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  • Arslan, Sibel (basta, BS) NR/CN
  • Marti, Min Li (sp/ps, ZH) NR/CN

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Im Jahr 2023 scheiterten einige Vorstösse zur Stellung der Frau in der Gesellschaft, eingereicht von Frauen aus dem links-grünen Lager, bereits in einem frühen Stadium. Darunter befanden sich Vorstösse, die den Schutz vor Diskriminierung verstärken wollten oder verbesserte Informationsgrundlagen zur Einschätzung des Ausmasses der Diskriminierung verlangten. Bereits im Erstrat abgelehnt wurde eine Motion Marti (sp, ZH) zur Angleichung des Schweizer Gleichstellungsgesetzes an das EU-Gleichbehandlungsrecht im Erwerbsleben (Mo. 21.3938), ein Postulat Feri (sp, AG), das mehr Informationen über das Ausmass der Altersdiskriminierung von Frauen und Möglichkeiten zur Bekämpfung der festgestellten Diskriminierung verlangte (Po. 21.3090), sowie ein Postulat Gysin (gp, TI), das mehr Klarheit über die Konzepte der Gleichstellung und der Diskriminierung aufgrund von biologischem und sozialem Geschlecht schaffen wollte (Po. 22.3714).

Auch Vorstösse mit dem Ziel der Verbesserung der Situation von Frauen im Arbeitsleben scheiterten im Erstrat, namentlich eine Motion Imboden (gp, BE) mit der Forderung nach spezifischen, auf die Digitalisierung und eine nachhaltige Gesellschaft ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Frauen im Niedriglohnsegment (Mo. 22.3623), sowie mehrere Motionen, die verstärkte Massnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verlangten (Mo. 22.3564 Fehlmann Rielle, sp, GE; Mo. 22.3736 Piller Carrard, sp, FR; Mo. 23.3223 Carobbio Guscetti, sp, TI). Von der Urheberin zurückgezogen wurde ferner eine Motion Feri (sp, AG) mit der Forderung nach verstärkter Hilfe für Sexarbeitende aufgrund prekärer Umstände während der Covid-19-Pandemie (Mo. 21.3114). Unbehandelt abgeschrieben wurde schliesslich ein Postulat Prezioso Batou (egsols, GE), das vom Bundesrat einen Bericht zu den arbeitsmarktlichen Auswirkungen von Covid-19 auf die Frauen forderte (Po. 21.3390).

Im Erstrat abgelehnt wurde ferner eine Motion Funiciello (sp, BE) mit der Forderung, dass 0.1 Prozent des BIP zur Bekämpfung geschlechterspezifischer und sexualisierter Gewalt eingesetzt werde (Mo. 21.3768). Zwei weitere Vorstösse zu diesem Thema wurden von den Urheberinnen wieder zurückgezogen: Die Motion Gysin (gp, TI) mit der Forderung nach einer Übernahme der Verfahrenskosten für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (Mo. 21.3084) und ein Postulat Fellmann Rielle (sp, GE) betreffend der Finanzierung von Frauenhäusern für Opfer von Gewalt (Mo. 21.3073). In punkto Bekämpfung von Gewalt an Frauen wurden 2023 hingegen durch Zustimmung zu anderen Vorstössen und parlamentarischen Interventionen bedeutende Zugeständnisse erzielt.

Schliesslich wurde im Jahr 2023 ein die Gesundheit von Frauen betreffender Vorstoss abgeschrieben, da er nicht innert zwei Jahren vom Parlament behandelt worden war. Bei dieser Abschreibung handelte es sich erneut um ein Postulat Prezioso Batou (egsols, GE). Dieses wollte überprüfen lassen, wie auch Männer verstärkt in die sexuelle und reproduktive Gesundheitsprävention einbezogen werden könnten (Po. 21.3429).

Bereits im Erstrat gescheiterte Vorstösse zu Frauen- und Gleichstellungspolitik (2023)

Der Nationalrat befasste sich in der Wintersession 2023 mit dem Beitritt zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen. Auch im Zweitrat war das Geschäft unumstritten. Nachdem Min Li Marti (sp, ZH) und Raphaël Mahaim (gp, VD) die Vorlage seitens der RK-NR vorgestellt und Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider auf ein Votum verzichtet hatte, wurde Eintreten ohne Gegenantrag beschlossen. In der Detailberatung wurden keine Änderungen an der Vorlage vorgenommen. In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer das Geschäft schliesslich einstimmig an. Auch in den darauffolgenden Schlussabstimmungen demonstrierten die beide Räte Einstimmigkeit.

Haager Gerichtsstandsübereinkommen. Genehmigung und Umsetzung (BRG 23.045)

Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands zur finanziellen Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik stand in der Wintersession 2023 auf dem Programm des Nationalrates, der die Vorlage als Erstrat beriet. Min Li Marti (sp, ZH) und Jacqueline de Quattro (fdp, VD) stellten die Vorlage seitens der SPK-NR vor. Sie berichteten, dass in der Kommissionssitzung einige kritische Fragen zur Vorlage gestellt wurden, zum einen zur Höhe und zur weiteren Entwicklung der Kosten für die Schweiz, zum anderen zu Menschenrechtsverletzungen an den Schengen-Aussengrenzen. Diese beiden Thematiken wurden dann auch in den Fraktionsvoten der SVP respektive der Grünen aufgegriffen. Während die SVP-Fraktion aufgrund der ihres Erachtens unfairen Kostenschlüssels zulasten der Schweiz und des nicht funktionierenden Grenzschutzes gar nicht erst auf die Vorlage eintreten wollte (Minderheit Hess; svp BE), berichtete Marionna Schlatter (gp, ZH) seitens der Grünen-Fraktion, dass diese einen Solidaritätsbeitrag an die besonders belasteten Staaten an den EU-Aussengrenzen im Grundsatz befürworte, solange garantiert werde, dass die Gelder nicht zur Anwendung von menschenrechtswidrigen Praktiken verwendet werden. Aufgrund dieses Vorbehalts werde sich ein Grossteil der Fraktion der Stimme enthalten. Für die SP-Fraktion wies Priska Seiler Graf (sp, ZH) darauf hin, dass ihre Partei hinter der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes stehe. Auch die SP-Fraktion bitte jedoch den Bundesrat darauf hinzuarbeiten, dass «keine Schweizer Gelder an Staaten fliessen, welche systematisch Pushbacks durchführen.» Die FDP- und die Mitte-Fraktion sprachen sich vorbehaltlos für die Vorlage aus. Anschliessend verteidigte Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider den Verteilschlüssel: Dieser richte sich nach dem BIP der teilnehmenden Staaten, entsprechend sei es legitim, dass die Schweiz einen höheren Beitrag als andere Länder leiste. Zudem profitiere die Schweiz stark von effizienteren Kontrollen an den Schengen-Aussengrenzen, da diese zur Sicherheit der Schweiz beitrügen. Hinsichtlich der Bedenken der Grünen und der SP hielt Baume-Schneider fest, dass der Bundesrat die Einhaltung der Menschenrechte als äusserst wichtig erachte. Er habe daher unter anderem zwei Experten in das Grundrechtsbüro von Frontex entsandt.
Nach diesen Voten stimmte die grosse Kammer über Eintreten ab. Mit 103 zu 65 Stimmen bei 21 Enthaltungen trat der Nationalrat auf das Geschäft ein. Die ablehnenden Stimmen stammten wie angekündigt von der SVP-Fraktion, die Enthaltungen von den Grünen. Mit einem sehr ähnlichen Stimmenverhältnis (105:65; 21 Enthaltungen) wurde die Vorlage in der anschliessenden Gesamtabstimmung gutgeheissen.

Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands. Finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (BRG 23.059)

Mitte November 2023 legte der Bundesrat den Bericht zum Postulat von Min Li Marti (sp, ZH) zu den Möglichkeiten für selbstorganisierte Arbeitsformen in der Bundesverwaltung vor. Der Bericht lotete auf der Basis von Interviews mit erfahrenen Verwaltungsmitarbeitenden und Führungspersonen insbesondere aus, inwiefern die Soziokratie – Individuen sind prinzipiell gleichberechtigt an einer Organisation beteiligt und finden Lösungen im Konsent-Prinzip – und die Holokratie – die Machtverteilung wird dezentralisiert und eine Organisation mittels klaren Organisations- und Entscheidungsstrukturen auf grösstmögliche Effizienz ausgerichtet – umsetzbar wären. Der Bericht zeigte auf, dass es zwar in fast allen Departementen selbstorganisierte Arbeitsformen gebe, dass die nach wie vor vorherrschenden hierarchischen Strukturen aber für eine breitere Durchsetzung neuer Arbeitsformen hinderlich seien. Die Einführung von selbstorganisierten Arbeitssystemen mit hoher Flexibilität, flachen Hierarchien und breiter Mitentscheidung bedinge neue Rollenverständnisse, den Willen der Mitarbeitenden, Verantwortung zu übernehmen und die entsprechende Unterstützung seitens der Führung. Der Bericht schloss mit der Vermutung, dass die Forderungen nach neuen Arbeitsformen über die Zeit auch aufgrund eines «Generationenwechsel[s] in der öffentlichen Verwaltung» zunehmen und sich in einer «Arbeitswelt in Bewegung» immer mehr durchsetzen werden.

Selbstorganisierte Arbeitsformen in der Bundesverwaltung einführen (Po. 21.4162)

Die Reise der Motion Arslan (basta, BS) für eine rückwirkende Einführung des Aggressionsverbrechens im Schweizer Recht endete in der Herbstsession 2023 im Ständerat. Die kleine Kammer lehnte den Vorstoss mit 24 zu 7 Stimmen ab, nachdem ihre Rechtskommission ihn als unnötig bezeichnet hatte. Die Übernahme des Aggressionsverbrechens ins Schweizer Recht sei durch die bereits überwiesene Motion Sommaruga (sp, GE; Mo. 22.3362) gewährleistet; eine allfällige Rückwirkung könne der Bundesrat in diesem Rahmen prüfen.

Völkerstrafrechtliche Verbrechen der Aggression ins Strafgesetzbuch aufnehmen (Mo. 22.4503)

Der Nationalrat befasste sich in der Herbstsession 2023 als Erstrat mit dem Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ). Nach einer ausführlichen Debatte trat die grosse Kammer mit 133 zu 53 Stimmen auf den Entwurf ein. Die SVP-Fraktion stimmte geschlossen gegen Eintreten, weil die Vorlage ihrer Meinung nach unzulänglich war. Minderheitssprecher Pirmin Schwander (svp, SZ) kritisierte, dass der Entwurf den Weg für den Aufbau mehrerer paralleler Kommunikationsplattformen offen lasse, was nicht effizient sei. Ausserdem äusserte er Sicherheitsbedenken und monierte, dass ein allfälliger Totalausfall der Plattform im Gesetz nicht geregelt werde. Die Berichterstatterin der Kommissionsmehrheit, Min Li Marti (sp, ZH), zeigte sich indes überzeugt, dass die Digitalisierung in der Justiz zu einer effizienteren Zusammenarbeit zwischen den Verfahrensbeteiligten führen könne. Sie betonte zudem, dass die Vorlage von den Kantonen «ausdrücklich gewünscht und befürwortet» werde.
In der anschliessenden Detailberatung gab es lediglich zwei Minderheitsanträge. Einerseits nahm eine Minderheit Marti die schon in der Eintretensdebatte vorgebrachten Bedenken auf, dass es weder sinnvoll noch effizient sei, mehrere Plattformen parallel zu betreiben. Sie wollte diese Möglichkeit daher aus dem Gesetz streichen, während es die Mehrheit als sinnvoll erachtete, diese Option vorerst offen zu lassen. Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat stützte die Position der Kommissionsmehrheit mit 105 zu 80 Stimmen und beliess den Artikel gegen den Willen des links-grün-grünliberalen Lagers unverändert. Auch die SVP-Fraktion, die unter anderem genau damit für Nichteintreten argumentiert hatte, stimmte jetzt dagegen, diesen Artikel zu streichen. Eine weitere Minderheit Marti forderte andererseits, dass die Arbeitsverhältnisse der Angestellten der Körperschaft, die mit dem Aufbau und dem Betrieb der Plattform betraut sein wird, dem öffentlichen Personalrecht unterstellt statt privatrechtlich geregelt werden. Ausserhalb der Fraktionen der SP und der Grünen fand dieser Vorschlag jedoch keinen Anklang. Die übrigen Änderungsanträge der RK-NR waren unbestritten. Es handelte sich dabei vor allem um diverse Präzisierungen am bundesrätlichen Entwurf.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 133 zu 53 Stimmen an. Wie schon beim Eintreten votierte die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Abschliessend stimmte der Nationalrat stillschweigend für die Abschreibung der Motion 12.4139, die die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs gefordert hatte.

Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BRG 23.022)
Dossier: Introduction de la communication électronique dans le domaine judiciaire

Im Dezember 2022 verlangte Min Li Marti (sp, ZH) in einer Motion, dass zukünftig bei allen Stellenausschreibungen der Bundesverwaltung oder der bundesnahen Betriebe der zu erwartende Lohn angegeben werden muss. Die Lohntransparenz sei wichtig, um die Lohndiskriminierung zu bekämpfen, zudem könne der Bund auf diese Weise eine Vorbildfunktion einnehmen. Der Bundesrat beantragte, die Motion abzulehnen, da eine Nennung des Ziellohns im Stelleninserat zu Missverständnissen bei den Bewerbenden führen könne, weil der Ziellohn das mögliche Gehalt darstellt, das nach mehreren Jahren erreicht werden kann. Zudem habe der Bundesrat das EPA bereits beauftragt, das Lohnsystem zu optimieren sowie zu prüfen, ob weitere Informationen bezüglich der Löhne zur Verfügung gestellt werden sollen. In der Herbstsession 2023 im Nationalrat betonte Bundesrätin Keller-Sutter (fdp, SG) zudem, dass die Lohntabellen des Bundes öffentlich zugänglich seien. Ratsmitglieder befürchteten zudem, dass die Publikation der Löhne bei den Stellenausschreibungen durch den Bund die Privatwirtschaft unter Druck setzen würde. Schliesslich lehnte der Nationalrat den Vorstoss mit 106 zu 82 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ab. Unterstützt wurde dieser nur von der SP-, der Grünen- und der GLP-Fraktion.

Lohntransparenz bei Stelleninseraten (Mo. 22.4443)

Die vier identischen Motionen «Wiedereinführung der Möglichkeit der Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz» von Jacqueline de Quattro (fdp, VD; Mo. 21.4533), Léonore Porchet (gp, VD; Mo. 21.4534), Min Li Marti (sp, ZH; Mo. 21.4535) und Lilian Studer (evp, AG; Mo. 21.4536) wurden in der Herbstsession 2023 vom Ständerat beraten. Als Sprecher der RK-SR erklärte Carlo Sommaruga (sp, GE), dass die Kommission die vier Vorstösse einstimmig mit 12 zu 0 Stimmen zur Ablehnung empfehle. Als Gründe führte er das Territorialitätsprinzip – ein Staat soll nicht für Schäden haften müssen, die nicht auf seinem Territorium entstanden sind –, finanzielle Auswirkungen für die Kantone sowie Beweisschwierigkeiten und Ungleichbehandlungen der Opfer an. Anders als im Nationalrat, wo die Geschäfte eine Mehrheit gefunden hatten, lehnten die Mitglieder des Ständerats die Vorstösse auf Anraten ihrer Kommission stillschweigend ab.

Wiedereinführung der Möglichkeit der Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz (Mo. 21.4533; Mo. 21.4534; Mo. 21.4535; Mo. 21.4536)

In Erfüllung eines Postulats Arslan (basta, BS) zur Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen gab der Bundesrat eine Studie in Auftrag, die zentrale Einflussfaktoren auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern eruierte und darauf aufbauend Empfehlungen zur Erleichterung des Wiedereinstiegs und des Verbleibs von Frauen im Arbeitsmarkt formulierte.

Die vom Beratungsbüro Ecoplan durchgeführte Studie, zu der 1'000 Frauen mit Kindern unter 12 Jahren befragt wurden, förderte zu Tage, dass sich vier von fünf interviewten und aktuell nicht erwerbstätigen Frauen eine Erwerbstätigkeit wünschten, wenn «alle für [s]ie persönlich wichtigen Voraussetzungen» zuträfen. Insgesamt am häufigsten gaben die befragten Frauen an, dass sie ihr Erwerbspensum erhöhen oder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würden, wenn eine finanzielle Notwendigkeit dazu bestünde (38% der erwerbstätigen und 45% der nicht erwerbstätigen Frauen). Auch weitere Faktoren entpuppten sich als entscheidungsrelevant für viele Frauen, wobei sich die Einschätzungen bei Frauen mit und ohne Erwerbstätigkeit teilweise stark unterschieden: So gab beinahe jede zweite Frau ohne Erwerbstätigkeit an, dass sie bei familienfreundlichen Arbeitsbedingungen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würde (47%), während nur knapp eine von drei erwerbstätigen Frauen ihr Pensum unter diesen Gegebenheiten erhöhen würde (31%). Auch die zusätzlich von Ecoplan durchgeführte Befragung von Arbeitgebenden unterstrich neben dem generellen Trend hin zu mehr Teilzeitarbeit die Bedeutung von flexiblen Arbeitszeiten und -orten für die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen. Zwei von fünf nicht erwerbstätigen Frauen (40%) würden zudem eine Arbeitsstelle annehmen, wenn sie Aussicht auf eine Stelle mit passenden Anforderungen hätten, wogegen nur für eine von fünf Frauen im Arbeitsmarkt eine passendere Stelle ein Grund für eine Erhöhung des Pensums darstellte (22%). Die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung (31% der Erwerbstätigen; 27% der nicht Erwerbstätigen) sowie der Wegfall steuerlicher Nachteile (je 28%) schienen für beide Gruppen von Frauen ähnlich entscheidend zu sein.

Als zentrale, die Erwerbstätigkeit beeinflussende Faktoren für die befragten Frauen identifizierten die Autorinnen und Autoren der Studie die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung, die Familienfreundlichkeit der Arbeitsbedingungen, steuerliche Erwerbsanreize sowie Sensibilisierungs-, Beratungs- und Bildungsangebote, um über die finanziellen Konsequenzen tiefer oder fehlender Erwerbstätigkeit aufzuklären. Auch ein in Erfüllung des Postulats vom SECO organisierter Runder Tisch zwischen Kantonen, Sozialpartnern, Akteuren im Bereich Gleichstellung und den betroffenen Bundesämtern bestätigte die Relevanz der mit diesen Erklärungsfaktoren verbundenen Handlungsfelder. Gleichzeitig verwiesen sie auf die zahlreichen bestehenden Massnahmen und nannten eine Fülle von Vorzeigeprojekten, die auf verschiedenen Staatsebenen und durch private oder öffentliche Akteure organisiert würden. Die am Runden Tisch involvierten Akteure hoben darüber hinaus die Wichtigkeit von Massnahmen hervor, die speziell auf die Arbeitsmarktintegration von Frauen mit Migrationshintergrund abgestimmt sind. Ebenso sei es für die Stellung von Frauen im Arbeitsmarkt zentral, dass sich Massnahmen zur Verbesserung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen auch an Männer adressierten und auch für Männer die Möglichkeit gefördert werde, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen.

Der Bundesrat leitete aus dem Bericht ab, dass es aufgrund bestehender Massnahmen und Projekte entgegen der Forderung der Postulantin weder einer Gesamtstrategie noch eines Massnahmenplans bedürfe. Vielmehr müssten die zahlreichen bestehenden Massnahmen und Angebote besser bekannt gemacht und die Koordination zwischen den verschiedenen Verantwortlichen verbessert werden. Zusätzlich rege der bestehende Fachkräftemangel Unternehmen dazu an, «proaktiv attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen». Mit der Legislaturplanung und der Gleichstellungsstrategie 2030 bestünden die strategischen Leitplanken zudem bereits. Weiter verwies der Bundesrat auf laufende Geschäfte auf Bundesebene, insbesondere auf Bestrebungen zur Einführung der Individualbesteuerung sowie auf die Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch den Bund. Während Letztere bislang in Form von befristeten Finanzhilfen erbracht wurde, soll es dafür gemäss einer hängigen parlamentarischen Initiative künftig eine stärkere und dauerhafte finanzielle Unterstützung geben (Pa.Iv. 21.403). Die Regierung fügte an, sie habe in ihrem Bericht zur Erfüllung eines Postulats Moret (fdp, VD; Po. 19.3621) zudem Empfehlungen zur Verbesserung bestehender Beratungsangebote zum Wiedereinstieg aufgezeigt. Grundsätzlich betonte der Bundesrat jedoch auch, dass er in Bezug auf die Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs in erster Linie die Kantone und die Unternehmen in der Verantwortung sehe.

Massnahmenplan für den Wiedereinstieg von Frauen in die Arbeitswelt (Po. 20.4327)

Ende Juni 2022 verabschiedete der Bundesrat die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU. Im Vorfeld wurde in der Öffentlichkeit die Hoffnung geäussert, dass die Verhandlungsgrundlage dieses Mal besser sei als jene beim gescheiterten institutionellen Rahmenabkommen. Die vom Bundesrat präsentierten Eckwerte sollen als Grundlage für weitere Gespräche und als Leitlinien für mögliche künftige Verhandlungen mit der EU dienen. Der Bundesrat definierte damit also jene Bereiche, die in einem künftigen Verhandlungsmandat abgedeckt werden sollten. Ergänzt wurden diese durch Oberziele allfälliger Verhandlungen und durch spezifische Ziele in einzelnen Bereichen. Zu den Oberzielen gehören unter anderem: Eine Stabilisierung des bilateralen Wegs und dessen für die Schweiz massgeschneiderte Entwicklung; hindernisfreie Binnenmarktbeteiligung in den Bereichen Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft, Strom, Lebensmittelsicherheit sowie in allen Kapiteln des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen; der Abschluss eines Stromabkommens, eines Abkommens im Bereich Lebensmittelsicherheit und eines Gesundheitsabkommens; die Zulassung der Schweiz zu EU-Programmen wie beispielsweise Horizon 2021-2027. Im Gegenzug zu diesen Zugeständnissen biete die Schweiz Hand zu institutionellen Lösungen zur Erhöhung der Rechtssicherheit bei bestehenden und künftigen Binnenmarktabkommen. Zudem wolle die Schweiz sektoriell eingeschränkte staatliche Beihilferegelungen der EU übernehmen und die Verstetigung der Kohäsionszahlungen an die EU prüfen.
Der Bundesrat teilte in seiner Medienmitteilung mit, dass die betroffenen Bundesämter damit beauftragt worden seien, die noch offenen Punkte in Gesprächen mit der EU zu klären, unter anderem die Frage, wie die neuen Abkommen in das Verhandlungspaket integriert werden sollen. Er kündigte an, bis Ende Jahr die Verabschiedung des Verhandlungsmandats vorzubereiten, sofern die internen Arbeiten und die Gespräche mit der EU weiterhin gut verliefen.

Die Schweizer Öffentlichkeit reagierte unterschiedlich auf die Positionsbestimmung des Bundesrats. Während der Schweizerische Gewerkschaftsbund und Travail Suisse auf viele ungelöste Probleme verwiesen und den präsentierten Kompromissen kritisch gegenüber standen, betonte der Arbeitgeberverband, dass die «allermeisten offenen Punkte» bei den flankierenden Massnahmen gelöst werden konnten. Die Eckpunkte stiessen auch bei den Parteien nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) bezeichnete die Eckwerte vor der Verabschiedung des Verhandlungsmandats als unnötigen Zwischenschritt, der nur dazu diene, «alle ruhigzustellen». Die SVP monierte laut «La Liberté», dass der Bundesrat mit diesen Eckwerten die Souveränität des Landes opfern wolle. SVP-Aussenpolitiker Franz Grüter (svp, LU) kritisierte, dass die heiklen Punkte wie die dynamische Rechtsübernahme oder die Streitbeilegung mit dem EuGH als Entscheidungsinstanz die gleichen wie beim institutionellen Rahmenabkommen seien. Ebenfalls unzufrieden, wenngleich aus anderen Gründen, waren die Grünen. Sie warfen dem Bundesrat vor, die Verhandlungen mit der EU bis nach den nationalen Wahlen im Herbst 2023 zu verzögern. Sibel Arslan (basta, BS) sprach dem Bundesrat den politischen Willen und den Mut zu Verhandlungen ab. Auch SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) störte sich in der «Republik» an dieser Verlangsamung der Gespräche, denn damit sei nichts zu gewinnen. Ähnliches vernehme man auch aus Brüssel, berichtete die NZZ. Der Sprecher der Europäischen Kommission gab zu Protokoll, dass man die Ankündigung des Bundesrates zur Kenntnis nehme und bereit sei, die laufenden Sondierungsgespräche fortzusetzen. Das übergeordnete Ziel für die EU sei es, eine systemische Lösung für alle strukturellen Fragen in den verschiedenen Abkommen zu finden. Für die EU sei jedoch ein «glaubwürdiger Zeitplan» wichtig, man wolle die Verhandlungen noch während der Amtszeit der derzeitigen Kommission zu Ende führen. Auch die Gewerkschaften, deren Vorbehalte gegen das institutionelle Rahmenabkommen mitverantwortlich für dessen Scheitern gewesen waren, äusserten sich zu den Eckwerten des Bundesrates. SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (sp, VD) warf Bundesrat Cassis vor, schönfärberisch über die Fortschritte im EU-Dossier zu kommunizieren. Seiner Meinung nach nehme man in den Gesprächen mit der EU kaum etwas von diesen vermeldeten Fortschritten wahr, da sich die EU-Kommission auf ihre Positionen aus den Verhandlungen zum Rahmenabkommen berufe. Der SGB befürchtete nicht nur die Schwächung des Schweizer Lohnschutzes, sondern auch Forderungen der EU in weiteren Bereichen wie der Spesenregelung oder bei der Liberalisierung des Service public. Pierre-Yves Maillard nannte das Schienennetz oder den Strommarkt als Beispiele, bei denen man hart bleiben müsse. Er bezeichnete die Gefahr eines erneuten Scheiterns der Verhandlungen angesichts der derzeitigen Ausgangslage als «gross».

EU-Verhandlungsmandat

Als Ergänzung eines Postulats Arslan (basta, BS; Po. 20.4327), das einen Massnahmenplan für den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen forderte, verstand Marianne Binder-Keller (mitte, AG) ihr Postulat, mit welchem sie bezweckte, dass das durch Familienarbeit erworbene Potential für den Arbeitsmarkt besser genutzt werden solle. Gesellschaftlich und volkswirtschaftlich betrachtet sei die unbezahlte Familienarbeit von unschätzbarem Wert, so die Mitte-Politikerin in ihrer Begründung. Dennoch würden die im Rahmen dieser Tätigkeit erlangten Kompetenzen bei einem Wiedereinstieg ins Arbeitsleben kaum berücksichtigt. Deswegen fordere sie den Bundesrat dazu auf zu eruieren, wie die Familienarbeit für die Erlangung einer Erwerbsarbeit angemessen berücksichtigt werden müsste. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, unter anderem mit der Begründung, dass die «Vertragsparteien selbst am besten wissen, welche Kompetenz wo gewinnbringend genutzt werden kann». Die Mehrheit im Nationalrat hingegen sah dies anders und nahm das Postulat mit 104 zu 77 Stimmen (2 Enthaltungen) deutlich an. Gegen Annahme stellten sich die Fraktionen der FDP und der SVP.

Durch Familienarbeit erworbenes Potential für den Arbeitsmarkt besser nutzen (Po. 21.3900)

Nicht weniger als 42 Wortmeldungen konnten im Rahmen der Debatte um den Antrag der Mehrheit der SPK-NR auf Abschreibung der parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) gezählt werden. Die 14-köpfige Kommissionsmehrheit war zu diesem Antrag gelangt, weil sie die Resultate aus der Vernehmlassung zu ihrem ersten Entwurf, der die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 16 Jahre – beim Wahlrecht beschränkt auf aktives, nicht aber passives Wahlrecht – vorgesehen hatte, als zu negativ erachtete. Eine Mehrheit der Kantone, die bürgerlichen Parteien und Arbeitgeberverbände waren dem Entwurf skeptisch gegenübergestanden. Die starke 11-köpfige Kommissionsminderheit gewichtete die unterstützenden Verehmlassungsantworten hingegen stärker und forderte entsprechend die definitive Ausarbeitung einer Vorlage.

Der Abschreibungsantrag hatte einiges an Medienaufmerksamkeit generiert, weil sich die SPK-NR bereits zum dritten Mal entschieden hatte, das Geschäft nicht (weiter) zu behandeln: Eine knappe Kommissionsmehrheit hatte 2020 bereits empfohlen, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben, und stellte sodann 2022 den Antrag, das Anliegen abzuschreiben, ohne dass sie eine Vorlage dazu ausgearbeitet hatte. Beide Male folgte die grosse Kammer allerdings der jeweiligen Kommissionsminderheit. Und auch beim nunmehr dritten Versuch der Kommission, die Idee aufgrund der Vernehmlassungsantworten ad acta zu legen, widersetzte sich der Nationalrat mit 98 zu 93 Stimmen.
In der diesem Entscheid vorangehenden, ungewöhnlich langen Debatte gab es kaum neue Argumente. Die Mehrheit der zahlreichen Wortmeldungen waren vielmehr sogenannte Zwischenfragen, in denen ideologische Unterschiede sichtbar wurden, die die linke und rechte Ratshälfte bei der Frage des Ausbaus politischer Inklusion trennt und sich insbesondere um die Divergenz zwischen politischer Urteilsfähigkeit und zivilrechtlicher Mündigkeit drehten.
Das Resultat gegen den Antrag der Mehrheit der SPK-NR kam schliesslich erneut äusserst knapp zustande: Auch bei der nunmehr dritten Abstimmung zeigte sich der Graben zwischen der Ratsrechten und der Ratslinken und erneut spielte die gespaltene Mitte Zünglein an der Waage. Die Fraktionen der SP, der GLP und der GP stimmten geschlossen gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit und die SVP-Fraktion unterstützte ihn ebenso geschlossen, die FDP-Fraktion grossmehrheitlich. Bei der Mitte-EVP-Fraktion votierten 16 Mitglieder für den Antrag auf Abschreibung und 13 dagegen – darunter die drei EVP-Mitglieder. Mit 98 zu 93 Stimmen erhielt die somit SPK-NR neuerlich den Auftrag, eine Vorlage auszuarbeiten.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Donner le droit de vote à 16 ans

Im Sommer 2023 schrieb der Nationalrat im Rahmen der Beratungen zur Botschaft des Bundesrates über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2022 das Postulat Marti (sp, ZH) für die Erstellung eines Grundlagenberichts «Digitaler Service public» ab. Der Bundesrat hatte im Oktober 2022 den entsprechenden Bericht veröffentlicht und verwies zudem auf einen weiteren Bericht des UVEK und des EDA vom März 2022 betreffend die «Schaffung von vertrauenswürdigen Datenräumen basierend auf der digitalen Selbstbestimmung».

Offensive für einen digitalen Service public (Po. 19.3574)

Der Bundesrat verabschiedete im Februar 2023 den Aussenpolitischen Bericht 2022. Den Schwerpunkt bildete dabei der im Frühjahr 2022 gestartete Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Dieser führte in der Schweiz und in vielen anderen Staaten zu einer Energiekrise und zu einer starken Inflation. Auch eine in vielen Ländern zu spürende grössere Ernährungsunsicherheit und ganz allgemein eine grosse geopolitische Instabilität waren Folge dieses Krieges. Die Schweiz habe die Sanktionspolitik der EU gegen Russland unterstützt und sich gegenüber der Bevölkerung in der Ukraine solidarisch gezeigt, erklärte der Bundesrat im Bericht. Weiter hielt der Bericht fest, dass die im Juli 2022 in Lugano durchgeführte Ukraine Recovery Conference den politischen Prozess für den Wiederaufbau der Ukraine lanciert habe. Ein weiteres wichtiges Kapitel des Berichts widmete sich den Beziehungen der Schweiz zur EU. Diesbezüglich verwies der Bundesrat auf die im Februar 2022 festgelegte Stossrichtung für ein neues Verhandlungspaket mit der EU.
Weitere Themen waren auch das Engagement der Schweiz für einen wirkungsvollen Multilateralismus und der Einsitz der Schweiz im Sicherheitsrat der UNO für die Periode 2023–2024.
Als Anhang zum aussenpolitischen Bericht publizierte der Bundesrat den Bericht über die Menschenrechtsdiplomatie der Schweiz für die Jahre 2019–2022. Mit diesem Bericht erfüllte er das Postulat 20.4334 der APK-NR zum Menschenrechtsdialog mit China. Der Bundesrat hielt fest, dass sich die Schweiz bemühe, die bilaterale sowie multilaterale Menschenrechtsdiplomatie mit China aufrechtzuerhalten – der letzte bilaterale Austausch fand 2018 statt –, obwohl Chinas Bereitschaft, Menschenrechtsfragen zu diskutieren, in den letzten Jahren abgenommen habe. Zugleich habe sich die menschenrechtliche Lage in China in vielen Bereichen, etwa in Bezug auf die Meinungsäusserungsfreiheit oder die Rechte von Minderheiten, stark verschlechtert. Die Schweiz werde aber trotz der ernüchternden Ergebnisse in Kohärenz mit der China-Strategie 2021–2024 weiterhin versuchen, den bilateralen Menschenrechtsdialog wieder aufzunehmen.

Der Nationalrat nahm in der Frühjahrssession 2023 Kenntnis vom Bericht. Christine Bulliard-Marbach (mitte, FR) und Sibel Arslan (basta, BS) stellten den Bericht vor und erläuterten, dass dieser in der Kommission von den Fraktionen generell wohlwollend aufgenommen worden sei. Gemäss Sibel Arslan divergierten die Meinungen zur Reaktion des Bundesrates auf den Ukraine-Krieg stark: Einige hätten kritisiert, dass der Bundesrat die EU-Sanktionen gegen Russland erst auf öffentlichen Druck hin übernommen habe. Anderen wiederum habe der Bundesrat bei der Sanktionsübernahme zu rasch gehandelt und dadurch rechtsstaatliche Prinzipien verletzt. Des Weiteren habe auch die Frage der Neutralität zu reden gegeben; diese Thematik müsse in nächster Zeit vertieft diskutiert werden, lautete gemäss Arslan der Tenor in der APK-NR. Anschliessend äusserten sich die Fraktionen zu den für sie wichtigen Aspekten des aussenpolitischen Berichts. So erläuterte etwa Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) für die Mitte-Fraktion, dass die Schweiz im Bereich der Aussenpolitik entschieden auf die Einhaltung des Völkerrechts pochen müsse. Für die SP-Fraktion äusserten Brigitte Crottaz (sp, VD) und Claudia Friedl (sp, SG) ihren Unmut darüber, dass der Bundesrat lange gezögert habe, die EU-Sanktionen gegenüber Russland vollumfänglich zu übernehmen. Tiana Moser (glp, ZH) verlangte für die GLP-Fraktion einen grösseren finanziellen Effort der Schweiz für die Ukraine, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Bundesrat die Wiederausfuhr von Rüstungsgütern ablehne. Für die SVP-Fraktion sprach sich Roger Köppel (svp, ZH) eben gerade gegen eine Ausfuhr von Waffen an die Kriegsparteien aus, da die Aufgabe des Bundesrates darin bestehe, die Schweiz aus diesem Krieg herauszuhalten. Auch die Grüne Fraktion sprach sich gegen den Export oder die Wiederausfuhr von Waffen aus; sie unterstütze jedoch die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland, wie Denis de la Reussille (pda, NE) anmerkte. Zudem forderte der Grünen-Vertreter, dass sich der Bericht zur Aussenpolitik zukünftig vermehrt der Menschenrechtslage zuwende, und weniger von ökonomischen Aspekten geprägt sei. Schliesslich monierte Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) im Namen der FDP-Fraktion, dass es der Bundesrat verpasst habe, eine umfassende Debatte zur Schweizer Neutralität zu führen, weil ein entsprechender Bericht von Aussenminister Cassis vom Bundesrat zurückgewiesen worden sei.
Im Ständerat wurde der Bericht in der Sommersession 2023 nur kurz von Pirmin Bischof (mitte, SO) und Aussenminister Cassis vorgestellt und sodann stillschweigend zur Kenntnis genommen.

Aussenpolitischer Bericht 2022 (BRG 23.009)
Dossier: Rapports de politique extérieure (à partir de 2009)

Im Oktober 2022 und im Mai 2023 gaben die RK-NR und die RK-SR einer parlamentarischen Initiative von Céline Amaudruz (svp, GE) Folge, die eine systematische aktive elektronische Überwachung von gewaltausübenden Personen forderte. Die Genfer SVP-Nationalrätin begründete ihr Anliegen mit jüngsten, in Erfüllung eines Postulats Arslan (basta, BS; Po. 19.4369) gewonnenen Erkenntnissen: Die an der Universität Bern erstellte Untersuchung kam zum Schluss, dass eine solche Massnahme – sofern richtig eingesetzt und kombiniert mit einem Tracker und einem Notfallknopf – Opfer effektiver vor Gewalt schützen könnte. Beide Kommissionen fällten ihre Entscheide einstimmig. Auch der Bundesrat hatte bereits in seiner Medienmitteilung zum Bericht in Erfüllung des Postulats im Dezember 2021 seine Unterstützung für den Einsatz elektronischer Hilfsmittel zur Bekämpfung häuslicher Gewalt kundgetan.

Leben retten. Aktive elektronische Überwachung (Pa.Iv. 22.409)
Dossier: Violences contre les femmes* / violence domestique (depuis la ratification de la Convention d'Istanbul)

In der Frühjahrssession 2023 befasste sich der Nationalrat mit vier Motionen von Jacqueline de Quattro (fdp, VD; Mo. 21.4533), Léonore Porchet (gp, VD; Mo. 21.4534), Min Li Marti (sp, ZH; Mo. 21.4535) und Lilian Studer (evp, AG; Mo. 21.4536), welche die Wiedereinführung der Möglichkeit zur Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz zum Gegenstand hatten. De Quattro erklärte, dass entsprechende Entschädigungen für in der Schweiz wohnhafte Personen durch die Kantone nach dem Attentat von Luxor 1997 aus Gründen der finanziellen Belastung abgeschafft worden seien und Betroffene seither lediglich Anrecht auf Beratung und eine Kostenbeteiligung hätten. Frankreich verfüge hingegen zum Beispiel über einen Opferentschädigungsfonds, welcher auch Gewalttaten im Ausland einschliesst, der sich in der Vergangenheit bewährt habe. Bundesrätin Baume-Schneider betonte zwar die Wichtigkeit der Unterstützung von Opfern von Straftaten, aus verschiedenen Gründen gelte es allerdings die Motionen abzulehnen. Unter anderem solle der Staat nicht für Schäden haften müssen, die nicht auf seinem Territorium stattgefunden haben. Weiter würde die Implementierung eines Garantiefonds wie desjenigen aus Frankreich eine Ungleichbehandlung gegenüber Opfern von anderen Straftaten im Ausland, etwa Opfern von Verkehrsunfällen, nach sich ziehen. Zudem befinde sich das gegenwärtige System in Einklang mit den Vorschriften des Europäischen Übereinkommens über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. Trotz diesen bundesrätlichen Einwänden nahm der Nationalrat die Motionen mit 109 zu 67 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) an. Während sich die Fraktionen der SP, der Grünen und der FDP geschlossen respektive mit Enthaltungen hinter die Geschäfte stellten, stammten abgesehen von einer Stimme aus der GLP-Fraktion alle Nein-Stimmen aus dem Lager der SVP- und der Mitte-Fraktionen, welche sich grossmehrheitlich gegen die Vorstösse aussprachen.

Wiedereinführung der Möglichkeit der Entschädigung von Opfern von Gewalttaten im Ausland im Opferhilfegesetz (Mo. 21.4533; Mo. 21.4534; Mo. 21.4535; Mo. 21.4536)

Nachdem die eidgenössischen Räte im März 2023 eine Motion Sommaruga (sp, GE; Mo. 22.3362) überwiesen hatten, die die Übernahme des völkerstrafrechtlichen Aggressionsverbrechens ins Schweizer Recht forderte, stimmte der Nationalrat im Mai desselben Jahres mit 109 zu 74 Stimmen bei 3 Enthaltungen auch einer Motion Arslan (basta, BS) mit derselben Forderung zu. Gegenüber Sommaruga ging Arslan jedoch weiter und verlangte vom Bundesrat zusätzlich zu prüfen, ob die Strafbarkeit ausnahmsweise rückwirkend seit 2015 – also seit der Ratifikation der Änderung des Römer Statuts durch die Schweiz – eingeführt werden könne. Die Motionärin anerkannte, dass im Strafrecht eine Rückwirkung grundsätzlich verboten sei, berief sich in der Begründung aber auf Ausführungen des Bundesstrafgerichts, wonach eine Ausnahme bestehe für Verbrechen, «die schon vorher nach den von zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar waren». Der Bundesrat erklärte sich bereit, die Frage der Rückwirkung zusammen mit dem Auftrag der Motion Sommaruga zu prüfen, und beantragte die Motion Arslan zur Annahme. Bekämpft wurde der Vorstoss von SVP-Nationalrat Yves Nidegger (GE), der die geforderte Rückwirkung als nicht mit dem Schweizer Strafrecht vereinbar ansah. Überdies warnte er davor, die Schweiz als eine Art Weltgericht («tribunal disponible pour le monde entier») zu etablieren; dies laufe nicht zuletzt der Rolle der Schweiz als Anbieterin von Guten Diensten auf neutralem Boden zuwider. Die Fraktionen der SVP und der FDP lehnten den Vorstoss schliesslich ab, während die übrigen Fraktionen geschlossen dafür votierten.

Völkerstrafrechtliche Verbrechen der Aggression ins Strafgesetzbuch aufnehmen (Mo. 22.4503)

Das Stimmrechtsalter 16 überzeuge nicht, kam die Mehrheit der SPK-NR in ihrem Bericht zur Vernehmlassung ihres Entwurfs für eine Einführung das aktiven Stimm- und Wahlrechts für 16-Jährige zum Schluss. Die Kommission beantragte deshalb mit 14 zu 11 Stimmen dem Nationalrat zum dritten Mal, die Idee zu sistieren. Schon im Mai 2020 hatte die SPK-NR beantragt, der parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) keine Folge zu geben. Sie wurde von der grossen Kammer in der Herbstsession 2020 aber genauso überstimmt wie in der Frühlingssession 2022 bei ihrem Antrag, die Initiative abzuschreiben. In der Folge musste die SPK-NR also einen Entwurf für eine Änderung des Artikels 137 BV ausarbeiten. Der bereits in der parlamentarischen Initiative gemachte Vorschlag, das aktive (nicht aber das passive) Stimm- und Wahlrecht auf 16 Jahre zu senken, vermochte aber erneut eine knappe Mehrheit der Kommission nicht zu überzeugen. Sie führte die Antworten der erwähnten Vernehmlassung als Argumente für diese negative Haltung ins Feld.

In der Tat widerspiegelte der Vernehmlassungsbericht die Unentschiedenheit in der Frage. Von 51 eingegangenen Stellungnahmen sprachen sich 27 für die Erweiterung der Stimmberechtigten um rund 130'000 Personen aus (die Stimmbevölkerung würde um rund 2.4 Prozent vergrössert), 21 lehnten sie ab und vier bezogen keine deutliche Position. Unter den Befürworterinnen und Befürwortern fanden sich sieben der 25 antwortenden Kantone – einzig der Kanton Zürich äusserte sich nicht zur Vorlage: Aargau, Bern, Basel-Stadt, Glarus, Jura, Graubünden und Solothurn. Auch die links-grünen Parteien (SP, die Grünen und Ensemble à Gauche) reihten sich ins Lager der Befürworterinnen und Befürworter ein. Bei den Verbänden äusserten sich der SGB und der SKV sowie alle 15 antwortenden Jugendorganisationen (Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz AFAJ, die Jugendsession, die Jugendparlamente aus Bern und Basel-Stadt, Jungwacht Blauring Jubla, Pfadibewegung Schweiz, das National Coalition Building Institute Suisse Schweiz NCBI, das Netzwerk Kinderrechte Schweiz, SAJV, Sexuelle Gesundheit Schweiz, UNICEF und Pro Juventute sowie die Jugendsektion der Mitte-Partei) dem Vorschlag gegenüber positiv. Zu den Gegnerinnen und Gegnern gehörten 15 Kantone (AG, AI, BL, LU, NE, NW, OW, SG, SH, SZ, TG, TI, VD, VS und ZG), die bürgerlichen Parteien (Mitte, FDP und SVP) sowie die Arbeitgeberverbände SGV und das Centre patronal (CP). Zudem äusserte sich eine Privatperson negativ. Neutrale Stellungnahmen gingen von den Kantonen Freiburg, Genf und Uri ein, die allerdings darauf hinwiesen, dass entsprechende Anliegen in ihren Kantonen gescheitert seien. Der Verein Schweizerischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer (VSGS) schliesslich betonte, dass die Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters die politische Bildung festigen könnte, was einem Ziel der laufenden Reform des Gymnasiums entspreche.
Die Argumente in den Stellungnahmen waren nicht neu. Auf der Seite der Befürwortenden wurde ins Feld geführt, dass das Durchschnittsalter des Stimmkörpers gesenkt würde (das Medianalter liegt aktuell bei 57 Jahren), was ermögliche, das aktuelle und zukunftsweisende Entscheidungen auch von Jugendlichen mitgetragen werden könnten, was deren Legitimation stärke. Jugendliche interessierten sich für Politik, was sich durch die Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters weiter fördern lasse. Viele 16-jährige übernähmen Verantwortung im Berufsleben oder in Vereinen und dürften über ihr Einkommen, ihr Sexualleben und ihre Religionszugehörigkeit frei verfügen; entsprechend könnten sie auch politische Verantwortung übernehmen. Während die Auswirkungen dieser Änderung auf die Abstimmungsergebnisse in Anbetracht der Zahl 16-18-Jähriger gering bleiben dürften, sei die «demokratiepolitische Wirkung beträchtlich», so die entsprechende Zusammenfassung im Vernehmlassungsbericht.
Hauptargument der Gegnerinnen und Gegner war die Inkongruenz zwischen zivilrechtlicher Volljährigkeit und der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, die mit der Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters geschaffen würde. Jugendliche würden vor den Konsequenzen ihrer Handlungen geschützt, man würde ihnen aber das Recht geben, über gesellschaftliche Konsequenzen zu entscheiden. Es sei widersprüchlich, jemandem das Unterzeichnen von Verträgen zu verbieten, aber die demokratische Mitentscheidung zu erlauben. Kritisiert wurde zudem die vorgeschlagene Trennung zwischen aktivem und passivem Wahlrecht. Dies schaffe «Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse», zitierte der Bericht einige Stellungnahmen. Es sei wichtig, dass sich Jugendliche politisch interessierten, es bestünden aber bereits zahlreiche Möglichkeiten für politische Beteiligung (Familie, Schule, Jugendparlamente, Jungparteien). Es würde zudem zu Schwierigkeiten führen, wenn das Wahl- und Stimmrechtsalter bei nationalen und kantonalen Wahlen und Abstimmungen nicht gleich sei – etwa beim Versand des Stimmmaterials. Einige Gegnerinnen und Gegner äusserten zudem die Sorge, dass Jugendliche nicht die nötige Reife besässen, um politische Verantwortung zu übernehmen.
In zahlreichen Stellungnahmen wurde darüber hinaus darauf hingewiesen, dass mit Ausnahme des Kantons Glarus alle bisherigen Versuche, das Wahl- und Stimmrechtsalter auf kantonaler Ebene zu senken, gescheitert seien. Die Gegnerinnen und Gegner einer Senkung führten dies als Beleg ins Feld, dass die Zeit nicht reif sei für die Idee. Die Landsgemeinde im Kanton Glarus könne zudem nicht als positives Beispiel angeführt werden, weil sie ganz anders funktioniere als nationale Abstimmungen und Wahlen. Die Befürwortenden einer Senkung betonten hingegen, dass die Diskussion weitergehen müsse und die Ausweitung politischer Rechte in der Geschichte stets lange Zeit gedauert und mehrere Anläufe gebraucht habe. Zudem habe sich die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung noch nicht zu diesem Thema äussern können.

In ihrer Medienmitteilung sprach die SPK-NR von «insgesamt ablehnenden Ergebnisse[n]», die zeigten, dass die Initiative nicht weiterverfolgt werden solle. Es sei nicht «sinnvoll», zwei Kategorien von Stimmberechtigten zu schaffen, und «nicht opportun, zwischen dem bürgerlichen und dem zivilen Mündigkeitsalter zu unterscheiden». Weil eine Mehrheit der Kantone die Vorlage ablehne und auch eine Mehrheit der (kantonalen) Stimmberechtigten die Idee jeweils nicht gutgeheissen habe, empfehle die Mehrheit der SPK-NR die Vorlage zur Ablehnung und die Initiative zur Abschreibung. Den Befürworterinnen und Befürwortern empfahl sie als «besten Weg», eine Volksinitiative zu lancieren. Die starke Kommissionsminderheit betonte hingegen in der Medienmitteilung, dass die Vernehmlassungsantworten differenzierter betrachtet werden müssten und dass «die wichtige Frage der demokratischen Partizipation junger Bürgerinnen und Bürger» in einer nationalen Abstimmung diskutiert werden müsse. Der Nationalrat wird in der Sommersession 2023 über den Antrag der Kommission entscheiden.

In den Medien wurde der Antrag der Kommission als «Dämpfer» bezeichnet. Die Medien zitierten die SP und die Grünen, die mit Empörung reagierten, den Entscheid als «Affront à la volonté de la jeune génération» bezeichneten, wie Le Temps zitierte, und auf eine Korrektur im Nationalrat hofften.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Donner le droit de vote à 16 ans

Im Februar 2023 ereignete sich in der Grenzregion der Türkei und Syrien ein starkes Erdbeben, welches Zehntausende Tote und ca. 125'000 Verletzte forderte. Die offizielle Schweiz sprach mehrere Millionen Franken für Hilfsmassnahmen und engagierte sich mit der Rettungskette, welche auf die Ortung, Rettung und medizinische Erstversorgung von Verschütteten nach Erdbeben im Ausland spezialisiert ist. Auch viele Schweizer Hilfswerke, wie etwa Caritas oder Ärzte ohne Grenzen, setzten sich für die Opfer des Erdbebens ein, meistens indem sie mit lokalen Partnerorganisationen zusammenarbeiteten. Wie die Medien berichteten, sprachen auch kirchliche Kreise und einige Kantonsregierungen finanzielle Mittel. Das Hauptaugenmerk legten die Medien jedoch auf private Aktionen in der Schweiz, oftmals von kurdisch- oder türkischstämmigen Personen organisiert. Diese Personen sammelten Tausende von Kisten mit Kleidern, Decken, Zelten, Nahrungsmitteln, Medikamenten, Hygieneartikeln etc., die sie mit Lastwagen oder gar mit einem gecharterten Flugzeug in die betroffene Region zu bringen versuchten. Auch die in der Türkei geborene Nationalrätin Sibel Arslan (basta, BS) versuchte, den betroffenen Menschen zu helfen. Sie gab zu bedenken, dass vor allem finanzielle Mittel gebraucht würden, damit die Personen vor Ort das Nötigste kaufen können.
Auf der politischen Ebene entschied das SEM in Absprache mit dem EDA, dass Betroffene des Erdbebens von einem beschleunigten Visa-Verfahren profitieren können: Personen, die bei ihren Verwandten in der Schweiz unterkommen konnten, erhielten dafür ein 90 Tage gültiges Visum. Dieser Entscheid wurde von Mitte-Links befürwortet, wie der Blick berichtete. Die Bürgerlichen hingegen goutierten die Priorisierung der vom Erdbeben betroffenen Personen nicht. Damian Müller (fdp, LU) wurde im Blick dahingehend zitiert, dass eine unkontrollierte Migration die innere Sicherheit gefährde. Anfang Mai 2023 wurde dieses beschleunigte Visumsverfahren wieder eingestellt.

Erdbeben in der Grenzregion Türkei/Syrien – Hilfe der Schweiz

In Erfüllung zweier Postulate Arslan (basta, BS; Po. 17.4121) und Ruiz (sp, VD; Po. 17.4185) veröffentlichte der Bundesrat Ende 2022 den Bericht «Einführung eines dritten Geschlechts oder Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister – Voraussetzungen und Auswirkungen auf die Rechtsordnung». Darin lehnte es die Regierung ab, ein drittes Geschlecht oder die Möglichkeit zum Verzicht auf den Geschlechtseintrag einzuführen. Eine solche Abkehr vom binären Geschlechtermodell bedinge die Anpassung zahlreicher Rechtserlasse – «von der Bundesverfassung bis auf Verordnungen der untersten Stufe». Von erheblichem Ausmass wären dem Bericht zufolge auch die praktischen Auswirkungen; insbesondere bei der Erhebung von Statistiken befürchtete der Bundesrat einen Informationsverlust. Nicht zuletzt, konstatierte die Regierung, sei die Binarität der Geschlechter «in der Bevölkerung nach wie vor fest verankert», sodass «die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung des Geschlechts oder die Einführung eines dritten Geschlechts heute nicht gegeben» seien.
Mit dieser Haltung stiess der Bundesrat bei Organisationen für die Rechte von non-binären und trans Personen auf wenig Verständnis. Das Transgender Network Switzerland bezeichnete den Bericht in der Presse als «Ohrfeige gegen nichtbinäre Menschen». Dass die Gesellschaft dafür nicht bereit sei, stimme nicht. Das Netzwerk berief sich auf eine 2021 durchgeführte Umfrage von Sotomo, in der sich 53 Prozent der Schweizer Bevölkerung für die Einführung eines dritten Geschlechts in offiziellen Dokumenten ausgesprochen hätten. Die Westschweizer Organisation Epicène kritisierte gegenüber «Le Temps», dass es die Regierung vorziehe, «ihre Komfortzone nicht zu verlassen». Enttäuscht zeigte sich gegenüber den Medien auch Postulantin Sibel Arslan: Der Bundesrat schiebe mit der gesellschaftlichen Verankerung eine Begründung vor; in Wahrheit scheue er sich vor der gesetzgeberischen Verantwortung.

Einführung einer dritten Geschlechtsidentität. Folgen für die Rechtsordnung und für Infostar (Po. 17.4185)

Die Diskussionen um das Thema «Frauen im Bundesrat» begannen bereits fünf Tage nach dem Rücktritt von Ueli Maurer und begleiteten die ganzen Bundesratswahlen 2022. Die NZZ titelte zu Beginn, dass die SVP «auffällig viele Bundesratskandidatinnen» habe und «plötzlich Frauenpartei» sei. Auch wenn Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) und Diana Gutjahr (svp, TG) bereits abgesagt hätten, hätten die Medien mit Esther Friedli (svp, SG), Natalie Rickli (svp, ZH), Monika Rüegger (svp, OW) und Cornelia Stamm Hurter (SH, svp) «für eine Partei ohne Frauenförderungsprogramm [...] erstaunlich viele valable Kandidatinnen» ausgemacht. Nachdem bis auf die Nidwalder Regierungsrätin Michèle Blöchliger (NW, svp) alle Kandidatinnen abgesagt hatten, drehte jedoch der Wind in der Berichterstattung: Der SVP mangle es an Frauen, titelte etwa 24Heures. Sie bleibe «le parti des hommes», schrieb Le Temps, wofür sie die lediglich knapp 20 Prozent gewählten SVP-Frauen im nationalen Parlament, aber auch das Verhalten der Männer in der Partei als Belege ins Feld führte. Ueli Maurer habe 2014 Frauen beispielsweise als «Gebrauchtgegenstände im Haushalt» bezeichnet. Entsprechend habe Michèle Blöchliger gegen die männlichen SVP-Schwergewichte auch keine Chance. Der Tages-Anzeiger erinnerte daran, dass die SVP in Geschlechterfragen bereits einmal weiter gewesen sei: Im Jahr 2000 habe sie Rita Fuhrer als Bundesratskandidatin vorgeschlagen, das Parlament habe damals jedoch Samuel Schmid gewählt. Die Sonntagszeitung sprach ob der vielen Absagen hingegen von einer «Partei der Feiglinginnen».
Zwar forderten nicht wenige Exponentinnen und Exponenten der SVP – etwa Toni Brunner (svp, SG), der der Findungskommission angehörte, Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE) oder gar Christoph Blocher –, dass die Partei dem Parlament eine Kandidatin und einen Kandidaten zur Auswahl präsentiere. Letztlich war die einzige Frau unter den offiziell Kandidierenden allerdings chancenlos: In der Fraktion sprachen sich nur 4 (von 51) Mitgliedern für die Nidwaldner Kandidatin Blöchlinger aus.

Nicht nur die Gleichstellung von Frauen und Männern, auch die Genderdebatte erhielt im Zusammenhang mit den Wahlen einige mediale Aufmerksamkeit. So sorgte eine im Rahmen seiner Rücktrittsankündigung gemachte Aussage von Ueli Maurer für Kritik, wonach es keine Rolle spiele, ob eine Frau oder ein Mann seine Nachfolge übernehmen werde – «solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch». Das Transgender-Netzwerk forderte vom scheidenden Bundesrat eine Entschuldigung und Kim de l’Horizon, die genderfluide, nichtbinäre Person, die mit ihrem Debütroman 2022 mit dem Schweizer und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden war, fragte in einem NZZ-Feuilletonbeitrag, was so schlimm am Körper von Kim de l'Horizon sei, dass ihn Ueli Maurer von politischer Führung ausschliessen wolle. Kim de l'Horizon lade den noch amtierenden Bundesrat auf ein Bier ein, damit dieser ein «Es» kennenlernen könne.

Diese Debatten waren jedoch in der Folge auch deshalb nur noch Randthema, weil die Gleichstellungsdiskussion kurz nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga auf die SP übersprangen, nachdem die Parteileitung bekannt gegeben hatte, dass die SP auf ein reines Frauenticket setzen werde. Es sei «logisch», dass die SP nur Frauen aufstelle, weil sie mit Alain Berset bereits einen Mann in der Regierung habe, war zwar zuerst der allgemeine mediale Tenor gewesen. Auch nachdem Daniel Jositsch (sp, ZH), der selber Ambitionen auf den Sitz in der Bundesregierung hegte, diese Entscheidung kritisiert und eine eigene Kandidatur in den Raum gestellt hatte, war im linken Lager unbestritten, dass nur eine Frau als Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga in Frage kommen würde – auch wenn dieser Entscheid auch von einigen SP-Frauen kritisiert wurde. Einige Kritik wurde jedoch auch aus dem bürgerlichen Lager laut.

Für mehr mediale Aufmerksamkeit sorgte hingegen die von Tamara Funiciello (sp, ZH) lancierte Überlegung, dass es im Bundesrat mehr junge Mütter mit schulpflichtigen Kindern brauche, damit die Gleichstellung und die Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Fortschritte machten. Im Sonntagsblick wurde vermutet, dass junge Mütter wohl bei einer Wahl stärker in der Kritik stehen und wahlweise als schlechte Mutter oder schlechte Bundesrätin gelten würden. Mit Elisabeth Kopp, Micheline Calmy-Rey und Eveline Widmer-Schlumpf seien zwar bereits Mütter in der Landesregierung gewesen, nur die Tochter von Elisabeth Kopp sei damals allerdings im schulpflichtigen Alter gewesen, berichtete der Tages-Anzeiger. Karin Keller-Sutter habe vor einigen Jahren gar gesagt, dass ihre politische Karriere mit Kindern nicht möglich gewesen wäre. In anderen Ländern sei es hingegen Realität, dass junge Frauen mit Kindern Regierungsverantwortung übernähmen. Natürlich sei es in der Schweiz unüblich, dass jemand zwischen 30 und 40 Bundesrätin werde, dennoch sei es nie jemandem in den Sinn gekommen, bei Alain Berset in der entsprechenden Situation nach Vereinbarkeit von Amt und Familie zu fragen, so der Tages-Anzeiger. Freilich habe es auch schon Männer gegeben, die aus familiären Gründen auf einen Bundesratsposten verzichtet hätten, aktuell etwa Marcel Dettling (svp, SZ) bei der Nachfolge von Ueli Maurer. Die NZZ meinte hingegen, dass die Frage nicht sei, ob die Schweiz dafür bereit sei, sondern ob junge Schweizer Mütter sich überhaupt zur Verfügung stellen würden.
Vor allem bei der Kandidatur von Evi Allemann (BE, sp) war das Thema «junge Mütter im Bundesrat» Gegenstand jedes Interviews mit der Bernerin. Es sei «vielleicht eine neue Selbstverständlichkeit», dass junge Frauen, die vor 20 Jahren gewählt worden seien, dank ihrer Erfahrung mehr Verantwortung übernehmen wollten, mutmasste Evi Allemann in einem dieser Interviews. Ihre Arbeit im Regierungsrat des Kantons Bern zeige, dass es sehr wohl möglich sei, Kinder zu haben und ein Regierungsamt zu bekleiden, gab sie dabei zu Protokoll.

Dass Politikerinnen auch medial anders beurteilt werden als Politiker, zeigte dann auch die Kandidatur von Eva Herzog (sp, BS). Nicht ihre Mutterschaft, sondern ihr Alter war häufig Gegenstand der Berichterstattung: «Es ist halt immer das Gleiche. Zuerst sind die Frauen zu jung und unerfahren, dann haben sie Kinder und es geht nicht, und am Schluss sind sie zu alt», kritisierte die Basler Ständerätin die entsprechenden Diskussionen. Beim SVP-Kandidaten Heinz Tännler (ZG, svp), der 62 Jahre alt sei, rede niemand über das Alter. Letztlich gehe es im Bundesrat aber weder um Geschlecht, Familie oder Alter, sondern um Dossierkenntnisse, so Eva Herzog.
Interessanterweise wurde das Thema Vereinbarkeit von Amt und Familie in der Deutschschweizer Presse wesentlich virulenter diskutiert als in der Westschweizer Presse. Als möglichen Grund erachtete Min Li Marti (sp, ZH) in einem Interview mit der NZZ, dass die Vorstellung, dass Familie Privatsache sei und eine Frau, die sich nicht den Kindern widme, eine Rabenmutter sei, in der Deutschschweiz viel stärker verbreitet sei als in der Romandie.

Als positiv wurde es hingegen vielfach erachtet, dass die Diskussion um Frauenvertretung im Bundesrat heute wesentlich wichtiger sei als noch vor ein paar Jahren. Dass die Vertretung von Frauen in der Politik heute viel stärker als Selbstverständlichkeit betrachtet werde, sei ein grosser Fortschritt, urteilte etwa der Tages-Anzeiger. Vielleicht würden künftig andere Kriterien wichtiger. In der Tat gab es im Vorfeld der Ersatzwahlen etwa auch Forderungen für eine bessere Repräsentation hinsichtlich Ausbildung und von «Nicht-Studierten» im Bundesrat. Im Zusammenhang mit möglichen Wahlkriterien wurde zudem oft darauf hingewiesen, dass die früher bedeutende Konfessionszugehörigkeit heute überhaupt keine Rolle mehr spiele.

Mehrfach Grund für Kritik lieferte schliesslich die mediale Berichterstattung zu den Wahlen selbst. So spielten bei der Analyse der Gründe für die Wahl Albert Röstis und Elisabeth Baume-Schneiders in den meisten Deutschschweizer Medien Geschlechterdiskussionen eine relevante Rolle. Hervorgehoben wurde vor allem die im Vergleich zu Eva Herzog sympathischere Art der Jurassierin. Die NZZ beispielsweise kritisierte, dass die «sich zugänglicher und mütterlicher» präsentierende Elisabeth Baume-Schneider die «pragmatisch, kompetent und maximal unabhängig» und «überdurchschnittlich starke Kandidatin» Eva Herzog habe übertrumpfen können. Dies habe einen «schale[n] Nachgeschmack». Bei den beiden SVP-Kandidaten waren solche Attribute kaum zu finden. Zwar wurde anders als noch bei früheren Bundesrätinnenwahlen kaum über Frisur oder Kleidung geschrieben, trotzdem war auffällig, dass nur bei den Frauen ein «sympathisches und mütterliches» Auftreten als möglicher Wahlgrund aufgeführt wurde, nicht aber bei den beiden Männern. Albert Rösti wurde weder als «väterlich» noch als «zugänglich» beschrieben. Er sei zwar «ein fröhlicher Mensch», so die NZZ, er habe aber eine «andere Eigenschaft, die ihn für den harten Job eines Bundesrats empfiehlt: Er ist zäh».

Umgekehrt wurde insbesondere von verschiedenen Frauen mehrfach kritisiert, dass einmal mehr, wie bereits bei der Wahl von Ruth Metzler 1999, nicht die kompetentere, sondern die «Frohnatur», wie es die NZZ ausdrückte, gewonnen habe. «Starke Frauen» hätten es demnach schwer, von den Männern gewählt zu werden, lautete die Kritik. Hingegen verwies die NZZ darauf, dass auch bei den Männern nicht selten der «Gmögigere» gewinne.

Gleichstellungsdiskussionen im Rahmen der Bundesratswahlen 2022

Im Oktober 2022 publizierte der Bundesrat den Grundlagenbericht «Digitaler Service public» in Erfüllung des Postulats von Min Li Marti (sp, ZH).
Der Bericht hielt fest, dass der Zugang zu einer effizienten und günstigen Hochbreitbandinfrastruktur die Grundlage für soziale und wirtschaftliche Teilhabe im digitalen Raum sei. Auf Anfang 2024 solle daher die Grundversorgung der Internetübertragungsgeschwindigkeit von 10 auf 80 Mbit/s erhöht werden; zudem sei eine Hochbreitbandstrategie für die Schweiz in Erarbeitung. Des Weiteren sei eine Weiterentwicklung des Service public im Hinblick auf die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft angezeigt. Der Bundesrat habe entsprechend im Sommer 2022 entschieden, die Weiterentwicklung der Grundversorgung bei Post- und Zahlungsverkehrsdiensten zu prüfen. Bezüglich Datenschutz habe der Bundesrat das EDA und das UVEK beauftragt, bis im Sommer 2023 einen freiwilligen Verhaltenskodex für den Umgang mit vertrauenswürdigen Daten zu erstellen. Zudem sei das UVEK verpflichtet worden, ebenfalls bis zum Sommer 2023 über den allfälligen Bedarf nach einer digitalen Grundversorgung zum besseren Schutz der Privatsphäre und der Datensicherheit zu berichten.
Schliesslich war auch die E-ID Thema des Berichts. Der Bundesrat beabsichtige, die Rechtsgrundlagen für die E-ID und die entsprechende Infrastruktur mit einem neuen E-ID-Gesetz zu schaffen, nachdem im Frühling 2021 ein erster Versuch für ein solches Gesetz an der Urne gescheitert war.

Offensive für einen digitalen Service public (Po. 19.3574)

Am Montag der dritten Herbstsessionswoche 2020 besetzten Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Bundesplatz, obwohl dort Veranstaltungen während der Session verboten sind. Dies führte bei den Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu einigem Ärger. So beschwerten sich gemäss verschiedener Medien insbesondere bürgerliche Parlamentsmitglieder, von den Klimaaktivistinnen und -aktivisten «angepöbelt» worden zu sein. Dabei stellten die Medien vor allem verschiedene verbale Entgleisungen ins Zentrum der Berichterstattung. So soll Roland Büchel (svp, SG) derart genervt gewesen sein, dass er die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten vor laufender Kamera als «Arschlöcher» bezeichnete. Andreas Glarner (svp, AG) nannte die Demonstrierenden während eines Interviews «Kommunisten und Chaoten» und Sibel Arslan (basta, BS), die das Anliegen der Streikenden vertreten wollte, «Frau Arschlan» – was er später als Versprecher entschuldigte. Umgekehrt regten sich linke Parlamentsmitglieder über die falschen Prioritäten der Medien auf, so etwa Jacqueline Badran (sp, ZH), die in einem Radiointerview die Medien angriff, welche «den huere fucking Glarner, who cares, [...] statt die Forderungen der Jugendlichen» gefilmt hätten.

Die Debatten drehten sich in der Folge allerdings nicht nur um «Anstand» und verbale Entgleisungen, sondern auch darum, ob der Bundesplatz überhaupt besetzt werden darf – insbesondere während der Session. Während sich bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier beschwerten, zeigten links-grüne Mitglieder der Bundesversammlung Verständnis für die Aktion. Die aktuelle Regelung im Kundgebungsreglement der Stadt Bern besagt, dass die Versammlungsfreiheit auf dem Bundesplatz während der Sessionen vor allem für grosse Manifestationen aufgehoben wird. Verantwortlich für die Einhaltung dieser Massnahme ist die Stadt Bern, weshalb sich die Kritik der Bürgerlichen in der Folge vor allem gegen den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried (gfl) richtete. Einige Medien – darunter etwa die NZZ – warfen der Stadt gar vor, «mit zweierlei Mass» zu messen und das Demonstrationsverbot «selektiv» umzusetzen.

Die Aktion auf dem Bundesplatz führte schliesslich auch zu einiger parlamentarischer Betriebsamkeit. Ein noch am gleichen Montag eingereichter Ordnungsantrag (20.9004/21364) von Thomas Aeschi (svp, ZG), der die Räumung des Platzes beantragte, wurde mit 109 zu 83 Stimmen (1 Enthaltung) im Nationalrat angenommen. Dagegen stimmten die geschlossenen Fraktionen von SP, GP und GLP sowie zwei Angehörige der Mitte-Fraktion. Der am nächsten Tag von Esther Friedli (svp, SG) eingereichte Ordnungsantrag (20.9004/21402), mit dem zusätzlich eine Anzeige gegen die Stadt Bern und die «Klimaextremisten und Linksradikalen» gefordert wurde, lehnte eine 90 zu 79-Stimmen-Mehrheit (bei 16 Enthaltungen) dann freilich ab. Hingegen richtete sich die VD mit einem von Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (fdp, VD) und Ständeratspräsident Hans Stöckli (sp, BE) unterzeichneten Schreiben an die Regierungen von Stadt und Kanton Bern und forderte diese auf, für die Einhaltung der Rechtsbestimmungen zu sorgen. Und schliesslich reichte Christian Imark (svp, SO) eine Motion ein, mit der er forderte, die Stadt Bern des Bundesplatzes zu enteignen. Dadurch könne der Bundesrat «künftig selber für Recht und Ordnung auf dem Bundesplatz» sorgen, weil «die linke Berner Stadtregierung [...] die Chaoten immer öfter gewähren» lasse.
Wohl auch weil die Polizei am Mittwoch nach zwei Ultimaten der Stadtregierung den Platz räumte, legte sich die Aufregung kurz darauf wieder. Der Bundesrat beantragte ein paar Wochen später die Ablehnung der Motion, weil eine Enteignung nicht verhältnismässig sei und die Zusammenarbeit mit der Stadt Bern bezüglich Nutzung des Bundesplatzes so funktioniere, dass die Interessen des Parlaments berücksichtigt würden. Die Motion Imark selber wurde dann zwei Jahre nach ihrer Einreichung wegen Nichtbehandlung abgeschrieben.

Wem gehört der Bundesplatz? (Mo. 20.4028)

In der Herbstsession 2022 mussten die beiden Räte erneut über die Fristverlängerung der Motion Marty (fdp, TI) «Die UNO untergräbt das Fundament unserer Rechtsordnung» entscheiden. Marty hatte 2009 vom Bundesrat gefordert, der UNO mitzuteilen, dass die Schweiz UNO-Resolutionen im Namen der Terrorismusbekämpfung nicht mehr umsetzen werde, sofern diese nicht gewisse rechtsstaatliche Kriterien erfüllten. Die APK-NR hatte ihrem Rat im Juni 2022 mit 18 zu 3 Stimmen (bei 1 Enthaltung) die Fristverlängerung beantragt, die APK-SR hatte es ihr im August 2022 mit 7 zu 0 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gleichgetan.

Im Ständerat verlangte eine Minderheit Minder (parteilos, SH) die Abschreibung der Motion, da keine Hoffnung mehr bestehe, dass der Bundesrat die Motion wunschgemäss umsetzen könne. Die Schuld dafür sah Minder jedoch nicht beim Bundesrat, sondern verortete diese vielmehr bei der UNO, die ihre «eigenen Regeln» habe. Die Schweiz könne sich bei künftigen Resolutionen in Sachen Terrorismus im UNO-Sicherheitsrat direkt im Sinne der Motion einbringen oder das Motionsanliegen gegenüber der EU im Kontext der Sanktionen gegen Russland ansprechen. Auch Aussenminister Cassis forderte die kleine Kammer dazu auf, die Motion abzuschreiben, da sich die Schweiz so oder so für die Stärkung der Ombudsperson und der Rechtsstaatlichkeit bei der UNO einsetzen werde. Der Ständerat beschloss jedoch mit 21 zu 16 Stimmen die erneute Fristverlängerung der Motion.
Wenige Tage später tat es ihr der Nationalrat mit 126 zu 64 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gleich. Auch hier hatte sich eine Minderheit Pfister (mitte, ZG) für die Abschreibung der Motion eingesetzt, da das Motionsanliegen bei der UNO formell umgesetzt worden sei. Pfister empfand zudem den Titel als unpassend, nun da die Schweiz kurz davor stehe, Einsitz in den UNO-Sicherheitsrat zu nehmen. Eine Mehrheit der APK-NR vertrat jedoch die Auffassung, dass trotz der erfolgreichen Arbeit des Ombundsmannes weiterhin Mängel in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte und Verfahrensgarantien bei der UNO bestünden, wie ihre Sprecherin Sibel Arslan (basta, BS) erklärte.

Non-application des sanctions de l'ONU dans le cadre de la lutte contre le terrorisme (Mo. 09.3719)

Im Herbst 2020 – inmitten der Covid-19-Pandemie – forderte Min Li Marti (sp, ZH) den Bundesrat dazu auf, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um die existenzielle Sicherheit des Kultursektors und der kulturellen Vielfalt im Rahmen der Pandemie zu sichern. Konkret solle er einen Fonds bereitstellen, welcher den Sektor dabei unterstützt, Angebote in die digitale Welt zu übertragen. Der Bundesrat beantragte die Motion zur Ablehnung, da im Rahmen des Covid-19-Gesetzes bereits Hilfsmassnahmen für die Kultur eingerichtet worden seien.
Zwei Jahre später, in der Herbstsession 2022, zog die Motionärin ihren Vorstoss ohne Begründung zurück.

Sicherstellung der kulturellen Teilhabe und Vielfalt (Mo. 20.4098)