Bundesgerichtsurteil vom 9. Juli zu Urnenabstimmungen über Einbürgerungen

Als PDF speichern

Die politische Auseinandersetzung um den Vollzug des bestehenden, aber auch des sich in der parlamentarischen Debatte befindenden neuen Einbürgerungsrechts war stark geprägt von zwei Bundesgerichtsurteilen vom 9. Juli. Das eine bezog sich auf eine von Stadt und Kanton für ungültig erklärte Volksinitiative der SVP der Stadt Zürich, welche eine Volksabstimmung über jedes einzelne Einbürgerungsgesuch forderte. Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde der SVP ab und stellte sich hinter die Argumente der Zürcher Behörden, dass erstens eine Urnenabstimmung in der Stadt Zürich mit jährlich Hunderten von Einbürgerungsentscheiden nicht praktikabel wäre, und zweitens der Anspruch der Stimmenden auf vollständige Information mit dem Recht der Gesuchsteller auf Schutz ihrer Privatsphäre nicht vereinbar wäre. Darüber hinaus fällte das Bundesgericht den Grundsatzentscheid, dass ablehnende Einbürgerungsentscheide ohne Begründung verfassungswidrig seien und, da ja auf dem Abstimmungszettel keine Begründung aufgeführt werden kann, über Einbürgerungen prinzipiell nicht an der Urne entschieden werden darf. Das zweite Urteil betraf Beschwerden von Ausländern, deren Einbürgerungsgesuche in einer Urnenabstimmung in der Gemeinde Emmen (LU) abgelehnt worden waren. Die Richter befanden, dass die Ablehnung aufgrund der ethischen oder religiösen Herkunft der Gesuchsteller (es handelte sich um Personen aus dem Balkan) erfolgt sei. Da dies dem Verfassungsgrundsatz des Diskriminierungsverbots widerspreche, forderten sie den Kanton Luzern auf, die Gemeinde Emmen zu veranlassen, ein verfassungskonformes Verfahren durchzuführen. Zu dem in den meisten Deutschschweizer Gemeinden üblichen Verfahren, die Einbürgerungsentscheide in der Gemeindeversammlung zu fällen, äusserte sich das Bundesgericht nicht. Ebenso wenig nahm es eindeutig Stellung zur Frage, ob eine Einbürgerung ein politischer Entscheid oder ein Verwaltungsakt sei. In der schriftlichen Begründung hielt es dazu fest, dass zwar kein Anspruch auf Einbürgerung bestehe, dass aber die Stimmenden hier trotzdem eine Verwaltungsfunktion ausübten, da sie über die Rechtsstellung von Einzelnen entschieden. In dieser Funktion seien sie gehalten, das Diskriminierungsverbot zu beachten.

Dossier: Revision der Bürgerrechtsregelung

Während die meisten Staatsrechtler das Urteil ebenso begrüssten wie die politische Linke, war die Reaktion bei den bürgerlichen Parteien gemischt. Für die CVP und die FDP war der Entscheid – drei Monate vor den nationalen Wahlen – zumindest unglücklich terminiert, und wegen dem Verzicht auf eine Beurteilung der Zulässigkeit der im Vergleich zu den Urnenabstimmungen viel häufigeren Entscheidungen an Gemeindeversammlungen auch wenig hilfreich. Die SVP protestierte heftig gegen das als Beschneidung der Gemeindeautonomie und der Volksrechte kritisierte Urteil. Sie machte das Problem denn auch gleich zu einem Wahlkampfthema. Ihr Parteitag beschloss die Lancierung einer Volksinitiative für eine Verankerung der Möglichkeit von Urnenabstimmungen über Einbürgerungen in der Verfassung. Der Beginn der Unterschriftensammlung wurde allerdings zurückgestellt.

Dossier: Revision der Bürgerrechtsregelung

In der Folge zogen in vielen Kantonen, in denen bisher Urnenabstimmungen zu Einbürgerungen stattfanden, die Behörden sofort die Konsequenzen aus den Bundesgerichtsurteilen. So beschloss die Luzerner Justizdirektion, den Absatz der Emmener Gemeindeordnung, welcher Volksabstimmungen für Einbürgerungen verlangt, als verfassungswidrig aufzuheben. In Schwyz und Appenzell Ausserrhoden, wo der Entscheid bisher in fast allen Gemeinden an der Urne gefällt wurde, ordneten die Regierungen an, dass dies künftig an der Gemeindeversammlung (SZ) resp. durch die Exekutive, oder, falls vorhanden, durch das Gemeindeparlament geschehen müsse und dass eine Ablehnung zu begründen sei.

Dossier: Revision der Bürgerrechtsregelung