Volksinitiative „für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“

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Mitte Januar lancierte die SVP ihre seit längerem angekündigte Volksinitiative „für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“ („Prämiensenkungsinitiative“). Mit mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen und einer Straffung des Leistungskatalogs will die SVP die Krankenkassenprämien um 15 bis 20% senken. Sie verzichtete allerdings darauf zu konkretisieren, wo und wie der Leistungskatalog ausgedünnt werden soll, und erklärte, es gehe in erster Linie darum, einen weiteren unnötigen Leistungsausbau zu verhindern. Indem die geltenden Bestimmungen über den Leistungskatalog auf Verfassungsstufe verankert werden, sollen sie mehr Gewicht erhalten; zudem wäre ihre Veränderung dem obligatorischen Referendum mit Volks- und Ständemehr unterstellt. Durch eine Koppelung der Beiträge des Bundes und der Kantone an das Kostenwachstum soll die öffentliche Hand vermehrt in die Verantwortung genommen werden, um verstärkt zu Einsparungen beizutragen. Mit ihrer Forderung nach Aufhebung des Kontrahierungszwangs von Versicherern und Leistungserbringern und Einführung der monistischen Spitalfinanzierung nahm die Initiative Themen auf, die für die 2. oder 3. KVG-Revision schon auf dem Tisch liegen. Die im Vorjahr präsentierte Idee, die Grundversicherung einzuschränken und eine neue, freiwillige Ergänzungsversicherung einzuführen, wurde als zu kompliziert erachtet und deshalb wieder aufgegeben.

Mit dem äusserst knappen Ergebnis von rund 101'000 gültigen Unterschriften wurde die Volksinitiative der SVP „für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“ eingereicht. Die Unterschriften stammten zu grossen Teilen aus den SVP-Hochburgen Zürich, Bern und Aargau, aber auch aus den besonders von hohen Prämien gebeutelten Kantonen Waadt und Genf. Das Volksbegehren verlangt die Vertragsfreiheit zwischen Krankenkassen und Ärzten, eine Straffung des Leistungskatalogs, eine Begrenzung der Beiträge der öffentlichen Hand und mehr Transparenz. Die SVP verspricht sich davon eine Prämiensenkung um rund 20%.

Kurz vor der Sommerpause verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zur SVP-Volksinitiative „für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“. Seiner Auffassung nach sind die von der SVP gemachten Vorschläge nicht zielführend, weshalb er dem Parlament beantragte, die Volksinitiative zur Ablehnung zu empfehlen und auch keinen Gegenentwurf auszuarbeiten. Er erachtet die laufende KVG-Reform als indirekten Gegenvorschlag, insofern als das anvisierte Ziel das gleiche ist, aber eine der Situation besser entsprechende und ausgewogenere Lösung bringt.

Der Ständerat befasste sich als erster mit der von der SVP eingereichten Volksinitiative „Für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“, welche der Bundesrat Ende 2005 dem Parlament zur Ablehnung empfohlen hatte. Die SVP möchte mit ihrer Initiative insbesondere den Katalog der kassenpflichtigen Leistungen straffen. Ausserdem verlangt sie Vertragsfreiheit zwischen Kassen und Ärzten, Beiträge der öffentlichen Hand von höchstens 50% der Kosten an die Krankenkassen und mehr Transparenz. Die Mehrheit der kleinen Kammer schloss sich der Haltung des Bundesrates an. Das Volksbegehren gefährde den sozialen Charakter der Krankenversicherung und sei untauglich zur Problemlösung. Bundesrat Couchepin wies darauf hin, dass die von der Initiative anvisierten Leistungskürzungen unter anderem auch den ganzen Bereich der Prävention betreffen würden. Der Bundesrat wolle keine solchen Abstriche an der Grundversicherung, die zudem kaum kostendämpfend seien.

Eine weniger klare Meinung hatte der Rat in der Frage, ob der Initiative ein direkter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden soll. Eine knappe Mehrheit der Kommission hatte dies abgelehnt, weil dadurch laufende Projekte im Gesundheitsbereich durch einen Gegenentwurf auf Verfassungsstufe blockiert würden und der ins Spiel gebrachte Text des Gegenvorschlags äusserst vage sei. Auch Bundesrat Couchepin sprach sich dagegen aus. Anderer Meinung war in diesem Punkt Altherr (fdp, AR). Als Sprecher der Kommissionsminderheit machte er sich für den direkten Gegenvorschlag stark. Dieser bringe eine notwendige Klärung zur Kranken- und Unfallversicherung und eine Festlegung der Eckwerte der Gesundheitspolitik auf Verfassungsstufe. Stähelin (cvp, TG) unterstützte ihn. Die Verfassung enthalte heute keine inhaltlichen Aussagen zur Krankenversicherung. Der Gegenvorschlag gebe ihr klare Konturen, und gleichzeitig würde den laufenden Teilrevisionen ein fester Rahmen gesetzt. Schwaller (cvp, FR) stellte namens der Kommission abschliessend fest, dass die Initiative etwas verspreche, das sie nicht halten könne und keinen Beitrag zur Kostendämpfung leiste. Der Gegenentwurf bleibe in der blossen Deklamation bekannter und bereits angewandter Grundsätze stecken und sei ebenfalls abzulehnen. Die Initiative selber fand keine Unterstützung im Ständerat. Der Antrag der Kommissionsminderheit für einen Gegenvorschlag wurde jedoch mit 24 zu 16 Stimmen angenommen. In der Folge beschloss der Rat eine Fristverlängerung für die Behandlung dieses Geschäftes bis Ende Januar 2008. Gegen den Willen der Linken, die eine zügige Volksabstimmung zur Klärung der Fronten forderte, stimmte auch der Nationalrat mit 105 zu 62 Stimmen der Verlängerung und damit indirekt der Prüfung des Gegenvorschlags zu.

Im Vorjahr hatte sich der Ständerat zwar für die Ablehnung der Volksinitiative der SVP „Für tiefere Krankenkassenprämien in der Grundversicherung“ ausgesprochen, gegen den Bundesrat jedoch beschlossen, dem Begehren einen direkten Gegenvorschlag entgegen zu stellen, ohne diesen bereits im Detail auszuarbeiten. Trotz Opposition vornehmlich aus dem links-grünen Lager hatte der Nationalrat zugestimmt, den Gegenvorschlag zumindest zu prüfen. Bei der inhaltlichen Debatte zur Volksinitiative zeigte sich, dass diese einzig von der SVP-Fraktion unterstützt wurde. Ruey (lp, VD) sprach von „Etikettenschwindel“ und Maury Pasquier (sp, GE) von „Populismus“. Die Mehrheit des Rates war mit dem Bundesrat und dem Ständerat der Meinung, dass die Initiative den sozialen und solidarischen Charakter der obligatorischen Krankenversicherung aushöhle und eine Zweiklassenmedizin fördere. Die Kommissionsmehrheit beantragte, auch den Gegenvorschlag abzulehnen. Sie vertrat die Ansicht, dass der Gegenvorschlag Entscheide ohne vorgängige Abklärung präjudizieren würde. So würde er neue Modalitäten in der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen einführen, die Vertragsfreiheit festschreiben sowie auf eine monistische Finanzierung setzen. Die Kommissionsminderheit warb für den direkten Gegenvorschlag und argumentierte, er enthalte zentrale Prinzipien, so etwa dass das Gesundheitssystem in Richtung reguliertem Wettbewerb weiterentwickelt werden müsse. Auch die Sprecher und Sprecherinnen der CVP-, der FDP- und der SVP-Fraktion unterstützten den Gegenvorschlag. Bekämpft wurde er von der Ratslinken sowie von Bundesrat Couchepin. Mit 109 zu 74 Stimmen votierte die grosse Kammer für den direkten Gegenvorschlag.

Im Rahmen der Differenzbereinigung unterbreitete im Ständerat die Kommissionsmehrheit eine modifizierte Formulierung für den Gegenvorschlag. Darin soll die bestehende Gesundheitspolitik festgeschrieben werden mit Betonung eines regulierten Wettbewerbs, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit. Als neue „Eckzähne“ würden die Vertragsfreiheit und die monistische Finanzierung aufgenommen. Die Diskussion im Rat drehte sich erneut um die grundsätzliche Frage, ob ein direkter Gegenvorschlag überhaupt sinnvoll sei. Für Frick (cvp, SZ) stellte der Gegenvorschlag das Gesundheitswesen auf eine klarere und bessere Grundlage auf Verfassungsstufe. Mehrere bürgerliche Ratsmitglieder knüpften ihr Ja zum Gegenvorschlag an die Forderung, dass die SVP ihre Initiative vor der Schlussabstimmung zurückziehe. Eine Kommissionsminderheit aus der SP beantragte, sowohl die Initiative wie auch den modifizierten Gegenvorschlag abzulehnen. Bundesrat Couchepin unterstützte die Kommissionsminderheit und gab zu bedenken, dass das Volk nicht einfach allgemeinen Grundsätzen zustimme, wenn es die konkreten Konsequenzen nicht kenne. Der Entscheid für den Gegenvorschlag fiel schliesslich überaus knapp aus – bei 20 zu 20 Stimmen mit Stichentscheid des Präsidenten (Brändli, svp GR). Im Nationalrat empfahl die Kommissionsmehrheit erneut den Gegenvorschlag zur Ablehnung. Der Minderheitsantrag, am Gegenvorschlag in der Fassung des Ständerates festzuhalten wurde von einer Koalition aus SVP, FDP und CVP unterstützt und setzte sich mit 108 zu 67 durch. Vor der Schlussabstimmung erklärte Bortoluzzi (svp, ZH) im Namen seiner Partei, unter diesen Vorzeichen sei die SVP bereit, ihre Volksinitiative zurückzuziehen. Die Initiative wurde am 10. Januar 2008 zurückgezogen.

Am 1. Juni lehnte das Volk den Verfassungsartikel „Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“ mit einer Mehrheit von 69,5% ab. Den direkten Gegenentwurf zur Volksinitiative der SVP unterstützten die beiden bürgerlichen Parteien SVP und FDP sowie die EDU und die Arbeitgeberverbände. Auch SantéSuisse und die Spitäler der Schweiz (H+) unterstützten den Gesundheitsartikel. Die Befürworter machten vor allem die Senkung der Kosten für das Gesundheitswesen und die Krankenkassenprämien geltend. Den Artikel stellten sie dabei vor allem als Massnahme zur Regelung des Wettbewerbes und Steigerung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen dar. Das Lager der Befürworter hatte allerdings einen schweren Stand, da es im Laufe des Abstimmungskampfes immer kleiner geworden war. 2007 hatte auch die CVP ihre Zustimmung zum Gesundheitsartikel ausgesprochen, sie änderte dann aber ihre Meinung und gab die Nein-Parole heraus. Auch das Nein der FDP war alles andere als konsistent, da 16 Kantonalsektionen eine andere Parole vertraten. Die SVP selbst kümmerte sich wenig um den Abstimmungskampf, da sie mit der Einbürgerungsinitiative beschäftigt war. Ablehnend standen der Initiative alle anderen Parteien wie auch die Arbeitnehmerverbände und die Mehrheit der Berufsverbände im Gesundheitsbereich gegenüber. Sie warnten vor der Zunahme der Macht der Krankenkassen und vor einer Zweiklassenmedizin.

Die Befürworter des Gesundheitsartikels fanden in keinem einzigen Kanton eine Mehrheit. Am deutlichsten war die Ablehnung in der Westschweiz, wo es Nein-Anteile von über 80% gab. Am meisten Zustimmung erhielt die Vorlage in Nidwalden, Schwyz und St. Gallen, wobei auch hier die Nein-Stimmen bei 55-58% lagen. Das knappste Resultat meldete der Kanton Nidwalden mit 55,4% Gegenstimmen. Gemäss Vox-Analyse waren politische Merkmale für den Stimmentscheid ausschlaggebender als soziodemographische. Unter diesen politischen Faktoren wirkten sich die Identifizierung mit einer Partei und die Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Achse am stärksten auf das Stimmverhalten aus. Bei der Begründung für den Stimmentscheid fiel auf, dass nur sehr wenige einen Grund für ihren Stimmentscheid nannten.


Abstimmung vom 1. Juni 2008

Beteiligung: 44,8%
Ja: 661 312 (30,5%)%) / Stände: 0
Nein: 1 505 702 (69,5%) / Stände: 20 6/2

Parolen:
– Ja: FDP (16*), SVP (4*), EDU (1*); eco, SGV, SBV.
– Nein: CVP (1*), SP, LP, EVP, CSP, PdA, GP, SD, FP, Lega, DSP, GLP (1*); SGB, TravS.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen