Parteiinterne Spannungen, Kritik an SP-Parteipräsidentin Koch und Vorbereitungen aufs Wahljahr 1999

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Am Parteikongress vom 24. Oktober in Montreux wurde Parteipräsidentin Koch auf eindrückliche Weise mit 700 gegen 2 Stimmen im Amt bestätigt. Sie ging mit ihren Kritikern, allen voran Bodenmann, Hubacher und Daguet, hart ins Gericht und rief die Partei auf, in Zukunft Kritik bei ihr persönlich oder bei der Geschäftsleitung vorzubringen. Sie hielt an der Weiterführung der Grundwertdebatte fest, erklärte sich aber bereit, sich häufiger zu tagespolitischen Themen zu äussern. An dieser Stelle liess sie verlauten, auf vielseitigen Wunsch doch noch für den Nationalrat kandidieren zu wollen.

Nebst den personalpolitischen Fragen legten die SP-Delegierten die programmatischen Schwerpunkte für das Wahljahr 1999 fest: Arbeit für alle, soziale Sicherheit, europäische Integration und ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Als Grundlage dafür sollte das Positionspapier «Aufschwung für alle» dienen, in welchem sich die Partei zu wirtschaftlichem Wachstum und zu einer Wirtschaftspolitik zur Sicherung eines nachhaltigen, ressourceschonenden, umweltverträglichen und dauerhaften Aufschwungs bekannte. Dabei sprach sich die SP für eine Energieabgabe zugunsten erneuerbarer Energien, für eine antizyklische Ausgabenpolitik, für verstärkte Investitionen in die Bildung und für eine Geldpolitik der SNB aus, die auf die konjunkturelle Entwicklung und die Beschäftigungssituation Rücksicht nimmt. Ausserdem wurde ein Thesenpapier zur Globalisierung verabschiedet, in welchem verlangt wurde, dass sich der «schrankenlose und zerstörerische Kapitalismus» in Richtung einer echten sozialen und ökologischen Marktwirtschaft zu verändern habe. Ferner gab die SP-Schweiz auf Antrag der Jungsozialisten die Ja-Parole zur DroLeg-Initiative aus, nachdem sich der SP-Vorstand für Stimmfreigabe ausgesprochen hatte.

Die parteiinternen Spannungen und die Kritik an Parteipräsidentin Koch hielten auch im Berichtsjahr weiter an. Koch hatte angekündigt, eine breit angelegte Grundwertdebatte zu lancieren und die politischen Inhalte nach dem autoritären Führungsstil Bodenmanns wieder vermehrt basisdemokratisch zu bestimmen. Die Situation spitzte sich nach dem Abstimmungswochenende vom 7. Juni zu, als die SP beim Haushaltsziel 2001, bei der Gen-Schutz-Initiative und bei der Initiative «S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelstaat» eine dreifache Niederlage erlitt. Teile der SP-Fraktion und der Gewerkschaftsspitze, die Koch`s Vorgänger Bodenmann nahestehen, warfen ihr vor, weder inhaltliche Schwerpunkte gesetzt noch Konturen für eine künftige SP-Politik erkennbar gemacht zu haben. Statt die Partei zu führen, überlasse sie das Feld bei Themen wie der Kapitalgewinnsteuer oder der Europapolitik der politischen Konkurrenz. Vorgehalten wurden ihr auch ungenügende Kenntnisse der Sachdossiers und die fehlenden Kontaktnetze im Bundeshaus. Einer der härtesten Kritiker war Ex-Generalsekretär Daguet; er zeigte sich besorgt über den Zustand seiner Partei gerade im Hinblick auf die Wahlen von 1999. Zusätzliche Angriffsflächen lieferte Koch mit ihrer Abneigung, für die Nationalratswahlen von 1999 zu kandidieren, und ihrem Rundumschlag gegen das «tyrannische Mediensystem». Der frühere Parteipräsident Helmut Hubacher ärgerte sich, dass zu wenig über Politik und zu viel über die Befindlichkeit der Parteipräsidentin gesprochen werde, und bezeichnete Koch als «ideale Fehlbesetzung».

In der WoZ erschien eine dreizehnteilige Serie von Diskussionsbeiträgen zur Frage «Was ist mit der Linken los?»
In einer vielbeachteten Beilage der WoZ formulierte Expräsident Bodenmann auf nicht weniger als acht Seiten Themen und Thesen für eine SP-Politik in der Absicht, eine inhaltliche Debatte über die Politik der Linken in Gang zu setzen. Für ihn war klar, dass die SP keine Partei der «neuen Mitte», sondern eine linke Partei sei. Sie habe sich in den neunziger Jahren klar links der Hauptströmungen in der europäischen Sozialdemokratie positioniert. Dieser Kurs sei nach Bodenmann beizubehalten, was nicht ohne zukunftsgerichtete konzeptionelle Grundlagenarbeit möglich sei.