Allgemeine Lohnverhandlungen (1993-1999)

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Gemäss einer Umfrage der Schweiz. Gesellschaft für praktische Sozialforschung ist die Deregulierung bei der Entlöhnung in der Schweiz bereits weit fortgeschritten. 62% der angefragten Unternehmer gaben an, bei ihnen sei der automatische Teuerungsausgleich abgeschafft. 36% haben im Zeichen der Rezession und der Veränderungen in der Arbeitswelt die Dienstalterkomponenten im Lohn abgebaut. Hingegen sind bei 78% der Firmen Leistungsanteile im Lohn berücksichtigt. 80% der ebenfalls befragten Arbeitnehmer empfinden diese Deregulierung als Lohndrückerei zu ihren Lasten. Allerdings meinten auch 69%, der Leistungsanreiz werde so erhöht. 75% waren der Meinung, die Arbeitsplätze würden dadurch sicherer. Deshalb beurteilte nur jeder dritte Arbeitnehmer die Deregulierung in der Entlöhnung als ausdrücklich negativ.

Dossier: GAVs und kollektive Arbeitsstretikgeiten 1990-2000

Für 1996 verlangten die Gewerkschaften Lohnerhöhungen von zwei bis drei Prozent. Sie argumentierten, die Reallöhne hätten in den letzten vier Jahren durchschnittlich um zwei Prozent abgenommen. Die wirtschaftliche Lage habe sich wieder verbessert, weshalb die Betriebe in der Lage seien, zumindest die von der Mehrwertsteuer verursachte Teuerung auszugleichen. Durch eine Erhöhung der Kaufkraft würde zudem die Konjunktur weiter angekurbelt. Die Arbeitgeber weigerten sich demgegenüber strikte, die Kompensation der mehrwertsteuerbedingten Teuerung als Arbeitgeberverpflichtung anzuerkennen. Zudem wollten sie Lohnerhöhungen nicht generell, sondern höchstens individuell gewähren. Als Zeichen für die vor allem auf Arbeitgeberseite generell verhärteten Fronten bei den Lohnabschlüssen wurde der Umstand gewertet, dass die Verhandlungen im Bankensektor erstmals scheiterten. Die Gewerkschaften wiesen das diesbezügliche Angebot der Arbeitgeber als völlig ungenügend zurück, worauf diese die Verhandlungen in die Betriebe verlegten und zu individuellen Lohnanpassungen übergingen.

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Immer öfter werden die Lohnforderungen auch mit der Erhaltung von Arbeitsplätzen verquickt. In der Bauwirtschaft, wo seit 1992 rund 60 000 Arbeitsplätze gestrichen wurden, schlossen die Gewerkschaften und die Unternehmer ein "Bündnis für die Arbeit". Der Pakt anerkennt den Grundsatz, dass die Kaufkraft erhalten und damit die Deflationsgefahr gebannt werden soll. Die Gewerkschaften stimmten zu, keine über den Teuerungsausgleich hinausgehende Forderungen zu stellen. Dafür sieht die Übereinkunft vor, mittels Arbeitszeitverkürzungen und vorzeitigen Pensionierungen Arbeitsplätze zu sichern. Wirtschaftspolitisch verlangte die gemeinsame Arbeitnehmer- und Arbeitgeberplattform, dass die grossen Infrastrukturbauten rasch angegangen werden. In der chemischen Industrie verlangten die Gewerkschaften eine Lohnsteigerung von rund zwei Prozent, zeigten sich aber auch bereit, auf diesen Zuwachs zu verzichten, wenn mittels Arbeitszeitverkürzungen Stellen gesichert werden könnten. In drei Branchen der Metallverarbeitung einigten sich die Sozialpartner im Interesse der Arbeitsplatzerhaltung auf eine Lohn-Nullrunde; im Carosseriebereich wurde eine ähnliche Entscheidung getroffen.

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Je länger der wirtschaftliche Aufschwung auf sich warten lässt, desto schwächer wird die Position der Gewerkschaften in den Lohnverhandlungen. Mit wenigen Ausnahmen standen bei der diesjährigen Lohnrunde branchenweite Abkommen nicht mehr zur Diskussion. Zum Teil wurde nicht einmal konzernweit verhandelt. Bei ABB Schweiz beispielsweise wurden die Löhne betriebsweise ausgehandelt, was zu über 40 voneinander losgelösten Lohnverhandlungen führte. Nach dem Scheitern der gewerkschaftlichen Forderung nach einer generellen Lohndiskussion sowohl für die Arbeiter wie die Angestellten in der Basler Chemie, verhandelten auch dort die Chefs nur mehr direkt mit den Betriebskommissionen. Ausgehandelt wurde dabei eine Erhöhung der Lohnsumme um 1,3%. Die Migros-Angestellten erhielten ebenfalls keinen generellen Teuerungsausgleich mehr, dafür standen den einzelnen Migros-Unternehmen maximal 1% ihrer Bruttolohnsumme für leistungsbezogene Lohnanpassungen zur Verfügung.

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Zum Auftakt der Lohnrunde für 1997 verlangten die Gewerkschaften mindestens eine Teuerungszulage von 1% und dort, wo der Betriebsertrag es ermöglicht, 0,5% Reallohnerhöhung. Hauptargument der Gewerkschaften war, dass Lohnerhöhungen unter 1,5% die Deflationstendenzen verstärken könnten. Arbeitgeberverbandsdirektor Hasler hielt eine Erhöhung der Lohnsumme von 1% zum Teuerungsausgleich zwar für realistisch, machte aber klar, dass es keine generellen, sondern nur noch individuelle, leistungsbezogene Lohnerhöhungen geben werde und auch Lohnsenkungen durchaus möglich seien.

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Bei einer Analyse der Lohnverhandlungen zwischen den Unterzeichnern der wichtigsten Gesamtarbeitsverträge (GAV) wurden in den letzten Jahren immer stärker neue Tendenzen erkennbar. Wichtigstes Merkmal war, dass die traditionellen Lohnanpassungsmechanismen zunehmend in Frage gestellt wurden. Insbesondere automatische Indexklauseln, bei denen die Nominallöhne automatisch an die Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise angepasst werden, waren bei den in den letzten Jahren abgeschlossenen GAV immer seltener zu finden. Gemäss einer Studie des BFS gab es im Berichtsjahr nur noch einen einzigen GAV mit dieser Klausel, die jedoch nicht zur Anwendung kam. Immer seltener wird auch die Teuerung vollständig ausgeglichen (siehe oben, Löhne). Bemerkenswert ist auch die Entwicklung im Bereich der Arbeitszeit: Zwar blieb die Zahl der jährlich zu leistenden Arbeitsstunden in den letzten Jahren generell konstant, doch sehen immer mehr GAV eine Flexibilisierung der Arbeitszeit vor. Von den 35 untersuchten GAV verfügten deren 23 über Bestimmungen zur Deregulierung der Arbeitszeit.

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Wie eine Untersuchung des BFS zeigte, privilegiert das Entlöhnungssystem seit einigen Jahren eindeutig die individuelle Leistung zum Nachteil kollektiver Lohnanpassungen. Im Berichtsjahr wurden ungefähr zwei Drittel der über die Gesamtarbeitsverträge geregelten durchschnittlichen nominalen Effektivlohneröhungen nur zu einem Teil der Arbeitnehmenden nach dem Leistungsprinzip gewährt. Die Tendenz zu einer stärkeren Individualisierung zeichnete sich auch auf einer anderen Ebene ab. Wie das Beispiel der Banken und der chemischen Industrie in den Vorjahren gezeigt hat, verlagern sich die Lohnverhandlungen immer mehr in die einzelnen Unternehmen hinein.

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Eine weitere Untersuchung des BFS stützte die seit längerer Zeit gemachte Feststellung, dass die Gesamtarbeitsverträge für die Lohnanpassungen immer irrelevanter werden. Ausgehend von den Tarifverhandlungen im Herbst 1997 stellte das BFS fest, dass bei der Lohnpolitik dem Leistungsprinzip eine zusehends stärkere Bedeutung zukommt. Vier Fünftel der im Rahmen von GAV geregelten Erhöhungen des durchschnittlichen nominalen Effektivlohnes wurden in Form individueller Lohnerhöhungen gewährt, und zwar nach dem Mass der erbrachten Leistung. Im Bankensektor und in der chemischen Industrie beobachtete das BFS einen stärker werdenden Trend hin zu Lohnsystemen, die eine Beteiligung der Arbeitnehmenden am Unternehmenserfolg vorsehen. Diese Bonus-Zahlungen sind nicht in jedem Fall Bestandteil des Lohnes und führen nur zum Teil zu Beiträgen an die Sozialversicherungen.

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Nachdem Arbeitgeberdirektor Hasler im Sommer hatte verlauten lassen, nach den sieben “mageren Jahren” würden angesichts des Wirtschaftsaufschwungs Reallohnerhöhungen wieder drin liegen, verlangten die Arbeitnehmerverbände generelle Lohnerhöhungen um 1,5%, für besonders wachstumsintensive Branchen sogar um 2-3%. Eine breit gestreute Anhebung der Löhne lehnten die Arbeitgeber aber ab; sie wollten diese vielmehr von den Branchen, dem Geschäftsgang der einzelnen Betriebe und von den individuellen Leistungen der Lohnempfänger abhängig machen.

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Die Veränderungsprozesse, denen sich die Schweizer Wirtschaft in den achtziger und neunziger Jahren ausgesetzt sah, liessen vielfach einen Zusammenbruch der konsensuellen Verhandlungsmuster zwischen den Sozialpartnern befürchten. Eine im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Zukunft der Schweiz“ erarbeitete Analyse der Entwicklungen in den drei Branchen Banken, Chemie und Bauhauptgewerbe zwischen 1980 und 1998 zeigte nun, dass tatsächlich eine verstärkte Konflikttendenz beobachtet werden kann, dass eine Trendaussage über alle Branchen hinweg jedoch zu kurz greifen würde. Während etwa im Bankensektor tatsächlich von einem vergleichsweise starken Niedergang der kollektiven Arbeitsbeziehungen gesprochen werden kann, haben sich die Verhältnisse in der chemischen Industrie in den letzten Jahren insofern wieder stabilisiert, als diese global ausgerichteten Unternehmen wesentliche Bestandteile der Arbeitsbeziehungen entweder auf Branchenebene verhandeln oder in Form von unternehmensweiten Einheitsverträgen zu regeln pflegen. Im Bauhauptgewerbe macht sich trotz harten Verhandlungen sogar eine gewisse Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft bemerkbar, die sich insbesondere darin äussert, dass die Sozialpartner gemeinsam externe Ressourcen zu mobilisieren vermögen, wie etwa bei dem auf den 1. Januar eingeführten Alters-Teilzeitmodell, für welches die Arbeitslosenversicherung einen Teil der Kosten übernimmt.

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Mitte Jahr eröffneten die Gewerkschaften und Angestelltenverbände mit ihrer Forderung nach einer je nach Branche generellen Reallohnerhöhung von bis zu 6,5% die Lohnrunde 2000; gleichzeitig sagten sie den erfolgsabhängigen Lohnbestandteilen den Kampf an, da damit ein Teil des unternehmerischen Risikos auf die Arbeitnehmerschaft überwälzt werde. An einer Grosskundgebung in Bern demonstrierten rund 18 000 Personen, insbesondere aus dem Baugewerbe, aber auch aus Industrie, Gastgewerbe und Verkauf, für 200 Fr. mehr Lohn für alle und Mindestsaläre von 3000 Fr. Die Gewerkschaften drohten, falls die Produktivitätsfortschritte der letzen Jahre nicht an die Beschäftigten weitergegeben würden, müssten diese wieder vermehrt den Streik als Mittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen ins Auge fassen.

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