Kostenanstieg im Spitex-Bereich seit neuem KVG (Pa.Iv. 97.402)

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Seit dem Inkrafttreten des neuen KVG gehen die rein pflegerischen Leistungen im Spitex- und Pflegeheimbereich zu Lasten der Krankenkassen. Das verleitete einzelne Kantone dazu, ihr finanzielles Engagement zu reduzieren und dafür Spitextarifen von bis zu CHF 100 pro Tag zuzustimmen. Bei rund 70'000 pflegebedürftigen Menschen würde dies jährliche Kosten von CHF 2.6 Mrd. verursachen, was rund 15 Prozent der Kosten in der Grundversicherung entsprechen und zu weiteren massiven Prämienschüben führen würde. Die Krankenversicherungen kritisierten, es gehe nicht an, den Kassen auch die Kosten für Altersgebrechen, die keine eigentlichen Krankheiten seien, aufzuladen. Sie appellierten deshalb an die Patienten und Angehörigen sowie die öffentliche Hand, weiterhin ihren Teil der Pflegekosten zu übernehmen, wenn sie nicht den Zusammenbruch des Krankenversicherungssystems riskieren wollten.

Weil die Kosten im Spitex-Bereich seit dem Inkrafttreten des neuen KVG zum Teil unkontrolliert zugenommen haben, drängten die Krankenkassen und deren Vertreter im Parlament auf eine Beschränkung der Höchstlimite für den Bezug dieser Leistungen. Der Bundesrat schloss sich dieser Sichtweise an und nahm eine Verordnungsänderung vor, mit welcher pro Patient und Quartal ein maximales Zeitbudget von 60 Stunden festgesetzt wird. Ist dieses aufgebraucht, muss in Zusammenarbeit von Arzt, Spitex-Organisation und Krankenversicherung neu abgeklärt werden, ob sich die Pflegemassnahme noch aufdrängt. Mit diesem Entscheid kam der Bundesrat einer vorläufig unterstützten parlamentarischen Initiative des designierten Verwaltungsratspräsidenten der Krankenkasse Visana, Nationalrat Rychen (svp, BE), entgegen, der ebenfalls eine Beschränkung auf 60 Stunden pro Quartal verlangte, eine Weiterführung aber nur in Härtefällen zulassen sowie - analog zu den Pflegeheimen - auch für die Spitex eine Klassifizierung der Pflegebedürftigkeit einführen wollte (Pa.Iv. 97.402). Dieser letzten Forderung trug der Bundesrat insofern Rechnung, als er per 1998 den Kantonen Höchstansätze für Spitex-Leistungen je nach Pflegebedürftigkeit und Umfeld der Patientinnen und Patienten empfahl (30 bis 65 Fr. pro Stunde). Damit soll den zum Teil exorbitanten Rechnungen gewinnorientierter Spitex-Anbieter der Riegel geschoben werden. Nicht folgen mochte der Bundesrat der Forderung des Initianten, auch Chronischkranke und Langzeitpatienten dem Zeitbudget zu unterstellen; ihnen sollen nach Ansicht des Bundesrates aus dieser Massnahme keine Nachteile erwachsen.

Da die nationalrätliche SGK auf Antrag von Bundesrätin Dreifuss, welche auf die Folgearbeiten des "Krankenversicherungs-Gipfels" verwies, einen Vorschlag ihrer Subkommission für einen Bundesbeschluss über befristete Massnahmen gegen die Kostensteigerung in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung knapp ablehnte, reichte Nationalrat Rychen (svp, BE) eine analoge parlamentarische Initiative ein. Sie verlangt den Erlass eines Bundesbeschlusses zur Einsparung von Kosten im Gesundheitswesen auf den Ebenen Spitex, Pflegeheime und (Nicht-)Zulassung neuer Leistungserbringer. Der Nationalrat gab dieser Initiative in seiner Sommersession mit 96 zu 80 Stimmen Folge.

Nationalrat Rychen (svp, BE) versuchte mit seiner bereits unter dem Titel Spitex erwähnten parlamentarischen Initiative auch zu erreichen, dass der Ausbau des Leistungskatalogs im Bereich der Grundversicherung bis ins Jahr 2000 einem Moratorium unterstellt wird. Davon wären vor allem neue Leistungserbringer betroffen, insbesondere die nichtärztlichen Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Deren Zulassung zur sozialen Krankenversicherung war im Vorfeld der Abstimmung über das neue KVG zwar nicht unbestritten, aber dennoch in Aussicht gestellt worden. Die Aufnahme in den Katalog der Grundversicherung war dann in erster Linie an Querelen unter den Berufsverbänden der Psychologen gescheitert. Auch dieser Punkt der Initiative Rychen wurde vorläufig unterstützt und zu weiteren Abklärungen an die Kommission zurückgegeben. Kurz darauf überwies der Nationalrat allerdings auch ein Postulat Wiederkehr (ldu, ZH), welches den Bundesrat einlädt, rasch eine Verordnung zu erlassen, die es gut qualifizierten Psychologinnen und Psychologen - und nur diesen - ermöglicht, auf ärztliche Anordnung hin im Rahmen der Grundversicherung psychotherapeutische Behandlungen in der eigenen Praxis durchzuführen (Po. 97.3356).

Im Sommer protestierten schwerstbehinderte Menschen im Berner Kocherpark, welcher direkt gegenüber dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) liegt, drei Tage lang campierend gegen diesen Abbau der Spitex-Leistungen, der ihrer Ansicht nach dazu führt, dass viele Invalide, die permanent auf fremde Hilfe angewiesen sind, ihr selbständigen Leben verlieren und in Pflegeheime eingewiesen werden. BSV-Direktor Piller versprach den Demonstranten bei einem Gespräch, die vorgesehene Beschränkung nicht auf behinderte Personen anzuwenden.

Der von alt Nationalrätin Eva Segmüller (cvp, SG) präsidierte Spitex-Verband Schweiz wandte sich in aller Deutlichkeit gegen den Vorwurf, Spitex verursache höhere Gesundheitskosten. Er verwies vielmehr darauf, dass von den im KVG vorgesehenen kostendämpfenden Massnahmen bis jetzt erst der Spitex-Bereich greife, während die Überkapazitäten im stationären Bereich nach wie vor nicht abgebaut seien. Der Spitex-Verband drohte mit dem Referendum, falls das Parlament tatsächlich einer starren Rationierung im Sinn der parlamentarischen Initiative Rychen zustimmen sollte (Pa.Iv. 97.402), befürwortete aber Bedarfsabklärungen und Kontrollen im Sinn der neuen bundesrätlichen Verordnung. Eine empirische Untersuchung des Konkordats der schweizerischen Krankenversicherer und des Spitex-Verbands Schweiz relativierte die von einzelnen Krankenversicherern vorgebrachten Zahlen; demnach wurden lediglich 23,2% der Spitex-Dienste zu Lasten der Krankenkassen geleistet. Eine Untersuchung des BSV zeigte, dass die von den Krankenversicherungen zu tragenden Spitex-Kosten im ersten Jahr des neuen KVG nicht angestiegen waren