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  • Fehr, Jacqueline (ZH, sp/ps)

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Bei den Regierungsratswahlen im Kanton Zürich 2023 traten alle bisherigen Regierungsmitglieder erneut zur Wahl an – dies obwohl zumindest in den Zeitungen lange darüber spekuliert wurde, dass sich der bisherige Finanzdirektor Ernst Stocker (ZH, svp) nach drei Amtszeiten mit 68 Jahren zurückziehen würde. Doch die SVP bat Stocker, noch einmal zu den Wahlen anzutreten – unter anderem in einer öffentlichen Erklärung. Gemäss Recherche der Tamedia-Zeitungen hatten der SVP zuvor «prominente SVPler (...) reihenweise abgesagt». Stocker liess seine Partei lange zappeln, gab dann aber im März 2022 bekannt, an der Seite von Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (ZH, svp) erneut zu kandidieren. Stocker betonte dabei, dass er im Falle einer Wiederwahl plane, die gesamte Legislatur Regierungsrat zu bleiben. Auch bei Sicherheitsdirektor Mario Fehr (ZH, parteilos) war lange nicht klar, ob er sich um eine weitere Amtszeit bewerben würde. Er war 2021 aufgrund von Spannungen mit der kantonalen Parteileitung aus der SP ausgetreten und amtierte seither als Parteiloser im Regierungsrat. Erst im September gab Mario Fehr bekannt, dass auch er erneut antreten werde. Er tat dies ohne Wahlkampfbündnis mit einer Partei. Stattdessen fanden sich in seinem breit abgestützten Wahlkomitee Personen aus fast allen Parteien – darunter auch rund 30 Mitglieder der SP. Darüber ärgerte sich insbesondere die Juso, welche zusammen mit den Jungen Grünen eine Gegenkampagne gegen Fehr startete, um seine Wiederwahl zu verhindern. Die SP-Parteispitze versuchte derweil, die Gemüter zu beruhigen. Selbstverständlich dürften SP-Mitglieder auch ins Komitee von Fehr, so die Parteileitung. Dennoch erwarte man, dass Mitglieder vor allem das SP-Zweierticket wählen würden. Auf diesem Zweierticket stand neben der bisherigen Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern Jacqueline Fehr (ZH, sp) auch die amtierende Nationalrätin Priska Seiler Graf (ZH, sp). Seiler Graf sollte also der SP wieder einen zweiten Regierungssitz sichern. Dabei wollte sie jedoch nicht unbedingt Mario Fehr aus der Regierung verdrängen. Stattdessen schien sie eher auf den Sitz von Bildungsdirektorin Silvia Steiner (ZH, mitte) zu zielen, die in verschiedenen Umfragen von den Bisherigen an letzter Stelle rangierte. Seiler Graf kritisierte Silvia Steiner in Interviews wiederholt für ihre Politik während der Corona-Krise sowie für ihren Umgang mit dem Mangel an Lehrpersonen. Sie erwähnte zudem in diesen Interviews, dass sie sich als ehemalige Lehrerin gut vorstellen könne, die Bildungsdirektion zu übernehmen. Nicht zuletzt verschickte Seiler Graf auch Briefe an rund 4'400 Zürcher Lehrpersonen, in der sie zur Teilnahme an einer Onlineumfrage aufrief und unter anderem von einem «Versagen der Politik» im Bildungsbereich sprach. Dies brachte ihr einen Rüffel durch das Stadtzürcher Schulamt ein, da sie entgegen dem Reglement des Schulamtes keine Bewilligung für die Umfrage eingeholt habe. Neben Priska Seiler Graf schienen auch andere Kandidierende hauptsächlich den Sitz von Silvia Steiner anzugreifen, insbesondere der GLP-Kandidat Benno Scherrer (ZH, glp). Scherrer, langjähriger Kantonsrat, hatte sich intern gegen die ehemalige SP-Nationalrätin Chantal Galladé, die 2019 zur GLP gewechselt war, durchgesetzt. An der entsprechenden Nominierungsversammlung hatten die GLP-Delegierten zwar eingeräumt, dass Chantal Galladé bekannter sei als Scherrer, sie nominierten schliesslich dennoch Scherrer aufgrund seiner langjährigen Erfahrung für die GLP in der Kantonspolitik. In der Tat sass Benno Scherrer schon seit 2007 im Kantonsrat und hatte die dortige GLP-Fraktion acht Jahre lang präsidiert. Auch die FDP hoffte, ein bisheriges Mitglied der Regierung verdrängen zu können. Die Freisinnigen versuchten nämlich, ihren 2019 an den Grünen Martin Neukom (ZH, gp) verlorenen Sitz wieder zurückzuerobern. Neben der amtierenden und wieder antretenden Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (ZH, fdp) nominierte die FDP für diese Mission den Direktor des liberalen Think Tanks Avenir Suisse, Peter Grünenfelder (ZH, fdp). Grünenfelder, ein politischer Quereinsteiger, der noch nie ein politisches Amt besetzt hatte, sorgte für einigen Wirbel im Wahlkampf. Unter anderem sorgte er für Kritik, weil er während dem Wahlkampf seinen Direktorenposten bei der nominell parteiunabhängigen Avenir Suisse nicht ruhen liess. Zudem kritisierte er ebenfalls die Zürcher Bildungspolitik, was teilweise als Angriff auf Silvia Steiner ausgelegt wurde. Dies sorgte für Misstöne im bürgerlichen Lager, denn für viele Bürgerliche schien klar, dass Grünenfelder keine Chance auf einen Einzug in die Regierung hatte und mit dem Angriff auf Steiner nur die Chancen von SP-Kandidatin Seiler Graf erhöhte. Die bürgerlichen Parteien versuchten danach demonstrativ, die Reihen zu schliessen. Schliesslich schaltete sich sogar SVP-Doyen Christoph Blocher (ZH, svp) ein und ermahnte die SVP-Basis, neben den eigenen Kandidierenden auch Grünenfelder, Walker Späh und Steiner zu wählen. Auch links der Mitte schlossen sich die Parteien im Wahlkampf zu einem Bündnis zusammen. Anders als bei den Kantonsratswahlen, wo sich SP, Grüne, AL, GLP und EVP zu der sogenannten «Klimaallianz» zusammengeschlossen hatten, gehörten diesem Bündnis für die Regierungsratswahlen allerdings nur die SP, die Grüne Partei und die AL an. Die Grünen stiegen dabei einzig mit ihrem bisherigen Baudirektor Martin Neukom ins Rennen, die AL portierte die Kantonsrätin Anne-Claude Hensch (ZH, al). Die GLP mit Benno Scherrer und die EVP, die mit ihrem Kantonsrat Daniel Sommer (ZH, evp) antraten, blieben bei dem Bündnis aussen vor.
Neben allen bisherigen Mitgliedern der Regierung und den zusätzlich Kandidierenden der Regierungsparteien, der GLP und der EVP traten verschiedene weitere Personen zur Wahl an, namentlich Hans-Peter Amrein (ZH, parteilos), Josua Dietrich (ZH, freie Liste), Peter Vetsch (ZH, parteilos), Florian Wegmann (ZH, parteilos), Bernhard Schmidt (ZH, parteilos) und Patrick Jetzer (ZH, aufrecht).

Der Wahlsonntag brachte schliesslich keine personellen Wechsel im Zürcher Regierungsrat. Alle bisherigen Mitglieder der Regierung wurden bereits im ersten Wahlgang souverän wiedergewählt. Das beste Resultat erzielte der zum ersten Mal als Parteiloser angetretene Mario Fehr mit 192'711 Stimmen. Dahinter platzierten sich Natalie Rickli (svp; 181'842 Stimmen), Ernst Stocker (svp; 177'639), Martin Neukom (gp; 161'864), Jacqueline Fehr (sp; 148'610), Silvia Steiner (mitte; 146'242) und Carmen Walker Späh (fdp; 145'444). Am nächsten an die Bisherigen kam Priska Seiler Graf mit 120'586 Stimmen. Sie verpasste den Einzug in die Regierung letztlich jedoch relativ deutlich um rund 25'000 Stimmen. Zu den Geschlagenen gehörten auch Peter Grünenfelder (108'395), Benno Scherrer (93'603), Anne-Claude Hensch (70'189), Hans-Peter Amrein (62'025), Daniel Sommer (42'961), Josua Dietrich (28'622), Peter Vetsch (28'040), Florian Wegmann (23'521), Bernhard Schmidt (21'861) und Patrick Jetzer (17'130).

Die Wahlbeteiligung betrug 35.8 Prozent, rund 3.8 Prozentpunkte mehr als 2019. Auch bei den Departementen blieb alles gleich wie vor den Wahlen, da die frisch bestätigten Regierungsrätinnen und Regierungsräte auf eine Rochade verzichteten.

Kantonale Regierungsratswahlen Zürich 2023
Dossier: Elections cantonales - Zurich
Dossier: Elections des exécutifs cantonaux 2023

2. November 2022: Der Rücktritt von Simonetta Sommaruga

Am 25. Oktober, also kurz nachdem die fünf Kandidierenden der SVP offizialisiert waren, gab Simonetta Sommaruga via den Departementssprechenden bekannt, dass sie ihre Regierungstätigkeit temporär unterbrechen müsse, da ihr Ehemann Lukas Hartmann hospitalisiert worden sei. Dies war dann auch die Ursache für die wenige Tage später sehr überraschend erfolgende Rücktrittsankündigung der amtierenden Energie- und Verkehrsministerin: Am 2. November gab Simonetta Sommaruga ihren auch für sie persönlich abrupten Rücktritt auf Ende Jahr bekannt, weil der Hirnschlag ihres Mannes für sie ein schwerer Schock gewesen sei und gezeigt habe, dass sie die Schwerpunkte in ihrem Leben anders setzen wolle. Den Tränen nahe beteuerte die Bernerin, dass sie gerne Bundesrätin gewesen sei und eigentlich geplant habe, dies auch noch eine Weile zu bleiben. So ein Schicksalsschlag stimme aber nachdenklich und verschiebe die Prioritäten. Die 2010 in den Bundesrat gewählte Simonetta Sommaruga war zuerst Justizministerin bevor sie 2019 das UVEK übernommen hatte.

In den Medien wurde die SP-Magistratin als populäre Bundesrätin gewürdigt, die allerdings häufig Abstimmungsniederlagen in Kauf habe nehmen müssen (Le Temps) – die Schlimmste darunter sei wohl das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP gewesen. Im Zentrum ihrer Arbeit hätten stets die Menschen gestanden, urteilte der Blick. Die NZZ bezeichnete sie als «clever» und «beharrlich» mit einem «Hang zur Perfektion», der ihre Auftritte auch «angestrengt und belehrend» habe wirken lassen. Sie habe aber für eine SP-Bundesrätin auch dank «stoischer Beharrlichkeit» letztlich überraschend viele Vorlagen durch das Parlament gebracht. Die Aargauer Zeitung würdigte Simonetta Sommaruga als «Mensch gewordenes Verantwortungsgefühl», als «Bundesrätin, die niemals die Kontrolle verlieren will». Alle ausser der SVP hätten sie geliebt, titelte La Liberté. Die WoZ erinnerte angesichts der Betroffenheit, die Simonetta Sommaruga bei ihrer Rücktrittsmedienkonferenz ausgelöst hatte, daran, dass die Magistratin seit ihrer Wahl in den Bundesrat immer wieder von Teilen der Medien und der SVP angegriffen worden sei: «An der Bernerin offenbarte sich die Verunsicherung rechter Männer vor linken, machtbewussten Frauen», so die WoZ. In der Tat warf etwa Roger Köppel (svp, ZH) der Magistratin nach ihrem auch für den Bundesrat und ihre Partei überraschenden Rücktritt in der Weltwoche Parteikalkül und «Flucht» vor, weil sie schon lange «ermattet und ermüdet» sei. Dies stiess in vielen Medien freilich auf Kritik, da der Entscheid private Gründe habe und Respekt verdiene, so etwa der Tages-Anzeiger. Allerdings kommentierte die NZZ, dass der Rücktritt zwar verständlich sei, in Anbetracht der schwierigen Lage hinsichtlich Energieversorgung aber zur Unzeit komme. Ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger müsse nun innert kürzester Zeit «eine der schwersten Krisen für die Schweiz seit Jahrzehnten» meistern.

Auch bei der SP begann das von den Medien in Schwung gehaltene Kandidierendenkarussell noch am Tag der Demission von Simonetta Sommaruga zu drehen. Daran beteiligte sich freilich auch aktiv die Parteispitze, die unmittelbar ankündigte, dass die SP ein reines Frauenticket präsentieren werde, wobei egal sei, aus welcher Sprachregion die Kandidatinnen stammten. Da die SP mit Alain Berset bereits einen Mann in der Bundesregierung habe und den Grundsatz der Geschlechterparität pflegen wolle, sei ein reines Frauenticket angezeigt, so die Begründung des SP-Co-Präsidiums aus Mattea Meyer (sp, ZH) und Cédric Wermuth (sp, AG). In den Medien wurden entsprechend schnell Favoritinnen ernannt: Sehr häufig fielen dabei die Namen der Ständerätin Eva Herzog (sp, BL), der Nationalrätinnen Flavia Wasserfallen (sp, BE) und Nadine Masshardt (sp, BE) sowie der Regierungsrätinnen Jacqueline Fehr (ZH, sp) oder Evi Allemann (BE, sp). Obwohl sich vor allem die Westschweizer Medien nur geringe Chancen für eine Kandidatur aus der Westschweiz ausrechneten (beispielsweise Le Temps), da in diesem Fall vier nicht deutschsprachige Personen im Bundesrat sitzen würden – zwei davon für die SP –, fielen auch die Namen der Regierungsrätinnen Rebecca Ruiz (VD, sp) und Nuria Gorrite (VD, sp) sowie der Ständerätinnen Marina Carobbio (sp, TI) und Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU). Co-Präsidentin Mattea Meyer (sp, ZH) gab hingegen sofort bekannt, nicht zur Verfügung zu stehen.

Die in den Medien als vorschnell kritisierte Ankündigung der Parteispitze, ein reines Frauenticket präsentieren zu wollen, gab Raum für weitere Spekulationen. Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) etwa wurden laut Medien schon lange Bundesratsambitionen nachgesagt. Diese würden freilich stark geschmälert, wenn eine Deutschschweizer SP-Frau Simonetta Sommaruga beerben würde, weil für eine allfällige spätere Nachfolge von Alain Berset dann wohl Westschweizer Männer im Vordergrund stehen würden. Auch Regierungsrat Beat Jans (BS, sp) und die Nationalräte Matthias Aebischer (sp, BE) oder Jon Pult (sp, GR) dürften ob der Ankündigung «frustriert» sein, mutmasste La Liberté. Für den Westschweizer Nationalrat Pierre-Yves Maillard (sp, VD) sei der Fokus auf eine (Deutschschweizer) Frau hingegen eine gute Nachricht, mutmasste der Tages-Anzeiger wiederum im Hinblick auf eine Nachfolge von Alain Berset. Zu den eigentlichen Verliererinnen der SP-Strategie gehörten neben den Deutschschweizer Männern aber auch die Westschweizer Frauen, die sich eine Kandidatur eher zweimal überlegen dürften, analysierte 24Heures. Einerseits seien die Chancen gering, dass das Parlament eine vierte romanischsprachige Person in den Bundesrat wähle, und andererseits werde wohl bei einem Rücktritt von Alain Berset dann lediglich ein Männerticket aufgestellt.

Der SP blieben für die Kandidierendensuche nur wenige Tage. Sie setzte sich als Meldeschluss den 21. November, damit die Fraktion am 26. November ein Zweierticket nominieren konnte. Der Rücktritt Simonetta Sommarugas habe die Partei auf dem falschen Fuss erwischt, beurteilte der Blick die kurze Zeitspanne. Bevor sich die ersten Kandidierenden meldeten, kam es wie zuvor schon bei der SVP auch bei der SP zu einer Reihe von medial mehr oder weniger stark begleiteten Absagen. Ausser Mattea Meyer verzichteten neben den genannten Favoritinnen Jacqueline Fehr, Nadine Masshart, Rebecca Ruiz, Nuria Gorrite und Marina Carobbio auch die Nationalrätinnen Priska Seiler Graf (sp, ZH), Barbara Gysi (sp, SG), Edith Graf-Litscher (sp, TG), Yvonne Feri (sp, AG) und die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (ZH, sp) mit offiziellen Presseauftritten auf eine Kandidatur. Nach kurzer Bedenkzeit und grosser medialer Aufmerksamkeit verzichtete auch die ehemalige Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer (AG, sp) auf eine Kandidatur. Sie war gar mittels Petition von mehreren Personen zu einer Kandidatur aufgefordert worden. Das habe sie sehr berührt, eine Rückkehr in die Politik sei aber für sie kein Thema. Auch die Absage von Flavia Wasserfallen war den Medien mehr als eine Kurzmeldung wert. Wie Esther Friedli (svp, SG) bei der SVP wollte sich die Bernerin auf die Ständeratswahlen 2023 konzentrieren und den Sitz des auf Ende Legislatur zurücktretenden Hans Stöckli (sp, BE) verteidigen.

Im Gegensatz zu Jon Pult, der den Entscheid der SP-Spitze für ein reines Frauenticket befürwortete und sich entsprechend nicht zur Verfügung stellte, wollte sich Daniel Jositsch nicht aus dem Rennen nehmen. Er erhielt dabei Zuspruch von bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die das Vorgehen der SP-Parteileitung in den Medien als «diktatorisch» (Alfred Heer, svp, ZH) bezeichneten oder kritisierten, dass es «mit Gleichberechtigung nicht mehr viel zu tun habe» (Josef Dittli, fdp, UR). Jositsch liess verlauten, dass er sich eine Kandidatur überlege, wenn die Fraktion auch Männer zulasse. Dafür werde er sich parteiintern einsetzen, weil er ein reines Frauenticket als «diskriminierend» erachte. Es handle sich um eine Einschränkung der Wahlfreiheit, die dem Passus in den Statuten der SVP nahekomme, der jedes Mitglied automatisch ausschliesse, wenn es eine Wahl annehme, ohne von der Partei nominiert worden zu sein. Seine damit offiziell angekündigte Kandidatur brachte dem Zürcher Ständerat zahlreiche negative Kommentare ein. Der am rechten Rand der SP politisierende Daniel Jositsch fordere seine eigene Partei heraus und schaffe sich damit zahlreiche Feinde, befand LeTemps. Die «Granate Jositsch explodierte im Gesicht der SP», titelte 24Heures: «Il est vieux, blanc, mâle et riche», also alles, was die neue Garde der SP im Moment «verabscheue», so die Westschweizer Zeitung. Der Tages-Anzeiger warf Jositsch vor, mit dem «unsäglichen Theater» Frauen zu brüskieren, solange diese in den verschiedenen politischen Gremien nach wie vor nicht angemessen vertreten seien. Er sei auf einem «Egotrip», überschätze sich völlig und zeige damit nachgerade auf, dass er eben nicht geeignet sei für ein Bundesratsamt, zitierte der Blick verschiedene SP-Stimmen. Er habe Goodwill verspielt und müsse für den «Hochseilakt ohne Netz» wohl noch büssen. Die WoZ kritisierte, dass nach «173 Jahren Patriarchat [...] ein Mann auch heute noch nicht glauben [will], dass der eigene Karriereverzicht ein Akt der Gleichstellung sein kann». Auch die Weltwoche schrieb von «Selbstdemontage». Allerdings erhielt Jositsch auch Unterstützung aus der eigenen Fraktion. Sich auf ein reines Frauenticket zu konzentrieren sei «demokratisch und strategisch ungeschickt», meldete sich etwa Nationalrätin Franziska Roth (sp, SO) im Blick zu Wort. Es brauche Wettbewerb zwischen Frauen und Männern und keine Reduktion der Kandidierenden auf ihr Geschlecht. Roberto Zanetti (sp, SO) kritisierte vor allem die Parteileitung: «Ich mag es nicht, wenn man mir vorschreibt, wie ich mir meine Gedanken machen soll», so der Ständerat, der in der Folge ein Dreierticket vorschlug. Die Frage werde fraktionsintern wohl noch zu reden geben, vermutete der Blick. Die Fraktion selber versuchte etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie verkündete, den Vorschlag der Parteispitze für ein reines Frauenticket bzw. den Antrag von Jositsch auf ein gemischtes Ticket an ihrer Fraktionssitzung am 18. November zu diskutieren. Es sei der Verdienst von Jositsch, dass das Thema offen diskutiert werde, urteilte die NZZ. Er verdiene auch deshalb einen «fairen Prozess».

Nach der Kandidatur von Jositsch verging einige Zeit, bis die ersten Kandidatinnen ihre Bewerbung einreichten. Die erste Frau, die sich schliesslich am 10. November mit einer Kandidatur meldete, war Evi Allemann. Damit habe es die SP «geschafft, eine junge Mutter ins Rennen zu schicken [... und] mit einer Art Sanna Marin [...] für frischen Wind [zu] sorgen» (die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin war jüngste Ministerpräsidentin weltweit und bei ihrem Amtsantritt Mutter einer einjährigen Tochter). Die ehemalige Nationalrätin und seit 2018 Berner Regierungsrätin – und Mutter zweier Kinder im Alter von elf und sieben Jahren, wie sogleich in allen Medien berichtet wurde – habe allerdings national kaum Schlagzeilen gemacht, zudem könnte es ein Nachteil sein, dass sie seit fünf Jahren nicht mehr im nationalen Parlament sitze, mutmasste der Blick. Allemann sei nicht die Wunschkandidatin der SP gewesen, wusste 24Heures. Sie habe nicht das Charisma von Flavia Wasserfallen, die in Bundesbern wesentlich häufiger als Favoritin genannt worden sei. Die Kandidatur von Evi Allemann, die eine Bilderbuchkarriere ohne Kanten aufweise und bereits mit 20 Jahren in den Berner Grossen Rat gewählt worden war – 1998 war sie die jüngste Kantonsparlamentarierin der Schweiz – und 2003 den Sprung in den Nationalrat geschafft hatte, habe aber ein grosses «ouf de soulagement» bei der Parteileitung ausgelöst, so 24Heures weiter. Evi Allemann sei auch in bürgerlichen Kreisen beliebt und zeichne sich durch Pragmatismus aus. Sie habe zudem auf Anhieb jedes politische Mandat erhalten, das sie angestrebt habe, so der Tages-Anzeiger. Dass sie nicht mehr in Bundesbern sei, sei für die ehemalige VCS-Präsidentin allerdings ein Handicap, urteilte auch die NZZ.

Als klare Favoritin wurde in den Medien freilich Eva Herzog gehandelt, die tags darauf ihre Kandidatur bekannt gab. «Eva Herzog est la Albert Rösti du Parti socialiste» – sie sei die mit Abstand am häufigsten genannte Favoritin –, berichtete etwa Le Temps über die Kandidatur der Basler Ständerätin. Sie könne einige Trümpfe aufweisen, wie etwa ihre 19-jährige Erfahrung als Finanzvorsteherin des Kantons Basel-Stadt und ihre Ständeratskarriere seit 2019. Ihre gescheiterte Bundesratskandidatur im Jahr 2010, als sie von der Fraktion für die Nachfolge von Moritz Leuenberger nicht aufs Ticket gesetzt worden war, sei zudem ebenfalls kein Nachteil. Schliesslich sei der Kanton Basel-Stadt seit 1973 nicht mehr im Bundesrat vertreten gewesen. Dies sei auch ein Vorteil gegenüber der Bernerin Evi Allemann, waren sich die meisten Medien einig. Auch der Blick machte Eva Herzog zusammen mit Albert Rösti sogleich zum «Favoriten-Duo» und betonte «die Lust aufs Amt und den Gestaltungswillen», den die Baslerin versprühe. Als Nachteil bezeichnete 24Heures das fehlende Charisma von Eva Herzog. Sie sei «un peu cassante», wirke häufig ein wenig spröde.

Einen weiteren Tag später warf die vierte Kandidatin der SP ihren Hut in den Ring. «Elisabeth Wer?», titelte die WoZ in Anspielung auf die zumindest in der Deutschschweiz geringe Bekanntheit von Elisabeth Baume-Schneider, die ähnlich wie Eva Herzog seit 2019 im Ständerat sitzt und vorher während 13 Jahren im Kanton Jura als Regierungsrätin das Bildungsdepartement geleitet hatte. Ebendiese Unbekanntheit sei das grosse Manko der Kandidatin aus der Romandie, waren sich zahlreiche (Deutschschweizer) Medien einig. Auch wenn von der SP-Parteileitung explizit auch Frauen aus der lateinischen Schweiz zu einer Kandidatur aufgefordert worden seien, werde die Vereinigte Bundesversammlung kaum eine Mehrheit von nicht-deutschsprachigen Personen im Bundesrat goutieren, prognostizierte Le Temps – auch wenn Elisabeth Baume-Schneider bilingue ist, ihr Vater ist Deutschschweizer. Dass die Jurassierin «rien à perdre» habe, könne ihr aber auch zum Vorteil gereichen. Die Chancen seien «mince, mais pas nulles», hoffte Le Quotidien Jurassien. Es könnte sich gar für die Zukunft lohnen, den bisher noch nie im Bundesrat repräsentierten peripheren Kanton Jura bekannter zu machen, befand Le Temps mit Blick auf eine mögliche Wahl bei einem Rücktritt von Alain Berset. Für den Kanton sei dies «une belle publicité», so Le Temps. Zudem habe die ehemalige Regierungsrätin im Jura viel Rückhalt, so die Westschweizer Zeitung weiter. In der Tat gab der jurassische Regierungsrat ihre Kandidatur gar in einem Communiqué bekannt und stellte sich mit der Ankündigung, sie könne den Röstigraben verkleinern, öffentlich hinter seine ehemalige Kollegin. In den Medien wurde zudem Elisabeth Baume-Schneiders Nähe zur Landwirtschaft betont. Thema war freilich auch ihr Alter, das als «Handicap» gewertet wurde, weil sich die SP eine jüngere Frau wünsche, so der Blick. Die 58-jährige Ständerätin aus dem Kanton Jura gab zudem in Interviews zu Protokoll, dass sie sich mit 65 Jahren pensionieren lassen wolle. Sie betrachte sich deshalb als «conseillère fédérale de transition», so ihre Aussage in 24Heures. Eva Herzog bleibe aber auch deshalb Favoritin, weil die Jurassierin eher am linken Rand der SP politisiere und das Parlament deshalb weniger gut von sich überzeugen könne als die eher am rechten Rand der SP einzuschätzende Eva Herzog, so der Blick weiter. 24Heures befand zudem, dass Elisabeth Baume-Schneider das grünste Profil der SP-Kandidierenden habe, was ihr allenfalls Stimmen von den Grünen einbringen könnte. Kaum zur Sprache kam hingegen, dass die Jurassierin in ihren Jugendjahren bei der Revolutionären Marxistischen Liga politisiert hatte, galt sie doch auch in bürgerlichen Kreisen als «sehr konziliant». In Interviews gaben Ständerätinnen und Ständeräte aus allen Lagern etwa der Aargauer Zeitung zu Protokoll, sie sei «lösungsorientiert, ohne den grossen Auftritt zu suchen», «verlässlich und kollegial», «seriös, aber nicht verbissen» und sie strahle eine «positive Leichtigkeit» aus. Hingegen wurde das Thema Mutterschaft auch bei der Kandidatin aus dem Kanton Jura diskutiert: Der Blick wusste zu berichten, dass Elisabeth Baume-Schneider zwar nicht mehr das Profil der jungen Mutter habe, wie dies von der SP gewünscht werde, sie habe aber bereits im Jahr 2000 landesweit für Schlagzeilen gesorgt, weil sie damals als Parlamentspräsidentin ihr Baby an eine Sitzung im Jurassischen Parlament mitgenommen habe. Die Frage, ob ein Exekutivamt mit Kindern möglich sei, sei für Elisabeth Baume-Schneider deshalb ein «Déjà-vu». Die Sanna Marin, die die SP heute im Bundesrat haben wolle, sei die zweifache Mutter Elisabeth Baume-Schneider schon vor 20 Jahren gewesen, bemühte die Aargauer Zeitung den Vergleich mit der finnischen Präsidentin ein weiteres Mal.

Bevor die SP über die Nominierung entschied, stand die mit einiger Spannung erwartete Lösung der «Frage Jositsch» an. In den Medien hatte der Wind in der Zwischenzeit etwas gedreht und die SP wurde für ihr mangelndes strategisches Geschick kritisiert. Dass sofort kommuniziert worden sei, nur auf Frauen zu setzen, habe die Partei unnötigen Spannungen ausgesetzt, war in zahlreichen Medien zu lesen. In der Zwischenzeit hatte sich zudem die «Reformplattform», ein loser Zusammenschluss moderat-zentristischer Kräfte der SP, hinter Jositsch gestellt. Im Hinblick auf die eidgenössichen Wahlen 2023 habe die SP aber wohl keine andere Wahl, als mit einer Frau und einem Mann im Bundesrat vertreten zu sein, was nur ein reines Frauenticket garantiere, ergänzte der Tages-Anzeiger. Als Gleichstellungspartei sei sie sonst nicht glaubwürdig. Alles andere wäre denn auch «politisches Harakiri», urteilte auch die Republik. Denn würde Jositsch auf dem Ticket stehen, würde er «mit hoher Wahrscheinlichkeit» gewählt, was dem mächtigen «Momentum von feministischer Politik» völlig zuwiderlaufen und Proteste auslösen würde. Auch der 80-köpfige Parteirat, eine Art Parlament innerhalb der Partei, stärkte der Parteileitung den Rücken und sprach sich einstimmig für ein reines Frauenticket aus. Die diese Frage letztlich entscheidende Fraktion selber tagte dann am 18. November und sprach sich laut ihrem Chef Roger Nordmann (sp, VD) klar mit 37 zu 6 Stimmen (2 Enthaltungen) dafür aus, nur Frauen zu nominieren. Daniel Jositsch habe sich eloquent verteidigt, respektiere aber das Urteil, so Nordmann weiter. Der Vorschlag für ein Dreierticket sei mit 26 zu 19 Stimmen abgelehnt worden. In einem kurzen Statement gab Daniel Jositsch im Anschluss an die Fraktionssitzung den Medien zu Protokoll, er verstehe den Entscheid, es gebe keine innerparteilichen Konflikte und er ziehe seine Kandidatur angesichts der exzellenten Kandidatinnen zurück. Die Diskussionen seien freilich nicht so glatt verlaufen, wie dies für die Presse dargestellt worden sei, wusste der Tages-Anzeiger zu berichten. Vor allem die Parteispitze habe sich von einigen Fraktionsmitgliedern harsche Kritik anhören müssen: Dass Mattea Meyer und Cédric Wermuth unmittelbar nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga eigenmächtig ein Frauenticket angekündigt hätten, zeuge von schlechtem Kommunikationsstil und mangelndem Vertrauen in die Fraktion, so die interne Kritik laut Tages-Anzeiger.

Spannend blieb in der Folge also die Frage, welche beiden Kandidatinnen von der Fraktion aufs Ticket gehievt werden. Im Vorfeld der entsprechenden Fraktionsentscheidung vom 26. November hatte die SP vier von ihr so benannte «öffentliche Hearings» in Luzern, Lausanne, Zürich und Liestal geplant, in denen die drei Kandidatinnen Red und Antwort stehen – und «mit dem personellen Spektakel etwas Werbung» für die Partei machen sollten, wie die NZZ vermutete. Alle vier Hearings verliefen ohne Überraschungen. Es gebe kaum Unterschiede in den Positionen der drei Kandidatinnen war die ziemlich einhellige Meinung der Medien, was das Rennen um die Plätze auf dem Ticket freilich nur spannender mache.

Die Entscheidung der SP-Fraktion, Eva Herzog und Elisabeth Baume-Schneider auf das Ticket zu setzen, sorgte dann doch bei vielen Beobachterinnen und Beobachtern für überraschte Gesichter und einige Kritik. Der Entscheid habe etwas Zufälliges, urteilten einige Medien gestützt auf den Wahlprozess in der Fraktion, über den medial berichtet wurde. In den ersten beiden Wahlgängen waren die Unterschiede jeweils knapp, einmal verfügte Elisabeth Baume-Schneider und einmal Evi Allemann über die meisten Stimmen. Erst im dritten Wahlgang, in dem keine Zweitstimmen mehr zugelassen waren, war das Ergebnis schliesslich klar genug: 24 Stimmen für Eva Herzog, 23 für Elisabeth Baume-Schneider und lediglich noch 14 für Evi Allemann, die also für viele Fraktionsmitglieder anscheinend jeweils zweite Wahl gewesen war. Ausgerechnet die in den letzten Wochen so breit diskutierte «junge Mutter» hatte es damit nicht auf das Ticket geschafft. Dies stiess bei zahlreichen Beobachterinnen und Beobachtern auf Kritik. Die Sonntagszeitung wusste zu berichten, dass es in der Fraktion zwei Lager gegeben habe: Das eine habe auf die moderatere Eva Herzog gesetzt, während das andere vorwiegend aus Romand.e.s bestanden habe, unterstützt von Fraktionsmitgliedern, die bei der nächsten Vakanz die Wahlchancen Deutschschweizer Männer erhöhen wollten. Dieses Lager habe die eher links politisierende Westschweizer Kandidatin Elisabeth Baume-Schneider präferiert. Dies wiederum weckte Unbill bei der FDP, die sich im Vorfeld dezidiert gegen eine lateinische Mehrheit im Bundesrat ausgesprochen und bei der SP entsprechende Forderungen angemeldet hatte. Auch die SVP kritisierte die Auswahl, weil die Gefahr bestehe, dass am Schluss nur noch Kantone im Bundesrat vertreten seien, die im Finanzausgleich zu den Nehmerkantonen gehörten. Der Sonntagsblick hatte im Vorfeld der Fraktionssitzung eine Bevölkerungsbefragung durchführen lassen, bei der sich zeigte, dass die Mehrheit der Befragten ebenfalls die beiden Ständerätinnen auf das Ticket gesetzt hätte. Laut der Montagspresse änderte diese Vorauswahl allerdings wenig an der Ausgangslage: Wie bei der SVP Albert Rösti bleibe auch bei der SP Eva Herzog klare Favoritin. Die Aargauer Zeitung bezeichnete die Nomination von Elisabeth Baume-Schneider als «taktisch». Sie sei für Herzog die ungefährlichere Partnerin auf dem Ticket. Elisabeth Baume-Schneider selber war sich ihrer Outsider-Rolle bewusst, aber man könne ja nie wissen, gab sie dem Quotidien Jurassien zu Protokoll.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

«Was wollt ihr Zürcher eigentlich?» Vor dem 27. November 2017 fiel es dem Zürcher Regierungsrat Ernst Stocker (ZH, svp) nicht leicht, diese Frage, die ihm regelmässig in Bezug auf die Steuervorlage 17 gestellt wurde, zu beantworten. Denn noch zur Unternehmenssteuerreform III hatten die Finanzvorsteher von Stadt und Kanton Zürich – Daniel Leupi (ZH, gp) und Ernst Stocker – diametral unterschiedliche Positionen vertreten: Die Stadt Zürich, und insbesondere Leupi, gehörten zu den grössten Kritikern der USR III, da sie unausgewogen sei und in der Stadt zu hohen Steuerausfällen führen würde.
In der Vernehmlassungsvorlage hatte der Bundesrat im Vergleich zur Unternehmenssteuerreform III auf die zinsbereinigte Gewinnsteuer verzichtet, da diese im Vorfeld und Nachgang der Abstimmung über die USR III besonders stark kritisiert worden war. Diese Massnahme ist aber für den Kanton Zürich aufgrund seiner speziellen wirtschaftlichen Situation besonders zentral: Zürich verfügt über besonders viele – die Finanzdirektion des Kantons spricht von 40 Unternehmen, die Steuern in zweistelliger Millionenhöhe bezahlen – sogenannte Swiss Finance Branches von Konzernfinanzierungsgesellschaften, das sind quasi konzerninterne Banken. Diese werden bisher nur mit 2 bis 3 Prozent besteuert. Da sie sehr mobil sind und über wenige Angestellte verfügen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie bei einer Abschaffung der bisherigen Steuerprivilegien ohne spezifische Entlastungsmassnahmen ihre Standorte verlagern würden. Denn der Kanton Zürich befürchtet einen grossen Mitnahmeeffekt bei Steuererleichterungen für Unternehmen – insbesondere auch im Vergleich zu anderen Kantonen; sehr viele Unternehmen würden also von den Steuersenkungen profitieren, obwohl sie auch ohne diese in Zürich geblieben wären. Daher kann der Kanton Zürich seine ordentlichen Gewinnsteuern nicht so stark senken wie andere Kantone. Durch die zinsbereinigte Gewinnsteuer, die massgeschneidert ist für derartige Unternehmen, die üblicherweise über viel Eigenkapital verfügen, könnte deren Steuerbelastung spezifisch reduziert werden, wodurch der Kanton bezüglich der Steuerbelastung konkurrenzfähig bliebe.
Aufgrund dieser speziellen Situation hatte sich Stocker schon früh dafür stark gemacht, dass die zinsbereinigte Gewinnsteuer wieder in die SV17 aufgenommen wird – blieb damit aber lange erfolglos. Als Mitgrund dafür galt gemeinhin die uneinheitliche Haltung von Stadt und Kanton Zürich. Entsprechend versuchte Stocker gemäss Medien in zähen Verhandlungen, die Stadt Zürich, die Stadt Winterthur und die Gemeinden des Kantons bezüglich der zinsbereinigten Gewinnsteuer an Bord zu holen. Die langen, umstrittenen Verhandlungen – der Tages-Anzeiger beschrieb ein «dampfendes Sitzungszimmer» und Debatten «bis zur Schmerzgrenze» – waren schliesslich von Erfolg gekrönt: Ende November 2017, kurz vor Ende der Vernehmlassung, erreichten Stocker, Leupi, Jacqueline Fehr (ZH, sp), Justizdirektorin des Kantons Zürich, sowie Jörg Kündig, Präsident des Gemeindepräsidentenverbands, einen Kompromiss. Demnach befürworten Kanton, Stadt und Gemeinden die Aufnahme der «Zinsbereinigten Light», welche die Einführung der zinsbereinigten Gewinnsteuer im Unterschied zur USR III nur auf Kantonsebene und nur fakultativ vorsieht, in die SV17. Der Nutzerkreis wird im Vergleich zur USR III eingeschränkt; neu soll das Instrument nur noch von Finanzierungsgesellschaften verwendet werden können, die zu weltweit tätigen Unternehmen gehören und von Zürich aus ihre Kredite vergeben. Betroffen sein werden daher nur noch weniger als 100 Arbeitsplätze, die jedoch Steuern in zweistelliger Millionenhöhe generieren. Im Gegenzug wird der Kanton die Gewinnsteuern in zwei Schritten um zwei Prozentpunkte senken, wobei der zweite Schritt 2023 erfolgen soll und in eine separate Vorlage ausgelagert wird, deren Inhalte entsprechend noch ausgehandelt werden müssen. Zudem muss der Kanton die fehlenden Einnahmen auf Ebene der Gemeinden mit einer etappierten Erhöhung des kantonalen Anteils an den Ergänzungsleistungen von 44 auf 50 und anschliessend auf 53 Prozent kompensieren. Der Kanton verpflichtet sich, mehr Geld in den kantonalen Finanzausgleich einzubezahlen sowie die Kirchgemeinden mit CHF 5 Mio. zu unterstützen. Damit würden die Entschädigungen für die Gemeinden gemäss NZZ vermutlich den höheren Kantonsanteil an den direkten Bundessteuern übersteigen.
Die Zürcher Parteien zeigten sich nicht begeistert vom Kompromiss. Für die Grünen sei er «hart an der Schmerzgrenze», die SP gab sich skeptisch. Man sehe die zinsbereinigte Gewinnsteuer noch immer «sehr kritisch»; dennoch wurden einige Stimmen laut, die gezielte Instrumente gegenüber breiten Steuersenkungen präferierten. Die bürgerlichen Parteien kritisierten insbesondere die Staffelung der Gewinnsteuersenkung, zeigten sich aber erfreut über die gemeinsame Position von Kanton, Stadt und Gemeinden. Obwohl keine Partei vollständig mit dem Kompromiss zufrieden war, sprach sich keine von ihnen offen dagegen aus; dies erklärte die NZZ damit, dass der Kompromiss ein «diffiziles Konstrukt» darstelle, von dem kein Element verändert werden könne, ohne dass es zusammenstürze.
Zumindest in einem ersten Schritt entfaltete die Zusammenarbeit der Zürcher Staatsebenen eine positive Wirkung: In der Vernehmlassung sprachen sich neben dem Kanton Zürich auch die FDK sowie 13 weitere Kantone für diese sogenannte «Lex Zürich» aus.

Steuervorlage 17 (SV17) und Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF; BRG 18.031)
Dossier: Réforme de l'imposition des entreprises III, projet fiscal 17 et projet de réforme fiscale et de financement de l’AVS (RFFA)

Bei den Regierungsratswahlen 2015 im Kanton Zürich mussten die FDP und die SP je einen frei werdenden Sitz verteidigen. Bei der SP traten Regine Aeppli nach 12 Jahren und bei der FDP Ursula Gut, die seit 2006 in der Zürcher Regierung gesessen hatte, nicht mehr an. Fünf Bisherige stellten sich hingegen zur Wiederwahl. Die Sitze von Ernst Stocker und Markus Kägi (beide SVP), Mario Fehr (SP) und Thomas Heiniger (FDP) galten im Vorfeld der Wahlen als sehr stabil. Kaum jemand rechnete mit ihrer Abwahl. Weniger sicher fühlen konnte sich gemäss den Medieneinschätzungen im Vorfeld der Wahlen der Grüne Martin Graf, weil er aufgrund der von den Medien so benannten «Affäre Carlos» einige Male in die Schlagzeilen geraten war, aber auch weil er bei den letzten Regierungswahlen 2011 den damals amtierenden CVP-Regierungsrat Hans Hollenstein und mit ihm die Christlichdemokratische Partei nur ganz knapp aus dem Zürcher Regierungsrat verdrängt hatte. Die CVP wollte diesen Sitz wieder zurückerobern und schickte Silvia Steiner ins Rennen, die seit 2007 im Kantonsrat sass. Als amtierende Staatsanwältin bot sich Steiner für das Justizdirektorium an, das bisher von Graf gehalten wurde. Die FDP wollte ihren frei werdenden Sitz mit der Präsidentin der FDP-Frauen Schweiz und langjährigen Kantonsrätin Carmen Walker Späh verteidigen. Die SP schickte mit Jacqueline Fehr ein nationales Schwergewicht ins Rennen. Jacqueline Fehr – nicht verwandt mit dem amtierenden Mario Fehr – hatte die Zürcher Bevölkerung seit 1998 im Nationalrat vertreten. Vier weitere Kandidierende rundeten das Feld ab, wobei weder Nik Gugger (evp), Marcel Lenggenhager (bdp), Markus Bischoff (al) oder Daniel Schafroth (parteilos) Chancen eingeräumt wurden.
CVP, SVP und FDP wollten mit einem gemeinsamen Ticket und dem Slogan «Top 5» den Sitz von Martin Graf angreifen. Die Kooperation auf der linken Seite war zu Beginn etwas harziger. Zwar gab die SP bekannt, aus Rücksicht auf Graf nur mit zwei Kandidierenden anzutreten, sie stellte aber Forderungen für eine Listenverbindung für die eidgenössischen Wahlen. Unklar war zudem, ob die Kandidatur der Alternativen Liste, die in der Stadt Zürich im Jahr zuvor einige Erfolge verbuchen konnte, den Sitz von Graf eher gefährden würde oder aber allgemein mobilisierend auf das linke Lager wirke. Für Gesprächsstoff sorgte die Empfehlung der jungen Grünen, die Martin Graf, Jacqueline Fehr und Markus Bischoff unterstützten, nicht aber den amtierenden Mario Fehr. Freilich verlief auch der bürgerliche Schulterschluss nicht harmonisch. Zwar hatte man sich unter dem Namen «Top 5» auf ein gemeinsames Neun-Punkte-Programm geeinigt, für Irritationen sorgten aber gegenseitige Sticheleien zwischen Exponenten von FDP und SVP.
Beim Wahlkampf setzten die Parteien nach wie vor eher auf die klassischen Instrumente, wie Plakatkampagnen, Inserate, Podien und Standaktionen. Social Media wurde nur relativ spärlich eingesetzt. Ausnahme war diesbezüglich Jacqueline Fehr, die allerdings mit einem Tweet für einen der wenigen Aufreger im Wahlkampf sorgte. Sie reagierte auf das Attentat in Paris auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» mit dem Satz «Humor ist, wenn man trotzdem stirbt». Für Wirbel sorgten zudem die Proteste der CVP gegen die in ihrer Ansicht zu häufigen Auftritte von Jacqueline Fehr im Schweizer Fernsehen und vor allem die Strafanzeige, die Silvia Steiner gegen ein überparteiliches Komitee einreichte. In einem anonymen Flugblatt war die CVP-Kandidatin ungewöhnlich heftig attackiert worden. Sie sei mit ihrer negativen Haltung gegen Sterbehilfe eine Gefahr für die Demokratie und die Selbstbestimmung am Lebensende. Es stellte sich heraus, dass hinter der Aktion der Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli stand, der Steiner etwas später in einem Zeitungsinserat vorwarf, aus Wahlkampfgründen Strafanzeige erhoben zu haben. In der Tat schien Steiner in weiteren Vorwahlumfragen von der Medienaufmerksamkeit zu profitieren. Der Tages-Anzeiger (8.5.15) wusste zudem zu berichten, dass die SVP in den letzten Tagen vor den Wahlen die CVP-Kandidatin mit rund CHF 50'000 unterstützte. Ansonsten pflegten die Kandidierenden – so die NZZ (5.3.15) in einem Résumé einer Wahlkampfveranstaltung – «die Inszenierung der eigenen Unaufgeregtheit».
In Umfragen zeichnete sich rund einen Monat vor dem Wahlgang ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CVP und der GP, also zwischen Silvia Steiner und Martin Graf ab. Die Verteidigung der Sitze der FDP und der SP schien hingegen durch die beiden Frauenkandidaturen sicher und die restlichen Bisherigen könnten wohl ruhig schlafen, wie die Printmedien kurz vor dem Wahlgang prophezeiten.

Der Wahlsonntag brachte schliesslich einen Erfolg für den bürgerlichen Schulterschluss. Der CVP gelang dabei die Revanche für 2011 – aufgrund der Vorwahlbefragungen überraschend deutlich. Silvia Steiner konnte mit 118'477 Stimmen sogar noch Carmen Walker Späh (116'058 Stimmen) und Jacqueline Fehr (115'618 Stimmen) hinter sich lassen, womit Martin Graf (109'625 Stimmen) nach nur vier Jahren wieder aus der Regierung abgewählt wurde. Neben seinen unglücklichen Auftritten im «Fall Carlos» wurde das Schwächeln der grünen Parteien – auch im Zürcher Parlament verloren die Grünen und die GLP an Einfluss –, ein bürgerlicher gewordener Zeitgeist, wie Silvia Steiner ihren Erfolg deutete, und der funktionierende bürgerliche Schulterschluss – hier wurden Analogien zu den Regierungswahlen im Kanton Basel-Landschaft gezogen – für die Nichtbestätigung von Graf verantwortlich gemacht. Eine Abwahl amtierender Regierungsräte war in der Geschichte des Kantons Zürich bisher nur äusserst selten vorgekommen. So erhielten die restlichen Bisherigen denn auch starken Support. Am besten schnitt Thomas Heiniger ab, der 150'557 Stimmen erhielt. Auf dem zweiten Platz folgte Mario Fehr (146'307 Stimmen), der auch im bürgerlichen Lager punkten konnte. Auch die beiden SVP-Vertreter, Ernst Stocker (145'205 Stimmen) und Markus Kägi (136'563 Stimmen), mussten nicht zittern. Keine Chancen hatten erwartungsgemäss Markus Bischoff (67'103 Stimmen), Nik Gugger (42'623 Stimmen) und Marcel Lenggenhager (42'443 Stimmen), die alle drei das absolute Mehr (90'888 Stimmen) nicht überspringen konnten.
Der Regierungsrat wurde damit nicht nur bürgerlicher, sondern dank der Wahl der drei Neuen erhöhte sich auch der Frauenanteil. Die komfortable bürgerliche Mehrheit wurde als Indiz dafür interpretiert, dass die bürgerlichen Parteien wohl auch bei den eidgenössischen Wahlen im Herbst punkten würden. Gewarnt wurde jedoch davor, dass die bürgerliche Mehrheit in einem schwierigen Umfeld fragil bleibe und der Kanton nun Perspektiven brauche. Die Wahlbeteiligung von 31.3 Prozent erreichte einen Negativrekord. Die Zürcherinnen und Zürcher würden sich eher für kommunale und für nationale, denn für kantonale Politik interessieren, folgerte der Tages-Anzeiger mit Blick auf die Beteiligung bei den städtischen Wahlen und nationalen Abstimmungen. Die schwache Mobilisierung war gemäss Tagesanzeiger ebenfalls mitverantwortlich für das «Grüne Debakel» (TA, 13.4.15).

Regierungsratswahlen Zürich 2015
Dossier: Elections cantonales - Zurich
Dossier: Elections des exécutifs cantonaux 2015