Regierungsreform '93 (BRG 93.075)

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Der Bundesrat hatte freilich bereits vor der Debatte im Nationalrat reagiert, indem er Ende 1990 eine Expertenkommission mit der Überprüfung des Regierungssystems und der Ausarbeitung von Szenarien und Modellen beauftragt hatte. Dies bewog die Ständeratskommission, welche die Weiterbehandlung der parlamentarischen Initiative Rhinow zur Regierungsreform übernommen hatte — die Kommission des Nationalrates konzentrierte sich auf die Parlamentsreform — die Federführung an den Bundesrat abzutreten. Die Experten präsentierten dem Bundesrat im Herbst ihren Zwischenbericht. Im wesentlichen beschreiben sie darin fünf Varianten: 1) Entlastung des Bundesrates durch die Einsetzung von Departementsdirektoren; 2) Erhöhung der Zahl der Bundesräte auf 9 oder 11 mit gleichzeitiger Stärkung der Position des Bundespräsidenten; 3) zweigliedrige Exekutive mit einem kleinen Regierungskollegium und zusätzlichen Fachministern; 4) parlamentarisches Regierungssystem; 5) präsidiales Regierungssystem. In einer ersten Stellungnahme beschloss der Bundesrat, dass die Experten prioritär eine Kombination der Varianten eins und drei sowie die Variante zwei weiterverfolgen sollen. Ein grundlegender Systemwechsel, wie sie der Wechsel zu einem parlamentarischen oder einem präsidialen System darstellen würde, scheint ihm hingegen angesichts der gesellschaftlichen und politischen Traditionen der Schweiz nicht sinnvoll zu sein.

Dossier: 9 statt 7 Bundesratsmitglieder?

Im Juni gab der Bundesrat seinen Vorentwurf für eine "Regierungsreform 93" in eine kurze Vernehmlassung. Dieser als Sofortmassnahme konzipierte Vorschlag kann über eine Gesetzesrevision verwirklicht werden; die eine Verfassungsrevision voraussetzenden Vorschläge der Arbeitsgruppe Eichenberger möchte der Bundesrat erst zu einem späteren Zeitpunkt angehen. Die Reform sieht vor, dass jeder Departementsvorsteher zu seiner Entlastung einen bis drei Staatssekretäre einstellen kann, wobei er flexibel über deren Einsatz entscheiden darf. Die Wahl soll allerdings durch den Gesamtbundesrat erfolgen. Da diese Staatssekretäre mit beratender Stimme an Bundesratssitzungen teilnehmen können, dürften sie auch im Verkehr mit dem Ausland und mit dem Parlament als Regierungsvertreter anerkannt werden. In der als Konferenz durchgeführten Vernehmlassung gaben die Bundesratsparteien ihr grundsätzliches Einverständnis zu den zusätzlichen Staatssekretären, regten jedoch eine präzisere Definition ihrer Funktion an. Die drei bürgerlichen Parteien verlangten zudem wenigstens eine Bestätigung ihrer Wahl durch das Parlament, um ihr politisches Gewicht, namentlich auch im Verkehr mit dem Ausland, zu vergrössern.

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In seiner Ende Oktober dem Parlament zugeleiteten Botschaft nahm der Bundesrat die verlangte Präzisierung der Aufgaben der Staatssekretäre vor. Dabei legte er fest, dass diese auch Führungsaufgaben bei der Verwaltung der Departemente oder bei der Leitung einzelner Bundesämter übernehmen sollen. Er beharrte aber darauf, ihre Wahl in vollständig eigener Kompetenz vornehmen zu dürfen; als Hauptargument gegen eine parlamentarische Bestätigung führte er die Gefahr einer Verpolitisierung von Personalentscheiden an. Für die später zu verwirklichende grundlegendere Regierungsreform folgte der Bundesrat den Empfehlungen der Arbeitsgruppe Eichenberger, und schloss sowohl den Wechsel zu einem präsidialen System als auch zu einem parlamentarischen Konkurrenzsystem aus. Von den ursprünglich diskutierten Modellen verbleiben – zumindest für den Bundesrat – noch deren zwei in der Wahl: die Erhöhung der Zahl der Bundesräte und die Bildung einer zweistufigen Exekutive mit einem Regierungskollegium und Fachministern.

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Die vorberatende Kommission des Ständerates trat zwar oppositionslos auf die "Regierungsreform 93" ein, verlangte von der Verwaltung aber zusätzlich eine ausformulierte Variante mit einem parlamentarischen Bestätigungsrecht für die Wahl der Staatssekretäre.

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Der Ständerat befasste sich als erster mit den Vorschlägen des Bundesrats für die "Regierungsreform 93". Die vorberatende Kommission unterstützte das Projekt grundsätzlich, beantragte jedoch beim Kernpunkt der Vorlage, der Schaffung von zusätzlichen Staatssekretärposten, zwei wichtige Änderungen: Deren Zahl soll von maximal 21 auf 10 reduziert und ihre Wahl durch die Bundesversammlung bestätigt werden. Den ersten Antrag begründete sie mit dem Risiko eines Referendums infolge der entstehenden Kosten, den zweiten mit dem politischen Gewicht, das Staatssekretäre haben müssen, um den Bundesrat im Parlament und in aussenpolitischen Verhandlungen spürbar entlasten zu können. Im Plenum unterlag Zimmerli (svp, BE) mit seiner grundsätzlichen Opposition gegen die Schaffung von zusätzlichen Staatssekretärposten. Seiner Ansicht nach würde damit die Fortsetzung der Reform in Richtung eines zweistufigen Regierungskabinetts und zuungunsten der von ihm vorgezogenen Heraufsetzung der Zahl der Bundesräte präjudiziert. Die Zahl der Staatssekretäre wurde auf zehn begrenzt und mit Zweidrittelsmehrheit gegen den Widerstand des Bundesrates auch die Wahlbestätigung durch die Bundesversammlung eingeführt. Gegen den Willen des Bundesrats verbot die kleine Kammer im weiteren die Stimmenthaltung bei Abstimmungen in Bundesratssitzungen; diese Regel besteht auch in Kantonsregierungen und Richterkollegien. Die Neuerung, dass der Bundesrat über die Organisation der Departemente selbst entscheiden kann, blieb unbestritten. In der Gesamtabstimmung nahm der Rat die Reform mit 21 zu 3 Stimmen an.

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Anlässlich der Beratungen der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats drohte Steinemann (fp, SG) mit einem Referendum gegen die Einführung von zusätzlichen Staatssekretären. Um auf jeden Fall die Verlagerung der Organisationskompetenz vom Parlament auf den Bundesrat unbeschädigt über die Runden zu bringen, schlug die SP-Fraktion deshalb eine Aufteilung der Vorlage vor. Die Spitzen der drei anderen Regierungsparteien schlossen sich dieser Forderung an. Die Kommission verweigerte allerdings den Gehorsam und beschloss, das Paket dem Plenum als Ganzes vorzulegen. Sie lehnte auch den Antrag auf den Verzicht auf die zusätzlichen Staatssekretärposten deutlich ab und folgte in der Frage ihrer parlamentarischen Bestätigung dem Ständerat.

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Um zu unterstreichen, dass für ihn damit die Bemühungen um eine Regierungsreform nicht abgeschlossen sind, entsprach der Ständerat anschliessend dem Wunsch des Bundesrats nicht, zwei 1991 überwiesene Motionen der FDP-Fraktion und von Kühne (cvp, SG) für eine Regierungsreform als erfüllt abzuschreiben. Gleichzeitig verlängerte er die Frist für die Bearbeitung der überwiesenen parlamentarischen Initiative Rhinow (fdp, BL), um gegebenenfalls die Reformarbeiten in eigener Regie weiterführen zu können.

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Das Eintreten auf den Beschluss A (Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz, welches dem Bundesrat freie Hand zur Organisation der Departemente erteilt) war unbestritten. Die Differenzen zum Ständerat waren von untergeordneter Bedeutung. Immerhin fand die vom Ständerat eingeführte Vorschrift, dass bei Abstimmungen im Bundesrat Stimmenthaltung nicht mehr zulässig sein soll, vor dem Nationalrat keine Gnade. In der Gesamtabstimmung wurde dieser Teil der Reform mit 121:1 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) gutgeheissen.

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Beim Beschluss B (Schaffung von zusätzlichen Staatssekretärsposten) blieb ein von den Fraktionen LdU/EVP, SD/Lega und einem Teil der SVP unterstützter Nichteintretensantrag Steinemann (fp, SG) mit 85:51 Stimmen in der Minderheit. In der Detailberatung schloss sich der Nationalrat weitgehend den Beschlüssen des Ständerates an. In der Frage der Zahl der Staatssekretäre bestätigte er den Entscheid für maximal zehn; ein Antrag Loeb (fdp, BE) für höchstens 15 wurde deutlich abgelehnt. Der Nationalrat strich jedoch die vom Ständerat eingeführte Wahlbestätigung durch die Bundesversammlung. Gegen eine parlamentarische Bestätigung hatte sich vehement die SP eingesetzt, die befürchtete, dass damit die bürgerliche Ratsmehrheit die Personenauswahl der sozialdemokratischen Bundesräte nach parteipolitischen Gesichtspunkten bestimmen würde. In der abschliessenden Gesamtabstimmung waren dann freilich die Gegner des Entwurfs in der Mehrheit; mit Ausnahme von LdU/EVP, SD/Lega und FP, welche die Vorlage geschlossen ablehnten, waren alle Fraktionen gespalten.

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Der Nationalrat befasste sich als Zweitrat mit der "Regierungsreform 93". Sehr umstritten war bereits die Eintretensfrage. Es lagen insgesamt ein Nichteintretensantrag Blocher (svp, ZH) - dieser wurde später zurückgezogen - und vier Rückweisungsanträge vor. Zwei dieser Anträge wollten die Vorlage an den Bundesrat zurückweisen, mit dem Auftrag, eine Erhöhung der Zahl der Bundesräte vorzuschlagen resp. die verfassungsmässigen Voraussetzungen für die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems zu schaffen (Schmid, gp, TG resp. LdU/EVP-Fraktion). Die beiden anderen Rückweisungsanträge stammten von der SP und der SVP; sie beabsichtigten, die unter Referendumsdrohung stehende Frage der Schaffung von zusätzlichen Staatssekretärsposten von den anderen, unbestrittenen Reorganisationsvorschlägen abzutrennen. Dabei war allerdings die Haltung der beiden Parteien zur Einstellung zusätzlicher Staatssekretäre nicht identisch: die SP stand zu diesem Beschluss, die SVP befürwortete stattdessen ein zweistufiges Regierungssystem mit einem Leitungskollegium und Fachministern. Mit 89 zu 74 Stimmen setzte sich der Vorschlag der SP durch, die Vorlage in zwei Beschlüsse aufzuteilen.

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Eigentlich wäre nun nur noch eine Differenzbereinigung für den Beschluss A (Organisation der Departemente) möglich gewesen. Der Ständerat wollte jedoch an den zusätzlichen Staatssekretären zur Entlastung des Bundesrates festhalten. Er folgte deshalb dem Antrag seiner Kommission, die Vorlage wieder zu einem einzigen Beschluss zu vereinigen. Dies erlaubte es, den vom Nationalrat zuerst abgetrennten und dann abgelehnten Beschluss B (Staatssekretäre) wieder in die Beratung zu ziehen. Bei der Bereinigung der Wahlformel für die Staatssekretäre stimmte der Rat einem von Petitpierre (fdp, GE) vorgeschlagenen Kompromiss zu: im Organisationsgesetz übernahm er die Formel des Nationalrats für eine fakultative Bestätigung, im Geschäftsverkehrsgesetz hielt er aber fest, dass diejenigen Sekretäre, welche die Regierung vor dem Parlament vertreten, durch das Parlament - in globo - bestätigt werden müssen. An seinem Entscheid, dass bei Abstimmungen im Bundesrat Stimmenthaltung nicht zulässig sein solle, hielt er fest.

Gegen die Opposition von FP - welche ihre Referendumsdrohung wiederholte -, SVP und LdU/EVP beschloss der Nationalrat auf die Vorlage wieder einzutreten. In Bezug auf die Wahl der Staatssekretäre schloss er sich der kleinen Kammer an, eröffnete dem Parlament aber die Möglichkeit, einzelne Namen aus der Liste zu streichen. In der Frage, ob sich Bundesräte bei Abstimmungen im Kollegium der Stimme enthalten dürfen, gab er hingegen dem Ständerat nach. Die bereinigte Vorlage fand auch die Zustimmung des Ständerats. In der Schlussabstimmung sprachen sich 91 Nationalräte für die Vorlage aus, 62 (v.a. aus FP, SVP und FDP) lehnten sie ab, während sich 23 (v.a. aus der SP) der Stimme enthielten; in der kleinen Kammer lautete das Stimmenverhältnis 40:2.

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Bereits während der parlamentarischen Beratungen begann der Bundesrat mit der Vorbereitung der angestrebten Verwaltungsreorganisation, welche mit dem neuen Gesetz in seine Kompetenz fallen wird. Dabei konnte im Regierungskollegium vorerst kein Konsens über die Neuverteilung bestimmter Ämter auf die Departemente erzielt werden. Ende November beschloss deshalb der Bundesrat, die bisher bei der Bundeskanzlei angesiedelte Projektleitung selbst zu übernehmen und zudem eine externe Beraterfirma beizuziehen. Die zweite Phase der Regierungsreform, welche sich mit einer Neustrukturierung des Exekutivgremiums selbst befassen soll, wurde vorläufig auf Eis gelegt. Die beratende Expertengruppe unter Prof. Eichenberger löste sich auf Jahresende auf, nachdem sie zum Abschluss noch drei Studien zu möglichen Reformmodellen vorgelegt hatte. Neben den beiden Varianten Erhöhung der Zahl der Bundesräte resp. zweistufiges Regierungsorgan untersuchte sie dabei auch eine neue Variante: achtköpfiger kollegialer Bundesrat mit einem Präsidialdepartement.

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