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Acteurs

  • Metzler, Ruth (cvp/pdc) alt-BR/ex-CF
  • Merz, Hans-Rudolf (fdp/plr, AR) BR/CF EFD
  • Blocher, Christoph (svp/udc, ZH) alt-BR/ex-CF

Processus

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Eine Folge der eidgenössischen Wahlen 2019, die einen massiven Wahlgewinn der Grünen und eine Niederlage der Polparteien mit sich gebracht hatten, waren die virulenten Diskussionen um die Zusammensetzung und die Bestellung des Bundesrats. Auf der einen Seite wurde eine neue Zauberformel gefordert. Das Parlament müsse bei der Bestellung der Regierung rascher auf Veränderungen reagieren können. Auf der anderen Seite wurden Reformen gefordert, die eine Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder, Koalitionsverhandlungen oder einen eigentlichen Systemwechsel weg von der Konkordanzidee vorsahen.

Die Zauberformel, die 1959 mit der Idee eingeführt worden war, dass die drei grössten Parteien je zwei und die viertgrösste Partei einen Sitz erhalten soll, wurde durch die aktuellen Wahlresultate gleich mehrfach in Frage gestellt. Jahrzehntelang passte die Formel gut zu den Kräfteverhältnissen, weil die FDP, die CVP und die SP bei den Nationalratswahlen jeweils mehr als 20 Prozent Wähleranteile hinter sich wussten und die SVP auf jeweils etwas mehr als zehn Prozent zählen konnte. Eine erste Verschiebung der Kräfteverhältnisse führte 2003 zu einem Sitzwechsel von der CVP zur SVP. Nach einer durch die Nichtbestätigung von Christoph Blocher 2007 beginnenden Übergangsphase, während der CVP, SVP und BDP je einen Sitz hatten, kehrte man mit der Wahl von Guy Parmelin im Jahr 2015 wieder zu dieser 2-2-2-1-Verteilung zurück – neu mit der CVP als Juniorpartner. War diese Verteilung freilich schon 2015 hinterfragbar, geriet sie 2019 vollends in die Kritik, weil mit der SVP nur noch eine Partei über 20 Prozent Wähleranteil verfügte (25.6%), aber vier Parteien neu über 10 Prozent lagen: Die SP mit 16.8 Prozent, die FDP mit 15.1 Prozent, die Grünen mit 13.2 Prozent und die CVP mit 11.4 Prozent. Diese Verteilung liess Raum für zahlreiche Rechenspiele, die in den Medien für viel Gesprächsstoff sorgten und die Diskussionen im Vorfeld der Bundesratswahlen anheizten.

Eine neue Zauberformel wurde natürlich insbesondere von den Gewinnerinnen und Gewinnern der eidgenössischen Wahlen 2019 gefordert. Die Frage war freilich, auf wessen Kosten die Grünen einen Bundesratssitz erhalten sollten. Wahlweise vorgeschlagen wurde, dass die CVP als neu kleinste Partei verzichten müsse. Aber auch die FDP und die SP hätten eigentlich – je nach Berechnung – keinen Anspruch auf zwei Sitze. Die GP selber forderte – unterstützt von der SP – den Sitz von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Mediale Aufmerksamkeit erhielt ein Vorschlag von Christoph Blocher, der eine Proporz-Zusammensetzung vorschlug, die der SVP zwei Sitze und allen anderen Parteien inklusive der GLP (die bei den Wahlen auf 7.8% Wähleranteil gewachsen war) je einen Sitz zugestand. Freilich wurde in der Diskussion auch die Frage laut, ob für die Berechnung der Zusammensetzung lediglich die Wählerprozente, also nur die Zusammensetzung des Nationalrats, oder nicht vielmehr die Sitzverteilung in National- und Ständerat herangezogen werden müssten. Auf der Basis der totalen Anzahl Sitze aus beiden Kammern wäre die CVP (total 38 Sitze) wiederum stärker als die GP (total 33 Sitze), was für den Status Quo sprechen würde.
Eine Erweiterung der Diskussion wurde durch die Überlegung geschaffen, nicht Parteien, sondern Blöcke zu betrachten. Die NZZ schlug vor, den Polen – bestehend aus SVP auf der einen und SP zusammen mit den Grünen auf der anderen Seite – je zwei Sitze und den Parteien in der Mitte (FDP, CVP und allenfalls GLP) drei Sitze zuzusprechen. Wenn die Grünen einen Sitz erhielten und die SP ihre beiden Sitze behalten würde, dann wäre das linke Lager, das kumuliert auf rund 30 Prozent Wählerstärke komme, stark übervertreten, so die Argumentation der NZZ.

Als Problem für eine flexiblere Gestaltung der Regierungszusammensetzung wurde zudem die variable Amtszeit der Bundesrätinnen und Bundesräte ausgemacht. Würde die Amtszeit eines Regierungsmitglieds auf acht Jahre fixiert – inklusive der Verpflichtung, nicht freiwillig vor Ablauf dieser Zeit zurückzutreten – ergäben sich bei jeder Gesamterneuerungswahl Vakanzen, die eine Neuausrichtung der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrats vereinfachen würden, schlug CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) als weitere – schon etwas ältere – Idee vor.

Ein weiteres, medial diskutiertes Problem der starren 2-2-2-1-Zauberformel war die Repräsentativität des Bundesrats. Wurden 1959 durch die vier Regierungsparteien noch 85 Prozent der Wählerschaft (gemessen anhand der Wählerprozente bei den Nationalratswahlen) repräsentiert, sank dieser Wert aufgrund der zunehmenden Volatilität, aber auch aufgrund der Ausdifferenzierung des Parteiensystems 2019 erstmals unter 70 Prozent (68.9%). Die «formule magique» verliere ihre Magie, urteilte die Zeitung Le Temps auf Basis dieser Zahlen. In der Regierung müsse sich der Wille der Wählenden unmittelbar niederschlagen; wer fordere, dass die Grünen ihren Wahlerfolg in vier Jahren noch einmal bestätigen müssten, um einen Anspruch auf Einbindung in die Regierung zu haben, sei deshalb «ein schlechter Demokrat», urteilte der Tages-Anzeiger. Letztlich seien es «nicht die Wahlprozente, sondern die Mandatsträger im National- und im Ständerat», welche über die Regierungszusammensetzung entschieden. Dies sei «die eigentliche Machtarithmetik der Bundesratswahlen», kommentierte der emeritierte Historiker Urs Altermatt in der NZZ.

Als Alternative zu einer neuen Zauberformel und als Möglichkeit einer besseren Repräsentation wurde eine weitere alte Idee hervorgekramt: die Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder auf neun. Zwar waren in der Vergangenheit zahlreiche Vorstösse für eine Umsetzung dieser Idee gescheitert – etwa im Rahmen der Staatsleitungs- und Regierungsreform zu Beginn des Jahrtausends, aber auch bei Debatten zu einzelnen Reformvorschlägen –, die elf Prozent Wähleranteil, die rein arithmetisch bei neun Sitzen für einen Bundesratssitz reichen würden, würden aber ermöglichen, dass die Grünen einen Sitz erhielten, ohne dass die CVP einen Sitz abgeben müsste, so ein Argument in der Aargauer Zeitung. Insbesondere Christian Levrat (sp, FR) machte sich in den Medien für die Erhöhung der Anzahl Regierungsmitglieder stark. Damit könne nicht nur dem Anspruch der Grünen genüge getan werden, so der SP-Parteipräsident, sondern es sei auch nicht mehr zeitgemäss, lediglich sieben Minister zu haben. Dies sei weltweit fast einmalig wenig.

Weitere Vorschläge stellten die Idee der Konkordanz grundsätzlich in Frage. Nicht die wichtigsten Kräfte sollten in der Regierung vertreten sein, stattdessen müsse man ein Oppositionssystem einführen, in welchem wahlweise eine Mitte-Rechts- oder eine Mitte-Links-Regierung einer linken oder rechten Opposition gegenüberstehe, so ein Vorschlag im Tages-Anzeiger. Auch die Idee, dass Parteien mit programmatischen Koalitionsvorschlägen für die Regierung kandidieren könnten, würde das bestehende Konkordanzsystem verändern. Man müsse aber in der Tat mehr über politische Inhalte als bloss über Formeln sprechen, forderte die Aargauer Zeitung.

Man komme wohl in Zukunft nicht darum herum, die Regierungszusammensetzung nach jeden Gesamterneuerungswahlen neu zu diskutieren, folgerte der Tages-Anzeiger. Freilich steht die Konkordanz und die Zusammensetzung der Regierung schon seit einigen Jahren und stets bei Bundesratswahlen zur Diskussion, nur um dann für die nächsten vier Jahre wieder aus dem Fokus der Medien zu verschwinden. Um ebendies nach den Bundesratswahlen 2019, die hinsichtlich Regierungszusammensetzung trotz aller Reformdiskussionen den Status Quo zementierten, zu verhindern, schlug Gerhard Pfister einen «Konkordanzgipfel» vor, wie ihn die Medien betitelten: «Wir müssen die Zauberformel im Bundesrat, die Konkordanz in der Landesregierung, neu erfinden», gab Pfister im Sonntags-Blick zu Protokoll. Es gehöre zum Schweizer System, dass man gemeinsam nach Lösungen suche, begrüsste GLP-Parteipräsident Jürg Grossen (glp, BE) die Initiative der CVP. Alle Parteien waren sich einig, dass die Regeln den zunehmend volatiler werdenden Wahlresultaten angepasst werden müssen. Wie diese Anpassung auszusehen hat, blieb hingegen naturgemäss umstritten.

Reformideen im Nachgang der Bundesratswahlen 2019

Lange Zeit waren die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats fast eine Pflichtübung. Das hatte vor allem damit zu tun, dass die eidgenössischen Wahlen lange Jahre kaum politische Verschiebungen nach sich zogen. Zwar war die alte Zauberformel (2 CVP, 2 FDP, 2 SP, 1 SVP) mit dem Wahlerfolg der SVP stark hinterfragt und schliesslich nach einigen Jahren der Transition mit mehr oder weniger gehässigen und aufreibenden Regierungswahlen, der Nichtwiederwahl von Ruth Metzler (2003) sowie Christoph Blocher (2007) und einem Intermezzo der BDP in der Regierung gesprengt worden. Nach den eidgenössischen Wahlen 2015, dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf aus der nationalen Exekutive und dem Einzug eines zweiten SVP-Regierungsmitglieds schien dann aber eine neue Formel gefunden: 2 FDP, 2 SP, 2 SVP, 1 CVP.

Schon im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2019 war freilich spekuliert worden, dass die Grüne Partei die CVP hinsichtlich des Wähleranteils überflügeln könnte und damit einen Anspruch auf einen Sitz in der nationalen Regierung hätte – umso mehr, wenn sich die Grünen mit der GLP quasi zu einem gemeinsamen Sitz für die «Öko-Parteien» zusammenraufen könnten, wie die Aargauer Zeitung spekulierte. Falls sich die CVP halten könnte, wäre auch der Angriff auf einen der beiden FDP-Sitze denkbar, so die Hypothese zahlreicher Medien. Die angegriffenen Parteien wehrten sich mit dem Argument, dass eine Partei ihren Wahlerfolg zuerst bestätigen müsse, bevor sie einen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erhalten könne. Dies sei auch bei der SVP der Fall gewesen – so etwa FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) bereits Mitte August 2019 in der Zeitung Blick. Zudem dürfe nicht nur der Wähleranteil bei den Nationalratswahlen in die Berechnung einfliessen, sondern man müsse auch die Vertretung im Ständerat berücksichtigen. Martin Bäumle (glp, ZH), Ex-Präsident der GLP, gab zudem zu verstehen, dass ein Öko-Lager aus GP und GLP kaum denkbar sei; zu unterschiedlich sei man in diversen Sachfragen. Ebenfalls früh wurde in den Medien über einen möglichen Rücktritt von Ueli Maurer spekuliert, was aus der vermeintlichen Pflichtübung eine spannende Wahl gemacht hätte. Maurer gab dann allerdings Anfang November bekannt, noch eine weitere Legislatur anzuhängen.

Die aussergewöhnlichen Erfolge der Grünen Partei bei den eidgenössischen Wahlen 2019 gaben dann den Diskussionen über die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats sehr rasch wieder ganz viel Nahrung und schafften Raum für allerlei Reformvorschläge zur Bestimmung der Landesregierung. In der Tat hatten die Grünen mit 13 Prozent Wähleranteil die CVP (11.4%) deutlich überflügelt und als viertstärkste Partei abgelöst. Die GLP kam neu auf 7.8 Prozent. Die NZZ rechnete vor, dass die aktuelle Regierung so wenig Wählerinnen und Wähler vertrete wie zuletzt vor 60 Jahren. Die Grünen und die Grünliberalen hätten rein rechnerisch ein Anrecht auf je einen Bundesratssitz.
Neben den medial zahlreich vorgetragenen Berechnungen wurde allerdings auch inhaltlich und historisch argumentiert. Der Einbezug in die Regierung sei immer auch an den Umstand geknüpft gewesen, dass eine Oppositionspartei auch in verschiedenen Sachthemen glaubhaft ihre Referendumsmacht ausspielen könne, wurde etwa argumentiert. Zwar sei das Klimathema wichtig und würde wohl auch nachhaltig bleiben, die Grünen und die GLP müssten aber – wie auch die SVP mit ihren gewonnenen Volksbegehren – mit Abstimmungserfolgen ihren Anspruch noch untermauern, so ein Kommentar in der NZZ. Die Grünen würden trotz Wahlgewinnen keinen Regierungssitz erhalten, weil «niemand Angst vor ihnen hat», wie die Aargauer Zeitung diesen Umstand verdeutlichte. Argumentiert wurde zudem, dass eine «Abwahl» – eigentlich handelt es sich um eine Nichtwiederwahl – nicht dem politischen System der Schweiz entspreche. Es brauche mehrere Wahlen, bei denen sich eine Partei konsolidieren müsse, um die Stabilität in der Regierung auch über längere Zeit zu gewährleisten, kommentierte dazu der Blick.

Der Tages-Anzeiger führte gar eine Umfrage durch, die aufzeigte, dass eine Mehrheit der Befragten die Zeit für einen grünen Bundesrat noch nicht für gekommen hielt. Wer ein grünes Bundesratsmitglied jedoch befürwortete (rund 40% der Befragten), wünschte sich, dass dies auf Kosten eines Sitzes der SVP (50%) oder der FDP (21%), aber eher nicht auf Kosten der CVP (10%) oder der SP (6%) gehen solle.
Für die WoZ war allerdings klar: «Cassis muss weg!» In der Tat forderte auch Regula Rytz (gp, BE) via Medien, dass die FDP freiwillig auf einen Sitz verzichte, da sie als lediglich drittgrösste Partei keinen Anspruch auf zwei Sitze habe. In der Folge schienen sich die Medien dann in der Tat vor allem auf den zweiten Sitz der FDP einzuschiessen. Freilich wurden auch andere Modelle diskutiert – so etwa ein von Christoph Blocher in der Sonntagszeitung skizziertes Modell mit der SVP, die zwei Sitze behalten würde, und allen anderen grösseren Parteien (SP, FDP, CVP, GP, GLP) mit je einem Sitz –, «sämtliche Planspiele» drehten sich aber «um einen Namen: Aussenminister Ignazio Cassis», fasste die Aargauer Zeitung die allgemeine Stimmung zusammen. Er sei «der perfekte Feind», «visionslos und führungsschwach». Der Aussenminister befinde sich im «Trommelfeuer» befand die Weltwoche. Häufig wurde seine Haltung im Europadossier kritisiert und entweder ein Rücktritt oder wenigstens ein Departementswechsel gefordert. Mit Ersterem müsste allerdings die Minderheitenfrage neu gestellt werden, war doch die Vertretung des Tessins mit ein Hauptgrund für die Wahl Cassis im Jahr 2017. Der amtierende Aussenminister selber gab im Sonntags-Blick zu Protokoll, dass er sich als Tessiner häufig benachteiligt fühle und spielte so geschickt die Minderheitenkarte, wie verschiedene Medien tags darauf kommentierten. Die Sonntags-Zeitung wusste dann noch ein anderes Szenario zu präsentieren: Einige SVP-Parlamentarier – das Sonntagsblatt zitierte Andreas Glarner (svp, AG) und Mike Egger (svp, SG) – griffen Simonetta Sommaruga an und forderten, dass die SP zugunsten der Grünen auf einen Sitz verzichten müsse. Die CVP sei in «Versuchung», wagte sich dann auch die NZZ in die Debatte einzuschalten. Würde sie Hand bieten für einen grünen Sitz auf Kosten der FDP, dann könnte sie im Bundesrat «das Zünglein an der Waage» spielen und Mehrheiten nach links oder nach rechts schaffen. Die NZZ rechnete freilich auch vor, dass grün-links mit zusammen rund 30 Prozent Wähleranteil mit drei von sieben Regierungssitzen klar übervertreten wäre, denn die GLP dürfe man nicht zu den Grünen zählen. Dies hatten vor allem die Grünen selbst implizit immer wieder gemacht, indem sie vorrechneten, dass die GLP und die GP zusammen auf 21 Prozent Wähleranteile kämen.

Neben Kommentaren und Planspielen warteten die Medien auch mit möglichen grünen Bundesratsanwärterinnen und -anwärtern auf. Häufig gehandelte Namen waren die scheidende Parteipräsidentin Regula Rytz, die Waatländer Staatsrätin Béatrice Métraux (VD, gp), die Neo-Ständerätin Maya Graf (gp, BL), der Berner alt-Regierungsrat Bernhard Pulver (BE, gp), der amtierende Fraktionschef der Grünen, Balthasar Glättli (gp, ZH) oder der Zürcher Nationalrat Bastien Girod (gp, ZH). Ins Gespräch brachte sich zudem der Genfer Staatsrat Antonio Hodgers (GE, gp).

Die Grünen selber gaben sich lange Zeit bedeckt und waren sich wohl auch bewusst, dass eine Kampfkandidatur nur geringe Chancen hätte. Sie entschieden sich zwar an ihrer Delegiertenversammlung Anfang November in Bern für eine forschere Gangart und forderten einen grünen Bundesratssitz – Regula Rytz sprach davon, dass vorzeitige Rücktritte aus dem Bundesrat ein Ärgernis seien, weil sie Anpassungen nach Wahlverschiebungen erschweren würden. Mit der Forderung war einstweilen aber noch kein Name verknüpft, was der Partei prompt als «Lavieren» ausgelegt wurde (Blick). «Der grüne Favorit», wie der Tages-Anzeiger Bernhard Pulver betitelte, sagte Mitte November, dass er nicht zur Verfügung stehe. Auch der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (BE, gp) und die Aargauer alt-Regierungsrätin Susanne Hochuli (AG, gp), die ebenfalls als Kandidierende gehandelt worden waren, sagten via Medien, dass sie nicht zur Verfügung stünden.
Die «Kronfavoritin» (Tages-Anzeiger) Regula Rytz ihrerseits stand im zweiten Umgang der Ständeratswahlen im Kanton Bern. Ihr wurden intakte Chancen eingeräumt und wohl auch um diese nicht zu gefährden, versicherte sie, dass sie auf eine Bundesratskandidatur verzichten würde, sollte sie für den Kanton Bern in die kleine Kammer gewählt werden. Da sie dies allerdings verpasste, kündigte die Bernerin rund 20 Tage vor den Bundesratswahlen ihre Kandidatur an – noch bevor die Fraktion offiziell beschlossen hatte, eine Kandidatur einzureichen. Nach einer solchen Richtungswahl, wie es die eidgenössischen Wahlen gewesen seien, könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, erklärte sie gegenüber der Presse. Sie wolle für die Menschen und die Natur Verantwortung übernehmen. Ihr Angriff gelte aber nur dem FDP-Sitz von Ignazio Cassis. Würde sie für ein anderes Regierungsmitglied gewählt, würde sie die Wahl nicht annehmen – so die Bernerin. Die Fraktion der Grünen gab dann allerdings tags darauf bekannt, dass es nicht um die Person, sondern um die Übervertretung der FDP gehe. Ein Angriff auf Karin Keller-Sutter schien damit nicht wirklich ausgeschlossen. Die nach aussen als wenig abgesprochen erscheinende Strategie für die Ansage der Kampfwahl brachte der GP Kritik ein. Die Partei zeige sich «unbeholfen» und der Start sei «misslungen», urteilte etwa die NZZ. Auch die Weltwoche redete von einem «verpatzten Start» und die Sonntagszeitung sprach gar von dilettantischem Vorgehen. Es sei, als wären die Grünen ein Sprinter, der kurz vor dem Ziel auf die Uhr schaue und sich hinknie, um die Schuhe zu binden, so die Zeitung weiter.

Eine medial oft diskutierte Frage im Vorfeld der Wahlen war, welche Parteien die Grünen in ihrem Anliegen unterstützen würden. Klar schien, dass die FDP nicht Hand bieten würde. Auch die SVP würde – wenn überhaupt – die GP nur auf Kosten der SP unterstützen. Die CVP bzw. die neue Mitte-Fraktion (CVP zusammen mit BDP und EVP) entschied, Rytz nicht einmal zu einem Hearing einzuladen. Man sei nicht gegen eine grüne Vertretung in der Regierung, es sei aber «etwas zu früh», liess sich CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) in der Sonntagszeitung zitieren. Die GLP und die SP gaben bekannt, Rytz vor den Wahlen anhören zu wollen. Für Schlagzeilen sorgte dabei SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR), der die CVP aufforderte, mitzuhelfen, die Grünen in die Regierung zu hieven. Die Schweiz wäre sonst die einzige Demokratie, in der Wahlen keine Auswirkungen auf die Regierungszusammensetzung hätten. Zudem würde sich die Weigerung der CVP wohl über kurz oder lang rächen. Bei der GLP zeigte sich das Dilemma zwischen ökologischem und liberalem Gedankengut. Insbesondere in der Europafrage fanden sich die GLP und der amtierende Aussenminister eher auf der gleichen Linie. Für Rytz spreche das ökologische Anliegen, gegen sie ihre eher linke Ausrichtung, erklärte Tiana Moser (glp, ZH) dann den Entscheid für Stimmfreigabe der GLP. Zudem würde Rytz ohne Absprache mit den Grünliberalen den «Sitz der Ökokräfte» für sich beanspruchen. Letztlich stellte sich einzig die SP-Fraktion offiziell hinter Rytz. Die eher laue Unterstützung und der Versuch der amtierenden Regierungsparteien, die eigene Macht zu zementieren, mache das Unterfangen «grüne Bundesrätin» für Regula Rytz zu einer «mission impossible», fasste die Zeitung Le Temps die Situation dann kurz vor den Wahlen zusammen.

Nicht die Medien, nicht Umfragen und «nicht die Wahlprozente» (NZZ), sondern die Vereinigte Bundesversammlung bestimmt freilich letztlich, welche Parteien in der Regierung vertreten sein sollen. Und diese Entscheidung brachte das Resultat, das viele im Vorfeld aufgrund der Aussagen der verschiedenen Parteien auch erwartet hatten: die Wiederwahl aller Amtierenden und das Scheitern des Angriffs der Grünen. Auch die Ansprachen der Fraktionschefinnen und -chefs im Vorfeld der einzelnen Wahlen – die Erneuerungswahlen finden in der Reihenfolge der Amtszeit der Bundesratsmitglieder statt – machten dies bereits deutlich. Die CVP plädierte für Konkordanz und Stabilität und die SVP betonte, dass zum Erfolgsmodell Schweiz die angemessene Vertretung der Landesteile in der Regierung gehöre – die Diskriminierung der kleinsten Sprachregion durch die Grüne Partei sei abzulehnen. Die GLP erklärte, dass die Stärkung der ökologischen Anliegen und der Wähleranteil der Grünen zum Vorteil für Rytz gereiche, ihre Positionierung am linken Rand und der fehlende Anspruch von links-grün auf drei Sitze aber gegen sie spreche. Die SP erklärte, die Zauberformel sei keine exakte Wissenschaft, aber die beiden stärksten Parteien sollten zwei Sitze und die restlichen jeweils einen Sitz erhalten, was für Regula Rytz spreche. Die Fraktion der Grünen geisselte den Umstand, dass die Regierungsparteien während der Legislatur Sitze «austauschten» und so bewusst verunmöglichten, dass das Parlament die Resultate nach eidgenössischen Wahlen berücksichtigen könne. Die FDP schliesslich wollte sich einer künftigen Diskussion um eine Anpassung der Zusammensetzung des Bundesrats nicht verschliessen, amtierende Regierungsmitglieder dürften aber nicht abgewählt werden.

Der Angriff der Grünen folgte bei der fünften Wahl, auch wenn der Name Regula Rytz schon bei der Bestätigungswahl von Simonetta Sommaruga auftauchte. Gegen die 145 Stimmen, die Ignazio Cassis erhielt, war Regula Rytz jedoch chancenlos. Sie erhielt 82 Stimmen, was in den Medien als schlechtes Abschneiden kommentiert wurde, hätten doch die Grünen (35 Stimmen) und die SP (48 Stimmen) in der Vereinigten Bundesversammlung gemeinsam über 83 Stimmen verfügt. Weil darunter sicherlich auch ein paar CVP- und GLP-Stimmen seien, müsse dies wohl so interpretiert werden, dass einige SP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier die grüne Konkurrenz fürchteten; Ignazio Cassis könne hingegen zufrieden sein. Von den 244 Wahlzetteln waren 6 leer geblieben und 11 enthielten andere Namen als «Rytz» oder «Cassis».
Schon zuvor hatten die meisten Parlamentsmitglieder auf Experimente verzichtet. Bei der ersten Wahl wurde der amtsälteste Bundesrat, Ueli Maurer, mit 213 von 221 gültigen Wahlzetteln gewählt. 23 der 244 ausgeteilten Bulletins waren leer geblieben und acht auf Diverse entfallen. Beim Wahlgang für Simonetta Sommaruga entfielen 13 Stimmen auf Regula Rytz und 13 Stimmen auf Diverse. Da ein Wahlzettel ungültig war und 25 leer blieben, durfte sich die künftige Bundespräsidentin über 192 Stimmen freuen. Alain Berset erhielt 214 Stimmen. Bei ihm waren 14 Wahlzettel leer geblieben und 16 auf Diverse entfallen. Die Anzahl ungültige (1) und Leerstimmen (39) wuchs dann bei Guy Parmelin wieder an, so dass der Wirtschaftsminister noch 191 Stimmen erhielt – 13 Stimmen entfielen auf Diverse. Einen eigentlichen «Exploit» (Tages-Anzeiger) erzielte Viola Amherd bei der sechsten Wahl. Mit 218 Stimmen erhielt sie die zweitmeisten Stimmen der Geschichte; nur Hans-Peter Tschudi hatte 1971 mehr Stimmen erhalten, nämlich 220. Elf Stimmen blieben leer und 14 entfielen auf Diverse. Eingelangt waren nur noch 243 Wahlzettel. Ein etwas seltsames Gebaren zeigt sich bei der letzten Wahl. Karin Keller-Sutter wurde zwar auch hier im Amt bestätigt, sie erhielt aber lediglich 169 Stimmen, da von den 244 ausgeteilten Wahlzetteln 37 leer und einer ungültig eingelegt wurden und 21 Stimmen auf Marcel Dobler (fdp, SG) sowie 16 auf Diverse entfielen. In den Medien wurde spekuliert, dass dies wohl eine Retourkutsche vor allem von Ostschweizer SVP-Mitgliedern gewesen sei, weil Keller-Sutter sich im St. Galler Ständeratswahlkampf zugunsten von Paul Rechsteiner (sp, SG) ausgesprochen habe.

Der Angriff der Grünen sei zwar gescheitert, dies könne für die Partei aber auch befreiend sein, könne sie nun doch Oppositionspolitik betreiben und mit Hilfe der direkten Demokratie den Druck auf die anderen Parteien erhöhen, urteilte Le Temps nach den Wahlen. Ihr Anspruch auf einen Bundesratssitz sei nach diesen Bundesratswahlen nicht einfach vom Tisch, kommentierte Balthasar Glättli. In zahlreichen Medien wurde zudem die Stabilität des politischen Systems betont – auch der Umstand, dass es zu keinem Departementswechsel kam, obwohl kurz über einen Wechsel zwischen Alain Berset und Ignazio Cassis spekuliert worden war, wurde als Indiz dafür gewertet. Doch Stabilität bedeute nicht Stillstand; die neuen Mehrheiten im Nationalrat müssten sich auch auf die Diskussionen um eine neue Zauberformel auswirken – so die einhellige Meinung der Kommentatoren. An einem vor allem von der CVP geforderten «Konkordanzgipfel» sollten Ideen für die künftige Zusammensetzung der Landesregierung beraten werden. Entsprechende Gespräche wurden auf Frühling 2020 terminiert.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2019
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

Nach den Erfolgen sowohl in den National- als auch in den Ständeratswahlen 2019 forderten die Grünen in den darauffolgenden Bundesratswahlen einen Bundesratssitz. Zwar hatte Parteipräsidentin Regula Rytz (gp, BE) am Wahlsonntag der eidgenössischen Wahlen auf eine klare Aussage dazu verzichtet und lediglich angemerkt, dass die Verteilung der Bundesratssitze nicht mehr passe. Am 22. November 2019 gab Rytz jedoch ihre Kandidatur für die Bundesratswahlen offiziell bekannt. Man habe so lange mit dem Entscheid gewartet – die Ankündigung von Rytz kam fast einen Monat nach den Nationalratsergebnissen und drei Wochen vor den Bundesratswahlen –, da man in Gesprächen mit den anderen Parteien die Wahlchancen abzuschätzen versucht habe, erklärte Rytz gegenüber dem Tages-Anzeiger. Diese Gespräche seien positiv verlaufen, woraufhin die Grünen den FDP-Sitz von Ignazio Cassis angriffen. Die FDP sei im Bundesrat rechnerisch übervertreten, weshalb Rytz eine neue Zauberformel vorschlug, gemäss der die beiden grössten Parteien SP und SVP je zwei Sitze und FDP, CVP und die Grünen je einen Sitz haben sollten. Rytz betonte die Dringlichkeit einer Fortsetzung der Klimaschutzdiskussionen und die entsprechende Unterstützung in der Stimmbevölkerung. Aus diesem Grund sei der Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz gerechtfertigt, obwohl mit Ignazio Cassis ein Vertreter einer sprachlichen Minderheit angegriffen werde. Man könne – so Rytz – nicht alle Ansprüche befriedigen.
Die Zeitungen kommentierte diese verspätete Kandidatur von Rytz und ihren Start in den Bundesratswahlkampf als misslungen. Die NZZ begründete die späte Bekanntgabe damit, dass Rytz ihrer Ständeratskandidatur Priorität eingeräumt habe und folglich bei einer Wahl in den Ständerat auf die Bundesratskandidatur verzichtet hätte. Stattdessen hätte sich Rytz aus dem Ständeratsrennen nehmen und sich auf die Bundesratswahl konzentrieren müssen – war sich die Presse einig. Als entsprechend klein schätzten sie auch ihre Chancen, gewählt zu werden, ein, betonten dabei aber vor allem die entscheidende Rolle der GLP-Fraktion auf einer Seite und der CVP-EVP-BDP-Fraktion auf der anderen Seite.

Am Tag der Wahl stellte sich neben den Grünen nur die Sozialdemokratische Fraktion offiziell hinter die Forderung, die Zauberformel zu ändern und die grüne Kandidatin Regula Rytz zulasten von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis zu unterstützen. Im Rahmen der parlamentarischen Debatte betonte SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (sp, VD), dass die Zusammensetzung des Bundesrates mit einer Mehrheit von je zwei Bundesratssitzen der FDP und der SVP aufgrund der Wahlerfolge der Grünen nicht mehr repräsentativ sei für die Schweiz und das Parlament. Keine Unterstützung erhielt Rytz von den übrigen Parteien. Die Grünliberale Fraktion entschied sich zwar für Stimmfreigabe, was für einigen Unmut bei den Grünen sorgte. Einige GLP-Mitglieder äusserten sich diesbezüglich im Tages-Anzeiger und erklärten, dass sie sich eine gemeinsame Strategie mit den Grünen für einen Bundesratssitz gewünscht hätten. Absprachen diesbezüglich hätten jedoch nicht stattgefunden. Auch von der CVP-Fraktion erfuhren die Grünen keine Unterstützung, diese gab an, Ignazio Cassis zu unterstützen. Nach den Wahlen äusserte sich Balthasar Glättli im Sonntags-Blick kritisch gegenüber der CVP und stellte in Aussicht, dass die Grünen zukünftig auch den Sitz von Viola Amherd angreifen könnten, falls die CVP keinen Beitrag zu einer griffigeren Klimapolitik leiste. Da auch die FDP- und die SVP-Fraktion Ignazio Cassis unterstützten, setzte sich dieser mit 145 Stimmen durch. Regula Rytz erhielt 82 Stimmen, 11 Stimmen entfielen auf Verschiedene.

Im Zusammenhang mit der Forderung der Grünen nach einem Bundesratssitz berichteten die Medien ausgiebig über eine neue Zauberformel und somit über eine neue Zusammensetzung des Bundesrates. In einem Interview schlug SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) vor, den Bundesrat auf neun Mitgliedern zu erweitern; dies gäbe mehr Spielraum, um die grossen Parteien angemessen in die Regierung zu integrieren, die Regionen wären besser vertreten und die Bundesräte würden entlastet. Altbundesrat Christoph Blocher schlug stattdessen vor, dass sowohl die SP als auch die FDP zukünftig nur jeweils einen Sitz haben und stattdessen auch die Grünen und Grünliberalen je einen Sitz erhalten sollten (sogenannte Formel Christoph Blocher: 2-1-1-1-1-1).

Forderung der Grünen um einen Bundesratssitz

Die 2016 in den Aargauer Regierungsrat gewählte Franziska Roth (AG, svp) sah sich schon bald nach ihrer Wahl teilweise heftiger medialer und parteipolitischer Kritik ausgesetzt, in der der politischen Quereinsteigerin mangelhafte Amtsführung und schlechte Dossierkenntnisse vorgeworfen wurde. Als die Gesundheitsministerin Anfang 2019 dann zurückschlug und dem Parlament vorwarf, versteckte Interessen zu verfolgen, und dabei auch ihre eigene Partei nicht schonte, nahm die Kritik nur noch weiter zu. Anfang März 2019 wurde Roth gar von den Fraktionen der FDP, der CVP und der GP in einer parlamentarischen Erklärung wegen mangelnden Respekts gegenüber Parlamentsmitgliedern, schlechter Kommunikation und fehlenden Bemühens um Zusammenarbeit mit dem Parlament gemassregelt. Sie werde wohl auch für ihre Partei, die SVP zum Problem, augurte die NZZ nach der «Standpauke», die in der Schweiz nur selten so vorkomme. Auch aufgrund verschiedener Abgänge von Führungspersonal im Departement von Roth entschied sich der Gesamtregierungsrat noch Anfang März 2019 eine unabhängige Analyse zu den «Problemen im Gesundheitsdepartement» durchzuführen. Roth wurde zudem die Federführung über den Neubau des Kantonsspitals Aarau entzogen. Doch es sollte für Roth tags darauf gar noch schlimmer kommen, stellte ihr doch ihre eigene Partei ein Ultimatum: Nach einer parteiinternen Aussprache gab SVP-Kantonalpräsident Thomas Burgherr an einer Medienkonferenz bekannt, dass sich die SVP Konsequenzen überlegen werde, wenn sich die «prekäre» Amtsführung im Gesundheitsdepartement bis im Sommer nicht bessere. Die SVP fürchtete negative Auswirkungen auf die anstehenden Nationalratswahlen. Roth selber, die an besagter Medienkonferenz nicht anwesend war, schloss einen Rücktritt freilich kategorisch aus. Im Sonntags-Blick wurde die Frage gestellt, ob Frauen in der Politik mit härterer Kritik konfrontiert würden als Männer, und auch die Weltwoche wunderte sich, dass der Regierungsrätin ein Rücktritt nahegelegt werde, «obschon sich diese nichts Gravierendes hat zuschulden kommen lassen».
Eine weitere Eskalationsstufe nahm die Geschichte Ende April 2019, als Franziska Roth bekannt gab, aus der SVP auszutreten und künftig als Parteilose ihr Regierungsmandat weiterzuführen. Sie gab zwar Mängel in ihrer eigenen Kommunikation zu, warf ihrer Partei aber vor, sie mit «diffusen Vorwürfen» einzudecken und diese nicht zu konkretisieren. Man habe sie «genötigt», zurückzutreten. Der Tages-Anzeiger wertete dies als «Beispiel für die schlechte Verfassung der (Aargauer) SVP». Die Volkspartei selbst gab bekannt, dass sie sich in Roth getäuscht habe, und entschuldigte sich für ihre Nomination. Es fehle ihr an Wille, Interesse und Talent, gab die Partei den Medien bekannt und forderte den Rücktritt der Regierungsrätin. Für Schlagzeilen sorgte daraufhin alt-Bundesrat Christoph Blocher, welcher der Aargauer Parteispitze mangelndes Fingerspitzengefühl vorwarf. Die Weltwoche ortete derweil «Führungsversagen und Personalprobleme bei der Aargauer SVP». Die WoZ wiederum sah die Affäre als «Ausdruck der Krise», die in der SVP schwele.
Mitte Juni 2019 nahm dann eine der «wohl bizarrsten politischen Karrieren, die es in der Schweiz je gab» – wie die NZZ kommentierte – mit der Rücktrittsankündigung von Franziska Roth ein Ende: Sie könne nicht so tätig sein, wie sie das gerne würde, weshalb sie per Ende Juli 2019 von ihrem Amt zurücktrete. In der Folge entschied der Regierungsrat, den Bericht zum Gesundheitsdepartement zu sistieren.

Der Rücktritt setzte die Parteien unter Zugzwang, wurde doch der Termin für die Ersatzwahl von Franziska Roth auf den 20. Oktober 2019 gesetzt – zeitgleich mit den Nationalratswahlen. Diese Terminwahl sorgte für Unmut bei den meisten Parteien, die sich nach einem Treffen der Parteipräsidenten per Brief beim Regierungsrat beschwerten. Nicht unterschreiben wollten den Brief allerdings die GP und die SVP. Die NZZ vermutete feilich, dass vor allem die SVP «in Nöte» geraten werde und dass die anderen Parteien wohl Morgenluft witterten, da die SVP wohl nicht so rasch einen Ersatz für Roth finden würde, das Vertrauen in die Partei angeschlagen und damit der zweite Sitz in der fünfköpfigen Regierung in Gefahr sei. Allerdings sei der Anspruch der mit über 30 Prozent Wähleranteil mit Abstand stärksten Partei im Kanton Aargau auf zwei der fünf Exekutivmandate nicht ungerechtfertigt. Mit dem Ausscheiden von Franziska Roth drohte die Regierung im Kanton Aargau überdies rein männlich zu werden, weshalb sich bei der Nominierung der verschiedenen Kandidaturen jeweils auch die Frauenfrage stellte.
Als erste nominierte die GP mit Grossrat Severin Lüscher (AG, gp) einen Mann. Er weise als Hausarzt die nötige gesundheitspolitische Kompetenz für das freie Departement auf, was wichtiger sei als das Geschlecht, wurde bei seiner Nominierung begründet. Auch die SVP präsentierte ihren Kandidaten bereits Mitte Juli: Jean-Pierre Gallati (AG, svp) war Fraktionspräsident im Grossrat und dort vor allem durch seine scharfe Kritik an Franziska Roth aufgefallen. Die SP kündigte Ende Juli an, mit Yvonne Feri (sp, AG) ins Rennen zu steigen. Die SP-Nationalrätin war bereits 2016 zu den Regierungsratswahlen angetreten und damals im für den fünften Sitz nötigen zweiten Wahlgang Franziska Roth nur sehr knapp unterlegen. Erst Mitte August gaben die Grünliberalen bekannt, dass sie ebenfalls antreten werden. Mit Doris Aebi (AG, glp) sollte erstmals ein kantonaler Regierungssitz erobert werden. Aebi hatte bis 2000 für die SP im Kantonsrat in Solothurn gesessen und dort 1997 für den Regierungsrat kandidiert, bevor sie in den Kanton Aargau umgezogen war und die Partei gewechselt hatte. Medial diskutierten Sukkurs erhielt die Kandidatin von der früheren Aargauer FDP-Ständerätin Christine Egerszegi. Die FDP hatte bereits im Juli angekündigt, eine Kandidatur stellen zu wollen, und nominierten Mitte August eine Kandidatin: Der laut der Aargauer Zeitung am rechten Flügel der FDP politisierenden Jeanine Glarner (AG, fdp) wurden gute Chancen eingeräumt, im bürgerlichen Lager viele Stimmen zu holen. Mit Pius Lischer kandidierte auch ein Parteiloser, der bereits seit vielen Jahren erfolglos versucht, im Kanton Aargau in ein politisches Amt gewählt zu werden.
Gleich drei der fünf Kandidierenden bewarben sich gleichzeitig auch um ein Nationalratsmandat: Yvonne Feri, Jeanine Glarner und Jean-Pierre Gallati dürften vom doppelten Wahlkampf profitieren, urteilte die Aargauer Zeitung. Für einigen Wirbel sorgte die frühere Regierungsrätin Susanne Hochuli (AG, gp), die sich im lokalen TV nicht nur für ihren Parteikollegen Severin Lüscher, sondern auch für den SVP-Kandidaten Jean-Pierre Gallati aussprach – nicht aber für die SP-Kandidatin Yvonne Feri. Auch der kantonale Gewerbeverband gab an, Jean-Pierre Gallati zu unterstützen, nicht aber Jeanine Glarner oder Doris Aebi, weil Erstere keine Unternehmerin und Letztere in der falschen Partei sei. Da das neue Regierungsmitglied das Departement für Gesundheit und Soziales übernehmen würde, wurden im Wahlkampf vor allem Gesundheitsthemen, die Sozialhilfe und das Asylwesen debattiert. Im Schlüsseldepartement würden einige wichtige Dossiers warten, die dringend angegangen werden müssten, betonte die Aargauer Zeitung. Insbesondere der Spital-Neubau aber auch die Revision des Spitalgesetzes seien dringlich.
Mit fünf Kandidaturen aus dem gesamten politischen Spektrum für einen Sitz war von Beginn weg klar, dass es einen zweiten Wahlgang brauchen würde. In der Tat übertraf am «Super-Wahlsonntag», wie die Aargauer Zeitung titelte, niemand das absolute Mehr von 91'012 Stimmen. Am nächsten kam ihm der SVP-Kandidat Jean-Pierre Gallati mit 63'830 Stimmen, gefolgt von Yvonne Feri, die aber mit 44'765 Stimmen schon deutlich zurück lag. Auf den Plätzen folgten Jeanine Glarner (27'940 Stimmen), Doris Aebi (21'882 Stimmen) und Severin Lüscher (20'311 Stimmen). Pius Lischer erhielt 1'345 Stimmen. Die Stimmbeteiligung lag bei 43.9 Prozent.

Der Ausgang des zweiten Wahlgangs, der auf den 24. November 2019 angesetzt wurde, war auch davon abhängig, wer im Rennen bleiben und gegen Gallati antreten würde. Dabei kam es im Zusammenhang mit den ebenfalls im zweiten Wahlgang zur Entscheidung anstehenden Ständeratswahlen zu parteiinternen Absprachen: Rot-Grün einigte sich darauf, für den Einzug in den Ständerat mit Ruth Müri (AG, gp) und in den Regierungsrat mit Yvonne Feri zu kämpfen. Im Gegenzug trat Severin Lüscher nicht mehr für den zweiten Wahlgang an und Cédric Wermuth (sp, AG) zog sich bei den Ständeratswahlen zurück. Weil sich zudem sowohl Jeanine Glarner als auch Doris Aebi zurückzogen, hoffte Yvonne Feri auf die Unterstützung der weiblichen Wählerschaft. In der Tat verband Aebi ihren Verzicht mit dem Wunsch, eine Aufsplittung der Frauenstimmen zu verhindern. Weil auch Pius Lischer nicht zum zweiten Wahlgang antrat, kam es Ende November zum Zweikampf zwischen den Kandidierenden der SP und der SVP. Dabei wurde auch entschieden, welche der beiden Parteien einen zweiten Sitz in der kantonalen Regierung erobern und ob die Aargauer Regierung nur noch aus Männern bestehen würde. Das Rennen zwischen der «linken Frau» und dem «rechten Mann», wie die Aargauer Zeitung titelte, machte schliesslich der SVP-Vertreter Jean-Pierre Gallati – äusserst knapp mit lediglich 1'593 Stimmen Vorsprung. Gallati, der auch in den Nationalrat gewählt wurde, das Amt aber bereits nach der ersten Session wieder niederlegte, erhielt 77'462 Stimmen. Wie erwartet übernahm er das Gesundheitsdepartement. Yvonne Feri, die 75'869 Stimmen erhielt und damit zum zweiten Mal hintereinander nur knapp unterlegen war, konnte sich ihrerseits mit dem Nationalratsmandat trösten, das sie seit 2011 innehat. Die Wahlbeteiligung betrug 37.4 Prozent. Die Medien urteilten, dass die SVP mit einem blauen Auge davon gekommen sei (NZZ), dass aber die Karten wohl schon in weniger als einem Jahr bei den Gesamterneuerungswahlen neu gemischt würden. Für Diskussion sorgte, dass das Gremium nun wieder «frauenlos» ist (Tages-Anzeiger). Bisher waren neben Franziska Roth (2016-2019), Susanne Hochuli (2009-2016) und Stéphanie Mörikofer-Zwerz (AG, fdp; 1993-2001) überhaupt erst drei Frauen in den Aargauer Regierungsrat gewählt worden.

Ersatzwahlen für Franziska Roth

Im Kanton Zürich kandidierten bei den Nationalratswahlen 2019 insgesamt 966 Personen auf 32 Listen. Der Frauenanteil unter den Kandidierenden betrug 43 Prozent. Während die Anzahl Listen gegenüber 2015 leicht zurückging, bedeuteten die Zahl der Kandidierenden und der Frauenanteil neue Höchstwerte. Zu vergeben waren im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz weiterhin 35 Sitze.

Bei den Wahlen vor vier Jahren hatte sich entgegen dem nationalen Trend die SP als Siegerin feiern lassen können. Sie hatte damals zwei zusätzliche Sitze gewonnen. Auch die SVP und die FDP hatten zulegen können. Die Verteilung der 35 Zürcher Nationalratssitze lautete seither: 12 SVP, 9 SP, 5 FDP, 3 GLP, 2 GPS, 2 CVP, 1 BDP, 1 EVP. Die Ergebnisse der Kantonsratswahlen im März 2019 deuteten darauf hin, dass es für die SVP schwierig werden könnte, bei den nationalen Wahlen im Oktober ihre zwölf Sitze zu halten. Nach der veritablen Wahlschlappe bei den kantonalen Wahlen war auf Druck von Parteidoyen Christoph Blocher fast die gesamte Parteileitung zurückgetreten. So stieg die SVP mit einem jungen Interimspräsidenten, Patrick Walder, in den Wahlkampf. Die Partei hatte zudem zwei Rücktritte zu verkraften – Jürg Stahl und Hans Egloff verzichteten auf einen erneute Legislatur. Dafür gab bei der Volkspartei der 2015 nicht wiedergewählte Christoph Mörgeli sein Comeback als Nationalratskandidat. Die SVP verband dieses Jahr ihre Listen einzig mit der EDU. Die Gewinner bei den Kantonsratswahlen waren die Grünliberalen und die Grünen gewesen. Die guten Resultate und das aktuell heisseste Thema – die Klimapolitik – machten beiden Parteien Hoffnung auf Sitzgewinne auch bei den nationalen Wahlen. Die beiden Zugpferde der Zürcher Grünen – der Fraktionspräsident Balthasar Glättli und der ehemalige Vizepräsident der Grünen Schweiz Bastien Girod – reihten sich auf der Hauptliste nur auf den Plätzen drei und vier ein. Angeführt wurde die Liste von zwei Frauen – der ehemaligen Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber sowie Parteipräsidentin Marionna Schlatter-Schmid. Auf der Liste vertreten war ursprünglich auch das bekannte Model Tamy Glauser. Allerdings zog Glauser ihre Kandidatur zurück, nachdem sie mit einer «sehr unbedarften Aussage» über die angeblich heilende Wirkung von Veganer-Blut auf einer Online-Plattform heftige Reaktionen ausgelöst hatte. Die andere Partei der Stunde, die Grünliberalen, hatten auf das Wahljahr hin ihre Parteispitze ausgewechselt. Das junge Duo Nicola Forster und Corina Gredig bildeten neu ein Co-Präsidium. Dank diesem frischen Wind und einer Listenverbindung mit der CVP, der BDP und der EVP erhoffte sich die GLP, die angestrebten Sitzgewinne zu realisieren. Eine gänzlich andere Stimmung herrschte derweil bei den Sozialdemokraten. Am meisten Schlagzeilen generierte die SP im Wahljahr durch das parteiinterne Seilziehen über die künftige politische Ausrichtung der Partei. Anhänger des sozialliberalen Flügels fühlten sich dabei zunehmend marginalisiert. Der Konflikt führte schliesslich dazu, dass zuerst die ehemalige Nationalrätin Chantal Galladé und danach der amtierende Nationalrat und ehemalige Parteipräsident Daniel Frei aus der Partei austraten und zur GLP wechselten. In Freis Fall geschah dies, nachdem die SP ihn bereits auf ihre Nationalratsliste gesetzt hatte. Frei verzichtete letztlich ganz auf eine Teilnahme an den Nationalratswahlen. Neben Verlusten von Parteiangehörigen und Wählerinnen und Wählern an die GLP befürchteten die Genossen zusätzlich, dass linke Wechselwähler bei der «Klimawahl» eher die Listenpartnerin, die Grünen, wählen würden und die SP so Sitze verlieren könnte. Auch im Lager der Christdemokraten kam es zu einem Wirbel um eine Personalie. Kathy Riklin (CVP) wurde nach zwanzig Jahren als Nationalrätin von ihrer Partei nicht mehr nominiert. Stattdessen kandidierte Riklin für die Christlichsoziale Vereinigung – mit geringen Chancen auf eine Wiederwahl. Bei der FDP kandidierte der aufstrebende Jungpolitiker und ehemalige Präsident der Jungfreisinnigen, Andri Silberschmidt. Da sämtliche fünf bisherigen Freisinnigen erneut zur Wahl antraten, erklärte die FDP offiziell den Gewinn eines Sitzes zum Ziel. Trotz dieses hochgesteckten Ziels ging die FDP keine Listenverbindung mit anderen Parteien ein. Die Zürcher EVP ist seit 100 Jahren fast ausnahmslos im Nationalrat vertreten, da sie auf eine treue Wählerschaft zählen kann. Ihr Sitz schien daher auch dieses Jahr nicht in Gefahr. Ganz anders sah die Ausgangslage bei der anderen Partei aus, welche 2015 einen Sitz geholt hatte: Bei der BDP ging es ums politische Überleben, nachdem die Partei im März bei den kantonalen Wahlen alle ihre fünf Sitze im Kantonsparlament verloren hatte.

Am Wahlsonntag dominierte die Farbe Grün. Sowohl die Grünen (+7.2 Prozentpunkte, neu 14.1%) als auch die Grünliberalen (+5.8 Prozentpunkte, neu 14.0%) konnten ihre Wähleranteile deutlich ausbauen und gewannen je drei zusätzliche Sitze. Für die Grünen zog neben den beiden Bisherigen und den Spitzenkandidatinnen Schlatter-Schmid und Perlicz-Huber auch noch Meret Schneider in die Grosse Kammer ein. Bei den Grünliberalen gab es nach dem Rücktritt von Thomas Weibel sogar Platz für vier neue Gesichter. Corina Gredig, Jörg Mäder, Judith Bellaïche und Barbara Schaffner vertreten neu den Kanton Zürich in Bundesbern. Co-Präsident Nicola Forster verpasste den Einzug ins Parlament nur knapp. Auf der Verliererseite befanden sich die SVP und die SP, welche je zwei Sitze abgeben mussten. Am meisten Wähleranteile verlor die SP (-4.1 Prozentpunkte, neu 17.3%). Trotzdem schaffte eine neue Sozialdemokratin den Sprung in den Nationalrat, denn Céline Widmer setzte sich gleich vor zwei bisherige Nationalräte – Martin Naef und Thomas Hardegger –, die beide die Wiederwahl verpassten. Die SVP verlor beinahe so viele Wählerprozente (-4.0 Prozentpunkte, neu 26.7%) wie die SP. Während Martin Haab, der erst im Juni für Jürg Stahl nachgerutscht war, sein Mandat verteidigen konnte, verpasste Claudio Zanetti nach nur einer Legislatur im Nationalrat seine Wiederwahl. Auch Christoph Mörgeli verpasste seinen Wiedereinzug in die Grosse Kammer. Ebenfalls zu den Verlierern des Tages gehörten die CVP und die BDP. Die CVP konnte ihren Wähleranteil zwar leicht ausbauen (+0.2 Prozentpunkte, neu 4.4%), verlor aber trotzdem einen ihrer beiden Sitze. Für die BDP verkam die Wahl zu einem veritablen Desaster. Sie verlor über die Hälfte ihres Wähleranteils (neu 1.6%) und mit der Nicht-Wiederwahl von Rosmarie Quadranti war die BDP Zürich ab sofort nicht mehr im Nationalrat vertreten. Die FDP verlor zwar 1.6 Prozentpunkte ihres Wähleranteils (neu 13.7%) und war damit neu nur noch die fünftstärkste Kraft im Kanton, doch immerhin konnte sie ihre fünf Sitze verteidigen. Andri Silberschmidt schaffte den Einzug ins Parlament und verdrängte damit den Direktor des SGV Hans-Ulrich Bigler – eine herbe Niederlage für den Gewerbeverband, da neben Bigler auch Verbandspräsident Jean-François Rime (svp, FR) abgewählt wurde. Die EVP (+0.2 Prozentpunkte, neu 3.3%) verteidigte den Sitz von Niklaus Gugger problemlos. Das beste Resultat aller Kandidierenden erzielte Roger Köppel (svp) mit 121'098 Stimmen. Die Zusammensetzung der Zürcher Nationalratsdelegation lautete damit neu: 10 SVP, 7 SP, 6 GLP, 5 GP, 5 FDP, 1 CVP, 1 EVP. Der Frauenanteil unter den Gewählten betrug neu 45.7 Prozent. Die Stimmbeteiligung fiel gegenüber 2015 um 2.8 Prozentpunkte (2019: 44.4%).

Nationalratswahlen 2019 – Zürich
Dossier: Elections fédérales 2019 - aperçu

Als grösste Verliererin der Nationalratswahlen 2019 machten die Medien die SVP aus. Im Nationalrat verlor die Partei 12 Mandate (neu: 53 Sitze) und 3.8 Prozentpunkte Wähleranteile (neu: 25.6 Prozent). Die Partei bestätigte damit den negativen Trend, der schon in den kantonalen Erneuerungswahlen ersichtlich gewesen war, blieb aber trotzdem stärkste Kraft im Nationalrat. SVP-alt-Bundesrat Christoph Blocher nannte die Resultate auf Tele Blocher zwar «nicht schön», sie seien aber auch «keine Katastrophe». Die Medien vermuteten, dass die Partei wohl höhere Verluste erwartet habe. Trotz der Verluste erhielt Parteipräsident Albert Rösti (svp, BE) (svp, BE) von der Parteiführung viel Lob: Er sei im Wahlkampf sehr fleissig und präsent gewesen, zitierte die NZZ eine nicht namentlich genannte Person in der SVP-Führung. Auch Christoph Blocher bestätigte in einem Interview, dass ein Wechsel in der Parteileitung als Folge der schlechten Wahlresultate nicht geplant sei.

Im Wahlkampf hatte die SVP bereits im August 2019 für einige Beachtung gesorgt. Sie warb nämlich anfänglich auf einem Plakat für die National- und Ständeratswahlen 2019 mit dem Slogan «Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?». Auf dem Plakat war ein Apfel zu sehen, der von fünf Würmern in den Parteifarben der politischen Gegner und einem Wurm mit einer EU-Flagge zerfressen wurde. Wie Albert Rösti in einem Blick-Interview erklärte, zeige das Plakat die zentrale Botschaft der SVP: Die SVP sei die einzige Partei, die keinen Rahmenvertrag mit automatischer Übernahme von EU-Recht wolle. Die Medien spekulierten, dass die SVP damit versuche, das EU-Thema anstelle des unter hoher Aufmerksamkeit stehenden, aber von der Volkspartei weniger stark bearbeiteten Klimawandels ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen, zumal ein weiteres Kernthema der SVP, nämlich die Asylpolitik aufgrund der niedrigen Asylquoten wohl zu wenig mobilisieren würde.
Das Plakat sorgte in den sozialen Medien für viel Kritik, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Zudem wurde es auch parteiintern kritisiert: Franz Grüter argumentierte in den Medien Medien, dass es eine bessere Bildsprache gäbe, um die Botschaft zu transportieren. Auch der Berner SVP-Kantonalpräsident und Ständeratskandidat Werner Salzmann, der Nationalrat Thomas Burgherr und weitere SVP-Kantonalpolitiker und -politikerinnen äusserten ihre Skepsis gegenüber dem Plakat. Parteipräsident Alfred Rösti verteidigte die Affiche und bestätigte gegenüber dem Sonntags-Blick, dass der «schöne Schweizer Apfel tatsächlich ausgehöhlt wird!». So werde die Schweiz etwa auch durch Abgaben und Steuern oder die Zuwanderung im Innern ausgehöhlt. Auch der Verantwortliche für die Wahlkampagne der SVP, Adrian Amstutz (svp, BE), wies gegenüber der NZZ den Vorwurf zurück, die Partei sei mit dem Motiv zu weit gegangen, und bestätigte, dass der Apfel Hauptsujet der SVP-Wahlkampagne 2019 bleiben werde.

Resultate der SVP bei den Nationalratswahlen

Wenn man im Spätsommer der Landstrasse entlang fährt und über Kilometer hinweg eine willkürliche Aufreihung meist fremder Gesichter entdeckt, wird auch den politisch Uninteressierten bewusst, dass der nationale Wahlherbst vor der Türe stehen muss. Auch im Herbst 2019 war dieses Spektakel schweizweit deutlich zu sehen. Die Parteien und ihre Kandidatinnen und Kandidaten warben fleissig für sich und ihre Anliegen – mal originell, mal weniger, aber immer mit dem Bisschen «je ne sais quoi», das der Politik eben inhärent ist. Bisweilen schreckten einige auch nicht vor einer ordentlichen Portion Provokation zurück, so beispielsweise die SVP mit ihrem im August publizierten, wurmstichigen Apfel-Plakat oder die CVP mit ihrer Online-Kampagne, mit der sie offensichtlich gegen die anderen Parteien schoss.
Da in einem demokratisch konsolidierten Land wie der Schweiz die Meinungsäusserungsfreiheit einen hohen Stellenwert geniesst und nach Möglichkeit auch eine harte politische Auseinandersetzung über heikle Themen ermöglicht werden soll, gibt es in der Schweiz kaum rechtliche Grundlagen, die gezielt den Wahl- bzw. Abstimmungskampf regeln. Dies wurde knapp drei Wochen vor den Wahlen deutlich, als es ein prominenter Akteur, der mit Parteipolitik im eigentlichen Sinne nur wenig zu tun hat, mit einer Plakat-Aktion in die Medien schaffte: das «Egerkinger Komitee» mit seinem prominentesten Vertreter Walter Wobmann (svp, SO). In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden in verschiedenen Schweizer Städten und auf den Social-Media-Accounts des Komitees unzählige Wahlplakate aufgehängt und aufgeschaltet, auf denen jeweils das Konterfei vier prominenter FDP-Exponenten zu sehen war: Parteipräsidentin Petra Gössi (SZ), Fraktionschef Beat Walti (ZH), Nationalrätin Christa Markwalder (BE) sowie Nationalrat Christian Wasserfallen (BE). Betitelt wurde das Ganze mit dem Slogan: «Die FDP schützt radikale Islamisten in der Schweiz – Wollen Sie solche FDP-Mitläufer wirklich wählen?» Stein des Anstosses war eine nur wenige Wochen zuvor in der Herbstsession abgelehnte Motion der SVP-Fraktion zur Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams in der Schweiz, die auch dank grosser Unterstützung der FDP-Fraktion zu Fall gebracht worden war.
Die FDP-Spitze liess diesen Angriff nicht auf sich sitzen und zog die Angelegenheit einen Tag nach Bekanntwerden vor das Bezirksgericht Andelfingen (ZH), dem Sitz des Egerkinger Komitees. Dort suchte sie, wie in diversen Medien berichtet wurde, um Erlass eines Superprovisoriums (einer ohne Anhörung der Gegenpartei erlassenen vorsorglichen Massnahme) an, weil sich die anvisierten Personen in ihrer Persönlichkeit verletzt fühlten, u.a. im Recht auf das eigene Bild. Petra Gössi liess im «Blick» verlauten, sie lasse sich nicht unterstellen, radikale Islamisten zu schützen; vielmehr sei die Motion der SVP «reine Symbolpolitik, die nicht umsetzbar gewesen wäre oder gar nichts gebracht hätte», gewesen. Das Gericht bestätigte zwei Tage nach dem Ansuchen die superprovisorische Verfügung und forderte das Komitee auf, die Plakat- und Social-Media-Anzeigen innert 24 Stunden zu entfernen. Komme es dieser Aufforderung nicht nach, würden Bussen in Höhe von CHF 10'000 verhängt und auch für weitere geplante Veröffentlichungen zusätzlich erhoben werden. Wobmann und sein Komitee – oder wie es der Tages-Anzeiger betitelte: die «SVP-Kampftruppe» – ignorierten das Gerichtsurteil aber gänzlich und liessen nonchalant verlauten: «Wir entfernen die Plakate sicher nicht.» Gemäss Wobmann handle es sich bei diesem Urteil lediglich um einen politischen Entscheid; er sprach gar von «Zensur». Zudem sei die Plakat-Kampagne sowieso lediglich auf den Zeitraum einer Woche beschränkt gewesen und werde bereits am Montag nach dem Urteil enden. Des Weiteren sei das Entfernen innert 24 Stunden gar nicht möglich – was wiederum von der verantwortlichen Plakatgesellschaft Clear Channel so nicht bestätigt wurde.
In der Wochenendpresse wurde dann tatsächlich eine Wende im Plakat-Krimi kundgetan: Das Egerkinger Komitee wolle doch dem «Gericht gehorchen» und habe Clear Channel einen entsprechenden Auftrag erteilt, wie der Tages-Anzeiger informierte. Die gesetzte Frist von 24 Stunden reiche zum Entfernen der Plakate zwar nicht, liess die Plakatgesellschaft verkünden, man werde diese aber auf Kosten des Komitees frühzeitig überkleben. Weshalb es nun doch zum Umschwung kam, wollte Wobmann den Medien nicht mitteilen. Stattdessen hatte sich in der Zwischenzeit eine andere Politgrösse zur Plakataktion geäussert: SVP-Übervater Christoph Blocher. Im Gespräch auf «Teleblocher» antwortete er auf die Frage, was er denn von diesem Urteil halte, lediglich mit einem Lachen und meinte: «Da habe ich nur gelacht.» Es sei eben schon etwas «komisch», wenn das Gericht ein solches Urteil fälle, da sich die genannten Politikerinnen und Politiker doch lediglich gegen einen vermeintlichen Rufschaden wehrten, den sie durch ihr Abstimmungsverhalten grundsätzlich selbst zu verschulden hätten. In Rezitation des ehemaligen Deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, meinte er hierzu mit einem verschmitzten Unterton: «Wer den Dampf nicht erträgt, soll nicht in die Küche gehen.» Der Frage, was er denn vom Plakat selbst halte, wich er aus und betonte, dass er selbst mit dieser Kampagne nichts zu tun habe, gar erst über die Medien davon erfahren habe. Den Schritt, den das Komitee gegangen sei, empfand er jedoch als «mutig».

Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz! - Plakataktion des Egerkinger-Komitees
Dossier: Halte à l'expansion de l'islam radical en Suisse!
Dossier: Interventions et mesures luttant contre les tendances à la radicalisation islamiste

Im August 2019 setzte sich die WAK-SR mit dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer bezüglich einer ausgewogenen Paar- und Familienbesteuerung auseinander und zeigte sich mit der bundesrätlichen Botschaft mehrheitlich einverstanden: Eintreten war unbestritten und die Kommission nahm die Vorlage mit nur einer Änderung – die Kommission will den Elterntarif nicht abschaffen – mit 8 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) an. Dennoch war die Behandlung der Vorlage keinesfalls so einhellig, wie diese Resultate vermuten lassen: Die Kommission lehnte äusserst knapp, mit 6:6 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten, zwei Rückweisungsanträge an den Bundesrat zur Schaffung von alternativen Besteuerungsmodellen respektive einer zivilstandsneutralen Ausgestaltung des Gesetzes ab. Ähnlich knapp sprach sie sich auch gegen Minderheitsanträge auf die Streichung des Zweiverdienerabzugs, des Einverdienerabzugs sowie des Verheiratetenabzugs aus.

Die entsprechenden Minderheitsanträge versprachen Spannung in die Behandlung durch den Ständerat in der Herbstsession 2019 zu bringen. Eine Minderheit Hefti (fdp, GL) wollte den Bundesrat beauftragen, auf die Individualbesteuerung oder andere alternative Steuermodelle zu setzen, während eine Minderheit Caroni (fdp, AR) auch Paaren im qualifizierten Konkubinat die Möglichkeit geben wollte, die Steuern alternativ berechnen zu lassen. Kommissionssprecher Bischof (cvp, SO) fasste die neuere Vorgeschichte dieses Geschäfts zusammen und verwies darauf, dass diese Vorlage allenfalls als faktischer Gegenvorschlag zur Volksinitiative der CVP, nicht aber als tatsächlicher, indirekter Gegenvorschlag verstanden werden könne. Die Frist für eine allfällige erneute Abstimmung, die der Bundesrat auf den 27. September 2020 gesetzt habe, könne bei einer Verbindung der Initiative mit dieser aktuellen Vorlage und im Falle der Rückweisung Letzterer an den Bundesrat nicht eingehalten werden.
In der Folge legte Thomas Hefti seinen Minderheitsantrag dar. Er erklärte, dass der administrative Mehraufwand durch den sogenannten «Mehrfachtarif mit alternativer Steuerberechnung» vermutlich deutlich grösser sei, als der Bundesrat jetzt anerkenne, und dass die Zuordnung der Einkommen, zum Beispiel bei Ehepartnern mit einem gemeinsamen Geschäft, vermutlich nicht immer so einfach sei. Zudem habe dieser Vorschlag zahlreiche Probleme zur Folge, die ihrerseits neue Lösungen und Probleme nach sich zögen. Dies alles könne umgangen werden, wenn man stattdessen auf die im Kanton Waadt bereits bewährte Individualbesteuerung setze. Andrea Caroni verwies in der Folge und in Bezug zu seinem Minderheitsantrag darauf, dass es eben nicht nur die Heiratsstrafe gebe, sondern diese auf Kantonsebene durch verschiedene Boni aufgehoben würde und es auch einen Heiratsbonus sowie eine Konkubinatsstrafe gebe. Die aktuelle Vorlage wolle nun wieder eine Bevorzugung eines Zivilstandes schaffen – Ehepaare würden neu im schlimmsten Fall gleich behandelt wie Konkubinatspaare, aber allenfalls besser gestellt. Zudem würden diejenigen Instrumente, die zur Milderung der Heiratsstrafe geschaffen worden seien, konkret also der Verheiratetentarif, der Zweiverdienerabzug, und neu auch der Einverdienerabzug, beibehalten und die Verheirateten so sogar noch stärker bevorzugt. «Das wären dann also ein Fünfer, ein Weggli und ungefähr drei Bäckersfrauen dazu», kritisierte er. Man solle es daher den Konkubinatspaaren ermöglichen, dieselben Vorteile zu geniessen wie die Verheirateten.
Die folgenden Wortmeldungen verdeutlichten den Graben im Rat: Unterstützung erhielt der Antrag Hefti von linker Seite; Anita Fetz (sp, BS), Christian Levrat (sp, FR) und Paul Rechsteiner (sp, SG) meldeten sich unterstützend zu Wort. Konrad Graber (cvp, LU) hingegen nannte den Minderheitsantrag Hefti aufgrund seiner Wirkung «ein Spielen auf Zeit», da es im Rat zwei ungefähr gleich starke Lager für die Individualbesteuerung und für ein Splitting gebe, wie es Hans-Rudolf Merz in seiner Zeit als Finanzminister einmal formuliert habe. Eine Rückweisung an den Bundesrat habe folglich eine Verzögerung um zwei bis drei Jahre zur Folge, anschliessend sei man aber noch immer nicht klüger. Deshalb solle man diese mit der Verfassung konforme Vorlage, wie sie heute auf dem Tisch liege, beraten und ihr zustimmen. Mit diesem Fazit zeigten sich Mitglieder der CVP, der SVP und teilweise der FDP sowie Finanzminister Maurer einverstanden.
Nach zahlreichen Hinweisen verschiedener Sprecher darauf, dass dieses Problem seit 35 Jahren auf eine Lösung warte, sprach sich der Rat ohne Gegenantrag für Eintreten aus. Mit 25 zu 18 Stimmen stimmte der Ständerat in der Folge jedoch für den Minderheitsantrag Hefti und somit für eine Rückweisung an den Bundesrat sowie für eine umfassende Neubehandlung durch Letzteren, worauf Andrea Caroni seinen Minderheitsantrag zurückzog.

Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (ausgewogene Paar- und Familienbesteuerung; BRG 18.034)
Dossier: Abolition de la pénalisation du mariage
Dossier: Réforme de l’imposition du couple et de la famille depuis 2000 – Imposition commune ou imposition individuelle?
Dossier: Tentatives d'introduction de l'imposition individuelle

Im Konkordanzsystem Schweiz mangelt es – anders etwa als in einem System mit einem Präsidenten – an Köpfen, mit denen man aufgrund der zunehmenden Personalisierung Medienberichte besser verkaufen kann. Es verwundert deshalb nicht, dass sich die Medien für einzelne Exekutivmitglieder interessieren sowie gerne und häufig auch Spekulationen über Rücktritte und mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger amtierender Bundesrätinnen und Bundesräte anstellen. Dies taten sie auch bereits kurz nach der Wahl des neuen Bundesrates Cassis: Schliesslich ist nach der Wahl auch für das Regierungskollegium immer auch vor der Wahl.
In der Tat hatte Doris Leuthard ja bereits im Sommer 2017 ihren Rücktritt auf spätestens Ende der Legislatur im Herbst 2019 angekündigt. Dies war eine Steilvorlage für die Medien, die insbesondere den Umstand thematisierten, dass mit dem Rücktritt der Aargauerin nur noch eine Frau, nämlich Simonetta Sommaruga, in der Regierung sässe und die CVP deshalb gut daran täte, Frauen als mögliche Kandidatinnen aufzubauen – häufig genannt wurden die Ambitionen von Viola Amherd (cvp, VS). Freilich standen bei den Christdemokraten auch einige Männer in den Startlöchern: In den Medien kursierten insbesondere die Namen von Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG), der Ständeräte Konrad Graber (cvp, LU) und Pirmin Bischof (cvp, SO), aber auch Benedikt Würth (SG, cvp), Regierungsrat des Kantons St. Gallen, und Bundeskanzler Walter Thurnherr wurden als Kandidaten gehandelt. Der Bundeskanzler winkte jedoch relativ rasch ab und auch Parteipräsident Pfister zog sich mit dem Argument zurück, einen Austausch im Präsidium kurz vor den Wahlen vermeiden zu wollen. Auch Konrad Graber nahm sich mit seiner Ende August gemachten Ankündigung, bei den eidgenössischen Wahlen 2019 nicht mehr antreten zu wollen, aus dem Rennen.
Ende April 2018 gab dann auch Johann Schneider-Ammann bekannt, dass er keine weitere Legislatur mehr anstrebe. Neben der Forderung, dass auch die FDP nun ein Frauenticket aufstellen müsse, wurde mit der Ankündigung des Berner Magistraten auch die Diskussion um einen konzertierten Doppel- (zusammen mit Leuthard) oder gar Dreierrücktritt (zusammen mit Ueli Maurer) angestossen. Das Parlament müsse eine möglichst grosse Auswahl haben, damit eine genügend grosse Frauenvertretung gesichert sei, lautete der Tenor in den Medien. Auch das Kandidatenkarussell für die Nachfolge des Berner Magistraten begann sich rasch zu drehen. Neben Karin Keller-Sutter (fdp, SG), die bei der Wahl Schneider-Ammanns 2010 noch unterlegen war, brachten die Medien Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ), die Ständeräte Andrea Caroni (fdp, AR), Martin Schmid (fdp, GR) und Ruedi Noser (fdp, ZH) sowie Nationalrat Beat Walti (fdp, ZH) ins Spiel. Auch beim Freisinn zogen sich einige potenzielle Papabili allerdings bereits vor dem definitiven Rücktritt Schneider-Ammans zurück. So gab Petra Gössi etwa zu Protokoll, ihrer Partei eine Kandidatur nicht zumuten zu wollen. Mit dem Namen Keller-Sutter wurde in den Medien häufig auch der Anspruch der Zentral- und Ostschweiz auf einen Bundesratssitz zur Sprache gebracht.
Rücktrittspotenzial sahen die Medien schliesslich auch bei Ueli Maurer, bei dem sie vermuteten, dass er mit 67 Jahren und nach zehn Jahren im Amt bald genug haben könnte. Von verschiedener Seite wurde Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) als mögliche Nachfolgerin ins Spiel gebracht, die in mehreren Interviews ihre Bereitschaft signalisierte. Hierfür kam aber wenig später ein Dementi von der SVP-Spitze – Vater Christoph Blocher gab zu Protokoll, dass er seine Tochter nicht in das «Gefängnis» Landesregierung stecken wolle. Maurer selber gab in einem Interview zu Protokoll, dass er auf das Ende einer Legislatur zurücktreten werde – ob 2023, 2027 oder 2031 sei noch offen.
Ein vorläufiges Ende nahm zumindest ein Teil der Spekulationen Mitte September, als sowohl Johann Schneider-Ammann als auch Doris Leuthard ihren Rücktritt auf Ende 2018 bekannt gaben. In der Tat gilt die Herbstsession ein Jahr vor den Wahlen als idealer Zeitpunkt für einen Rücktritt vor Ende einer Legislatur, weil so Ersatzwahlen noch vor Ende eines Jahres stattfinden können. Rücktritte in einem Wahljahr selber gelten eher als unschicklich. Freilich war laut Aussage von Doris Leuthard der Doppelrücktritt vorher nicht abgesprochen worden; Schneider-Ammann habe immer davon gesprochen, erst auf Ende Legislatur 2019 zurückzutreten. In den Medien wurde das Vorpreschen des FDP-Bundesrats – er hatte seinen Rücktritt zwei Tage vor Doris Leuthard der Presse verkündet – als geplanter Mediencoup gewertet.

Spekulationen Rücktritt Bundesräte nach der Wahl von Cassis

Die Kampagne rund um die Selbstbestimmungsinitiative lief eigentlich schon seit der Lancierung des Begehrens Anfang 2015. Diverse Parteien und verschiedene Organisationen hatten sehr früh ihren Widerstand angekündigt. Schon im März 2015 hatte der Tages-Anzeiger getitelt «Alle gegen die Volkspartei»: Wirtschaftsverbände hatten Sorgen um Handelsverträge geäussert, Staatsrechtlerinnen und Staatsrechtler hatten einen Angriff auf die Menschenrechte befürchtet, Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker hatten die Idee der «fremden Richter» bemüht, verschiedentlich war eine Instrumentalisierung des Initiativrechts moniert worden und vor den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2015 hatte die Frage zur Beziehung von Völkerrecht und Landesrecht «unter Politikern für Polemiken und rote Köpfe» gesorgt (NZZ) – und das alles noch bevor die Initiative überhaupt zustande gekommen war. Die SVP wollte nach eigenem Ermessen Klarheit und Sicherheit hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht herstellen, was freilich von den Gegnerinnen und Gegnern als «falsches Versprechen» (NZZ) oder «initiative simpliste» (Le Temps) bezeichnet und bestritten wurde. Rückenwind brachte die Initiative wohl auch ihrem Erfinder Hans-Ueli Vogt (svp, ZH), der während seines Ständeratswahlkampfes im Kanton Zürich für das Begehren geworben hatte.

Die Medienberichterstattung über die Selbstbestimmungsinitiative riss natürlich auch während ihrer parlamentarischen Behandlung 2017 und 2018 nicht ab. Diskutiert wurde dabei unter anderem auch schon früh über den Abstimmungstermin. Ob die SVP im Wahljahr 2019 von der Initiative profitieren könne oder nicht, hänge vor allem vom Arbeitstempo des Parlaments und davon ab, ob ein Gegenvorschlag ausgearbeitet würde oder nicht, berichtete die Presse. In den Medien wurden derweil auch verschiedentlich Fälle beschrieben, bei denen Gerichte internationalen Verträgen den Vorrang vor Verfassungsbeschlüssen gegeben hatten. Insbesondere die Ausnahmen, die in Einzelfällen bei der Anwendung des Ausführungsgesetzes zur Ausschaffungsinitiative gemacht wurden, waren ja auch Stein des Anstosses für die Selbstbestimmungsinitiative gewesen. Ob die Schweiz nun «Musterschülerin» sei (Tages-Anzeiger), die in vorauseilendem Gehorsam handle, oder sich als Vertragspartnerin an internationale Abkommen halten müsse, wie in der Presse ebenfalls argumentiert wurde, – die Diskussionen hielten die Selbstbestimmungsinitiative im Gespräch.

Bereits vor Abschluss der parlamentarischen Verhandlungen lancierten die Gegnerinnen und Gegner der Initiative Ende Mai 2018 mittels einer Medienkonferenz offiziell den Abstimmungskampf – obwohl dann noch nicht entschieden war, wann das Anliegen an die Urne kommen sollte. Unter dem Namen «Schutzfaktor M» – M stand bei der bereits 2013 ins Leben gerufenen Organisation für Menschenrechte – und der Bezeichnung «Allianz der Zivilgesellschaft» hatten sich laut Basler Zeitung über hundert Organisationen – darunter etwa der katholische Frauenbund, Pink Cross, Behinderten- und Jugendverbände oder Helvetas – und Tausende Einzelpersonen zusammengeschlossen. Vor der Presse bezeichneten verschiedene Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen das SVP-Anliegen als «Selbstbeschneidungs-Initiative» oder «Anti-Menschenrechts-Initiative». Die ungewohnt frühe Organisation der Gegnerschaft sei mit der Bedeutung der Initiative zu erklären, aber auch damit, dass der «Abstimmungskampf kein Spaziergang» werde, so der Tages-Anzeiger. Darauf weise auch eine im März 2018 durchgeführte Umfrage hin, die zeige, dass 43 Prozent der Befragten die Initiative sicher oder eher annehmen würden und 48 Prozent dagegen oder eher dagegen seien.

Anfang Juli entschied der Bundesrat dann, die Abstimmung auf den frühest möglichen Zeitpunkt, den 25. November 2018, festzulegen. Anfang Oktober startete die SVP mit ihrem Abstimmungskampf, der zumindest hinsichtlich der verwendeten Bilder und verglichen mit früheren Kampagnen zur Minarett-, Ausschaffungs- oder Masseneinwanderungsinitiative etwa vom Sonntags-Blick als «völlig harmlos» bezeichnet wurden. Auf einem in orange gehaltenen Hintergrund hielten Personen ein Schild mit einem Ja «zur direkten Demokratie» und «zur Selbstbestimmung» in die Kamera. Das Logo der Partei war nicht sichtbar. Man habe die Botschaft bewusst simpel halten wollen. Eine aggressive Kampagne sei nicht nötig, weil die Botschaft klar sei, zudem wolle man einen sachlichen Abstimmungskampf führen, gab Kampagnenchef Thomas Matter (svp, ZH) zu Protokoll.

Die Gegnerschaft fuhr für ihre Kampagne schwereres Geschütz auf: So liess Economiesuisse 18 Frachtcontainer auf den Bundesplatz stellen mit dem Hinweis, dass darin 387 Tonnen Exportgüter Platz hätten, was der Menge entspreche, die von der Schweiz aus alle 10 Minuten in die Welt verkauft werde. Diese Ausfuhren seien aber bei einem Ja zur Selbstbestimmungsinitiative gefährdet. Nur dank zahlreicher internationaler Abkommen, die bei einem Ja alle auf der Kippe stünden, gehöre die Schweiz zu den 20 grössten Volkswirtschaften weltweit. Das «Gesicht der Operation Libero» (Blick), Flavia Kleiner, sprach von der «krassesten Initiative, über die wir je abgestimmt haben», mit ihr werde der Rechtsstaat fundamental angegriffen. Eine in den Medien häufig zu vernehmende Stimme gehörte Helen Keller, der Vertreterin der Schweiz am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Auch für sie entsprach die Initiative einem Angriff auf den Rechtsstaat und die Menschenrechte. Sie argumentierte, dass das Volksbegehren nicht hätte für gültig erklärt werden dürfen und fürchtete sich bei einer Annahme vor einer «Katastrophe», wie die Weltwoche ausführte. Plakate der Gegnerinnen und Gegner zeigten eine Kreissäge, die verschiedene Begriffe (z.B. Frauenrechte, Kinderrechte, Behindertenrechte) durchtrennte, verbunden mit dem Slogan «Nein zur Selbstbeschneidungsinitiative der SVP». In der Weltwoche wurden die Plakate als «krasser Ausdruck» von «Volksverachtung» bezeichnet, mit der die «antidemokratische Gesinnung der Selbstbestimmungsgegner» sichtbar werde. Volksentscheide würden mit «Kettensägenmassaker[n]» gleichgesetzt.
Auch auf Social Media hatten die Gegnerinnen und Gegner der Initiative «die Nase vorn» (Weltwoche). Mit einem Film zeigten sie als antike Soldaten verkleidete Mitglieder der SVP (Roger Köppel [ZH], Andreas Glarner [AG] und Magdalena Martullo-Blocher [GR]), die in einem Trojanischen Pferd versteckt das Bundesgericht entmachten wollten. Ein grosses Holzpferd wurde dann auch kurz vor dem Abstimmungstermin auf dem Berner Bahnhofsplatz präsentiert.

Die SVP – allen voran Christoph Blocher – verteidigte die Initiative mit dem Argument, dass die direkte Demokratie schleichend ausgehebelt werde. Bei der Abstimmung stünden nichts weniger als die Volksrechte auf dem Spiel. «Damit die Leute noch etwas zu sagen haben», müssten sie Ja stimmen, so der vom Blick als «SVP-Übervater» bezeichnete Blocher. Der alt-Bundesrat betrachtete die Selbstbestimmungsinitiative zudem als Vehikel, mit dem der EU-Rahmenvertrag verhindert werden könne. Sehr häufig trat auch Hans-Ueli Vogt vor die Medien, um «seine» Initiative zu verteidigen. Auch der «Architekt» des Begehrens, so die Aargauer Zeitung, argumentierte mit der Verteidigung der direkten Demokratie. Das Parlament setze angenommene Initiativen mit Verweis auf internationale Verpflichtungen nicht so um, wie dies von der Stimmbevölkerung verlangt werde. Mit der Initiative werde der Stellenwert der direkten Demokratie hingegen wieder gestärkt.

Für Wirbel sorgte ein Flyer, der von der SVP Mitte August 2018 an alle Schweizer Haushalte verteilt wurde. Darin trat alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey als Kronzeugin für die Selbstbestimmungsinitiative auf: «Das Schweizer Recht schützt besser als das europäische. Ich bin entschieden dagegen, dass europäisches Recht sämtliche Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU regeln soll», wurde die ehemalige Magistratin zitiert. Diese Aussage hatte Calmy-Rey im Rahmen einer Diskussion um das EU-Rahmenabkommen gemacht. Von der SVP sei sie aber nicht angefragt worden, sie sei schockiert über dieses Vorgehen. SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) sprach in diesem Zusammenhang von «Lügenpropaganda». Auch die «Buh-Rufe» und die «Schimpftiraden» (Aargauer Zeitung), die Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei einem Podium in Suhr (AG) über sich ergehen lassen musste, zeugten von der immer aufgeheizteren Stimmung. Nicht nur die von der SVP immer wieder heftig attackierte Justizministerin, sondern auch die Bundesratsmitglieder Doris Leuthard, Alain Berset, Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann engagierten sich mit verschiedenen Auftritten für die ablehnende Haltung des Bundesrates. Man habe Lehren aus dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative gezogen, bestätigte Simonetta Sommaruga der Aargauer Zeitung, und trete darum als Regierung stärker in Erscheinung.

Ende August zeigte eine Umfrage, dass zu diesem Zeitpunkt 53 Prozent der Befragten Nein zur Initiative gesagt hätten und 45 Prozent Ja. Als aussergewöhnlich wurde von den Befragenden der Umstand gewertet, dass das Ja-Lager über die Zeit nicht kleiner geworden sei; ein Muster, das sonst bei Initiativen im Verlauf einer Kampagne zu beobachten sei. Thomas Matter sprach bei seinem Kommentar zu diesen Zahlen in der Aargauer Zeitung von einem Kampf «David gegen Goliath». Er schätzte den finanziellen Aufwand der Gegnerschaft auf einen «zweistelligen Millionenbetrag». Die Gegnerinnen und Gegner führten eine «Märchenstundenkampagne mit unlimitierten Budgets», urteilte Matter. Die SVP selber habe weniger als CHF 3 Mio. ausgegeben. Eine Analyse von Media Focus ging hingegen aufgrund der gekauften Werbeflächen (Plakate, Inserate, Werbung auf Youtube) davon aus, dass das Befürworterlager mehr ausgegeben hatte als das Gegnerlager. Auch die APS-Inserateanalyse, mit der die Anzahl der in Printmedien geschalteten Inserate betrachtet wird, stellte ein grösseres Engagement der Befürwortenden- als der Gegnerseite fest. Zudem schalteten die Befürworterinnen und Befürworter deutlich mehr Inserate als noch bei der Masseneinwanderungs- oder der Durchsetzungsinitiative. Wer wie viel für den Abstimmungskampf ausgab, blieb zwar ein Geheimnis, die Kosten waren aber sicherlich überdurchschnittlich hoch.
Die Gegnerinnen und Gegner warnten aufgrund der Umfrageresultate davor, zu meinen, dass das Rennen bereits gelaufen sei. Demoskopen würden sich oft irren, so etwa der Blick. Als für das Nein-Lager nicht förderlich, wurde zudem die Absicht des Bundesrates bezeichnet, ausgerechnet kurz vor der Abstimmung eine Unterzeichnung des umstrittenen UNO-Migrationspaktes zu prüfen. Die Umfragen hatten zudem gezeigt, dass rund ein Drittel der FDP-Sympathisierenden die Initiative unterstützen würde. Auch die Ja-Parole der Jungfreisinnigen des Kantons Zürich zeige, dass durch den Freisinn ein Riss verlaufe, urteilte der Sonntags-Blick. Diesem wollte Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) auf Anfrage mit Aufklärung und Mobilisierung der eigenen Basis begegnen – so das Sonntagsblatt weiter.

Den «Rückenwind», den die Befürworterinnen und Befürworter durch die Debatte um den Migrationspakt noch einmal erhalten hatten, wie der Blick urteilte, versuchten sie kurz vor der Abstimmung dann noch mit «Brachial-Werbung» (Blick) zu verstärken. Auf der Titelseite der Pendlerzeitung «20 Minuten» warb das «Egerkinger Komitee» um Walter Wobmann (svp, AG) und Andreas Glarner (svp, AG) damit, dass mit der Annahme der Selbstbestimmungsinitiative der UNO-Migrationspakt verhindert werden könnte, dass hingegen bei einer Ablehnung die Minarett-Initiative wieder für ungültig erklärt werden würde. Eine Karikatur zeigte zudem Justizministerin Simonetta Sommaruga, die mit der Aussage «Hereinspaziert» an der Grenze Flüchtlinge in die Schweiz bittet.
Die heftige und ungewöhnliche lange Kampagne liess für den Abstimmungssonntag eine hohe Beteiligung erwarten.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Das 100-jährige Jubiläum des Landesstreiks 1918 im Herbst 2018 löste – überwiegend in der Deutschschweiz – mehrere Debatten und damit verbunden über das ganze Jahr verteilt ein grosses mediales Echo aus. Das SRF etwa widmete dem Jubiläum die eigens dafür produzierte Doku-Fiktion «Generalstreik 1918 – Die Schweiz am Rande eines Bürgerkrieges». Im November analysierte die NZZ die Geschehnisse anhand der Haltungen und Handlungen des Bundesrats und der Armeeführung und die WOZ führte Gespräche mit den Gewerkschaftsleitenden Natascha Wey und Florian Keller sowie dem Historiker Stefan Keller. Die Aargauer Zeitung sowie die Weltwoche veröffentlichten bereits im Januar ein Porträt des damaligen Streikführers und Nationalrats Robert Grimm. Während in der Aargauer Zeitung Grimm vom Autor Pirmin Meier als einer der «bedeutendsten und besonnensten Sozialdemokraten» umschrieben wurde, der einen Platz in der «Geschichte der schweizerischen Freiheit» verdient habe, sah Christoph Blocher, dessen Neujahrsrede in der Weltwoche abgedruckt worden war, Grimm als «Bürgerkrieger» und «Revoluzzer», welcher mit dem Landesstreik die bürgerliche Schweiz auf ihre «schwerste Bewährungsprobe ihrer neueren Geschichte» gestellt habe – allerdings dann in seinen 44 Jahren Nationalrat doch noch zur Vernunft gekommen sei.
Gleich zu Jahresbeginn wurde damit eine Debatte darüber losgetreten, wie man den Landesstreik deuten und seinen Protagonisten gedenken solle, denn sowohl linke als auch rechte Parteien versuchten, das Jubiläum zu ihren Gunsten zu nutzen. Der Sonntagsblick meinte hierzu, die Linke suche nach Wegen, den Streik als «Grundstein des modernen Sozialstaats zu mystifizieren» und nun wolle auch die Rechte dem Streik «ihren Stempel aufdrücken». Christoph Blocher, so der Sonntagsblick weiter, plane zum Jubiläum im Herbst einen «Grossanlass mit Soldaten in Weltkriegsuniformen», um den Soldaten und dem «standhaften Bürgertum» zu gedenken. Dadurch, so Geschichtsprofessor Christian Koller im Sonntagsblick, beziehe die SVP eine klare Gegenposition zur Linken. Doch auch die «linke Mythenbildung» sei kritisch zu betrachten, erklärte Koller weiter, denn Forderungen wie das Frauenstimmrecht, die AHV aber auch das Proporzwahlrecht oder die 48-Stunden-Woche – letztere zwei wurden in den Folgejahren nach dem Streik vom Bundesrat umgesetzt – hätten bereits vor dem Streik bestanden.
Im November 2018, 100 Jahre nach Beendigung des Streiks, griff schliesslich Christoph Blocher in Uster (ZH) das Thema erneut auf, wenn auch weniger pompös als im Frühjahr angekündigt. Er störe sich daran, gab der Tagesanzeiger die Rede Blochers wieder, dass die heutigen Historiker «Geschichtsklitterung» betrieben, um mit einem «linken Jubiläumsjahr» den wahren Zweck des Landesstreiks zu verhüllen, nämlich die Errichtung «eine[r] Diktatur des Proletariats nach russischem Vorbild». Im Tagesanzeiger kommentierte Ruedi Baumann, Blocher danke in seiner Rede denn auch nicht den Arbeitenden, sondern den «Soldaten und repressiven Behörden», welche den Streik bekämpft hatten. Als Reaktion auf den angekündigten Anlass in Uster habe im Vorfeld ein anonymes Komitee über Facebook zu einer Demonstration mit dem Slogan «Blocher hau ab» aufgerufen, wie der Tagesanzeiger weiter festhält. Das Komitee wehre sich gegen die «rechte Hetze» und wolle Blocher nicht einfach so die «Geschichte» überlassen.
Ein regelrechter Schlagabtausch zum Landesstreik fand ferner im März 2018 in einer Kommentarserie der Basler Zeitung statt. Helmut Hubacher, der mit Robert Grimm im Nationalrat gesessen hatte, lobte hier das Frauenstimmrecht, die AHV und die 48-Stunden-Woche sowie das Proporzwahlrecht als direkte oder indirekte Errungenschaften des Streiks und der SP, da diese Forderungen im Streikkatalog aufgeführt waren. Wenige Tage später widerspach Chefredaktor Markus Somm Hubachers Aussagen. Somm sah im Streik vielmehr die «grösste Niederlage und grössten Irrtum» in der Geschichte der SP, da durch den Streik die Angst vor einem bolschewistischen Umsturz geschürt worden sei und die Bürgerlichen fortan Ideen der SP «dämonisieren und damit erledigen» haben können. Wiederum eine Woche später antwortete der Militärhistoriker Hans Rudolf Fuhrer auf Somm und Hubacher. Er hob hervor, dass nachträglich vieles oft vermeintlich einfacher zu beurteilen sei. So könne eben auch heute nicht abschliessend beurteilt werden, was der Streik bewirkt habe, wie viel etwa die durch den Ersten Weltkrieg verursachte Armut und der danach folgende Hunger zum Unmut beigetragen hätten und als wie entscheidend letztlich die bolschewistische Ideologie als Triebfeder des Streiks zu deuten sei. Richtig sei sicherlich, dass bis heute «schweizerische Ereignisse» in einem internationalen Kontext beurteilt werden müssten.
International wurde das Thema denn auch in der Museumslandschaft aufgegriffen: Insgesamt nahmen über 30 Museen in der Schweiz, Frankreich und Deutschland an der Ausstellungsreihe «Zeitenwende 1918/19» teil, welche auf diese Weise die turbulente Zeit anhand verschiedener Aspekte thematisierten. Die Ausstellung über den Landesstreik im Zeughaus Schaffhausen wurde von Bundesrat Schneider-Amman eröffnet.

100 Jahre Landesstreik 1918

Zwischen der Behandlung der Initiative im Parlament im September 2017 und der Volksabstimmung im März 2018 riss die Berichterstattung und die Debatte über die Initiative zur Abschaffung der Billag-Gebühren nicht mehr ab. Insbesondere nachdem Medienministerin Doris Leuthard im Oktober 2017 die neue Radio- und Fernsehabgabe von 365 Franken pro Jahr präsentiert hatte, gab es für die Medien kein Halten mehr. Diskutiert wurden in der Folge alle möglichen Aspekte der Vorlage. Relativ schnell beschrieben war der Inhalt der Initiative: Die Empfangsgebühr für Radio und Fernsehen soll abgeschafft werden und der Bund soll in Friedenszeiten keine Radio- und Fernsehstationen betreiben oder subventionieren dürfen. Stattdessen soll er entsprechende Konzessionen versteigern. Welche Auswirkungen eine solche Änderung hätte, wer sie befürwortete oder bekämpfte und wer wie davon betroffen wäre, sorgte in der Folge in Medien und Gesellschaft für viel Gesprächsstoff und wurde in über 7'000 Presseartikeln und 68'000 Tweets, Letztere gemäss (Fög) alleine zwischen anfangs Januar und Mitte Februar 2018, diskutiert.

Zu Beginn des Abstimmungskampfes besonders interessant war die Frage nach den Initianten und Befürwortern der Vorlage. Diese stellten gemäss Le Temps eine «alliance de circonstance» zwischen verschiedenen Akteuren vor allem aus der Deutschschweiz dar: neoliberale Rechte insbesondere aus der Zürcher SVP; junge Libertäre, die dadurch ihre Vision einer ultraliberalen Welt verbreiten wollten, sowie private Verleger, die sich Vorteile aus der Initiative erhofften. Die Hauptakteure der No-Billag-Komitees kamen folglich mit Olivier Kessler, Co-Initiator der Initiative und einstigem Präsidenten der Jungen SVP Schwyz, mit Thomas Juch, No-Billag-Co-Präsident und Vizepräsident der Jungfreisinnigen, mit Andreas Kleeb, Kommunikationsstratege und ehemaligem Parteipräsidenten der FDP Zug, und mit den Präsidenten der Unterstützerkomitees der Romandie, dem Jungfreisinnigen Nicolas Jutzet, und des Tessins, dem SVP-Gemeinderat von Lugano, Alain Bühler, aus dem Umfeld junger Libertärer. Deren Bewegung erlangte in der Folge durch Zeitungsinterviews und Auftritte in Diskussionsrunden einige mediale Aufmerksamkeit.
Anfangs sprach sich neben den Initianten kaum jemand für die Initiative aus; unterstützt wurde sie lediglich von der Zürcher SVP und vom Gewerbeverband, die beide relativ früh die Ja-Parole beschlossen hatten. Auch die Aktion Medienfreiheit, eine Gruppe privater Verleger präsidiert von Natalie Rickli (svp, ZH), sprach sich für die Vorlage aus, da ihr die Aktivitäten der SRG zu weit gingen. Lange fragten sich die Medien, was die SVP machen werde: Es seien bei ihr zwar schon immer Sympathien für die Initiative zu spüren gewesen, aber die Partei sei diesbezüglich gespalten. Eine Halbierung der Gebühr, wie es ihr Gegenvorschlag vorgesehen hatte, wäre von den meisten Exponentinnen und Exponenten bevorzugt worden, war zu lesen. Ebendiese Forderung anstelle der radikaleren Nullforderung hatte Nationalrätin Rickli den Initianten bereits vor Lancierung des Volksbegehrens nahegelegt. Die Medien erklärten die Zurückhaltung der SVP damit, dass es sich beim Thema der Initiative nicht um ein Kernanliegen der SVP handle und die im Januar 2018 lancierte Begrenzungsinitiative viele Ressourcen binde. Im Laufe der Kampagne sprachen sich jedoch immer mehr Mitglieder der SVP für die Initiative aus, unter ihnen auch alt-Bundesrat Christoph Blocher und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR). Kurz vor der Abstimmung empfahl die SVP schliesslich mit 242 zu 17 Stimmen ein Ja zur Initiative. Zudem fassten die EDU und die Unabhängigkeitspartei up! die Ja-Parole.
Da zu Beginn der Kampagne noch unklar war, ob sich die SVP oder der Gewerbeverband finanziell beteiligen würden, setzten die Befürworter der Initiative auf Crowdfunding. Dieses sorgte für Aufmerksamkeit, nachdem der Betreiber der Crowdfunding-Seite erklärt hatte, die Sammelaktion für die Initiative zu stoppen und die bereits erhaltenen Gelder zurückzubezahlen. Die No-Billag-Initiative sei schlecht für die Kohäsion der Schweiz und als privates Unternehmen habe man das Recht, den Auftrag zu verweigern, erklärte die Geschäftsleitung. Olivier Kessler wertete dies als Sabotage und Affront gegen die Leute, die bereits insgesamt CHF 11‘500 für die Initiative gespendet hätten. Knapp 24 Stunden später startete das Crowdfunding auf einer privaten Seite erneut und erzielte nun – aufgrund von Solidaritätsbekundungen oder Gratiswerbung – mehr Spendengelder als zuvor: In den ersten 48 Stunden erhielten die Befürworter Spenden über CHF 22‘000, bis Ende Dezember 2017 nahmen sie insgesamt CHF 86‘000 mittels Crowdfunding ein.

Das Lager der Initiativgegner war relativ breit aufgestellt. Von den Parteien gaben die SP, die Grünen, die CVP, die BDP, die GLP, die EVP und die CSP die Nein-Parole heraus, genauso wie zum Beispiel Operation Libero, die Schweizerische Bischofskonferenz, die KdK und die Westschweizer Regierungskonferenz. Zögerlicher zeigten sich Economiesuisse und FDP. Die Freisinnigen fassten zwar mit 204 zu 82 Stimmen klar die Nein-Parole, machten aber an der Delegiertenversammlung ihrem Unmut gegenüber der SRG Luft. FDP-Präsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) fasste die Position der Partei entsprechend zusammen: «Es braucht Anpassungen, aber keine Revolution.» Auf deutliche Ablehnung stiess die Initiative hingegen bei der CVP, von den Medien häufig als «SRG-Partei» bezeichnet. Mit 50 zu 0 Stimmen beschloss der Parteivorstand die Nein-Parole entsprechend deutlich; die CVP übernahm zudem die Leitung der Kampagne. Trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Volksbegehren geizten zahlreiche Initiativgegner nicht mit Kritik an der SRG und betonten, dass sie für den Gegenvorschlag gestimmt hätten, wenn dieser zustande gekommen wäre.
In Übereinstimmung mit der breiten Gegnerschaft der Initiative entstanden zahlreiche verschiedene Contra-Komitees. Dazu gehörten ein überparteiliches Komitee «Nein zu No Billag», dem sich über 140 nationale Parlamentarierinnen und Parlamentarier anschlossen, der Verein «Nein zum Sendeschluss», dem verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure, darunter der Schriftsteller Pedro Lenz, der Direktor der Schweizer Journalistenschule und ehemalige SRF-Chefredaktor Diego Yanez sowie die Co-Präsidentin von Operation Libero Laura Zimmermann, angehörten. Operation Libero engagierte sich auch in einer eigenen Kampagne und erhoffte sich, mit Crowdfunding CHF 280‘000 zu erhalten, was dem Betrag entspricht, den die Bewegung bereits für ihre Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative auf dieselbe Weise erzielen konnte. Dieses Ziel erreichte Operation Libero im Dezember 2017 nach lediglich einer Woche Sammelaktion: Nachdem eine Vorumfrage der Sonntagszeitung einen deutlichen Vorsprung der Befürworter gezeigt hatte, schossen die Spenden durch die Decke. Zudem setzten sich das Komitee «NEIN zu No-Billag», bestehend aus engagierten Personen aus der Zivilgesellschaft, das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) mit der Kampagne «Made in Switzerland», Kulturschaffende mit dem «Aufruf der Kulturschaffenden gegen No-Billag» und der «Verein für die Rettung meiner Lieblingssendung», der eigens für diese Kampagne ins Leben gerufen worden war, gegen die Initiative ein. Zudem entstanden verschiedene Regionalkomitees in der Romandie, dem Tessin und im Bündnerland.

Breit diskutiert wurden in den Medien auch die Argumente der Befürworter und Gegner der Initiative. Die Initianten argumentierten, durch die Abschaffung der sogenannten «Zwangsgebühren» könne die Bevormundung der Bürger durch den Staat zumindest im Medienbereich gestoppt werden. Die Bürger sollten die Freiheit haben, zu wählen, was sie sehen und bezahlen wollen, erklärte Nicolas Jutzet. Dies betreffe insbesondere die jüngere Generation, die kaum noch lineares Fernsehen nutze: Untersuchungen des Fög sowie von Mediapulse und Vimentis verdeutlichten, dass nur noch 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Fernsehen als Hauptinformationsquelle nutzen, die Marktanteile insbesondere von SRF 1 in dieser Altersgruppe deutlich niedriger liegen als für ältere Gruppen und Junge unzufriedener sind mit der SRG als ältere Personen.
Überdies würden die Gebühren einen fairen Wettbewerb und damit die Entstehung eines «vielseitigen und qualitativ hochstehenden Fernsehmarktes in der Schweiz» verhindern, argumentierte Mitinitiant Sebastian Frehner (svp, BS). Eines der prominentesten Argumente der Befürworter bezog sich demnach auf die Rolle der SRG. Die Befürworter der Initiative erachteten die No-Billag-Initiative als Möglichkeit, die Übermachtstellung der SRG zu brechen und dadurch die privaten Medienunternehmen zu stärken. Die SRG ruiniere mit ihren Gebührenmilliarden und einer aggressiven Wettbewerbsstrategie die privaten Medienhäuser, da sie durch den Startvorteil der Gebührenfinanzierung die Privaten am Werbemarkt unter Preisdruck setze und einfacher in neue Geschäftsfelder vorstossen könne, wurde argumentiert. Mit dieser Meinung standen die Initiativbefürworter nicht alleine da. Bis weit ins gegnerische Lager pflichtete man den Initianten bei, dass die SRG die Presse und die privaten Sender konkurriere, obwohl sie dies rechtlich nicht dürfe. Eine finanzielle Unterstützung der SRG sei nötig, erklärten hingegen die übrigen Initiativgegner. Dass bei den Medien der freie Markt, den die Initianten forderten, nicht spiele, könne man am Beispiel der Zeitungen sehen, erklärte Martin Candinas (cvp, GR). Daher bedürfe es bei Produktion und Verteilung von politischen und kulturellen Inhalten eines staatlichen Eingriffs, war in Le Temps zu lesen. Ohne staatliche Unterstützung könnten die Kosten zur Bereitstellung dieser Informationen nicht gedeckt werden. Da es sich für die grossen Medienunternehmen nicht lohnen würde, sich an der Versteigerung der Konzessionen zu beteiligen, käme eine Ersteigerung einzig für Milliardäre in Frage, betonte Roger Nordmann (sp, VD) zudem. Folglich käme es bei Annahme der Initiative zu einer sogenannten «Berlusconisierung» der Medienlandschaft: Einzelne finanzstarke Personen oder Unternehmen würden zukünftig den Medienmarkt und damit die Meinungsbildung dominieren.
Welche direkten Folgen eine Annahme der Initiative für die SRG hätte, war sehr umstritten und entwickelte sich immer mehr zur Glaubensfrage. Während Medienministerin Leuthard sowie mehrere Exponenten der SRG betonten, dass eine Annahme der Initiative das Ende der SRG bedeuten würde, bezweifelten dies die Initianten. Leuthard erklärte, dass die Initiative so klar formuliert sei, dass der Bundesrat sie per Verordnung umsetzen würde – das entsprechende Gesetz könne wohl kaum rechtzeitig erarbeitet werden. Man würde daher die Gebühren innerhalb eines Jahres zurückfahren. Auch SRG-Präsident Jean-Michel Cina, SRG-Generaldirektor Gilles Marchand sowie SRF-Direktor Ruedi Matter betonten, dass es bei einer Annahme zu einem Lichterlöschen bei der SRG und zu einer sukzessiven Entlassung der 6'000 Mitarbeitenden kommen würde. Insbesondere da bei Annahme der Initiative ein Grossteil der Bürger sofort aufhören würde, Gebühren zu bezahlen, wodurch die SRG in kürzester Zeit Liquidationsprobleme bekäme. Danach gäbe es in der Schweiz nur noch hoch kommerzielles Fernsehen mit viel Werbung. Dieser Darstellung widersprachen die Initianten: Sendungen mit hohen Einschaltquoten liessen sich über den Werbemarkt weiterhin finanzieren, betonte zum Beispiel Andreas Kleeb. Die SRG würde durch die Initiative zu einem gewöhnlichen Medienunternehmen, das sich am Markt bewähren müsste, erklärte auch Christoph J. Walther, Fachjournalist für Medien. Die Weltwoche rechnete aus, dass die SRG CHF 310 Mio. einnehmen könnte, wenn nur ein Viertel aller heutigen SRG-Nutzerinnen und -Nutzer die SRG-Programme zukünftig abonnieren würde. Da man bezüglich Werbung freier wäre, könnte man den Zuschauerrückgang durch längere Werbefenster sowie Werbung in Internet und Radio kompensieren. Auch der emeritierte Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer hielt die Darstellung eines abrupten Endes der SRG für übertrieben. Er erklärte, die SRG würde vorläufig ihren Programmauftrag behalten und könnte weiter existieren, bis das Parlament das RTVG angepasst habe, weil dieses eine stärkere rechtliche Wirkung habe als die Ausführungsbestimmungen der Initiative. Um die Diskussionen zur Zukunft der SRG bei Annahme der Initiative auf eine solidere Basis zu stellen, hatte die KVF-NR bereits im April 2017 einen Bericht des BAKOM zu zwei Budgetvarianten der SRG gefordert, der im Juni 2017 erschien.
Nicht nur die SRG, auch die 21 respektive 13 regionalen Radio- und Fernsehstationen würde eine Annahme der Initiative vor grosse Probleme stellen, gaben Letztere zu bedenken. Diese erhalten ebenfalls CHF 68 Mio., zukünftig sogar CHF 81 Mio., aus dem Gebührentopf und sind zu etwa 50 Prozent gebührenfinanziert. Ohne diese Unterstützung könnten sie somit kaum überleben. Silvio Lebrument, Geschäftsführer der Somedia, erklärte, auch für den Radio- und Fernsehsender Südostschweiz würde eine Annahme der Initiative das Aus bedeuten. Folglich kritisierte auch der Verband der Schweizer Regionalfernseher Telesuisse die Initiative stark.
Eine Annahme der Initiative hätte schliesslich gemäss den Initiativgegnern auch negative Konsequenzen für die (Sprach-)Minderheiten. So erklärte Medienministerin Leuthard im Dezember, dass die Initiative diese deutlich stärker treffen würde als die Deutschschweiz. Heute fände eine Quersubventionierung der französisch- und italienischsprachigen Sender durch die Deutschschweizer Gebührenzahlenden statt: RSI zum Beispiel erhält 20.5 Prozent der Gebühreneinnahmen für 8.1 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner. Ohne diese Umverteilung könnten Radio- und Fernsehsender in anderen Sprachregionen kaum produziert werden, da die Märkte zu klein seien, erklärte Pascal Crittin, Direktor von RTS. Ausschliesslich werbefinanziert liesse sich hochwertiges Fernsehen nicht produzieren, bei einem Ja müsse RTS daher schliessen. Entsprechend kritisch zeigten sich die Medien und Akteure in der Romandie bezüglich der Initiative. Relativ lange war die Diskussion zur Initiative in den Westschweizer Medien deutlich weniger virulent als in der Deutschschweiz, die Initiative galt als chancenlos. Zudem sei das Westschweizer Fernsehen gemäss Peter Rothenbühler, langjährigem Chefredaktor von Le Matin, dank verschiedener hervorragender Informationssendungen in der Bevölkerung fest verankert. Aufgrund ausgewogener Informationsveranstaltungen und kontroverser Diskussionen sei auch der Vorwurf, die Sender seien politisiert, nie aufgekommen. Diese positive Einstellung zur SRG zeigte sich auch in der von Année Politique Suisse untersuchten Inseratekampagne: Im Vergleich zu früheren Vorlagen wurden in den französischsprachigen oder zweisprachigen Kantonen überdurchschnittlich viele Contra-Inserate publiziert, jedoch beinahe keine Pro-Inserate.
Speziell war die Lage für den Kanton Tessin, wo RSI mit 1100 Stellen, 500 Stellen bei Zulieferern und einer Wertschöpfung von CHF 213 Mio. gemäss einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Basel einer der grössten Arbeitgeber des Kantons ist. RSI-Direktor Maurizio Canetta betonte entsprechend die Gefahr der Vorlage für den Südkanton. Da das Tessin aktuell dreimal mehr Geld aus dem Gebührentopf erhalte, als es einzahle, würden bei Annahme der Initiative nur noch kommerzielle Gewinne zählen, die Regionalität ginge verloren. Mittelfristig müsse RSI schliessen, dann könnten nur noch italienische Sender empfangen werden. Trotz oder gerade wegen der starken Lage von RSI entwickelte sich im Tessin eine überaus starke Befürworterkampagne zur Initiative. Mit fast 60 Inseraten im untersuchten Zeitraum und den untersuchten Zeitungen – von denen jedoch mehr als die Hälfte in der Lega-nahen Zeitung «Il Mattino della Domenica» erschienen waren – legten sich die Befürworter mächtig ins Zeug, wie die Auswertung von Année Politique Suisse zeigte. Hauptsächlich kritisierten sie darin die Grösse der SRG und die staatliche Kontrolle des Fernsehens.
Ebenfalls besonders stark betroffen war der Kanton Graubünden als einziger dreisprachiger Kanton. Martin Candinas erklärte, die Vorlage sei ein Frontalangriff auf das rätoromanische Radio- und Fernsehangebot und ein Kahlschlag für den Medienplatz Schweiz. Der Kanton Graubünden würde bei einer Annahme der Initiative aus den Medien verschwinden, berichtet werden würde nur noch über Naturkatastrophen, ergänzte Nationalrätin Silva Semadeni (sp, GR). Die Initiative müsse klar abgelehnt werden, damit ein deutliches Signal für eine starke SRG gesendet werden könne, die in der Lage wäre, Minderheitensprachen, Berggebiete und periphere Regionen zu berücksichtigen. Im Laufe der Kampagne wurden die Initiativgegner immer deutlicher, Ständerat Stefan Engler (cvp, GR) etwa sprach vom Verlust eines Stückes Identität der Rätoromanen und von «einer Katastrophe für den Kanton Graubünden». Entsprechend aktiv zeigten sich die Bündner Initiativgegner auch in der Kampagnenphase – in keinem anderen Kanton zählte Année Politique Suisse mehr Contra-Inserate.
Das Argument der Sprachminderheiten war jedoch auch in der Deutschschweiz relevant. Hier sahen die Initiativgegner nicht nur die Schweizer Medienlandschaft, sondern mit ihr gar die nationale Kohäsion gefährdet. Diese beruhe nämlich gemäss NZZ unter anderem auf der Bereitschaft, die kleineren Sprachregionen mit Nachrichten und Unterhaltung zu bedienen und die kulturelle Vielfalt zu fördern. Durch die Initiative würde «einer der letzten Stützpfeiler unseres gemeinsamen Schweizer Dachs» verloren gehen, erklärte Nationalrat Christoph Eymann (lpd, BS).
Gegen eine solche «Überhöhung» der SRG wehrten sich wiederum die Befürworter der No-Billag-Initiative: Die Initiativgegner würden die SRG zur Rettung der vierten Gewalt und die No-Billag-Abstimmung zur Schicksalsfrage für die Schweiz hochstilisieren, kritisierte Nationalrat Lukas Reimann. Dabei hätten Umfragen gezeigt, dass selbst von den Initiativgegnern eine Mehrheit nicht glaube, dass die SRG mit Annahme der Initiative untergehen würde. Schliesslich bestritten die Befürworter der Initiative nicht nur die Darstellung der Medienministerin und der SRG-Verantwortlichen, wonach die SRG bei Annahme der Initiative nicht überleben könne, sie kritisierten insbesondere auch deren Weigerung, einen Plan B vorzulegen. Die SRG-Führung habe die Pflicht, den Fortbestand des Unternehmens sowie die Fortbeschäftigung der Mitarbeitenden unter allen Umständen zu sichern, erklärte unter anderem Nationalrat Gregor Rutz (svp, ZH). Dies veranlasste Andreas Kleeb, aber auch den Verleger der AZ Medien, Peter Wanner, zu Spekulationen, wonach die SRG über einen Plan B verfüge, diesen aber aus taktischen Gründen nicht kommuniziere.

Die Kampagnen zur No-Billag-Initiative konzentrierten sich stark auf Onlinekommentare und soziale Medien. Die Twitter-Aktivitäten zu No-Billag starteten anfangs Oktober und stiegen bis Ende Februar stetig an. Das Fög zählte von Januar bis Mitte Februar 2018 insgesamt 68'000 Tweets. Die Untersuchung des Fög bestätigte auch die oftmals geäusserte Vermutung, dass es bei den Twitter-Aktivitäten zu einer Bildung von Informations-Filterblasen komme: Grösstenteils bekamen die Nutzer nur Inhalte zu Gesicht, die mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmten. Ausserordentlich stark tobte der Abstimmungskampf auch in den Medien. Das Fög bezeichnete die No-Billag-Initiative als «Sonderfall», da die Initiative über die ganze Kampagnendauer überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit in den Medien erzielt hatte. Das Fög zählte in den 14 Wochen vor der Abstimmung in den untersuchten Zeitungen 1049 inhaltliche Artikel zur Vorlage – insgesamt war die Rede von über 7000 Artikeln –, deutlich mehr als bei anderen vielbeachteten Vorlagen wie der Unternehmenssteuerreform III, der Durchsetzungsinitiative, der Masseneinwanderungsinitiative oder gar beim RTVG. Die Tonalität bezüglich der Initiative war in beinahe allen untersuchten Medien negativ, einzig die Weltwoche berichtete mehrheitlich positiv darüber. Vergleichsweise gut schnitt die Initiative auch bei der Aargauer Zeitung, 20 Minuten, der BaZ und der Sonntagszeitung ab. Überdurchschnittlich viel Resonanz erhielten gemäss dem Fög die Pro-Akteure jedoch neben der Weltwoche auch in den untersuchten Programmen der SRG. Während die Kampagne somit im inhaltlichen Teil der Zeitungen überdurchschnittlich stark vertreten war, zeigte sich in den Inseratespalten kein auffälliges Bild: Die Komitees schalteten im Vergleich mit Abstimmungen der vergangenen vier Jahre nur durchschnittlich viele Zeitungsinserate.

Am häufigsten porträtiert wurde die Position von Vertretern der Zivilgesellschaft, wie die Studie des Fög zeigte. Diese gehörten gemäss Fög überdies zu den grössten Kritikern der Initiative. So meldeten sich im Laufe der Kampagne zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zu Wort; Diego Yanez, Vorstandsmitglied des Komitees «Nein zum Sendeschluss», sprach von einem «Ruck, der durch die Zivilgesellschaft» ging. Bekämpft wurde die Vorlage von vielen Seiten: Der Gehörlosenbund zum Beispiel sprach sich gegen die Initiative aus, da man auf Sendungen mit Untertiteln oder in Gebärdensprache angewiesen sei. Bereits das heutige Angebot sei ungenügend, eine Annahme der Initiative würde aber die Situation noch verschlechtern, erklärte Corinne Parrat, die gehörlose Miss-Handicap 2009. Auch die Sportfans und -organisatoren meldeten sich zu Wort. Sie sorgten sich, dass nach Annahme der Initiative kaum noch Sportübertragungen im Free TV zu sehen sein würden. Seit Beginn der Erhebung 2013 waren die zehn meistgeschauten Sendungen im SRF Sportübertragungen, von den Top 100 beinhaltete fast jede zweite Sendung Sport. Insbesondere Anhänger von Nischensportarten waren besorgt: Private würden wohl kaum Berichte zu über 100 verschiedenen Sportarten ausstrahlen, wie es die SRG tue, war zu vernehmen. Auch Swiss Olympic beteiligte sich an der Diskussion: Die SRG sei einer «der wichtigsten Sportförderer der Schweiz», sowohl für Elite- als auch für Breitensport. Ein Ja wäre daher das Ende von mehr als nur der SRG.
Auch von kultureller Seite wurde Kritik an der Initiative laut. Die Interessengemeinschaft Volkskultur, der 33 Verbände und 400‘000 Aktivmitglieder angehören, fasste einstimmig die Nein-Parole. Präsident Albert Vitali (fdp, LU) erklärte, bei Annahme der Initiative sei zum Beispiel die Übertragung von Schwing- und Jodelfesten in Gefahr, weil Private die Kosten der Übertragung nicht stemmen könnten. Die Nein-Parole erliessen auch der Blasmusikerverband sowie der Eidgenössische Jodelverband. «Für die Freunde der Volkskultur ist die Initiative ein Affront», betonte die Präsidentin des Jodelverbands Kathrin Niederberger. Für Brauchtumsfeste sei die SRG ein unverzichtbarer Partner.
Anders sah es hingegen lange Zeit bei der Schweizer Musikbranche aus. Noch im November 2017 kritisierte die Sonntagszeitung, dass sich diese nicht zur Vorlage äusserte, obwohl die SRG die Karrieren der Schweizer Musiker entscheidend gefördert habe. So würden jährlich CHF 300 Mio. von der SRG zu den Künstlern fliessen, was für einige mehr als 40 Prozent des Einkommens ausmache. Da Privatradios einen deutlich niedrigeren Anteil an Schweizer Musik spielten als die SRG-Kanäle, seien die Musiker auf Letztere angewiesen. Ähnlich sehe es bei der Filmbranche aus, betonten die Medien. Die SRG habe in den letzten 30 Jahren CHF 300 Mio. in die Filmförderung investiert und unterstütze zudem jährlich Schweizer Filme mit CHF 30 Mio. bis 40 Mio. Dieser Aufruf zeigte Ende 2017 Wirkung, als unter dem Motto «Nein zum Blackout – Nein zu No Billag» Werbespots mit zahlreichen verschiedenen Schauspielerinnen und Schauspieler ausgestrahlt wurden. Finanziert wurden diese vom Dachverband der Schweizer Film- und Audiovisionsbranche Cinésuisse, der darauf hinweisen wollte, dass zahlreiche Filme wie «Die Schweizermacher» oder «Heidi» ohne die enge Partnerschaft mit der SRG nicht hätten realisiert werden können.
Diese Solidaritätsbekundungen lösten jedoch nicht nur Begeisterung aus. Die Weltwoche sah sich in ihrer Kritik bestätigt: Durch die Initiative würden die Verflechtungen der SRG sichtbar; diese mache sich die Abhängigkeiten zahlreicher Akteure für ihre Zwecke zu Nutze. Dabei kritisierte die Weltwoche insbesondere die Printmedien, welche die SRG über die Jahre abhängig gemacht habe. Zum Beispiel zahle sie jährlich mehrere Millionen Schweizerfranken an die Somedia, die NZZ-Gruppe sowie die AZ-Medien und insgesamt flössen jährlich CHF 67.5 Mio. an private Radio- und Fernsehstationen. Das erkläre auch, warum von dieser Seite nur leichte Kritik an der SRG geäussert würde. Diejenigen, die auf diese Weise von der SRG profitierten, hätten sich nun auch gegen die Initiative ausgesprochen, erklärte die Weltwoche. Allgemein blieb die Haltung der Zeitungen zur Initiative jedoch unklar. Der Verlegerverband (VSM) mochte anfangs keine klare Ja- oder Nein-Parole fassen, empfahl schliesslich aber trotz bestehender Differenzen die Ablehnung der Initiative. Zwar sei man für die Gebührenfinanzierung, mache aber die Stärke des Engagements von den Zugeständnissen der SRG abhängig, erklärte Geschäftsführer Andreas Häuptli. Die SRG solle demnach langfristig ohne Werbung und Sponsoring auskommen und die Kommerzialisierung des Angebots reduzieren, wurde gefordert. Auch der Westschweizer Verband Médias Suisses sprach sich gegen die Initiative aus, wollte aber die Contra-Kampagne nur unterstützen, wenn die SRG auf zielgerichtete Werbung verzichte und aus der Admeira austrete.

Unter besonderer Beobachtung standen auch während der Kampagnenphase die SRG und ihre Mitarbeitenden: Vielfach wurde befürchtet, dass sie aufgrund der für sie weitreichenden Konsequenzen der Initiative nicht würden neutral bleiben können. Mitte Oktober definierte die SRG interne Leitlinien, die es ihren Mitarbeitenden erlaubten, ihre Position über soziale Netzwerke zu vertreten und das Programmangebot und die Werte der SRG proaktiv zu betonen. Die Mitarbeitenden durften hingegen keine direkten Abstimmungsempfehlungen abgeben. In ihren Sendungen nahm die SRG gemäss Fög eine klar kritische Haltung zu der Initiative ein, die negative Tonalität von SRF und RTS entsprachen jedoch der durchschnittlichen Haltung der Medien, erklärte das Fög weiter. Überdurchschnittlich grosse Resonanz erhielten jedoch die Statements der Befürworter bei der SRG. Diese zeigten sich jedoch mit dem Verhalten der SRG und ihrer Mitarbeitenden im Rahmen des Abstimmungskampfes nicht zufrieden und kritisierten deren «breit angelegte Informationskampagne», wie es der Bote der Urschweiz formulierte. Insbesondere Sendungen zur Initiative selbst, vor allem die Arena respektive ihr Moderator Jonas Projer wurden kritisiert. Olivier Kessler beschuldigte Projer als SRG-Angestellten und «Zwangsgebühren-Profiteur» zu wenig unabhängig zu sein, um die Sendung zur No-Billag-Initiative fair zu leiten. Er habe die Sendung einseitig moderiert und die Initiativbefürworter deutlich häufiger unterbrochen als die Gegner, ergänzte Kessler auf seinem Blog. Auf diese Anschuldigungen entgegnete Projer, dass die wichtigsten Themen beider Seiten angesprochen worden seien und die Redezeit ausgeglichen gewesen sei – man habe dies absichtlich gemessen. Unterstützung erhielt Projer im Nachhinein von SRG-Ombudsmann Roger Blum, der die Sendung aufgrund zahlreicher Beschwerden überprüfte. Demnach habe Projer Kessler deutlich weniger kritische und mehr unkritische Fragen gestellt als Bundesrätin Leuthard, habe diese aber nie, Kessler sowie Joachim Eder als Vertreter der Initiativgegner aber gleich häufig unterbrochen. Insgesamt seien die Befürworter zwar deutlich häufiger unterbrochen worden, eine «förmliche Diskriminierung» habe der Ombudsmann aber nicht festgestellt. Das hatten einige Zuschauer freilich anders wahrgenommen, in den sozialen Medien gingen die Wogen hoch. In einer Twitter-Nachricht wurden Projer und seine Kinder gar mit dem Tod bedroht, worauf dieser Strafanzeige einreichte.
Die SRG wurde jedoch nicht nur wegen dem Inhalt ihrer Sendungen, sondern auch wegen deren Kampagnenfinanzierung kritisiert. Die Initiativbefürworter befürchteten, die SRG setze Gebührengelder für den Abstimmungskampf ein, was zum Beispiel Stefan Ammann, Präsident der Jungfreisinnigen, als Beeinflussung wertete. Entsprechende Anfragen von Sylvia Flückiger-Bäni (A. 17.5446) und Lukas Reimann (A. 17.5455) im Parlament ergaben, dass die SRG zwar nicht über ein Budget für die Abstimmungsdebatte verfügte, wohl aber Geld für Medienanfragen aus dem Budgetposten «Public Affairs» bereitgestellt hatte. Dieser betrug fürs Jahr 2016 CHF 400‘000. Der Bundesrat erklärte diesbezüglich, die Trägerschaft der SRG habe das Recht und die Pflicht, Diskussionen über den Service public zu führen, jedoch müssten die Auftritte sachlich und transparent sein. Gemäss den Initiativ-Befürwortern war hingegen auch das äusserst heikel, da dadurch Arbeitszeit von Personen mit gebührenfinanzierten Löhnen in Anspruch genommen werde. Ferner brauche die SRG keine Plakate mehr zu finanzieren, weil sie stattdessen auf bereits bekannte Gesichter setzen könne.

Volksinitiative "Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren" (No Billag-Initiative)

Das Salär eines Bundesrates ist immer mal wieder Gegenstand medialer Debatten. Zudem war der Durchschnittslohn der Magistratinnen und Magistraten auch Gegenstand in der Debatte um die Kaderlöhne in bundesnahen Betrieben. Die Kosten eines Bundesratsmitglieds bemessen sich aus seinem an die Teuerung angepassten Lohn, der – Stand Januar 2017 – CHF 445'163 beträgt, und einer Spesenpauschale von CHF 30'000 pro Jahr. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin erhalten zusätzlich CHF 12'000. Darüber hinaus übernimmt der Bund die Kosten für Festnetzanschluss, Mobilteleton und PC und die Magistratinnen und Magistraten dürfen ein Repräsentations- und ein Dienstfahrzeug nutzen, bezahlen für deren private Nutzung allerdings 0.8 Prozent des Neupreises pro Monat. In den Leistungen inbegriffen sind zudem ein SBB-Generalabonnement für die erste Klasse und ein GA für die Schweizer Seilbahnen.
Zu reden gibt aber insbesondere die Rente, die zurückgetretene Bundesrätinnen und Bundesräte auf Lebenszeit erhalten. Sie beträgt CHF 220'000 pro Jahr, also rund die Hälfte des ursprünglichen Lohnes. Nur wenn ein ehemaliges Bundesratsmitglied nach seinem oder ihrem Rücktritt mehr verdient als im Amt, wird die „Versorgung der Magistratspersonen” entsprechend gekürzt. Der Tages-Anzeiger rechnete aus, dass ein Grund für das Wachstum des Personalaufwandes der Bundesverwaltung ebendiese Ruhegehälter sind, deren Reserve laut Staatsrechnung stark aufgestockt werden musste. 2017 waren 20 Personen – neben den Exekutivmitgliedern erhalten auch ehemalige Bundeskanzlerinnen und -kanzler sowie Bundesrichterinnen und -richter eine Rente – bezugsberechtigt. 17 dieser 20 Personen und drei Witwen erhielten eine Rente, wobei nicht bekannt gegeben wird, um wen es sich dabei handelt. Der Tages-Anzeiger mutmasste, dass Christoph Blocher, Ruth Metzler und Joseph Deiss die Rente nicht beziehen. Insgesamt wurden laut Staatsrechnung 2016 CHF 10.67 Mio. an pensionierte Richterinnen und Richter und CHF 4.28 Mio. an ehemalige Magistratspersonen, Kanzlerinnen und Kanzler sowie Bundesratswitwen ausbezahlt. Diese Summe wurde verschiedentlich als zu hoch betrachtet. Thomas Burgherr (svp, AG) kündigte eine parlamentarische Initiative an, mit der nur noch jene Alt-Bundesrätinnen und Alt-Bundesräte ein Ruhegehalt beziehen sollen, die im Pensionsalter abtreten.

Kosten eines Bundesrates
Dossier: Retraites des magistrat.e.s

Das Medienjahr 2017 war neben zahlreichen Zusammenschlüssen von Medienverlagen auch von Gerüchten um Alt-Bundesrat Christoph Blocher und um sein Interesse an Zeitungsverlagen geprägt. Diese Berichte wurden jeweils von grosser medialer Aufruhr begleitet, da befürchtet wurde, Blocher würde versuchen, ein SVP-nahes Medienimperium aufzubauen. So waren sich die Medien einig, dass Blocher schon länger Interesse an Zeitungskäufen habe. Bereits 2016 gab es Gerüchte, dass er eine überregionale Sonntags-Gratiszeitung plane. Während die Einen Blocher als Zeitungsnarren (WW), als „l'homme qui s'intéresse encore aux journaux“ (LT) und als „einzige[n] Schweizer Verleger, der noch in Zeitungsjournalismus investiert“ (WW), beschrieben, fürchteten sich die Anderen vor einer „Berlusconisierung“ der Schweizer Medienlandschaft. Regula Rytz (gp, BE) zum Beispiel erinnerte diesbezüglich an die Medienimperien von Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi. Beide Personen würden ihre dominante Marktstellung ausnutzen, um politische Macht auszuüben. Aus demokratietheoretischer Sicht sei zudem nicht nur der Verlust an Titeln – siehe das Beispiel L'Hebdo –, sondern auch eine Eigentümerkonzentration problematisch, da dadurch der publizistische Einfluss der Eigentümer im Markt und in der Politik verstärkt würde. Aus einer Marktlogik würden solche Übernahmen indes Sinn machen, da sie eine Reduktion der Fixkosten erlauben würden, was auf viele Verlage angesichts der schwierigen Situation der Presse verlockend wirken könnte. Um einer Medienkonzentration aufgrund dieser Motive entgegen zu wirken, wurden auch Stimmen laut, die eine staatliche Medienförderung, zum Beispiel in Form einer staatsfernen unabhängigen Journalismusförderung, wie sie zum Beispiel Edith Graf-Litscher (sp, TG) vorschlug, forderten.

Den Anfang machten im März 2017 Gerüchte und Ankündigungen um die Basler Zeitung BaZ, die sich im Mitbesitz von Christoph Blocher befindet. Demnach habe der Basler Anwalt Martin Wagner, Rechtsvertreter der Basler Zeitung Medien, dem Ringier-Chef Marc Walder ein Kaufangebot in der Höhe von CHF 230 Mio. für die Blick-Gruppe (Blick, Sonntags-Blick, Blick am Abend und Onlineportale) unterbreitet. Hauptinvestor solle der ehemalige SVP-Nationalrat Walter Frey sein, was für die Medien ein Anzeichen dafür war, dass in Tat und Wahrheit Christoph Blocher am Kauf der Mediengruppe interessiert sein könnte. Sowohl Blocher als auch Frey verneinten zwar eine Beteiligung, dennoch gingen die Wellen in der Folge hoch. Michael Ringier und mit ihm zahlreiche Kommentatoren aus Medien und Politik befürchteten, dass der Blick nach einer allfälligen Übernahme auf einen rechtspopulistischen Kurs gebracht würde. Ringier-Chef Marc Walder bezeichnete die Blick-Gruppe in der Folge als unverkäuflich: „Egal zu welchem Preis. Egal, wer der Käufer wäre.“ Mitte März bestätigte die Ringier-Gruppe das Übernahme-Angebot durch Martin Wagner, der Frey als Hauptinvestoren genannt habe. Wagner gab später an, dass er die Blick-Gruppe zum Aufbau einer Bezahlplattform für Sport habe kaufen wollen.

Im August gab Rolf Bollmann, CEO der Basler Zeitung, bekannt, dass die BaZ Holding AG, die zu je einem Drittel Christoph Blocher, Bollmann und BaZ-Chefredaktor Markus Somm gehört, den Wochenzeitungsverlag Zehnder Regionalmedia AG und damit 25 Gratistitel mit einer Gesamtauflage von 720'756 Exemplaren übernehme. Gemäss Weltwoche machte dieser Kauf Christoph Blocher zum siebtgrössten Verleger in der Schweiz. In Lokalzeitungen sei die lokale Nachfrage nach Inseraten noch immer hoch, begründete Bollmann die Übernahme. Sogleich wurden Befürchtungen laut, der Verkauf könne in der Region politische Auswirkungen haben, zum Beispiel falls die Lokalblätter in rechte Wochenzeitungen umgewandelt würden. Bollmann und Blocher versicherten jedoch, dass in diesem Mediensegment politische Berichterstattungen nur einen geringen Stellenwert einnähmen, die Redaktionen unabhängig blieben und die Zeitungen daher nicht zu SVP-Kampfblättern umfunktioniert würden. In zahlreichen Zeitungsartikeln wurde diesbezüglich betont, dass die übernommenen Zeitungen bereits mehrheitlich stramm bürgerlich seien und sich die Ausrichtung der Gratisblätter folglich kaum ändern werde.

Im Oktober berichteten die Medien über Verhandlungen zwischen der Basler Zeitung und der Südostschweiz bezüglich eines gemeinsamen Mantelteils. So solle die bereits bestehende Zusammenarbeit der Südostschweiz mit der BaZ im Bereich Korrektur und Layout auf einer inhaltlichen Ebene vertieft werden. Dies sorgte abermals für Unruhe im Zeitungssektor, da befürchtet wurde, die BaZ hätte einen prägenden Einfluss auf einen gemeinsamen überregionalen Bund der zwei Zeitungen. Linards Udris, der stellvertretende Leiter des Fög, erklärte, dass die Situation im Kanton Graubünden besonders problematisch sei, da ausser der SRG für die Südostschweiz kaum Konkurrenz bestehe. Die SP Graubünden reichte eine Petition ein, in der sie sich um die zukünftige Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Südostschweiz sorgte. Anfang November schuf schliesslich ein Artikel in der Südostschweiz Klarheit: Darin gab die Somedia durch Verleger Hanspeter Lebrument und CEO Andrea Masüger bekannt, dass man nicht beabsichtige, die Kontrolle über die Inhalte der im Familienbesitz befindlichen Zeitung aus der Hand zu geben. Man führe jedoch Gespräche mit der BaZ bezüglich einer gemeinsamen Kooperation, wie sie für den Inlandteil und die Wochenendausgabe bereits mit der Nordwestschweiz bestehe. Bei einer solchen Zusammenarbeit würden jedoch beide Zeitungen weiterhin volle publizistische und verlegerische Unabhängigkeit geniessen. Zudem werde eine verstärkte Zusammenarbeit im technischen Bereich verfolgt, wodurch Arbeitsplätze in Chur geschaffen würden und die Zeitungsproduktion der BaZ in der Schweiz verbleibe. Dabei verteidigte die Somedia-Spitze ihren Verhandlungspartner: Die Redaktion der BaZ verfolge unter Markus Somm „eine pluralistische Linie mit breitem Meinungsspektrum“. Im Rahmen dieser Berichterstattungen bestätigte Marcel Geissbühler, Direktor des Gassmann Verlags, dass auch das Bieler Tagblatt Gespräche bezüglich eines gemeinsamen Mantelteils mit der BaZ führe. Diese seien jedoch noch nicht konkret.

Ebenfalls in einen Zusammenhang mit zukünftigen Akquisitionen setzte die Aargauer Zeitung den Umzug der BaZ Holding nach Zug sowie ihren Namenswechsel in Zeitungshaus AG. So biete sich Blocher als Gesprächspartner für alle Verleger an, „die nicht mehr willens oder in der Lage sind, ihre Blätter herauszugeben“. Die übernommenen Gratiszeitungen der Zehnder-Gruppe würden in der Folge in der Swiss Regio Media zusammengefasst, bei der bei Bedarf auch weitere Zeitungen hinzugenommen werden könnten.

Interesse von Christoph Blocher an Zeitungsverlagen

Die SGG ergriff im Berichtsjahr neue Massnahmen, um der 2015 mittels eines Wettbewerbs auserkorenen inoffiziellen Nationalhymne weiteren Schub zu verleihen. So sei der Text nochmals in allen Landessprachen leicht überarbeitet worden und es seien erneut sämtliche Veranstalter von 1.-August-Feiern gebeten worden, den Hymnen-Vorschlag der SGG ins Festprogramm aufzunehmen. Die grösste Aufmerksamkeit erregte jedoch die Gründung eines Komitees mit vielen prominenten Befürworterinnen und Befürwortern der neuen Hymne. Im 70-köpfigen Gremium befanden sich neben Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Sport auch die drei Alt-Bundesrätinnen Ruth Dreifuss, Ruth Metzler und Eveline Widmer-Schlumpf sowie Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger. Der ehemalige SP-Bundesrat Leuenberger gestand auf der SGG-Webseite, dass er beim Singen der offiziellen Hymne am Schluss oft nur noch die Lippen bewegt habe, weil er die «schwülstigen Teile» nicht habe auswendig lernen wollen. Und die ehemalige CVP-Magistratin Ruth Metzler bekannte sich zur neuen Hymne, weil diese vielsagender sei als die offizielle Landeshymne und der Vielfalt der Schweiz «ausgezeichnet Rechnung trägt». So habe sie die Hymne der SGG an der letztjährigen 1. August-Feier auf dem Rütli mit «grosser Freude und Überzeugung gesungen». SGG-Geschäftsführer Lukas Niederberger sagte im St. Galler Tagblatt, dass es der SGG nicht darum ginge, den neuen Text möglichst rasch zur neuen offiziellen Hymne zu machen. Vielmehr solle damit eine Diskussion angeregt werden, was eine Hymne beinhalten sollte und «welche Werte uns heute und morgen leiten sollten».

Neue Nationalhymne?
Dossier: L'importance de l'hymne national et les tentatives de renouvellement

Mit ihrer breit diskutierten Aussage kurz vor der Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform III (USR III), entfachte die ehemalige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf eine interessante Diskussion darüber, ob sich Alt-Bundesrätinnen und -Bundesräte in die aktuelle politische Debatte einmischen dürfen oder nicht. In der Tat bestehen keine Regeln zum Verhalten ehemaliger Regierungsmitglieder. Im Aide-Mémoire ist einzig festgehalten, dass auf eine Ämterübernahme verzichtet werden soll, wenn die neue Tätigkeit zu Interessenkonflikten mit der früheren Regierungstätigkeit führen könnte. Einen Maulkorb müssen sich ehemalige Magistratinnen und Magistraten aber zumindest aus juristischer Perspektive keinen umlegen. Die Aussage der ehemaligen BDP-Bundesrätin wurde denn auch insbesondere von den bürgerlichen Befürwortern der USR III eher aus moralischer Perspektive kritisiert – so bezeichnete etwa Karin Keller-Sutter (fdp, SG) in einem Interview mit der LZ das Vorgehen Widmer-Schlumpfs als „Schuss in den Rücken“ von Ueli Maurer, dem Nachfolger im EFD und Verantwortlichen für die USR-Vorlage.
Freilich mischten und mischen sich ehemalige Landesmütter und -väter immer wieder in politische Auseinandersetzungen ein. In den Medien wurde etwa Otto Stich erwähnt, der immer wieder für Kommentare zu haben gewesen sei. Nicht weniger als elf ehemalige Regierungsmitglieder hatten sich gegen die Durchsetzungsinitiative ausgesprochen. Alt-Bundesrat Christoph Blocher lässt die Schweiz allwöchentlich auf seinem privaten TV-Sender wissen, was seine Meinung zu verschiedensten Bereichen ist. Je nach Thema meldeten sich auch schon Ruth Dreifuss oder Micheline Calmy-Rey zu Wort. Pascal Couchepin nimmt insbesondere bezüglich der Politik im Kanton Wallis in der Regel auch kein Blatt vor den Mund. Und auch Arnold Koller (Aus der Werkstatt eines Bundesrates) oder Kaspar Villiger (Die Durcheinanderwelt) machten mit Buchbeiträgen auf ihre Lösungsvorschläge aufmerksam.

Einmischen ehemaliger Bundesräte

Le 30 avril 2017 fut jour de fête dans la commune de Sarnen dans le canton d'Obwald. En effet, les 600 ans de la naissance du "Frère Nicolas" furent marqués par des célébrations à la hauteur du personnage historique. Pas moins de 300 officiels, dont la présidente de la Confédération Doris Leuthard, étaient présents à l'invitation du canton d'Obwald. Mis à part les cantons de Vaud et d'Appenzell Rhodes-Intérieures qui n'étaient pas représentés par un membre de leur gouvernement (les premiers étant occupés par les élections de l'exécutif cantonal ayant lieu au même moment et les seconds ayant leur Landsgemeinde le même jour), tous les cantons ont envoyé un représentant pour célébrer cet anniversaire. Niklaus von Flüe – qui deviendra plus tard Frère Nicolas – est notamment connu pour être entré en pèlerinage et avoir eu une vision le poussant à s'établir en ermite proche de sa maison, commençant un jeûne qui aurait duré 20 ans.
De par son intérêt pour la société et la politique, il se serait également impliqué dans la signature du Convenant de Stans de 1481 qui vit les cantons-villes et cantons campagnards – en situation de conflit vis-à-vis de l'admission au sein de la Confédération des cités de Fribourg et de Soleure – résoudre leurs différends. Grâce à la médiation avisée de Niklaus von Flüe, les cantons de la Confédération réussirent à s'accorder pour permettre aux deux villes de rejoindre la Confédération. Ce convenant reste pour beaucoup l'un des jalons de l'identité des confédérés. De par son importance historique, la Poste a édité un timbre en l'honneur de l'entremetteur.
Mais l'anniversaire de la naissance du Frère Nicolas est également marqué par une controverse autour de la cérémonie qu'un comité proche du parti de l'UDC a prévu d'organiser le 19 août, ainsi que de l'invitation faite à l'évêque de Coire Vitus Huonder à venir y tenir un discours. Certains, comme l'ancien curé-doyen d'Obwald ainsi qu'ancien curé de Kerns Karl Imfeld, critiquent l'implication d'un homme d'église dans une cérémonie organisée par un cercle de politiciens.
Cette cérémonie parallèle est l'occasion, selon l'historien Thomas Maissen, pour Christoph Blocher – également invité à y donner un discours – d'utiliser, à des fins politiques, cette figure qu'est Niklaus von Flüe en s'appuyant sur ses paroles. Celles-ci – relatées 50 ans après sa mort – sont, pour certains, les prémices d'une Suisse neutre et indépendante. Thomas Maissen précise toutefois qu'à l'époque où Frère Nicolas était en vie, la Suisse n'était pas un Etat et que le concept de neutralité n'apparaîtra qu'au 17ème siècle.

600 ans de la naissance du "Frère Nicolas"

Die Einzigartigkeit des politischen Systems der Schweiz, das neben einem repräsentativen auch ein ausgebautes direktdemokratisches Element aufweist, bringt es mit sich, dass sich die mediale Öffentlichkeit kritisch mit letzterem bzw. dem Verhältnis der beiden Elemente zueinander auseinandersetzt. Dies war auch im Jahr 2016, also im Jahr des 125-jährigen Bestehens der Volksinitiative, nicht anders. Dabei konzentrierte sich die Kritik an der direkten Demokratie auf mindestens vier Punkte: die Umsetzung angenommener Volksbegehren, die Nutzung der Volksinitiative, die inhaltlichen Anforderungen an die Stimmbürgerschaft und das schwieriger werdende Verhältnis zwischen direktdemokratischer Entscheidung und internationaler Vernetzung.

Die Diskussion um die adäquate Umsetzung angenommener Volksbegehren wurde 2016 durch verschiedene Ereignisse genährt: Im Frühling stand die Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative der SVP, mit der die Volkspartei die Umsetzung der 2010 angenommenen Ausschaffungsinitiative konkretisieren wollte – eine Neuheit in der Geschichte der schweizerischen direkten Demokratie – im Zentrum. In diesem Rahmen untersuchten verschiedene Medien die Umsetzung der bisher 22 angenommenen Volksbegehren und kamen zum Schluss, dass die meisten nicht buchstabengetreu umgesetzt worden seien. Der Blick kritisierte gar die SVP, da diese immer wieder behaupte, der Bundesrat habe die Ausschaffungsinitiative nicht dem Volksauftrag entsprechend umgesetzt, sich selber aber bei vielen dieser 22 angenommenen Begehren ebenfalls nicht für eine adäquate Umsetzung eingesetzt habe. Sie wolle «[d]urchsetzen, aber nur wenn es ihr passt».
Mit dem Nein zur Durchsetzungsinitiative beruhigten sich die Diskussionen um die Umsetzung von Volksinitiativen aber keineswegs, weil die 2014 angenommene Masseneinwanderungsinitiative noch immer einer Umsetzung harrte. Diese behandelte das Parlament erst im Laufe des Jahres 2016. Freilich vermochte der in der Wintersession 2016 definitiv angenommene Vorschlag in vielen Augen nur bedingt zu überzeugen und wurde insbesondere von der SVP stark kritisiert. Im September, kurz bevor der Nationalrat über die Vorlage beraten sollte, schrieb Roger Köppel (svp, ZH) in der Weltwoche von einer «krassen Missachtung des Volkswillens», einem «stillen Staatsstreich» und von «Saboteure[n] des Volkswillens». Christoph Blocher doppelte ein paar Ausgaben später nach und sprach von «Volksverächtern». Bei der Schlussabstimmung im Nationalrat hielten die Mitglieder der SVP-Fraktion Schilder in die Luft, auf denen etwa «Verfassungsbruch» stand. Die Volkspartei kündigte jedoch an, das Referendum gegen die Revision des Ausländergesetzes, in die die Initiative gegossen wurde, nicht ergreifen zu wollen. Man überlege sich vielmehr eine Kündigungsinitiative zu lancieren, um die bilateralen Verträge mit der EU, die mitursächlich für die Probleme bei der Umsetzung seien, aufzulösen.
Neben der Umsetzungsdiskussion zur Masseneinwanderungsinitiative stand zudem die Rasa-Initiative im Raum, die eine Streichung der Anliegen eben dieser Masseneinwanderungsinitiative forderte – auch dies ein Novum in der 125-jährigen Geschichte der Volksinitiative. Zur Diskussion stand Ende Oktober die Idee eines Gegenvorschlags, den laut Weltwoche eine Mehrheit des Bundesrates mit Ausnahme der beiden SVP-Magistraten dem Parlament vorlegen wollte.
Bei der Diskussion um die materielle Umsetzung angenommener Initiativen wurde auch darüber debattiert, ob über schwer oder etwa aufgrund internationaler Standards nicht umsetzbare Begehren überhaupt abgestimmt werden soll. Die Erklärung der Ungültigkeit einer Volksinitiative obliegt dem Parlament, das bisher erst in vier Fällen gegen eine Abstimmung entschieden hatte. Le Temps kritisierte, dass rund 70 Prozent der Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegen die Durchsetzungsinitiative gewesen seien, aber nichts dafür getan hätten, sie für ungültig zu erklären. In diesem Zusammenhang wird jeweils das in der Schweiz fehlende Verfassungsgericht angeführt. Ein Vorschlag aus der Küche des ehemaligen Zürcher SP-Nationalrats Andreas Gross forderte, dass sich Bundesrichter um diese Frage kümmern sollten, sobald im Parlament ein Drittel der Ratsmitglieder Zweifel an der Gültigkeit äusserten.

Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde in den Medien vor einer regelrechten «Initiativenflut» gewarnt. Freilich zeichnete sich 2016 ein deutlicher Rückgang der Nutzung des Volksbegehrens ab. Die im Jahr 2011 lancierten 23 Begehren (von denen 11 die Unterschriftenhürden nicht geschafft hatten) waren bald an der Urne abgearbeitet und in den Folgejahren wurden jeweils für deutlich weniger Initiativen Unterschriften gesammelt. Die NZZ interpretierte den Rückgang damit, dass die Volksbegehren für Parteien unattraktiver geworden seien; zudem kühle der oppositionelle Furor der SVP langsam ab. Die Initiative hätte an Reiz verloren, folgerte die NZZ Ende Jahr. Eine Studie der Universität Bern zeigte überdies, dass Initiativen nicht nur und vor allem nicht immer häufiger von Parteien als Wahlkampfmittel gebraucht werden. In Anbetracht der sich abzeichnenden «Initiativenflaute» stand die Mitte Jahr lancierte Forderung der BDP, dass zur Eindämmung der Flut für eine Volksinitiative 250'000 Unterschriften gesammelt werden müssten, ein wenig quer in der Landschaft.

Nicht wenige Medienschaffende kommentierten, dass die Stimmbürgerinnen und -bürger immer häufiger «über Initiativen abstimmen, die Lösungen für nichtexistente Probleme offerieren» (NZZ), und «immer seltener über die zentralen Zukunftsfragen» (Weltwoche). Mit der Brexit-Abstimmung in Grossbritannien wurden zudem die alten Bedenken der Überforderung der Stimmbevölkerung laut. In der Regel setzt sich bei dieser Diskussion in der Schweiz aber meist Pragmatismus durch. Auch Politiker würden nicht über alle Inhalte der Politik kompetent Bescheid wissen und letztlich sei es das in der Schweiz nach wie vor hohe Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Amtsträgerinnen und Amtsträger, das häufig wichtige Grundlage sei für einen Entscheid – so alternative Kommentare. Dass dieses Vertrauen nicht einfach blind sei, zeigten nicht zuletzt abgelehnte mit dem fakultativen Referendum bekämpfte Vorlagen und angenommene Initiativen, fasste etwa die Luzerner Zeitung diesen Pragmatismus in einem Kommentar zusammen.
Freilich wurde 2016 mit den Volksrechten auch Schindluder betrieben. So hatte etwa Daniel Graf, Erfinder von We-Collect, die Idee einer «Anti-Kebab-Initiative» propagiert. Was als Scherz in der Debatte um das Verhüllungsverbot gedacht war, geriet in der Türkei in den falschen Hals. In die Kritik gerieten zudem die Texte von Initiativen, die häufig unpräzise oder gar widersprüchlich formuliert seien, was zwar laut NZZ ihre Chancen für ein Ja erhöhten, die Umsetzung im Falle einer Annahme aber umso schwieriger mache.

Mit der Einreichung der so genannten «Selbstbestimmungsinitiative» der SVP wurde die Diskussion um die direkte Demokratie schliesslich um einen weiteren Aspekt angereichert, nämlich um die aufgrund von Globalisierung und Internationalisierung virulenter werdende Frage, wie das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht aussehen soll. Oder konkreter, ob eine angenommene Initiative, die internationale Verträge tangiert, diesen Verträgen vorgehen soll oder ob bei ihrer Umsetzung Rücksicht auf die internationalen Verpflichtungen genommen werden muss. Die Debatten bewegten sich zwischen dem Argument der notwendigen Vertragstreue des Kleinstaates und der Angst, die direkte Demokratie verkomme zur reinen Makulatur. Ex-Nationalrat Christoph Mörgeli argumentierte in der Weltwoche, dass das internationale Recht dafür verantwortlich sei, dass sich die Behörden bei der Umsetzung von Initiativen zusehends schwer täten, den Volkswillen zu beachten.

Ein Indiz dafür, dass trotz der medial geäusserten Kritik an der direkten Demokratie vielleicht doch nicht alles so schlecht läuft, war das in den eidgenössischen Räten virulent diskutierte Reformpaket zum Initiativrecht. Dieses drohte – einmal mehr als «Endlosschlaufe» (NZZ) – im Sand zu verlaufen, weil nicht mal die Befürworter daran glaubten, dass von den verschiedenen Reformvorschlägen am Schluss einer übrige bleiben werde, wie der Tages-Anzeiger meinte.

2016 - Kritik an der direkten Demokratie

Nicht nur Wirtschaftskader geraten ob ihrer Entlohnung in die Medien, sondern in schöner Regelmässigkeit auch immer wieder die Bundesrätinnen und Bundesräte. Laut der Bundesinformationsseite ch.ch verdiente ein Mitglied der Landesregierung im Jahr 2015 rund CHF 445'000 zuzüglich etwa CHF 30'000 Spesenentschädigung. Das Präsidialamt wird mit zusätzlichen CHF 12'000 pro Jahr entschädigt. Zu diskutieren gaben allerdings nicht die im Vergleich zur Privatwirtschaft eher geringen Saläre der aktiven Bundesrätinnen und Bundesräte als vielmehr die Ruhegehälter der ehemaligen Magistratinnen und Magistrate. Diese erhalten in der Regel die Hälfte des Lohnes, den sie während ihrer Amtszeit bezogen hatten. Voraussetzung ist allerdings, dass die Amtszeit mindestens vier Jahre betragen hat. War dies nicht der Fall oder ist ein ehemaliges Regierungsmitglied weiterhin arbeitstätig, wird das Ruhegehalt gekürzt - insbesondere dürfen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit und die Pension zusammen den Lohn während der Amtszeit nicht übersteigen. Auch die Witwen ehemaliger Bundesräte erhalten eine Entschädigung, die in etwa ein Viertel des Lohnes des Verstorbenen ausmacht. Diese seit 1919 geltende Regel war nach der Nicht-Bestätigung von Ruth Metzler in Anbetracht des jungen Alters der CVP-Magistratin virulent diskutiert worden. Auch Parlamentarier stiessen sich damals am Umstand, dass die junge Ex-Magistratin während langer Zeit ein Ruhegehalt beziehen würde. Metzler gab damals ihren Verzicht auf die Rente bekannt. Mediale und parlamentarische Auseinandersetzungen zum Thema Ruhegehalt löste auch die Bekanntgabe von alt-Bundesrat Moritz Leuenberger aus, dass dieser bei der Implenia ein Verwaltungsratsmandat übernommen hatte. 2015 störte sich der Blick am Umstand, dass Alt-Bundesrat Kaspar Villiger trotz eines mehrere Millionen umfassenden Vermögens das volle Ruhestandsgehalt erhielt. Die Weltwoche berichtete über den Versuch der Bundeskanzlerin Corina Casanova, Licht ins Dunkel der Ruhegehälter zu bringen. Wer genau wie viel Ruhegehalt bezieht, ist nämlich ein gut gehütetes Geheimnis und es werden lediglich die Gesamtsumme und die Anzahl Renten öffentlich gemacht – laut Weltwoche bezogen 2014 fünfzehn ehemalige Bundes­räte, drei ehemalige Bundeskanzler sowie vier Witwen insgesamt CHF 4,4 Mio. Ruhegehalt. Unklar bleibt somit zum Beispiel, ob Ruth Metzler, Joseph Deiss oder Christoph Blocher nach wie vor auf ihre Rente verzichten, wie sie dies in der Presse verlauten liessen. Laut Weltwoche prallte die Bundeskanzlerin mit ihrem Begehren, das sie mit immer zahlreicher werdenden Anfragen seitens der Medien begründete, an einer Mauer des Schweigens ab: Die angefragten ehemaligen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger möchten Anonymität in Sachen Ruhegelder bewahren – so das Fazit des Wochenblattes.

Ruhegehälter der ehemaligen Magistratinnen und Magistraten
Dossier: Retraites des magistrat.e.s

Weil er im Januar 2014 das Pensionsalter erreichte, hatte sich der amtierende Regierungsrat Bernhard Koch (cvp) entschieden, zwei Jahre vor Ende seiner vierten Amtsperiode zurückzutreten. Dieses Vorgehen wurde von der BDP kritisiert: Regierungsräte seien für vier Jahre gewählt, ein frühzeitiger Rücktritt sei nicht sauber. Die Kritik wurde vor allem auch deshalb laut, weil mit Claudius Graf-Schelling (sp) und Kaspar Schläpfer (fdp) zwei weitere Regierungsräte laut über einen vorzeitigen Rücktritt nachdachten. Von den anderen drei Regierungsparteien FDP (1 Sitz), SP (1 Sitz) und SVP (2 Sitze) hatte die CVP jedoch nichts zu befürchten, da diese den christlichdemokratischen Sitz nicht streitig machten. Allerdings krebste dann auch die BDP zurück, da die CVP mit Carmen Haag eine valable Kandidatin ins Rennen schickte. Weil auch die Grünen auf eine Kandidatur verzichteten, wurde Haag schliesslich nur von der parteilosen Gabi Coray bedrängt. Coray ist im Kanton Thurgau kein unbeschriebenes Blatt. Seit 2005 hatte sie für diverse Wahlen kandidiert, darunter gar für den Bundesrat bei der Wahl des Nachfolgers für Hans-Rudolf Merz 2010. Das beste Resultat hatte Coray bei einer Regierungsratsersatzwahl 2006 erzielt, als sie 22% aller Stimmen erhielt.
Bei den Wahlen vom 9. Februar hatte Coray dann allerdings keine Chance. Sie erhielt zwar 7'811 Stimmen, lag damit aber weit hinter den 43'539 Stimmen, die Carmen Haag auf sich vereinen konnte. Coray erhielt sogar noch weniger Stimmen als leer eingelegt worden waren (9'364). Nicht weniger als 4'662 Stimmen fielen auf Vereinzelte, was neben den zahlreichen leeren und den 1'314 ungültigen Stimmen einerseits als Zeichen des Protests gegen die dünne Auswahl gewertet wurde. Andererseits wurde aber auch gemutmasst, die vielen leeren und ungültigen Stimmen seien darauf zurückzuführen, dass viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger eher wegen der gleichzeitig stattfindenden eidgenössischen Abstimmungen (Masseneinwanderungsinitiative, Abtreibungsfinanzierung und Fabi) an die Urne gegangen waren. Haag trat ihr Amt am 1. Juni an. Sie ist erst die dritte Thurgauer Regierungsrätin. Erstmals sassen in der Thurgauer Exekutive damit zwei Frauen – neben Carmen Haag auch Monika Knill (svp). Haags Wunsch, das Departement für Justiz und Sicherheit zu übernehmen, wurde nicht erhört. Sie wurde zur Vorsteherin des Departements für Finanzen und Soziales, das sie von ihrem Vorgänger übernahm, bestimmt. Mitte Oktober kündigte wie erwartet Claudius Graf-Schelling (sp) seinen vorzeitigen Rücktritt an.

Ersatzwahl Regierungsrat Thurgau 2014
Dossier: Elections des exécutifs cantonaux 2014
Dossier: Elections cantonales - Thurgovie

Die Bundesratswahlen vom 14. Dezember verliefen schliesslich weit weniger spektakulär, als dies die Berichterstattung im Vorfeld hätte vermuten lassen. Die NZZ betitelte die Wahlen gar als „Ruhe nach dem Sturm“ und die AZ bezeichnete das Ereignis als „langweilig“, was Bundesratswahlen aber eigentlich gut anstünde. In den Fraktionserklärungen vor dem Wahlakt wurde noch einmal von allen Parteien die Konkordanz beschworen, wobei Antonio Hodgers (gp) auf den Punkt brachte, dass es zwischen den Parteien eben „keine Konkordanz darüber (gebe), was Konkordanz konkret bedeutet“. Schliesslich wurden alle amtierenden Bundesrätinnen und Bundesräte bereits im ersten Wahlgang bestätigt: Doris Leuthard (cvp) erhielt glanzvolle 216 Stimmen (11 Stimmen entfielen auf Verschiedene). Die mit Spannung erwartete Bestätigungswahl von Eveline Widmer-Schlumpf war relativ eindeutig: die BDP-Magistratin erhielt 131 Stimmen und war damit im ersten Umgang gewählt. 63 Stimmen entfielen auf Hansjörg Walter und 41 Stimmen auf Jean-François Rime (Verschiedene: 4 Stimmen). Ueli Maurer wurde mit respektablen 159 Stimmen gewählt. 41 Stimmen fielen hier auf Hansjörg Walter und 13 auf Luc Recordon (gp) (Verschiedene: 13). Erstaunlicherweise erfolgte vor der Wahl von Didier Burkhalter – der FDP-Bundesrat erhielt 194 Stimmen und 24 Stimmen entfielen auf Jean-François Rime (Verschiedene: 14) – keine Erklärung der SVP. Fraktionspräsident Baader ergriff erst vor dem fünften Wahlgang das Wort und klagte, dass sich die FDP nicht an die Konkordanz gehalten habe und die SVP deshalb alle drei verbleibenden Sitze mit Jean-François Rime angreifen werde. Dieses Unterfangen scheiterte jedoch sowohl bei der Bestätigung von Simonetta Sommaruga (sp), die mit 179 Stimmen (Rime: 61 Stimmen; Verschiedene: 2 Stimmen) genauso im ersten Wahlgang bestätigt wurde wie auch bei Johann Schneider-Ammann (fdp), der 159 Stimmen auf sich vereinte (Rime: 64 Stimmen; Verschiedene: 11 Stimmen). Auch bei der Ersatzwahl von Micheline Calmy-Rey war rasch klar, dass dem Angriff der SVP kein Erfolg beschieden war. Im ersten Wahlgang erhielten die beiden SP-Kandidaten mehr Stimmen als der Sprengkandidat Rime: Auf Alain Berset entfielen 114 Stimmen, Pierre-Yves Maillard und Jean-François Rime erhielten beide 59 Stimmen. Die 10 Stimmen, die Marina Carobbio im ersten Wahlgang erhielt (Verschiedene: 1), fielen dann wahrscheinlich Alain Berset zu, der bereits im zweiten Wahlgang mit 126 Stimmen das absolute Mehr erreichte und zum neuen SP-Bundesrat erkoren wurde (Maillard: 63 Stimmen; Rime: 54 Stimmen; Verschiedene: 2 Stimmen).

Eine weitere Bestätigung erhielt Eveline Widmer-Schlumpf mit der Wahl zur Bundespräsidentin 2012. Sie bekam 174 Stimmen; 32 Stimmen entfielen auf Bundesrat Maurer, der anschliessend mit 122 Stimmen turnusgemäss zum Vizepräsidenten gewählt wurde.

Die Bundesratswahlen wurden in der Presse unterschiedlich kommentiert. Auf der einen Seite wurde der SP eine strategische Meisterleistung attestiert. Der ideale Zeitpunkt des Rücktritts von Calmy-Rey, die guten Kandidaten und die Erfolge bei den Ständeratswahlen hätten ihr eine ausgezeichnete Ausgangslage verschafft, die sie gut genutzt habe. Zudem hätte die Allianz zwischen SP, GP, GLP und CVP gut funktioniert, um die Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf zu schaffen. Auf der anderen Seite wurden der SVP Fehler und eine wenig überzeugende Strategie vorgeworfen. Das Verheizen bekannter Köpfe bei den Ständeratswahlen, die (zu) späte Nominierung der Kandidaten und die negativen Schlagzeilen um Bruno Zuppiger hätten der erfolgsverwöhnten Partei geschadet. Alain Berset wurde als viertjüngster Bundesrat in der Geschichte des Bundesstaates als idealer, linker Bundesrat gewürdigt. (Nur Numa Droz (31 Jahre; 1876-1892), Jakob Stämpfli (34 Jahre; 1855-1863) und Ruth Metzler (34; 1999-2003) waren bei Amtsantritt jünger als Berset.) Insgesamt habe sich das Parlament nach den Querelen von 2003 und 2007 wieder für Stabilität im Gremium entschieden. Allerdings bleibe abzuwarten, wie die SVP, die in der Regierung deutlich untervertreten sei, nun reagieren werde. Für ersten Wirbel sorgte der Umstand, dass Ueli Maurer entgegen des Kollegialprinzips seine Wahl nicht im Bundeshaus, sondern mit Parteifreunden in einer Gaststätte verfolgt und dort auch Kommentare zu den Wahlen abgegeben hatte.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2011 – Nachfolge Micheline Calmy-Rey
Dossier: Elections de la présidence de la confédération
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

Was prägte 2010 die Schweizer Politik? Welches waren die bedeutenden Geschäfte im Parlament? Und was hat die politisch interessierte Öffentlichkeit bewegt? Nachfolgend werden die wichtigsten Ereignisse im Jahr 2010 zusammengefasst und anschliessend nach Thema geordnet aufgelistet. Mit den Links gelangen Sie direkt zu diesen im Berichtsjahr zentralen Geschäften und Ereignissen. Vous trouverez ici la version française de cet article.

Im fünften Jahr in Folge kam es 2010 zu einer Umbildung der Regierung. Nach dem Rücktritt von Bundesrat Deiss (cvp) 2006, der Nichtwiederwahl von Bundesrat Blocher (svp) 2007 sowie den Rücktritten von Samuel Schmid (svp) 2008 und Pascal Couchepin (fdp) 2009, demissionierten 2010 erneut zwei Bundesräte. Moritz Leuenberger (sp) und Hans-Rudolf Merz (fdp) wurden durch Simonetta Sommaruga (sp) und Johann Schneider-Ammann (fdp) ersetzt. Beide Sitze wurden von der SVP angegriffen. Der Sitz der FDP wurde zudem von den Grünen streitig gemacht. Weder Jean-François Rime (svp) noch Brigit Wyss (gp) erhielten aber die nötigen Stimmen. Ob die Regierungszusammensetzung von 2010 nun ein wenig stabiler bleibt als die vorangehenden, ist höchst fragwürdig. Erstens wird ein Rücktritt von Micheline Calmy-Rey (sp) auf Ende der Legislatur erwartet und zweitens wird die Verteilung der Sitze unter den Parteien von der SVP nach wie vor heftig kritisiert. Sie moniert, dass sie als fraktionsstärkste Partei ein Anrecht auf mehr als einen Sitz habe. Die National- und Ständeratswahlen von 2011 versprechen auch unter dem Gesichtspunkt der Regierungszusammensetzung spannend zu werden.

Mit den Neubesetzungen in der Exekutive kam es knapp 40 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts erstmals in der Geschichte der Schweiz zu einer Frauenmehrheit in der Regierung. Vier der sieben Magistratinnen sind Frauen. Zudem wurden im Berichtsjahr die drei höchsten politischen Ämter von Frauen besetzt. Als Bundespräsidentin amtierte Doris Leuthard (cvp), als Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer Wyss (sp) und als Ständeratspräsidentin Erika Forster-Vannini (fdp). Allerdings sind die Frauen in den nationalen und kantonalen Parlamenten nach wie vor deutlich in der Minderheit. Nach den kantonalen Parlamentswahlen, die in acht Kantonen stattfanden, waren die Frauenanteile sogar rückläufig.

Das Berichtsjahr stand im Zeichen der Aufarbeitung der verschiedenen Krisen der Vorjahre. Der Bundesrat musste für sein Krisenmanagement viel Kritik einstecken. Ihm wurden Führungsdefizite, mangelndes gegenseitiges Vertrauen im Kollegium und eine schlecht koordinierte Informationspolitik vorgeworfen. Die UBS-Krise, die Libyen-Krise, die zuerst unkoordinierten Rücktrittswünsche der Bundesräte Leuenberger und Merz sowie die grosse Rochade bei der Departementsverteilung wurden als Zeichen eines Konkordanz- und Kollegialitätsverlusts gedeutet. Die Lancierung einer Initiative für die Volkswahl des Bundesrates und zahlreiche Vorstösse für eine Regierungsreform waren die Folgen.

Auch in der Aussenpolitik galt es im Berichtsjahr, Krisen aufzuarbeiten. Infolge der Aufweichung des Bankgeheimnisses im Rahmen der Übernahme der OECD-Standards bei der Amtshilfe in Steuersachen wurden mit zahlreichen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen. Das Amtshilfeabkommen mit den USA musste in einen Staatsvertrag umgewandelt werden, in dem sich die Schweiz zur Herausgabe von UBS-Kundendaten verpflichtete. Das Parlament tat sich mit der nachträglichen Annahme dieses Vertrages sehr schwer. Insbesondere SVP und SP wollten ihre Zusage an Bedingungen knüpfen. Die SP hatte aber weder mit ihrer Forderung nach strengeren Regeln für den Bankensektor noch nach Beschränkungen der Manager-Boni Erfolg. Nach langem Hin und Her und einer Kehrtwende der SVP wurde der Vertrag schliesslich gutgeheissen, ohne dass er dem Referendum unterstellt wurde.

Die EU fuhr fort, das schweizerische Steuersystem zu attackieren und verlangte einen automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen. Sie machte auch deutlich, dass der bilaterale Weg an Grenzen stosse und drohte, dass sie nicht mehr bereit sei, über zahlreiche unterschiedliche Dossiers zu verhandeln. Der Bundesrat machte in seinem Bericht zur Europapolitik allerdings deutlich, dass er am bilateralen Weg festhalten will.

Der Bundesrat legte 2010 den Armeebericht vor, der eine Verkleinerung des Bestandes auf 80'000 Mann und jährliche Gesamtausgaben von CHF 4.4 Mia. vorsieht. Der Kauf einer neuen Kampfjetflotte wurde hingegen aufgrund fehlender Mittel auf 2015 verschoben, woraufhin die GSoA ihre Initiative für ein Moratorium für die Anschaffung von Kampfflugzeugen zurückzog.

Im Berichtsjahr war in der Schweiz ein konjunktureller Aufschwung zu verzeichnen. Das nominelle BIP nahm um 2 Prozent zu. Die Wirtschaftsleistung pendelte sich auf den Vorkrisenwerten ein. Der Aufschwung schlug sich auch in der Staatsrechnung nieder, die – entgegen aller Erwartungen – mit einem Überschuss von CHF 3.6 Mia abschloss. Die Staatsquote sank leicht um 0.1 Prozent. Die Arbeitslosigkeit sank von 4.5 Prozent auf 3.8 Prozent, lag aber im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt um 0.2 Prozentpunkte höher. Die Nationalbank trug mit ihrer expansiven Geldmengenpolitik zum Aufschwung bei. Die europäische Staatsschuldenkrise und die unsichere Entwicklung der Wirtschaft in den USA hatten jedoch zur Folge, dass der Franken gegenüber dem Euro und dem US-Dollar massiv an Wert gewann. Die Nationalbank intervenierte deshalb im Frühling massiv am Devisenmarkt, um die Exportwirtschaft zu stützen. Während des Berichtsjahres gewann der Franken gegenüber dem Euro um 17 Prozent und gegenüber dem Dollar um 11 Prozent an Wert, was sich ab der zweiten Jahreshälfte konjunkturdämpfend auswirkte.

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wurden im Berichtsjahr zum Entscheid über sieben Vorlagen an die Urne gerufen. Unterschiedlichen Erfolg hatte die Linke, die zusammen mit den Gewerkschaften Referenden gegen Reformen in den Sozialversicherungen eingereicht hatten. Während das Referendum gegen die Anpassung des BVG-Mindestumwandlungssatz erfolgreich war, wurde die Änderung im Arbeitslosenversicherungsgesetz, die Kürzungen in Dauer und Höhe der Taggelder vorsieht, gegen die Opposition der Linken gutgeheissen. Wenig umstritten war der Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen, der dem Bund die Möglichkeit gibt, Forschungsvorhaben gesamtschweizerisch zu regeln sowie den Schutz von Würde und Persönlichkeit des Menschen und die Gewährleistung von wissenschaftlicher Freiheit in der Verfassung zu verankern. Die Vorlage, die dem obligatorischen Referendum unterstand, wurde mit über drei Viertel der Stimmen angenommen. Drei Initiativen standen zur Abstimmung. Weder die Tierschutzanwaltinitiative, welche die Einsetzung kantonaler Tierschutzanwälte gefordert hatte, noch die Steuergerechtigkeitsinitiative, die eine Einschränkung des Steuerwettbewerbs zwischen den Kantonen vorgesehen hätte, fanden Gehör. Erfolgreich war hingegen die Ausschaffungsinitiative der SVP. Die Vorlage verlangt, dass Ausländerinnen und Ausländer, die aufgrund bestimmter Straftaten verurteilt wurden, ihre Aufenthaltsansprüche verwirken und aus der Schweiz ausgewiesen werden. Im Vorfeld der Abstimmung kam es im Parlament zu intensiven Debatten über die Gültigkeit der Vorlage und über einen Gegenvorschlag. Dieser kam zwar zustande, wurde an der Urne jedoch abgelehnt. Die Ausschaffungsinitiative, aber auch die im Vorjahr angenommene Minarettinitiative sowie die im Berichtsjahr allerdings zurückgezogene Initiative zur Einführung der Todesstrafe beförderten die Diskussion über die Vereinbarkeit von Volksinitiativen mit internationalen Abkommen sowie dem Völker- und Menschenrecht. Während auf der einen Seite Möglichkeiten für eine bessere Prüfung dieser Vereinbarkeit diskutiert wurden, die bis hin zum Vorschlag eines Verfassungsgerichts reichten, versuchte auf der anderen Seite insbesondere die SVP mit verschiedenen erfolglosen Vorstössen Regelungen einzuführen, die Landesrecht zwingend über Völkerrecht stellen würden.

Politische Grundfragen:
– In Zukunft soll zu Beginn einer Legislaturperiode im Parlament die Nationalhymne gespielt werden.
– Die grössten Sorgen in der Bevölkerung sind die Angst vor Arbeitslosigkeit und vor dem Klimawandel.
– Der Schweizer Pavillon an der Weltausstellung lockte zahlreiche Besucher an.

Rechtsordnung:
– Im Rahmen der Revision des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes wurde über Datenschutz debattiert.
– Der Bericht über die Inspektion der Datenbank ISIS weckte Erinnerungen an die Fichenaffäre in den 1990er Jahren.
– In mehreren Kantonen wurde die Einführung des kantonalen oder kommunalen Ausländerstimmrechts deutlich abgelehnt.
– Die Verschärfung des Strafrechts war Gegenstand verschiedener überwiesener Vorstösse.
– Das Alarmsystem bei Kindesentführungen soll Anfang 2011 funktionstüchtig sein.
– Die Internetkriminalität und die bisher unzulänglichen Instrumente dagegen waren Gegenstand intensiver Debatten.
– Einer Petition des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter wurde Folge gegeben.
– Die Räte befassten sich mit der Waffeninitiative.

Institutionen und Volksrechte:
– Gleich zwei Bundesräte traten im Berichtsjahr zurück: das Parlament wählte für Moritz Leuenberger und Hans-Rudolf Merz Simonetta Sommaruga (SP) und Johann Schneider-Ammann (FDP); Kampfkandidaturen der SVP und der Grünen blieben ohne Erfolg.
– Bei der Departementsverteilung kam es zu einer grossen Rochade.
– Zahlreiche Vorstösse forderten eine umfassende Regierungsreform; der Bundesrat reagierte mit einem ersten Vorschlag.
– Die Bundesversammlung soll in Zukunft bei Notverordnungen besser und schneller informiert werden.
– Eine Verordnung soll helfen, die Repräsentation der Landessprachen in der Verwaltung zu verbessern.
– Das Parlament erteilt sich die Kompetenz, die Bundesanwaltschaft und ihre Aufsichtsbehörde selbst zu wählen.
– Kontrovers diskutiert wurde das Problem der Vereinbarkeit von Volksinitiativen mit dem Völkerrecht.

Föderativer Aufbau:
– Der Trend zu stärkerer Nutzung von Standesinitiativen hält an.
– Die Anzahl Gemeinden nimmt aufgrund von Fusionen weiter ab.
– In den beiden Basel und im Arc jurassien wird über Kantonsfusionen nachgedacht.
– Der Tessiner Ständerat Dick Marty wird neuer Präsident der Assemblée interjurassienne.

Wahlen:
– In den Kantonen Bern, Glarus und Graubünden traten erstmals BDP und SVP gegeneinander an. Beide Parteien profitierten vom Wahlkampf.
– Die GLP eroberte Parlamentssitze in drei weiteren Kantonen.
– In Bern kann sich die rot-grüne Regierungsmehrheit halten.
– In Appenzell Innerrhoden wurde zum zweiten Mal eine Frau in die Regierung gewählt.
– Die SVP erobert weitere Regierungssitze: in Nidwalden und Zug errang sie ein zweites Regierungsmandat und bei den Ersatzwahlen in Uri schaffte sie zum ersten Mal den Einzug in die Regierung.

Aussenpolitik:
– Das Parlament beauftragte den Bundesrat, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass die Regierung nicht mehr im Alleingang internationale Verträge abschliessen kann.
– Der Bundesrat schlug einen Gegenvorschlag zur Initiative der AUNS vor, welche die Volksrechte in der Aussenpolitik stärken will.
– Die EU attackierte das fiskalische System der Schweiz wiederholt und verlangte einen automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen.
– In seinem Bericht zur Europapolitik hielt der Bundesrat fest, dass der bilaterale Weg für die Schweiz auf kurze Sicht die gangbarste Variante sei.
– Das Parlament verlangte vom Bundesrat Vorschläge, wie die bis zum Jahr 2015 geplante Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0.5 Prozent des BIP erreicht werden kann.
– Die beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer Geiseln wurden freigelassen, nachdem der Konflikt auf europäisches Niveau gehoben wurde. Der Bundesrat wurde für sein Krisenmanagement scharf kritisiert.

Landesverteidigung:
– Der Bundesrat veröffentlichte den Bericht über die Sicherheit, der wegen fehlender politischer Linie stark kritisiert wurde. Der Ständerat nahm ihn mit Skepsis zur Kenntnis.
– Nach mehreren Verschiebungen hat die Regierung ihren Bericht über die Armee vorgestellt, der die Reduktion des Bestandes der Armee um 80'000 und die Aufrechterhaltung des jährlichen Budgets in der Höhe von CHF 4.4 Mia. empfiehlt.
– Das Parlament hat die Anpassung des Gesetzes über die Armee und die militärische Administration angenommen.
– Das Parlament hat mehrere Motionen angenommen, welche sich mit der Überarbeitung der vorgesehenen Modifikationen zur Unterzeichnung des Übereinkommens von Oslo über Streumunition beschäftigten.
– Aus budgetären Gründen verschob der Bundesrat den Ersatz der F-5 Tiger auf unbestimmte Zeit.
– Die Zunahme der Zahl der Gesuche um Zivildienst hat eine Reihe von parlamentarischen Vorstössen erzeugt. Ein bundesrätlicher Bericht kam jedoch zum Schluss, dass die Bestände der Armee dadurch nicht in Gefahr seien.

Wirtschaftspolitik:
– Die Schweizerische Wirtschaftsleistung hat sich 2010 mit Ausnahme der Warenexporte auf den Vorkrisenwerten stabilisiert.
– Die europäische Staatsschuldenkrise und die allgemeine Wirtschaftsschwäche der USA beflügeln den Frankenkurs und drücken auf die Margen der Exportwirtschaft.
– Das Cassis-de-Dijon-Prinzip tritt in Kraft, bewegt bezüglich Lebensmittelqualität aber nach wie vor die Gemüter.
– Der Bundesrat beabsichtigt über eine vorgezogene Teilrevision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen, den Mehrkosten entgegenzuwirken, die der öffentlichen Hand durch blockierte Vergabeentscheide entstehen.
– Die Uneinigkeit der Räte im Umgang mit der «Abzocker-Initiative» verkompliziert und verzögert die Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts.

Geld, Währung und Kredit:
– Die Nationalbank hielt an ihrer expansiven Geldmengenpolitik fest und verzeichnet einen Konzernverlust von CHF 19.2 Mia.
– Der Schweizer Franken gewinnt massiv an Wert.
– Das Systemrisiko durch die Grossbanken («too-big-to-fail») wird über eine Revision des Bankengesetzes angegangen.
– Nach umfangreichen politischen Taktierereien der Flügelparteien nimmt das Parlament den Staatsvertrag Schweiz-USA in Sachen UBS in extremis an.
– Das Bankgeheimnis erodiert und die Schweiz diskutiert unter dem massiven Druck ausländischer Akteure eine Weissgeldstrategie.

Landwirtschaft:
– Der Ständerat beschloss Massnahmen zur Sicherung eines Selbstversorgungsgrads bei Nahrungsmitteln von mindestens 60 Prozent.
– Mit knapper Mehrheit schuf das Parlament im Landwirtschaftsgesetz eine Bilanzreserve zur Finanzierung von Begleitmassnahmen zu möglichen Freihandelsabkommen.
– Der Nationalrat verabschiedete einen Antrag, mit dem die Allgemeinverbindlichkeit für ein neues von den Produzenten bewirtschaftetes Milchmengensteuerungsmodell festgelegt werden soll.
– Das Parlament stimmte einer Verlängerung des GVO-Moratoriums in der Landwirtschaft zu.
– Das Inkrafttreten des Cassis de Dijon-Prinzips provozierte erneut Vorstösse zur Sicherung der Nahrungsmittelqualität.
– Das Parlament beschloss, den Schutz des Wolfs einzuschränken.
– Die Initiative für einen Tierschutzanwalt wurde mit 70.5 Prozent Nein-Stimmen und in allen Kantonen verworfen.

Öffentliche Finanzen:
– Das Stimmvolk lehnte eine Volksinitiative für mehr Steuergerechtigkeit mit 58.5 Prozent ab.
– Das Parlament lehnte eine radikale Vereinfachung der Mehrwertsteuer ab und wies die Vorlage an den Bundesrat zurück.
– Die Staatsrechnung 2010 schloss mit einem Überschuss von CHF 3.6 Mia. und damit deutlich besser als erwartet.
– Das vom Parlament beschlossene Budget sah ein Defizit von CHF 600 Mio. vor.

Energie:
– Die SP lancierte eine eidgenössische Volksinitiative für «Neue Arbeitsplätze dank erneuerbaren Energien (Cleantech-Initiative)».
– Der Bundesrat verabschiedete die Verlängerung des SuisseEnergie Programms bis 2020.
– Die Landesregierung räumte eine einjährige Verspätung bei der Ausarbeitung der Revision des Elektrizitätsversorgungsgesetzes ein.
– National- und Ständerat stimmten einer Erhöhung des Wasserzinses und der Abgabe zur kostendeckenden Einspeisevergütung zu.
– Das Parlament beriet über die CO2-Abgabebefreiung fossilthermischer Kraftwerke.

Verkehr und Kommunikation:
– Das Parlament sprach für den Infrastrukturfonds einen ausserordentlichen Beitrag von CHF 850 Millionen.
– Die Volksinitiative «für den öffentlichen Verkehr» kam zustande.
– Die beiden Kammern bewilligten die Kredite für die dringenden Agglomerationsprogramme und für die erste Etappe des Programms zur Beseitigung der Engpässe auf dem Nationalstrassennetz.
– Das BAV veröffentlichte das Konzept Bahn 2030.
– Während die Initiative «für eine starke Post» Ende Sommer zustande kam, nahm das Parlament ein neues Postgesetz an, worin es sich gegen die Abschaffung des Restmonopols der Post aussprach.
– Das Parlament nahm die erste der drei Teilrevisionen zum Luftfahrtgesetz an.

Raumplanung und Wohnungswesen:
– Der Bundesrat präsentierte seinen indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative in Form einer Teilrevision des Raumplanungsgesetzes, welcher vom Ständerat in verschiedener Hinsicht konkretisiert wurde.
– Das Parlament verabschiedete die flankierenden Massnahmen zur Aufhebung der Lex Koller als indirekten Gegenvorschlag zur Zweitwohnungs-Initiative.
– Der Nationalrat trat zum zweiten Mal nicht auf die Mietrechtsrevision ein und versenkte das Geschäft somit.
– Der Bundesrat präsentierte seine Botschaft zur Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter».
– Der Nationalrat beantragte die Annahme von zwei Volksinitiativen zu steuerlich privilegiertem Bausparen; der Ständerat hingegen setzte sich für die Erarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags ein.

Umweltschutz:
– Der Nationalrat empfahl die Volksinitiativen «für ein gesundes Klima» und «für menschenfreundliche Fahrzeuge (Offroader-Initiative)» zur Ablehnung und befürwortete in beiden Fällen einen indirekten Gegenvorschlag.
– Die Volksinitiative «Lebendiges Wasser» wurde zu Gunsten des vom Parlament im Vorjahr angenommenen indirekten Gegenvorschlages zurückgezogen.
– Mit seinem erneuten Entscheid auf Nichteintreten beschloss der Nationalrat definitiv, die Durchführungsprotokolle zur Alpenkonvention nicht zu ratifizieren.
– Entgegen dem Antrag des Bundesrates verlängerte das Parlament den Fonds Landschaft Schweiz um weitere 10 Jahre.

Bevölkerung und Arbeit:
– Die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz betrug am Ende des Berichtsjahres etwas mehr als 7.8 Millionen Personen.
– Die Arbeitslosenquote zeigte sich relativ robust, sie betrug im Mittel 3.9 Prozent.
– Der Nominallohn stieg um 0.8 Prozent an, die Reallöhne blieben nahezu unverändert.
– Es wurden mehrere neue GAVs – bei Swissport und Dnata, der ISS Aviation, der Swiss, der SBB und dem deutschen Discounter Lidl – abgeschlossen.

Gesundheit, Sozialhilfe, Sport:
– Der Nationalrat verabschiedete Massnahmen zur Integration von komplementärmedizinischen Kenntnissen in die Ausbildung von Medizinalpersonen.
– Die grosse Kammer nahm verschiedene Vorstösse (siehe auch hier) an, welche im Bereich der Pflege eine Weiterbildungs- und Ausbildungsoffensive starten wollen.
– Der Bundesrat schickte ein neues Alkoholgesetz in die Vernehmlassung.
– Bund, Kantone, Gemeinden und Städte trafen sich im November anlässlich einer ersten nationalen Armutskonferenz.
– National- und Ständerat berieten die Botschaft zum Sportförderungsgesetz.

Sozialversicherungen:
– Der Nationalrat lehnte die leistungsseitigen Massnahmen der 11. AHV-Revision ab.
– Das Parlament (Ständerat, Nationalrat) behandelte ein erstes Massnahmenpaket der 6. IV-Revision.
– National- und Ständerat nahmen die Revisionen des BVG bezüglich der Finanzierung öffentlich-rechtlicher Vorsorgeeinrichtungen und die Strukturreform der beruflichen Vorsorge an.
– Das Volk lehnte die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge ab.
– Der Nationalrat lehnte die Revision des KVG mit den Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung ab und behandelte die KVG-Revision zu Managed-Care.
– Der Nationalrat wies die Revision der Unfallversicherung zurück an den Bundesrat.
Parlament und Volk nahmen die 4. Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes an.

Soziale Gruppen:
– Volk und Stände hiessen im Berichtsjahr eine Volksinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer gut; der Gegenvorschlag des Parlaments wurde hingegen abgelehnt.
– Die eidgenössischen Räte verabschiedeten ein Bundesgesetz über die Koordination des Asyl- und des Auslieferungsverfahrens.
– Ein Komitee aus christlich-konservativen Kreisen lancierte eine Volksinitiative zur Streichung der Abtreibungskosten aus dem Leistungskatalog der obligatorischen Krankenversicherung.
– National- und Ständerat stimmten einer Verlängerung der Anschubfinanzierung für familien- und schulergänzende Kinderbetreuungsangebote zu.
– Der Bundesrat unterbreitete dem Parlament eine Totalrevision des Jugendförderungsgesetzes.

Bildung und Forschung:
– Die Schweiz unterzeichnete im Berichtsjahr ein Bildungsabkommen mit der EU.
– Die Romandie und das Tessin verabschiedeten im Juni einen gemeinsamen Lehrplan für die obligatorische Schule.
– In der Herbstsession verabschiedete die kleine Kammer ein neues Bundesgesetz über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbereich.
– Der Verband der Schweizer Studierendenschaften lancierte im Berichtsjahr eine Volksinitiative für höhere und schweizweit einheitliche Stipendien.
– In der Volksabstimmung vom 7. März wurde ein neuer Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen mit 77.2 Prozent der Stimmen gutgeheissen.

Kultur, Sprache, Kirchen:
– Das EDI eröffnete das Anhörungsverfahren zur Kulturbotschaft.
– Das Bundesgesetz über die Buchpreisbindung ging nach der Detailberatung des Ständerates in die Differenzbereinigung.
– Die Verordnung zum Sprachengesetz trat per 1. Juli in Kraft.
– Die Schweizerische Bischofskonferenz verstärkte ihr Engagement zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche.
– Das Ergebnis der Minarett-Initiative entpuppte sich als Ausgangspunkt einer intensiven politischen Debatte zur Rolle des Islam in der Schweiz.

Medien:
– Anlässlich der Postgesetzrevision beschloss das Parlament die Weiterführung der indirekten Presseförderung; gleichzeitig erging der Auftrag an den Bundesrat, Alternativen dazu zu prüfen.
– Sowohl in der Deutsch- als auch in der Westschweiz setzte sich die Bereinigung auf dem Pressemarkt mit wesentlichen Änderungen der Besitzverhältnisse bei den Verlagshäusern Basler Zeitung Medien, Tamedia, NZZ und Rhône Media AG fort.
– Die SRG kämpfte mit dem fünften Defizit in Folge, setzte ihr Konvergenzprojekt aber zu wichtigen Teilen um.
– Das MEDIA-Abkommen Schweiz-EG trat zusammen mit einer Lockerung der Werbevorschriften für öffentliches und privates TV in Kraft.
– Der Bundesrat setzte eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer Cyber-Defense-Strategie ein und verabschiedete das Präventionsprogramm «Jugendmedienschutz und Medienkompetenz».
– Das Seco lancierte zur Verbesserung der Sicherheit im elektronischen Datenverkehr das Pilotprojekt Suisse-ID.

Jahresrückblick / Rétrospective annuelle 2010
Dossier: Rétrospectives annuelles 2004 à 2014

Qu'est-ce qui figurait à l'agenda politique suisse en 2010? Quelles étaient les affaires les plus importantes au Parlement? Et qu'est-ce qui a interpellé le public intéressé par la politique ? Les événements les plus importants en 2010 sont résumés ci-dessous et ensuite listés par thème. Les liens vous mèneront directement à ces objets et événements clés de l'année en cours. Hier finden Sie die deutsche Version dieses Artikels.

Pour la cinquième année consécutive, il y a eu un remaniement gouvernemental en 2010. Après le retrait du conseiller fédéral Deiss (pdc) en 2006, la non réélection du conseiller fédéral Blocher (udc) en 2007, ainsi que les démissions de Samuel Schmid (udc), en 2008, et Pascal Couchepin (plr), en 2009, deux autres conseillers fédéraux ont quitté leur fonction en 2010. Moritz Leuenberger (ps) et Hans-Rudolf Merz (plr) ont été remplacés par Simonetta Sommaruga (ps) et Johann Schneider-Ammann (plr). Ces deux sièges ont été attaqués par l’UDC. Le siège du PLR a en outre été contesté par les Verts. Ni Jean-François Rime (udc), ni Brigit Wyss (pe) n’ont toutefois obtenu les voix nécessaires. La composition du gouvernement ne semble toutefois guère stabilisée. Premièrement, la démission de Micheline Calmy-Rey (ps) au terme de la législature semble probable et, deuxièmement, la répartition des sièges entre les partis est toujours aussi âprement critiquée par l’UDC. Invoquant son statut de premier groupe parlementaire, cette dernière revendique en effet un deuxième siège. Les élections fédérales de 2011 promettent d’être passionnantes du point de vue de la composition du gouvernement.

À la faveur de ce remaniement, près de 40 ans après l’introduction du suffrage féminin et pour la première fois dans l’histoire de la Suisse, une majorité de femmes siègent au gouvernement. Quatre des septs conseillers fédéraux sont des femmes. Par ailleurs, au cours de l’année sous revue, les trois fonctions politiques les plus importantes ont été occupées par des femmes. Doris Leuthard (pdc) a assuré la présidence de la Confédération, alors que Pascale Bruderer Wyss (ps) et Erika Forster-Vannini (plr) ont respectivement présidé le Conseil national et le Conseil des Etats. Ceci étant, les femmes sont demeurées nettement minoritaires dans les parlements national et cantonaux. Les élections parlementaires, qui ont eu lieu dans huit cantons au cours de l’année sous revue, ont même vu la proportion de femmes parmi les élus régresser.

2010 est demeurée sous le signe de la résolution des diverses crises des années précédentes. Le Conseil fédéral a enduré de nombreuses critiques pour sa gestion des dites crises. On lui a notamment reproché un déficit de pilotage, un manque de confiance mutuelle entre les membres du collège et une politique d’information mal coordonnée. L’affaire UBS, la crise libyenne, l’absence de coordination des annonces de démission des conseillers fédéraux Leuenberger et Merz, ainsi que l’importante rocade dans la répartition des départements ont été interprétées comme les signes d’une perte de concordance et de collégialité. Le lancement d’une initiative pour l’élection du Conseil fédéral par le peuple et de nombreuses propositions en faveur d’une réforme du gouvernement en ont été les conséquences.

En matière de politique étrangère, il a également été question de résoudre des crises. En conséquence de l’assouplissement du secret bancaire induit par la conformation aux standards de l’OCDE concernant l’entraide administrative en matière fiscale, de nombreuses conventions bilatérales de double imposition ont été conclues. L’accord d’entraide administrative avec les Etats-Unis a dû être converti en un traité, par lequel la Suisse s’est engagée à fournir des données de clients de l’UBS. L’approbation de ce traité par le parlement s’est faite dans la douleur. L’UDC et le PS ont posé des conditions à leur soutien. Le PS n’a obtenu gain de cause ni pour sa revendication de soumettre le secteur bancaire à des règles plus sévères, ni pour son exigence de réglementer les bonus des managers. Après de longues tergiversations et une volte-face de l’UDC, le traité a finalement été adopté.

L’UE a poursuivi ses attaques contre le système fiscal suisse et exigé un échange automatique de données en matière fiscale. Jugeant que la voie bilatérale avait atteint ses limites, elle a en outre fait savoir qu’elle n’était pas prête à négocier avec la Suisse sur des dossiers aussi divers que nombreux. Dans son rapport sur la politique européenne, le Conseil fédéral a cependant réaffirmé sa volonté de poursuivre sur la voie bilatérale.

Le Conseil fédéral a présenté son rapport sur l’armée, qui prévoit une réduction des effectifs à 80'000 hommes et une facture annuelle globale de CHF 4.4 milliards. L’achat de nouveaux avions de combat a été repoussé à 2015 en raison de moyens financiers insuffisants, raison pour laquelle le GSsA a retiré son initiative pour un moratoire sur l’achat de nouveaux avions militaires.

Au cours de l’année sous revue, la Suisse a connu une reprise conjoncturelle. Le PIB nominal a crû de 2 pourcent et la performance économique a retrouvé les valeurs d’avant-crise. La reprise s’est également traduite dans les comptes d’Etat, qui – contre toute attente – ont affiché un excédent de CHF 3.6 milliards. La quote-part étatique a légèrement reculé à 0.1 pourcent. Le taux de chômage est quant à lui passé de 4.5 à 3.8 pourcent, mais il est demeuré en moyenne 0.2 pourcent plus élevé que l’année précédente. La Banque nationale a contribué à la reprise grâce à sa politique monétaire expansive. La crise européenne de la dette publique et l’évolution incertaine de l’économie américaine ont causé une forte revalorisation du franc par rapport à l’euro et au dollar. La Banque nationale est intervenue massivement sur le marché des devises afin de soutenir l’industrie d’exportation. Au cours de l’année sous revue, la valeur du franc a crû de 17 pourcent par rapport à l’euro et de 11 pourcent par rapport au dollar, entraînant des conséquences anticonjoncturelles au second semestre.

En 2010, les citoyennes et les citoyens ont été appelés aux urnes pour se prononcer sur sept objets fédéraux. La gauche, qui a lancé avec les syndicats des référendums contre des réformes des assurances sociales, a connu un succès variable. Victorieuse avec le référendum contre l’abaissement du taux minimal de conversion du deuxième pilier, elle a par contre perdu la lutte contre les restrictions de durée et de montant des indemnités journalières introduites dans la loi sur l’assurance chômage. L’article constitutionnel relatif à la recherche sur l’être humain, qui donne à la Confédération la possibilité de réglementer la recherche de manière uniforme pour toute la Suisse, tout en protégeant la dignité et la personnalité humaines et en garantissant la liberté scientifique, a été peu contesté. Soumis au référendum obligatoire, il a été accepté avec plus de trois quarts des voix. Trois initiatives ont en outre été soumises au peuple et aux cantons. Ni l’initiative en faveur de l’institution d’un avocat pour les animaux, ni celle en faveur d’une plus grande justice fiscale, qui visait à modérer la concurrence fiscale intercantonale, n’ont connu le succès, à l’inverse de l’initiative sur le renvoi de l’UDC. Celle-ci exige que les étrangères et les étrangers condamnés pénalement pour certains délits et crimes se voient retirer leur titre de séjour et expulser du territoire suisse. Au préalable, le parlement avait longuement et vivement discuté de la validité de l’initiative, ainsi que d’un contre-projet, qui fut cependant rejeté par le peuple. L’initiative pour le renvoi, comme celle contre les minarets, l’année précédente, ainsi qu’une troisième initiative en faveur de la réintroduction de la peine de mort, lancée au cours de l’année sous revue et presque immédiatement retirée, ont alimenté la discussion sur la compatibilité des initiatives populaires avec le droit international et les droits de l’homme. Alors que, d’un côté, on a discuté des possibilités d’améliorer le contrôle de cette compatibilité, évoquant même la proposition d’instituer une cour constitutionnelle, de l’autre, on a essayé, notamment de la part de l’UDC, à travers diverses propositions, toutes refusées, d’affirmer formellement la primauté du droit national sur le droit international.

Problèmes politiques fondamentaux:
– À l’avenir, l’hymne national sera joué au parlement au début de la législature.
– Les principales préoccupations au sein de la population sont la peur du chômage et du changement climatique.
– Le pavillon suisse à l’Exposition universelle de Shanghai a attiré de nombreux visiteurs.

Ordre juridique:
– La protection des données a fait débat dans le cadre de la révision de la loi sur l’organisation du gouvernement et de l’administration.
– Le rapport d’enquête sur la base de données ISIS a réveillé le souvenir de l’affaire des fiches du début des années 1990.
– L’introduction du droit de vote communal ou cantonal des étrangers a été nettement rejetée dans plusieurs cantons.
– Plusieurs propositions individuelles en faveur d’un durcissement du droit pénal ont été adoptées.
– Le système d’alerte pour les enlèvements d’enfants entrera en fonction début 2011.
– La criminalité sur Internet et les instruments pour y faire face ont suscité d’intenses débats.
– Le Conseil national a décidé de donner suite à une pétition de la Fédération suisse des fonctionnaires de police.
– Les chambres ont traité l’initiative sur les armes.

Institutions et droits populaires:
Deux conseillers fédéraux se sont retirés au cours de l’année sous revue: le parlement a élu Simonetta Sommaruga (PS) et Johann Schneider-Ammann (PLR) pour remplacer Moritz Leuenberger et Hans-Rudolf Merz; des candidatures de combat de l’UDC et des Verts ont échoué.
– D’importants changements sont survenus dans la répartition des départements.
– De nombreuses propositions ont exigé une réforme en profondeur du gouvernement; le Conseil fédéral y a répondu avec un premier projet.
– L’Assemblée fédérale sera dorénavant mieux et plus rapidement informée des réglementations urgentes adoptées par le gouvernement.
– Une ordonnance doit améliorer la représentation des langues nationales au sein de l’administration fédérale.
– Le parlement s’est octroyé la compétence d’élire le Ministère public de la Confédération et les autorités de surveillance.
– La question de la compatibilité entre les initiatives populaires et le droit international public a été vivement débattue.

Structures fédéralistes:
– La tendance à une utilisation accrue du droit d'initiative par les cantons s'est confirmée.
– Le nombre de communes a connu une nouvelle diminution en raison de fusions.
– Dans les deux Bâle et dans l'Arc jurassien, l'idée d'une fusion des cantons a été avancée.
– Le conseiller aux Etats tessinois Dick Marty a été élu à la présidence de l'Assemblée interjurassienne.

Elections:
– Dans les cantons de Berne, de Glaris et des Grisons, le PBD et l'UDC se sont affrontés pour la première fois. Les deux partis ont tiré profit de la lutte électorale.
– Les Verts libéraux ont conquis des mandats parlementaires dans trois cantons supplémentaires.
– A Berne, la majorité gouvernementale rose-verte a pu se maintenir.
– Pour la deuxième fois de son histoire, le canton d'Appenzell Rhodes Intérieures a connu l'élection d'une femme au gouvernement.
– L'UDC a gagné de nouveaux sièges dans les exécutifs cantonaux: elle a conquis un deuxième mandat gouvernemental à Nidwald et à Zoug et fait son entrée dans le gouvernement d'Uri lors d'une élection complémentaire.

Politique étrangère:
– Le parlement a chargé le gouvernement de modifier la base légale afin que ce dernier ne puisse conclure seul des traités internationaux.
– Le Conseil fédéral a proposé un contre-projet à l’initiative de l’ASIN visant au renforcement des droits populaires dans la politique étrangère.
– L’UE a attaqué à de multiples reprises le système fiscal helvétique en exigeant un échange automatique d’informations.
– Dans son rapport sur la politique européenne, le Conseil fédéral a considéré que la voie bilatérale est, à court terme, la voie la plus praticable.
– Le parlement a exigé que le Conseil fédéral fasse des propositions afin d’atteindre l’objectif de 0.5 pourcent du RNB en 2015 pour l’aide au développement. Le gouvernement s’est exécuté à la fin de l’année.
– Les deux otages en Libye ont été libérés après l’intervention de l’UE. Le Conseil fédéral a été fortement critiqué pour sa gestion collective de l’affaire.

Armée:
– Le Conseil fédéral a finalement publié son rapport sur la sécurité. Il a été fortement critiqué pour l’absence de ligne politique claire. Le Conseil des Etats en a pris acte avec scepticisme.
– Après de multiples reports, le gouvernement a présenté son rapport sur l’armée. Il préconise la réduction des effectifs de l’armée à 80'000 et le maintien du budget annuel aux alentours de CHF 4.4 milliards.
– Le parlement a accepté la modification de la loi sur l’armée et l’administration militaire.
– Le parlement a adopté des motions remaniant les modifications prévues pour la ratification de la Convention d’Oslo sur les armes à sous-munitions.
– Le Conseil fédéral a décidé de repousser à une date indéterminée le remplacement des F-5 Tiger pour des raisons budgétaires.
– L’augmentation des demandes de service civil a entraîné le dépôt de nombreuses interventions parlementaires. Le rapport présenté par le gouvernement considère que cette augmentation ne met pas en péril les effectifs de l’armée.

Politique économique:
– Durant l’année 2010, l’activité économique suisse s’est stabilisée au niveau d’avant-crise, à l’exception des exportations de marchandises.
– La crise européenne de la dette des Etats et la faiblesse économique des Etats-Unis a provoqué l’envol du cours du franc et comprimé les marges de l’économie d’exportation.
– Le principe du Cassis de Dijon est entré en vigueur, toutefois la question de la qualité des denrées alimentaires a continué d’agiter les esprits.
– Le Conseil fédéral envisage une révision partielle de la loi fédérale sur les marchés publics afin de combattre les dépenses supplémentaires générées par des décisions d’affectation bloquées.
– Le désaccord des chambres relatif au traitement de l’initiative contre les rémunérations abusives a compliqué et retardé la révision du droit de la société anonyme et du droit comptable.

Crédit et monnaie:
– La Banque nationale s’en est tenue à une politique monétaire expansive et a enregistré une perte consolidée de CHF 19.2 milliards.
– Le franc suisse a massivement gagné en valeur.
– Le risque systémique des banques trop grandes pour faillir («too big too fail») est traité à travers une révision de la loi sur les banques.
– Après de multiples manœuvres politiques de l’UDC et du PS, le parlement a adopté in extremis l’accord entre la Suisse et les Etats-Unis relatif à l’UBS.
– Le secret bancaire s’affaiblit et la Suisse discute d’une stratégie «argent propre» sous la pression massive d’acteurs étrangers.

Agriculture:
– Le Conseil des Etats a décidé de prendre des mesures afin que la production réponde aux exigences de la souveraineté alimentaire et assure un auto-approvisionnement atteignant 60 pourcent.
– Le parlement a décidé de justesse de constituer une réserve dans la loi sur l’agriculture destinée aux mesures d’accompagnement d’un hypothétique accord de libre-échange.
– Le Conseil national a adopté une motion qui attribue le statut de force obligatoire à un nouveau modèle de régulation des quantités de lait géré par les producteurs.
– Les deux chambres ont décidé de prolonger le moratoire sur l’utilisation d’OGM dans l’agriculture.
– L’entrée en vigueur du principe du Cassis de Dijon a été suivie de réactions musclées dénonçant une baisse de la qualité des produits.
– Le parlement a décidé d’entamer des démarches afin d’amoindrir le niveau de protection du loup en Suisse.
– L’initiative pour un avocat des animaux a été rejetée par 70.5 pourcent des votants et la totalité des cantons.

Finances publiques:
– Le peuple a rejeté à 58.5 pourcent une initiative populaire pour plus de justice fiscale.
– Le parlement a refusé une simplification drastique de la TVA et renvoyé l'objet au Conseil fédéral.
– Les comptes 2010 ont affiché un excédent de recettes de CHF 3.6 milliards, nettement supérieur aux prévisions.
– Le budget 2011 adopté par le parlement prévoit un déficit de CHF 600 millions.

Energie:
– Le PS a lancé une initiative populaire fédérale baptisée «De nouveaux emplois grâce aux énergies renouvelables (initiative cleantech)».
– Le Conseil fédéral a décidé le renouvellement pour une durée de dix ans du programme SuisseEnergie.
– Le gouvernement a annoncé un retard d’une année dans l’élaboration de la révision de la loi sur l’approvisionnement électrique.
– Les chambres ont approuvé l’augmentation progressive de la redevance hydraulique et la hausse de la redevance pour la rétribution à prix coûtant du courant vert.
– Le parlement a reconduit l’exemption de la taxe sur le CO2 des centrales à combustibles fossiles.

Transports et communications:
– Le parlement a décidé le versement d’une contribution extraordinaire de CHF 850 millions au fonds d’infrastructure.
– L’initiative populaire «pour les transports publics» a abouti.
– Les chambres ont alloué les crédits en faveur des programmes d’agglomération urgents et de la première étape du programme d’élimination des goulets d’étranglement des routes nationales.
– L’OFT a rendu public le concept Rail 2030.
– Alors que l’initiative populaire «Pour une poste forte» a abouti à la fin de l’été, les chambres ont adopté le projet de nouvelle législation postale après avoir renoncé à la suppression du monopole résiduel de La Poste.
– Le parlement a adopté la première des trois révisions partielles de la loi sur l’aviation.

Aménagement du territoire et logement:
– Le Conseil fédéral a présenté son contre-projet indirect à l’initiative pour le paysage sous la forme d’une révision partielle de la loi sur l’aménagement du territoire; le Conseil des Etats l’a approuvé après l’avoir amendé.
– Le parlement a adopté les mesures d’accompagnement de la suppression de la Lex Koller au titre de contre-projet indirect à l’initiative sur les résidences secondaires.
– Le Conseil national a refusé une seconde fois d’entrer en matière sur la révision du droit du bail, liquidant ainsi l’objet.
– Le Conseil fédéral a présenté le message relatif à l’initiative «sécurité du logement à la retraite».
– Le Conseil national a recommandé l’approbation de deux initiatives populaires pour un traitement fiscal privilégié de l’épargne logement; à l’inverse, le Conseil des Etats s’est prononcé en faveur de l’élaboration d’un contre-projet indirect.

Protection de l'environnement:
– Le Conseil national a recommandé le rejet des initiatives populaires «pour un climat sain» et «pour des véhicules plus respectueux des personnes et de l’environnement» et approuvé pour chacune d’elles un contre-projet indirect.
– L’initiative populaire «Eaux vivantes» a été retirée en faveur du contre-projet indirect adopté par le parlement l’année précédente.
– Suite au second refus d’entrer en matière du Conseil national, le projet de ratification des protocoles de mise en œuvre de la Convention alpine a été définitivement liquidé.
– Contre l’avis du Conseil fédéral, le parlement a renouvelé le Fonds suisse pour le paysage pour une durée de dix ans.

Population et travail:
– La population résidente permanente de la Suisse a franchi la barre des 7.8 millions de personnes à la fin de l'année sous revue.
– Le nombre de chômeurs est demeuré relativement élevé, atteignant 3.9 pourcent en moyenne.
– Le salaire nominal a progressé de 0.8 pourcent, alors que les salaires réels sont demeurés pratiquement inchangés.
– Plusieurs nouvelles conventions collectives de travail – à Swissport et Dnata, ISS Aviation, Swiss, CFF et à Lidl – ont été conclues.

Santé, assistance sociale, sport:
– Le Conseil national a adopté des mesures pour inclure des connaissances de médecines complémentaires dans la formation du personnel médical.
– La chambre basse a accepté diverses propositions (voir aussi la) afin de lancer une campagne de formation continue et de formation de base dans le domaine des soins.
– Le Conseil fédéral a mis en consultation une nouvelle loi sur l’alcool.
– La Confédération, les cantons, les communes et les villes se sont rencontrés en novembre dans le cadre d’une première conférence nationale sur la pauvreté.
– Le Conseil national et le Conseil des Etats ont débattu du message relatif à la loi sur l’encouragement au sport.

Assurances sociales:
– Le Conseil national a refusé les mesures relatives aux prestations de la 11e révision de l‘AVS.
– Le parlement (Conseil d'états, Conseil national) a traité le premier paquet de mesures de la 6e révision de l’AI.
– Les chambres ont approuvé les révisions de la LPP concernant le financement des institutions de prévoyance de droit public et la réforme des structures de la prévoyance professionnelle.
– Le peuple a rejeté l’adaptation du taux minimal de conversion des rentes LPP.
– Le Conseil national a refusé la révision de la LAMal comportant des mesures visant à contenir la croissance des coûts mais il a traité celle relative au Managed Care.
– La chambre basse a renvoyé au Conseil fédéral le projet de modification de la loi sur l’assurance accident.
– Le parlement et le peuple ont approuvé la 4e révision de la loi sur l’assurance chômage.

Groupes sociaux:
– Le peuple et les cantons ont approuvé l’initiative populaire pour le renvoi des criminels étrangers; le contre-projet du parlement a par contre été rejeté.
– Les chambres ont adopté une loi sur la coordination entre la procédure d’asile et la procédure d’extradition.
– Un comité issu des milieux chrétiens-conservateurs a lancé une initiative populaire pour la suppression du remboursement des coûts de l’avortement du catalogue de prestations de l’assurance maladie obligatoire.
– Les chambres ont décidé une prolongation des aides financières en faveur de l’accueil extrafamilial et extrascolaire des enfants.
– Le Conseil fédéral a soumis au parlement une révision totale de la loi sur les activités de jeunesse.

Enseignement et recherche:
– La Suisse a signé un accord sur la formation avec l’UE.
– La Romandie et le Tessin ont adopté un plan d’études commun pour l’école obligatoire.
– Lors de la session d’automne, la chambre haute a adopté une nouvelle loi fédérale sur l’aide aux universités et la coordination dans le domaine des hautes écoles.
– L’Union nationale des étudiants de Suisse a lancé une initiative populaire en faveur d’une unification nationale et d’une hausse générale des bourses d’études.
– Lors de la votation populaire du 7 mars, un nouvel article constitutionnel concernant la recherche sur l’être humain a été approuvé par 77.2 pourcent des voix.

Culture, langues, églises:
– Le DFI a lancé une procédure d’audition concernant le message sur la culture.
– Après les délibérations du Conseil des Etats, le projet de loi fédérale sur la réglementation du prix du livre est allé en procédure d’élimination des divergences.
– L’ordonnance d’application de la loi sur les langues est entrée en vigueur le 1er juillet.
– La Conférence des évêques suisses a renforcé son engagement dans la lutte contre les abus sexuels au sein de l’Eglise catholique.
– Le résultat du vote sur l’initiative anti-minarets a débouché sur un intense débat politique au sujet du rôle de l’Islam en Suisse.

Médias:
– Lors de la révision de la loi sur la Poste, le parlement a décidé de maintenir l’aide indirecte à la presse; le Conseil fédéral s’est par ailleurs vu confier l’examen d’alternatives à celle-ci.
– Autant en Suisse alémanique qu’en Suisse romande, la concentration du marché de la presse s’est poursuivie à travers des changements importants de propriétaire au sein des maisons d’édition de Basler Zeitung Medien, de Tamedia, de NZZ et de Rhône Media SA.
– La SSR a fait face à son cinquième déficit successif, parvenant toutefois à réaliser les parties les plus importantes de son projet de convergence.
– L’accord MEDIA entre la Suisse et l’UE est entré en vigueur. Il assouplit les prescriptions publicitaires pour les télévisions publiques et privées. Le Conseil fédéral a créé un groupe de travail chargé d’élaborer une stratégie de cyber-défense et a adopté un programme de prévention «protection de la jeunesse face aux médias et compétences médiatiques».
– Le Seco a lancé le projet pilote Suisse-ID visant à améliorer la sécurité de la transmission électronique de données.

Jahresrückblick / Rétrospective annuelle 2010
Dossier: Rétrospectives annuelles 2004 à 2014

Auf verschiedene Ereignisse, die der alten Diskussion um eine Regierungsreform neue Nahrung gegeben hatten, wurde mit zahlreichen Ideen und Vorstössen für eine Regierungsreform reagiert. Die Vorschläge – Amtszeiten, Anzahl Regierungsmitglieder, Regierungszusammensetzung, Umgestaltung der Departemente – waren allerdings allesamt nicht neu und weiterhin politisch umstritten. Verschiedene Vorstösse zielten auf eine Reform der Amtszeit ab. Eine Motion Cramer (gp, GE) (Mo. 10.3135) sah ein Verbot von Bundesratsrücktritten während der Legislatur vor. Die Motion, die noch im Frühling vom Ständerat angenommen worden war, hatte mit den unkoordinierten Rücktritten der Bundesräte Leuenberger und Merz Rückenwind erhalten. Trotzdem hatte der Vorstoss im Nationalrat keine Chance. Gleich zwei Anliegen verfolgten die Amtszeitbeschränkung für Bundesräte auf acht Jahre. Aber weder die parlamentarische Initiative Wasserfallen (fdp, BE) (Pa.Iv. 09.482) noch die parlamentarische Initiative Moret (fdp, VD) (Pa.Iv. 09.494) fanden in der grossen Kammer Gehör. Die Nationalräte folgten ihrer Kommission, welche keinen Handlungsbedarf sah, da die mittlere Amtsdauer seit dem 2. Weltkrieg bereits bei etwa acht Jahren liege. Am meisten Sukkurs erhielt die Idee einer Verlängerung der Amtszeit des Bundespräsidiums. Bundesrat Leuenberger, die Grünen, die CVP und die FDP äusserten sich grundsätzlich positiv zur Idee einer Amtszeitverlängerung für das Bundespräsidium, obschon eine Motion Hodgers (gp, GE) (Mo. 10.3108), die eine Ausdehnung der Bundespräsidentschaft auf vier Jahre vorsah, im Nationalrat in der Sommersession diskussionslos abgelehnt worden war.

Reform der Amtszeit Verbot von Bundesratsrücktritten Amtszeitbeschränkung Verlängerung der Amtszeit des Bundespräsidiums

Au début de l’année sous revue, dans le cadre de l’affaire des otages en Libye, la CPE-CE a approuvé les mesures restreignant l’accès aux visas Schengen pour certains ressortissants libyens. En guise de rétorsion, la Libye a interdit de séjour les ressortissants de l’espace de Schengen afin de casser la solidarité administrative européenne. Cela a entraîné une européanisation du conflit, les Etats de l’UE se voyant handicapés dans leur relation avec la Libye. Si l’Allemagne, puis l’Espagne, qui assure alors la présidence de l’UE, ont proposé leurs services en tant que médiateurs dans le conflit, l’Italie a protesté contre la Suisse, l’accusant de prendre en otage tous les Etats Schengen.

En Libye, les procès des deux Suisses retenus à Tripoli ont repris après de multiples reports. Ces derniers ne s’étaient jusque là pas présentés aux audiences craignant d’être à nouveau enlevés. La Cour d’appel libyenne a acquitté l’un des otages suisses et a condamné l’autre à quatre mois de prison. Au niveau diplomatique, les deux parties en conflits se sont réunies sous l’égide de l’UE qui souhaite que la crise se règle rapidement. La Suisse a accepté de mener une enquête sur la divulgation des photos de l’arrestation d’Hannibal Kadhafi. A la fin du mois de février, les autorités libyennes ont menacé de prendre d’assaut l’ambassade suisse de Tripoli. Certains pays de l’UE ont musclé leur soutien en dépêchant leur ambassadeur au sein de l’ambassade helvétique. Les deux Suisses se sont toutefois vus obligés de se rendre aux autorités. Celui qui a été acquitté a pu sortir du pays grâce au soutien de diplomates arabes, tandis que l’autre a été conduit en prison pour purger sa peine. Malgré les négociations, une demande de grâce n’a jamais abouti. Parallèlement, la Lybie a lancé une campagne de propagande qui a conduit à la création d’un front hostile à la Suisse au sein de l’espace Schengen. Dans le même temps, la justice genevoise a donné raison à Hannibal Kadhafi concernant la responsabilité de l’Etat de Genève dans la diffusion des photos d’identité prises lors de son arrestation, elle a toutefois rejeté le versement de la somme demandée à titre d’indemnisation.

En juin, le second otage a été libéré deux jours avant sa sortie annoncée. Micheline Calmy-Rey s’est rendue à Tripoli et a signé un plan d’action avec la Libye, l’Allemagne et l’Espagne, afin de normaliser les relations bilatérales. Micheline Calmy-Rey s’est excusée auprès de Tripoli de la publication des photos dans la presse et a remercié l’UE pour son soutien dans cette crise.

A la suite de cette affaire, le parlement a décidé de créer une sous-commission afin d’examiner la conduite du Conseil fédéral et de publier un rapport relatif à la gestion de l’affaire libyenne. Au Conseil fédéral, de fortes tensions se sont manifestée impliquant Micheline Calmy-Rey, Hans-Rudolf Merz, Doris Leuthard et Ueli Maurer. Par ailleurs, la conférence des gouvernements cantonaux a apporté son soutien au canton de Genève en affirmant que la mise en place d’un tribunal arbitral international ne respecte pas les prérogatives genevoises. En fin d’année, la sous-commission a rendu son rapport mettant en avant un manque de communication au sein du gouvernement. Si elle attaque fortement les actions de Hans-Rudolf Merz, de Micheline Calmy-Rey et, dans une moindre mesure, d’Ueli Maurer, elle souligne surtout les dysfonctionnements collectifs dans la gestion de la crise comme ce fut le cas dans l’affaire UBS.

L'affaire libyenne