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Acteurs

  • Metzler, Ruth (cvp/pdc) alt-BR/ex-CF
  • Zuppiger, Bruno (svp/udc, ZH) NR/CN
  • Amstutz, Adrian (svp/udc, BE) NR/CN

Processus

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Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass auch der Parlamentsbetrieb mit verschiedenen Ratings und Rankings vermessen werden kann, welche die Arbeit, den Einfluss oder die ideologische Positionierung der Parlamentsmitglieder zu bestimmen versuchen. Der Versuch, anschauliche Ranglisten zu erstellen und so auch durch Personalisierung die Komplexität von Politik zu reduzieren, dient vor allem den Medien, die sich auch 2019 den verschiedenen Analysen widmeten.

Den Beginn machte Anfang Juli eine neue Plattform namens «politik.ch» mit einer Auswertung der Präsenz während der ganzen bisherigen 50. Legislatur. «Präsenz» wurde dabei mit der Teilnahme an den total 4'076 Abstimmungen, die im Nationalrat bis zur vorletzten Session durchgeführt wurden, gemessen. Zum «Absenzenkönig von Bern» – so die Aargauer Zeitung, die über die Studie berichtete – wurde Roger Köppel (svp, ZH) gekürt. Er habe 22.4 Prozent aller Abstimmungen «geschwänzt», gefolgt von Martin Bäumle (glp, ZH; 21.9%) und Hans Grunder (bdp, BE; 21.7%). Frauen stimmten tendenziell disziplinierter ab, schloss die Zeitung, weil sich am anderen Ende der Skala Andrea Geissbühler (svp, BE), Barbara Keller-Inhelder (svp, SG) und Sandra Sollberger (svp, BL) fanden, die alle weniger als sechs der über 4'000 Abstimmungen verpasst hatten. Die Aargauer Zeitung liess die Protagonisten zu Wort kommen. Bei wichtigen Abstimmungen sei er vor Ort, nicht aber, wenn «das ausufernde Berufsparlament mit sich selbst beschäftigt» sei, verteidigte sich Roger Köppel. «Das Volk» habe sie ins Parlament gewählt und erwarte, dass sie an den Abstimmungen teilnehme, befand hingegen Andrea Geissbühler. Im Schnitt hatten die Nationalrätinnen und Nationalräte drei Prozent der Abstimmungen verpasst. Im Tages-Anzeiger wurde daran erinnert, dass «immer brav auf dem ehrwürdigen Nationalratssessel zu sitzen» nicht mit politischem Einfluss gleichzusetzen sei. Die wichtigsten Entscheidungen fielen nicht im Ratssaal, sondern «in den Kommissionen, in den Hinterzimmern des Bundeshauses und den Salons des Bellevue-Hotels».

Einen Versuch, diese Art von Einfluss zu messen, unternahm die Sonntagszeitung mit ihrem alle zwei Jahre publizierten «Parlamentarier-Rating». Hier erhält Punkte, wer viele Reden hält, in wichtigen Kommissionen sitzt und erfolgreich Vorstösse einreicht; wer innerhalb der eigenen Partei wichtige Funktionen innehat, einer starken Fraktion angehört, hohe Medienpräsenz hat und ausserhalb des Parlaments gut vernetzt ist. Wie schon zwei Jahre zuvor wies die Zeitung SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) als «mächtigsten» Parlamentarier aus, gefolgt von Pirmin Bischof (cvp, SO) und Thomas Aeschi (svp, ZG). Levrat sei «immer dabei, wenn es in der Schweizer Politik etwas anzuschieben oder zu blockieren» gelte. Allerdings falle die SP-interne grosse Lücke hinter Levrat auf. In den Top Ten gebe es kein weiteres SP-Mitglied, was darauf hindeute, dass die parteiinterne Erneuerung wohl noch nicht geschafft sei. Ausgerechnet bei den Frauen schneide die SP schlecht ab. Unter den 15 höchst bewerteten Frauen – diese Liste wurde von Tiana Angelina Moser (glp, ZH; total Rang 6) und Lisa Mazzone (gp, GE; Rang 13) angeführt – fänden sich lediglich zwei Genossinen: Maria Carobbio Guscetti (sp, TI; Rang 23) und Barbara Gysi (sp, SG; Rang 34). Für das Rating berücksichtigt wurden nur jene Parlamentsmitglieder, die seit Beginn der Legislatur in den Räten gesessen hatten und bei den eidgenössischen Wahlen 2019 wieder antreten wollten. Entsprechend war der 173. Rang auch der letzte. Dort befand sich Bruno Walliser (svp, ZH). Indem die Sonntagszeitung die Rangierung hinsichtlich Medienpräsenz mit der Gesamtrangierung verglich, machte sie auch «die grössten Blender» aus. Die drei Zürcher Abgeordneten Claudio Zanetti (svp), Roger Köppel (svp) und Regine Sauter (fdp) seien zwar «Lieblinge der Medien», spielten im Parlament aber «eine bescheidene Rolle».

Auf der Basis der Abstimmungen im Nationalrat berechnete die Sonntagszeitung in einer weiteren Analyse, wie häufig alle Volksvertreterinnen und -vertreter bei Gesamtabstimmungen in der 50. Legislatur zur Mehrheit gehört hatten. Wenig überraschend fanden sich auf den vorderen Rängen – die Sonntagszeitung nannte sie «die Erfolgreichsten» – Mitglieder der CVP- und der BDP-Fraktion, die jeweils mit links oder rechts oder innerhalb einer grossen Koalition Mehrheiten schaffen. Angeführt wurde die Liste von Elisabeth Schneider-Schneiter (cvp, BL), die bei 98.5 Prozent aller Gesamtabstimmungen gleich wie die Mehrheit gestimmt hatte, was ihr in der Weltwoche den Titel «[d]ie mit dem Strom schwimmt» einbrachte. Auf Platz zwei und drei folgten Viola Amherd (cvp, VS; 98.3%) und Géraldine Marchand-Balet (cvp, VS; 98.2%). Bei den 68 «Erfolglosesten» handelte es sich durchgängig um SVP-Fraktionsmitglieder, angeführt von Erich Hess (svp, BE; 46.8%), Toni Brunner (svp, SG; 48.8)%) und Pirmin Schwander (svp, SZ; 49.8%).

Mitte Oktober warteten dann schliesslich die NZZ und Le Temps mit ihrem alljährlich erscheinenden «Parlamentarier-Rating» auf. Erneut wiesen die auf der Basis des Abstimmungsverhaltens vorgenommenen Positionierungen der Parlamentsmitglieder auf einer Skala von -10 (ganz links) bis +10 (ganz rechts) auf eine zunehmende Homogenisierung innerhalb der Parteien hin. Insbesondere an den Polen habe die Fraktionsdisziplin ein noch nie gekanntes Ausmass erreicht, so die NZZ. So hätten sich die Mitglieder der SP-Fraktion vor den Wahlen 2015 auf einer Skalen-Spannweite von 3.4 Punkten verteilt, im aktuellen Rating betrage dieser Wert lediglich noch 1.2 Punkte. Die Extrempositionen in der SP besetzten im aktuellen Rating Silvia Schenker (sp, BS; -10.0) und Adrian Wüthrich (sp, BE; -8.8). Eine im Vergleich zu 2015 wesentlich grössere Fraktionsdisziplin wiesen bei dieser Berechnung auch die Grünen auf. Lagen das am meisten linke und am meisten rechte grüne Fraktionsmitglied 2015 noch um 2.7 Skalenpunkte auseinander, trennten Maya Graf (gp, BL; -9.2) und die drei ganz am linken Rand politisierenden Michael Töngi (gp, LU; -10.0), Irène Kälin (gp, AG; -10.0) und Regula Rytz (gp, BE; -10.0) im Jahr 2019 lediglich noch 0.8 Skalenpunkte. Damit waren die Grünen im Durchschnitt erstmals seit 2011 wieder weiter links positioniert als die SP: «Les Verts n'ont jamais été aussi à gauche», war dies Le Temps gar die Überschrift der Analyse wert. Am anderen Ende der Skala, bei der SVP, verringerte sich der Wert der Spannweite von 3.7 auf 1.2 Punkte – ohne Berücksichtigung von Roberta Pantani (lega, TI), die zwar der SVP-Fraktion angehört, aber die Lega vertritt und mit einem Wert von 8.2 die am weitesten «linke» Position in der SVP-Fraktion im Nationalrat vertrat. Gleich drei SVP-Nationalräte politisierten ganz rechts aussen und wiesen einen Skalenwert von 10.0 aus: Toni Brunner, Luzi Stamm (svp, AG) und Adrian Amstutz (svp, BE). Jean-Pierre Grin (svp, VD) fand sich bei Position 8.8 und war damit das am weitesten links positionierte Mitglied der SVP im Nationalrat. Selbst bei der CVP war eine Disziplinierung festzustellen: Es zeigte sich im Vergleich zu 2015 ein Rückgang der Spannweite von 3.6 auf 2.6 Punkte, wobei die Fraktion im Vergleich zum Vorjahr zahlreiche Mitglieder leicht rechts von der Mitte aufwies und sich von -1.0 (Dominique de Buman; cvp, FR) bis 1.6 (Philipp-Matthias Bregy; cvp, VS) erstreckte. Die der CVP-Fraktion angehörenden EVP-Mitglieder waren wesentlich weiter links als ihre Fraktion: Niklaus Gugger (ZH) wurde auf der Skala bei -4.2 und Marianne Streiff-Feller (BE) bei -4.3 eingestuft. Die restlichen drei Fraktionen hingegen waren im Vergleich zu 2015 heterogener geworden. Bei der FDP war die Zunahme von 2.5 auf 2.6 Skalenpunkte freilich minim. Die Fraktionsgrenzen wurden bei den Freisinnigen von Walter Müller (fdp, SG; 4.5) und Christa Markwalder (fdp, BE; 1.9) eingenommen. Grössere Sprünge machten die BDP und die GLP. Während sich bei der BDP die Spannweite im Vergleich zu 2015 von 1.2 auf 2.0 fast verdoppelte – wie schon 2015 deckte Rosmarie Quadranti (bdp, ZH; -1.7) die linke Flanke ab, während sich Hans Grunder (bdp, BE; 0.3) am rechten Rand der BDP positionierte – wuchs die Heterogenität innerhalb der traditionell eigentlich sehr homogenen GLP von 0.5 auf 2.7 Skalenpunkte an. Hauptgrund dafür war Daniel Frei (glp, ZH), der von der SP in die GLP gewechselt hatte und mit seiner Position von -5.7 zwar weit weg vom rechten Rand der SP (-8.8), aber auch weit weg vom linken Rand der bisherigen GLP-Mitglieder war. Dieser wurde von Kathrin Bertschy (glp, BE; -3.5) eingenommen, die in der Tat lediglich 0.5 Skalenpunkte von Martin Bäumle (-3.0), also dem rechten GLP-Rand, positioniert war. Die politische Landschaft verarme, schloss die NZZ aus diesen Zahlen. Vor allem zwischen den Mitte- und den Polparteien klaffe eine Lücke. Dort hätten früher moderate SVP- und SP-Vertreter als Brückenbauer gewirkt. Schuld für die zunehmende Fraktionsdisziplin seien aber nicht nur die Parteizentralen, sondern auch die wachsende Zahl an zu behandelnden Geschäften, bei denen Parlamentsmitglieder keine fundierte eigene Meinung mehr bilden könnten und deshalb gemäss der Empfehlung der Parteileitung stimmten.
Die zahlreichen auf die neue Legislatur 2019 bis 2023 hin angekündigten Rücktritte im Ständerat veranlasste die Verfasser des Ratings zur Spekulation eines Rechtsrutschs der kleinen Kammer nach den Wahlen 2019. Die politische Mitte des Ständerats befinde sich bei Pirmin Bischof, also bei -2.8. Da elf zurücktretende Kantonsvertreterinnen und -vertreter links und lediglich sieben rechts von Bischof seien und alle zurücktretenden im Schnitt deutlich linker (-5.3) positioniert seien als die wieder antretenden (-2.3), stellten die Ständeratswahlen vor allem für Mitte-Links eine Herausforderung dar, so die NZZ. Eindrücklich liess sich dies anhand von Raphaël Comte (fdp, NE) nachzeichnen. Der Neuenburger Freisinnige positionierte sich mit -5.7 näher bei Daniel Jositsch (sp, ZH), der mit -6.8 den rechten Rand der SP in der kleinen Kammer besetzte, als bei seinem am weitesten rechts positionierten Fraktionskollegen Philipp Müller (fdp, AG; 4.5) und dem Schnitt der FDP (2.3). Da Comte nicht mehr antrete, sei wohl auch in der FDP mit einem Rechtsrutsch in der kleinen Kammer zu rechnen.

Nationalratsrating

Lange Zeit waren die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats fast eine Pflichtübung. Das hatte vor allem damit zu tun, dass die eidgenössischen Wahlen lange Jahre kaum politische Verschiebungen nach sich zogen. Zwar war die alte Zauberformel (2 CVP, 2 FDP, 2 SP, 1 SVP) mit dem Wahlerfolg der SVP stark hinterfragt und schliesslich nach einigen Jahren der Transition mit mehr oder weniger gehässigen und aufreibenden Regierungswahlen, der Nichtwiederwahl von Ruth Metzler (2003) sowie Christoph Blocher (2007) und einem Intermezzo der BDP in der Regierung gesprengt worden. Nach den eidgenössischen Wahlen 2015, dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf aus der nationalen Exekutive und dem Einzug eines zweiten SVP-Regierungsmitglieds schien dann aber eine neue Formel gefunden: 2 FDP, 2 SP, 2 SVP, 1 CVP.

Schon im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2019 war freilich spekuliert worden, dass die Grüne Partei die CVP hinsichtlich des Wähleranteils überflügeln könnte und damit einen Anspruch auf einen Sitz in der nationalen Regierung hätte – umso mehr, wenn sich die Grünen mit der GLP quasi zu einem gemeinsamen Sitz für die «Öko-Parteien» zusammenraufen könnten, wie die Aargauer Zeitung spekulierte. Falls sich die CVP halten könnte, wäre auch der Angriff auf einen der beiden FDP-Sitze denkbar, so die Hypothese zahlreicher Medien. Die angegriffenen Parteien wehrten sich mit dem Argument, dass eine Partei ihren Wahlerfolg zuerst bestätigen müsse, bevor sie einen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erhalten könne. Dies sei auch bei der SVP der Fall gewesen – so etwa FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) bereits Mitte August 2019 in der Zeitung Blick. Zudem dürfe nicht nur der Wähleranteil bei den Nationalratswahlen in die Berechnung einfliessen, sondern man müsse auch die Vertretung im Ständerat berücksichtigen. Martin Bäumle (glp, ZH), Ex-Präsident der GLP, gab zudem zu verstehen, dass ein Öko-Lager aus GP und GLP kaum denkbar sei; zu unterschiedlich sei man in diversen Sachfragen. Ebenfalls früh wurde in den Medien über einen möglichen Rücktritt von Ueli Maurer spekuliert, was aus der vermeintlichen Pflichtübung eine spannende Wahl gemacht hätte. Maurer gab dann allerdings Anfang November bekannt, noch eine weitere Legislatur anzuhängen.

Die aussergewöhnlichen Erfolge der Grünen Partei bei den eidgenössischen Wahlen 2019 gaben dann den Diskussionen über die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats sehr rasch wieder ganz viel Nahrung und schafften Raum für allerlei Reformvorschläge zur Bestimmung der Landesregierung. In der Tat hatten die Grünen mit 13 Prozent Wähleranteil die CVP (11.4%) deutlich überflügelt und als viertstärkste Partei abgelöst. Die GLP kam neu auf 7.8 Prozent. Die NZZ rechnete vor, dass die aktuelle Regierung so wenig Wählerinnen und Wähler vertrete wie zuletzt vor 60 Jahren. Die Grünen und die Grünliberalen hätten rein rechnerisch ein Anrecht auf je einen Bundesratssitz.
Neben den medial zahlreich vorgetragenen Berechnungen wurde allerdings auch inhaltlich und historisch argumentiert. Der Einbezug in die Regierung sei immer auch an den Umstand geknüpft gewesen, dass eine Oppositionspartei auch in verschiedenen Sachthemen glaubhaft ihre Referendumsmacht ausspielen könne, wurde etwa argumentiert. Zwar sei das Klimathema wichtig und würde wohl auch nachhaltig bleiben, die Grünen und die GLP müssten aber – wie auch die SVP mit ihren gewonnenen Volksbegehren – mit Abstimmungserfolgen ihren Anspruch noch untermauern, so ein Kommentar in der NZZ. Die Grünen würden trotz Wahlgewinnen keinen Regierungssitz erhalten, weil «niemand Angst vor ihnen hat», wie die Aargauer Zeitung diesen Umstand verdeutlichte. Argumentiert wurde zudem, dass eine «Abwahl» – eigentlich handelt es sich um eine Nichtwiederwahl – nicht dem politischen System der Schweiz entspreche. Es brauche mehrere Wahlen, bei denen sich eine Partei konsolidieren müsse, um die Stabilität in der Regierung auch über längere Zeit zu gewährleisten, kommentierte dazu der Blick.

Der Tages-Anzeiger führte gar eine Umfrage durch, die aufzeigte, dass eine Mehrheit der Befragten die Zeit für einen grünen Bundesrat noch nicht für gekommen hielt. Wer ein grünes Bundesratsmitglied jedoch befürwortete (rund 40% der Befragten), wünschte sich, dass dies auf Kosten eines Sitzes der SVP (50%) oder der FDP (21%), aber eher nicht auf Kosten der CVP (10%) oder der SP (6%) gehen solle.
Für die WoZ war allerdings klar: «Cassis muss weg!» In der Tat forderte auch Regula Rytz (gp, BE) via Medien, dass die FDP freiwillig auf einen Sitz verzichte, da sie als lediglich drittgrösste Partei keinen Anspruch auf zwei Sitze habe. In der Folge schienen sich die Medien dann in der Tat vor allem auf den zweiten Sitz der FDP einzuschiessen. Freilich wurden auch andere Modelle diskutiert – so etwa ein von Christoph Blocher in der Sonntagszeitung skizziertes Modell mit der SVP, die zwei Sitze behalten würde, und allen anderen grösseren Parteien (SP, FDP, CVP, GP, GLP) mit je einem Sitz –, «sämtliche Planspiele» drehten sich aber «um einen Namen: Aussenminister Ignazio Cassis», fasste die Aargauer Zeitung die allgemeine Stimmung zusammen. Er sei «der perfekte Feind», «visionslos und führungsschwach». Der Aussenminister befinde sich im «Trommelfeuer» befand die Weltwoche. Häufig wurde seine Haltung im Europadossier kritisiert und entweder ein Rücktritt oder wenigstens ein Departementswechsel gefordert. Mit Ersterem müsste allerdings die Minderheitenfrage neu gestellt werden, war doch die Vertretung des Tessins mit ein Hauptgrund für die Wahl Cassis im Jahr 2017. Der amtierende Aussenminister selber gab im Sonntags-Blick zu Protokoll, dass er sich als Tessiner häufig benachteiligt fühle und spielte so geschickt die Minderheitenkarte, wie verschiedene Medien tags darauf kommentierten. Die Sonntags-Zeitung wusste dann noch ein anderes Szenario zu präsentieren: Einige SVP-Parlamentarier – das Sonntagsblatt zitierte Andreas Glarner (svp, AG) und Mike Egger (svp, SG) – griffen Simonetta Sommaruga an und forderten, dass die SP zugunsten der Grünen auf einen Sitz verzichten müsse. Die CVP sei in «Versuchung», wagte sich dann auch die NZZ in die Debatte einzuschalten. Würde sie Hand bieten für einen grünen Sitz auf Kosten der FDP, dann könnte sie im Bundesrat «das Zünglein an der Waage» spielen und Mehrheiten nach links oder nach rechts schaffen. Die NZZ rechnete freilich auch vor, dass grün-links mit zusammen rund 30 Prozent Wähleranteil mit drei von sieben Regierungssitzen klar übervertreten wäre, denn die GLP dürfe man nicht zu den Grünen zählen. Dies hatten vor allem die Grünen selbst implizit immer wieder gemacht, indem sie vorrechneten, dass die GLP und die GP zusammen auf 21 Prozent Wähleranteile kämen.

Neben Kommentaren und Planspielen warteten die Medien auch mit möglichen grünen Bundesratsanwärterinnen und -anwärtern auf. Häufig gehandelte Namen waren die scheidende Parteipräsidentin Regula Rytz, die Waatländer Staatsrätin Béatrice Métraux (VD, gp), die Neo-Ständerätin Maya Graf (gp, BL), der Berner alt-Regierungsrat Bernhard Pulver (BE, gp), der amtierende Fraktionschef der Grünen, Balthasar Glättli (gp, ZH) oder der Zürcher Nationalrat Bastien Girod (gp, ZH). Ins Gespräch brachte sich zudem der Genfer Staatsrat Antonio Hodgers (GE, gp).

Die Grünen selber gaben sich lange Zeit bedeckt und waren sich wohl auch bewusst, dass eine Kampfkandidatur nur geringe Chancen hätte. Sie entschieden sich zwar an ihrer Delegiertenversammlung Anfang November in Bern für eine forschere Gangart und forderten einen grünen Bundesratssitz – Regula Rytz sprach davon, dass vorzeitige Rücktritte aus dem Bundesrat ein Ärgernis seien, weil sie Anpassungen nach Wahlverschiebungen erschweren würden. Mit der Forderung war einstweilen aber noch kein Name verknüpft, was der Partei prompt als «Lavieren» ausgelegt wurde (Blick). «Der grüne Favorit», wie der Tages-Anzeiger Bernhard Pulver betitelte, sagte Mitte November, dass er nicht zur Verfügung stehe. Auch der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (BE, gp) und die Aargauer alt-Regierungsrätin Susanne Hochuli (AG, gp), die ebenfalls als Kandidierende gehandelt worden waren, sagten via Medien, dass sie nicht zur Verfügung stünden.
Die «Kronfavoritin» (Tages-Anzeiger) Regula Rytz ihrerseits stand im zweiten Umgang der Ständeratswahlen im Kanton Bern. Ihr wurden intakte Chancen eingeräumt und wohl auch um diese nicht zu gefährden, versicherte sie, dass sie auf eine Bundesratskandidatur verzichten würde, sollte sie für den Kanton Bern in die kleine Kammer gewählt werden. Da sie dies allerdings verpasste, kündigte die Bernerin rund 20 Tage vor den Bundesratswahlen ihre Kandidatur an – noch bevor die Fraktion offiziell beschlossen hatte, eine Kandidatur einzureichen. Nach einer solchen Richtungswahl, wie es die eidgenössischen Wahlen gewesen seien, könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, erklärte sie gegenüber der Presse. Sie wolle für die Menschen und die Natur Verantwortung übernehmen. Ihr Angriff gelte aber nur dem FDP-Sitz von Ignazio Cassis. Würde sie für ein anderes Regierungsmitglied gewählt, würde sie die Wahl nicht annehmen – so die Bernerin. Die Fraktion der Grünen gab dann allerdings tags darauf bekannt, dass es nicht um die Person, sondern um die Übervertretung der FDP gehe. Ein Angriff auf Karin Keller-Sutter schien damit nicht wirklich ausgeschlossen. Die nach aussen als wenig abgesprochen erscheinende Strategie für die Ansage der Kampfwahl brachte der GP Kritik ein. Die Partei zeige sich «unbeholfen» und der Start sei «misslungen», urteilte etwa die NZZ. Auch die Weltwoche redete von einem «verpatzten Start» und die Sonntagszeitung sprach gar von dilettantischem Vorgehen. Es sei, als wären die Grünen ein Sprinter, der kurz vor dem Ziel auf die Uhr schaue und sich hinknie, um die Schuhe zu binden, so die Zeitung weiter.

Eine medial oft diskutierte Frage im Vorfeld der Wahlen war, welche Parteien die Grünen in ihrem Anliegen unterstützen würden. Klar schien, dass die FDP nicht Hand bieten würde. Auch die SVP würde – wenn überhaupt – die GP nur auf Kosten der SP unterstützen. Die CVP bzw. die neue Mitte-Fraktion (CVP zusammen mit BDP und EVP) entschied, Rytz nicht einmal zu einem Hearing einzuladen. Man sei nicht gegen eine grüne Vertretung in der Regierung, es sei aber «etwas zu früh», liess sich CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) in der Sonntagszeitung zitieren. Die GLP und die SP gaben bekannt, Rytz vor den Wahlen anhören zu wollen. Für Schlagzeilen sorgte dabei SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR), der die CVP aufforderte, mitzuhelfen, die Grünen in die Regierung zu hieven. Die Schweiz wäre sonst die einzige Demokratie, in der Wahlen keine Auswirkungen auf die Regierungszusammensetzung hätten. Zudem würde sich die Weigerung der CVP wohl über kurz oder lang rächen. Bei der GLP zeigte sich das Dilemma zwischen ökologischem und liberalem Gedankengut. Insbesondere in der Europafrage fanden sich die GLP und der amtierende Aussenminister eher auf der gleichen Linie. Für Rytz spreche das ökologische Anliegen, gegen sie ihre eher linke Ausrichtung, erklärte Tiana Moser (glp, ZH) dann den Entscheid für Stimmfreigabe der GLP. Zudem würde Rytz ohne Absprache mit den Grünliberalen den «Sitz der Ökokräfte» für sich beanspruchen. Letztlich stellte sich einzig die SP-Fraktion offiziell hinter Rytz. Die eher laue Unterstützung und der Versuch der amtierenden Regierungsparteien, die eigene Macht zu zementieren, mache das Unterfangen «grüne Bundesrätin» für Regula Rytz zu einer «mission impossible», fasste die Zeitung Le Temps die Situation dann kurz vor den Wahlen zusammen.

Nicht die Medien, nicht Umfragen und «nicht die Wahlprozente» (NZZ), sondern die Vereinigte Bundesversammlung bestimmt freilich letztlich, welche Parteien in der Regierung vertreten sein sollen. Und diese Entscheidung brachte das Resultat, das viele im Vorfeld aufgrund der Aussagen der verschiedenen Parteien auch erwartet hatten: die Wiederwahl aller Amtierenden und das Scheitern des Angriffs der Grünen. Auch die Ansprachen der Fraktionschefinnen und -chefs im Vorfeld der einzelnen Wahlen – die Erneuerungswahlen finden in der Reihenfolge der Amtszeit der Bundesratsmitglieder statt – machten dies bereits deutlich. Die CVP plädierte für Konkordanz und Stabilität und die SVP betonte, dass zum Erfolgsmodell Schweiz die angemessene Vertretung der Landesteile in der Regierung gehöre – die Diskriminierung der kleinsten Sprachregion durch die Grüne Partei sei abzulehnen. Die GLP erklärte, dass die Stärkung der ökologischen Anliegen und der Wähleranteil der Grünen zum Vorteil für Rytz gereiche, ihre Positionierung am linken Rand und der fehlende Anspruch von links-grün auf drei Sitze aber gegen sie spreche. Die SP erklärte, die Zauberformel sei keine exakte Wissenschaft, aber die beiden stärksten Parteien sollten zwei Sitze und die restlichen jeweils einen Sitz erhalten, was für Regula Rytz spreche. Die Fraktion der Grünen geisselte den Umstand, dass die Regierungsparteien während der Legislatur Sitze «austauschten» und so bewusst verunmöglichten, dass das Parlament die Resultate nach eidgenössischen Wahlen berücksichtigen könne. Die FDP schliesslich wollte sich einer künftigen Diskussion um eine Anpassung der Zusammensetzung des Bundesrats nicht verschliessen, amtierende Regierungsmitglieder dürften aber nicht abgewählt werden.

Der Angriff der Grünen folgte bei der fünften Wahl, auch wenn der Name Regula Rytz schon bei der Bestätigungswahl von Simonetta Sommaruga auftauchte. Gegen die 145 Stimmen, die Ignazio Cassis erhielt, war Regula Rytz jedoch chancenlos. Sie erhielt 82 Stimmen, was in den Medien als schlechtes Abschneiden kommentiert wurde, hätten doch die Grünen (35 Stimmen) und die SP (48 Stimmen) in der Vereinigten Bundesversammlung gemeinsam über 83 Stimmen verfügt. Weil darunter sicherlich auch ein paar CVP- und GLP-Stimmen seien, müsse dies wohl so interpretiert werden, dass einige SP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier die grüne Konkurrenz fürchteten; Ignazio Cassis könne hingegen zufrieden sein. Von den 244 Wahlzetteln waren 6 leer geblieben und 11 enthielten andere Namen als «Rytz» oder «Cassis».
Schon zuvor hatten die meisten Parlamentsmitglieder auf Experimente verzichtet. Bei der ersten Wahl wurde der amtsälteste Bundesrat, Ueli Maurer, mit 213 von 221 gültigen Wahlzetteln gewählt. 23 der 244 ausgeteilten Bulletins waren leer geblieben und acht auf Diverse entfallen. Beim Wahlgang für Simonetta Sommaruga entfielen 13 Stimmen auf Regula Rytz und 13 Stimmen auf Diverse. Da ein Wahlzettel ungültig war und 25 leer blieben, durfte sich die künftige Bundespräsidentin über 192 Stimmen freuen. Alain Berset erhielt 214 Stimmen. Bei ihm waren 14 Wahlzettel leer geblieben und 16 auf Diverse entfallen. Die Anzahl ungültige (1) und Leerstimmen (39) wuchs dann bei Guy Parmelin wieder an, so dass der Wirtschaftsminister noch 191 Stimmen erhielt – 13 Stimmen entfielen auf Diverse. Einen eigentlichen «Exploit» (Tages-Anzeiger) erzielte Viola Amherd bei der sechsten Wahl. Mit 218 Stimmen erhielt sie die zweitmeisten Stimmen der Geschichte; nur Hans-Peter Tschudi hatte 1971 mehr Stimmen erhalten, nämlich 220. Elf Stimmen blieben leer und 14 entfielen auf Diverse. Eingelangt waren nur noch 243 Wahlzettel. Ein etwas seltsames Gebaren zeigt sich bei der letzten Wahl. Karin Keller-Sutter wurde zwar auch hier im Amt bestätigt, sie erhielt aber lediglich 169 Stimmen, da von den 244 ausgeteilten Wahlzetteln 37 leer und einer ungültig eingelegt wurden und 21 Stimmen auf Marcel Dobler (fdp, SG) sowie 16 auf Diverse entfielen. In den Medien wurde spekuliert, dass dies wohl eine Retourkutsche vor allem von Ostschweizer SVP-Mitgliedern gewesen sei, weil Keller-Sutter sich im St. Galler Ständeratswahlkampf zugunsten von Paul Rechsteiner (sp, SG) ausgesprochen habe.

Der Angriff der Grünen sei zwar gescheitert, dies könne für die Partei aber auch befreiend sein, könne sie nun doch Oppositionspolitik betreiben und mit Hilfe der direkten Demokratie den Druck auf die anderen Parteien erhöhen, urteilte Le Temps nach den Wahlen. Ihr Anspruch auf einen Bundesratssitz sei nach diesen Bundesratswahlen nicht einfach vom Tisch, kommentierte Balthasar Glättli. In zahlreichen Medien wurde zudem die Stabilität des politischen Systems betont – auch der Umstand, dass es zu keinem Departementswechsel kam, obwohl kurz über einen Wechsel zwischen Alain Berset und Ignazio Cassis spekuliert worden war, wurde als Indiz dafür gewertet. Doch Stabilität bedeute nicht Stillstand; die neuen Mehrheiten im Nationalrat müssten sich auch auf die Diskussionen um eine neue Zauberformel auswirken – so die einhellige Meinung der Kommentatoren. An einem vor allem von der CVP geforderten «Konkordanzgipfel» sollten Ideen für die künftige Zusammensetzung der Landesregierung beraten werden. Entsprechende Gespräche wurden auf Frühling 2020 terminiert.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2019
Dossier: Élection du Conseil fédéral depuis 2008

Als grösste Verliererin der Nationalratswahlen 2019 machten die Medien die SVP aus. Im Nationalrat verlor die Partei 12 Mandate (neu: 53 Sitze) und 3.8 Prozentpunkte Wähleranteile (neu: 25.6 Prozent). Die Partei bestätigte damit den negativen Trend, der schon in den kantonalen Erneuerungswahlen ersichtlich gewesen war, blieb aber trotzdem stärkste Kraft im Nationalrat. SVP-alt-Bundesrat Christoph Blocher nannte die Resultate auf Tele Blocher zwar «nicht schön», sie seien aber auch «keine Katastrophe». Die Medien vermuteten, dass die Partei wohl höhere Verluste erwartet habe. Trotz der Verluste erhielt Parteipräsident Albert Rösti (svp, BE) (svp, BE) von der Parteiführung viel Lob: Er sei im Wahlkampf sehr fleissig und präsent gewesen, zitierte die NZZ eine nicht namentlich genannte Person in der SVP-Führung. Auch Christoph Blocher bestätigte in einem Interview, dass ein Wechsel in der Parteileitung als Folge der schlechten Wahlresultate nicht geplant sei.

Im Wahlkampf hatte die SVP bereits im August 2019 für einige Beachtung gesorgt. Sie warb nämlich anfänglich auf einem Plakat für die National- und Ständeratswahlen 2019 mit dem Slogan «Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?». Auf dem Plakat war ein Apfel zu sehen, der von fünf Würmern in den Parteifarben der politischen Gegner und einem Wurm mit einer EU-Flagge zerfressen wurde. Wie Albert Rösti in einem Blick-Interview erklärte, zeige das Plakat die zentrale Botschaft der SVP: Die SVP sei die einzige Partei, die keinen Rahmenvertrag mit automatischer Übernahme von EU-Recht wolle. Die Medien spekulierten, dass die SVP damit versuche, das EU-Thema anstelle des unter hoher Aufmerksamkeit stehenden, aber von der Volkspartei weniger stark bearbeiteten Klimawandels ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen, zumal ein weiteres Kernthema der SVP, nämlich die Asylpolitik aufgrund der niedrigen Asylquoten wohl zu wenig mobilisieren würde.
Das Plakat sorgte in den sozialen Medien für viel Kritik, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Zudem wurde es auch parteiintern kritisiert: Franz Grüter argumentierte in den Medien Medien, dass es eine bessere Bildsprache gäbe, um die Botschaft zu transportieren. Auch der Berner SVP-Kantonalpräsident und Ständeratskandidat Werner Salzmann, der Nationalrat Thomas Burgherr und weitere SVP-Kantonalpolitiker und -politikerinnen äusserten ihre Skepsis gegenüber dem Plakat. Parteipräsident Alfred Rösti verteidigte die Affiche und bestätigte gegenüber dem Sonntags-Blick, dass der «schöne Schweizer Apfel tatsächlich ausgehöhlt wird!». So werde die Schweiz etwa auch durch Abgaben und Steuern oder die Zuwanderung im Innern ausgehöhlt. Auch der Verantwortliche für die Wahlkampagne der SVP, Adrian Amstutz (svp, BE), wies gegenüber der NZZ den Vorwurf zurück, die Partei sei mit dem Motiv zu weit gegangen, und bestätigte, dass der Apfel Hauptsujet der SVP-Wahlkampagne 2019 bleiben werde.

Resultate der SVP bei den Nationalratswahlen

Nach der medial breit begleiteten Empfehlung der Gerichtskommission (GK), Bundesanwalt Michael Lauber nicht für eine Wiederwahl zu empfehlen, starteten in den Medien die Spekulationen, wie sich das Parlament zur Frage entscheiden würde. Lauber habe in allen Fraktionen Gegner und Unterstützer, wusste etwa die NZZ zu berichten. Der Bundesanwalt selber wollte in Fraktions-Hearings seine Position darlegen.

In die Diskussionen schaltete sich auch die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz ein. Sie forderte die Wiederwahl von Lauber. Nicht nur die Fortsetzung entscheidender Projekte würde ansonsten aufs Spiel gesetzt, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen gefährdet, die unter Lauber sehr gut funktioniere.

Die Wiederwahl Laubers wurde zudem vermehrt auch unter institutionellen Gesichtspunkten diskutiert. So weibelte etwa Daniel Jositsch (sp, ZH) für sein Postulat, mit dem er eine Evaluation von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft forderte. Auch der Tages-Anzeiger machte institutionelle Mängel aus: Es liege ein Systemfehler vor, wenn ein Bundesanwalt Wahlkampf betreiben müsse. In der Tat hatte Lauber laut Tages-Anzeiger ein PR-Büro engagiert, um die Parlamentsmitglieder von seiner Wiederwahl zu überzeugen. Zahlreich waren die Vorschläge, wieder zum alten System zurückzukehren, bei dem der Bundesrat für die Wahl des Bundesanwaltes verantwortlich gewesen war, bevor das Parlament 2011 einen Systemwechsel beschlossen hatte.

In den Medien wurde auch die Frage gestellt, weshalb sich Lauber das antue und nicht einfach zurücktrete. Die Aargauer Zeitung vermutete einen pekuniären Grund: Bei einer Abwahl winke ein Jahreslohn, bei einem Rücktritt ginge Lauber wohl leer aus. Der «Blick», der Lauber «gegen den Untergang» rudern sah, fragte sich zudem, wer die Kosten für das PR-Büro und den Anwalt Laubers bezahle. In der Tat eine offene Frage, wie auch die Bundesanwaltschaft selber bestätigte.

Mitte September, zwei Wochen vor dem vorgesehenen Wahltermin, trat Lauber vor der FDP- und der CVP-Fraktion auf. Die FDP empfahl ihn nach dem Gespräch deutlich zur Wiederwahl; dies aus Respekt gegenüber der Unabhängigkeit der Institutionen, wie die Partei, die als «Heimbasis Laubers gilt» (Aargauer Zeitung), verlauten liess. Die CVP, die neben Lauber auch den Präsidenten der Aufsichtsbehörde AB-BA, Hanspeter Uster, eingeladen hatte, gab hingegen keine Wahlempfehlung ab, um eine «Politisierung der Wahl» zu vermeiden, wie die Partei verlautbarte.
Der Vize-Präsident der SP, Beat Jans (sp, BS), verriet der Sonntags-Zeitung, dass seine Fraktion «grossmehrheitlich» gegen Lauber stimmen werde. Er sei für die meisten aufgrund seines Verhaltens nicht wählbar, zudem fehle ihm die Glaubwürdigkeit und Souveränität, um die Bundesanwaltschaft weiter zu führen. Weil auch die SVP in einer früheren Konsultativabstimmung mehrheitlich gegen Lauber gestimmt habe, die Grünen und die BDP den Antrag auf Nicht-Wiederwahl in die GK getragen hätten und auch die CVP gespalten sei, war für die Sonntags-Zeitung «die Rechnung schnell gemacht»: die nötigen 124 Stimmen für eine Abwahl kämen bei weitem zusammen.
Allerdings schien sich das Blatt eine Woche vor dem Wahltermin aufgrund weiterer Hearings von Lauber bei den Grünen und der SVP wieder zu wenden. Während die Grünen Stimmfreigabe beschlossen, um das Stimmgeheimnis zu wahren, nahm die SVP-Fraktion eine eigentliche Wende – die «Tribune de Genève» sprach von «tourner casaque» – vor und begründete wie die FDP eine Woche zuvor, dass die Kontinuität der Strafverfolgung gewährleistet werden müsse und sich die Fraktion deshalb mehrheitlich hinter Lauber stelle. In den Medien nicht genannte Insider wollten wissen, dass Lauber innerhalb der Partei nach wie vor umstritten sei. Für den Stimmungswandel habe Adrian Amstutz (svp, BE) gesorgt, der erklärt habe, man könne nicht jemanden wegen eines einzigen Fehlers in die Wüste schicken. Die SVP forderte zudem mittels parlamentarischer Initiative Reformen bei der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft.
Für eine weitere «Überraschung» (NZZ) sorgte dann einen Tag vor dem Wahltermin die SP. Obwohl die drei GK-Mitglieder der SP-Fraktion die Empfehlung für eine Nicht-Wiederwahl Laubers unterstützt hatten, empfahl eine knappe Mehrheit der sozialdemokratischen Fraktion, Lauber zu bestätigen. Allerdings seien bei der entsprechenden Fraktionsabstimmung zahlreiche Mitglieder nicht mehr anwesend gewesen – so die NZZ weiter. Nicht zu den Hearings äusserte sich die GLP und die BDP hatte ganz darauf verzichtet, Lauber anzuhören.

Am Wahltag legten die Sprecherin und der Sprecher der GK noch einmal die Gründe ihres Mehrheitsbeschlusses mit der Empfehlung der Nicht-Wiederwahl dar. Die Minderheitsposition wurde offiziell von der FDP- und der SVP-Fraktion gestützt. Christian Lüscher (fdp, GE) und Raphaël Comte (fdp, NE) verteidigten diese in ihren Voten. Auch der Fraktionschef der CVP ergriff das Wort. Er erinnerte daran, dass die CVP keine Empfehlung abgebe und plädierte an die Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung mit ihrem Gewissen zu entscheiden.
Die Wahl fiel schliesslich erwartet knapp aus und zwar zugunsten Laubers – was vor wenigen Tagen in den Medien kaum für möglich gehalten worden war. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier hatten die Möglichkeit, den Wahlzettel unverändert mit dem Namen Lauber einzulegen oder aber diesen Namen durchzustreichen. Letzteres war auf 114 Wahlzetteln der Fall gewesen. Weil aber 129 der 243 eingelangten Wahlzettel den Namen Lauber noch trugen, übersprang dieser das absolute Mehr von 122 Stimmen, wenn auch ziemlich knapp. Da von der Tribüne aus ziemlich gut sichtbar war, wer den Namen durchstrich, bzw. wer einen Stift zur Hand nahm und wer nicht, wurde in der Folge in den Medien von einem «Kugelschreiber-Gate» gesprochen, da das Wahlgeheimnis nicht gewahrt gewesen sei.

In den Medien wurde der Erfolg Laubers auch mit seinem ausgezeichneten Lobbying erklärt. Er habe wohl aber auch bei den Hearings überzeugt, wie zahlreiche Parlamentsmitglieder in den Medien bestätigten. Während die befürwortenden Parlamentsmitglieder vor den Medien die Institution betonten, deren Ruf verteidigt worden sei, machten die Gegnerinnen und Gegner der Wiederwahl keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen den Bundesanwalt. Fast die Hälfte des Parlaments misstraue Lauber, was keine guten Voraussetzungen für die nächsten vier Jahre seien, schrieb etwa Carlo Sommaruga (sp, GE) der NZZ ins Notizheft. Lauber selber bedankte sich in einem kurzen Statement bei Familie und Freunden für die Unterstützung. Er werde sich weiterhin für eine moderne Strafverfolgung einsetzen. Die knappe Wiederwahl wurde in den Medien auch als Denkzettel bezeichnet. Man müsse jetzt die Disziplinaruntersuchung abwarten, die allerdings an politischer Bedeutung verloren habe. Zudem verlangten die Kommentatorinnen und Kommentatoren ein Überdenken der institutionellen Strukturen. Die Bestätigung Laubers sei nur eine kurze Atempause – so die «Tribune de Genève». Ruhe werde so schnell keine einkehren, urteilte die Aargauer Zeitung. Der «Blick» prophezeite gar, dass der angeschlagene Bundesanwalt wohl kaum vier Jahre durchhalten werde. Das Parlament habe niemandem einen Gefallen getan. Der Tages-Anzeiger bezeichnete die Wiederwahl Laubers durch «das mutlose Parlament» gar als «Fehler». Die Aargauer Zeitung wusste tags darauf zu berichten, das Lauber bei der SP auch Stimmen geholt habe, weil er während des Hearings versprochen habe, zurückzutreten, wenn das Disziplinarverfahren für ihn negativ ausfallen werde.

Wahl des Bundesanwaltes für die Amtsperiode 2020-2023
Dossier: Michael Lauber - Procureur général

Die Abstimmungserläuterungen des Bundesrates – im Volksmund «Abstimmungsbüchlein» genannt – sind ab und zu Gegenstand parlamentarischer Vorstösse. Meistens geht es dabei um inhaltliche Ausgewogenheit. Diese sei insbesondere bei den Abstimmungsempfehlungen, die auf der Rückseite der Broschüre aufgeführt werden, nicht gegeben, fand Adrian Amstutz (svp, BE). Die seit der Abstimmung vom September 2018 vorgenommene grafische Neugestaltung führe zu einer viel zu prominenten Darstellung der Empfehlungen der Parlamentsmehrheit und des Bundesrats, wodurch nicht nur die freie Willensbildung beeinflusst, sondern auch eine «eklatante» Benachteiligung der Minderheitsmeinungen in Kauf genommen werde. Mit seiner Motion wollte der Berner den Bundesrat deshalb auffordern, auf diese «Vorteilsnahme mit der völlig einseitigen Abstimmungsempfehlung» zu verzichten.
Bundeskanzler Walter Thurnherr informierte, dass mit der Neugestaltung keine neuen Informationen verwendet würden. Die Empfehlung von Parlament und Bundesrat befänden sich seit 1983 auf der Umschlagseite. Die Minderheiten bzw. die Initiativ- und Referendumskomitees hätten aber mit der Neugestaltung ebenfalls mehr Möglichkeiten erhalten. Insbesondere werde deren Argumenten gleich viel Platz eingeräumt wie den Argumenten des Bundesrats und der Parlamentsmehrheit. Die Motion wurde mit 111 zu 79 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. Neben der geschlossenen SVP-Fraktion hätten sich auch alle anwesenden Mitglieder der Grünen-Fraktion sowie Hans Grunder (bdp, BE) aus der BDP-Fraktion für die geforderte Änderung erwärmen können.

Abstimmungsbüchlein
Dossier: Explications du Conseil fédéral destinées aux électeurs

Über die Zukunft von Feldschiessen und historischen Schiessen nach 2020 und über allfällige Subventionen befand der Nationalrat in der folgenden Sommersession. Der Minderheitsantrag Semadeni (sp, GR) auf Nichteintreten wurde von der Bündnerin gleich selbst vertreten. Sie stellte klar, dass Nichteintreten oder die Ablehnung der Vorlage nicht zum Aussterben historischer Schiessanlässe führen würde, sondern lediglich einen Einfluss auf die Bundessubventionen für diese Veranstaltungen nach 2020 hätte. Nach ihrem Ermessen sei die zweimalige Erstreckung der Frist für bauliche Massnahmen im Bereich der Kugelfänge ausreichend gewesen, um den Anlässen und ihren Veranstaltern entgegenzukommen. Es sei auch festzustellen, dass zahlreiche Anlagen die geforderten Bodenschutzmechanismen eingebaut hätten. Ein Beispiel aus ihrem Heimkanton Graubünden zeige ferner, dass der Einsatz von mobilen Kugelfängen möglich und zumutbar sei.
Die Befürworterinnen und Befürworter der Anpassung stammten vor allem aus den Reihen der SVP, zu der auch der Urheber der dieser Gesetzesänderung zugrunde liegenden parlamentarischen Initiative, Adrian Amstutz (svp, BE), gehört. Bereits während der Eintretensdebatte wurde deutlich, dass die Volkspartei nicht klein beigeben würde; sie zeigte sich auch gegenüber der anwesenden Umweltministerin angriffs- und fragefreudig. Eintreten wurde letztlich mit 129 zu 47 Stimmen klar beschlossen, die SP- und die Grünen-Fraktion stimmten geschlossen dagegen.
In der Detailberatung wurden drei Varianten diskutiert. Der Kommissionsmehrheit standen zwei Minderheitsanträge gegenüber, eine Minderheit I Rösti (svp, BE) und eine Minderheit II Vogler (csp, OW). SVP-Präsident Rösti wollte nicht nur die sogenannten historischen Schiessen berücksichtigen, sondern auch alle Feldschiessen einbeziehen. Dabei sollte gleichwohl präzisiert werden, dass nur bereits etablierte Anlässe unterstützt werden sollen. Deswegen sei nicht zu befürchten, dass die Anzahl derartiger Anlässe auf einmal drastisch zunehme, erklärte er. Er machte von dieser Änderung jedoch geradezu die Zukunft solcher Schiessanlässe abhängig. Die Minderheit Vogler stellte eine Präzisierung zur Debatte, wonach nur eine einmalige Sanierung finanziell unterstützt werden solle und nicht – nachdem wieder in den Boden geschossen worden sei – zusätzliche Sanierungen finanziert werden könnten. Ersterer Minderheitsantrag wurde der Kommissionsmehrheit vorgezogen. In einer zweiten Abstimmung entschied sich das Ratsplenum ebenfalls für die Variante Rösti und erteilte der Minderheit II mit 114 zu 67 Stimmen eine Abfuhr. Mit einem Gesamtabstimmungsresultat von 124 zu 57 Stimmen wurde das Geschäft der Ständekammer zur Weiterbearbeitung übertragen.

Feldschiessen und historische Schiessen auch nach 2020 ermöglichen
Dossier: Le tir en Suisse

Mit einem Postulat wollte die KVF-NR den Bundesrat beauftragen, aufzuzeigen, wie nichtfossilen Verkehrsträgern im öffentlichen Verkehr auf Strassen zum Durchbruch verholfen werden könnte. Die KVF-NR wünschte sich einen Prüfbericht, in dem Massnahmen zur finanziellen Förderung der Umstellung von Dieselbussen auf klimaneutrale Fahrzeuge untersucht werden. Mit der Begründung, dass heute weder Kosten noch Nutzen der Förderung von klimafreundlichen Bussen verlässlich beziffert werden könnten, befürwortete der Bundesrat die Annahme des Postulats. Gegen den Widerstand der SVP-Fraktion – für Adrian Amstutz (svp, BE) ist klimaneutrale Mobilität schlicht «gelogen» – nahm der Rat das Postulat mit 104 gegen 78 Stimmen (keine Enthaltungen) an.

Nichtfossilen Verkehrsträgern im öffentlichen Verkehr auf Strassen zum Durchbruch verhelfen (Po. 19.3000)

Feldschiessen und historische Schiessen sollen nach dem Willen des Parlaments auch nach 2020 noch möglich sein, wobei im Fokus der Debatte eine Anpassung im Bereich der Subventionierung von Umweltschutzmassnahmen stand, die nach 2020 eingestellt würden. Dafür bedurfte es jedoch einer Anpassung im Umweltschutzgesetz (USG), wofür die UREK-NR im Juli 2018 eine Vernehmlassung eröffnete. Den Unterlagen war nicht nur zu entnehmen, was genau die anvisierten Änderungen waren, sondern auch die Ablehnung aus links-grünen Kreisen: Diverse Minderheitsanträge, darunter ein Antrag Semadeni (sp, GR) auf Nichteintreten, waren bereits im Revisionsentwurf abgedruckt.
Die Revision, die auf Anregung von Adrian Amstutz (svp, BE) an die Hand genommen worden war, soll es den Betreibern ermöglichen, weiterhin Bundesabgeltungen für die Sanierung von Schiessanlagen zu beziehen. Dies soll nach Ende 2020 nicht mehr möglich sein, wenn nicht sichergestellt ist, dass keine Geschosse in den Boden gelangen. Bei Schiessanlässen, die ausserhalb von Schiessplätzen stattfinden und an denen daher nur ausnahmsweise und an speziellen Anlässen geschossen wird, könne dies nicht verhindert werden, wurden argumentiert. Einige solcher ausserordentlichen Schützenfeste könnten deswegen dereinst nicht mehr organisiert werden, so die Argumentation von Amstutz. Der vorgelegte Entwurf sieht eine Sonderregelung für Standorte, an denen höchstens ein historisches Schiessen oder Feldschiessen pro Jahr stattfindet, vor. Deren Sanierung soll weiterhin subventioniert werden können. Ferner soll die neue Regelung nur auf jene Feste anwendbar werden, die bereits vor Ende 2020 regelmässig stattgefunden haben und deswegen quasi als etabliert gelten.
Die angesprochene Minderheit der UREK-NR zeigte sich mit der Gesetzesrevision nicht einverstanden, sie war der Ansicht, es solle überhaupt nicht mehr in den Boden geschossen werden. Im Wesentlichen warnte sie vor einer zu grossen Belastung der Böden durch Schwermetalle.

In der Vernehmlassung wurde der Entwurf ambivalent beurteilt. Die Schützen befürworteten die Anpassungen weitgehend und beschränkten ihre Änderungsvorschläge auf Begriffspräzisierungen. Auf Ablehnung stiess die Vorlage bei der Mehrheit der Kantone und bei den linken Parteien SP und Grüne. Deren Antrag ans Parlament war Nichteintreten. Wichtigste Kritikpunkte waren die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des USG und dem Vorsorge- und Verursacherprinzip. Ferner fürchteten einige Kantone insgesamt eine Verschlechterung beim Umweltschutz. Den Schützenvereinen und Veranstaltern solcher Schiessanlässe standen also mit den Kantonen wichtige Akteure gegenüber. Mit diesen Differenzen musste sich die UREK-NR also noch befassen, bevor ihr Entwurf zur Änderung des USG im Parlament behandelt werden konnte.

Feldschiessen und historische Schiessen auch nach 2020 ermöglichen
Dossier: Le tir en Suisse

Im Nationalrat hatten beide parlamentarischen Initiativen (17.446 und 18.417), welche die Einführung eines Finanzreferendums forderten, keine Chance. Weil beide Vorstösse praktisch identisch waren, fand nur eine Abstimmung statt, bei der sich eine Mehrheit von 115 zu 79 Stimmen bei einer Enthaltung gegen Folge geben aussprach. Zu den Minderheiten-Stimmen aus den Fraktionen der Urheber gesellten sich je drei CVP- und BDP-Stimmen. Neben den Voten der Kommissionssprecher sowie der Urheber der Vorstösse – Adrian Amstutz (svp, BE) für die SVP-Fraktion bzw. Martin Bäumle (glp, ZH) – verlangte niemand das Wort. Die Idee eines Finanzreferendums dürfte damit wieder eine Weile vom Tisch sein.

Finanzreferendum (Pa.Iv. 17.446 und Pa.Iv. 18.417)
Dossier: Instauration d'un référendum financier au niveau national

Im Dezember 2017 hatte der Bundesrat entschieden, den seit 1978 bestehenden Abstimmungserläuterungen erstmals seit 2004 wieder ein neues Erscheinungsbild zu gönnen. Ein neues Layout und insbesondere mehr Platz für die Argumente von Befürworterinnen und Gegnern von Vorlagen sollte dem sogenannten Abstimmungsbüchlein ein moderneres Kleid verschaffen. Eine neue Schrift und vermehrt auch Infographiken sollten einem neuen Leserschaftsbedürfnis entsprechen Die Neugestaltung kostete rund CHF 80'000, wobei CHF 50'000 für einen Wettbewerb mit drei Bewerbungen und CHF 30'000 auf die Befragung von Stimmberechtigten entfielen.
Zum ersten Mal wurden die neu designten Erläuterungen für den Urnengang vom 23. September 2018 mit einer Auflage von rund 5.4 Mio. gedruckter Exemplare aufgelegt. Doppelseiten gleich zu Beginn der Broschüre fassten jeweils die Abstimmungsvorlagen zusammen. Den Komitees der Fair-Food-Initiative und der Initiative «für Ernährungssouveränität» wurde für ihre Argumente gleich viel Platz eingeräumt wie für jene des Bundesrats. Beim obligatorischen Referendum zum Gegenentwurf zur «Velo-Initiative» wurden den Beratungen im Parlament mehr Platz eingeräumt – ein Umstand, wie er teilweise von einem Postulat Tuena (svp, ZH) gefordert worden war, das aber zugleich auch für obligatorische Referenden Raum für die Gegenpositionen wünschte.
Rund drei Viertel der Stimmberechtigten nutzen laut Abstimmungsnachbefragungen die Erläuterungen als Grundlage für ihre Meinungsbildung. Das neue Design wurde von «Hochparterre», der Zeitschrift für Architektur und Design, für seine Klarheit und Übersicht gelobt. Allerdings erwuchs der Neuauflage auch relativ rasch Kritik. Eine Studie der Universität Bern zeigte auf, dass die Informationen nach wie vor komplex sind. Rund 50 Prozent der Befragten der Studie gaben an, die Erklärungen von «easyvote», die eine starke Vereinfachung der Abstimmungserläuterung primär für Jugendliche darstellen, sowie die Informationen aus Video-Clips des Bundesrates und von easyvote besser zu verstehen als die schriftlichen Erläuterungen des Bundesrates. Darüber hinaus störte sich die SVP an der letzten Seite der Broschüre, auf der wie bisher die Abstimmungsempfehlungen von Bundesrat und Parlament aufgeführt sind, freilich aber mehr Platz einnehmen als bisher. Dieses «Gratisinserat für den Bundesrat» müsse abgeschafft werden, forderte etwa Adrian Amstutz (svp, BE).

Überarbeitete Abstimmungserläuterungen
Dossier: Explications du Conseil fédéral destinées aux électeurs

Im Ständerat war die Motion Amstutz (svp, BE), die eine verbindliche Vorladungskompetenz für den NDB forderte, chancenlos. Stillschweigend folgte die kleine Kammer in der Sommersession 2018 dem Antrag ihrer SiK und lehnte den Vorstoss ab. Es müssten zuerst Erfahrungen mit dem Instrumentarium des neuen NDG gesammelt und ausgewertet werden, bevor Anpassungen vorgenommen werden, die so tief in die Grundrechte eingreifen. Ausserdem komme dem NDB eine präventive Rolle zu, während verbindliche Befragungen in den Aufgabenbereich der Polizei fielen. Die Befugnisse des NDB und der Polizei sollten auch weiterhin getrennt bleiben.

Mo. Amstutz: Vorladungskompetenz für den Nachrichtendienst des Bundes

Le 7 mars 2018, le Conseil national s'est également prononcé en faveur de l'accord additionnel au Fonds pour la sécurité intérieure et de la reprise du règlement (UE) n°514/2014 (107 voix pour, 74 contre et 9 abstentions lors du vote sur l'ensemble). Dans les rangs de la chambre du peuple, l'opposition au projet d'arrêté fédéral a été portée par les groupes parlementaires des Verts et de l'Union démocratique du centre. Tout comme leurs homologues européens, Lisa Mazzone (verts, GE) et Balthasar Glättli (verts, ZH) ont tour à tour dénoncé un instrument participant à la consolidation de la "forteresse Europe" et appelé à la création d'un espace européen propice au respect des droits de l'Homme. Sur la droite du spectre politique, Adrian Amstutz (udc, BE) a quant à lui souligné l'inefficacité du système Schengen dans la lutte contre l'immigration illégale.
Les chambres fédérales ont néanmoins toutes deux apporté leur soutien au projet présenté par le Conseil fédéral lors du vote final du 16 mars 2018 (109 voix pour, 74 contre et 9 abstentions au Conseil national / 36 voix pour, 6 contre et 0 abstention au Conseil des Etats).

Développement de l'acquis de Schengen. Accord additionnel au Fonds pour la sécurité intérieure

Äusserst knapp mit 98 zu 93 Stimmen (keine Enthaltungen) nahm der Nationalrat eine Motion Sollberger (svp, BL) an, mit welcher der Bund zum Sparen bei der Zentralverwaltung aufgefordert wird. Konkret soll die Regierung Massnahmen zur Reduktion der Zentralverwaltung ergreifen. Es gehe nicht an, dass dauernd „an der Front“, nicht aber in der zentralen Verwaltung gespart werde. Sollberger nannte etwa das Beispiel der Grenzwächter, der Zollstellen oder der Lehrer, bei denen gespart werde, obwohl es in der Verwaltung, insbesondere bei Stabs- und Unterstützungsstellen wesentlich mehr Sparpotenzial gebe, wenn man Ineffizienz und Doppelspurigkeiten bekämpfen wolle.
Bundesrat Maurer wies in der Ratsdebatte darauf hin, dass es auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier selber seien, die mit immer mehr Vorstössen, aber auch mit persönlichen Anfragen, zu einem Ausbau der Verwaltungsstäbe beitrügen, von denen diese Anfragen in der Regel beantwortet werden. Der Bundesrat sei zwar gegen die Motion, er selber gehe aber davon aus, dass die Motion in diesem Rat angenommen werde. Er wolle aber davor warnen, dass dann der Service der Verwaltung auch entsprechend weniger umfassend sei, auch wenn – dies gestand Maurer nach einer entsprechenden Frage von Parteikollege Adrian Amstutz (svp, BE) ein – punkto Ausführlichkeit der Berichte durchaus noch Potenzial bestehe, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Man gehe den Sparmöglichkeiten in der Verwaltung zudem bereits im Rahmen der überwiesenen Motion 15.3494 nach.

Sparen bei der Zentralverwaltung

Das Salär eines Bundesrates ist immer mal wieder Gegenstand medialer Debatten. Zudem war der Durchschnittslohn der Magistratinnen und Magistraten auch Gegenstand in der Debatte um die Kaderlöhne in bundesnahen Betrieben. Die Kosten eines Bundesratsmitglieds bemessen sich aus seinem an die Teuerung angepassten Lohn, der – Stand Januar 2017 – CHF 445'163 beträgt, und einer Spesenpauschale von CHF 30'000 pro Jahr. Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin erhalten zusätzlich CHF 12'000. Darüber hinaus übernimmt der Bund die Kosten für Festnetzanschluss, Mobilteleton und PC und die Magistratinnen und Magistraten dürfen ein Repräsentations- und ein Dienstfahrzeug nutzen, bezahlen für deren private Nutzung allerdings 0.8 Prozent des Neupreises pro Monat. In den Leistungen inbegriffen sind zudem ein SBB-Generalabonnement für die erste Klasse und ein GA für die Schweizer Seilbahnen.
Zu reden gibt aber insbesondere die Rente, die zurückgetretene Bundesrätinnen und Bundesräte auf Lebenszeit erhalten. Sie beträgt CHF 220'000 pro Jahr, also rund die Hälfte des ursprünglichen Lohnes. Nur wenn ein ehemaliges Bundesratsmitglied nach seinem oder ihrem Rücktritt mehr verdient als im Amt, wird die „Versorgung der Magistratspersonen” entsprechend gekürzt. Der Tages-Anzeiger rechnete aus, dass ein Grund für das Wachstum des Personalaufwandes der Bundesverwaltung ebendiese Ruhegehälter sind, deren Reserve laut Staatsrechnung stark aufgestockt werden musste. 2017 waren 20 Personen – neben den Exekutivmitgliedern erhalten auch ehemalige Bundeskanzlerinnen und -kanzler sowie Bundesrichterinnen und -richter eine Rente – bezugsberechtigt. 17 dieser 20 Personen und drei Witwen erhielten eine Rente, wobei nicht bekannt gegeben wird, um wen es sich dabei handelt. Der Tages-Anzeiger mutmasste, dass Christoph Blocher, Ruth Metzler und Joseph Deiss die Rente nicht beziehen. Insgesamt wurden laut Staatsrechnung 2016 CHF 10.67 Mio. an pensionierte Richterinnen und Richter und CHF 4.28 Mio. an ehemalige Magistratspersonen, Kanzlerinnen und Kanzler sowie Bundesratswitwen ausbezahlt. Diese Summe wurde verschiedentlich als zu hoch betrachtet. Thomas Burgherr (svp, AG) kündigte eine parlamentarische Initiative an, mit der nur noch jene Alt-Bundesrätinnen und Alt-Bundesräte ein Ruhegehalt beziehen sollen, die im Pensionsalter abtreten.

Kosten eines Bundesrates
Dossier: Retraites des magistrat.e.s

Ob Feldschiessen und historische Schiessen auch nach 2020 noch erlaubt bleiben sollen, beschäftigte den Nationalrat im Dezember 2017. Die parlamentarische Initiative von Adrian Amstutz (svp, BE) sorgte schon mehrfach für Gesprächsstoff. Nachdem sich das Geschäft zunächst auf gutem Wege befand und beide Kommissionen ihr Einverständnis gegeben hatten, kam die UREK der Volkskammer noch einmal auf ihren Entscheid zurück und wollte das Geschäft abschreiben, vor allem wegen Bedenken bezüglich der Umweltverträglichkeit. Eine Kommissionsminderheit Imark (svp, SO) stellte sich dagegen, weswegen nun das Plenum darüber zu befinden hatte. Und dieses drehte den Daumen nach oben: Die Initiative wurde nicht gebodigt, mit 117 zu 73 Stimmen und einer Enthaltung sprach sich die grosse Kammer für solche Schiessanlässe aus.
Dem Verdikt war jedoch eine längere Debatte vorausgegangen: Der Initiant selbst äusserte sein Erstaunen über die Diskussion, die sein Vorstoss ausgelöst hatte; man mache aus einer Mücke einen Elefanten, erklärt er. Kommissionssprecher Bäumle (glp, ZH) konnte mit der Kommissionsmeinung offensichtlich nur eine Minderheit des Rates überzeugen. Obwohl sich die UREK mit verschiedenen Lösungsansätzen befasst hatte – vorwiegend waren finanzielle Subventionen diskutiert worden, die jedoch so kleine Beträge umfassten, dass es sich nicht lohnte, dafür ein neues Gesetz zu erlassen – war sie zum Schluss gekommen, die Initiative fallen zu lassen. Die historischen Schiessen erachtete sie nicht als gefährdet und Standorte für die Feldschiessen seien weitgehend mit den nötigen Massnahmen ausgestattet. Amstutz (svp, BE) konnte sein Geschäft dann selber „verteidigen”, da der Minderheitssprecher Imark (svp, SO) abwesend war. Es ginge nicht um Umweltschutz, so der Berner, sondern um die Kostenfrage. Schiessen dürfe man ohnehin. Es blieb jedoch vorerst eine gewisse Unklarheit im Raume stehen, weil Bäumle und Amstutz mit unterschiedlichen Beträgen zwischen wenigen tausend Franken (Bäumle/Kommission) und knapp einer Million (Amstutz) argumentierten. Eine genaue Auflösung dieser divergierenden Ansichten wurde nicht vorgenommen und der Rat folgte der Kommissionsminderheit. Die offenen Fragen zum Finanzbedarf bei Schiessplatz-Sanierungen dürfte bei der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs also noch für Gesprächsbedarf sorgen.

Feldschiessen und historische Schiessen auch nach 2020 ermöglichen
Dossier: Le tir en Suisse

„Es kann doch nicht sein, dass wir in einem Land leben, in dem ein Fischer, der ohne Patent beim Fischen erwischt wird, auf den Polizeiposten muss, ansonsten er irgendwann einmal streng gebüsst oder sogar abgeführt wird, während ein möglicher Terrorist auswählen kann, ob er beim Nachrichtendienst antanzen soll oder nicht!“ Mit diesen markigen Worten begründete Nationalrat Adrian Amstutz (svp, BE) in der Wintersession 2017 vor dem Nationalratsplenum seine Motion, mit der er eine verbindliche Vorladungskompetenz für den NDB forderte. Gemäss der geltenden Rechtslage habe der NDB zwar die Möglichkeit, Risikopersonen zu einer präventiven Ansprache vorzuladen mit dem Ziel, sie vom Begehen einer Straftat abzuhalten – dies jedoch nur im Rahmen eines freiwilligen Gesprächs. Deshalb solle der Bundesrat nun die gesetzlichen Grundlagen für eine verbindliche Vorladung sowie Zwangsmittel wie beispielsweise Haft, ausländerrechtliche Massnahmen, Bussen oder Kürzung von Sozialhilfegeldern bei Nichtbefolgung schaffen. Die grosse Kammer stimmte dem Vorstoss entgegen dem Antrag des Bundesrates mit 101 zu 72 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu. Der Bundesrat hatte vergebens argumentiert, man solle erste Erfahrungen mit dem neuen NDG abwarten, bevor man das diffizile Gleichgewicht zwischen allgemeiner Sicherheit und individuellen Grundrechten wieder antaste.

Mo. Amstutz: Vorladungskompetenz für den Nachrichtendienst des Bundes

Ende November 2017 löste ein Artikel in der Zeitung Le Temps über Yannick Buttet (cvp, VS) eine Debatte aus, mit der die aktuellen Diskussionen um #metoo – ein Kürzel, das im Rahmen der Anklage gegen den US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein aufgekommen war und auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe aufmerksam machen will – auch in Bundesbern virulent wurden und die letztlich zur Demission des Walliser Nationalrats führten.

Le Temps berichtete, dass gegen Buttet eine Klage wegen Stalking eingereicht worden sei. Er habe eine Frau, mit der er eine aussereheliche Beziehung gehabt habe, seit dem Ende dieser Beziehung über ein Jahr lang mit Sprachnachrichten und Telefonanrufen eingedeckt. Als er sie an ihrem Wohnort aufgesucht habe, habe die Frau die Polizei gerufen, die Buttet im Garten der ehemaligen Geliebten verhaftet habe.
Buttet bestritt die Vorwürfe nicht. Eine Ehekrise habe sein Verhalten beeinflusst und er entschuldige sich bei all jenen, «que j’ai pu blesser involontairement» (Le Temps). Anlass zu den Diskussionen gaben allerdings weniger das Privatleben von Buttet und der Stalking-Vorwurf – auch wenn zahlreiche Medien dem als wertkonservativ bezeichneten CVP-Vizepräsidenten, der sich für ein traditionelles Familienbild einsetze, Heuchelei vorwarfen («Ausgerechnet der Saubermann» titelte etwa der Tages-Anzeiger). Eine Debatte lösten vielmehr die von Le Temps in Bundesbern eingeholten Reaktionen verschiedener Politikerinnen und Journalistinnen auf die Affäre Buttet aus: Buttet habe «des pulsions sexuelles incontrôlées»; wenn er trinke, ändere sich seine Persönlichkeit: «Il se comporte mal et il a des gestes déplacés»; «il va trop loin et il ne connaît plus de limites», gaben die befragten Frauen zu Protokoll. Gar von «dérapages choquants» war die Rede. «Si tu couches, je vote pour ta motion» sei einer Parlamentarierin angeboten worden. Die Interviewten wollten allerdings anonym bleiben. Sie müssten um ihre Karriere fürchten, wenn sie sich öffentlich äussern würden. In der Folge nahm die Deutschschweizer Presse den Fall auf und weitete ihn aus. Anscheinend wisse nicht nur Buttet nicht, wo die Grenzen seien. Mehrere Parlamentarierinnen kamen zu Wort und berichteten über «unangebrachte Gesten, die sie wirklich darüber nachdenken lassen, wohin sie gehen oder ob sie es noch wagen, mit gewissen Personen den Lift zu nehmen» (Céline Amaudruz; svp, GE), über «sexistische Sprüche» (Yvonne Feri; sp, AG) oder gar Vergewaltigungsdrohungen in Kommissionssitzungen (Maria Roth-Bernasconi; sp, GE). Viele Parlamentarierinnen erhielten Bemerkungen zu ihrer Kleidung, ihrem Make-Up, ihren Beinen, ihren Brüsten; viele wüssten nicht, wie sie reagieren sollten, würden resignieren und versuchten, damit zu leben.
Maya Graf (gp, BL) forderte als Präsidentin des Frauendachverbandes Alliance F eine Meldestelle für Parlamentsmitglieder, bei der sexuelle Belästigung gemeldet werden könne. Sexismus gehöre leider immer noch zur Tagesordnung; das sei im Parlament nicht anders. Freilich gab es auch Stimmen, die ein Sexismus-Problem im Bundeshaus als «Blödsinn» bezeichneten (Verena Herzog; svp, TG) und keinen Handlungsbedarf sahen. Um gewählte Nationalrätin zu sein, müsse man stark und durchsetzungsfähig sein und könne sich wohl zur Wehr setzen, befand Andrea Gmür (cvp, LU). Natalie Rickli (svp, ZH) warnte davor, nun gleich alle Männer im Bundeshaus unter Generalverdacht zu stellen. Auch Kathrin Bertschy (glp, BE) betonte im Tages-Anzeiger, dass sich die grosse Mehrheit der männlichen Kollegen auch bei informelleren Anlässen, in denen Alkohol fliesse, «normal und anständig» verhalten würde. Wie überall gebe es aber auch hier «ein paar Typen, die enthemmter sind und die Grenzen nicht kennen.»

Wie ambivalent die Debatte um #metoo ist und wie schwierig es eben ist, sich zu wehren, zeigten die Auseinandersetzungen um die Anschuldigungen von Céline Amaudruz zu den unangebrachten Gesten und ihren Bedenken, mit gewissen Personen den Lift zu benutzen. Nachdem der Sonntags-Blick kolportiert hatte, dass ihre Andeutung wohl Buttet gegolten haben müsse – der Walliser soll sie beim Apéro nach der Wahl von Ignazio Cassis in stark angetrunkenem Zustand belästigt haben –, wurde die Genferin laut Medien in ihrer Fraktion von Adrian Amstutz (svp, BE) heftig kritisiert. Sie schade der Partei und allen Parlamentariern, wenn sie Äusserungen mache ohne konkret zu werden und Namen zu nennen. Laut Sonntags-Blick habe die Genferin darauf unter Tränen das Fraktionszimmer verlassen. In seinem Editorial in der Weltwoche doppelte Roger Köppel (svp, ZH) nach: Das Klima im Bundeshaus sei «sexismusfeindlich», Männer stünden unter Generalverdacht. Und weiter: «Eine Politikerin, die ich noch nie ohne kurzen Rock oder hautenge Bluse gesehen habe, beschwert sich, sie würde mit gewissen Herren niemals in den Lift steigen.» Das Problem sei, so die Tribune de Genève, dass Frauen von Opfern zu Täterinnen gemacht würden – auch im Bundeshaus. Die «manipulierende Wirkung der medialen Öffentlichkeit» – so die Wochen-Zeitung – sei vor allem für Frauen verheerend, denen, wenn sie eine Anschuldigung vorbrächten, eine mediale Hetzjagd und die Ausleuchtung ihres Privatlebens drohe: «Kann eine Situation juristisch nicht eindeutig geklärt werden, bleibt die Geschichte vor allem an der Frau kleben. Sie kriegt den Schlampenstempel aufgedrückt.»

Buttet wurde kurz nach Bekanntwerden der Anschuldigungen von seinem Amt als CVP-Vizepräsident suspendiert. Einen Rücktritt als Nationalrat schloss Buttet vorerst allerdings aus, auch wenn sich gar CVP-Bundesrätin Doris Leuthard in die Debatte einbrachte. Falls die Vorwürfe korrekt seien, habe Herr Buttet ein Problem, sagte die Magistratin bei einem TV-Interview: «Alle diese Herren, die sich nicht zu benehmen wissen, nerven mich [...]. In der Politik ist das inakzeptabel», wurde das Interview bei RTS im Blick zitiert. Rund fünf Tage nach Bekanntwerden des Stalking-Vorwurfs liess sich Buttet krank schreiben. Er wolle eine Kur beginnen, um sein Alkoholproblem in den Griff zu kriegen, liess er über seinen Anwalt verkünden. Damit vermied er eine geplante Anhörung durch die Parteileitung. CVP-Präsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) nahm in der Folge vor der Presse Stellung. Buttets Verhalten sei in der Tat inakzeptabel, aber auch für ihn gelte die Unschuldsvermutung.
Freilich wurden nicht nur die Rücktrittsforderungen, sondern auch die Forderungen nach einem Parteiausschluss lauter. Insbesondere nachdem in Le Temps sechs weitere Frauen zu Wort gekommen waren, die detailliert sexuelle Belästigungen von Buttet beschrieben, und nachdem bekannt wurde, dass die Walliser Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Nötigung eingeleitet hatte. Ohne mit seiner Partei das Gespräch gesucht zu haben, zog Buttet wohl auch deshalb die Reissleine und gab am Sonntag, 18. Dezember 2017 seine Demission als Nationalrat bekannt. Er erklärte via Communiqué, im Interesse der CVP und seiner Familie zurückzutreten. Er wolle sein Umfeld schützen und die notwendige Ruhe für den Heilungsprozess von seiner Alkoholabhängigkeit schaffen. Für Buttet, der Gemeindepräsident von Collombey-Muraz (VS) blieb, rutschte Benjamin Roduit (cvp, VS) in den Nationalrat nach.

Eine rasche Reaktion auf die Debatten zeigten die beiden Ratspräsidien. Karin Keller-Sutter (fdp, SG) und Dominique de Buman (cvp, FR) fassten eine «Lex Buttet» (Blick) ins Auge. Sexuelle Belästigung müsse verurteilt werden und gegen sie sei «mit aller Entschiedenheit» vorzugehen, so die Ständeratspräsidentin und der Nationalratspräsident in einem gemeinsamen Communiqué. Mitte Dezember legte die Verwaltungsdelegation in Absprache mit den Rats- und den Fraktionspräsidien dann ein Dokument vor, in dem den Parlamentsmitgliedern geraten wurde, sich bei sexueller Belästigung künftig an die Fraktionsspitzen oder eine externe Beratungsstelle zu wenden. Das Dokument hielt zudem den Unterschied zwischen einem Flirt und sexueller Belästigung fest, wie er auch im Ratgeber für Arbeitnehmende des Bundes vermerkt ist: Ein Flirt sei «aufbauend», «von beiden Seiten erwünscht» und löse «Freude aus», während sexuelle Belästigung «erniedrigend», «von einer Person nicht erwünscht» sei und «Ärger» auslöse. Mit diesem Dokument drifte die Debatte ins Lächerliche ab, bedauerte Natalie Rickli, als «fausse bonne idée» bezeichnete Doris Fiala (fdp, ZH) das Unterfangen laut Tages-Anzeiger. Leider mache man nur noch Witze, wenn man «wie Schulbuben» behandelt werde, obwohl es bei Stalking und sexuellen Belästigungen um wichtige Themen ginge. Géraldine Savary (sp, VD) befand es hingegen für nützlich, in Erinnerung zu rufen, «was normal sein sollte, es aber offenbar nicht für alle ist». Es sei gut darüber zu reden, weil das vor allem den Frauen helfe, sich bewusst zu werden, dass man Grenzen setzen dürfe und müsse, gab sie dem Tages-Anzeiger zu Protokoll.

Einige Medien reflektierten ihre eigene Rolle in der Affäre: Buttets Karriere ende, bevor erwiesen sei, ob und was er sich zuschulden habe kommen lassen – so etwa die Basler Zeitung. Die Unschuldsvermutung habe keinen Wert mehr und in den letzten drei Wochen habe eine «veritable Hetzjagd» mit zahlreichen anonymen Beschuldigungen stattgefunden. Nur eine Frau habe aber genug Rückgrat gehabt, Buttet anzuzeigen, seine ehemalige Geliebte. Die «tolérance zéro» sei zur Norm im Parlament geworden, urteilte die Tribune de Genève und stellte einen Vergleich mit dem Rücktritt von Jonas Fricker (gp, AG), dem Wirbel um ein aussereheliches Kind von Christophe Darbellay (VS, cvp) und der Affäre um Geri Müller (gp, AG) her. Jemand mache einen Fehler, es komme zu einem Mediengewitter und zu grossem politischen Druck, dem nur noch durch einen Rücktritt begegnet werden könne. Man müsse sich fragen, ob die immer schneller agierenden Medien Meinungen abbildeten oder selber formten. Sie hätten auf jeden Fall die Macht, zu definieren, was moralisch vertretbar sei. Die Vermischung von privatem und öffentlichem Leben nehme zu. Man müsse freilich unterscheiden zwischen moralischen und strafrechtlichen Verfehlungen – so die Tribune de Genève.

Mitte August 2018 wurde bekannt, dass Buttet wegen Nötigung und unrechtmässiger Aneignung zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt worden war. Er selber bezeichnete die damals publik gewordene Verhaftung laut der NZZ als Resultat einer politischen Verschwörung. Er überlege sich, im Herbst 2019 für den Ständerat zu kandidieren.

Affäre Buttet

Gleich fünf neue Ratsmitglieder wurden zu Beginn der Wintersession 2017 neu vereidigt. Diana Gutjahr (svp, TG), Jahrgang 1984, ersetzt Hansjörg Walter (svp, TG). Walter trat nach 18 Jahren als Nationalrat zurück. Der ehemalige Bauernverbands- und Nationalratspräsident wird als zweimaliger Bundesratskandidat in Erinnerung bleiben. 2008 war er, von Links-Grün sowie Teilen der FDP und der CVP als Sprengkandidat gesetzt, um lediglich eine Stimme Ueli Maurer unterlegen. 2011 wurde er, nachdem der eigentlich nominierte Bruno Zuppiger (svp, ZH) wegen Verdachts auf Veruntreuung nicht mehr antreten konnte, von seiner eigenen Partei nominiert, unterlag aber der amtierenden Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Seine Nachfolgerin ist Vizepräsidentin des Thurgauer Gewerbeverbandes. Die „Strahlefrau der Thurgauer SVP” (NZZ) gilt als Zögling des ehemaligen Nationalrats Peter Spuhler.
Mit Hansjörg Brunner (fdp, TG) rutschte gleich auch der Präsident des Thurgauer Gewerbeverbandes nach. Der 51-jährige Inhaber einer Druckerei nimmt den Platz von Hermann Hess (fdp, TG) ein, der nach lediglich zwei Jahren und ohne einen Vorstoss lanciert zu haben, wieder von der nationalen Politikbühne abtritt.
Dem Rücktritt von Jonas Fricker (gp, AG), der durch die 30-jährige Islamwissenschafterin Irène Kälin (gp, AG) ersetzt wird, ging ein – je nach medialer Lesart – „Eklat” (Aargauer Zeitung), ein „Schock” und „Skandal” (Blick) oder lediglich eine „verbale Entgleisung” (Tagesanzeiger) voraus. Fricker hatte in einem Votum zur Fair-Food-Initiative einen Schweinetransport mit der Deportation von Juden verglichen. Er habe bei einem Dokumentarfilm über den Transport von Schweinen unweigerlich an die Massendeportationen nach Auschwitz aus dem Film „Schindlers Liste” denken müssen. Fricker wörtlich: „Die Menschen, die dort deportiert wurden, die hatten eine kleine Chance zu überleben. Die Schweine, die fahren in den sicheren Tod.” Allerdings entschuldigte sich der Aargauer Grüne noch während der Debatte für seine Aussage und bat anschliessend auch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund um Verzeihung. Dieser akzeptierte die Entschuldigung zwar, die Spitze der grünen Partei distanzierte sich allerdings von Frickers Vergleich, der „inakzeptabel” sei – so Balthasar Glättli (gp, ZH) im Blick. Besonders hart ins Gericht mit Fricker ging ebendiese Boulevardzeitung, die – sekundiert von alt-Nationalrat Josef Lang – relativ rasch den Rücktritt Frickers forderte. Eine Forderung, der Fricker schliesslich zwei Tage nach seiner Aussage nachkam. Er trete zurück, weil es für ihn das stärkste Zeichen sei, das er setzen könne. Der Rücktritt wurde allerdings unterschiedlich interpretiert. Während der „Blick” ihn als Grösse feierte, hinterfragten der Tagesanzeiger und die NZZ, ob dieser Rücktritt wirklich nötig gewesen sei. Schliesslich sei Fricker von der Aargauer Bevölkerung gewählt worden. Irène Kälin, seine Nachfolgerin und „neckischerweise mit einem bekannten Ringier-Mann liiert” (NZZ, 4.10.), politisiere pointierter links als Fricker. Der Abgang sei deshalb fragwürdig.
Auch in der EVP kam es zu einem Personalwechsel. Niklaus-Samuel Gugger (evp, ZH) rutschte für Maja Ingold (evp, ZH) nach, die seit 2010 im Nationalrat sass und damals, als Nachfolgerin von Ruedi Aeschbacher, die erste Frau der EVP auf nationaler Ebene war. Ingold – die aus Altersgründen zurücktreten wollte –, wie auch Gugger, stammen aus Winterthur. Gugger ist der erste Nationalrat mit indischen Wurzeln. Seine Eltern waren Entwicklungshelfer und adoptierten ihn als Baby in Indien.
Rocco Cattaneo (fdp, TI) rutschte für den in den Bundesrat gewählten Ignazio Cassis nach. Der 59-jährige ehemalige Veloprofi und Unternehmer machte gleich auf sich aufmerksam, weil er mit dem Velo bereits am Freitag aus dem Tessin an die Session fuhr – von Bironico am Monte Ceneri über den Gotthard nach Bern; also rund 250 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h, wie der Neo-Nationalrat betonte. Er verstehe seine Tour auch als Plädoyer für sichere Velowege – ein Vorgeschmack auf die Debatte um die Velo-Initiaitive, in deren Komitee Cattaneo sitzt.
Die fünf Neuen – bei Halbzeit der 50. Legislatur waren bisher 10 Mutationen zu verzeichnen – wurden vereidigt (Brunner, Cattaneo und Gugger) bzw. legten das Gelübde ab (Gutjahr und Kälin).

Mutationen 2017
Dossier: Mutations a l'Assemblée fédérale

Mitte November 2017 wählte die SVP-Fraktion ihren neuen Fraktionschef. Die Wahl war nötig geworden, weil Adrian Amstutz (svp, BE) das Amt im Hinblick auf seinen Rücktritt aus dem Nationalrat auf Ende Legislatur abgeben wollte. Gleich drei Nationalräte hatten ihren Hut in den Ring für eine Nachfolge geworfen. Neben Thomas Aeschi (svp, ZG), seines Zeichens Partei- als auch Fraktionsvizepräsident, bekundeten Werner Salzmann (svp, BE), Berner Kantonalpräsident, sowie Alfred Heer (svp, ZH), bis 2016 Zücher Kantonalpräsident, ihr Interesse an der Leitung der Bundeshausfraktion. Eigentlich war in den Medien erwartet worden, dass auch von SVP-Parlamentsmitgliedern aus der lateinischen Schweiz eine Kandidatur eingereicht würde, Céline Amaudruz (svp, GE) und Michaël Buffat (svp, VD) kandidierten aber lediglich für das Fraktionsvizepräsidium. In den Medien wurden allen drei Kandidierenden gute Chancen eingeräumt, weil sie in wichtigen Kommissionen sässen und eine «stattliche» Hausmacht hinter sich hätten, so etwa der Tages-Anzeiger. Die Aargauer Zeitung sah je nach Kandidat eine unterschiedliche, neue Ausrichtung der Partei. Während Aeschi «SVP-Chefstratege Christoph Blocher» nahestehe, vertrete Salzmann «die alten Werte der Partei» und Heer den «Zürcher SVP-Flügel». Der Tages-Anzeiger fragte sich gar, ob die SVP jetzt «nett» werde. Nach Amstutz, der «mit eiserner Hand» regiert habe, könnte der neue Fraktionschef verhandlungsbereiter sein. Laut Blick, der Aeschi in der Poleposition sah, wollte der 2015 noch erfolglose Bundesratskandidat via Fraktionsvorstand einen neuen Anlauf in die Regierung nehmen. Auch der neue Bundesrat Ignazio Cassis sei schliesslich Fraktionschef gewesen, so der Blick. Im Vorfeld war die Wahl in den Medien als Kampf zwischen Aeschi und Heer bzw. zwischen «Pro- und Anti-Blocher» zugespitzt worden. Salzmann wurde eher als Aussenseiter betrachtet. Eher überraschend nahm sich dann Alfred Heer kurz vor der Ausmarchung «auf Wunsch von aussen» und aus «Sorge um die Einheit der Partei» selber aus dem Rennen. Damit war der Weg frei für Thomas Aeschi, der mit 39 Stimmen gewählt wurde. Auf Werner Salzmann entfielen 20 Stimmen. Er wolle die Linie seines Vorgängers weiterverfolgen, die Fraktion von den Positionen der Partei jeweils überzeugen und die Fraktionsgeschlossenheit hoch halten, so Aeschi nach seiner Wahl in den Medien. Eine Kampfwahl hätte der Fraktion auch vor dem Hintergrund der «tendenziösen Artikel» in den Medien nicht gut getan, erklärte Heer nach der Wahl im Tages-Anzeiger. Heer blieb aber Kandidat für das fünfköpfige Fraktionsvizepräsidium und wurde in dieser Funktion auch gewählt. Neben Heer (neu) sitzen wie erwartet Céline Amaudruz (bisher) und Michael Buffat (neu) sowie die bisherigen Felix Müri (svp, LU) und Hannes Germann (svp, SH) im Vizepräsidium.

SVP - neuer Fraktionschef

Eine Studie zeigte 2015 auf, dass die Fraktionsgeschlossenheit in den letzten rund 30 Jahren in der Schweiz auch aufgrund einer Professionalisierung der Parteien zugenommen hatte. Am deutlichsten haben sich dabei die Polparteien SP und SVP, aber auch die FDP diszipliniert. Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Parlamenten sei die Fraktionsdisziplin in der Schweiz aber nach wie vor gering.
In den Medien wurde die Studie breit aufgenommen. Das St. Galler Tagblatt wusste zu berichten, dass die Fraktionen Regeln einführten, um die Fraktionsdisziplin zu erhöhen. Bei der FDP würden etwa Geschäfte als strategisch erklärt, was für die Fraktionsmitglieder bedeute, dass entweder mit der Mehrheit gestimmt oder sich der Stimme enthalten werden müsse. Auch die CVP und die BDP würden solche Regeln kennen, wobei eine Zweidrittelmehrheit (bei der BDP eine einfache Mehrheit) bestimme, ob ein Geschäft strategisch sei. Bei den Polparteien gebe es keine solche Regeln, sie stimmten «naturgemäss» geschlossener, oder der soziale Druck oder allenfalls persönliche Gespräche mit potenziellen Abweichlern würden hier reichen.
Allerdings beschrieb der «Blick» einen Vorfall, bei dem ein SVP-Parlamentarier von Fraktionschef Adrian Amstutz (BE) im Parlament lautstark in die Schranken gewiesen worden sei, weil er als einziger anders als die Fraktion abgestimmt habe. Das Boulevardblatt zitierte einen Passus im Fraktionsreglement der Volkspartei, nach dem Mitglieder, die den Interessen der SVP zuwiderhandelten, ausgeschlossen würden. Bei den Grünen wiederum herrsche der Grundsatz, dass eine abweichende Position vorgängig transparent gemacht werde, kommentierte die Aargauer Zeitung.

Mitte Oktober 2017 wertete der «Blick» aus, wie häufig Nationalrätinnen und Nationalräte von der Fraktionsmeinung abweichen. Wenig überraschend waren dies jene Parlamentarierinnen und Parlamentarier, deren Partei zu klein war für eine eigene Fraktion. So wies die Analyse Marianne Streiff-Feller (evp, BE; bei 78.5% der Abstimmungen gleicher Meinung wie die Fraktion) und Maja Ingold (evp, ZH; 80%), die als EVP-Mitglieder der CVP-Fraktion angehören, sowie Roberta Pantani (lega, TI; 88.2%), die sich als Lega-Mitglied der SVP-Fraktion angeschlossen hatte, als häufigste Abweichlerinnen aus. Interessanterweise fanden sich unter den Top 10 auch fünf FDP-Mitglieder. Allerdings stimmten Walter Müller (fdp, SG: 89.4%), Hans-Ulrich Bigler (fdp, ZH; 89.5%), Philippe Nantermod (fdp, VS: 89.9%), Hans-Peter Portmann (fdp, ZH: 91.4%) und Bruno Pezzatti (fdp, ZG: 91.7%) noch immer bei 9 von 10 Abstimmungen wie die Mehrheit ihrer Fraktion. Abweichler seien wichtig, so der «Blick», weil mit ihnen Allianzen über die Parteigrenzen hinweg geschmiedet würden. Unter den zehn fraktionstreusten Parlamentsmitgliedern fanden sich je vier GLP-Mitglieder (Tiana Angelina Moser, ZH: 99.7%; Beat Flach, AG: 99.6%; Thomas Weibel, ZH: 99.5% und Kathrin Bertschy, BE: 99.5%) sowie fünf SP-Mitglieder (Martin Naef, ZH: 99.5%; Claudia Friedl, SG: 99.5%; Martina Munz, SH: 99.4%; Silvia Schenker, BS: 99.4% und Yvonne Feri, AG: 99.4%). Sie alle stimmten – wie auch Sibel Arslan (basta, BS: 99.4%) von der Fraktion der Grünen – in mehr als 99 von 100 Abstimmungen wie die Mehrheit ihrer Fraktionen.

Fraktionsdisziplin

Zwar wurde das Postulat von Cédric Wermuth (sp, AG) letztlich mit 125 zu 58 Stimmen recht deutlich abgelehnt, es erlaubte jedoch eine interessante Auseinandersetzung zur Debattenkultur im Nationalrat. In der Tat forderte der SP-Nationalrat das Büro-NR auf, in einem Bericht aufzuzeigen, wie „echte” Debatten in der grossen Kammer ermöglicht werden könnten. Er sei sich bewusst, dass es sich beim Schweizer Parlament um ein Arbeitsparlament handle – im Gegensatz etwa zum britischen Parlament, in welchem als Redeparlament politische Fragen im Plenum diskutiert werden, werden diese in einem Arbeitsparlament in Kommissionen debattiert und die Reden im Plenum erfüllen eher eine Informationsfunktion – nichts desto trotz müsse die Debattenkultur neu gepflegt werden. Wermuth monierte nicht nur, dass Nicht-Kommissionsmitglieder kaum ihre Meinung kundtun könnten und somit eine starke Abhängigkeit von den Spezialistinnen und Spezialisten in den Kommissionen entstehe, sondern dass die Kommissionssprecherinnen und -sprecher häufig lediglich schriftlich verfasste Statements vorläsen. Die von den Besucherinnen und Besuchern des Nationalratssaals immer wieder monierte Unruhe beruhe nicht zuletzt auch auf dieser schwachen Redekultur. Im Gegensatz dazu würden Debatten der Kategorie 1 zu einem eigentlichen Schaulaufen verkommen – Wermuth verwies auf die 70 Wortmeldungen bei der Debatte um die No-Billag-Initiative –, bei dem zwar zahlreiche Argumente vorgeführt würden, aber kaum diskutiert würde. Die Debatten sind in Kategorien eingeteilt. Kategorie 1 – die so genannte freie Debatte, der jeweils auch die Botschaften des Bundesrates zu Volksinitiativen zugeordnet werden – erlaubt eine freie Wortmeldung aller Parlamentsmitglieder. In den restlichen vier Kategorien (2: Organisierte Debatte, 3a: Fraktionsdebatte, 3b: verkürzte Fraktionsdebatte, 4: Kurzdebatte; 5: schriftliches Verfahren) sind neben den Kommissionssprecherinnen und -sprechern nur die Vertreterinnen und Vertreter des Bundesrats, die Antragsstellerinnen und Antragssteller von Minder- und Mehrheitsvorschlägen, je nachdem die Urheberinnen und Urheber von Vorstössen und die Fraktionssprecherinnen und -sprecher redeberechtigt. Zusätzliche Wortmeldungen müssen schriftlich eingereicht werden. Zudem wird mit den Kategorien auch die Redezeit geregelt. Wermuth schlug in seinem Postulat unter anderem vor, die Möglichkeiten für die so genannte Zwischenfrage auszubauen: Nach dem Votum einer Rednerin oder eines Redners dürfen alle Ratsmitglieder zu bestimmten Punkten eine präzise und kurze Frage stellen – ohne jedoch selber inhaltliche Ausführungen anzubringen. Eine weitere Möglichkeit für eine lebendigere Diskussionskultur wäre laut Wermuth die Einschränkung der Berichterstattung, die jeweils von zwei Kommissionsmitgliedern mit unterschiedlicher Muttersprache vorgetragen wird. Zudem müsse die Ungleichbehandlung der kleineren Fraktionen und der Kommissionsmitglieder von weniger bedeutenden Kommissionen überdacht werden.
Das Büro-NR hiess zwar die Idee einer lebendigeren Debatte grundsätzlich gut, wies aber darauf hin, dass schriftliche Voten und Notizen aufgrund der teilweise komplizierten Geschäfte kaum vermeidbar und zudem abhängig von den Fähigkeiten einer Votantin oder eines Votanten seien. Die Kommissionssprecherinnen und Kommissionssprecher seien zudem verpflichtet, gut und umfassend zu informieren. Man wolle hier deshalb keine Vorschriften machen. Beim Ausbau der Zwischenfrage und der Einschränkung der Berichterstattung befürchtet das Büro eine einseitige Konzentration auf die deutsche Muttersprache, was die Gefahr der Diskriminierung der anderen Sprachen mit sich brächte. Das Postulat sei auch deshalb abzulehnen, weil man vielmehr an die Eigenverantwortung der Parlamentarierinnen und Parlamentarier appellieren wolle.
In der Debatte wünschte sich Wermuth weniger Technokratie und mehr inhaltliche Auseinandersetzung und Peter Keller (svp, NW) bezeichnete – nota bene mittels Zwischenfrage – die Zwischenfrage als „unwürdige[n] Kastrationsvorgang der parlamentarischen Möglichkeiten und Debattenkultur”. Der Sprecher des Büros, Adrian Amstutz (svp, BE), wies darauf hin, dass auch er gerne „vom Leder ziehen” würde, als Sprecher des Büros aber eben richtigerweise nicht dürfe, sondern die Aufgabe habe, sachlich und faktentreu zu informieren. Der französischsprachige Sprecher des Büros, Dominque de Buman (cvp, FR), verwies seinerseits auf die Geschichte des Parlaments und zitierte Benjamin Constant, der die schlechte Debattenkultur in Parlamenten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts moniert habe. Das Parlamentsreglement von 1850 habe gar ein Verbot des Vorlesens schriftlich verfasster Reden vorgesehen. Mittlerweile sei man aber im 21. Jahrhundert und die Komplexität der Geschäfte würde andere Rede- und Stilmittel bedingen. Ausser bei der CVP- und der GLP-Fraktion vermochte das Anliegen Wermuths in allen Fraktionen einige Sympathien zu wecken.

Debattenkultur im Nationalrat

Deutlich ausführlicher war die Debatte zur Initiative zur Abschaffung der Billag-Gebühren im Nationalrat. Die ursprünglich veranschlagte Zeit reichte aufgrund der langen Liste an Einzelrednerinnen und -rednern nicht aus, so dass eine zusätzliche Open-End-Sitzung eingelegt werden musste. Eine Kommissionsminderheit Rutz (svp, ZH) hatte zuvor einen direkten Gegenvorschlag formuliert, der die Abgabe für Haushalte auf höchstens 200 Franken begrenzen und für Unternehmen gänzlich streichen wollte. Somit würde das Budget der SRG und der regionalen Radio- und Fernsehsender ungefähr halbiert. Gregor Rutz bewarb seinen Gegenvorschlag als Mittelweg zwischen den Extremvarianten „keine Einsparungen“ und „vollständige Streichung der Gebühren“. Der Gegenvorschlag solle es der SRG trotz Einsparungen erlauben, ihre Aufgaben – den Schutz sprachlicher Minderheiten und die Förderung der nationalen Kohäsion – zu erfüllen. Eine zweite Minderheit Rutz beantragte, die Initiative Volk und Ständen zur Annahme zu empfehlen.
Anklang fand der Gegenvorschlag vor allem bei Parlamentarierinnen und Parlamentariern der SVP. So wurden wie bereits im Ständerat insbesondere die Abgabe für Unternehmen und das Machtmonopol der SRG, gegen das private Anbieter nicht ankämen, kritisiert. Einen Schritt weiter ging Adrian Amstutz (svp, BE), der das Machtmonopol der SRG auch auf die Politik bezog: Die Abhängigkeit zwischen Politik und der SRG sei so gross geworden, dass man sich auf Seiten der anderen Parteien nicht mehr traue, die SRG zu kritisieren. Dies führe umgekehrt zu mehr Kritik an der SVP in den SRG-Programmen. Toni Brunner (svp, SG) wies überdies darauf hin, dass sich die SRG die sogenannte No-Billag-Initiative durch ihr rücksichtsloses Handeln selbst eingebrockt habe. Als „stolzes Mitglied des Initiativkomitees der No-Billag-Initiative“ meldete sich auch Lukas Reimann (svp, SG) zu Wort. Er kritisierte die „Zwangsgebühren“, die auch Personen zahlen müssten, die keinen Fernseher haben oder die das Programm der SRG nicht brauchen. So führe die Annahme der No-Billag-Initiative zu einer grösseren Medienvielfalt, gar zum Durchbruch der Medienfreiheit, weil die Dominanz durch die SRG wegfalle. Sie setze zudem die Kaufkraft von 1,35 Milliarden Franken pro Jahr frei und kurble so die Wirtschaft an.
Ganz so positiv beurteilten nur die wenigsten Nationalrätinnen und Nationalräte die Initiative oder den Gegenvorschlag, dennoch betonten auch mehrere ihrer Kritiker, dass die SRG heute zu marktmächtig sei. So bedürfe es einer gründlichen Diskussion zum Umfang des Service public in den Medien, welche aber mit dem Service-public-Bericht nicht zufriedenstellend geführt worden sei, betonte zum Beispiel Thierry Burkart (fdp, AG). Zudem hätten einige einen weniger extremen Gegenvorschlag befürwortet, zum Beispiel in Form der bereits von Thomas Maier (glp, ZH) geforderten Plafonierung der Empfangsgebühren. Frédéric Borloz (fdp, VD) kündigte überdies im Namen der FDP-Fraktion ein grosses Reformprogramm zur Medienlandschaft in der Schweiz an.
Auf der anderen Seite gab es aber auch deutliche Kritik an der Initiative und am Gegenvorschlag. So warnte zum Beispiel Bernhard Guhl (bdp, AG), dass es bei Annahme der Initiative oder des Gegenvorschlags zu italienischen Verhältnissen kommen könnte, bei denen eine Person ganze Medienhäuser besitze. Eine solche Entwicklung sei tendenziell bereits bei der Presse feststellbar. Matthias Aebischer (sp, BE) wies darauf hin, dass Personen, die eine Vorlage wie die „No Billag“-Initiative einreichen, beabsichtigten, „die Macht von anderen Medienunternehmen, zum Teil mit politischem Hintergrund, aus[zu]bauen“. Wie bereits im Ständerat betonten die Gegner der Initiative und des Gegenvorschlags vor allem, dass eine Vielzahl der Leistungen der Medienunternehmen ohne respektive nur mit der Hälfte der Gebühren nicht erbracht werden könnten, was eine Gefahr für die Kohäsion der Schweiz und für die Randregionen darstelle. Sie wurden auch nicht müde zu erklären, dass zum Beispiel mit der Annahme der Shared-Content-Motion, welche es privaten Schweizer Medienanbietern erlauben soll, ausgestrahlte Beiträge der SRG niederschwellig zu verwenden, bereits Bestrebungen zur Verringerung der Marktmacht der SRG im Gange seien.
Schliesslich entschied sich der Nationalrat mit 108 zu 70 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) gegen ein Eintreten auf den Gegenvorschlag und mit 122 zu 42 Stimmen dafür, Volk und Ständen die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Für den Gegenvorschlag sprach sich die geschlossene SVP-Fraktion sowie Teile der FDP-Fraktion aus; für den Antrag auf Annahme der Initiative entschieden sich Teile der SVP-Fraktion sowie vereinzelte Parlamentarierinnen und Parlamentarier der FDP. Gespalten zeigte sich die SVP-Fraktion bei der Schlussabstimmung im Nationalrat: Die Mehrheit der Fraktion lehnte die Nein-Empfehlung ab, ein relativ grosser Teil enthielt sich der Stimme und eine Minderheit hiess sie gut. Insgesamt entschieden sich der Nationalrat mit 129 zu 33 Stimmen (bei 32 Enthaltungen) und der Ständerat mit 41 zu 2 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für eine Nein-Empfehlung zur Initiative. Somit wird die Initiative zur Abschaffung der Billag-Gebühren im März 2018 Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag und mit der Empfehlung zur Ablehnung zur Abstimmung vorgelegt werden.

Volksinitiative "Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren" (No Billag-Initiative)

Die UREK des Nationalrates und des Ständerates hatten beide eine Parlamentarische Initiative „Feldschiessen und historische Schiessen auch nach 2020” von Adrian Amstutz (svp, BE) gutgeheissen, so dass der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs eigentlich nichts im Wege stand. Die mit dieser Aufgabe betraute UREK-NR kam jedoch auf den Entscheid zurück und beantragte mit 13 zu 11 Stimmen die Abschreibung der Initiative.
Amstutz hatte den Vorstoss eingereicht, weil ein Passus im Umweltschutzgesetz finanzielle Zuwendungen zur Sanierung von Schiessanlagen nach 2020 nicht mehr vorsah. Dadurch würden zahlreiche Standorte für Feldschiessen wegfallen. Die UREK hatte inzwischen verschiedene Abklärungen getroffen, die sie zur Überzeugung brachten, die Initiative nicht weiter zu unterstützen. Ein entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung der Umweltverträglichkeit solcher Schiessanlässe ist die Bodenbelastung durch eintretende Bleiprojektile. Zur Verhinderung zu starker Verschmutzungen werden in der Regel Kugelfänge installiert, fest installierte oder auch mobile, wie sie an einzelnen Anlässen zur Bewilligungserteilung Pflicht sind. Wo solche Vorrichtungen nicht eingesetzt werden, gelangen die Geschosse in den Boden (an rund 35 Anlässen ist dies der Fall). Da die Kommission mehrheitlich der Ansicht war, eine solche Belastung sei nicht verantwortbar, wollte sie die Initiative fallen lassen. Die geforderte Gesetzesänderung sei unverhältnismässig. Andere geprüfte Massnahmen, beispielsweise eine Subvention an nicht ausgerüstete Standorte für temporäre Kugelfänge, wurden verworfen. Ebenso wurde ein Aufschub der Frist als nicht zielführend erachtet. Eine Kommissionsminderheit Imark (svp, SO) wollte die Initiative erhalten mit dem Argument, dass das kulturelle Erbe solcher Schiessfeste hochzuhalten sei.

Feldschiessen und historische Schiessen auch nach 2020 ermöglichen
Dossier: Le tir en Suisse

Die SGG ergriff im Berichtsjahr neue Massnahmen, um der 2015 mittels eines Wettbewerbs auserkorenen inoffiziellen Nationalhymne weiteren Schub zu verleihen. So sei der Text nochmals in allen Landessprachen leicht überarbeitet worden und es seien erneut sämtliche Veranstalter von 1.-August-Feiern gebeten worden, den Hymnen-Vorschlag der SGG ins Festprogramm aufzunehmen. Die grösste Aufmerksamkeit erregte jedoch die Gründung eines Komitees mit vielen prominenten Befürworterinnen und Befürwortern der neuen Hymne. Im 70-köpfigen Gremium befanden sich neben Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Sport auch die drei Alt-Bundesrätinnen Ruth Dreifuss, Ruth Metzler und Eveline Widmer-Schlumpf sowie Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger. Der ehemalige SP-Bundesrat Leuenberger gestand auf der SGG-Webseite, dass er beim Singen der offiziellen Hymne am Schluss oft nur noch die Lippen bewegt habe, weil er die «schwülstigen Teile» nicht habe auswendig lernen wollen. Und die ehemalige CVP-Magistratin Ruth Metzler bekannte sich zur neuen Hymne, weil diese vielsagender sei als die offizielle Landeshymne und der Vielfalt der Schweiz «ausgezeichnet Rechnung trägt». So habe sie die Hymne der SGG an der letztjährigen 1. August-Feier auf dem Rütli mit «grosser Freude und Überzeugung gesungen». SGG-Geschäftsführer Lukas Niederberger sagte im St. Galler Tagblatt, dass es der SGG nicht darum ginge, den neuen Text möglichst rasch zur neuen offiziellen Hymne zu machen. Vielmehr solle damit eine Diskussion angeregt werden, was eine Hymne beinhalten sollte und «welche Werte uns heute und morgen leiten sollten».

Neue Nationalhymne?
Dossier: L'importance de l'hymne national et les tentatives de renouvellement

Die Beteiligung der Schweiz an der KFOR wurde auch vom Nationalrat weiterhin gutgeheissen. Die Debatte war jedoch in der Volkskammer umfassend und das Thema umstritten. Zwei Rückweisungsanträge standen zu Beginn der Verhandlungen im Raum. Während die Mehrheit der SiK-NR Eintreten beantragte, gab es zwei Minderheiten mit anderen Absichten. Eine Minderheit I Mazzone (gp, GE) beantragte Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, eine neue Vorlage zu unterbreiten, die einen kompletten Rückzug aus dem Kosovo bis Ende 2020 vorsah. Frei werdende Mittel sollten daraufhin dem EDA zugeführt werden, das seinerseits diverse Entwicklungshilfe-Projekte im Kosovo anstossen solle. Diesem linken Antrag stand einer von rechter Seite um Roger Golay (mcg, GE) gegenüber. Diese Minderheit II wollte den Einsatz ebenfalls per Ende 2020 beenden, jedoch ohne eine Nachfolgelösung zu fordern.

Für die SiK-NR sprach Rosmarie Quadranti (bdp, ZH) und betonte, dass sich sowohl die Finanz- als auch die aussenpolitische Kommission für die Verlängerung ausgesprochen hatten und sich eine Delegation der sicherheitspolitischen Kommissionen vor Ort einen Eindruck dazu hatte machen können, wie sich die Situation darstellte. Sie hielt jedoch auch fest, dass ihre Kommission grundsätzlich der Meinung war, der Kosovo-Einsatz sei zu beenden. Einen Zeitpunkt dafür festzulegen, sei jedoch verfrüht. Dazu bedürfe es einer stabilen Lage in der Region und man wolle sich offen halten, bei einer späteren erneuten Verlängerung darüber zu debattieren. Die Beendigung per Ende 2020 sei also ein falsches Signal.
Lisa Mazzone (gp, GE) führte namens der Grünen-Fraktion im Rat aus, dass der Einsatz der Schweiz im Kosovo wichtig sei, zumal die beiden Länder eine starke Verbindung hätten, nicht zuletzt weil die Schweiz als eine der ersten Nationen den Kosovo als Staat anerkannt hatte. Man müsse, so die Genferin, sich jedoch fragen, wie die weitere Präsenz der Schweiz aussehen solle; und die Antwort darauf lag in ihren Augen in einem zivilen Engagement und nicht (mehr) in einem militärischen. Ohnehin seien die Grünen strikt gegen Auslandeinsätze der Armee. Des Weiteren sähen die Grünen auch Probleme im Schweizer Armeeeinsatz, weil der Kosovo von der EU und von der NATO, welche die KFOR koordiniert, nicht als Staat anerkannt werde. Dies wiederum kreiere strukturelle Unsicherheiten in der Zusammenarbeit mit den zwei genannten Akteuren. Mit dieser Begründung warb sie für ihren Minderheitsantrag. Der zweite Minderheitsantrag Golay (mcg, GE) wurde vorwiegend mit der verbesserten Gesamtlage im Kosovo begründet. Zahlreiche (ehemals) beteiligte Armeen würden ihre Kontingente zunehmend abbauen oder seien bereits abgezogen worden. Ferner standen auch die Ausgaben für den Einsatz im Fokus, die man mit der Beendigung des Einsatzes bis 2020 eindämmen könne. Golay liess es sich nicht nehmen, die von Ständerat Minder (parteilos, SH) bemühte Metapher auch zu verwenden, die Schweiz müsse nicht als Letzte den Kosovo verlassen und „die Lichter löschen”. Die beiden Minderheitsanträge verfolgten also letztlich das gleiche Ziel, eine Rückweisung an den Bundesrat und eine Beendigung des Schweizer Engagements in der Region.
Die Fraktionen der SP, der FDP-Liberalen, der GLP und der BDP waren für Eintreten und unterstützen die bundesrätliche Vorlage respektive auch die Anpassungen durch die Ständekammer. Die SVP-Fraktion – ihr Sprecher Amstutz (svp, BE) war der Ansicht, man „verblöde” im Kosovo Geld, während andernorts Menschen sterben – wollte die Vorlage entsprechend dem Minderheitsantrag II zurückweisen. Die Grüne Fraktion stellte sich hinter Mazzone (gp, GE) und ihren Rückweisungsantrag. Bundesrat Parmelin äusserte sich vor der Eintretensabstimmung ausführlich zu den Plänen der Regierung – und bewarb diese. Es sei eine rationale und pragmatische Vorlage, die alle Lösungen offenhalte und mit dem dreijährigen Horizont auch nicht über das Ziel hinausschiesse. Es sei selbstverständlich, dass dannzumal eine neue Standortbestimmung nötig sein werde und dass im Jahresrhythmus dem Parlament Bericht über die Einsätze erstattet werde. In der nachfolgenden Ausmarchung der beiden Rückweisungsanträge obsiegte jener Mazzones knapp mit 78 zu 73 Stimmen bei 30 Enthaltungen. Dieser wurde sodann dem Eintretensantrag der Kommissionsmehrheit gegenübergestellt, wo er schliesslich chancenlos blieb. Mit 167 zu 15 Stimmen der geschlossen stimmenden Grünen-Fraktion und von vier Sozialdemokraten (bei einer Enthaltung) wurde auf die Vorlage eingetreten.
Die Detailberatung gestaltete sich in der Folge nicht mehr brisant. Zwar gab es zu einzelnen Artikeln Minderheitsanträge, die Kommission setzte sich jedoch in allen Punkten durch und die Volkskammer stimmte stets in Übereinstimmung mit der ständerätlichen Version – es gab also keine Differenzen mehr. Die Vorlage wurde mit 100 zu 76 Stimmen genehmigt.

Verlängerung des Swisscoy-Einsatzes bis 2020 (BRG 16.079)
Dossier: L'engagement de la Swisscoy à la Kosovo Force multinationale (KFOR)