Reform des Bürgerrechts: Familien und zweite Ausländergeneration (Verfassungsänderung)

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Bei den Reformen für das Bürgerrecht begrüssten in einer Vernehmlassung die meisten Befragten eine Gesamtrevision. Sie wünschten also die Teilfrage des Bürgerrechtes von Kindern schweizerischer Mütter nicht separat und vorweg zu behandeln. Ein Projekt, welches diesem Wunsche Rechnung trug, beschäftigte 1982 verschiedene Gremien: Der Bundesrat präsentierte im Frühjahr eine neue Fassung von Art. 44 BV, die eine Grundlage bieten sollte für die gesetzliche Regelung verschiedener Problemkreise, darunter vor allem der Gleichstellung von Mann und Frau. Bis jetzt muss ein Ausländer das ordentliche Einbürgerungsverfahren durchlaufen, selbst wenn seine Ehefrau Schweizerin ist. Eine Ausländerin dagegen wird durch die Vermählung mit einem Schweizer automatisch und sofort Schweizerbürgerin. Die Landesregierung möchte nun Ausländerinnen, die einen Schweizer heiraten, das Schweizer Bürgerrecht erst nach einer Wartefrist gewähren und die Stellung des mit einer Schweizerin verheirateten Ausländers verbessern, so dass Mann und Frau gleich behandelt werden. Bisher bestanden in dieser Hinsicht gewisse Einschränkungen bei Ehen einer Schweizerin mit einem Ausländer, je nach der Abstammung der Frau und nach dem Wohnort der Eltern bei der Geburt des Kindes. Schliesslich möchte der Bundesrat die Einbürgerung für junge, in der Schweiz aufgewachsene Ausländer vereinfachen, ebenso für Flüchtlinge und Staatenlose.

Der Ständerat behandelte diese Vorschläge während der Sommersession und stimmte ihnen materiell zu, während der Nationalrat nicht mehr im Berichtsjahr darüber entschied. Seine Kommission beantragte noch 1982 mit Stichentscheid des Präsidenten, aus taktischen Gründen die erleichterte Einbürgerung der jungen Ausländergeneration vorzubehalten, sie also Flüchtlingen und Staatenlosen nicht zu gewähren. Der Ständerat seinerseits hatte bereits im Sommer eine Anregung des Verbandes schweizerischer Frauenvereine aufgenommen und beschlossen, den Bürger über zwei separate Vorlagen entscheiden zu lassen (Bürgerrecht in der Familie und erleichterte Einbürgerung), obwohl die Einheit der Materie gegeben wäre, handelt es sich doch um mehrere Abschnitte desselben Verfassungsartikels. Gewarnt durch das unerwartete Nein des Souveräns vom 6. Juni zum Ausländergesetz, hofft das Parlament auf diese Weise, sein Projekt mit weniger Schaden durch die Klippen des obligatorischen Referendums zu steuern.

Dossier: Revision des Bürgerrechts 1982–1992

Die Reform des Bürgerrechts (Art. 44, 44 bis, 45 und 54 BV) wurde nun auch vom Nationalrat behandelt. Dieser schloss sich im Februar dem Vorschlag des Ständerates an, dass dem Stimmbürger — nicht zuletzt aus taktischen Gründen — zwei separate Vorlagen zu präsentieren seien: Übertragung des Bürgerrechts in der Familie einerseits, erleichterte Einbürgerung für die «zweite Ausländergeneration» anderseits; seiner Kommission folgend, lehnte er eine entsprechende Bevorzugung der Flüchtlinge und der Staatenlosen ab. Die Differenz zwischen den Kammern wurde in der Junisession dadurch bereinigt, dass man für die Einbürgerungserleichterung der beiden umstrittenen Bewerbergruppen den Vorbehalt formulierte: «... sofern sie sich in die schweizerischen Verhältnisse eingelebt haben». Damit versuchte man der in der Bevölkerung manifesten Flüchtlingsfeindlichkeit zu begegnen.

Dossier: Revision des Bürgerrechts 1982–1992

Bis zur Volksabstimmung vom 4. Dezember reflektierten Parteistellungnahmen und Medienargumente im grossen ganzen die mehrheitlich positive Einstellung der Räte zu den beiden Vorlagen. Die Presse engagierte sich mit eingehenden Artikeln, verschwieg aber auch nicht, dass im Volk beträchtlicher Unmut angesichts der Häufung von Asylgesuchen bestand, welcher sich wohl auf die Abstimmung auswirken würde. Der Volksentscheid ergab eine deutliche Annahme der Bürgerrechtsregelung für die Familie. Dagegen lehnte der Souverän die erleichterte Einbürgerung von jungen, in der Schweiz aufgewachsenen Ausländern, von Flüchtlingen und von Staatenlosen mit 55% Neinstimmen ab; 18 ablehnende Ständestimmen standen 5 befürwortenden gegenüber. Insgesamt bot die Diskussion der Vorlagen Gelegenheit, einige wesentliche Gesichtspunkte zu erörtern, z.B. die Eigenheiten des schweizerischen Bürgerrechts, das ambivalente Verhältnis der Schweizer zur «zweiten Ausländergeneration» und die Tatsache, dass es private Organisationen sind, welche die Hauptlast der Eingliederung von Ausländern und Flüchtlingen tragen. Andere Themen traten dagegen stark zurück: so die unterschwellige Furcht vieler Arbeitnehmer vor dem Anwachsen der Flüchtlingszahlen in einer Zeit ungesicherter Beschäftigung, die Frage, was für Einstellungen zur Gastheimat die jungen Ausländer eigentlich hegen oder auch die zu erwartende Verknappung der Armeebestände, die man durch die Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration hätte mildern können.

Dossier: Revision des Bürgerrechts 1982–1992