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Jahresrückblick 2023: Gesundheit und Sport

In der Gesundheitspolitik wurden 2023 verschiedene gewichtige Baustellen bearbeitet, insgesamt blieb die mediale Beachtung des Themenbereichs nach dem Abflauen der Corona-Pandemie aber deutlich hinter derjenigen der letzten Jahre zurück (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Einigen Fortschritt gab es im Bereich des elektronischen Patientendossiers (EPD), wo der Bundesrat eine Revision des EPD-Gesetzes für eine Weiterentwicklung und für die nachhaltige Finanzierung des Dossiers sowie eine Gesetzesrevision für eine Übergangsfinanzierung in die Vernehmlassung gab. In der Wintersession stimmte der erstbehandelnde Nationalrat letzterer Revision bereits zu, die bis zum Inkrafttreten der umfassenden EPD-Gesetzesrevision (frühestens Ende 2027) gelten soll. Ungeachtet dieser laufenden Arbeiten verlangte der Ständerat mit Annahme eines Postulats im September 2023 eine Tempoerhöhung bei den Revisionsarbeiten. Darüber hinaus wollte das Parlament die Digitalisierung durch die Annahme verschiedener Motionen fördern.

Die Medien berichteten vor allem über die Versorgungsknappheit im Gesundheitsbereich. Insbesondere während der ersten Jahreshälfte schrieben die Zeitungen über Lieferengpässe bei den Medikamenten, was in Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse den Peak im Februar erklären dürfte. Als Reaktion darauf lancierte ein Komitee aus verschiedenen medizinischen Berufsgruppen die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit».

Aber nicht nur die Knappheit an Arzneimitteln, sondern auch die Knappheit an medizinischem Personal stand 2023 auf der politischen Agenda. Zur Sicherstellung, dass es in allen Regionen der Schweiz genügend Ärztinnen und Ärzte – insbesondere Hausärztinnen und Hausärzte – gibt, hiess die Legislative während der Herbstsession drei Postulate (Po. 23.3678, Po. 21.4226 und Po. 23.3864) zu diesem Thema gut. Um der Pflegeknappheit zu begegnen, wurde 2023 weiter an der Umsetzung der Pflegeinitiative gearbeitet. Nachdem das Parlament im Dezember des Vorjahres die erste Umsetzungsetappe mit den Inhalten «Ausbildungsoffensive» und «Abrechnungsmöglichkeiten» verabschiedet hatte, schickte der Bundesrat Ende August 2023 das Ausführungsrecht zur ersten Etappe in die Vernehmlassung. Die Leitlinien der zweiten Etappe legte die Landesregierung Anfang April fest. Diese beinhalteten Punkte zu anforderungsgerechten Arbeitsbedingungen und besseren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Im Sommer lancierten Bund und Kantone zudem ein Monitoring zur Umsetzung der Initiative.

Bezüglich Tabakprodukten hiess das Parlament im Sommer 2023 die Einführung einer Tabaksteuer bei E-Zigaretten gut. Zudem veröffentlichte die Landesregierung im Mai die Botschaft zur Teilrevision des TabPG, mit der sie die im Februar 2022 angenommene Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» umsetzen wollte. Als behandelnder Erstrat schwächte das Stöckli in der Herbstsession den Entwurf in einigen Punkten ab. Ein weniger restriktiver Trend liess sich im Umgang mit Cannabis beobachten. So starteten in verschiedenen Städten Pilotprojekte zur Cannabis-Abgabe.

Neben den beiden oben beschriebenen Volksbegehren gab es 2023 zudem drei Initiativen im Bereich Gesundheit, die in Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie lanciert worden waren. Im Februar startete die Unterschriftensammlung zu einer Volksinitiative, welche die Aufarbeitung der Massnahmenpolitik während der Pandemie forderte. Hingegen scheiterte 2023 eine Volksinitiative, die im Falle künftiger Pandemien eine finanzielle Entschädigung bei massgeblichen wirtschaftlichen Einbussen forderte, im Sammelstadium. Ein Volksbegehren, welches es indes bereits 2022 über das Sammelstadium hinaus geschafft hatte, war die Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit», die sich in erster Linie gegen eine Impfpflicht richtet. National- und Ständerat empfahlen im Berichtsjahr die Ablehnung der Initiative.

Ähnlich gross wie im Vorjahr war die mediale Aufmerksamkeit für den Sportbereich (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Im Zentrum stand dabei die Schweizer Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2030, welcher das IOC jedoch Ende November eine Absage erteilte. Erfolgreich war hingegen die Kandidatur der Schweiz als Austragungsstätte für die Fussball-EM 2025 der Frauen. Sie setzte sich im Bewerbungsverfahren gegen Polen, Frankreich und die Nordischen Staaten durch. Die beiden eben genannten Kandidaturen dürften in der Abbildung 1 der ASP-Zeitungsanalyse für die Peaks im Frühjahr (Olympische Winterspiele und Fussball-EM) und Spätherbst (Olympische Winterspiele) verantwortlich sein. Im Parlament war insbesondere die Unterstützung für internationale Sportgrossanlässe in den kommenden Jahren Thema, wobei National- und Ständerat den bundesrätlichen Gesamtbetrag von CHF 47 Mio. um CHF 25 Mio. aufstockten.

Jahresrückblick 2023: Gesundheit und Sport
Dossier: Rétrospective annuelle 2023

Ende September 2023 reichte Maya Graf (gp, BL) ein Postulat ein, mit dem sie den Bundesrat mit der Prüfung betrauen wollte, wie er gemeinsam mit den Kantonen sicherstellen kann, dass der Studiengang Pädiatrie KJFF von den Berufsschulen und den Ausbildungsorten in koordinierter Zusammenarbeit angeboten wird. Das Geschäft kam in der Wintersession 2023 in den Ständerat, wo die Postulantin ihr Anliegen genauer erläuterte. Mit dem Vorstoss wolle sie darauf abzielen, dass die Versorgung mit spezialisierten Pflegekräften gewährleistet sei. Hierzulande existierten seit 2002 lediglich generalistische Pflegeausbildungen und die Ausbildung im Bereich der pädiatrischen Pflege finde einzig am Arbeitsort statt. Die entsprechenden Betriebe, Verbände und Organisationen würden dafür allerdings nicht entschädigt. Bedingt durch den Personalmangel gestalte sich die Sicherstellung der Ausbildung vor Ort zunehmend schwierig, was in Engpässen in der pädiatrischen Versorgung münde. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats. Bildungsminister Guy Parmelin begründete dies damit, dass Ausbildungsinhalte im Gesundheitswesen durch Branchen- und Berufsverbände definiert würden und die Hochschulen die Autonomie besässen, zusammen mit der betroffenen Akteurschaft die Studieninhalte zu bestimmen. Der Bundesrat erachte es daher nicht als angezeigt, mittels Top-Down-Vorgehensweise in das System einzugreifen. Der Ständerat folgte mit 23 zu 20 Stimmen dem bundesrätlichen Votum und sprach sich gegen das Postulat aus.

Wie kann der Bedarf an spezifischen Pflegenden im Bereich Pädiatrie KJFF (Kinder, Jugendliche, Familie und Frau) sichergestellt werden? (Po. 23.4170)

Per Standesinitiative forderte der Kanton Solothurn im Mai 2023 das eidgenössische Parlament auf, Massnahmen zur landesweiten Sicherstellung der Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu ergreifen. Dies soll mittels Schaffung einer nationalen Tarifstruktur und einer Ausbildungsoffensive für Fachpersonen geschehen.
Anfang November 2023 befasste sich die SGK-SR mit dem Solothurner Begehren und gab diesem mit 4 zu 3 Stimmen Folge. Sie anerkenne den Handlungsbedarf sowie die Notwendigkeit für eine Anpassung der Tarife und für eine Ausbildungsinitiative, bei der Versorgung müsse die Zuständigkeit aber bei den Kantone verbleiben, so die Kommission.

Versorgungssicherheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie (St.Iv. 23.309)

Das BFS veröffentlichte im Oktober 2023 die Strukturdaten zu Arztpraxen und ambulanten Zentren 2021. Insgesamt arbeiteten Ende 2021 25'439 Ärztinnen und Ärzte in Praxen oder ambulanten Zentren. Davon war mehr als jede vierte Person bereits mindestens sechzigjährig. Bezüglich Verteilung der Geschlechter stellte die Autorenschaft einen Alterseffekt fest: Während sich die unter 45-jährige Ärzteschaft zu fast 61 Prozent aus Frauen zusammensetzte, machte der Anteil des weiblichen Geschlechts bei den über 45-Jährigen nur 39 Prozent aus. In den zwölf Kantonen, in denen 2021 der Anschluss an das elektronische Patientendossier möglich war, nutzten 11.7 Prozent der Arztpraxen und ambulanten Zentren diese Option.

Strukturdaten der Arztpraxen und ambulanten Zentren 2021

Mittels eines Postulats wollte Emmanuel Amoos (sp, VS) den Bundesrat im März 2023 mit der Ausarbeitung eines Berichts betrauen, in welchem aufgezeigt werden soll, wie sich die Anstellung von Temporärpflegefachkräften auf Krankenhäuser und Arbeitsplätze auswirkt. Untersucht werden sollen neben den Auswirkungen auf die Festanstellungen und auf die Arbeits- sowie Pflegeleistungsqualität auch die Kosten, die in diesem Zusammenhang für das Gesundheitswesen entstehen. Der Postulant begründete seinen Vorstoss damit, dass die Temporäreinsätze aufgrund des Fachkräftemangels stark zugenommen hätten, dass die Arbeitsbedingungen dieser Personen jedoch prekär seien. Daher sei es angezeigt, die Auswirkungen dieser Einsätze genauer zu untersuchen. Der Bundesrat beantragte den Vorstoss zur Annahme. Er beabsichtige, im Zusammenhang mit dem neuen Bundesgesetz über anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen, welches die zweite Etappe der Pflegeinitiative umsetzen soll, auf die Forderung des Postulats einzugehen. Die Eröffnung der dazugehörigen Vernehmlassung sei bis Ende April 2024 vorgesehen. Nachdem Thomas de Courten (svp, BL) das Geschäft in der Sommersession 2023 bekämpft, in der darauffolgenden Herbstsession die Bekämpfung aber zurückgezogen hatte, gelangte das Postulat Ende September 2023 in den Nationalrat. Dort wurde es diskussionslos und stillschweigend angenommen.

Wie wirken sich Temporärpflegefachkräfte auf Spitäler und Arbeitsplätze aus? (Po. 23.3292)

Im Juni 2023 reichte Baptiste Hurni (sp, NE) ein Postulat mit dem Titel «Mangel an Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz. Vermeiden wir einen Mangel an Lösungen!» ein. Der Neuenburger Nationalrat forderte eine Bestandesaufnahme der Mittel, um dem Ärztinnen- und Ärztemangel – insbesondere demjenigen der Hausärzteschaft – entgegenwirken zu können. Der Bericht soll zum einen die Instrumente zur Verbesserung der Problematik des Hausärztemangels aufzeigen. Zum anderen soll auf Mittel eingegangen werden, welche verstärkt das Interesse der Studierenden an der Hausarztmedizin hervorrufen und diese dazu bewegen, in der Allgemeinen Inneren Medizin ihren Abschluss zu machen. Ebenfalls behandelt werden soll die Frage bezüglich struktureller und finanzieller Mittel, welche es zur Aufwertung des Hausärztinnenberufs bedarf. Der Bundesrat sprach sich für Annahme des Postulats aus. Wie auch bei einem Postulat Juillard (mitte, JU; Po. 23.3678) solle hierbei zusammen mit den Kantonen analysiert werden, ob über den seit 2012 bestehenden Masterplan «Hausarztmedizin und medizinische Grundversorgung» hinaus noch Handlungsbedarf existiere. In der Herbstsession 2023 nahm der Nationalrat das Geschäft stillschweigend und diskussionslos an.

Mangel an Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz: Vermeiden wir einen Mangel an Lösungen! (Po. 23.3864)
Dossier: Pénurie de médecins

Ende September 2021 reichte Christine Bulliard-Marbach (mitte, FR) ein Postulat zur Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung im ländlichen Raum und in den Bergregionen ein. Sie forderte vom Bundesrat einen Bericht mit Massnahmen und Strategien, die es den lokalen Akteurinnen und Akteuren erlauben, die Gesundheitsversorgung auch in diesen Regionen zu garantieren. Zwei Jahre nachdem das Geschäft eingereicht worden war, wurde es im Nationalrat behandelt. Vor ihren Ratskolleginnen und -kollegen erläuterte die Postulantin die Dringlichkeit ihres Anliegens. Während die medizinische Versorgung immer mehr nachgefragt werde, gebe es immer weniger Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner in ländlichen Regionen und Bergregionen. Dies habe zur Folge, dass Gesundheitsprobleme zu spät festgestellt würden und als Konsequenz aufwendigere Therapien notwendig seien. Zudem suchten die in den betroffenen Regionen wohnhaften Personen deshalb bei einem Problem oft direkt die Notfallaufnahme eines Spitals auf. Beides führe zu höheren Kosten. Daher sollten innovative Ansätze überprüft werden – etwa digitale Diagnose- und Betreuungsmöglichkeiten, mobile Praxen oder Fahrdienste. Gesundheitsminister Alain Berset anerkannte zwar die Wichtigkeit des Anliegens, beantragte in Anbetracht zweier bereits überwiesener Postulate (Po. 23.3864; Po. 23.3678), bei deren Erfüllung schon auf die Forderungen der Postulantin eingegangen werde, aber die Ablehnung des Vorstosses. Mit 100 zu 78 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) nahm der Nationalrat das Postulat an. Während sich die Fraktionen der SP, der Grünen und der Mitte geschlossen respektive mit einer Enthaltung für den Vorstoss aussprachen, stimmten die GLP-, SVP- und FDP.Liberalen-Fraktionen einstimmig respektive grossmehrheitlich gegen das Postulat.

Die medizinische Grundversorgung im ländlichen Raum und in den Berggebieten sicherstellen (Po. 21.4226)

Nachdem der Abschreibungsantrag zum Postulat Frehner (svp, BS) zu den Massnahmen gegen die Überversorgung im Gesundheitswesen im Jahr 2017 vom Nationalrat abgelehnt worden war, erfolgte die Abschreibung durch die grosse Kammer im Herbst 2023. Sie stand in Zusammenhang mit dem zweiten Massnahmenpaket zur Kostendämpfung, mit welchem sich der Nationalrat während der Herbstsession 2023 erstmals befasste.

Massnahmen gegen die Überversorgung im Gesundheitswesen

Mit einer im September 2021 eingereichten Motion forderte Nationalrat Marco Romano (mitte, TI) den Bundesrat auf, eine gesetzliche Grundlage auszuarbeiten, die Arbeitgeber dazu verpflichtet, ihre Arbeitnehmenden für den Erwerbsausfall bei Krankheit zu versichern. Motionär Romano kritisierte, dass bei den Arbeitgebenden eine Tendenz vorhanden sei, für ihre Arbeitnehmenden keine Krankentaggeldversicherung mehr abzuschliessen, was dazu führe, dass viele Betroffene im Falle eines längeren Erwerbsausfalls auf Sozialhilfe zurückgreifen müssten. Eine obligatorische Krankentaggeldversicherung würde sowohl für die Arbeitgeberinnen als auch für die Arbeitnehmer nur geringe Kosten verursachen und den Staatshaushalt entlasten, da weniger Personen Sozialhilfe beziehen müssten.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion. Er habe bereits bei mehreren Gelegenheiten erläutert, wieso er sozialpartnerschaftliche Lösungen einer obligatorischen Erwerbsausfallversicherung vorziehe. Es stimme zwar, dass die Arbeitnehmenden grossmehrheitlich heute nicht mehr über Kollektivversicherungen nach dem KVG versichert seien, dafür seien die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute überwiegend über eine privatrechtliche Versicherung abgesichert. Der Bundesrat bleibe daher bei seiner Haltung, dass auch ohne eine obligatorische Versicherung der Erwerbsausfall durch Taggeldversicherungen weitgehend gedeckt sei.
Die grosse Kammer nahm die Motion in der Herbstsession 2023 mit 95 zu 87 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Dabei gab es bei der Abstimmung einen Graben zwischen den Fraktionen von SP, GP und der Mitte (dafür) und den Fraktionen von GLP, SVP und FDP (dagegen).

Obligatorium für eine Krankentaggeldversicherung (Mo. 21.4209)

Während der Herbstsession 2023 befasste sich der Ständerat mit einem Postulat Juillard (mitte, JU) zur dauerhaften Versorgungssicherstellung durch Haus- und Fachärzteschaft in sämtlichen Regionen der Schweiz. Konkret wollte der Postulant den Bundesrat auffordern, sich zusammen mit den Kantonen und betroffenen Kreisen der Überprüfung aller Möglichkeiten sowie der Ausarbeitung von Vorschlägen anzunehmen, um insbesondere die hausärztliche Versorgung sicherstellen zu können. Zudem soll die Landesregierung dem Parlament die dafür angezeigten Gesetzesänderungen vorlegen. Gesundheitsminister Berset befürwortete den Vorstoss des Jurassiers. Er betonte, dass insbesondere die Verteilung zwischen den Regionen noch nicht optimal sei. Stillschweigend nahm der Ständerat das Postulat an.

Wie kann dem Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten sowie Ärztinnen und Ärzten in bestimmten Fachgebieten sofort begegnet werden, insbesondere in bestimmten Regionen der Schweiz? (Po. 23.3678)
Dossier: Pénurie de médecins

Die vier identischen Motionen «Wiedereinführung der Möglichkeit der Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz» von Jacqueline de Quattro (fdp, VD; Mo. 21.4533), Léonore Porchet (gp, VD; Mo. 21.4534), Min Li Marti (sp, ZH; Mo. 21.4535) und Lilian Studer (evp, AG; Mo. 21.4536) wurden in der Herbstsession 2023 vom Ständerat beraten. Als Sprecher der RK-SR erklärte Carlo Sommaruga (sp, GE), dass die Kommission die vier Vorstösse einstimmig mit 12 zu 0 Stimmen zur Ablehnung empfehle. Als Gründe führte er das Territorialitätsprinzip – ein Staat soll nicht für Schäden haften müssen, die nicht auf seinem Territorium entstanden sind –, finanzielle Auswirkungen für die Kantone sowie Beweisschwierigkeiten und Ungleichbehandlungen der Opfer an. Anders als im Nationalrat, wo die Geschäfte eine Mehrheit gefunden hatten, lehnten die Mitglieder des Ständerats die Vorstösse auf Anraten ihrer Kommission stillschweigend ab.

Wiedereinführung der Möglichkeit der Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz (Mo. 21.4533; Mo. 21.4534; Mo. 21.4535; Mo. 21.4536)

In der Herbstsession 2023 kam eine Motion Nantermod (fdp, VS), welche mehr Autonomie für die Kantone bei der Opferhilfe verlangte, in den Ständerat. Durch die Motion sollten die Kantone die Möglichkeit erhalten, höhere Genugtuungsbeiträge an Opfer auszubezahlen. Der Nationalrat hatte sich zuvor für Annahme der Motion ausgesprochen. Für die RK-SR führte Carlo Sommaruga (sp, GE) aus, weshalb sich die Kommission mit 11 zu 1 Stimme gegen eine Annahme stellte. Dabei folgte er der Argumentation der SODK-Präsidentin, Nathalie Barthoulot (JU, sp), deren Meinung die Kommission eingeholt hatte. Zum einen hätte die Annahme der Motion Ungleichbehandlungen – unter anderem zwischen den Wohnkantonen – zur Folge, zum anderen sei die Entschädigung gemäss OHG subsidiärer und solidarischer Natur, nicht aber ein Mittel zur Deckung des gesamten moralischen Schadens. Stillschweigend folgte das Stöckli diesem Votum und erledigte den Vorstoss somit im Zweitrat.

Opferhilfegesetz: Mehr Autonomie für die Kantone (Mo. 22.3194)

Der Ständerat lehnte die Motion Streiff-Feller (evp, BE), die unter bestimmten Bedingungen eine einmalige Möglichkeit zur aufenthaltsrechtlichen Regularisierung für Personen aus dem altrechtlichen Verfahren forderte und die vom Nationalrat zuvor angenommen worden war, in der Herbstsession 2023 ab. Die kleine Kammer folgte dabei der Empfehlung der Mehrheit ihrer SPK, die rechtsstaatliche Bedenken äusserte und das Rechtsgleichheitsgebot verletzt sah, wenn einer bestimmten Personengruppe pauschal eine Aufenthaltsberechtigung erteilt würde. Zudem seien Ausnahmen von der bestehenden Regel wegen persönlicher Härtefälle bereits möglich. Eine linke Kommissionsminderheit hatte sich vergeblich für Annahme eingesetzt, wobei sie auf Kosteneinsparungen bei den Kantonen sowie auf Vorteile für die Integration der betroffenen Personen verwies.

Ausserordentliche humanitäre Aktion für Nothilfe beziehende Personen aus altrechtlichen Asylverfahren (Mo. 21.3187)

Die Motion «Keine mengenbezogenen Lohnanreize für Spitalärzte» von Jörg Mäder (glp, ZH) stand in der Sommersession 2023 auf der Traktandenliste der Ständerats. Für die Mehrheit der SGK-SR tat Erich Ettlin (mitte, OW) zwar die Unterstützung für das Anliegen kund, beantragte aber gleichzeitig die Ablehnung des Geschäfts. Er begründete diese Haltung mit den bereits vom Bundesrat ergriffenen Massnahmen bezüglich Vorgaben zu Lohnsystemen in den Spitälern. Eine Minderheit rund um Mathilde Crevoisier Crelier (sp, JU) sprach sich hingegen für die Annahme des Vorstosses aus. Die Jurassierin beabsichtigte damit, die Kantone bei deren Arbeiten zu unterstützen und so sicherzustellen, dass mengenabhängige Vergütungssysteme bald landesweit verboten seien. Damit blieb sie bei ihren Ratskolleginnen und Ratskollegen jedoch ohne Erfolg. Das Stöckli schickte die Motion mit 26 zu 10 Stimmen bachab.

Keine mengenbezogenen Lohnanreize für Spitalärzte

Mehr Autonomie für die Kantone in puncto Opferhilfe forderte Philippe Nantermod (fdp, VS) mittels einer im Frühjahr 2022 eingereichten Motion. Konkret soll das Opferhilfegesetz (OHG) dahingehend angepasst werden, dass die Kantone den Opfern von Straftaten und deren Angehörigen bei Zahlungsunfähigkeit durch die Täterschaft höhere Genugtuungsbeträge entrichten können, als dies im aktuellen Gesetz festgehalten ist (zurzeit CHF 70'000 für Opfer und CHF 35'000 für Angehörige).
Im Juni 2023 nahm sich der Nationalrat dem Anliegen an. Nantermod betonte dabei unter anderem, dass durch die Annahme der Motion die Bundesfinanzen nicht beeinflusst würden, sondern lediglich den Kantonen mehr Autonomie zugestanden würde. Bundesrätin Baume-Schneider anerkannte zwar die Bemühungen Nantermods, gab aber gleichzeitig auch zu bedenken, dass die Absicht hinter dem OHG nicht eine Schmerzensgeldregelung sei. Vielmehr handle es sich dabei um eine Unterstützung für Opfer in dringenden Situationen, was als Solidaritätsgeste verstanden werden und die Verantwortung der Täterin oder des Täters nicht ersetzen solle. Weiter wies die Justizministerin darauf hin, dass gerade die Deckelung der Geldbeträge eine wesentliche Komponente der letzten Revision des OHG gewesen sei, um die Kosten für die Kantone zu reduzieren. Anstelle der von Nantermod formulierten Forderung sei es beispielsweise denkbar, dass die Kantone durch eigene, zum OHG komplementäre Gesetze – etwa betreffend berufliche Eingliederung oder Armutsbekämpfung – den Opfern unter die Arme greifen könnten. Ebenfalls eine Möglichkeit wäre, die im OHG festgelegte Summe insgesamt zu erhöhen. Zu erwartende Ungleichheiten zwischen den Kantonen würden hingegen eher zu Ungleichbehandlungen zwischen den Opfern führen. Mit ihren Argumenten stiess die Bundesrätin allerdings nicht auf offene Ohren. Mit 141 zu 51 Stimmen nahm der Nationalrat die Motion an. Einzig die SVP-Fraktion stellte sich – mit Ausnahme von Jean-Luc Addor (svp, VS) – gegen das Geschäft.

Opferhilfegesetz: Mehr Autonomie für die Kantone (Mo. 22.3194)

In der Sommersession 2023 war es am Ständerat, eine Motion Silberschmidt (fdp, ZH) zur Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen zu beraten. Als Sprecher der SGK-SR erklärte Hans Stöckli (sp, BE), dass die Kommission das Geschäft mit 10 zu 2 Stimmen zur Annahme empfehle. Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung bedürfe das Gesundheitsfachpersonal digitaler Kompetenzen. Um zu gewährleisten, dass sich das Gesundheitspersonal diese bereits im Verlaufe seines «Bildungspfades» aneignen könne, sollen die entsprechenden Anforderungen ins Medizinal-, Psychologie- und Gesundheitsberufegesetz integriert werden. Stöckli führte weiter aus, dass die Umsetzung in den Bildungsstätten zwar mit Aufwand verbunden sei, dass «Nichtstun» insgesamt allerdings mehr kosten würde. Zudem seien junge Menschen, die sich in der Ausbildung befinden, ja bereits «digital affin». Für die Motion sprach sich auch Gesundheitsminister Berset aus. Demnach ermöglichten es digitale Kompetenzen nicht nur, den Bedürfnissen der Patientenschaft besser nachzukommen, sondern auch die Arbeitsorganisationsprozesse zu erleichtern. Es sei denkbar, die Forderungen der Motion beispielsweise im Zusammenhang mit der Pflegeinitiative umzusetzen. Stillschweigend nahm der Ständerat in der Folge den Vorstoss an.

Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen (Mo. 22.3163)
Dossier: Système de santé et numérisation

Nachdem die Motion Graf (gp, BL), welche die Schaffung einer «Rechtsgrundlage für Triage-Entscheidungen beim Zugang zu intensivmedizinischen Behandlungen» forderte, der SGK-SR zur Vorprüfung zugewiesen worden war, kam das Geschäft in der Sommersession 2023 in den Ständerat. Dort zeigte sich die Baselbieter Motionärin einverstanden damit, ihren Vorstoss zurückzuziehen, nachdem die kleine Kammer zeitgleich ein Postulat der ständerätlichen SGK (Po. 23.3496) mit einer ähnlichen Forderung angenommen hatte.

Rechtsgrundlage für Triage-Entscheidungen beim Zugang zu intensivmedizinischen Behandlungen (Mo. 22.3246)

In der Frühjahrssession 2023 befasste sich der Nationalrat mit vier Motionen von Jacqueline de Quattro (fdp, VD; Mo. 21.4533), Léonore Porchet (gp, VD; Mo. 21.4534), Min Li Marti (sp, ZH; Mo. 21.4535) und Lilian Studer (evp, AG; Mo. 21.4536), welche die Wiedereinführung der Möglichkeit zur Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz zum Gegenstand hatten. De Quattro erklärte, dass entsprechende Entschädigungen für in der Schweiz wohnhafte Personen durch die Kantone nach dem Attentat von Luxor 1997 aus Gründen der finanziellen Belastung abgeschafft worden seien und Betroffene seither lediglich Anrecht auf Beratung und eine Kostenbeteiligung hätten. Frankreich verfüge hingegen zum Beispiel über einen Opferentschädigungsfonds, welcher auch Gewalttaten im Ausland einschliesst, der sich in der Vergangenheit bewährt habe. Bundesrätin Baume-Schneider betonte zwar die Wichtigkeit der Unterstützung von Opfern von Straftaten, aus verschiedenen Gründen gelte es allerdings die Motionen abzulehnen. Unter anderem solle der Staat nicht für Schäden haften müssen, die nicht auf seinem Territorium stattgefunden haben. Weiter würde die Implementierung eines Garantiefonds wie desjenigen aus Frankreich eine Ungleichbehandlung gegenüber Opfern von anderen Straftaten im Ausland, etwa Opfern von Verkehrsunfällen, nach sich ziehen. Zudem befinde sich das gegenwärtige System in Einklang mit den Vorschriften des Europäischen Übereinkommens über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. Trotz diesen bundesrätlichen Einwänden nahm der Nationalrat die Motionen mit 109 zu 67 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) an. Während sich die Fraktionen der SP, der Grünen und der FDP geschlossen respektive mit Enthaltungen hinter die Geschäfte stellten, stammten abgesehen von einer Stimme aus der GLP-Fraktion alle Nein-Stimmen aus dem Lager der SVP- und der Mitte-Fraktionen, welche sich grossmehrheitlich gegen die Vorstösse aussprachen.

Wiedereinführung der Möglichkeit der Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz (Mo. 21.4533; Mo. 21.4534; Mo. 21.4535; Mo. 21.4536)

In der Frühjahrssession 2023 nahm sich der Ständerat das Abkommen zwischen der Schweiz und Albanien über soziale Sicherheit vor, welches die SGK-SR einstimmig zur Annahme beantragt hatte. Kommissionssprecher Damian Müller (fdp, LU) erklärte der kleinen Kammer, dass Albanien seit dem Inkrafttreten des Sozialversicherungsabkommens mit Bosnien und Herzegowina im Jahr 2021 der letzte Staat im Westbalkan sei, mit dem die Schweiz kein Abkommen über die soziale Sicherheit abgeschlossen habe. Diese Lücke solle geschlossen werden, nicht zuletzt, weil die Schweizer Behörden eng mit Albanien kollaborierten, beispielsweise bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und bei Migrationsfragen. Inhaltlich entspreche das Abkommen den bisherigen Sozialversicherungsabkommen, welche die Schweiz mit den übrigen Balkanstaaten abgeschlossen habe, führte Müller aus. Es umfasse Bestimmungen zur Gleichberechtigung der Staatsangehörigen in Bezug auf die Rentenauszahlung im Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten, sowie die Anstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Müller äusserte sich auch zu den Folgekosten des Abkommens, die auf CHF 2.5 Mio. pro Jahr geschätzt wurden – CHF 500'000 zulasten des Bundes und CHF 2 Mio. zulasten der Versicherungen. Der anwesende Bundesrat Alain Berset ergänzte, dass dieses Abkommen die Rückkehr albanischer Staatsangehöriger in ihr Heimatland erleichtere und damit zur Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Lage im Westbalkan beitrage. Bundesrat Berset relativierte auch die Kostenfrage, indem er aufzeigte, dass den CHF 2.5 Mio. auch schwer zu beziffernde Einsparungen im Bereich der Ergänzungsleistungen und der Prämienverbilligungen gegenüberstünden. Der Ständerat nahm das Abkommen mit 34 zu 4 Stimmen (bei 0 Enthaltungen) an.
In den Schlussabstimmungen stimmte der Nationalrat mit 144 zu 51 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) für die Annahme des Entwurfs, der Ständerat tat es ihm mit 38 zu 3 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gleich. Die Nein-Stimmen stammten in beiden Kammern von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Sozialversicherungsabkommen mit Albanien
Dossier: Accords de sécurité sociale avec les États successeurs de la République populaire fédérative de Yougoslavie

Marianne Streiff-Feller (evp, BE) verlangte mit einer Motion, die nach Ausscheiden der EVP-Nationalrätin aus dem Rat von ihrem Parteikollegen Niklaus-Samuel Gugger (evp, ZH) übernommen worden war, eine einmalige Änderung des Aufenthaltsrechts für Personen aus dem altrechtlichen Asylverfahren nach objektiven und nachvollziehbaren Kriterien. Die Motionärin argumentierte, dass Personen, die einen negativen Asylentscheid erhalten haben, oftmals nur erschwert oder gar nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren könnten. Zudem hätten die langen Bearbeitungszeiten im altrechtlichen Verfahren dazu geführt, dass sich besagte Personen bei Erhalt des abschlägigen Asylentscheids oftmals bereits in der Schweiz integriert hätten. Trotzdem könnten sie mit diesem Entscheid keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und müssten folglich von der Nothilfe leben. Diesen Personen solle nun eine einmalige Regularisierungsmöglichkeit geboten werden, falls sie den Willen zur Integration zeigen würden, nicht straffällig geworden seien und auch eine Landessprache auf Niveau A2 beherrschten. Durch diese Massnahme könnten betroffene Personen Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt erlangen, was insbesondere angesichts des Fachkräftemangels grosse Vorteile mit sich ziehe, so die Motionärin.
Der Bundesrat entgegnete, dass die Rückkehr in ihr Herkunftsland für Nothilfebeziehende grundsätzlich möglich und zumutbar sei. Des Weiteren bestehe bereits die Möglichkeit für Ausnahmen in persönlichen Härtefällen. Eine Regularisierung würde in diesem Fall jedoch eine Belohnung für Individuen darstellen, welche unter anderem trotz negativem Asylentscheid im Land verbleiben würden oder die Mitwirkungspflicht verletzt hätten. Solche Missbräuche sollten nicht geschützt werden und würden ein falsches Signal senden, schloss der Bundesrat seine ablehnende Stellungnahme.
In der Frühjahrssession 2023 nahm der Nationalrat die Motion mit 100 zu 81 Stimmen (5 Enthaltungen) an. Der Vorstoss konnte auf die Unterstützung der geschlossenen Fraktionen der SP, der GLP und der Grünen zählen, wobei sich auch etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder der Mitte-Fraktion für den Vorstoss aussprach. Zusätzlich pflichteten einige Mitglieder der FDP-Fraktion und mit EDU-Nationalrat Andreas Gafner (BE) auch ein Mitglied der SVP-Fraktion der Motion bei.

Ausserordentliche humanitäre Aktion für Nothilfe beziehende Personen aus altrechtlichen Asylverfahren (Mo. 21.3187)

Eine Motion Humbel (mitte, AG) mit dem Titel «Das Spritzen von Hyaluronsäure und Botox gehört in die Hand von Ärztinnen und Ärzten» war in der Frühjahrssession 2023 Gegenstand der ständerätlichen Beratungen. SGK-SR-Sprecherin Maya Graf (gp, BL) beantragte im Namen der Kommission die Ablehnung des Geschäfts. Ihres Erachtens sei das Anliegen bereits erfüllt. Gelegentlich komme es zwar zu nicht gesetzeskonformer Anwendung von Hyaluronpräparaten, dabei handle es sich allerdings um ein Vollzugsproblem. Die Kontroll- und Sanktionskompetenz liege bei den Kantonen. Stillschweigend lehnte die kleine Kammer die Motion ab.

Das Spritzen von Hyaluronsäure und Botox gehört in die Hand von Ärztinnen und Ärzten (Mo. 19.4167)

Anfang März 2023 beschäftigte sich der Nationalrat mit einer Motion Roduit (mitte, VS) zum Thema «Früherkennung von armuts- oder überschuldungsgefährdeten Personen». Vor seinen Ratskolleginnen und Ratskollegen betonte der Motionär, dass Überschuldung oftmals nicht auf individuellem verschwenderischen Verhalten gründe, sondern ein systemisches Problem dahinterstecke. Dabei seien in erster Linie Haushalte aus der unteren Mittelschicht betroffen, die sich knapp über den Sozialhilferichtlinien befänden. Die Folgen von Überschuldung seien Probleme gesundheitlicher und sozialer Natur und damit verbunden erneut substanzielle soziale und wirtschaftliche Kosten. Insbesondere die Covid-19-Pandemie habe die Lage zugespitzt. Da den Kantonen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von Präventions- und Armutsbekämpfungsmassnahmen zukomme, forderte der Walliser vom Bundesrat die Ausarbeitung eines Konzepts, welches die Kantone dazu ermächtigt, effektive Programme zur Sozial- und Überschuldungsprävention einzuführen. Bundesrat Alain Berset erklärte, dass der Bund die Kantone im Kampf gegen die Armut etwa durch Studien unterstütze, dass sich der Bundesrat allerdings gegen die Motion ausspreche, weil diese weitreichende Massnahmen auf Bundesebene beinhalte und es nicht im Interesse der Exekutive sei, Änderungen an der Kompetenzaufteilung vorzunehmen. Für den Fall einer Annahme des Geschäfts durch den Nationalrat wolle der Bundesrat daher im Ständerat einen Antrag auf Abänderung der Motion in einen Prüfungsauftrag stellen. Bei der Abstimmung in der grossen Kammer sprach sich schliesslich eine Mehrheit (101 zu 80 Stimmen, 3 Enthaltungen) für die Motion Roduit aus. Geschlossen für den Vorstoss stimmten die Fraktionen der SP, der GLP und den Grünen sowie grossmehrheitlich die Mitte-Fraktion. Die Gegenstimmen stammten aus dem bürgerlichen Lager.

Früherkennung von armuts- oder überschuldungsgefährdeten Personen. Handeln, bevor es zu spät ist (Mo. 21.3142)

In Reaktion auf den Entscheid ihrer Schwesterkommission bezüglich einer parlamentarischen Initiative Piller Carrard (sp, FR) zur Bekämpfung von Kinderarmut mithilfe familienunterstützender Ergänzungsleistungen revidierte die WBK-NR im November 2022 ihren ursprünglichen Entschluss und empfahl dem Nationalrat mit 12 zu 11 Stimmen bei einer Enthaltung, der Initiative keine Folge zu geben. Es seien in den meisten Kantonen bereits genügend Bestrebungen zur Bekämpfung von Kinderarmut erkennbar, zudem habe der Bund die von den Kantonen formulierten Erwartungen erfüllt. Auch die Kantone hätten – bis auf eine Ausnahme – keinen Wunsch nach einer bundesweiten Einführung von Ergänzungsleistungen geäussert. Folglich solle ein auf Ende 2024 angesetzter Lagebericht des Bundesrats zur Kinderarmut in der Schweiz abgewartet werden. Eine Kommissionsminderheit Amoos (sp, VS) sah hingegen einen akuten Handlungsbedarf in den Kantonen und wünschte sich zusätzlich eine stärkere Rolle des Bundes. In der Frühjahrssession 2023 scheiterte die parlamentarische Initiative schliesslich mit 113 zu 80 Stimmen bei einer Enthaltung im Nationalrat. Für die Initiative hatten sich die geschlossen stimmenden Fraktionen der SP und der Grünen sowie elf Mitglieder der Mitte- und ein Mitglied der GLP-Fraktion ausgesprochen.

Kinderarmut bekämpfen (Pa. Iv. 20.454)

Im Januar 2023 legte der Bundesrat seine Stellungnahme zum Erlassentwurf der SGK-NR zur Schaffung von Ausnahmen von der dreijährigen Tätigkeitspflicht zur Zulassung von Leistungserbringenden zur Abrechnung mit der OKP vor. Er befürwortete die Änderung, zumal er in seinem damaligen Erlassentwurf eine solche Ausnahmeregelung eingebaut habe – diese sei aber vom Parlament zugunsten einer fixen dreijährigen Tätigkeitspflicht gestrichen worden. Er empfand aber auch die zeitliche Begrenzung der Massnahme als sinnvoll, da er sich von der neuen Möglichkeit der Kantone, Höchstzahlen für Fachgebiete oder Regionen zu bestimmen, einen abschwächenden Effekt erhoffte: Dadurch könne beispielsweise «eine Unterversorgung in einem bestimmten Fachgebiet oder in einer Region über Zulassungsbeschränkungen für andere Fachgebiete oder Regionen [...] indirekt gesteuert werden». Der Bundesrat verwies in seiner Stellungnahme aber auch auf die Kritik der EU, wonach die Zulassungsregelungen gegen das Nichtdiskriminierungsgebot des Freizügigkeitsabkommens verstosse.
Anfang Februar 2023 nahm die SGK-NR die bundesrätliche Stellungnahme zur Kenntnis, kurze Zeit später hiess auch ihre Schwesterkommission den Entwurf einstimmig gut. Der Entwurf war damit bereit, um in der Frühjahrssession 2023 von beiden Räten behandelt zu werden.

Ausnahmen von der dreijährigen Tätigkeitspflicht gemäss Artikel 37 Absatz 1 KVG bei nachgewiesener Unterversorgung (Pa.Iv. 22.431)
Dossier: Limitation du nombre de médecins (depuis 1998)

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Zu Beginn des Jahres 2022 wurde befürchtet, dass die Covid-19-Pandemie auch in diesem Jahr das politische Geschehen der Schweiz dominieren würde: Mitte Januar erreichte die Anzahl laborbestätigter täglicher Neuansteckungen mit 48'000 Fällen bisher kaum denkbare Höhen – im Winter zuvor lagen die maximalen täglichen Neuansteckungen noch bei 10'500 Fällen. Die seit Anfang 2022 dominante Omikron-Variante war somit deutlich ansteckender als frühere Varianten – im Gegenzug erwies sie sich aber auch als weniger gefährlich: Trotz der viermal höheren Fallzahl blieben die Neuhospitalisierungen von Personen mit Covid-19-Infektionen deutlich unter den Vorjahreswerten. In der Folge nahm die Dominanz der Pandemie in der Schweizer Politik und in den Medien fast schlagartig ab, wie auch Abbildung 1 verdeutlicht. Wurde im Januar 2022 noch immer in 15 Prozent aller Zeitungsartikel über Covid-19 gesprochen, waren es im März noch 4 Prozent. Zwar wurde im Laufe des Jahres das Covid-19-Gesetz zum fünften Mal geändert und erneut verlängert, über die Frage der Impfstoff- und der Arzneimittelbeschaffung gestritten und versucht, in verschiedenen Bereichen Lehren aus den letzten zwei Jahren zu ziehen. Jedoch vermochten weder diese Diskussionen, die zwischenzeitlich gestiegenen Fallzahlen sowie ein weltweiter Ausbruch vermehrter Affenpocken-Infektionen das mediale Interesse an der Pandemie erneut nachhaltig zu steigern.

Stattdessen erhielten im Gesundheitsbereich wieder andere Themen vermehrte Aufmerksamkeit, vor allem im Rahmen von Volksabstimmungen und der Umsetzung von Abstimmungsentscheiden.
Einen direkten Erfolg durch ein direktdemokratisches Instrument erzielte das Komitee hinter der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiessen diese Initiative am 13. Februar mit 56.7 Prozent gut. Das Volksbegehren ziel darauf ab, dass Kinder und Jugendliche nicht länger mit Tabakwerbung in Berührung kommen. Während das Initiativkomitee die Vorlage unter anderem damit begründete, dass durch das Werbeverbot dem Rauchen bei Jugendlichen Einhalt geboten werden könne, führten die Gegnerinnen und Gegner die Wirtschaftsfreiheit an. Zudem befürchtete die Gegnerschaft, dass in Zukunft weitere Produkte wie Fleisch oder Zucker mit einem vergleichbaren Werbeverbot belegt werden könnten. Der Bundesrat gab Ende August einen gemäss Medien sehr strikten Entwurf zur Umsetzung der Initiative in die Vernehmlassung. Während die Stimmbevölkerung Werbung für Tabakprodukte verbieten wollte, bewilligte das BAG ein Gesuch der Stadt Basel zur Durchführung von Cannabisstudien; die Städte Bern, Lausanne, Zürich und Genf lancierten ebenfalls entsprechende Studien. Zudem können Ärztinnen und Ärzte seit dem 1. August medizinischen Cannabis ohne Bewilligung durch das BAG verschreiben.

Teilweise erfolgreich waren im Jahr 2022 aber auch die Initiantinnen und Initianten der Organspende-Initiative. 2021 hatte das Parlament eine Änderung des Transplantationsgesetzes als indirekten Gegenvorschlag gutgeheissen, woraufhin das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückgezogen hatte. Im Januar kam das Referendum gegen die Gesetzesänderung zustande. Mit dem Gesetz beabsichtigten Bundesrat und Parlament die Einführung einer erweiterten Widerspruchslösung, wobei die Angehörigen der verstorbenen Person beim Spendeentscheid miteinbezogen werden müssen. Auch wenn es sich dabei um eine Abschwächung der Initiativforderung handelte, ging die Änderung dem Referendumskomitee zu weit; es äusserte ethische und rechtliche Bedenken. Die Stimmbevölkerung nahm die Gesetzesänderung am 15. Mai allerdings deutlich mit 60.2 Prozent an. Damit gewichtete sie die von den Befürwortenden hervorgehobene Dringlichkeit, die Spenderquote zu erhöhen und etwas gegen die langen Wartezeiten auf ein Spenderorgan zu unternehmen, stärker als die Argumente des Referendumskomitees. In den Wochen vor dem Abstimmungssonntag wurde die Vorlage vermehrt von den Zeitungen aufgegriffen, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse verdeutlicht.

Nach dem deutlichen Ja an der Urne im November 2021 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament im Mai 2022 seine Botschaft zur Umsetzung eines ersten Teils der Pflegeinitiative. Dieser entspricht dem indirekten Gegenvorschlag, den die Legislative ursprünglich als Alternative zur Volksinitiative ausgearbeitet hatte. Ohne grosse Änderungen stimmten die beiden Kammern der Gesetzesrevision zu.

Noch immer stark von der Covid-19-Pandemie geprägt waren die Diskussionen zu den Spitälern. Da die Überlastung der Spitäler und insbesondere der Intensivstationen während der Pandemie eine der Hauptsorgen dargestellt hatte, diskutierten die Medien 2022 ausführlich darüber, wie es möglich sei, die Intensivstationen auszubauen. Vier Standesinitiativen forderten zudem vom Bund eine Entschädigung für die Ertragsausfälle der Krankenhäuser während der ersten Pandemiewelle, der Nationalrat gab ihnen indes keine Folge.

Von einer neuen Krise betroffen war die Medikamentenversorgung. Die Versorgungssicherheit wurde als kritisch erachtet, was die Medien auf den Brexit, die Opioidkrise in den USA sowie auf den Ukrainekrieg zurückführten. Der Bundesrat gab in der Folge das Pflichtlager für Opioide frei. Das Parlament hiess überdies verschiedene Motionen für eine Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen gut, um so die Medikamentenversorgung auch mittelfristig sicherzustellen (Mo. 20.3211, Mo. 20.3370). Kein Gehör fand hingegen eine Standesinitiative aus dem Kanton Aargau zur Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten, durch ausreichende Lagerhaltung, Produktion in Europa und durch die Vereinfachung der Registrierung in der Schweiz.

Im Bereich des Sports war das Jahr 2022 durch mehrere Grossanlässe geprägt, die nicht nur in sportlicher, sondern auch in politischer Hinsicht für Gesprächsstoff sorgten. Die Olympischen Winterspiele in Peking Anfang Jahr und die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zum Jahresende standen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den Austragungsstätten in den Schlagzeilen. Skandale gab es aber nicht nur in der internationalen Sportwelt, sondern auch hierzulande, wo Vorwürfe bezüglich Missständen im Synchronschwimmen erhoben wurden und die 1. Liga-Frauen-Fussballmannschaft des FC Affoltern nach einem Belästigungsskandal praktisch geschlossen den Rücktritt erklärte. Erfreut zeigten sich die Medien hingegen über eine Meldung im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft der Frauen, dass die Erfolgsprämien durch die Credit Suisse und die Gelder für Bilder- und Namensrechte durch den SFV für die Spielerinnen und Spieler der Nationalmannschaft der Frauen und Männer künftig gleich hoch ausfallen sollen. Sinnbildlich für den wachsenden Stellenwert des Frauenfussballs stand ferner eine Erklärung des Nationalrats in der Wintersession 2022, wonach er die Kandidatur zur Austragung der Fussball-Europameisterschaft der Frauen 2025 in der Schweiz unterstütze. Trotz dieser verschiedenen Diskussionen im Sportbereich hielt sich die Berichterstattung dazu verglichen mit derjenigen zu gesundheitspolitischen Themen in Grenzen (vgl. Abbildung 1). Dies trifft auch auf die Medienaufmerksamkeit für die Sozialhilfe zu, die sich über das gesamte Jahr hinweg unverändert auf sehr tiefem Niveau bewegte.

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Rétrospective annuelle 2022