Réinitialiser la recherche

Contenu

  • Droit du mariage et du divorce
  • Parité dans le monde du travail

Acteurs

Processus

415 Résultats
Sauvegarder en format PDF Pour plus d'information concernant l'utilisation de la requête cliquer ici

Jahresrückblick 2022: Soziale Gruppen
von Viktoria Kipfer und Marlène Geber

Die Schweizer Asylpolitik wurde vor allem im Frühjahr 2022 primär durch den Krieg in der Ukraine geprägt, wie auch die Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse zeigt. So aktivierte die Schweiz im März 2022 erstmals den Schutzstatus S, der es den Geflüchteten aus der Ukraine erlaubt, ohne reguläres Asylverfahren in der Schweiz eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Bis im November 2022 fanden so rund 70'000 Flüchtende aus der Ukraine in der Schweiz Schutz. Das Zusammenleben zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Schweizerinnen und Schweizern nahm zu Beginn des Krieges eine Hauptrolle in der medialen Berichterstattung ein. So zeigten sich viele Schweizerinnen und Schweizer vor allem zu Beginn solidarisch mit den Flüchtenden, von denen in der Folge rund die Hälfte bei Privatpersonen unterkam, wie die SFH berichtete. Gleichzeitig wurde der Schutzstatus S aber auch als «faktische Ungleichbehandlung» der Ukrainerinnen und Ukrainer gegenüber allen anderen Asylsuchenden kritisiert. Folglich wurden im Parlament zahlreiche Vorstösse zum neuen Schutzstatus eingereicht, welche diesen unter anderem einschränken oder anpassen wollten – jedoch erfolglos. Insgesamt führte die Zeitungsberichterstattung zur Asylpolitik im Zuge des Ukraine-Kriegs zu einem deutlichen Anstieg des medialen Interesses des Jahres 2022 zum Thema «Soziale Gruppen» gegenüber dem Vorjahr (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Diskutiert wurden auch allgemeine Neuregelungen bei den Asylsuchenden, etwa zur Schaffung der Möglichkeit, dass Asylsuchende nach einem negativen Aufenthaltsentscheid ihre Lehre in der Schweiz beenden dürften. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch im Ständerat. Hingegen sprach sich der Nationalrat für zwei Motionen für eine Erleichterung des Zugangs zu einer beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papier sowie für die Ermöglichung der Erwerbstätigkeit auch im Falle eines negativen Asylentscheids aus. Unverändert bestehen blieben die zwangsweisen Covid-19-Tests von Abgewiesenen bei der Rückstellung in ihr Herkunftsland, welche das Parlament bis ins Jahr 2024 verlängerte. Finanzielle Unterstützung wollte der Bundesrat schliesslich Kantonen mit Ausreisezentren an der Landesgrenze in Ausnahmesituationen gewähren, National- und Ständerat nahmen jedoch gewichtige Änderungen an der entsprechenden Revision des AIG vor.

Im Jahre 2022 unternahmen Bundesrat und Parlament einige Anstrengungen bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt an Frauen. Einerseits inspirierte ein Bericht zu Ursachen von Homiziden im häuslichen Umfeld eine Vielzahl verschiedener Vorstösse, andererseits diente auch die Ratifikation der Istanbul-Konvention als Ansporn zur Lancierung parlamentarischer Vorlagen gegen häusliche und geschlechterbezogene Gewalt. Als Erbe der letztjährigen Frauensession wurde zudem ein erster Vorstoss, der nationale Präventionskampagnen gegen Gewalt fordert, überwiesen. Während sich bei diesem Thema eine Allianz von Frauen verschiedenster Parteien beobachten liess, fand ein Vorstoss aus dem rechten Lager, mit dem Gewalt an Frauen künftig mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden müsste, im Parlament keine Mehrheit. Des Weiteren rückte auch die Mehrdimensionalität der Gewalt an Frauen im Rahmen intersektionaler Vorstösse in den Fokus. Einerseits erhielt die Forderung nach verbessertem Schutz ausländischer Opfer vor häuslicher Gewalt mehr Aufmerksamkeit, andererseits wurde die Schutzbedürftigkeit von Menschen mit Behinderung bei häuslicher Gewalt hervorgehoben. Zwei weitere, im Frühjahr 2022 lancierte Vorlagen mit dem Titel «Wer schlägt, geht!» beschäftigten sich mit dem Wohnverhältnis nach Vorfällen der häuslichen Gewalt, während sich der Nationalrat in der Sommersession für eine nationale Statistik über Kinder, die Zeuginnen und Zeugen von häuslicher Gewalt sind, aussprach. Zuletzt forderten Vertreterinnen unterschiedlicher Parteien in sechs parlamentarischen Initiativen, Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm zu unterstellen, was von der erstberatenden RK-NR befürwortet wurde.

Die Idee eines «pacte civil de solidarité» (Pacs) treibt die Schweiz bereits seit mehreren Jahren um, was im Frühjahr 2022 in einem Bericht des Bundesrats über die «Ehe light» mündete. Auf Grundlage des Berichts wurde bereits ein parlamentarischer Vorstoss zur Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen im Ständerat eingereicht. Auch die Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen fand im Jahr 2022 Platz auf der politischen Agenda. Denn Ende 2021 hatten Vertreterinnen und Vertreter der SVP zwei Volksinitiativen lanciert, welche die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen reduzieren wollten: einerseits die Initiative «Für einen Tag Bedenkzeit vor jeder Abtreibung (Einmal-darüber-schlafen-Initiative)» und andererseits die Initiative «Für den Schutz von ausserhalb des Mutterleibes lebensfähigen Babys (Lebensfähige-Babys-retten-Initiative)». 2022 führten diese Anliegen auch innerhalb der SVP zu Diskussionen; insbesondere jüngere Vertreterinnen der Volkspartei äusserten sich dezidiert dagegen. Dieser Konflikt mündete unter anderem in der Ablehnung hauseigener Vorstösse durch eine Minderheit der SVP-Fraktion in der Sondersession 2022. Umgekehrt hatten es auch Vorstösse, die auf einen flächendeckenden und hürdenfreien Zugang zu Abtreibung abzielten, 2022 nicht leicht im Parlament.

Betreffend die Familienplanung sprachen sich beide Räte für eine Legalisierung der Eizellenspende für Ehepaare aus. Unter anderem weil die parlamentarische Initiative zur Überführung der Anstossfinanzierung für die familienexterne Kinderbetreuung in eine zeitgemässe Lösung den Sprung ins Sessionsprogramm 2022 verpasst hatte, stimmten National- und Ständerat einer Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienexterne Kinderbetreuung bis Ende 2024 zu. Um jedoch die Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung zu senken und die Anzahl Kitaplätze zu erhöhen, wurde im Frühjahr 2022 eine Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» lanciert. Auch die Annahme der «Ehe für alle» im September 2021 blieb nicht folgenlos im Parlament: Da gleichgeschlechtliche Paare nach der Heirat bei der Familienplanung weiterhin eingeschränkt seien, setzten sich zwei Motionen mit der rechtlichen Anerkennung der Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare auseinander, um deren Gleichberechtigung auch über die «Ehe für alle» hinaus voranzutreiben.

Darüber hinaus wurde 2022 eine Reihe von Forderungen aus der zweitägigen Frauensession 2021 vom Parlament aufgegriffen. Zwei Motionen zum Einbezug der Geschlechterperspektive in der Medizin stiessen in der Herbstsession 2022 in der grossen Kammer auf Akzeptanz. In Anbetracht des bevorstehenden digitalen Wandels fokussierten andere, auf die Frauensession zurückgehende erfolgreiche parlamentarische Vorstösse auf den Einbezug von Frauen in die Digitalisierungsstrategie des Bundes. In Anbetracht der in der Frauensession eingereichten Petitionen reichten die betroffenen Kommissionen auch mehrere Postulate ein, welche unter anderem Berichte zur Strategie zur Integration von Frauen in MINT-Berufen, zur Evaluation der schulischen Sexualaufklärung und zur Aufwertung der Care-Arbeit forderten – sie wurden allesamt angenommen.

In der LGBTQIA-Politik nahm besonders die Diskussion über die Existenz und das Verbot von Konversionstherapien viel Platz ein. Nach der Annahme der «Ehe für alle» waren 2021 drei parlamentarische Initiativen zum Verbot von Konversionstherapien eingereicht, später aber wegen einer lancierten Kommissionsmotion zurückgezogen worden. Angenommen wurde hingegen ein Postulat, das die Datengrundlage zum Vorkommen von Konversionsmassnahmen in der Schweiz verbessern möchte.

Auch die Gleichstellung gehörloser und hörbehinderter Menschen sollte gemäss Parlament vorangetrieben werden, weshalb National- und Ständerat eine Motion zur Schaffung eines Gesetzes zur Anerkennung der Gebärdensprachen annahmen.

Jahresrückblick 2022: Soziale Gruppen
Dossier: Rétrospective annuelle 2022

Nach dem Nationalrat stimmte in der Wintersession 2022 auch der Ständerat einer vermehrten Integration der Genderperspektive in die Digitalisierungsstrategie des Bundes zu. Die von der WBK-NR lancierte Motion forderte, bei der Strategie «Digitale Schweiz» ein Augenmerk auf die Chancen und Herausforderungen zu legen, die Frauen im Zuge des digitalen Wandels erwarten. Auf Antrag der WBK-SR und des Bundesrats wurde der Vorstoss in der kleinen Kammer stillschweigend angenommen. Im Zuge der Umsetzung der Motion werde sich der Bundesrat insbesondere auf den Aktionsplan der Strategie «Digitale Schweiz» fokussieren und hier ab 2023 geschlechterrelevante Messgrössen und Daten miteinbeziehen.

Geschlechterperspektive bei der Digitalisierung berücksichtigen (Mo. 22.3879)
Dossier: Les pétitions de la Session des femmes 2021 sont intégrées dans d'autres interventions parlementaires

Nach dem Nationalrat nahm in der Wintersession 2022 auch der Ständerat eine Motion Paganini (mitte, SG) an, die den Bundesrat aufforderte, die nötigen Schritte zur Ratifizierung des Haager Unterhaltsübereinkommens (HUÜ) zu unternehmen. Die kleine Kammer überwies den Vorstoss stillschweigend.

Haager Unterhaltsübereinkommen. Vorbereitung und Ratifizierung durch die Schweiz (Mo. 22.3250)

Im Dezember 2022 veröffentlichte der Bundesrat seinen Bericht in Erfüllung des Postulates der WBK-NR zur Stärkung der Charta der Lohngleichheit. Der Bericht diente zugleich auch zur Erfüllung einer Massnahme der Gleichstellungsstrategie 2030, die im Handlungsbereich «Berufliches und öffentliches Leben» vorgesehen ist. Basierend auf einem vom EBG in Zusammenarbeit mit verschiedenen Bundesämtern erstellten Grundlagendokument zur Charta der Lohngleichheit zeigte der Bericht unter anderem, dass eine Mehrheit der Kantone, Städte und Unternehmen des Bundes, aber nur eine Minderheit der Gemeinden und staatsnahen Betriebe die Charta unterzeichnet haben. Der Bundesrat definierte in der Folge 18 in seinen Zuständigkeitsbereich fallende Massnahmen, um die Charta zu stärken. Unter anderem wurden Massnahmen zur Anpassung und Vereinfachung des Lohnanalyse-Tools «Logib» vorgenommen und das Monitoring der Charta transparenter gemacht, indem dieses veröffentlicht werden soll. Weiter wurden Massnahmen definiert, um die Vorbildfunktion der Bundesverwaltung zu stärken. Im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens plante der Bundesrat eine Optimierung der Prozesse, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Schliesslich beauftragte der Bundesrat das BFS, den Bericht «Analyse der Löhne von Frauen und Männern anhand der Lohnstrukturerhebung» spätestens sechs Monate nach Abschluss der kompletten Datenproduktion zu veröffentlichen.

Stratégie de renforcement de la charte sur l'égalité salariale (Po. 20.4263)

Im Dezember 2022 gab der ETH-Rat bekannt, dass der Frauenanteil bei den Neuernennungen von Professorinnen und Professoren im Jahr 2022 auf 41,7 Prozent gesteigert werden konnte. Bereits in den letzten Jahren lag dieser Wert immer über 30 Prozent, was den Frauenanteil an der Professorenschaft insgesamt immer weiter steigere. Dem ETH-Rat sei die Chancengleichheit und die Steigerung des Frauenanteils, insbesondere auf der Stufe der Professuren, ein wichtiges Anliegen. Diese Erhöhung stelle aber auch eine grosse Herausforderung dar, vornehmlich für die technischen Bereiche, erklärte der ETH-Rat weiter.

ETH-Bereich erhöht Frauenanteil

Im Dezember 2022 präsentierte die WBK-NR ihren Entwurf zur Überführung der Anstossfinanzierung der ausserfamiliären Kinderbetreuung in eine zeitgemässe Lösung, der sich in nicht unwesentlichen Punkten vom zuvor in die Vernehmlassung geschickten Vorentwurf unterschied.
Insgesamt 275 Stellungnahmen waren in der Vernehmlassung eingegangen, die grosse Mehrheit davon fiel positiv aus. So unterstützten 23 Kantone den Vorentwurf, ebenso wie acht von zehn stellungnehmenden Wirtschaftsverbänden – darunter GastroSuisse, SGB und Travail.Suisse – und acht Parteien – darunter die SP, die Grünen, die GLP und die Mitte. Abgelehnt wurde die Vorlage von der SVP und der FDP; die FDP-Frauen sprachen sich hingegen für den Vorentwurf aus. Bei den Wirtschaftsverbänden äusserte economiesuisse trotz Unterstützung der Vorlage erhebliche Vorbehalte, während sich der SGV gänzlich ablehnend zur Vorlage positionierte. Die Befürwortenden begrüssten grundsätzlich, dass das seit 2003 bestehende Impulsprogramm in eine dauerhafte Lösung überführt werden soll, ebenso wie das stärkere Engagement durch den Bund. Ferner vertraten sie die Ansicht, die Vorlage verbessere die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf, wirke dem Fachkräftemangel entgegen und fördere die Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter. Die gegnerischen Stimmen, darunter die drei ablehnenden Kantone Bern, Graubünden und Zug, sahen durch den Vorentwurf die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Kantonen verletzt. In eine ähnliche Stossrichtung gingen die Bedenken des SGV sowie der SVP und der FDP. Anders beurteilten dies die meisten Kantone und die SODK, ebenso wie die für den Vorentwurf zuständige WBK-NR, die die neue Rolle des Bundes nicht nur mit Rückgriff auf die in Art. 116 Abs. 1 BV erwähnte Unterstützungskompetenz, sondern darüber hinaus mit Bezug auf Art. 110 Abs. 1 Bst. a BV (Arbeitnehmendenschutz) und Art. 8 Abs. 3 BV (Gleichstellung von Mann und Frau) legitimierte. Die SVP vertrat zusätzlich die Ansicht, dass die Vorlage die Wahlfreiheit der Eltern, die ihre Kinder nicht extern betreuen lassen wollen, einschränke. Economiesuisse und der SGV sorgten sich auch um die Kosten, insbesondere verbunden mit der offenen Frage der (Gegen-)Finanzierung.
Aufgrund der im Vernehmlassungsverfahren eingegangenen Rückmeldungen passte die WBK-NR ihren Entwurf im Vergleich zum Vorentwurf in zwei Punkten an. Erstens verlangte der Entwurf neu für jeden Kanton während der ersten vier Jahre eine Bundesbeteiligung von 20 Prozent an den durchschnittlichen Betreuungskosten der Eltern. Bei unzulänglichem finanziellen Engagement der Kantone könnte der Betrag daraufhin auf bis zu 10 Prozent der Betreuungskosten gekürzt werden. Im Vorentwurf hatte die Kommission eine umgekehrte Lösung vorgeschlagen, wonach der Bund zu Beginn einen Sockelbeitrag von 10 Prozent entrichtet hätte. Kantone mit vergleichsweise hohem finanziellen Engagement hätten in der Folge noch einen Zusatzbeitrag (+5% oder +10%) erhalten können. Die zweite Änderung im Vergleich zum Vorentwurf betraf die Höhe des Verpflichtungskredites zur Unterstützung von Programmen zur Schliessung der Angebotslücken in der familienexternen Betreuung. Während der Vorentwurf für die ersten vier Jahre hierfür insgesamt einen Betrag von CHF 160 Mio. bereitstellen wollte, wurde dieser Betrag im Entwurf auf CHF 240 Mio. erhöht. Dies, nachdem diverse Vernehmlassungsteilnehmende bemängelt hatten, dass zusätzliches Gewicht auf die Qualitätssicherung und -entwicklung gelegt werden sollte. Mit diesen Änderungen versehen genehmigte die Kommission den Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 17 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung. Dass die Diskussion um die Vorlage damit noch lange nicht abgeschlossen sein würde, liessen bereits die zahlreichen Anträge diverser Kommissionsminderheiten erahnen, die die WBK-NR in ihrem Bericht und teilweise bereits in ihrer Medienmitteilung aufführte.

Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung (Pa.Iv. 21.403)
Dossier: Aides financières à l'accueil extra-familial pour enfants

Im Dezember 2022 veröffentlichte das Bundesamt für Justiz die Vernehmlassungsergebnisse zu den vorgeschlagenen Änderungen beim Eheungültigkeitsgrund der Minderjährigkeit im ZGB. Im Zentrum der Vorlage stand die Verschiebung der sogenannten Heilung der Ehe bis zum 25. Geburtstag der minderjährig verheirateten Person. Gemäss geltendem Recht wird die Ehe bereits am 18. Geburtstag «geheilt», das heisst, sie kann dann nicht mehr für ungültig erklärt werden. An der bestehenden Interessenabwägung soll gemäss Vernehmlassungsvorlage weiterhin festgehalten werden: Die Ehe soll ausnahmsweise aufrechterhalten werden können, wenn dies dem überwiegenden Interesse der betroffenen, minderjährigen Person entspricht. Im Fall, dass die minderjährig verheiratete Person zum Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung bereits volljährig – aber noch unter 25 Jahre alt – ist, soll die Ehe aufrechterhalten werden, wenn die betroffene Person aus freiem Willen erklärt, an der Ehe festhalten zu wollen. Grundsätzlich sollen Ehen mit Minderjährigen weiterhin ungültig sein; um dies zu verdeutlichen hatte der Bundesrat vorgeschlagen, die Eheungültigkeit neu in einer eigenen Bestimmung zu regeln. Die Massnahmen waren in der Vernehmlassung breit begrüsst worden. Von 56 Stellungnehmenden sprach sich nur die SVP integral gegen die Vorlage aus. Ihr ging der Vorschlag zu wenig weit; ihrer Ansicht nach sollten Minderjährigenehen aus Prinzip in keinem Fall anerkannt werden. Eine Mehrheit der Teilnehmenden regte hingegen an, weitere Massnahmen gegen Minderjährigenehen im internationalen Privatrecht vorzusehen. Kritisiert wurde von einigen Teilnehmenden, dass die Verlängerung der Klagefrist Mehrkosten und -aufwand verursache, insbesondere auch, weil bei volljährig gewordenen Betroffenen ein Gericht den freien Willen prüfen müsse.

Massnahmen gegen Minderjährigenheiraten (BRG 23.057)

Ende November 2022 publizierte der Bundesrat den Bericht «Unternehmertum und Gleichstellung in der Berufsbildung» in Erfüllung des Postulats 20.4285 der FDP.Liberalen-Fraktion. Für die Umsetzung des Postulats untersuchte das SBFI die Bildungsgänge und Prüfungen in der höheren Berufsbildung hinsichtlich des Stellenwerts des Unternehmertums, wobei auf Ausbildungsgänge zu traditionellen «Männer-» und «Frauenberufen» fokussiert wurde. Die Analyse der ausgewählten 92 Berufsprofile habe gezeigt, dass praktisch in allen Ausbildungen unternehmerische Kompetenzen gelehrt würden. Im Bereich der höheren Fachschulen besuchten zudem beide Geschlechter gleichermassen Ausbildungen mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt, damit sei der Zugang zu unternehmerischen und betriebswirtschaftlichen Ausbildungen geschlechtsneutral ausgestaltet, bilanzierte der Bericht. Dasselbe Ergebnis sei auch für die Berufsprüfungen festgestellt worden. Keine Aussagen machte der Bericht hingegen zur Vermittlung unternehmerischer Kompetenzen in der beruflichen Grundbildung, also in der Lehre.

Berufsbildung und Gleichstellung. Lust und Kompetenzen vermitteln, unternehmerisch tätig zu werden, Frauen wie Männern und in allen Branchen (Po. 20.4285)

In der Sommersession 2022 lancierte Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR) eine parlamentarische Initiative zur Einführung eines «pacte civil de solidarité» (PACS) für die Schweiz. Ein entsprechendes Projekt solle sich konkret am Bericht des Bundesrats zur Einführung eines PACS orientieren. Konkret forderte der Initiant, Paaren eine Option zwischen der Ehe und dem weitgehend ungeregelten Konkubinat zu bieten, wie es bereits in Frankreich und den Benelux-Staaten geläufig sei. So könnten sich Personen in einer langjährigen Partnerschaft rechtlich absichern, ohne die Verpflichtungen einer Ehe einzugehen. Für einen PACS erachtete der Initiant eheähnliche Regelungen lediglich bei der Vertretung der Partnerschaft gegenüber Dritten und bei gemeinsamen Kindern als sinnvoll; deshalb sollte dieser eher als «Konkubinat plus» statt als «Ehe light» verstanden werden. Die RK-SR gab der parlamentarischen Initiative als erstberatende Kommission Anfang November 2022 mit 9 zu 2 Stimmen Folge.

Einen Pacs für die Schweiz (Pa. Iv. 22.448)

Entgegen dem Entscheid ihrer Schwesterkommission beschloss die WBK-SR im Oktober 2022 mit 7 zu 5 Stimmen bei einer Enthaltung, einer parlamentarischen Initiative Brenzikofer (gp, BL) zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine finanzielle Unterstützung von Tagesschulangeboten keine Folge zu geben. So sah die Kommission den damit verbundenen Eingriff in die Schulhoheit der Kantone kritisch und verwies auf den laufenden Gesetzgebungsprozess zur Umsetzung einer parlamentarischen Initiative der WBK-NR (Pa.Iv. 21.403). Dort seien bereits Programmvereinbarungen zwischen dem Bund und den Kantonen vorgesehen, die ebenfalls in den schulergänzenden Bereich eingreifen könnten. Somit geht der Vorstoss zurück an die WBK-NR.

Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine finanzielle Unterstützung von Tagesschulangeboten (Pa.Iv. 21.412)
Dossier: Aides financières à l'accueil extra-familial pour enfants

Wie bereits ihre Schwesterkommission gab im Oktober 2022 auch die RK-SR einer parlamentarischen Initiative Kamerzin (mitte, VS) Folge, die die alternierende Obhut bei geteiltem Sorgerecht fördern will. Die Kommission fällte den Entscheid einstimmig mit 10 zu 0 Stimmen. Wie ihre Schwesterkommission vertrat sie die Meinung, dass die alternierende Obhut, sogar bei Spannungen und Konflikten zwischen den Elternteilen, dem Kindeswohl zu Gute komme und somit auch bei Weigerung eines Elternteils zum Zuge kommen solle. Damit ist die RK-NR beauftragt, innert zweijähriger Frist eine entsprechende Gesetzesvorlage zu erarbeiten.

Bei gemeinsamer elterlicher Sorge die alternierende Obhut fördern (Pa.Iv. 21.449)

Nachdem sie im Sommer 2022 eine Vorlage zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Stamm (svp, AG) zur Ermöglichung von Doppelnamen bei der Heirat in die Vernehmlassung gegeben hatte, beantragte die RK-NR ihrem Rat, die Frist zur Ausarbeitung einer Vorlage um zwei Jahre zu verlängern. Der Nationalrat kam diesem Begehren in der Herbstsession 2022 stillschweigend nach.

Ermöglichung von Doppelnamen bei der Heirat (Pa.Iv. 17.523)
Dossier: Égalité entre les femmes et les hommes dans le droit du nom

Wie bereits der Nationalrat vor ihm sprach sich auch der Ständerat in der Herbstsession 2022 mit 32 zu 8 Stimmen bei einer Enthaltung für eine Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung bis maximal Ende 2024 aus. Beide Kammern bestätigten ihren Entscheid in der Schlussabstimmung, wobei im Nationalrat die Mehrheit der SVP-Fraktion und zwei Mitglieder der FDP.Liberalen-Fraktion gegen die Vorlage stimmten.

Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung bis und mit 2024 (Pa.Iv. 22.403)
Dossier: Aides financières à l'accueil extra-familial pour enfants

Mit der stillschweigenden Annahme einer Motion Caroni (fdp, AR) richtete der Ständerat in der Herbstsession 2022 den Auftrag an den Bundesrat, die rechtlichen Grundlagen für ein zeitgemässes Abstammungsrecht zu entwerfen. Wie der Motionär forderte, sollte sich die Regierung dabei an ihrem Bericht zum Reformbedarf im Abstammungsrecht, insbesondere an den darin enthaltenen Schlussfolgerungen, orientieren. Der Bundesrat hatte die Motion zur Annahme beantragt. Als nächstes wird der Nationalrat als Zweitrat über den Vorstoss befinden.

Zeitgemässes Abstammungsrecht (Mo. 22.3235)

Mit 116 zu 65 Stimmen gab der Nationalrat in der Herbstsession 2022 als Zweitrat, wie von der Mehrheit seiner RK beantragt, einer Standesinitiative des Kantons Tessin zur Ausdehnung des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschaftsurlaub auf 12 Monate nach der Geburt des Kindes keine Folge. Eine Minderheit Arslan (basta, BS) appellierte erfolglos an den Nationalrat, der Standesinitiative Folge zu geben: Bei Annahme der Initiative würden weniger Frauen aufgrund des vergleichsweise kurzen Kündigungsschutzes aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden oder könnten nach der Geburt auch wieder besser in das Arbeitsleben eingegliedert werden. Die Kommissionsmehrheit teilte diese Meinung nicht und argumentierte, dass die Vorlage den momentanen Fachkräftemangel noch verschärfen könnte. Sie erachtete eine Verdreifachung des heutigen Kündigungsschutzes für Jungmütter als ungerechtfertigt. So sprachen sich schliesslich lediglich die geschlossenen stimmenden Fraktionen der SP und der Grünen sowie ein Mitglied der Mitte-Fraktion für die parlamentarische Initiative aus. Die parlamentarische Initiative ist somit erledigt.

Ausdehnung des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschaftsurlaub (Kt.Iv. 20.322)
Dossier: Renforcement de la protection contre le licenciement en cas de maternité

In der Herbstsession 2022 wurde eine Standesinitiative des Kantons Waadt, welche die einfachere Bekämpfung sexueller Belästigung bei der Arbeit mithilfe einer Beweislasterleichterung forderte, vom Ständerat behandelt. Da der Tatbestand der sexuellen Belästigung «nicht klar definiert» sei und die Beschaffung eines Gegenbeweises im Falle einer Klage nur unter grossem Eingriff in die Privatsphäre der Arbeitnehmenden beschafft werden könne, empfahl eine knappe Mehrheit der RK-SR ihrem Rat, der Initiative keine Folge zu geben. Eine Kommissionsminderheit Baume-Schneider (sp, JU) verwies hingegen darauf, dass es für die Opfer sexueller Belästigungen sehr schwierig sei, die Tat zu beweisen, und forderte dementsprechend eine Änderung der geltenden Beweisregelung. Der Ständerat gab der Standesinitiative – wie bereits zuvor einer ähnlichen Standesinitiative des Kantons Genf – mit 25 zu 16 Stimmen bei 2 Enthaltungen keine Folge.

Einfachere Bekämpfung von sexueller Belästigung bei der Arbeit (Kt.Iv. 20.340)

Anfang Juli 2022 lancierte die WBK-NR eine Kommissionsmotion zur Integration der Genderperspektive in die Digitalisierungsstrategie des Bundes, womit einer Petition der Frauensession 2021 Folge geleistet wurde (Pet. 21.2038). Die Kommissionsmehrheit begründete die Forderung damit, dass ohne rechtzeitiges Handeln besonders Frauen von Stellenabbau im Zuge der Digitalisierung betroffen sein würden. Zudem stellten sie weiterhin eine Minderheit im Informatikbereich dar, wodurch sie auch bei neuen Stellen im Nachteil seien. Aus diesen Gründen müsse in der Strategie «Digitale Schweiz» ein Augenmerk auf den Einbezug von Frauen in den digitalen Wandel gelegt werden. Eine Kommissionminderheit zweifelte jedoch an der Notwendigkeit der Motion, da ihrer Ansicht nach der Grund für die Geschlechterunterschiede primär im Mangel an weiblichen Fachkräften in der Informatikbranche zu finden sei, welcher durch die Vorlage nicht gelöst werde. Diese Argumentation vermochte den Nationalrat in der Herbstsession 2022 indes nicht zu überzeugen. Die grosse Kammer folgte der Kommissionsmehrheit und nahm den Vorstoss mit 98 zu 75 Stimmen (bei 1 Enthaltung) an. Dabei sprachen sich die Fraktionen der SP, Grünliberalen und Grünen einstimmig für die Vorlage aus, während die SVP-Fraktion geschlossen und die FDP- und Mitte-Fraktionen mehrheitlich dagegen stimmten.

Geschlechterperspektive bei der Digitalisierung berücksichtigen (Mo. 22.3879)
Dossier: Les pétitions de la Session des femmes 2021 sont intégrées dans d'autres interventions parlementaires

In Erfüllung eines Postulats Marti (sp, BL) erhob das BFS für die Schweiz erstmals den Gender Overall Earnings Gap (GOEG) und den Gender Pension Gap. Beim GOEG handelt es sich um einen synthetischen, von Eurostat entwickelten Indikator, der geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede möglichst gesamthaft abbilden will. Im Gegensatz zum Gender Pay Gap, dem in der Schweiz bekannten und regelmässig erhobenen Mass der Lohnungleichheit, berücksichtigt der GOEG auch Unterschiede im Erwerbsvolumen: Während der Gender Pay Gap lediglich Lohnunterschiede zwischen auf Vollzeiterwerbstätigkeit standardisierten Bruttomonatslöhnen von Frauen und Männern betrachtet, erfasst der GOEG neben den Unterschieden im Stundeneinkommen auch Differenzen bei der Anzahl der wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden und der Erwerbsbeteiligung.

Für das Jahr 2018 betrug der GOEG für die Schweiz gemäss BFS 43.2 Prozent, respektive lag das kumulierte Erwerbseinkommen von Frauen, über ihr gesamtes Erwerbsleben betrachtet, um 43.2 Prozent tiefer als dasjenige der Männer, wobei die Unterschiede mit steigendem Alter der Frauen zunehmen. Im Vergleich zu den 30 europäischen Ländern, zu denen bei Eurostat für das Jahr 2018 Daten zum GOEG vorlagen, war die Schweiz dasjenige Land mit dem drittgrössten Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern. Den hohen Wert für die Schweiz führten die Bundesbehörden auf den hohen Anteil an teilzeit-erwerbstätigen Frauen in der Schweiz zurück.

Der durchschnittliche Lohnunterschied, also der sogenannte Gender Pay Gap, betrug im Jahr 2018 19 Prozent. Davon konnten 45.4 Prozent nicht durch persönliche oder berufliche Faktoren wie Ausbildung, Dienstjahre oder berufliche Stellung erklärt werden. Seit 2012 lasse sich keine Verringerung des Gender Pay Gap und dessen unerklärten Anteils feststellen, war dem Bericht zu entnehmen. Erstmals berechnete das BFS basierend auf den verfügbaren Datenquellen auch eine Zeitreihe für das Einkommen von Selbständigerwerbenden. Hier wurde für das Jahr 2018 ein ähnlich hoher Gender Pay Gap zuungunsten der Frauen ermittelt, allerdings habe sich dieser seit 2013 verringert, so der Bericht.

Nur die Hälfte aller Frauen bezog 2020 eine Rente aus der 2. Säule, bei den Männern taten dies sieben von zehn. Darüber hinaus lagen die Rentenbezüge der Frauen aus der 2. Säule rund 47 Prozent tiefer als diejenigen der Männer. Im Bericht spricht der Bundesrat von deutlichen Unterschieden bei der 2. und 3. Säule, die auf die Unterschiede in den Erwerbsbiographien und Lebensmodellen zurückzuführen seien. Demgegenüber steht die 1. Säule, in der Männer im Jahr 2020 eine um 4.1 Prozent tiefere AHV-Rente erhielten als Frauen. Von über dreissig europäischen Staaten hatten 2019 gemäss Eurostat lediglich sieben Staaten einen grösseren Gender Pension Gap als die Schweiz (34.6%).

In seinem Bericht präsentierte der Bundesrat zudem im Rahmen der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) erhobene Daten zur unbezahlten Haus-, Familien- und Freiwilligenarbeit. Diese zeigten, dass Frauen seit 2010 ziemlich unverändert 60 Prozent dieser unbezahlten Arbeiten erledigten, wogegen Männer (2020: 31 Stunden) wöchentlich mehr Stunden bezahlter Erwerbsarbeit aufwiesen als Frauen (21 Stunden). Für die Männer lässt sich seit 2010 eine leichte Abnahme der bezahlten Erwerbsarbeit (-2.5 Stunden/Woche) und eine entsprechende Zunahme der unbezahlten Arbeit (+2.9 Stunden/Woche) beobachten. Gemäss aktuellsten Daten von Eurostat verbringen Männer zwischen 20 und 74 Jahren in der Schweiz im europäischen Vergleich jedoch wöchentlich am meisten Stunden bei der Arbeit. Der monetäre Wert der gesamten unbezahlten Arbeit (von Frauen wie Männern geleistet) wurde vom BFS für das Jahr 2016 auf CHF 315 Mrd. geschätzt, wobei der grösste Teil auf die Hausarbeit (CHF 223 Mrd.) entfiel, gefolgt von der Familienarbeit (CHF 79 Mrd.) und der Freiwilligenarbeit (CHF 13 Mrd.).

Nicht zuletzt sicherte der Bundesrat in seinem Postulatsbericht zu, dass der GOEG nach erweiterter Methode und der Gender Pension Gap in Zukunft und in Ergänzung zu den bestehenden geschlechtsspezifischen Statistiken als Zeitreihen in die Statistikproduktion des BFS aufgenommen werden.

Erfassung des Gender Overall Earnings Gap und anderer Indikatoren zu geschlechterspezifischen Einkommensunterschieden (Po. 19.4132)

Sie sei die «Wegbereiterin für alle Juristinnen» gewesen, würdigte die NZZ in ihrem Nachruf die Anfang September 2022 verstorbene Margrith Bigler-Eggenberger, die 1972 als erste Frau ins Bundesgericht gewählt worden war; zuerst als nebenamtliche und 1974 als ordentliche Bundesrichterin. Sie blieb 17 Jahre lang einzige Bundesrichterin, weil bei den folgenden Richterwahlen stets Männer gewählt wurden. Margrith Bigler-Eggenberger hatte in Zürich und Genf Rechtswissenschaften studiert und 1959 eine Dissertation im Gebiet der Kriminologie verfasst. Sie sei als Frau stets hohen Hürden begegnet, wie die NZZ weiter schrieb. Als Gerichtspraktikantin erhielt sie etwa mit der Begründung, dass ihr Mann genug verdiene, keinen Lohn. Am Bundesgericht, wo sie unter ihren Kollegen teilweise auf offene Ablehnung stiess, wurden ihr nicht ihrem Fachgebiet entsprechende kriminologische, sondern familienrechtliche Fälle zugeteilt. Bei den Bestätigungswahlen im Parlament erhielt sie meist am wenigsten Wahlstimmen und auch ihre Wahl 1972 war nur äusserst knapp zustande gekommen, wobei dem Parlament nur ein Teil ihres Bewerbungsdossiers vorgelegt wurde. Nach ihrem Rücktritt als oberste Richterin im Jahr 1994 engagierte sie sich für Gleichberechtigung in der dritten Gewalt. Sie war unter anderem Mitgründerin der «Vereinigung Juristinnen Schweiz» und Mitstifterin des «Schweizerischen Instituts für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law».

Margrith Bigler-Eggenberger, erste Bundesrichterin, verstorben

Nachdem die Tessiner Standesinitiative zur Ausdehnung des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschaftsurlaub auf 12 Monate nach der Geburt bereits von der RK-SR und vom Ständerat abgelehnt worden war, beantragte die RK-NR im August 2022 mit 16 zu 9 Stimmen ebenfalls, ihr keine Folge zu geben. Eine Kommissionsminderheit Arslan (basta, BS) stellte hingegen einen Antrag auf Folgegeben. Gleichzeitig entschied sich die Kommission, eine eigene parlamentarische Initiative zur Ausdehnung des Kündigungsschutzes für Jungmütter (Pa.Iv. 22.455) zu lancieren.

Ausdehnung des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschaftsurlaub (Kt.Iv. 20.322)
Dossier: Renforcement de la protection contre le licenciement en cas de maternité

Der Nationalrat nahm in der Herbstsession 2022 ein Postulat seiner WBK für einen Bericht und eine Strategie zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen in Erfüllung einer Petition (Pet. 21.2039) aus der letztjährigen Frauensession an. Weiterhin seien Frauen in MINT- und vorrangig Informatikberufen im internationalen Vergleich unterrepräsentiert, was sich auch nach Massnahmen seitens des Bundes im letzten Jahrzehnt kaum verändert habe. Konkret forderte der Vorstoss den Bundesrat auf, einen Bericht mit quantitativen Zielen und der Evaluation bestehender und neuer Massnahmen auf kantonaler und Bundesebene zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen zu verfassen. Durch die vermehrte Einbindung von Frauen in MINT-Berufe könne unter anderem dem ausgeprägten Fachkräftemangel in dieser Branche gegengesteuert und der Wirtschaftsstandort Schweiz auch in Zukunft gestärkt werden. Der Bundesrat hatte entgegnet, dass insbesondere auf der Sekundarstufe II und auf Tertiärstufe bereits viele Massnahmen ergriffen worden seien. Auch werde die Chancengleichheit schon in einem ausreichenden Ausmass im Rahmen des Bildungsmonitorings analysiert, weshalb der geforderte Bericht nicht nötig sei. Entgegen der Empfehlung des Bundesrats stärkte die Nationalratsmehrheit ihrer WBK den Rücken. Der Vorstoss wurde mit 114 zu 64 Stimmen bei 10 Enthaltungen von den geeinten Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen mit Unterstützung aus den Fraktionen der Mitte und der FDP.Liberalen angenommen. Lediglich die SVP-Fraktion lehnte das Postulat geschlossen ab. Die FDP.Liberale-Fraktion zeigte sich gespalten.

Bericht und Strategie zur Steigerung des Frauenanteils in Mint-Berufen (Po. 22.3878)

Bereits in seinem Bericht in Erfüllung eines Postulats Vogler (csp, OW; Po. 19.3105) hatte sich der Bundesrat im Jahr 2021 klar dafür ausgesprochen, das Haager Unterhaltsübereinkommen (HUÜ) zu ratifizieren. Eine Motion Paganini (mitte, SG), die mit Bezugnahme auf den Bericht nun verlangte, dass die Regierung die notwendigen Schritte unternimmt, damit einer Ratifikation nichts mehr im Wege steht, empfahl er somit ebenfalls zur Annahme. Der Nationalrat kam diesem Antrag in der Sommersession 2022 stillschweigend nach.

Haager Unterhaltsübereinkommen. Vorbereitung und Ratifizierung durch die Schweiz (Mo. 22.3250)

In Umsetzung einer angenommenen parlamentarischen Initiative Stamm (svp, AG) eröffnete die RK-NR im Juni 2022 die Vernehmlassung über eine Änderung des Zivilgesetzbuches, mit der es Eheleuten wieder ermöglicht werden soll, einen Doppelnamen zu führen. Der Vorentwurf schlägt zwei verschiedene Lösungen vor: Die «kleine Lösung» käme einer Rückkehr zur Doppelnamenregelung vor 2013 gleich; derjenige Ehepartner, dessen Name nicht zum Familiennamen wird, soll seinen bisherigen Namen dem Familiennamen voranstellen und so einen Doppelnamen bilden können. Mit der «grossen Lösung» könnten künftig beide Ehegatten einen Doppelnamen führen, wobei der Name des Partners oder der Partnerin dem eigenen Namen nachgestellt wird. Wird einer der beiden Namen zum Familiennamen gewählt, könnte der andere der beiden Namen dem Familiennamen nachgestellt werden. Alle Doppelnamen könnten wahlweise mit oder ohne Bindestrich geschrieben werden. Die Namensführung der Kinder soll hingegen unverändert bleiben, für sie sind keine Doppelnamen vorgesehen. Die Vernehmlassung läuft bis am 8. Oktober 2022.

Ermöglichung von Doppelnamen bei der Heirat (Pa.Iv. 17.523)
Dossier: Égalité entre les femmes et les hommes dans le droit du nom

Die Mehrheit der WBK-NR forderte mit einem im April 2022 eingereichten Postulat eine Bestandesaufnahme zu den Themen Prekarität, Gleichstellung und akademischer Nachwuchs beim Mittelbau der Schweizer Hochschulen. Der Bundesrat solle dabei insbesondere prüfen, ob mehr stabile Stellen für Postdoc-Forschende geschaffen werden können. Zudem bat die Kommission um Antworten auf eine Reihe von Fragen, so beispielsweise, mit welchen Massnahmen gleichzeitig die Prekarität bekämpft und die Gleichstellung in der Nachwuchspolitik gefördert werden kann und welche Gesetzesänderungen notwendig wären, um mehr von ebendiesen stabilen Stellen (bswp. Tenure-Track-Professuren oder Lehr- und Forschungsbeauftragte) zu schaffen. Nicht zuletzt wurde auch die Kompetenzaufteilung angesprochen: Die WBK-NR wollte wissen, welche Handlungen ergriffen werden müssten, um auch die Kantone von diesen Plänen zu überzeugen. Eine starke Minderheit um Christian Wasserfallen (fdp, BE) beantragte die Ablehnung des Postulats. Auch der Bundesrat sprach sich für dessen Ablehnung aus. Er verwies zum einen auf die diesbezügliche Zuständigkeit der Hochschulen respektive des ETH-Rates. Zum anderen rief er in Erinnerung, dass die zuständigen Institutionen – die Hochschulen und der SNF – auf Basis des Berichts «Massnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Schweiz» in Erfüllung des Postulats 12.3343 der WBK-SR bereits einiges unternommen hätten, um die Situation des akademischen Nachwuchses zu verbessern. Schliesslich wies der Bundesrat auch darauf hin, dass die grosse Mehrheit des akademischen Nachwuchses nicht an den Hochschulen bleiben werde, sondern in anderen Bereichen wie der Privatwirtschaft oder der Verwaltung arbeiten werde. Um diese Personen zu unterstützen, hätten die Hochschulen ebenfalls bereits Massnahmen getroffen, wie etwa im Bereich der Laufbahnberatung.
Das Geschäft gelangte in der Sommersession 2022 in den Nationalrat. Dort erläuterte Sandra Locher Benguerel (sp, GR) seitens der Kommissionsmehrheit, dass dieses Postulat auf zwei Petitionen zurückgehe, wovon eine aus der Frauensession (Pet. 21.2051) und eine aus Mittelbau-Kreisen der Universitäten (Pet. 21.2026) stammte. Die Kommissionssprecherin bemängelte, dass 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals der Hochschulen lediglich über befristete Verträge verfüge, wobei die Gehälter zudem oft niedrig seien. Viele Forschende brächen daher ihre wissenschaftliche Karriere ab. Dies käme einer Talentabwanderung gleich und schwäche in der Folge das Potential der Schweizer Wissenschaft und des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Vor dem Hintergrund der Nichtassoziierung der Schweiz an Horizon Europe verschärfe sich diese Problematik zudem weiter. Christian Wasserfallen schätzte die Situation ganz anders ein. Seitens der Kommissionsminderheit argumentierte er, dass die Forschung nun einmal projektorientiert funktioniere; die geforderten Festanstellungen liefen diesem System zuwider. Die Forderung der Kommissionsmehrheit führe dazu, dass die entsprechenden Personen festangestellt und sodann an Projekten mitarbeiten würden, für die sie eventuell gar keine Expertise oder das notwendige Interesse mitbringen würden. Es sei auch nicht zielführend, die Forschenden in «eine Akademikerkarriere hineinzubugsieren, wenn sie sowieso keine Chance haben, auf der Karriereleiter nach oben zu kommen». Wasserfallen schloss seine Ausführungen mit der Kritik, dass die Kommissionsmehrheit die Anstellungsbedingungen an den Hochschulen bestimmen wolle; dies sei nichts anderes als Mikromanagement. Die Mehrheit des Nationalrats sprach sich dennoch für Annahme des Postulates aus; dem Vorstoss stimmten 105 Personen zu, 73 stimmten dagegen und 3 enthielten sich der Stimme. Die ablehnenden Stimmen stammten von den fast geschlossen stimmenden SVP- und FDP.Liberalen-Fraktionen sowie von einer Person aus der Mitte-Fraktion.

Für Chancengleichheit und die Förderung des akademischen Nachwuchses (Po. 22.3390)
Dossier: Les pétitions de la Session des femmes 2021 sont intégrées dans d'autres interventions parlementaires

In Erfüllung eines Postulats der RK-SR hatte der Bundesrat im Dezember 2021 einen Bericht über den Reformbedarf im Abstammungsrecht veröffentlicht. Im Rahmen seines Berichtes über die Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte 2021 beantragte er daher die Abschreibung des Vorstosses. Der Ständerat folgte dieser Empfehlung und schrieb das Postulat im Sommer 2022 stillschweigend ab.

Überprüfung des Abstammungsrechts (Po. 18.3714)