit erhielt die Volksinitiative nur aus Kreisen der SP und der Grünen Unterstützung. SGB-Präsident Maillard (sp, VD) begründete seinen Minderheitsantrag auf eine Empfehlung zur Annahme der Initiative: Er lobte die Solidarität, die man vor 75 Jahren mit der Schaffung der AHV gestärkt habe. Heute könne aber das Versprechen von damals aufgrund steigender Kosten und sinkender BVG-Renten – bei gleichem Kapital seien die Pensionskassenrenten heute 20 Prozent weniger wert als vor 15 Jahren – nicht mehr eingehalten werden. Folglich seien Massnahmen nötig; wenn nicht durch eine 13. AHV-Rente, dann solle das Parlament in einem Gegenvorschlag alternative Massnahmen vorschlagen, forderte er. Zahlreiche Sprechende der SP- und der Grünen-Fraktion ergänzten die Argumentation Maillards. So sei die Initiative gerade für Frauen, die im Schnitt eine um ein Drittel tiefere Altersrente hätten als Männer, zentral; zudem sei das «Umlageverfahren [...] am effektivsten, billigsten und fairsten» (Prelicz-Huber; gp, ZH), wurde argumentiert. Nicht gespart wurde von links-grüner Seite denn auch an Kritik an der beruflichen Vorsorge sowie an der neuen BVG-21-Reform, welche CHF 3 Mrd. koste und durch welche die Versicherten höhere Beiträge für tiefere Renten bezahlen müssten als bisher. Folglich seien die zusätzlichen Ausgaben für die AHV im Rahmen dieser Initiative sinnvoller, dadurch erhielten die Rentnerinnen und Rentner auch tatsächlich höhere Renten. Zur Finanzierung könne man daher zum Beispiel auch die «0.8 Prozent [an Lohnprozenten], die es für die Initiative braucht, vom BVG in die AHV hinüberschieben», schlug etwa Jacqueline Badran (sp, ZH) vor.

Abschliessend empfahl Gesundheitsminister Berset die Initiative im Namen des Bundesrates zur Ablehnung. Zwar müsse man eine Lösung für die gesunkenen BVG-Renten finden, dies solle aber nicht mit der vorgeschlagenen Initiative geschehen, da der dafür nötige finanzielle Spielraum in der AHV fehle. Mit 123 zu 67 Stimmen sprach sich der Nationalrat in der Folge für den Mehrheitsantrag aus und empfahl die Initiative den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zur Ablehnung. Entsprechend der Wortmeldungen stimmten die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion geschlossen für den Minderheitsantrag, die übrigen Fraktionen geschlossen für den Mehrheitsantrag.

Eidgenössische Volksinitiative «für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» (BRG 22.043)
Dossier: Initiatives populaires concernant la prévoyance vieillesse (depuis 2015)

Nach der Rückweisung an die Kommission war die Reform «BVG 21» des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge in der Wintersession 2022 erneut für den Ständerat traktandiert. In drei Sitzungen habe sich die SGK-SR entsprechend dem Rückweisungsantrag nochmals über die verschiedenen Kompensationsmodelle für die Übergangsgeneration – gemäss zahlreichen Sprechenden das «Herzstück der Vorlage» – gebeugt. Allgemein geht es beim Zuschlag darum, dass die Reduktion der Neurenten um 12 Prozent, die durch die Senkung des Umwandlungssatzes entsteht, für die ersten Jahrgänge, die das Rentenalter erreichen, abgefedert werden. Dazu, wie diese Personen unterstützt werden sollen, lagen nun drei verschiedene Konzepte (und vier spezifische Vorschläge) vor, deren Unterschied gemäss Kommissionssprecher Erich Ettlin (mitte, OW) vor allem in der Finanzierung – über Lohnprozente oder über Beiträge der versicherten Personen – und in der Frage bestand, ob die Rentenbeziehenden einen monatlichen Zuschuss zu ihrer Rente oder eine einmalige Einlage in ihr Vorsorgekapitel erhalten. Die Kommissionsmehrheit entschied sich für eine leicht angepasste Version des ehemaligen Einzelantrags Dittli (fdp, UR), die im Vergleich zur Version der Kommissionsmehrheit vor der Sommersession deutlich weniger Begünstigte und deutlich tiefere Kosten aufwies. Gleichzeitig lagen drei Minderheitsanträge vor.

Der Entwurf des Bundesrates, der auf dem Kompromiss der Sozialpartner beruhte, wurde im Ständerat von einer Minderheit III Rechsteiner (sp, SG) vertreten. Demnach sollen alle Versicherten der Übergangsgeneration (15 Jahrgänge) anfänglich einen Rentenzuschlag zwischen CHF 100 und CHF 200 monatlich erhalten, wobei dieser Zuschlag von ihrem Alter – nicht aber von ihrem Einkommen – abhängt. Allenfalls soll der Zuschlag auch für weitere Generationen weitergeführt werden können. Finanziert werden soll er durch einen neuen Abzug vom AHV-pflichtigen Lohn in der Höhe von 0.5 Prozent. Kritisiert wurde das Modell vor allem dafür, dass Beiträge im Umlageverfahren systemfremd seien, dass es zu teuer sei und dass auch Personen mit einem hohen Vorsorgekapital einen Zuschlag erhielten. Minderheitensprecher Rechsteiner bewarb das Modell unter anderem damit, dass AHV und Pensionskassen bereits heute ihr in der Bundesverfassung festgehaltenes Ziel, «die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen könnten und darum eine Kompensation für alle Versicherten der Übergangsgeneration nötig sei. Zudem stellte Rechsteiner einen Eventualantrag: Bei einem Entscheid für ein anderes Modell sollte der Ständerat auf die Senkung des Umwandlungssatzes verzichten.

Das Modell des Nationalrats beruhte auf der Idee, dass eigentlich nur die obligatorisch Versicherten (ungefähr 14 Prozent aller Versicherten) von einer Senkung des Umwandlungssatzes betroffen seien – bei den überobligatorisch Versicherten gebe es ja bereits jetzt eine Mischrechnung zwischen obligatorischem und überobligatorischem Vorsorgevermögen, wie Alex Kuprecht (svp, SZ), dessen Minderheit die nationalrätliche Version mehrheitlich aufnahm, argumentierte. Demnach sollen diejenigen Personen, deren zukünftige Rente tiefer liegt als gemäss aktuellem Gesetz, diese Differenz in Form einer einmaligen Kapitaleinlage beim Erreichen des Rentenalters erhalten. Konkret erhielten dadurch 35 bis 40 Prozent der Versicherten eine Ausgleichszahlung. Finanziert werden sollte diese über die Vorsorgeeinrichtungen durch Verlustreserven und durch zusätzliche Beiträge der BVG-Versicherten sowie ihrer Arbeitgebenden. Minderheitensprecher Damian Müller (fdp, LU) widersprach der Darstellung Kuprechts, wonach nur rein obligatorisch versicherte Personen von der Änderung des Umwandlungssatzes betroffen wären: Bei denjenigen, die über eine überobligatorische Versicherung verfügen, werde zukünftig ein immer grösserer Teil des Überobligatoriums zur Deckung der Kosten des Obligatoriums eingesetzt, bis der Umwandlungssatz auf Ersterem bei 0 Prozent liege. Verschiedene Sprechende kritisierten das Modell ebenfalls dafür, dass es zu geringe Kompensationen an zu wenige Personen beinhalte.

Ein neues Modell, beruhend auf dem ehemaligen Minderheitsantrag Dittli, verfolgten die Kommissionsmehrheit sowie die Minderheit II Müller Damian. Beide wollten den Kreis der Personen, die von einem Zuschlag profitieren, gegenüber dem nationalrätlichen Vorschlag vergrössern und gegenüber demjenigen des Bundesrates verkleinern. Die beiden Vorschläge setzten dazu auf das Vorsorgekapital der Versicherten bei Renteneintritt: Solange dieses unter einem Schwellenwert liegt (Kommissionsmehrheit: zweieinhalbfacher Grenzbetrag = CHF 215'000; Minderheit Müller: vierfacher Grenzbetrag = CHF 344'160), erhält die Person den vollen, nach dem Alter abgestuften Zuschlag, bis zu einem zweiten Schwellenwert (Kommissionsmehrheit: fünffacher Grenzbetrag = CHF 430'000; Minderheit Müller: sechsfacher Grenzbetrag=CHF 516'000) einen degressiv abnehmenden Zuschlag. Damit sollten Schwelleneffekte vermieden werden. Dadurch erhielten 25 Prozent (Bundesrat) respektive 40 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen vollen und 25 Prozent (Bundesrat) respektive 20 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen abgestuften Zuschlag. Die Minderheit II verlangte überdies einen Zuschlag für 20 Jahrgänge (Bundesrat: 15 Jahrgänge) sowie einen Mindestbezugsanteil für die Rente von 75 Prozent, während die übrigen Modelle einen Rentenbezug von mindestens 50 Prozent verlangten. Finanziert werden sollten die Zuschläge durch einen Abzug auf dem erweitert koordinierten Lohn von anfänglich 0.24 Prozent (Bundesrat) respektive 0.3 Prozent (Minderheit II). Minderheitssprecher Rechsteiner kritisierte insbesondere den Mehrheitsvorschlag dafür, dass dadurch noch immer zu wenige Versicherte von einem Zuschlag profitieren könnten und erachtete stattdessen den Minderheitsantrag II als «am wenigsten schlecht».

Zusammenfassend unterschieden sich die vier Modelle insbesondere im Anteil der betroffenen Versicherten sowie in den Kosten: Beim Bundesratsmodell und der Minderheit III Rechsteiner sollten 100 Prozent der Versicherten eine Kompensation bei Kosten von insgesamt CHF 29.7 Mrd. erhalten (kumuliert bis ins Jahr 2045), bei der Minderheit II Müller 60 Prozent der Versicherten für CHF 16.8 bis 17.1 Mrd., bei der Kommissionsmehrheit 50 Prozent der Versicherten für CHF 11.7 Mrd. und bei der Minderheit I Kuprecht 35 bis 40 Prozent der Versicherten für CHF 9.7 Mrd. Die Version, welche die Mehrheit der SGK-SR noch vor der Sommersession 2022 empfohlen hatte, wäre 88 Prozent der Versicherten (70% voller Zuschlag, 18% reduzierter Zuschlag) zugutegekommen und hätte CHF 25.2 Mrd. gekostet. In der Folge setzte sich der Mehrheitsantrag gegen alle drei Minderheiten durch (Minderheit I: 34 zu 9 Stimmen; Minderheit II: 24 zu 19 Stimmen; Minderheit III: 28 zu 15 Stimmen). Mit 30 zu 12 Stimmen lehnte der Ständerat gleich darauf auch den Eventualantrag der Minderheit Rechsteiner auf einen Verzicht auf die Senkung des Umwandlungssatzes ab. Bereits in allen vier Vorschlägen enthalten war ein vom Bundesrat geschaffener, aber vom Nationalrat abgelehnter Anspruch auf einen Rentenzuschlag für Personen, welche eine Invalidenrente einer Vorsorgeeinrichtung beziehen.

Obwohl das Modell der Kurzfristkompensation im Ständerat sehr umstritten war und gemäss den Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei einem möglichen Urnengang stark über Annahme oder Ablehnung der Vorlage mitentscheiden könnte, waren gerade auch die Bestimmungen zur Langfristkompensation, mit denen die Senkung des Umwandlungssatzes für diejenigen Personen abgemildert werden soll, die noch länger zu arbeiten haben, sehr zentral. Auch hier nahm der Ständerat zahlreiche Änderungen am nationalrätlichen Entwurf vor.
So schlug die Kommission zum Beispiel bei der Eintrittsschwelle einen Zwischenweg zwischen den Versionen des Bundesrates (CHF 21'510, wie bisher) und des Nationalrates (CHF 12'548) vor, wie es Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) formulierte. Die Eintrittsschwelle sollte demnach bei CHF 17'208 zu liegen kommen, zumal Personen mit sehr kleinen Einkommen nicht immer froh seien, wenn sie darauf noch BVG-Beiträge zahlen müssten. Stillschweigend folgte der Ständerat hier seiner Kommission und entschied in der Folge auch, dass junge Leute erst ab 25 Jahren – und nicht wie vom Nationalrat vorgeschlagen bereits ab 20 Jahren – Beiträge für die berufliche Vorsorge bezahlen müssen. Umstrittener waren hingegen die Änderungen beim Koordinationsabzug. Hier schlug die Kommissionsmehrheit einen Systemwechsel von einem fixen zu einem prozentualen Wert vor: Statt wie bisher CHF 25'095 oder wie vom Nationalrat vorgeschlagen CHF 12'443 sollte der Koordinationsabzug neu 15 Prozent eines Jahreslohns bis CHF 85'320 betragen. Dadurch könne man die Problematik lösen, dass Versicherte mit mehreren Stellen den Koordinationsabzug mehrmals bezahlen müssten und gleichzeitig die Geringverdienenden besserstellen, warb Kommissionssprecher Ettlin für diesen Vorschlag. Eine Minderheit Müller wollte hingegen dem Nationalrat folgen und den heutigen Abzug halbieren. Dies sei administrativ einfacher und günstiger, während Geringverdienende trotzdem gegenüber heute bessergestellt würden. Zudem bleibe die Rente bei einem Einkommen unter jährlich CHF 50'000 auch mit dem Vorschlag der Mehrheit unter der EL-Grenze, während die Versicherten und ihre Arbeitgebenden gleichzeitig deutlich höhere Lohnabzüge für die BVG-Beiträge bezahlen müssten. In der Folge lieferten sich Ruedi Noser (fdp, ZH) und Maya Graf (gp, BL) ein Streitgespräch zur Frage, ob es beim Mehrheitsantrag ein Problem sei, dass der AHV-Lohn der Mitarbeitenden erst im Februar oder März des nächsten Jahres feststeht und somit während des Jahres unklar ist, ob eine Person tatsächlich entsprechende Beiträge leisten muss und wie hoch diese ausfallen werden. Gesundheitsminister Berset verwies auf die stärkere Betroffenheit der Frauen, bei denen ein Drittel der Arbeitnehmenden Netto-Jahreslöhne unter CHF 36'000 aufwiesen – bei den Männern seien es 10 Prozent. Wie der Minderheitensprecher kritisierte auch er, dass der Vorschlag der Kommissionsmehrheit den koordinierten Lohn und somit die BVG-Beiträge gerade bei Personen mit solch tiefen Einkommen gegenüber heute auf das Sechsfache erhöhen würde. Es sei zwar wichtig, den Koordinationsabzug zu senken, «mais [...] il doit être supportable pour les personnes directement concernées». Mit 34 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit.

Darüber hinaus nahm der Ständerat zahlreiche weitere, unbestrittene Änderungen vor. Unter anderem pflichtete er dem Bundesrat sowie dem Nationalrat bei und schuf anstelle der bisherigen vier Stufen der Altersgutschriften neu zwei Stufen in der Höhe von 9 und 14 Prozent. Die einzige Differenz zum Nationalrat blieb hier in der Frage, wann junge Erwachsene mit dem Alterssparen beginnen müssen. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den BVG-21-Entwurf mit 25 zu 10 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten grösstenteils von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Die Medien konzentrierten sich drei Monate nach der Annahme der AHV21 an der Urne vor allem auf die Folgen der Revision für die Frauen. Hier waren sie sich jedoch nicht einig, ob die Frauen als häufiger Teilzeiterwerbstätige gegenüber heute genügend bessergestellt oder gar benachteiligt würden. Ganz allgemein zeigten sich die Medien unsicher, ob die Vorlage in dieser Form an der Urne durchzubringen wäre.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Déduction de coordination et seuil d'entrée LPP

In der Wintersession 2022 bereinigte das Parlament die fünfte Änderung des Covid-19-Gesetzes, bei der es darum ging zu entscheiden, welche Massnahmen nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz bis Juni 2024 weitergeführt werden sollen. Eintreten war im Ständerat unbestritten, umstritten war in der Folge nur die Frage, ob und wie lange die Covid-19-Teststrategie aufrechterhalten wird, wer dafür zuständig sein wird und wer diese bezahlen soll. Nach Testkosten von CHF 2.1 Mrd. im Jahr 2021 und laufenden CHF 1.6 Mrd. im Jahr 2022 würden für das kommende Jahr Testkosten in der Höhe von CHF 430 Mio. und für 2024 Kosten im Umfang von CHF 210 Mio. erwartet, erläuterte Kommissionssprecher Dittli (fdp, UR). Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, dass die Kantone von Januar bis März 2023 für die vom Bund abgerechneten Testkosten aufkommen und ab April 2023 neben den Kosten auch für die Durchführung und Detailregelungen der Tests zuständig sein sollen. Der Nationalrat wollte jedoch als Erstrat die Verantwortung für Durchführung und Kosten der Tests bis Juni 2024 beim Bund belassen. Eine Minderheit II Stöckli (sp, BE) vertrat die nationalrätliche Position im Ständerat und argumentierte, dass man das bewährte Testregime so lange fortsetzen solle, wie es nötig sei. Eine Übertragung an die Kantone sei nicht sinnvoll, da man ansonsten 26 verschiedene Testregimes haben werde. Die Kommissionsmehrheit pflichtete zwar dem Nationalrat bei, Organisation und Kosten der Tests bis Ende März 2023 beim Bund zu belassen, wollte aber ab April 2023 zum «Normalzustand» (Dittli) zurückkehren, also vollständig auf eine staatliche Finanzierung der Tests verzichten. In der Folge müssten erneut die Krankenkassen und die Privatpersonen für die Kosten aufkommen. Das Testregime sei aufwändig und kostenintensiv und bringe nach dem Ende der Grippesaison nur noch wenig, argumentierte der Kommissionssprecher. Als Kompromiss zwischen den beiden Positionen bezeichnete Maya Graf ihre Minderheit I, welche die Verantwortung wie der Bundesrat ab April 2023 den Kantonen übertragen, im Gegensatz zur Regierung jedoch die Kosten bis Ende März 2023 noch dem Bund belasten wollte. Einen etwas anderen Ansatz verfolgte eine Minderheit III Hegglin (mitte, ZG), welche die Testkosten nur bei einer besonderen Lage gemäss Epidemiengesetz vom Bund abgelten lassen wollte – mit dieser Regelung würden die Tests somit Ende 2022 auslaufen. Seit der Rückkehr in die normale Lage habe man keine Massnahmen gegen die Pandemie mehr ergriffen, entsprechend sei es auch nicht mehr zentral, eine «Übersicht über die epidemiologische Entwicklung» zu haben – die man überdies durch Abwasserproben günstiger haben könne, begründete der Minderheitensprecher seinen Antrag. Gesundheitsminister Alain Berset fürchtete vor allem die Verbindung der Tests mit der Lage gemäss Epidemiengesetz, zumal dies den Druck – auch der Kantone – zur Rückkehr in die besondere Lage verstärken könne. Er beantragte dem Rat folglich, beim bundesrätlichen Vorschlag zu bleiben. In der Ausmehrung setzte sich jedoch der Antrag der Minderheit III Hegglin durch. Der Ständerat entschied sich somit für die Verknüpfung der Testkostenübernahme mit der Lage gemäss Epidemiengesetz und schuf eine erste Differenz zum Nationalrat.

Stillschweigend folgte der Ständerat seiner Kommission bei der Frage der Vorhalteleistungen: Der Nationalrat hatte vorgeschlagen, dass die Kantone Finanzierungsvereinbarungen für ausserkantonale Covid-19-Patientinnen und -Patienten abschliessen sollten. Die Kantone hatten sich aufgrund des grossen administrativen Aufwands dagegen gewehrt, zudem kritisierte die SGK-SR, dass ein solches Vorgehen gegen die Regeln der Spitalfinanzierung verstosse. Der Ständerat lehnte die Regelung folglich ab und schuf eine zweite Differenz zum Nationalrat. Hingegen stimmte er – wie vom Nationalrat vorgeschlagen – für die Aufrechterhaltung der Regelung, wonach Nationalrätinnen und Nationalräte bei Covid-19-Quarantäne oder -Isolation – sollten diese wieder nötig werden – in Abwesenheit abstimmen können. Einstimmig nahm der Ständerat den Entwurf in der Folge an (mit 43 zu 0 Stimmen).

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Loi COVID-19 et révisions

In der Herbstsession 2022 setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes auseinander. Dabei wurden zwar auch einzelne neue Bestimmungen diskutiert, hauptsächlich stand aber die Gültigkeitsdauer des Covid-19-Gesetzes insgesamt sowie einzelner Regelungen im Mittelpunkt des Interesses.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) wehrte sich gegen Eintreten. Der Minderheitensprecher kritisierte ausführlich die bisherigen Corona-Massnahmen, insbesondere die Zertifikatspflicht, und beschuldigte Bundesrat und Parlament unter anderem, «Tausende Existenzen vernichtet» zu haben. Neben dieser «Drangsalierung der Bevölkerung und der Wirtschaft» kritisierte er etwa auch den Einfluss, den die WHO auf die Gesetzgebung des Bundes nehme. Da man inzwischen «nicht einmal mehr ganz so sicher [sei], ob es sich im Sinne der WHO wirklich um eine echte Pandemie gehandelt» habe, solle der Nationalrat nicht auf die Gesetzesänderung eintreten. Dieser Antrag fand jedoch nur bei einer Mehrheit der SVP-Fraktion Zustimmung und wurde mit 130 zu 43 (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Die Sprechenden der übrigen Fraktionen wiesen darauf hin, dass man nicht wisse, wie sich die Covid-19-Pandemie in Zukunft entwickeln werde, und man daher mit einer Verlängerung des Gesetzes sicherstellen wolle, dass man auch in den nächsten zwei Wintern noch über die nötigen Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie verfüge. Bundesrat Berset verwies darauf, dass man sich zur Zeit in einer Übergangsphase befinde, die Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit erfordere – wofür verschiedene Regelungen des Covid-19-Gesetzes wichtig seien. Dabei schlug die Regierung vor, nur einen Teil der bisherigen Massnahmen zu verlängern, nicht aber die meisten Unterstützungsmassnahmen. Abschliessend liess es sich der Gesundheitsminister ob der Vorwürfe des Minderheitensprechers nicht nehmen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine dieser Regelungen etwas mit der WHO zu tun hätten.

Bei der Detailberatung standen nicht nur die Fragen zur Verlängerung von Massnahmen an, der Bundesrat beabsichtigte auch, die Kantone stärker in die Verantwortung zu nehmen. So sollten diese zukünftig ab 2023 für die Organisation der Covid-19-Tests verantwortlich sein: Sie sollten das Angebot gewährleisten und die Kosten übernehmen. Nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz könne der Bund die entsprechenden Kosten nicht mehr ewig übernehmen, stattdessen müssten die Kantone ihre Verantwortung wieder wahrnehmen, forderte der Gesundheitsminister und mit ihm eine Minderheit Aeschi (svp, ZG). Die Kommissionsmehrheit wollte die Organisation der Tests jedoch weiterhin beim Bund belassen, um einen «Flickenteppich von verschiedenen Massnahmen» zu verhindern, wie es Kommissionssprecher Hess (mitte, BE) formulierte. Mit 136 zu 55 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, die SVP-Fraktion und eine Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion stimmten dem Bundesrat zu.
Stattdessen schlug die Kommissionsmehrheit eine andere Neuregelung hinsichtlich kantonaler Belange vor. So habe man im Dezember 2021 bereits die Finanzierung der Vorhalteleistungen durch die Kantone – also die Bereitstellung der Spitalkapazitäten – geregelt, nun müsse der Bund auch bezüglich der Finanzierung der Vorhalteleistungen bei ausserkantonalen Patientinnen und Patienten Regeln schaffen. Eine Minderheit Hess, vertreten durch Ruth Humbel (mitte, AG), befürchtete jedoch, dass solche Bundesregelungen Forderungen nach Abgeltung durch den Bund nach sich ziehen würden, und empfahl diese zur Ablehnung. Mit 112 zu 78 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, einzig die SVP- und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion sprachen sich für den Minderheitsantrag aus.

Abändern wollte der Bundesrat auch die Massnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmender. Hier wollte die Regierung die Pflicht zur Lohnfortzahlung, falls behördliche Massnahmen keine Weiterarbeit erlaubten, durch eine Pflicht, den Betroffenen Homeoffice oder gleichwertige Ersatzarbeit anzubieten, ersetzen. Eine Minderheit Flavia Wasserfallen (sp, BE) beantragte die Beibehaltung der bisherigen Formulierung. «Wenn der Bund Massnahmen anordnet, muss auch Erwerbsersatz an die Arbeitgebenden ausbezahlt werden», betonte die Minderheitensprecherin. Mit 109 zu 81 Stimmen folgte der Nationalrat der Regierung, die Minderheitsposition unterstützten die Fraktionen der SP, GLP und Grünen.
Zudem wollte der Bundesrat die Regelungen zum Proximity Tracing im Epidemiengesetz durch Regelungen zu einem sogenannten Presence-Tracing ergänzen. Damit sollten Teilnehmende von Veranstaltungen freiwillig «ihre Anwesenheit ohne Angabe von Personendaten» erfassen können. Eine Minderheit Glarner wollte die Regelungen zum Proximity und Presence Tracing streichen, da Ersteres «ein Riesenflop» gewesen sei. Besonders energisch kritisierte der Minderheitensprecher überdies eine bereits bestehende Regelung, wonach der Bundesrat völkerrechtliche Vereinbarungen unter anderem zur «Harmonisierung der Massnahmen zur Erkennung, Überwachung, Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten» eingehen könne. Dadurch würde die Schweiz «gezwungen sein, Massnahmen des Auslands zu übernehmen». Mit 141 zu 50 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für den Minderheitenantrag aus.

In der Folge diskutierte der Nationalrat über die Verlängerungen des Gesetzes und einzelner Massnahmen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Geltungsdauer des Gesetzes vom 31. Dezember 2022 auf den 30. Juni 2024 zu verlängern, um die Instrumente gegen die Pandemie für die nächsten zwei Winter zu sichern. Diesbezüglich lagen zwei Minderheitsanträge vor, wobei eine Minderheit I Glarner das Gesetz bis Ende März 2023, eine Minderheit II Dobler (fdp, SG) bis Ende Juni 2023 in Kraft belassen wollte. Eine allfällige Ausbreitung der Krankheit sei spätestens im Frühling vorbei, weshalb das Gesetz maximal bis Ende März 2023 verlängert werden solle – wenn überhaupt –, forderte Andreas Glarner. Auch Marcel Dobler wollte das Gesetz «nur so lange wie nötig verlängern und nicht auf Vorrat», bei einem Ende im März 2023 müsste über eine allfällige Verlängerung aber genau während der Grippesaison beraten werden, gab er zu Bedenken. Kommissionssprecher Lorenz Hess warnte vor weiteren «Hauruckübungen» bei einem frühzeitigen Auslaufen des Gesetzes. Mit einer Verlängerung bis 2024 sei man «für den Fall eines Falles bereit». Die Mehrheit setzte sich gegen die Minderheit Glarner durch (mit 109 zu 75 Stimmen bei 3 Enthaltungen), die zuvor der Minderheit Dobler vorgezogen worden war. Der Minderheitsposition von Andreas Glarner folgten Mehrheiten der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion und ein Mitglied der Mitte-Fraktion.

Eine Mehrheit der SPK-NR hatte zudem einen Antrag zur fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes eingereicht. Sie wollte die Regelung zur Stimmabgabe in Abwesenheit bei Quarantäne oder Isolation ebenfalls bis Ende Juni 2024 verlängern, was der Bundesrat nicht vorgesehen hatte. Falls erneut eine Pflicht zur Quarantäne und Isolation ausgerufen würde, sollten die Nationalratsmitglieder in der Lage sein, wenn nötig digital abzustimmen. Eine Minderheit Buffat (svp, VD) der SPK-NR sprach sich jedoch gegen diese Verlängerung aus. Mit 142 zu 49 Stimmen folgte der Nationalrat gegen den Willen der SVP-Fraktion der Kommissionsmehrheit. Darüber hinaus verlängerte der Nationalrat mit 141 zu 48 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) entgegen einer Minderheit Aeschi die Regelung zum Covid-19-Zertifikat, lehnte aber mit 125 zu 66 Stimmen einen Minderheitsantrag von Flavia Wasserfallen ab, wonach zusätzlich auch die Massnahmen bezüglich EO, ALV, KAE sowie Kultur- und Härtefallhilfen bis Ende Juni 2024 gültig bleiben sollten.

Schliesslich entschied sich der Nationalrat mit 140 zu 48 Stimmen, das Gesetz erneut dringlich zu erklären, und sprach sich damit gegen einen Minderheitsantrag Aeschi aus. Nach drei Jahren «im ausserordentlichen Modus» und einen Tag nach einer weiteren Dringlicherklärung eines Gesetzes solle man zu einer «durchdachten Gesetzgebung» zurückkehren, hatte Thomas Aeschi vergeblich argumentiert. Gesundheitsminister Berset plädierte jedoch dafür, die Regelungen ohne Unterbruch ab dem 1. Januar 2023 zu verlängern. Mit 140 zu 47 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Nationalrat den Entwurf der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes in der Gesamtabstimmung an. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für Ablehnung aus.

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Loi COVID-19 et révisions

«Vielfalt» war eines der Mottos des Präsidialjahres von Ignazio Cassis und ebendieses Motto war auch leitend für den vom Bundespräsidenten organisierten Bundesrats-Ausflug 2022, der am 30. Juni ganz im Norden der Schweiz begann und am 1. Juli ganz im Süden endete. Einer Bootsfahrt am Rheinfall folgte eine Begegnung mit der Schaffhauser Bevölkerung und ein Mittagessen mit der Kantonsregierung. Normalerweise führt das «Bundesratsreisli» in den Heimatkanton des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin. Da Schaffhausen allerdings bisher noch nie ein Bundesratsmitglied stellte, wollte Cassis dem Kanton die Referenz erweisen. Das Tessin war dann freilich die nächste Station des Ausflugs, die mit einem Extrazug erreicht wurde. Am Nachmittag des ersten Tages besuchten die Regierungsmitglieder nämlich das nationale Jugendsportzentrum in Tenero und nahmen dort an einem Bogenschiesswettkampf teil. Anschliessend ging die Reise noch weiter in den Süden: In Mendrisio besuchte der Bundesrat am zweiten Tag der Reise die Accademia di architettura, wo der Architekt Mario Botta ein Referat zur Geschichte der Akademie hielt. Auch in Mendrisio traf sich die Landesregierung mit der ansässigen Bevölkerung und dem kantonalen Regierungsrat. Mit einem Mittagessen im kleinen Kreis wurde der Ausflug beschlossen.
Für das Treffen mit der Bevölkerung in Schaffhausen hatte auch der Präsident der Corona-Massnahmen-skeptischen Organisation «Mass-Voll», Nicolas A. Rimoldi, seinen Besuch angemeldet. Tatsächlich kam Rimoldi mit Alain Berset und Ueli Maurer ins Gespräch, was von den Medien festgehalten wurde. Selbst dieses Treffen sei – abgesehen von ein paar Buh-Rufen – «massvoll verlaufen», berichtete der Blick. Solange so lockere Gespräche möglich seien, sei «unser Land noch in Ordnung», fand die Sonntagszeitung; sei die Schweiz tatsächlich eine Diktatur, wie Mass-Voll behaupte, dann sei sie «die angenehmste der Welt».

Bundesratsreise

Mitte 2020 reichte Edith Graf-Litscher (sp, TG) eine Motion mit dem Titel «Salutogenetische Aspekte bei der Prävention, Behandlung und Nachsorge von Epidemien und Pandemien fördern und die Komplementärmedizin einbeziehen» ein. Die Motionärin argumentierte, dass es der Berufung mindestens einer Fachperson der Komplementärmedizin in die Clinical Care Task Force und die Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (Ziffer 1) sowie der Integration komplementärmedizinischer Aspekte in den bestehenden Pandemieplan (Ziffer 2) bedürfe. Zudem verlangte die Motionärin einen spezifischen Forschungsauftrag für gesundheitsfördernde Ansätze in der Komplementärmedizin und das Zurverfügungstellen entsprechender finanzieller Mittel (Ziffer 3). Die vierte Ziffer des Vorstosses bestand in der Forderung, Konzepte der integrativen Medizin in die Umsetzung des NFP «Covid-19» einfliessen zu lassen.
Die Motion kam in der Sommersession 2022 in den Nationalrat. Dort erklärte Gesundheitsminister Alain Berset, dass der Bundesrat die Ablehnung des Vorstosses empfehle. Er begründete diese Haltung etwa damit, dass der Pandemieplan flexibel sei, was es der Vertreterschaft der Komplementärmedizin ermögliche, Ergänzungen vorzuschlagen. Weiter obliege die Auswahl der Projekte des NFP nicht der Landesregierung. Thomas Aeschi (svp, ZG) verlangte eine separate Abstimmung über die verschiedenen Ziffern des Geschäfts. Während die ersten beiden Ziffern mit 111 zu 79 Stimmen respektive mit 102 zu 77 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) angenommen wurden, lehnte die grosse Kammer die Ziffern 3 und 4 mit 122 zu 65 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) respektive mit 122 zu 59 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) ab. Grund für die unterschiedlichen Abstimmungsresultate war, dass sich die SVP bei den ersten beiden Punkten auf die Seite der linken Fraktionen schlug, welche alle Ziffern befürworteten, bei Punkt 3 und 4 jedoch zusammen mit den Fraktionen der GLP, FDP, und derjenigen der Mitte gegen den Vorstoss stimmte.

Salutogenetische Aspekte bei der Prävention, Behandlung und Nachsorge von Epidemien und Pandemien fördern und die Komplementärmedizin einbeziehen (Mo. 20.3664)

Mit 7 zu 5 Stimmen (1 Enthaltung) beantragte die SPK-SR die Motion von Werner Salzmann (svp, BE) mit der Forderung, dass das Parlament bei der Anordnung einer ausserordentlichen Lage gemäss EpG einbezogen werden müsse, abzulehnen. Sie verwies in ihrem Bericht darauf, dass bereits eine Revision des Epidemiengesetzes in Angriff genommen worden sei, in der die Frage nach der Rolle des Parlamentes berücksichtigt werde. Darüber hinaus würden die Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung im Falle von Krisen auch im Rahmen zweier parlamentarischer Initiativen (Pa.Iv. 20.437 & Pa.Iv. 20.438), denen zuvor Folge gegeben worden war, neu geregelt.
In der Ratsdebatte in der Sommersession 2022, die nötig war, weil eine starke Kommissionsminderheit für Annahme der Motion plädierte, wurde gleichzeitig die ähnliche Motion von Jakob Stark (svp, TG, Mo. 21.3033) für einen besseren Einbezug des Parlaments bei der Bekämpfung von Pandemien behandelt. Für die SPK-SR erörterte Andrea Caroni (fdp, AR) ein formelles und ein inhaltliches Argument, die gegen die Motionen sprächen: Es gehe formell bei beiden Motionen nicht um die Revision des EpG, sondern um die Rolle der Bundesversammlung in Krisen – dies sei aber bereits Gegenstand einer laufenden Gesetzesrevision, womit die Vorstösse eigentlich bereits erfüllt seien. Inhaltlich würde die Motion Salzmann die parlamentarische Genehmigung der Ausrufung der ausserordentlichen Lage durch den Bundesrat fordern. Der Nationalrat habe aber Vorstösse und Anträge zu solchen «Genehmigungspflichten» bereits in grosser Zahl im Rahmen der Diskussionen um die Covid-19-Pandemie abgelehnt. Das Parlament könne nicht so rasch handeln wie die Exekutive, wäre deshalb stets zu spät und könne entsprechend kaum präventiv entscheiden. In der auf den parlamentarischen Initiativen beruhenden Revision des Parlamentsrechts werde deshalb auf eine Beschleunigung der Behandlung von Motionen gepocht. «Fazit:», so Caroni, «Die Reformen sind unterwegs», weshalb die Motionen unnötig seien.
Werner Salzmann verteidigte seinen Vorstoss damit, dass sich im Parlament ein Gefühl der Machtlosigkeit eingestellt habe, nachdem der Bundesrat die ausserordentliche Lage gemäss Epidemiengesetz ausgerufen habe. Natürlich müsse der Bundesrat rasch handeln können und er habe laut dem Epidemiengesetz auch das Recht dazu, aber auch eine nachträgliche Genehmigungspflicht hätte letztlich die Legitimität des bundesrätlichen Entscheides erhöht.
Daniel Fässler (mitte, AI) unterstützte die Minderheitenposition von Salzmann. Die Pandemie habe gezeigt, wie weitreichend die Folgen sein könnten, wenn der Bundesrat die ausserordentliche Lage ausrufe. Dies sei vom Epidemiengesetz zwar so gewollt, es sei aber zu klären, ob dies auch weiterhin so sein solle oder ob es nicht besser wäre, auch das Parlament – wenn nötig – mit einer nachträglichen Genehmigung mit in die Verantwortung zu nehmen. Es sei wahrscheinlich, dass die laufenden Revisionen diese Klärung vornehmen würden, die Ablehnung der Motion Salzmann wäre aber ein falsches Zeichen an den Bundesrat. Zudem müsse die Frage des Einbezugs des Parlaments in der Tat auch ganz spezifisch im Epidemiengesetz geregelt werden. Heidi Z'graggen (mitte, UR) urteilte, dass das aktuelle Epidemiengesetz dem Bundesrat «zu viel Machtfülle» verleihe. Diese sei im internationalen Vergleich sogar «einzigartig» gross: Eine Studie zeige, dass die Schweiz gemäss eines «Machtkonzentrationsindex» von 34 Ländern an neunter Stelle liege – hinter acht osteuropäischen Staaten. Freilich habe der bundesrätliche Machtzuwachs auf gesetzlichen Grundlagen beruht und der Bundesrat habe in der Pandemie auch gute Arbeit geleistet, trotzdem brauche gerade ein solcher situativer Machtzuwachs Gegengewichte in der Legislative. Nur wenn das Parlament eingebunden würde, schaffe dies «zuhanden der Bevölkerung und der Kantone die dringend notwendige Öffentlichkeit und Legitimation», was mit der Annahme der Motion Salzmann bekräftigt werden müsse.
Gesundheitsminister Alain Berset erinnerte die kleine Kammer am Schluss der Debatte in einem ziemlich ausführlichen Votum daran, dass es für den Bundesrat nicht einfach oder gar angenehm gewesen sei, die Verantwortung zu übernehmen, als das Parlament zu Beginn der Pandemie seine Arbeit eingestellt habe. Der Bundesrat habe sich aber sogar in dieser Situation bemüht, mit dem Parlament via Kommissionen in Kontakt zu bleiben. Hingegen hätten jene Leute, die den Bundesrat ob der zu grossen Machtfülle kritisiert hätten, keine Verantwortung übernommen, als die ausserordentliche Lage nicht mehr gegolten habe. Er halte zudem im Epidemiengesetz nicht den Artikel 7 zur ausserordentlichen Lage für zentral, auf den die Motion Salzmanns ziele, sondern den Artikel 6 zur besonderen Lage, da diese wesentlich häufiger sei, und bei der die Verantwortung des Parlaments ebenfalls geregelt werden müsse. Schliesslich sei bei der Schaffung des Epidemiengesetzes im Jahr 2012 nicht über die ausserordentliche Lage, sondern über Impfungen diskutiert worden. Die Bedeutung bestimmter Gesetzesbestimmungen zeige sich folglich erst, wenn sie in der Realität angewendet werden müssten. Es brauche aber, darin gehe der Bundesrat mit dem Parlament einig, in Anbetracht der Erfahrungen der letzten Monate Revisionen. Diese seien mit einem neuen Epidemiengesetz auf gutem Weg. Die Motionen seien inhaltlich zwar wichtig und ihre Anliegen müssten einfliessen, dafür brauche es aber eben keinen weiteren Gesetzesauftrag an den Bundesrat.
Dies sah auch die Mehrheit des Ständerats so: Mit 26 zu 18 Stimmen (1 Enthaltung) wurde die Motion Salzmann abgelehnt. Unterstützung erhielt der Vorstoss vor allem aus den Fraktionen der SVP und der Mitte.

Parlament bei der Anordnung einer ausserordentlichen Lage gemäss EpG mit einbeziehen (Mo. 21.3034)
Dossier: Le Parlement en situation de crise

Mit 7 zu 2 Stimmen (3 Enthaltungen) beantragte die SPK-SR im Mai 2022, die Motion von Jakob Stark (svp, TG) abzulehnen, die einen besseren Einbezug des Parlaments bei der Bekämpfung zukünftiger Pandemien forderte. Sie verwies in ihrem Bericht darauf, dass die Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung im Falle von Krisen auch im Rahmen zweier parlamentarischer Initiativen (Pa.Iv. 20.437 & Pa.Iv. 20.438), denen zuvor Folge gegeben worden war, neu geregelt würden. Das Anliegen Starks müsse im Rahmen jener Revision diskutiert werden. Allerdings habe der Nationalrat ähnliche Vorstösse (z.B. Pa.Iv. 20.452) bereits als «nicht krisentauglich» abgelehnt – dies sei ein weiterer Grund für die Empfehlung, die Motion abzulehnen, so der Kommissionsbericht.
In der Ratsdebatte in der Sommersession 2022, die nötig war, weil die Kommissionsminderheit für Annahme der Motion plädierte, wurde gleichzeitig die ähnliche Motion von Werner Salzmann (svp, BE; Mo. 21.3034) behandelt, die den besseren Einbezug des Parlaments bei der Anordnung einer ausserordentlichen Lage forderte. Für die Mehrheit der SPK-SR erörterte Andrea Caroni (fdp, AR) ein formelles und ein inhaltliches Argument, die gegen die Motionen sprächen. Es gehe formell bei beiden Motionen nicht um die Revision des Epidemiengesetzes (EpG), sondern um die Rolle der Bundesversammlung in Krisen – dies sei aber bereits Gegenstand einer laufenden Gesetzesrevision, womit die Vorstösse eigentlich bereits erfüllt seien. Auch das EpG werde momentan revidiert. Inhaltlich würde die Motion Stark die parlamentarische Genehmigung von Notverordnungen des Bundesrats fordern. Der Nationalrat habe Vorstösse und Anträge zu solchen «Genehmigungspflichten» aber bereits in grosser Zahl abgelehnt, weil das Parlament stets zu spät wäre und nicht präventiv entscheiden könne. In der auf den parlamentarischen Initiativen beruhenden Revision des Parlamentsrechts werde deshalb eher auf eine Beschleunigung der Behandlung von Motionen gepocht. «Fazit», so Caroni, «[d]ie Reformen sind unterwegs», weshalb die Motionen unnötig seien. Jakob Stark verteidigte sein Anliegen damit, dass die «unzureichende rechtliche Einbindung des Parlaments» während der Pandemie «in staatspolitischer Hinsicht einen schwerwiegenden Mangel» dargestellt habe. Es habe weder eine parlamentarische noch eine öffentliche Diskussion über die Beschlüsse des Bundesrats stattgefunden. Er habe mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass die Frage des Einbezugs des Parlaments in Krisensituationen in die aktuellen Revisionen einfliesse. Damit aber wirklich eingehend diskutiert und sichergestellt werde, dass das Parlament auch in Krisen das letzte Wort habe und nicht «zum Vernehmlassungs- und Konsultationspartner des Bundesrates degradiert» werde, wolle er an seiner Motion festhalten.
Gesundheitsminister Alain Berset erinnerte die kleine Kammer am Schluss der Debatte in einem ziemlich ausführlichen Votum daran, dass es für den Bundesrat nicht einfach oder gar angenehm gewesen sei, die Verantwortung zu übernehmen, als das Parlament zu Beginn der Covid-19-Pandemie auf eigenen Wunsch hin seine Arbeit eingestellt habe. Der Bundesrat habe sich aber sogar in dieser Situation bemüht, mit dem Parlament via Kommissionen in Kontakt zu bleiben. Berset erinnerte daran, dass jene Leute, die den Bundesrat ob der zu grossen Machtfülle kritisiert hätten, keine Verantwortung übernommen hätten, als die ausserordentliche Lage dann nicht mehr galt. Es brauche aber, darin gehe der Bundesrat mit dem Parlament einig, in Anbetracht der Erfahrungen der letzten Monate Revisionen. Diese seien mit dem geplanten neuen Epidemiengesetz auf gutem Weg. Die Motionen brauche es dazu aber nicht. Mit 35 zu 7 Stimmen (3 Enthaltungen) lehnte der Ständerat die Motion von Jakob Stark ab. Einzig die Parteikollegen Starks unterstützten dessen Vorstoss. Auch die Motion Salzmann wurde abgelehnt.

Besserer Einbezug des Parlaments bei der Bekämpfung zukünftiger Pandemien (Mo. 21.3033)
Dossier: Le Parlement en situation de crise

Im Dezember 2021 reichte Verena Herzog (svp, TG) eine Motion für einen besseren Schutz vor Covid-19 für Personen mit geschwächtem Immunsystem aufgrund von Krebserkrankungen und chronischen Erkrankungen ein. Damit wollte sie diesen immungeschwächten Personen, bei denen eine Impfung nicht zu einem Aufbau der Immunabwehr gegen Covid-19 führt, prophylaktische Therapien zugänglich machen. Eine solche Therapie werde immunsupprimierten Patientinnen und Patienten in Frankreich beispielsweise offiziell empfohlen. Damit könne man einer sozialen Isolation der betroffenen Personen entgegenwirken, argumentierte Herzog.
Der Bundesrat stimmte der Motionärin zu und empfahl ihren Vorstoss sowie eine gleichlautende, im Januar 2022 von der SGK-NR eingereichte Motion (Mo. 22.3005) zur Annahme. Er werde den Zugang zu diesen Arzneimitteln wohl durch eine Abnahmegarantie mit den Herstellerfirmen ermöglichen, erklärte der Bundesrat.
In der Frühjahrssession 2022 nahm der Nationalrat die Motion der SGK-NR entsprechend dem Kommissionsantrag an. Er sprach sich damit gegen einen Einzelantrag Matter (svp, ZH) aus, der die Beschaffung ablehnte, da «die akute Phase der Corona-Pandemie vorbei [ist], und es Zeit [wird], zurück zur Normalität zu finden». Entsprechend sollten die Therapien «auf dem ordentlichen Weg beschafft und finanziert werden», um die Patientensicherheit und die Abläufe im Gesundheitssystem zu bewahren. Jedoch wies Gesundheitsminister Berset in der Folge darauf hin, dass eine ordentliche Beschaffung nicht möglich sei, da die Medikamente nicht auf dem freien Markt erhältlich seien, sondern nur an Staaten verkauft würden. Mit 128 zu 32 Stimmen (bei 18 Enthaltungen) folgte der Nationalrat seiner Kommission. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten grossmehrheitlich von Mitgliedern der SVP-Fraktion – mit Ausnahme von Verena Herzog, die sich für Annahme der Motion aussprach.
Noch in der Frühjahrssession 2022 hiess das Parlament zudem zwei Nachtragskredite zur Finanzierung der Medikamente gut – noch bevor beide Räte die entsprechende Motion angenommen hatten. In der Sondersession im Mai 2022 zog Verena Herzog ihre Motion zurück, nachdem diese in der Frühjahrssession 2022 ebenfalls von Thomas Matter bekämpft worden war. In der Zwischenzeit hatte überdies auch der Ständerat eine gleichlautende Motion (Mo. 22.3018) eingereicht, diese aber nach der Annahme der Motion ihrer Schwesterkommission im Nationalrat ebenfalls zurückgezogen.

Besserer Schutz vor Covid-19 für Personen mit geschwächtem Immunsystem aufgrund von Krebserkrankungen und chronischen Erkrankungen

In der Frühjahrssession 2022 beriet der Nationalrat die Motion Herzog (sp, BS), die eine Ergänzung des Epidemiengesetzes zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten verlangte. Die SGK-NR beantrage die Annahme der Motion, teilte deren Sprecherin Regine Sauter (fdp, ZH) mit. Die Einschränkung des Personenverkehrs als Folge der Grenzschliessungen hätte die Bekämpfung der Pandemie beeinträchtigt, da auch das Gesundheitspersonal davon betroffen gewesen sei. Eine Bestimmung, die den Grenzverkehr auch in Krisenzeiten garantiert, der ins Covid-19-Gesetz aufgenommen wurde, sei nur befristet, weshalb für vergleichbare Situationen in der Zukunft eine Anpassung des Epidemiengesetzes notwendig sei. Benjamin Roduit (mitte, VS), ebenfalls Kommissionssprecher, kritisierte den Bundesrat und eine Kommissionsminderheit für deren ablehnende Haltung. Die Feststellung des Bundesrats, dass Grenzgänger und Grenzgängerinnen trotz der Reisebeschränkungen aus beruflichen Gründen in die Schweiz einreisen durften, überzeugte Roduit nicht. Diese Lösungen seien erst auf Druck des Parlaments und erst nach der ersten Welle gefunden worden. Auch der Einwand des Bundesrats, dass die Motion den gesundheitspolitischen Handlungsspielraum bei multilateral-verhandelten Gesundheitsbeschränkungen beschneide, liess Roduit nicht gelten. Die Schweiz sei schliesslich in Fragen der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit souverän. Innenminister Berset gab zu, dass man ohnehin mehrere Bestimmungen des Epidemiengesetzes überarbeiten müsse und widersprach der Forderung der Motion nicht grundsätzlich. Er beharrte aber darauf, zuerst eine Analyse durchzuführen, bevor irgendwelche Konsequenzen gezogen werden könnten. Bereits im Juni 2020 habe der Bundesrat eine Revision des Epidemiengesetzes gefordert. Nun warte man ab, bis eine umfassende und vollständige Analyse der Pandemie möglich sei. Bis Mitte 2023 solle der Änderungsentwurf in die Vernehmlassung gegeben werden, erklärte Berset der grossen Kammer. Er bat den Nationalrat, keine Motionen anzunehmen, bevor nicht eine Gesamtbilanz gezogen werden konnte und beantragte die Ablehnung des Vorstosses. Da lediglich die SVP mehrheitlich gegen die Motion stimmte, wurde sie mit 127 zu 46 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) auch vom Zweitrat deutlich angenommen.

Ergänzung des Epidemiengesetzes zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten
Dossier: Contrôle des frontières nationales suisses à l'heure de Covid-19

Die SPK-NR wollte mittels einer im Januar 2022 eingereichten Motion den Bundesrat mit der Erarbeitung einer Änderung des EpG betrauen. Durch die Revision soll unter noch zu definierenden Bedingungen die Entschädigung von Personen und Unternehmen ermöglicht werden, welche ihren Geschäftsbetrieb infolge behördlicher Massnahmen einstellen oder einschränken müssen, wenn es nicht anderweitig zur Deckung der entstandenen Schäden komme. Die Entschädigungspflicht solle zeitlich limitiert sein. Mitte März 2022 kam das Geschäft in die grosse Kammer. Gregor Rutz (svp, ZH) und Damien Cottier (fdp, NE) begründeten das Kommissionsanliegen zum einen damit, dass die Entschädigungspflicht für die Bevölkerung im Zuge entstandener Schäden durch gesundheitspolitische Massnahmen im EpG bisher nicht festgehalten sei. Zum anderen könnten private Veranstalter oder Unternehmen gegenwärtig nur Schadensersatz einfordern, wenn widerrechtliches Handeln staatlicher Organe vorliege. Ursprünglich sei die Überlegung gewesen, dass es im Verantwortungsbereich der Unternehmen liege, die entsprechenden Vorsorgemassnahmen für Krisensituationen zu treffen. Allerdings sei die SPK-NR zum Schluss gekommen, dass eine Epidemie im Ausmasse der Covid-19-Pandemie zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des EpG unvorstellbar gewesen sei und deren Folgen daher nicht allein in der individuellen Verantwortung der betroffenen Unternehmen liege. Rutz betonte indes, dass für die staatliche Ersatzpflicht eindeutige Voraussetzungen gelten müssten, die Selbstverantwortung nach wie vor im Zentrum stehe und der «Staat […] nicht zur Vollkaskoversicherung werden [soll und darf]». Der Bundesrat empfahl die Motion zur Ablehnung. Gesundheitsminister Alain Berset erklärte jedoch, dass es sich um eine formelle Ablehnung und nicht um eine Ablehnung der Sache handle. Er teile die Ansicht der Kommission bezüglich des Handlungsbedarfs, allerdings müsse dieses Anliegen im allgemeinen Rahmen der bevorstehenden Revision des EpG umgesetzt werden. Bersets Worte waren indes wenig erfolgreich. Einstimmig (176 zu 0 Stimmen) nahm der Nationalrat das Geschäft an.

Ergänzung des Epidemiengesetzes: Entschädigung bei Massnahmen (Mo. 22.3009)

Die Frage, ob aus den registrierten Covid-Impfdossiers und den Impfzertifikaten individuelle Elektronische Patientendossiers (EPD) geschaffen werden können, war Gegenstand eines Postulats Dittli (fdp, UR), welches Mitte Dezember 2021 eingereicht wurde. Indem man die für die Covid-19-Impfungen und -Zertifikate neu aufgebaute Infrastruktur auch für das EPD nutzen würde, könnte die Eröffnung der Dossiers – das bislang grösste Hindernis zur stärkeren Verbreitung des EPD – umgangen werden, war Dittli überzeugt. Falls jemand kein EPD haben möchte, könnte das entsprechende Impfdossier gelöscht werden. Im März 2022 stand das Geschäft auf der Traktandenliste des Ständerats. Gesundheitsminister Berset empfahl das Postulat zur Ablehnung, da der Bundesrat bereits mit Arbeiten zum Thema beschäftigt sei – etwa zur Behebung der Schwächen des EPD. Entgegen der Empfehlung der Landesregierung nahm das Stöckli das Geschäft mit 31 zu 7 Stimmen an.

Covid-Impfkampagne als Chance für das elektronische Patientendossier nutzen (Po. 21.4453)

In der Frühjahrssession 2022 beriet der Nationalrat die Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule und die Optimierung der Aufsicht in der 2. Säule. Die Kommission hatte zuvor nur wenige Änderungen gegenüber der ständerätlichen Version geschaffen und die Vorlage mit 18 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltungen gutgeheissen. Die Kommissionssprecherinnen Céline Amaudruz (svp, GE) und Regine Sauter (fdp, ZH) präsentierten dem Rat die Vorlage mit drei Aspekten im AHV- und einem Aspekt im BVG-Bereich: die Schaffung einer modernen und risikoorientierten Aufsicht, die Stärkung der Governance und der Verbesserung der Steuerung und Überwachung der Informationssysteme in der AHV sowie die punktuellen Optimierungen der Aufsicht über die 2. Säule.
In einem ersten Block beschäftigte sich der Rat mit der 1. Säule: Hier diskutierte er insbesondere über drei Minderheitsanträge. Eine Minderheit Rösti (svp, BE) setzte sich mit dem Fall einer Auflösung einer Verbandsausgleichskasse auseinander. In diesem Fall müssen andere Kassen die Rentenbeziehenden der aufgelösten Kasse übernehmen, wofür sie eine Entschädigung erhalten. Um diese Entschädigung bezahlen zu können, müssen die Ausgleichskassen jeweils Rückstellungen vornehmen. Bundesrat, Ständerat und Kommissionsmehrheit beabsichtigten nun, subsidiär auch die Gründerverbände der Ausgleichskassen für diese Entschädigungen aufkommen zu lassen – falls die aufgelöste Ausgleichskasse zu wenige Rückstellungen getätigt hatte. Die Minderheit Rösti wollte diese subsidiäre Zuständigkeit jedoch streichen, da sonst die Gefahr bestehe, dass die Ausgleichskassen die Reservebildung zu wenig ernst nehmen würden. Mit 131 zu 48 Stimmen fand dieser Vorschlag jedoch nur bei der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und einem Mitglied der Mitte-Fraktion Zustimmung.
Die anderen beiden Minderheiten beschäftigten sich mit den von den Durchführungsstellen verwendeten Informationssystemen. Der Bundesrat hatte deren Verwendung neu geregelt und wollte der Aufsichtsbehörde ermöglichen, den Durchführungsstellen Mindestanforderungen an ihre Informationssysteme, etwa zum Datenschutz, zu definieren. Diese Mindestanforderungen wollten der Ständerat sowie die Kommissionsmehrheit streichen, während sie eine Minderheit Gysi (sp, SG), unterstützt von Bundesrat Berset, beibehalten wollte. Für diese «sensible[n] persönliche[n] Daten» brauche es Mindestanforderungen, betonte Barbara Gysi, während sich Bundesrat Berset davon «une sorte d'uniformité minimale de l'exécution» erhoffte. Kommissionssprecherin Sauter begründete die Ablehnung der Kommissionsmehrheit gegenüber solchen Mindeststandards mit der Aufsichtsfunktion der Aufsichtsbehörde: Mit der Definition von Mindestanforderungen würde sie ins Operative eingreifen, was nicht ihre Aufgabe sei. Mit 98 zu 77 Stimmen (bei 1 Enthaltung) setzte sich die Kommissionsmehrheit durch. Eine weitere Minderheit Rösti wehrte sich dagegen, dass der AHV-Ausgleichsfonds die Entwicklungs- und Betriebskosten der Informationssysteme übernehmen soll. Konkret gehe es um die Frage, ob der Staat oder die Durchführungsstellen für die Weiterentwicklung der Informatiksysteme zuständig sein sollen. Letzteres sei vorzuziehen, da die Durchführungsstellen dann an einem möglichst effizienten System interessiert seien – entsprechend würden sie die Kosten der Informationssysteme als Verwaltungskosten verbuchen. Da es «um [gesamtschweizerisch anwendbare] kassenübergreifende Informatikanwendungen» gehe, solle der AHV-Ausgleichsfonds für deren Kosten aufkommen, betonte hingegen die Kommissionsmehrheit. Mit 132 zu 47 Stimmen folgte der Nationalrat auch hier der Mehrheit seiner Kommission.

Auch im zweiten Block zur Optimierung der Aufsicht in der beruflichen Vorsorge gab es zwei Punkte, die relativ ausführlich diskutiert wurden. Einerseits wurde die Frage der Unabhängigkeit der kantonalen Aufsichtsbehörden besprochen. Der Bundesrat erachtete diese als nicht gegeben, solange Mitglieder der Kantonsregierungen oder -verwaltungen auch Einsitz in die Aufsichtsbehörden haben, und schlug daher ein entsprechendes Einsitzverbot vor. Der Ständerat verneinte anschliessend eine solche Problematik und strich die entsprechende Regelung. Die Mehrheit der SGK-NR schlug nun quasi als Kompromiss vor, dass der Einsitz in die Aufsichtsbehörden nur Mitgliedern desjenigen kantonalen Departements untersagt werden soll, das für die 2. Säule zuständig ist. Bundesrat Berset erachtete diesen Vorschlag jedoch als in einer Kollegialbehörde nicht praktikabel. Eine Minderheit I Sauter bevorzugte die bundesrätliche Lösung, während eine Minderheit II Weichelt (al, ZG) die vorgeschlagene Regelung um ein Verbot der Beteiligung von Branchenvertretenden ergänzen wollte. Ein Ausschluss der Exekutivmitglieder, jedoch nicht der Branchenvertretenden sei «ziemlich janusköpfig» und erfülle die Auflagen der Governance nicht, befand Manuela Weichelt mit Verweis auf die zahlreichen Vertretenden von Unternehmen und Stiftungen, die mit der Durchführung der beruflichen Vorsorge verbunden sind, in den Aufsichtsbehörden. Wie bei der Oberaufsichtskommission «Berufliche Vorsorge» brauche es auch für die kantonalen Aufsichtsbehörden eine gesetzliche Regelung. Nach einigen Wirren und einer wiederholten Abstimmung setzte sich der Mehrheitsantrag gegen die zwei Minderheiten durch.
Interessenkonflikte standen auch im Mittelpunkt des zweiten Diskussionspunkts zur Aufsicht über die Pensionskassen: die Finanzierung der Vermittlertätigkeiten. Hierzu hatte der Bundesrat nach der Vernehmlassung eine Regelung ergänzt, wonach er die Vermittlungstätigkeit für über die Mindestleistungen hinausgehende Pensionskassenleistungen mittels Verordnung regeln wollte. Damit beabsichtigte er, Interessenkonflikte der Broker zu bekämpfen. Da nicht die Arbeitgebenden, sondern die Pensionskassen die Broker bezahlten, hätten Letztere Anreize, diejenigen Pensionskassen zu empfehlen, die ihnen am meisten Provisionen einbringen, ergänzte Manuela Weichelt-Picard. Zudem werde für die Vermittlung Geld der Versicherten ausgegeben, das für die Verzinsung der Guthaben eingesetzt werden könnte. Entsprechend wollte sie mit einem Minderheitsantrag dem Bundesrat folgen. Regine Sauter lehnte im Namen der Kommissionsmehrheit die Notwendigkeit einer solchen Regelung ab – die Vermittlungsgebühren würden heute transparent ausgewiesen, die KMU könnten die Kosten auch selbst übernehmen. Zudem sei diese Frage nicht in der Vernehmlassung diskutiert worden, werde stattdessen aber aktuell im Rahmen der Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes behandelt. Die Kommissionsmehrheit setzte sich in der Folge mit 119 zu 68 Stimmen gegen den Willen von SP, Grünen und drei Personen der Mitte-Fraktion auch hier durch.
Stillschweigend schuf der Nationalrat zudem einige weitere Differenzen zum Ständerat. Unter anderem lehnte er es ab, im Rahmen dieser Revision die Möglichkeit für eine elektronische Übermittlung von Entscheiden zu schaffen. Inhaltlich bestehe hier zwar keine Differenz zum Ständerat, jedoch könne diese Frage nicht ausschliesslich für die Ausgleichskassen geregelt werden, sondern müsse sich auf alle Sozialversicherungen beziehen. Entsprechend wollte der Nationalrat eine Revision des Verwaltungsverfahrensrechts, die bereits im Gange war, abwarten.
Trotz kleineren inhaltlichen Differenzen stiess die Vorlage insgesamt beim ganzen Nationalrat auf Anklang: In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer die Vorlage mit 186 zu 0 Stimmen einstimmig an.

Aufsicht in der 1. Säule (BRG 19.080)

In der Frühjahrssession 2022 nahm sich der Ständerat einer Motion Heim (sp, SO) an, welche eine grössere Versorgungssicherheit bei Impfstoffen zum Inhalt hatte. Pirmin Bischof (mitte, SO) liess für die Mehrheit der SGK-SR verlauten, dass diese mit 7 zu 2 Stimmen (bei 1 Enthaltung) das Geschäft zur Ablehnung beantrage. Zwar sei auch die Kommissionsmehrheit der Ansicht, dass es einer Verbesserung der Impfstoffversorgung bedürfe, gleichzeitig würden im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie bereits auf verschiedenen Stufen Abklärungen vorgenommen. Bischof verwies auf den Bericht in Erfüllung des Postulats 12.3426 und auf die Schritte, die durch die Annahme der Postulate 20.3453 und 20.3241 eingeleitet worden seien. Zudem hob der Standesvertreter aus Solothurn hervor, dass die Mehrheit der SGK-SR eine generelle, nicht nur während ausserordentlichen Krisenzeiten geltende Verstaatlichung der Impfstoffbeschaffung, wie es die Motion fordere, nicht als den geeigneten Weg erachte. Vielmehr beabsichtige sie, an der dezentralen und privaten Beschaffung festzuhalten. Eine Minderheit rund um Hans Stöckli (sp, BE) sah dies anders. Der Bundesrat habe im Falle der Covid-19-Pandemie dank dem Notverordnungsrecht «rechtzeitig die besten Impfstoffe […] besorgen» können, der Einkauf soll jedoch auch unabhängig von der Existenz einer Pandemie zentral erfolgen können, gebe es doch auch Notlagen, welche «die Voraussetzungen einer Pandemie nicht erfüll[t]en». An den aufgeworfenen Punkt zur Beschaffung der Covid-19-Impfstoffe anknüpfend erklärte Gesundheitsminister Berset, dass die Zentralisierung in diesem Fall notwendig gewesen sei, um die entsprechenden Impfstoffe überhaupt beschaffen zu können, der Bundesrat habe allerdings immer die Absicht geäussert, langfristig zum bisherigen System zurückzukehren. Zudem sei die Landesregierung der Meinung, dass die beiden anderen Forderungen der Motion – ein Pflichtlager für Impfstoffe mit potentiellen Versorgungsengpässen und eine vereinfachte Zulassung von EMA-Impfstoffen – bereits erfüllt seien. Daher empfehle der Bundesrat das Geschäft zur Ablehnung. Mit 29 zu 13 Stimmen folgte der Ständerat diesem Votum.

Versorgungssicherheit bei Impfstoffen (Mo. 19.4131)

Zu Beginn des Jahres 2022 hatte der Bundesrat stark mit der neuen Dynamik in der fünften Welle der Covid-19-Pandemie zu kämpfen: Die sich immer stärker ausbreitende Omikron-Variante erwies sich als deutlich ansteckender als die bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Delta-Variante. Dies führte zu immer neuen Rekordzahlen laborbestätigter Ansteckungen mit dem Corona-Virus. Anders als bei der Delta-Variante stiegen jedoch die Spitaleinweisungen deutlich weniger stark an. So stellte etwas später auch die EMPA zusammen mit wissenschaftlichen Instituten und dem Kanton Graubünden fest, dass «Omikron [...] das Gesundheitssystem wohl nicht an die Grenzen [bringe]». So sei die Omikron-Variante zwar infektiöser als die Delta-Variante, aber «scheinbar weniger gefährlich für die Gesundheit». Folglich stieg die Anzahl täglicher Hospitalisationen mit oder wegen Covid-19 zwischen Dezember 2021 und Februar 2022 auf durchschnittlich 119 und blieb damit fast halb so gross wie im November 2020 mit durchschnittlich 206 entsprechenden Hospitalisationen täglich.
Somit stand neu nicht mehr in erster Linie das Gesundheitssystem pandemiebedingt vor grossen Schwierigkeiten, sondern die Wirtschaft: Die Medien diskutierten ausführlich über die Folgen des Personalmangels, der durch die überaus hohen Quarantänezahlen verursacht wurde. «Wir können nicht einen Drittel der Bevölkerung in Quarantäne schicken, sonst würde alles zusammenbrechen», gab etwa der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf (LU, mitte) gegenüber der Luzerner Zeitung zu bedenken. Am 12. Januar 2022 entschied der Bundesrat daher, die Kontaktquarantäne sowie die Isolation von zehn auf fünf Tage zu verkürzen, wie es Economiesuisse zuvor gegenüber den Medien gefordert hatte. Weiterhin konnte die Isolation jedoch nur verlassen, wer zuvor 48 Stunden ohne Symptome war. Die Kontaktquarantäne wurde überdies auf Personen in demselben Haushalt und mit engem Kontakt zu Infizierten beschränkt, während Personen, die innert der letzten vier Monate geimpft worden oder genesen waren, gänzlich von der Quarantäne ausgenommen wurden. Ausdrücklich ermöglichte der Bundesrat den Kantonen zudem Ausnahmen bezüglich Quarantäne und Isolation, «um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten». Trotz dieser Abschwächung der Quarantäne verlängerte der Bundesrat Mitte Januar 2022 ob der immer noch steigenden Fallzahlen die Geltungsdauer verschiedener Massnahmen: Die Kontaktquarantäne sowie die Homeoffice-Pflicht sollten neu bis Ende Februar gelten, die 2G-, 2Gplus- und 3G-Regeln, die Maskenpflicht und die Einschränkung privater Treffen sollten gar bis Ende März aufrechterhalten werden. Zudem sollten die Covid-19-Zertifikate in Übereinstimmung mit den Regelungen in der EU neu nur noch 270 statt 365 Tage gültig sein.

Dies sollten jedoch vorerst die letzten Verschärfungen in den Covid-19-Regelungen sein. Denn so schnell die laborbestätigten Covid-19-Fallzahlen Ende 2021 angestiegen waren, so schnell begannen sie Ende Januar 2022 wieder zu sinken. Entsprechend entschied sich der Bundesrat, die Homeoffice-Pflicht und die Kontaktquarantäne per 3. Februar 2022 wieder aufzuheben. Die Kontaktquarantäne habe aufgrund der hohen Ansteckungszahlen «an Bedeutung verloren» und wurde folglich erstmals seit Pandemiebeginn eingestellt. Weiterhin mussten sich jedoch infizierte Personen während fünf Tagen isolieren, um Ansteckungen anderer zu verhindern. Zwei Wochen später hob der Bundesrat schliesslich beinahe alle verbliebenen Covid-19-Massnahmen auf: Er beendete generell die Zertifikats- und Maskenpflicht – ausser im öffentlichen Verkehr und in Gesundheitseinrichtungen –, die Bewilligungspflicht von Grossveranstaltungen sowie die Einschränkung privater Treffen. Zuvor hatte sich eine Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden für diese schnelle Lockerung ausgesprochen. Zwar stiegen die Fallzahlen Mitte Februar 2022 erneut an, erreichten bis Mitte März aber mit über 40'000 Fällen und einem 7-Tage-Durchschnitt von 28'000 Fällen nicht mehr die Rekordzahlen von Mitte Januar 2022.

Dass der Anteil Personen, die sich bisher noch nie mit dem Coronavirus infiziert hatten, immer geringer wurde, zeigte sich beispielhaft an den sich mehrenden Meldungen über infizierte Bundesratsmitglieder: Im Februar 2022 traf es Ignazio Cassis, im März 2022 Gesundheitsminister Alain Berset sowie Guy Parmelin und im April Simonetta Sommaruga. Im August 2022 gab der Bundesrat dann bekannt, dass in der Zwischenzeit über 97 Prozent der Schweizer Bevölkerung mit dem Virus in Kontakt gekommen seien – durch Ansteckung oder Impfung, wobei 70 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens einmal geimpft seien.

Bereits vorher, nämlich am Freitag, 1. April 2022 folgte schliesslich nach über zwei Jahren Ausnahmezustand die Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz. Somit fielen mit der Isolationspflicht für infizierte Personen und der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und in Gesundheitseinrichtungen auch die letzten grossen Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Gleichzeitig legte der Bundesrat die «Hauptverantwortung für Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung» nun wieder in die Hände der Kantone. Dennoch wollte er in einer einjährigen Übergangsphase eine erhöhte Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit aufrechterhalten, in der die während der Pandemie wichtigen Strukturen insbesondere bezüglich Tests, Impfungen und Contact Tracing erhalten bleiben sollten. So hatten Bund und Kantone bereits einen Monat zuvor in einer Medienmitteilung festgestellt, dass auch weiterhin mit saisonalen Erkrankungswellen zu rechnen sei. Um das Ausmass der Verbreitung des Virus weiterhin überprüfen zu können, setzte der Bundesrat in der Folge verstärkt auf die Überprüfung des Abwassers: Bis zu diesem Zeitpunkt war das Wasser in sechs Kläranlagen auf die Stärke der Virenlast und die zirkulierenden Varianten überprüft worden, neu wurde dieses Projekt auf 100 Kläranlagen ausgedehnt.
Gänzlich aufgehoben wurden die Covid-19-Massnahmen im Übrigen nicht, bestehen blieben die zwangsweisen Covid-19-Tests von Abgewiesenen bei der Rückstellung in ihr Herkunftsland, welche das Parlament bis ins Jahr 2024 verlängerte.

Im Mai 2022 verabschiedete der Bundesrat ein Grundlagenpapier zu Zielen und Aufgabenverteilung in der Übergangsphase. Demnach liege die Hauptverantwortung bei den Kantonen, wobei sie insbesondere für die Test- und Spitalkapazitäten und das Impfangebot zu sorgen und allfällige Massnahmen bei Anstieg der Fallzahlen zu ergreifen hätten. Der Bund blieb lediglich zuständig für die Überwachung, den internationalen Personenverkehr, für die Versorgung mit Heilmitteln sowie für alle Massnahmen aufgrund des Covid-19-Gesetzes. Die besondere Lage gemäss Epidemiengesetz werde er zukünftig nur dann wieder ausrufen, wenn die Bemühungen der Kantone die Verbreitung des Virus nicht verhindern könnten und die öffentliche Gesundheit gefährdet sei.

Ab Juni 2022 stiegen die Fallzahlen für eine Sommerwelle – wie sie in den Medien teilweise genannt wurde – an, die Mitte Juli 2022 Höchstwerte von fast 10'000 Fällen und einen 7-Tage-Schnitt von fast 8'000 Fällen erreichte. Wie stark die Corona-Pandemie in der Zwischenzeit an Schrecken und Aufmerksamkeit verloren hatte, zeigte sich etwa daran, dass sich die Medien kaum noch auf eine einheitliche Nummerierung der Covid-19-Wellen einigen konnten. Zudem galt die Medienaufmerksamkeit in der Zwischenzeit viel mehr den beiden grossen aktuellen Themen, dem Krieg in der Ukraine und dem Energie-Engpass. Mitte September 2022 bahnte sich schliesslich eine auch vom Bundesrat mehrfach prognostizierte Herbst- und Winterwelle an, die aber bis Ende Jahr mit einem Spitzenwert im Oktober von fast 8'300 gemeldeten Neuinfektionen täglich und einem maximalen 7-Tage-Schnitt von 5'450 Neuinfektionen nicht die befürchteten Fallzahlen erreichte – womöglich auch wegen einer hohen Dunkelziffer.

Allgemein hatte sich der Fokus der bundesrätlichen Massnahmen seit November 2021 immer stärker hin zur Ausweitung der Behandlungsmöglichkeiten der Schweizer Bevölkerung verschoben. So berichtete die Regierung immer wieder über den Kauf neuer Arzneimittel, mit denen Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf oder bei einem schweren Verlauf behandelt werden können: Ende November 2021 reservierte der Bundesrat 8'640 Packungen des «vielversprechenden Arzneimittels» Molnupiravir von MSD Merck Sharp & Dohme AG Schweiz, das bis im Januar 2022 verfügbar sein sollte. Ende Dezember 2021 kamen weitere Verträge mit GlaxoSmithKline AG und Roche Pharma (Schweiz) AG für die Medikamente Sotrovimab (2'000 Packungen) und Casirivimab/Imdevimab (4'000 Packungen) hinzu, welche der Bund bereits im Jahr zuvor bestellt hatte. Kurz darauf gab die Regierung im Rahmen ihres Förderprogramms für Covid-19-Arzneimittel den Abschluss von Verträgen mit vier in der Schweiz ansässigen Unternehmen in der Gesamthöhe von CHF 27 Mio. bekannt, von denen sie sich bis Ende 2022 neue Medikamente versprach. Im Mai 2022 folgte ein Vertrag mit Pfizer für die Beschaffung von 12'000 Packungen des Arzneimittels Paxlovid.

Doch nicht nur zur Behandlung, auch zur Prophylaxe standen neu Arzneimittel zur Verfügung: Noch Ende 2021 erteilte Swissmedic dem Arzneimittel Ronapreve, das zur Prävention von Covid-19 für Personen mit ungenügender Immunantwort auf die Impfung dient, die Zulassung. Dieses Medikament war in Übereinstimmung mit der Covid-19-Verordnung 3 bereits während der Zulassungsphase eingesetzt worden. Mitte Februar 2022 reservierte der Bundesrat zudem erneut 2'000 Packungen des Medikaments Sotrovimab von GlaxoSmithKline AG, während er in Übereinstimmung mit Motionen von Verena Herzog (svp, TG) und der SGK-NR den Zugang zu weiteren Arzneimitteln zur Prävention von Covid-19 für immunsupprimierte Personen sicherte. Im März 2022 und im Juil 2022 folgten Verträge mit AstraZeneca Schweiz für Tixagevimab/Cilgavimab als weitere Möglichkeit zur Prophylaxe gegen Covid-19.

Ausgedehnt wurden auch die Impfmöglichkeiten. Bereits Ende 2021 hatte der Bundesrat bekannt gegeben, dass die Bevölkerung auch im Jahr 2022 gratis Zugang zu den Covid-19-Impfungen haben werde – die Kosten teilen sich OKP, Bund und Kantone weiterhin auf. Noch Ende 2021 hiess Swissmedic nach Pfizer/BioNTech und Moderna auch die Auffrischungsimpfung von Johnson & Johnson sowie deren Kreuzimpfungen mit mRNA-Impfstoffen gut.
Neu zugelassen für Personen ab 18 Jahren wurde Anfang März 2022 überdies der Impfstoff Nuvaxovid von Novavax. Neben den beiden mRNA-Impfstoffen von Pfizer/BioNTech und Moderna sowie dem Vektor-basierten Impfstoff von Johnson & Johnson stellte Nuvaxovid einen Protein-Impfstoff dar, der «einen nicht infektiösen Bestandteil der Oberfläche des Sars-CoV-2-Virus» enthält und damit eine Immunreaktion auslöst. Im April 2022 nahmen BAG und EKIF diesen Impfstoff in ihre Impfempfehlung für Personen ab 18 Jahren auf.
Anfang März 2022 gab der Bundesrat seinen Plan für die Impfstoffversorgung der Schweizer Bevölkerung für das Jahr 2023 bekannt, die er mit je 7 Mio. Impfdosen von Pfizer/BioNTech und Moderna sowie mit je weiteren 7 Mio. optionalen Dosen sicherstellen wollte. Bereits zuvor hatte er bekannt gegeben, bis Mitte 2022 maximal 15 Mio. Impfstoffdosen an die COVAX-Initiative und andere Länder weiterzugeben, sofern die Schweiz diese nicht verwenden könne. Später entschied das Parlament jedoch bei der Beratung des Nachtrags Ib zum Voranschlag 2022, die Anzahl Impfdosen für das Jahr 2023 zu halbieren, woraufhin das BAG neue Verträge mit den Impfstofflieferanten ausarbeiten musste.
Im Juni 2022 folgte ein erstes Zulassungsgesuch für einen «Omikron-Impfstoff» durch Moderna Switzerland GmbH, Anfang August sowie Mitte September folgten auch zwei entsprechende Anträge von Pfizer/BioNTech. Die Gesuche wurden Mitte September (Moderna) respektive Mitte Oktober (Pfizer/BioNTech) bewilligt.
Laufend passten BAG und EKIF auch ihre Impfempfehlung an: Ab Mai 2022 empfahlen sie Personen mit einem stark geschwächten Immunsystem eine weitere Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff, Anfang Juli dehnten sie diese Empfehlung auf Personen über 80 Jahren aus. Und auf den Herbst hin empfahlen sie insbesondere Personen über 65 Jahren sowie Personen mit erhöhtem Krankheitsrisiko durch Vorerkrankung oder Schwangerschaft sowie ergänzend dazu Personen in Akut- und Langzeitbetreuung oder in Betreuung besonders gefährdeter Personen eine Impfung. Schliesslich sei die Impfung auch für alle anderen Personen ab 16 Jahren sinnvoll, um «das Risiko einer Infektion oder eines seltenen schweren Verlaufs [zu] vermindern».

Nicht nur für Erwachsene, auch für Kinder wurden die Impfmöglichkeiten erweitert. Bereits Ende 2021 erteilte Swissmedic dem Impfstoff von Pfizer/BioNTech die Zulassung für Kinder zwischen fünf und elf Jahren, im Mai 2022 folgte die Zulassung des Moderna-Impfstoffs für Kinder zwischen sechs und elf Jahren und im September 2022 die Zulassung von Novoxovid für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren.

Neben den Arzneimitteln und Impfungen gelangte auch die Finanzierung der Covid-19-Massnahmen sowie der Abbau der pandemiebedingten Schulden, welche der Bundesrat ausserordentlich verbucht hatte, stärker in den Fokus. Im Februar 2022 beantragte die Regierung die Finanzierung der vom Parlament vorgenommenen Änderungen in der vierten Revision des Covid-19-Gesetzes in einem ausserordentlichen Nachtrag Ia zum Voranschlag 2022, was das Parlament in der Frühjahrssession 2022 guthiess.
In der Folge wurde vor allem über den Abbau der Covid-19-Schulden diskutiert, wobei man sich lange nicht einig war, ob die Schulden mit zukünftigen Überschüssen oder auch mit bisherigen Überschüssen und dafür in einer verkürzten Frist abgebaut werden sollten. Das Parlament entschied sich schliesslich, nur die zukünftigen Überschüsse und allfällige SNB-Zusatzausschüttungen zu verwenden, deren Anfallen jedoch im Verlauf des Jahres unwahrscheinlich geworden war.

Gleichzeitig wurden auch immer mehr Aktivitäten zur Evaluation des Krisenmanagements während der Pandemie bekannt. Bereits Ende 2020 hatte das BAG eine «externe Evaluation über die Bewältigung der Covid-19-Pandemie» in Auftrag gegeben. Diese stellte Bund und Kantonen grundsätzlich ein gutes Zeugnis aus, kritisierte jedoch die Krisenvorbereitung sowie das anfängliche Krisenmanagement. Im Juni 2022 ergänzte der Bundesrat diese Evaluationsbemühungen um eine Administrativuntersuchung zur Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen, bei der untersucht werden sollte, ob sämtliche Beschaffungen durch Kredite gedeckt «und in den Verträgen Parlamentsvorbehalte eingefügt» waren. Zeitgleich erschien auch der zweite Bericht über die Beschaffung von medizinischen Gütern während der Covid-19-Pandemie, gemäss dem die Armeeapotheke zwischen Juli 2020 und Dezember 2021 medizinische Güter im Wert von CHF 96 Mio. beschafft hatte. Deren Einsatz bezüglich der Maskenbeschaffung im Frühjahr 2020 würdigte der Bundesrat überdies in einer Stellungnahme zu einem Bericht der GPK-NR. Das «VBS und insbesondere die Armeeapotheke» hätten den Auftrag, eine grösstmögliche Menge an Schutzmasken in kürzester Zeit zu beschaffen, «unter hohem Druck, mit grossem Einsatz und trotz der schwierigen Bedingungen» erfüllt. Aus den dabei dennoch erfolgten Fehlern sollen nun Lehren gezogen werden.
Im August 2022 zeigten statistische Auswertungen schliesslich noch einmal das Ausmass der Pandemie im Jahr 2020 auf: So habe es im ersten Pandemiejahr 12.4 Prozent mehr Todesfälle gegeben als durchschnittlich, wobei die Covid-19-Pandemie mit 12.2 Prozent für am drittmeisten Todesfälle nach Herz-Kreislauf-Krankheiten (mit 26.9%) und Krebs (mit 22.2%) verantwortlich gewesen sei.

In der Herbst- und Wintersession 2022 beschäftigte sich das Parlament mit der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes, bei dem es erneut insbesondere um die Frage ging, wie lange die Regelungen im Covid-19-Gesetz aufrecht erhalten bleiben sollen. Besonders umstritten war dabei die Frage, ob die Kantone die Finanzierung und Organisation der Covid-19-Tests übernehmen sollten, wie dies der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Die Kantone wehrten sich erfolgreich, so dass ab 2023 die Krankenkassen und bei Tests, welche für Reisen nötig sind, die Bevölkerung für die Tests aufkommen werden.

Verlauf und Bekämpfung der Covid-19-Pandemie
Dossier: Covid-19 – Conséquences économiques et financières

Auch 2021 wurden die traditionellen von-Wattenwyl-Gespräche von der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt. Nicht nur, weil die Gesundheitskrise zentraler Gegenstand aller vier Veranstaltungen war, sondern auch, weil die Gespräche wie schon teilweise im Jahr zuvor allesamt nicht im namensgebenden Von-Wattenwyl-Haus, sondern im mehr Platz bietenden Bernerhof stattfanden.
Im Beisein von Bundespräsident Guy Parmelin, den Bundesräten Alain Berset und Ignazio Cassis sowie Bundeskanzler Walter Thurnherr diskutierten die Spitzen der Regierungsparteien im Februar die aktuelle Lage, die steigenden Fallzahlen und mögliche Massnahmen, darunter die anlaufende Impfkampagne. Ebenfalls besprochen wurden die Digitalisierung der Verwaltung, insbesondere im Gesundheitsbereich, aber auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Arbeitsmarkt und Unternehmen. Die Regierung informierte zudem über den Stand der Europapolitik.
Auch im Mai trafen sich Bundespräsident, Gesundheitsminister, Aussenminister, Bundeskanzler und Parteipräsidien im Bernerhof, um erneut über die Gesundheits- und Wirtschaftslage sowie über das Europadossier zu diskutieren. Die Stabilisierung der Fallzahlen und die Fortschritte bei der Impfung der Bevölkerung – rund 10 Prozent hatten bereits eine Impfung erhalten – liessen die Diskussion erster Öffnungsschritte zu, welche auch dank der Einführung des Covid-Zertifikats möglich werden sollten. Gegenstand der Gespräche waren zudem die verschiedenen Massnahmen, die der Bund aufgrund der pandemiebedingten wirtschaftlichen Probleme ergriffen hatte. Bisher waren zur Bewältigung der Gesundheitskrise Ausgaben von rund CHF 40 Mrd. beschlossen worden. Der Aussenminister informierte über die «weiterhin substanziellen Differenzen» bei den Verhandlungen mit der EU im institutionellen Rahmenabkommen. Schliesslich wurde die China-Strategie diskutiert, die der Bundesrat im Frühjahr 2021 vorgelegt hatte.
Auch die traditionellerweise im Herbst in Form einer Klausur mit dem Gesamtbundesrat organisierten Von-Wattenwyl-Gespräche fanden im Bernerhof statt. Und wieder standen Covid-19 und Europa auf der Traktandenliste. Die gesundheitliche Lage hatte sich in der Zwischenzeit wieder verdüstert – auch weil die Impfquote nach wie vor tief war, worüber sich die Teilnehmenden der Gespräche austauschten. Im Europadossier plädierte der Bundesrat auf eine rasche Freigabe des Kohäsionsbeitrags. Weiteres zentrales Diskussionsthema war das Vorhaben der OECD, einen weltweiten Mindestsatz für Unternehmenssteuern in der Höhe von 15 Prozent einzuführen. Aufgrund der Ablehnung des CO2-Gesetzes im vergangenen Juni 2021 an der Urne, wollte der Bundesrat möglichst rasch eine Basis für eine neue Vorlage schaffen und informierte über erste entsprechende Gespräche mit Verbänden und Parteien.
Mitte November – auch die vierte Gesprächsrunde fand im Bernerhof statt – standen neben Gesundheits- und Europapolitik auch die «Corona-Schulden» auf dem Programm, weshalb neben Bundespräsident Guy Parmelin und Alain Berset auch Finanzminister Ueli Maurer und erneut Bundeskanzler Walter Thurnherr mit den Regierungsparteispitzen diskutierten. Angesichts des anbrechenden Winters, der nach wie vor zu tiefen Impfrate und einer neuen, ansteckenden Virusvariante wurde mit einem Anstieg der Fallzahlen gerechnet und entsprechende Massnahmen diskutiert. Finanzminister Ueli Maurer informierte über die Schulden in Höhe von CHF 25 Mrd., mit denen der Bundesrat bis Ende 2022 rechnete. Sparprogramme oder Steuererhöhungen könnten mit einer Anpassung des Finanzhaushaltsgesetzes vermieden werden, wie der Bundesrat bereits im Sommer vorgeschlagen hatte. Die angestrebte positivere Dynamik der Beziehungen zur EU war in den Gesprächen im November ebenso Gegenstand wie die Migrationssituation – in den ersten 10 Monaten waren rund ein Drittel mehr Asylgesuche gestellt worden als im Vorjahr – und eine mögliche Strommangellage, die mit einem «Konzept Spitzenlast-Gaskraftwerk» vermieden werden soll.

Von-Wattenwyl-Gespräche seit 2013

Rétrospective annuelle 2021: Problèmes politiques fondamentaux

Encore agitée par la pandémie de Covid-19, l'année 2021 s'est caractérisée par un climat politique mouvementé. Mis à part les tensions liées à la crise sanitaire, le clivage entre villes et campagne s'est également retrouvé sur le devant de la scène. Divers événements, tels que le championnat d'Europe de football, la fête nationale ou les jeux olympiques, ont mis du baume au cœur de la population et ont contribué à renforcer la cohésion nationale. Au niveau parlementaire, peu d'objets concernant les problèmes politiques fondamentaux se sont retrouvés à l'agenda de l'Assemblée fédérale.

Au début de l'année 2021, le conseiller fédéral Alain Berset revenait sur la résilience dont a fait preuve la population suisse en 2020 face à la pandémie. Il constatait néanmoins que la vague de solidarité du début s'était essoufflée lors de la deuxième vague, à l'automne 2020. Cette tendance s'est confirmée au cours de l'année 2021. Alors que les restrictions perduraient durant l'hiver, l'arrivée du vaccin donnait des signes d'espoir d'un retour à la normale, qui se faisait cependant attendre. Au printemps 2021, la population manifestait son ras-le-bol à plusieurs reprises. C'est en particulier la jeunesse qui souffrait de la situation, comme le démontrait une étude effectuée durant le confinement. Dans ce contexte d'incertitudes, certain.e.s politicien.ne.s s'exprimaient avec véhémence à l'encontre de la politique du Conseil fédéral. Pour être précis, l'UDC se positionnait en défenseur d'une partie de la population réfractaire aux mesures sanitaires. La mise en place du certificat sanitaire augmentait les tensions d'un cran, créant selon ses opposant.e.s des disparités entre les personnes vaccinées et celles qui ne l'étaient pas.

Evoquée à maintes reprises par la presse, la dégradation du climat politique s'est traduite par une augmentation des menaces à l'encontre du personnel politique. Comme le montrent les chiffres de Fedpol pour l'année 2020, une augmentation des messages «litigieux» adressés aux parlementaires fédéraux a été constatée. D'autres thèmes que la pandémie ont attisé des tensions: les deux initiatives anti-pesticide, soumises à votation en juin, ont suscité des débats houleux. Plutôt bien accueillies dans les villes, celles-ci ont été largement refusées dans les campagnes. La forte mobilisation du monde rural à cette occasion a également entraîné le refus de la loi sur le CO2. Voyant là un potentiel d'électeurs et électrices en vue des prochaines élections fédérales, l'UDC a profité de la fête nationale pour déployer sa stratégie d'opposition entre les villes et les campagnes. Traitant les villes rose-vertes de «parasites», le président du parti agrarien Marco Chiesa a jeté de l'huile sur le feu, insistant ainsi sur un clivage apparu à l'occasion de plusieurs votations ces dernières années.

Dans un registre plus fédérateur, le 1er août a été placé sous le sceau des 50 ans du droit de vote des femmes, introduit en 1971. Pour commémorer cet anniversaire, plus de 500 femmes en provenance de toute la Suisse se sont réunies sur la prairie du Grütli le premier août. En présence des conseillères fédérales Simonetta Sommaruga et Viola Amherd, l'occupation de ce bastion historiquement masculin par une audience presque exclusivement féminine a représenté un symbole fort. La Suisse s'apprête à fêter un autre anniversaire en 2023, année qui marquera les 175 ans de l'adoption de la première Constitution fédérale, en 1848. Dans cette optique, les députés Beat Flach (pvl, AG) et Hans Stöckli (ps, BE) ont demandé dans une motion aux Services du Parlement d'organiser des festivités. En outre, des motions demandant la création d'un lieu de commémoration officiel des victimes du national-socialisme en Suisse ont été acceptées par les chambres fédérales. Ces motions de Daniel Jositsch (ps, ZH) et Alfred Heer (udc, ZH) s'inscrivaient dans les traces de nombreux objets parlementaires exprimant la même volonté mais n'ayant jamais aboutis.

Si des divisions sont apparues au sein de la population, plusieurs événements, notamment sportifs, ont permis de retrouver un sentiment d'unité nationale. Largement relayée par les médias, la performance historique de l'équipe nationale suisse de football lors du championnat d'Europe a déclenché la ferveur des supporters et supportrices. L'autre événement sportif phare de l'été, à savoir les jeux olympiques de Tokyo, a notamment été le théâtre d'un triplé des suissesses lors de l'épreuve de VTT. Alors que ce sport a connu un succès grandissant avec la pandémie, la presse n'a pas manqué de rappeler les raisons qui font de la Suisse la nation du VTT.

Vue de l'étranger, la Suisse est perçue de manière positive, indique Présence Suisse dans son rapport pour l'année 2020. En prenant la huitième place du Nation Brands Index, la Suisse est le premier pays de taille moyenne de ce classement. Comme les années précédentes, le pays occupe les premières positions de plusieurs rankings. En effet, le Global Wealth Report 2021 désigne la Suisse en tant que pays avec la richesse moyenne par adulte la plus élevée, alors qu'elle serait le troisième pays le plus heureux du monde selon le World Happiness Report 2021.

En 2021, la thématique des problèmes politiques fondamentaux s'est frayée une place significative dans l'espace médiatique. En effet, plus de 2 pour cent des articles de presse étaient consacrés à ce thème, alors que ce taux naviguait autour de 1.5 pour cent les années précédentes. Avec les nombreuses coupures de presse relatant la performance de la Suisse à l'Euro ainsi que l'approche de la fête nationale, le mois de juillet a connu la plus forte part des articles consacrés à ce chapitre (presque 4%; cf. figure 1 sur l’évolution des médias 2021 en annexe).

Rétrospective annuelle 2021: Problèmes politiques fondamentaux
Dossier: Rétrospective annuelle 2021

Bereits im Vorjahr waren die Meinungen über die Leistungen der Landesregierung während der Covid-19-Pandemie auseinandergegangen. Die Kritik am Bundesrat nahm im Covid-19-Jahr 2021 aber noch einmal merklich zu. Besondere Aufmerksamkeit erhielt dabei Alain Berset. Insbesondere die SVP übte via Medien Kritik am Gesundheitsminister und forderte Mitte Januar 2021, dem SP-Magistraten solle das Gesundheitsdossier entzogen werden, weil er versagt habe. Christoph Blocher bezeichnete Berset gar als «Diktator». Obwohl der amtierende Bundespräsident und SVP-Bundesrat Guy Parmelin daran erinnerte, dass es sich bei der Regierung um «ein Team» handle, und die Kollegialität betonte und der zweite SVP-Bundesrat Ueli Maurer darauf hinwies, dass es niemandem diene, wenn die Bunderatsmitglieder gegeneinander ausgespielt würden – Aussagen, die etwa vom Tages-Anzeiger als Zeichen eines Zusammenschweissens der Landesregierung und von La Liberté als «grand moment d'unité» bezeichnet wurden –, gingen die Angriffe auf einzelne Regierungsmitglieder weiter. So urteilte etwa die Weltwoche, dass Alain Berset «beide Pandemiewellen verschlampt und wirtschaftlich einen Schlamassel angerichtet» habe, von den Medien aber als Held gefeiert werde. Die SVP forderte derweil die Einführung eines Impeachmentverfahrens in der Schweiz, mit dem Regierungsmitglieder abgewählt werden könnten. Die Macht des Bundesrats, der die Diktatur eingeführt habe, müsse gebrochen werden, gab auch SVP-Präsident Marco Chiesa (svp, TI) in Interviews zu Protokoll. Und wiederum die Weltwoche wähnte sich ob des von ihr festgestellten gegenseitigen Misstrauens in der Regierung, in der Anträge von rechts auf eine links-bürgerliche Blockade stossen würden, «wie in einem kalten Krieg». Es brauche deshalb «sieben neue Bundesräte».

Aber auch der Gesamtbundesrat wurde kritisiert. Es brauche ein «deutlich rascheres und entschlosseneres Vorgehen» gegen die Pandemie, forderte etwa die NZZ Mitte Januar 2021. Der Bundesrat müsse seinen Verfassungsspielraum konsequenter ausnutzen und dürfe «entgegen den helvetischen Gepflogenheiten» nicht den langwierigen Mittelweg gehen, bei dem alle Kritikerinnen und Kritiker angehört und integriert würden. Ende Februar ärgerte sich die gleiche Zeitung dann allerdings über die «magistrale Sturheit», die Restaurant-Terrassen noch nicht wieder öffnen zu wollen. Dass die Regierung dem «Druck zur schnelleren Öffnung nicht nachgegeben» habe, sei zwar «hart für die Betroffenen – aber leider richtig», beurteilte denselben Umstand freilich der Tages-Anzeiger und attestierte dem Bundesrat «Rückgrat».

Schriller war die Kritik von Covid-19-Massnahmengegnerinnen und -gegnern an der Regierung. So wusste etwa der Tages-Anzeiger zu berichten, dass der stellvertretenden Armeechef Aldo C. Schellenberg Briefe erhalten habe, die ihn aufforderten, für den Bundesrat ein Kriegsgericht einzurichten. Ende Februar leitete die Bundesanwaltschaft gleich fünf Verfahren wegen Bedrohungen einzelner Magistratspersonen via soziale Medien ein. Bei einem Auftritt in der politischen Diskussionssendung «Arena» im Sommer 2021 erhielt Alain Berset Polizeischutz und auch das Fedpol ergriff zunehmend Schutzmassnahmen wegen massiver Drohungen gegen Bundesrätinnen und Bundesräte.

Immer wieder kritisierten die Medien zudem die Informationspolitik der Regierung. Auf der einen Seite wurden die Indiskretionen gerügt, die verhindert hätten, dass der Bundesrat Entscheidungen über Covid-19-Massnahmen wenigstens so lange habe geheimhalten können, bis sie mit den Kantonen abgesprochen worden seien. Auf der anderen Seite wurde vermutet, dass jene Medien beneidet werden, die mit ebendiesen Indiskretionen versorgt wurden und diese medial ausschlachteten. Die Weltwoche sprach etwa von der «Berset-Verschwörung». Dank «Schützenhilfe von den Medien» könne er die von ihm vorgesehenen Covid-19-Massnahmen stets durchsetzen.

Für einige Diskussionen sorgte auch die Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und Wissenschaft. Noch im Januar warfen die Medien der aus Wissenschafterinnen und Wissenschaftern unterschiedlicher Disziplinen zusammengesetzten Task Force vor, selber Politik machen zu wollen. Im Februar wendete sich das Blatt, nachdem bekannt geworden war, dass ebendiese Task Force im Sommer 2020 vor einer zweiten Welle gewarnt hatte, die Behörden diese Warnung allerdings in den Wind geschlagen und wichtige Massnahmen zu früh aufgehoben hätten. Die NZZ kam dabei etwa zum Schluss, dass die Wissenschaft «zu lange ignoriert» worden sei.

Die Kritik flaute parallel mit den abnehmenden Fallzahlen ab dem Frühjahr 2021 dann merklich ab. Zwar wiederholte die Weltwoche noch lange Zeit ihre Kritik an Alain Berset («Captain Long Covid», «Impfdebakel heisst Alain Berset», «Stricken an der eigenen Legende»), bei den restlichen Medien geriet die Regierung allerdings bald aus der Schusslinie.

In die Schlagzeilen geriet Mitte September freilich Ueli Maurer, weil er als «Freiheitstrychler» posierte. An einem SVP-Lokalanlass hatte sich der Finanzminister ein T-Shirt der Covid-19-Massnahmengegnerinnen und -gegner übergestreift und sich fotografieren lassen. Das Bild verbreitete sich via soziale Medien und wurde auf der einen Seite als «Bruch der Kollegialität» (Tages-Anzeiger), ja gar als Versuch, das Land zu spalten (Balthasar Glättli, gp, ZH im Blick) kritisiert, auf der anderen Seite als freie Meinungsäusserung (Thomas Matter, svp, ZH im Tages-Anzeiger) oder auch als Zeichen, dass «vielen Unzufriedenen im Land zumindest inoffiziell magistrales Verständnis» entgegengebracht werde (NZZ), verteidigt. Maurer selber gab in der Aargauer Zeitung zu Protokoll, dass er gar nicht gewusst habe, in «welchen Zusammenhang dieses Leibchen offenbar gebracht wird». Ähnlich wie die SVP im Frühjahr Alain Berset angegriffen hatte, nutzte die SP die T-Shirt-Affäre für Kritik an Ueli Maurer und stellte in der parlamentarischen Fragestunde nicht weniger als neun Fragen zu Maurers von der SP als «Bedrohung der Regierungskollegialität» bezeichneten Aktion. Bundespräsident Guy Parmelin beantwortete alle neun Fragen gleichzeitig, indem er auch bei den Angriffen von links auf das Kollegialitätsprinzip verwies: «Le Conseil fédéral ne commente pas les propos que l'un de ses membres a ou aurait prononcés en public».

Kritik am Bundesrat wegen Covid-Politik 2021

In der Wintersession 2021 setzte sich der Ständerat mit der Abschreibung der Motion Graber (cvp, LU; Mo. 13.4184) zur Ermöglichung und Förderung zukunftsgerichteter Anlagen durch die Vorsorgeeinrichtungen auseinander. Dabei gingen die Meinungen zur Frage, inwiefern der Bundesrat die Anliegen der Motion tatsächlich umgesetzt habe, weit auseinander. Als «weitgehend erfüllt» erachtete Kommissionssprecher Hannes Germann (svp, SH) den Vorstoss. Der Bundesrat habe zahlreiche Massnahmen getroffen, um die Rahmenbedingungen für Startups zu verbessern. Bundesrat Berset wies darüber hinaus auf eine bereits in Kraft getretene Verordnungsänderung hin. Die Schaffung des Zukunftsfonds, der die Betreuung der zukunftsträchtigen Anlagen der Pensionskassen übernehmen soll, sei in der Motion hingegen als Einladung an den Bundesrat, nicht als explizite Aufforderung formuliert. Minderheitensprecher Hegglin (mitte, ZG) erachtete die Motion hingegen als noch nicht umgesetzt. So seien die «steuerlichen Rahmenbedingungen für Start-ups [...] kaum verbessert worden», vor allem seien die für Start-ups sehr wichtige Verlängerung des steuerlichen Verlustvortrags und der Zukunftsfonds Schweiz noch nicht geschaffen worden. Mit 27 zu 15 Stimmen sprach sich der Ständerat dennoch für Abschreibung der Motion aus.

Zukunftsfonds Schweiz (Mo. 13.4184)

Zu Beginn der Wintersession 2021 machte sich der Ständerat an die Beratung der vierten Revision des Covid-19-Gesetzes. Kommissionssprecher Rechsteiner (sp, SG) verwies auf die in doppeltem Sinne spezielle Ausgangslage: Einerseits habe man ursprünglich erwartet, dass die Pandemie bis Ende 2021 vorüber sei – entsprechend habe man das Covid-19-Gesetz ursprünglich bis Ende 2021 begrenzt. Nun stiegen jedoch die Infektionszahlen «in einem Ausmass, das wir uns noch vor Kurzem so nicht hätten vorstellen können». Zudem hatten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nur Tage zuvor nach dem Gesetz selbst auch dessen zweite Revision an der Urne mit über 60 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen. «Das Abstimmungsresultat kann so auch als eindrückliche Bestätigung der Politik und der Beschlüsse des Bundesrates [...] gelesen werden, aber auch – und das möchte ich hier unterstreichen – als eine Bestätigung der Politik und der Beschlüsse des Parlamentes», freute sich Rechsteiner. Da die Krise aber noch nicht zu Ende sei, müssten auch die «nötigen Massnahmen zur Krisenbewältigung» aufrechterhalten werden. Aus diesem Grund stimme die SGK-SR den Verlängerungsanträgen des Bundesrates zu und sei in einigen Punkten darüber hinausgegangen. Auch Gesundheitsminister Berset verwies auf den neuen Höchststand an täglichen Fallzahlen und betonte insbesondere die ungewisse Situation: Zwar habe man im Vergleich zum letzten ähnlich starken Anstieg eine Impfung und eine gewisse Immunität gegenüber dem Virus entwickelt, gleichzeitig sei diese Mutation jedoch viel ansteckender als frühere. Dennoch möchte der Bundesrat auf die zusätzlichen, durch die Kommission eingebrachten Verlängerungen verzichten, da es in den jeweiligen Bereichen auch ordentliche Instrumente gebe, die genutzt werden könnten. Eintreten wurde in der Folge ohne Gegenantrag beschlossen.
Den zentralen Aspekt dieser Gesetzesänderung stellte die Verlängerung der Geltungsdauer einzelner Artikel dar. Der Bundesrat plante, die verschiedenen Regelungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auslaufen zu lassen. Als erstes sollte Ende April 2022 die Übernahme der nicht gedeckten Kosten für Publikumsanlässe, der sogenannte Schutzschirm für Publikumsanlässe, fallen – wie es bereits in der geltenden Version des Covid-19-Gesetzes vorgesehen war. Bisher sei noch kein entsprechender Antrag auf Entschädigung eingegangen, betonte Gesundheitsminister Berset. Da die Massnahme also nicht zwingend nötig erscheine, solle man sie im Sinne einer Übergangslogik nach dem Winter auslaufen lassen. Dagegen wehrte sich jedoch die SGK-SR, welche den Schutzschirm bis Ende 2022 aufrechterhalten wollte. Er sei auch im Jahr 2022 nötig, betonte Kommissionssprecher Rechsteiner – wenn die Gelder nicht beansprucht würden, sei dies umso besser. Mit 37 zu 5 Stimmen (bei 1 Enthaltung) setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen den Bundesrat durch.
Bei der Unterstützung der Sportvereine hingegen folgte der Ständerat stillschweigend dem Vorschlag des Bundesrates: Ende Juni 2022, nach der aktuellen Sportsaison, sollen die A-Fonds-perdu-Beiträge und Darlehen für die Sportklubs auslaufen.
Für die meisten Massnahmen beabsichtigte der Bundesrat eine Laufzeit bis Ende 2022, so etwa für die Kriterien und Richtwerte des Covid-19-Gesetzes, für die meisten Bestimmungen zu Massnahmen im Gesundheitsbereich, für alle Massnahmen zum Arbeitnehmendenschutz, im Asyl- und Ausländerbereich, zu Grenzschliessungen, zum Einsatz technischer Hilfsmittel bei Verhandlungen und Einvernahmen sowie bei den übrigen Massnahmen im Kulturbereich (mit Ausnahme des Schutzschirms). Im Unterschied zum Bundesrat beantragte die Mehrheit der SGK-SR überdies verschiedene Massnahmen der ALV, insbesondere diejenigen zur Kurzarbeitsentschädigung, aber etwa auch die längere Rahmenfrist für den Leistungsbezug oder eine Regelung zur Entlastung der Durchführungsstellen, bis Ende 2022 zu verlängern. Der Bundesrat wehrte sich erfolglos dagegen, während eine Minderheit Hegglin (mitte, ZG) zukünftig zumindest auf das vereinfachte Abrechnungsverfahren in der Arbeitslosenversicherung verzichten wollte. Sein Antrag blieb jedoch ebenfalls erfolglos.
Vergessen gegangen in der Liste der Verlängerungen seien die Massnahmen im Bereich der politischen Rechte, kritisierte Thomas Minder (parteilos, SH) und schlug in einem Einzelantrag auch deren Verlängerung bis Ende 2022 vor. Die Sammlung von Unterschriften sei Corona-bedingt noch immer erschwert, weshalb die administrative Erleichterung für die Referendums- und Initiativkomitees beibehalten werden solle. Mit 40 zu 4 Stimmen hiess der Ständerat die entsprechende Verlängerung gut.
Jakob Stark (svp, TG) beantragte schliesslich in einem Einzelantrag, die generelle Geltungsdauer des Covid-19-Gesetzes, welche Bundesrat und Kommission bis Ende 2022 verlängern wollten, auf Ende Juni 2022 zu beschränken. Er wollte damit dem Bundesrat sowie der Bevölkerung das Signal geben, dass man im Laufe des Jahres wieder zu der ordentlichen Gesetzgebung zurückkehren wolle. Entsprechende Anträge seien auch in der WBK und der SGK-NR diskutiert worden. Nachdem Hans Stöckli (sp, BE) korrigiert hatte, dass es sich auch beim Covid-19-Gesetz um ordentliche Gesetzgebung handle – wenn auch um dringliche –, lehnte der Ständerat den Antrag Stark mit 28 zu 10 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) ab.

Neben den Fristverlängerungen sah der Bundesrat nur wenige weitere Änderungen des Covid-19-Gesetzes vor. Eine davon betraf die Erwerbsausfallentschädigungen. Diese wollte die Regierung und mit ihr eine Minderheit Hegglin zukünftig nur noch im Falle von Unterbrüchen in der Erwerbstätigkeit aufgrund von Covid-19-Massnahmen des Bundes gewähren, nicht aber wie bisher auch bei massgeblichen Einschränkungen der Erwerbstätigkeit. Die Regelung dazu, was massgebliche Einschränkungen seien, sei zu unklar und berge daher Missbrauchspotenzial, kritisierte Hegglin. Die Mehrheit der SGK-SR wollte hingegen beim geltenden Recht bleiben – Kommissionssprecher Rechsteiner verwies auf zahlreiche Verbände betroffener Branchen, die um eine Beibehaltung der bisherigen Regelung gebeten hätten. Mit 34 zu 8 Stimmen sprach sich der Ständerat für den Mehrheitsantrag aus. Stillschweigend folgte der Ständerat der Regierung hingegen bei ihrem Vorschlag, neben den Kantonen neu auch dem SECO Kontrollmöglichkeiten bezüglich der Härtefallmassnahmen zu gewähren.
Ein Minderheitsantrag Germann (svp, SH) schlug schliesslich als Ergänzung zum geltenden Recht vor, dass angemessene Schutzkonzepte bei Veranstaltungen und privaten Zusammenkünften zukünftig nur möglich sein sollen, wenn sie zur «Sicherstellung der Kapazitäten im Gesundheitsbereich» erforderlich sind. Gemäss geltendem Recht mussten sie «verhältnismässig» sein. Er wolle damit verhindern, dass die Covid-19-Massnahmen «leichtfertig wieder auf alle möglichen Aktivitäten in den Bereichen Sport, Kultur und Freizeit ausgedehnt werden könnten», begründete Germann den Antrag. Mit 28 zu 14 Stimmen lehnte der Ständerat die Ergänzung ab.
Auch in anderen Gesetzen standen einzelne Regelungen zur Diskussion: Stillschweigend verlängert wurde dabei die Geltungsdauer einzelner Bestimmungen im Epidemiengesetz, etwa zum Proximity-Tracing-System, zur internationalen Zusammenarbeit und zu den Ordnungsbussen. Ein Einzelantrag Hegglin verlangte überdies, dass der Bund auch im Jahr 2022 einen ausserordentlichen Beitrag an den ALV-Ausgleichsfonds leisten und wie in den Jahren zuvor die Aufwendungen für die Kurzarbeitsentschädigung übernehmen solle. Mit 39 zu 0 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) sprach sich der Ständerat für diese Regelung aus.

In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat die vierte Revision des Covid-19-Gesetzes mit 34 zu 0 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) an. Ratspräsident Hefti (fdp, GL) gab dabei bekannt, dass der Rat zwei Petitionen (Pt. 21.2007 «Corona-Massnahmen und Impfpass» von Regula Heinzelmann und Pt. 21.2020 «Für einen Strategiewechsel beim Corona-Gesundheitsschutz» von Peter Mattmann-Allamand) zur Kenntnis genommen habe.

Vierte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung von einzelnen Bestimmungen, BRG 21.066)
Dossier: Loi COVID-19 et révisions

In der Wintersession 2021 nahm sich der Ständerat einer Motion Feller (fdp, VD) an, welche im Kampf gegen Covid-19 die Durchführung serologischer Tests in Apotheken forderte. Für die SGK-SR berichtete Josef Dittli (fdp, UR), dass sich die Situation seit dem Einreichen des Vorstosses verändert habe und die entsprechenden Tests mittlerweile in Schweizer Apotheken angeboten würden. Die Forderung der Motion sei daher bereits erfüllt respektive überholt. Daher empfehle die Kommission die Ablehnung des Geschäfts. Gesundheitsminister Berset kam in seiner Wortmeldung zum gleichen Schluss. In der Folge lehnte das Stöckli den Vorstoss stillschweigend ab.

Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus. Apotheken sollen serologische Tests durchführen können (Mo. 20.3249)

Wie sie gleich nach der ersten Abstimmung über das Covid-19-Gesetz angekündigt hatten, ergriffen die Freunde der Verfassung, das Netzwerk Impfentscheid und das Aktionsbündnis Urkantone auch das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes, unterstützt wurden sie dabei von der Jungen SVP. Innert drei Wochen – mehr Zeit hatte das Referendumskomitee nach der erfolglosen Abstimmung über das Covid-19-Gesetz nicht zur Verfügung – sammelten sie 187'239 Unterschriften. 5'401 Unterschriften wiesen dabei bereits eine Stimmrechtsbescheinigung auf, für weitere 75'526 Unterschriften liess die Bundeskanzlei eine entsprechende Prüfung vornehmen – aufgrund des Covid-19-Gesetzes war es zu diesem Zeitpunkt möglich, auch unbescheinigte Unterschriften einzureichen. In der Folge bestätigte die Bundeskanzlei das Zustandekommen des Referendums mit 74'469 gültigen Unterschriften. Diese hohe Anzahl Unterschriften in so kurzer Zeit sorgte in der Presse für einige Anerkennung bezüglich der Organisationsfähigkeit und des breiten Netzwerks des Komitees, die NZZ sprach etwa von einem (erneuten) «Achtungserfolg». Die Medien wiesen aber auch auf die hohen Kosten und die entsprechenden finanziellen Mittel hin, welche für das Zustandekommen des Referendums nötig gewesen seien.

Ins Zentrum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes stellte das Referendumskomitee vier Argumente: Als besonders kritisch erachtete es erstens das Covid-19-Zertifikat, welches zu einer «Zweiklassengesellschaft» und zur Diskriminierung von 2 Mio. Menschen führe. Teilweise wurde das Zertifikat gar mit der Rassentrennung des Apartheids-Regimes Südafrikas verglichen. Zweitens kritisierten die Gegnerinnen und Gegner der Reform die Befreiung der Geimpften – nicht aber der Ungeimpften – von der Quarantänepflicht, womit Letztere diskriminiert würden. Bei beiden Massnahmen werde ignoriert, dass auch Geimpfte ansteckend sein und sich selbst anstecken könnten. Drittens erkannte das Komitee in den Regelungen zur Kontaktrückverfolgung eine Möglichkeit zur Massenüberwachung der Bevölkerung. Und schliesslich kritisierte es viertens die weitreichenden zusätzlichen Kompetenzen, welche die Revision für den Bundesrat mit sich bringe und welche die Gefahr einer Diktatur verstärkten. Insgesamt seien dies «radikale und extreme Umkehrungen in unserer Gesellschaft», welche man mit dem Referendum verhindern wolle.

Früh zeichnete sich ab, dass diesmal auch die SVP das Referendum unterstützen würde. Hatte sie bei der Juni-Abstimmung aufgrund der breiten wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen noch Stimmfreigabe erteilt, standen die Wirtschaftshilfen in dieser Revision deutlich weniger im Zentrum. Zudem mache ein Engagement gegen das Gesetz für die SVP Sinn, zumal es in keiner Partei mehr Personen gebe, welche die offizielle Corona-Politik des Bundes ablehnten, hob die Weltwoche hervor. Ende August 2021 fasste die Delegiertenversammlung der SVP mit 181 zu 23 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) die Nein-Parole zum Gesetz deutlich. In der Folge sprachen sich zwar mit Aargau und Glarus zwei Kantonalsektionen für das Gesetz aus, ansonsten zeigte sich die Partei aber deutlich geeinter als noch bei der Juni-Abstimmung, als 16 Kantonalparteien von der nationalen Parole abgewichen waren.

Daneben machten vor allem ein linkes Komitee «Geimpfte gegen das Covid-Gesetz» und dessen prominenteste Vertreterin, die Schriftstellerin Sibylle Berg, von sich reden. Das Komitee kritisierte einerseits, dass mit dem Zertifikat Ungeimpften – aber etwa auch Sans-Papiers – der Zugang zum gesellschaftlichen Leben verweigert werde, und äusserte andererseits Datenschutzbedenken. Es werde eine «Infrastruktur für totale Überwachung geschaffen», wurde gar argumentiert. Jedoch warf die WOZ dem Komitee selbst mangelnde Transparenz vor, nachdem sie bei einer Inserateanfrage festgestellt hatte, dass das Inserat über den SVP-Werber Alexander Segert bezahlt worden war. Das Komitee selbst habe zugegeben, dass es nicht wisse, wer genau das Inserat finanziert habe, betonte die Zeitung.

Neben der SVP sprach sich von den nationalen Parteien nur die EDU gegen das Gesetz aus, jedoch gaben auch die Jungfreisinnigen des Kantons Thurgau, die Mitte-Partei des Kantons Neuenburg sowie die Schweizer Demokraten des Kantons Bern Nein-Parolen aus. Unterstützt wurden die Referendumsführenden erneut auch von der Organisation «Mass-Voll», was aufgrund ihres radikaleren Stils vereinzelt zu Spannungen führte.

Anders als bei der Juni-Abstimmung setzten die Befürworterinnen und Befürworter der zweiten Revision diesmal weniger stark auf das Wirtschaftsargument. Vielmehr stand zu Beginn der Diskussionen um die Vorlage – kurz vor und während der Sommerferien – vor allem die gefährdete Reisefreiheit im Zentrum der Kritik. So bedarf das Schweizer Zertifikat zur Anerkennung durch die EU einer gesetzlichen Grundlage, welche mit Ablehnung der Revision nicht mehr vorhanden wäre, erklärte etwa EDI-Sprecher Markus Binder. Ein freiwilliger Einsatz des Zertifikats für Reisen sei somit nicht möglich, genauso wenig wie ein erneutes dringliches Gesetz zur Schaffung einer solchen rechtlichen Grundlage. Somit müsste das Parlament den ordentlichen Weg der Gesetzgebung beschreiten, wobei unklar sei, wie lange sich dies hinziehen würde.
Als weiteres zentrales Argument warnten die Befürwortenden des Gesetzes vor dem «Schliessungshammer» (NZZ), der ohne Zertifikat drohe. Denn ohne das Zertifikat habe der Bundesrat keine «weicheren» Optionen und müsse bei einem erneuten Anstieg der Fallzahlen und vor allem der Spitalauslastung wieder mit einem Lockdown reagieren, wurde befürchtet. Somit könne sich das Nein der Gegnerinnen und Gegner zum Eigentor entwickeln, indem sie dadurch weniger Freiheiten hätten als vor dem Referendum.
Insbesondere in Kultur-, Gastro- und Hotelleriekreisen hob man schliesslich die zentrale Bedeutung des Zertifikats sowie des Schutzschirms für Grossveranstaltungen hervor, die beide nur aufgrund der Revision des Covid-19-Gesetzes möglich waren. Man habe bisher stark unter der Pandemie gelitten, könne nun aber aufgrund des Zertifikats die Lokale und Veranstaltungen wieder stärker auslasten. Gerade auch dank des Schutzschirms für Grossveranstaltungen sei überhaupt erst wieder an eine Planung für Grossanlässe zu denken.

Die Befürwortenden bildeten ein breites Spektrum der Schweizer Politiklandschaft ab: Von den nationalen Parteien sprachen sich EVP, FDP, GLP, Grüne, Mitte, PdA und SP für das Gesetz aus, ebenso wie Economiesuisse, der Gewerbeverband, der SGB, Travailsuisse sowie verschiedene Tourismus-Organisationen. Auch Swiss Olympic sprach sich mit Verweis auf die Wichtigkeit des Zertifikats für den Sport für das Gesetz aus.

Bei der medialen Berichterstattung über mögliche Folgen eines Neins standen vor allem Unsicherheiten im Vordergrund. Klar war, dass die Regelungen aus der zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes bei einem Nein an der Urne bis ein Jahr nach ihrer Verabschiedung vom Parlament in Kraft bleiben würden – konkret somit bis zum 19. März 2022. Jedoch waren die meisten Regelungen des Covid-19-Gesetzes bis Ende 2021 begrenzt, einige zentrale Aspekte, wie zum Beispiel der Schutzschirm für die Grossveranstaltungen, aber auch Regelungen bezüglich der Arbeitslosenversicherung könnten aber noch bis Mitte 2022 oder gar Ende 2023 in Kraft bleiben. Denkbar war überdies eine Verlängerung des Covid-19-Gesetzes. Ob dies nötig sein würde, war von der Entwicklung der Pandemie abhängig: Womöglich wäre die Pandemie bereits vor Auslaufen der entsprechenden Regelungen vorbei, so dass die Unterstützungsmassnahmen für die Wirtschaft oder das Covid-19-Zertifikat gar nicht mehr vonnöten wären, spekulierten die Medien. Auch was bei einem Nein bis im März 2022 genau passieren würde, war unklar. So könnte das Covid-19-Zertifikat zwar rechtlich den Winter hindurch weiterhin in Kraft bleiben, ob dies politisch jedoch durchsetzbar wäre, war gemäss Presse fraglich. Schliesslich fragte man sich auch, ob eine durch das Epidemiegesetz begründete Einlasskontrolle das fehlende Zertifikat ersetzen könne. Diese Vermutungen unterband Bundesrat Berset jedoch, indem er klarstellte, dass zwar eine Zulasskontrolle für Geimpfte und Ungeimpfte aufgrund des Epidemiengesetzes rechtlich weiterhin möglich wäre, das dafür nötige Kontrollinstrument mit dem Zertifikat jedoch verloren ginge und es somit wenn nötig nur noch Einschränkungen für alle – Geimpfte und Ungeimpfte – gebe.

Im Abstimmungskampf dominierten anfangs die Gegnerinnen und Gegner der Revision deutlich. Sie nahmen ihren Schwung aus dem «Achtungserfolg», den sie mit über 40 Prozent Nein-Stimmen bei der Juni-Abstimmung und dem grossen Sammelerfolg bei den Unterschriften erzielt hatten, mit. Die Gegnerschaft der Revision begann demnach früh, Flyer, Inserate und Plakate zu publizieren – immer wieder sprachen die Medien von 50 Tonnen Werbematerial, welches die Gegnerschaft für den Abstimmungskampf produzierte. Gleichzeitig warben sie auf Youtube und Telegram für ein Nein zur Änderung des Gesetzes und gingen letztlich gemäss Zeitungsberichten gar von Haustür zu Haustür. Überdies verschafften sie sich mit fast wöchentlichen Demonstrationen Aufmerksamkeit – insbesondere die sogenannten Freiheitstrychler wurden bald zum Symbol des Protests gegen die bundesrätlichen Massnahmen – und eine Möglichkeit, ein breites Netzwerk zu erreichen, wie die Medien betonten. Lange Zeit waren denn sowohl in den Medien als auch werbetechnisch fast ausschliesslich die Gegnerinnen und Gegner zu sehen und zu hören. Organisiert wurde ihre Kampagne von der PR-Firma von Alexander Segert, der zuvor bereits mit verschiedenen umstrittenen Kampagnen für die SVP aufgefallen war. In einem Crowdfunding hatte das Contra-Komitee gemäss eigenen Angaben in wenigen Tagen CHF 300'000 eingenommen, die Medien berichteten aber auch über hohe Einzelbeträge von vermögenden Personen.

Bereits Mitte August wurden die Befürworterinnen und Befürworter der Revision für ihr fehlendes Engagement im Abstimmungskampf kritisiert. Als Mitte Oktober noch immer nichts von einer koordinierten überparteilichen Pro-Kampagne zu sehen war, wurden die Medien langsam ungeduldig. Sie befürchteten, dass sich die Befürwortenden ob der hohen Rate an Geimpften und später auch der Vorumfragen, die auf eine Zustimmung zwischen 61 Prozent (1. & 2. Welle SRG) und 69 Prozent (3. Welle Tamedia) hindeuteten, in falscher Sicherheit wiegten. So sei es deutlich schwieriger, «eine schweigende Mehrheit zu mobilisieren […] als eine laute Minderheit» (NZZ). Sie zeigten aber auch Verständnis für die Probleme der befürwortenden Parteien: Diese hätten kaum Geld zur Verfügung, zumal die Wirtschaftsverbände kein Geld für eine Kampagne aufwenden wollten. «Weil lange rein gar nichts ging», wie er erklärte, gründete der Zürcher FDP-Lokalpolitiker Peter Metzinger ein zivilgesellschaftliches Pro-Komitee. Sein Komitee verfügte nur über wenig Geld, bekam aber nach einer Weile «einen Zustupf im überschaubaren Rahmen» von der Economiesuisse, wie Michael Wiesner, Kommunikationsleiter von Economiesuisse, erklärte.
Mitte Oktober folgte dann zwar eine gemeinsame Pressekonferenz der Parteipräsidentinnen und -präsidenten von EVP, FDP, GLP, Grünen, Mitte und SP, in dem sie das Gesetz als Schlüssel zur Freiheit und als pragmatisches Mittel, um aus der Krise zu kommen, präsentierten. Die Medien erkannten in der nüchternen Kommunikationsweise zwar durchaus eine Notwendigkeit – man hatte weder das Geld noch die Zeit für eine emotionale Kampagne –, erachteten diese ob der lauten und emotionalen Gegnerschaft aber auch als sinnvolle Taktik. In der Folge lancierten verschiedene Parteien und Verbände Aufrufe und Appelle für eine Annahme der Revision, etwa über die sozialen Medien.
Eine eigene Kampagne lancierte schliesslich die sogenannte Tourismus-Allianz unter der Führung des Schweizer Tourismus-Verbands, die für ein Ja zur Gesetzesrevision als Basis für grenzüberschreitenden Tourismus und für EU-kompatible Nachweise warb. Aufmerksamkeit erzielte auch Andreas Kyriacou, Präsident der Freidenker-Vereinigung, der anfangs nur ein Plakat mit dem Slogan «Impfen statt Schimpfen» und der Unterschrift «Freiheitsimpfler» veröffentlichte. Dieses fand rasch Verbreitung in den sozialen Medien und generierte Spenden, dank denen es in der Folge in über 100 Gemeinden aufgehängt wurde.

Je näher der Abstimmungssonntag rückte, desto nervöser wurden sowohl das Pro- als auch das Contra-Lager, wie die Medien ausführlich berichteten. So beklagten sich etwa beide Seiten über fehlende Akzeptanz und Diskussionsbereitschaft der anderen Seite. Immer wieder war in den Medien von einer «Spaltung der Gesellschaft» die Rede. Die Gegnerschaft monierte einerseits die fehlende Nennung der Zertifikate im Gesetzestitel – was auf die nachträgliche Ergänzung der Regelungen zum Covid-19-Zertifikat durch das Parlament zurückzuführen war – und reichte gemäss NZZ am Sonntag 750 – häufig identische – Abstimmungsbeschwerden bei den Kantonen ein. Andererseits kritisierten die Gegnerinnen und Gegner, dass sie mehrfach unter fadenscheinigen Begründungen davon abgehalten worden seien, ihre Plakate aufzuhängen, oder dass diese gezielt heruntergerissen worden seien.
Die Befürworterinnen und Befürworter monierten hingegen insbesondere den rauen Ton der Gegnerschaft, der sich zudem verstärkt habe und schliesslich gar in Todesdrohungen gegen einen Politiker ausgeartet seien. Insbesondere die Mahnung des Berner Sicherheitsdirektors Reto Nause (BE, mitte) kurz vor dem Urnengang warf in den Medien grosse Wellen: «Wir erwarten einen unruhigen Abstimmungssonntag. Was, wenn die Gegner des Covid-Gesetzes das demokratische Verdikt nicht akzeptieren?», fragte er rhetorisch. So sei von vereinzelten Personen im Internet bereits zur Bewaffnung aufgerufen worden. Auf beiden Seiten berichteten die Medien überdies von Stimmen, die sich vor Ungereimtheiten bei der Abstimmung durch die andere Seite fürchteten – etwa versperrte Abstimmungslokale oder Manipulation der brieflichen Stimmen. Umgehend beteuerten jedoch verschiedene Mitglieder der Gegnerschaft, etwa der Sprecher des Aktionsbündnisses Urschweiz und Organisator der Contra-Kampagne, Josef Ender, oder die Präsidentin der Jungen SVP Zürich, Camille Lothe, dass es keine Hinweise auf Manipulation der Stimmabgabe oder der Auszählung gebe.
Die Medien sprachen ob diesen Vorwürfen von einer Gefahr für die Demokratie: Dass eine Seite die Einhaltung der demokratischen Regeln in Frage stelle, habe es so noch nie gegeben und sei brandgefährlich, war der Tenor. Der emeritierte Politikwissenschaftsprofessor Wolf Linder versuchte hingegen, die Geschehnisse zu relativieren: So würden «keine Parteien oder signifikanten politischen Kräfte die Verlässlichkeit unserer Abstimmungsergebnisse ernsthaft hinterfragen», daher solle man diesen Einzelmeinungen nicht zu viel Gewicht beimessen. Gar etwas Positives konnte Stefan Schmid von CH Media der aufgeheizten Situation abgewinnen: Sie steigere die erwartete Beteiligung an der Abstimmung. Die Pandemie habe denn auch die Gesellschaft nicht gespalten, sondern nur entsprechende Unterschiede sichtbarer gemacht. «Wichtig ist jetzt freilich, dass sich nach geschlagener Schlacht Siegerinnen und Verlierer, wie das hierzulande üblich ist, die Hand reichen und das Sägemehl von der Schulter klopfen», betonte er. Andere Kommentatorinnen und Kommentatoren zweifelten jedoch daran, ob dies allen Gegnerinnen und Gegner bei einer allfälligen Niederlage gelingen würde.

Neben den Kampagnen von Befürwortenden und Gegnerschaft wurde die Abstimmung zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes auch stark von den äusseren Umständen, allen voran von der Entwicklung der Pandemie beeinflusst. So begannen Mitte Oktober 2021 die Covid-19-Fallzahlen in der Schweiz, vor allem aber auch im benachbarten Ausland, wieder zu stiegen. Teile Deutschlands reagierten beispielsweise bereits im September 2021 mit einer Verschärfung der 3G-Regel hin zu einer 2G-Regel, bei der nur noch Geimpfte oder Genesene, nicht aber Getestete Zulass zu öffentlichen Innenräumen erhielten. Eine solche Verschärfung blieb in der Schweiz lange Zeit kaum vorstellbar und wurde von verschiedenen Sprechenden deutlich zurückgewiesen. Trotz der steigenden Fallzahlen verzichtete der Bundesrat vor der Abstimmung weitgehend auf Verschärfungen der Corona-Regelungen, was bei den Medien die Vermutung weckte, er wolle die Chancen des Gesetzes im Referendum nicht schmälern. Hingegen gab die Regierung Ende Oktober bekannt, verschiedene Regelungen des Covid-19-Gesetzes verlängern zu wollen – wie es die Kritikerinnen und Kritiker bereits in der Kampagne zur ersten Abstimmung befürchtet hatten. Darüber hinaus sprach der Bundesrat etwa zeitgleich eine Empfehlung für eine Auffrischungsimpfung für über 65-Jährige aus und nährte damit auch die Befürchtungen der Gegnerschaft, wonach zukünftig immer wieder neue Impfungen nötig sein würden. Schliesslich startete der Bundesrat drei Wochen vor dem Urnengang mit einer nationalen Impfwoche einen letzten Versuch, die Schweizer Impfquote vor dem Winter zu erhöhen. Dabei setzte er CHF 100 Mio. ein und startete eine umfassende Werbekampagne für die Impfung. In den Inseratespalten publizierte er denn auch ähnlich viele Inserate zur Impfwoche und zur Impfung wie die Gegnerschaft gegen die Revision des Covid-19-Gesetzes.
In der Woche vor dem Abstimmungssonntag wurde schliesslich bekannt, was vielerseits befürchtet worden war: In der Zwischenzeit war eine neue Virusvariante, Omikron, festgestellt worden, die deutlich ansteckender zu sein schien als die bisher vorherrschende Deltavariante. Unklar war auch, wie die vorhandenen Impfungen gegen die neue Variante wirken würden. Dies versetzte die Schweiz gemäss NZZ endgültig in einen «Schwebezustand, epidemiologisch und politisch gesehen».

Am Abstimmungssonntag folgte dann ein «klares Verdikt einer leisen Mehrheit», wie die AZ das Abstimmungsresultat betitelte: Mit 62.0 Prozent Ja-Stimmen und zwei ablehnenden Kantonen – in Appenzell Innerrhoden und Schwyz sagte die Mehrheit der Stimmenden Nein zur Revision – war die Zustimmung zum Gesetz gegenüber der ersten Abstimmung im Juni (60.2%) gar noch angestiegen. Zahlreiche Gemeinden und sechs Kantone (AR, GL, NW, OW, TG, UR) waren verglichen mit der Juni-Abstimmung neu ins Ja-Lager gewechselt. Die Medien hoben die hohe Stimmbeteiligung von 65.7 Prozent hervor und interpretierten das Ergebnis der Abstimmung als Vertrauensbeweis in die bundesrätliche Politik. Sie betonten aber wie bereits im Juni auch, dass dies keine Blankovollmacht für den Bundesrat darstelle. Die SVP wollte das Resultat denn auch nicht als Einladung für Massnahmenverschärfungen verstanden wissen. Gesundheitsminister Berset forderte die Gegnerinnen und Gegner auf, das Abstimmungsresultat zu akzeptieren: Zur Schweiz gehöre es, dass man sich nach der Abstimmung zusammenraufe. «Wir dürfen nicht endlos streiten.» Zu grossen Streitereien kam es denn in der Folge nicht mehr: Der befürchtete Grossaufmarsch blieb aus, nur vereinzelte Protestierende fanden sich auf dem Bundesplatz ein. Die meisten Sprechenden der Gegnerschaft akzeptierten das Ergebnis, lediglich «Mass-Voll» liess verlauten, dass das Resultat wegen «beispiellosen Unregelmässigkeiten [...] nicht legitim und für uns nicht bindend» sei.


Abstimmung vom 28. November 2021

Beteiligung: 65.7%
Ja: 2'222'594 Stimmen (62.0%)
Nein: 1'361'084 Stimmen (38.0%)

Parolen:
- Ja: EVP, FDP, GLP, GPS, Mitte*, PdA, SPS; Economiesuisse, Gemeindeverband, KdK, SGB, SGV*, SSV, TravailSuisse, VöV, Schweizer Tourismusverband, Hotelleriesuisse, Verband Seilbahnen Schweiz, Swissmem, Freidenker-Vereinigung
- Nein: EDU, SVP*; «Freunde der Verfassung», Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik», Netzwerk Impfentscheid, «Mass-Voll»
- Stimmfreigabe: SD*; GastroSuisse, Piratenpartei
* verschiedene abweichende Kantonalsektionen: Ja: SVP AG, SVP GL; Nein: Mitte NE, SD BE; Stimmfreigabe: SGV AG


Anhand der Gemeindeergebnisse zeigte sich in der Folge, dass die Opposition in der Innerschweiz im Vergleich zum Juni abgenommen hatte, in der Westschweiz hingegen angestiegen war. Gemäss der Vox-Nachabstimmungsbefragung hätten sich die Lager jedoch weiter polarisiert: Die SVP-Sympathisierenden hätten klarer Nein, diejenigen der FDP- und GLP klarer Ja gesagt als noch im Juni 2021. Mehrheitlich Nein gestimmt hatten neben den Sympathisantinnen und Sympathisanten der SVP auch Personen, die sich selbst auf der Links-Rechts-Achse als «rechtsaussen» einstufen, sowie Personen mit traditioneller Werthaltung und solche mit tiefem oder mittlerem Vertrauen in den Bundesrat. Als Hauptgrund für ihre Ablehnung der Gesetzesänderung nannten sie die empfundene Bevormundung durch die Behörden und entsprechend die fehlenden Freiheiten (zusammen 17%), ebenso übten viele Kritik an der indirekt wahrgenommenen Impfpflicht (10%). Die Befürwortenden hingegen wollten mit Annahme der Änderung vor allem die Corona-Politik des Bundesrates unterstützen (36%).

Zweite Revision des Covid-19-Gesetzes (Änderung und Zusatzkredit; BRG 21.016)
Dossier: Loi COVID-19 et révisions

20 ans après l'attentat du parlement zougois du 27 septembre 2001, plusieurs articles de presse sont revenus sur cet événement. Un forcené, connu de la justice pour avoir commis différents délits, avait abattu onze députés et trois conseillers d'État après avoir fait irruption dans la salle du Grand Conseil du canton de Zoug, où se tenaient les débats parlementaires habituels. Les commémorations de ce drame ont trouvé un écho particulier dans le contexte actuel, marqué par des tensions grandissantes en lien avec la pandémie.
À la suite de l'attentat, des mesures de sécurité autour des bâtiments publics du pays ont été mises en place, a relevé le journal Le Temps, alors qu'auparavant, on y entrait «comme dans des moulins». Cependant, la Suisse est restée une exception quant à la proximité de la sphère politique avec la population. À de nombreuses reprises, la presse a pu se délecter de situations pittoresques, à l'image de la conseillère fédérale Doris Leuthard qui effectuait un trajet en train assise dans l'escalier, n'ayant pas pu trouver de place dans un compartiment. Cette proximité a néanmoins été mise à mal par les tensions apparues dans le cadre de la pandémie. Le conseiller fédéral en charge du département de l'intérieur, Alain Berset, en première ligne face à la crise, est désormais accompagné en permanence d'agents de la police fédérale, alors que des socles permettant de mettre en place des barricades en métal ont été installés devant le palais fédéral. Ces mesures ont notamment été prises en raison des manifestations non-autorisées qui ont eu lieu à plusieurs reprises à Berne. La police bernoise a dû être engagée pour modérer une foule parfois agressive, qui s'opposait aux mesures sanitaires édictées par la Confédération. Relatant ces incidents, la NZZ a relevé le rôle que jouent les réseaux sociaux dans ce phénomène de radicalisation d'une frange des opposantes et opposants aux mesures sanitaires.
Dans le sillage de ces événements, les fronts ont semblé bouger sur le sujet de la réglementation des réseaux sociaux. Jusqu'alors, le Conseil fédéral ne voulait pas d'une loi spécifique sur les propos haineux tenus sur ces canaux de communication. Cependant, la situation pourrait évoluer prochainement. La verte Greta Gysin (TI) a déposé en décembre 2021 un postulat demandant au gouvernement d'étudier la possibilité de demander des chiffres aux plateformes telles que Facebook, Instagram, Twitter et Youtube au sujet des incidents impliquant des discours haineux, du harcèlement sexuel ainsi que des Fake News. En outre, le socialiste Jon Pult (GR) a déposé une initiative parlementaire pour que les plateformes soient tenues responsables des contenus illégaux diffusés par leur intermédiaire. Son intervention prévoit également que la diffusion de Fake News soit combattue avec de nouveaux outils. Dans le même temps, l'Aargauer Zeitung relatait que l'OFCOM prend part au financement de projets de recherche sur la désinformation et les discours de haine.
D'autres éléments ont mis en avant le rôle des réseaux sociaux dans la dégradation du climat politique. Fedpol a en effet indiqué que la majorité des menaces adressées aux politiciennes et politiciens le sont par l'intermédiaire d'Internet. Alors qu'une augmentation du nombre de messages «litigieux» avait déjà été constatée en 2020, les chiffres de la police fédérale pour la première partie de l'année semblent indiquer que 2021 ne dérogera pas à la tendance.
Dans ce contexte, Guy Parmelin a endossé son rôle de président pour rappeler que «si les arguments parfois vifs font partie du jeu politique, il y a des limites, il y a le respect de l'adversaire». Il a appelé à éviter toute agressivité afin de lutter contre la montée des tensions et de l'incompréhension. Selon lui, l'ennemi à combattre est bel et bien le virus, et non pas les concitoyennes et concitoyens qui pensent différemment. Il s'exposait ainsi à des critiques de la part de la presse: Le Temps ne se privait pas de rappeler que «la défiance à l'égard de la politique sanitaire fédérale est principalement alimentée au sein de son parti», l'UDC, qui déclarait dix jours après la déclaration de son conseiller fédéral la guerre à la «dictature sanitaire» à l'occasion de l'assemblée générale du parti. Et dans le même temps, le président du parti Marco Chiesa répétait ses propos du 1er août, où il prenait la défense des milieux ruraux, exploités selon lui par les «parasites des villes».

Menaces à l'encontre des politiciens
Dossier: réglementation des réseaux sociaux et plateformes de communication