Bundesbeschluss über Teuerungsbekämpfungsmassnahmen (BRG 90.055)

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Im Herbst nahm der Bundesrat die Anliegen der obenstehenden Vorstösse selber auf, indem er sich entschloss, Massnahmen zur Teuerungsbekämpfung im Bereich der Hypothekarzinsen zu ergreifen. Vorausgegangen war diesem Entschluss eine erneute Anhebung der Zinssätze für Althypotheken – die vierte seit 1989 –, welche in weiten Kreisen, bis hinein in bürgerliche Parteien, sehr negative Meinungsäusserungen hervorgerufen und die der Bundesrat explizit zum Anlass seiner Massnahmen genommen hatte. Damit war der Hypothekarzinssatz innerhalb zweier Jahre um 40 Prozent gestiegen. Sorgen bereitete dem Bundesrat allerdings vor allem die Kurzfristigkeit der Ereignisse, welche die Anpassungsfähigkeit des Systems teilweise überfordere und unerwünschte Inflationsschübe verursache. In seiner Botschaft vom 10. September schlug er daher vor, durch einen dringlichen Bundesbeschluss für drei Jahre die Preisüberwachung für Hypothekarzinsen einzuführen.

Die vorgeschlagene Massnahme stützt sich auf Artikel 31 quinquies Absätze 1 und 2 BV. Danach kann der Bund im Geld- und Kreditwesen die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkende Massnahmen treffen, welche insbesondere der Teuerungsbekämpfung zu dienen haben. Da die Landesregierung einen solchen Eingriff jedoch als erheblich betrachtete, befristete sie die Massnahmen auf höchstens drei Jahre. Kurzfristiges, rasches Handeln war andererseits auch aufgrund der sich verschärfenden Lage auf dem Wohnungsmarkt angezeigt, weshalb die vorgesehenen Massnahmen als dringlich veranschlagt wurden. Ihre Ausführung ist dem Preisüberwacher übertragen. Dabei sollen sinngemäss die entsprechenden Bestimmungen des Preisüberwachungsgesetzes gelten. Anders als bei diesem sollte der Missbrauch jedoch nicht nach wettbewerbs-, sondern nach konjunkturpolitischen Gesichtspunkten erfasst werden.

Kurz vor Erlass der Botschaft hatte der Bundesrat alle interessierten Seiten zu einer konferenziellen Anhörung zusammengerufen. Diese ergab bei den Banken, der Bauwirtschaft und den Immobilienkreisen eine negative Resonanz, während die Hauseigentümer der Hypothekarzinsüberwachung mit Vorbehalten, die Mieterverbände dagegen grundsätzlich zustimmten. Von den vertretenen Parteien äusserten sich die SVP, die LP und die AP negativ, während die FDP starke Bedenken zeigte; einzig die SP befürwortete die Vorlage generell.

Die Beratungen des Nationalrats zeigten deutlich, wie umstritten der Bundesbeschluss unter den Volksvertretern war. Dem Eintretensantrag der Kommission stand ein von freisinnigen und SVP-Vertretern getragener Minderheitsantrag auf Nichteintreten sowie nicht weniger als drei Eventualanträge, welche im Falle des Eintretens eine Rückweisung der Vorlage an den Bundesrat verlangten, gegenüber. Die Abstimmung vom folgenden Tage – über 40 Abgeordnete hatten unterdessen das Wort ergriffen – erbrachte jedoch eine Mehrheit für die Aufnahme der Detailberatung.
In dieser hatte der Rat zunächst darüber zu befinden, ob die Hypothekarzinsen der konjunkturellen Preisüberwachung zu unterstellen seien, wie es der Bundesrat und eine rot-grüne Minderheit der vorberatenden Kommission gefordert hatten, oder der wettbewerbspolitischen, nach welcher die Kommissionsmehrheit verlangte. Die unter Namensaufruf durchgeführte Abstimmung erbrachte eine Mehrheit von 115 gegen 71 Stimmen für die wettbewerbspolitische Preisüberwachung. In der ebenfalls unter Namensaufruf durchgeführten Gesamtabstimmung wurde der Bundesbeschluss von 120 Abgeordneten angenommen, 47 stimmten dagegen und fünf enthielten sich der Stimme.

Im September reichten bürgerliche Vertreter in der vorberatenden Kommission des Nationalrats zwei inhaltlich mit den früheren Vorstössen der FDP identische Motionen ein, welchen die Kommission mehrheitlich zustimmte. Diese aus Vertretern der Freisinnigen, Liberalen und der SVP gebildete Mehrheit betonte die Notwendigkeit, den Wohnungsbau wieder anzukurbeln, wozu die öffentlichen und privaten Anleger sowohl den Willen wie die Mittel besässen, was durch die einschränkenden Beschlüsse des Vorjahres jedoch verhindert würde. Die Sozialdemokraten, darüber hinaus aber auch der Mieterverband, konnten dagegen zum einen die Ursachen der Wohnungsnot nicht in den bodenpolitischen Massnahmen des Bundes erkennen und weigerten sich andererseits entschieden, ein offenbar effektives Instrumentarium gegen die Bodenspekulation wieder aus der Hand zu geben. Unterstützung erhielten sie durch Vertreter der CVP, welche sich generell gegen eine «Hüst-und-Hott-Politik» im Bodenrecht aussprachen. Der Nationalrat, welcher die beiden Motionen seiner Kommission im Oktober behandelte, entschloss sich letztlich, mit einer Entscheidung zu diesem Thema noch zu warten und dem Bundesrat inzwischen Zeit zu geben, zu den beiden Vorstössen Stellung zu nehmen.

Die tags darauf angesetzte Beratung des Ständerats erbrachte etwa die gleichen parteipolitischen Fronten wie im Nationalrat. Auch hier wandten sich fast ausschliesslich freisinnige und liberale Parlamentarier gegen ein Eintreten, wobei neben der mangelnden Marktverträglichkeit der Vorlage auch das von Konjunkturforschern, dem Baugewerbe und den Banken unterstützte Argument vorgebracht wurde, dass der Gesetzesbeschluss in der vorliegenden Form so gut wie nichts zur Förderung des Wohnungsbaues bewirke. Entgegen dem von Reymond (lp, VD) vorgetragenen Minderheitsantrag beschloss der Rat jedoch mit 24 gegen 14 Stimmen, die Vorlage zu behandeln. Genau wie in der grossen Kammer vermochte sich dann freilich auch im Ständerat die konjunkturpolitische Preisüberwachung nicht durchzusetzen. Mit deutlicher Mehrheit – 25 gegen 6 – wurde ein entsprechender Antrag der Sozialdemokraten verworfen.
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Sowohl die Anfügung der Dringlichkeitsklausel, wie auch die Schlussabstimmung, war in beiden Räten nurmehr Formsache. Die zum Beschluss der Dringlichkeit notwendige qualifizierte Mehrheit wurde im Nationalrat mit 117 gegen 14, im Ständerat mit 29 Stimmen durch Einstimmigkeit errreicht. In den Schlussabstimmungen passierte der Bundesbeschluss im Nationalrat mit 104 gegen 36 Stimmen und im Ständerat mit einer Mehrheit von 26 zu 13.
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In Abweichung von dieser generellen Haltung beantragte der Bundesrat allerdings im September direkte Eingriffe in den Kapitalmarkt. Angesichts der steigenden Hypothekarzinsen und den im Mietrecht vorgesehenen Uberwälzungsmechanismen auf die Mieten sah er sich zum Einschreiten veranlasst. Er schlug dem Parlament vor, mit einem dringlichen Bundesbeschluss die Hypothekarzinsen für die Dauer von drei Jahren einer konjunkturpolitischen Überwachung zu unterstellen. Damit reagierte er auch auf politische Vorstösse, welche eine Kontrolle resp. ein Moratorium für Mietzinsen, aber auch eine Abkehr vom Prinzip der Kostenmiete und dem dazu gehörenden Uberwälzungsmechanismus verlangt hatten. Die Nationalbank hatte sich mit Bestimmtheit gegen diese Massnahme ausgesprochen, da sie davon eine Erschwerung ihrer Geldpolitik und kontraproduktive Wirkungen für die allgemeine Teuerungsbekämpfung befürchtete. Der Bundesrat bekundete zwar Verständnis für die ordnungspolitischen Bedenken der Nationalbank, kritisierte ihre Haltung in dieser Frage aber als zu dogmatisch. Im Nationalrat wurde eine konjunkturpolitisch abgestützte Interventionspolitik nur von der SP und den Grünen unterstützt. Durchsetzen konnte sich gegen den Widerstand der Mehrheiten der Fraktionen der FDP, der SVP und der Liberalen schliesslich die von der CVP gewünschte Kompromisslösung einer wettbewerbspolitischen Hypothekarzinsüberwachung. Gegen diesen Vorschlag hatte auch die Nationalbank nichts einzuwenden. Da der Preisüberwacher vor seinen Entscheiden die Nationalbank konsultieren muss, ist auch Gewähr geboten, dass diese in ihrer Autonomie nicht allzusehr eingeschränkt wird: Der Ständerat schloss sich, ebenfalls noch in der Herbstsession, diesen Beschlüssen an.

Unterdessen erhielt das Lager der Gegner der dringlichen Bundesbeschlüsse weiteren Zulauf. Am 18. Oktober stellte die Schweizerische Bankiervereinigung beim Vorsteher des EJPD den Antrag auf eine vorzeitige Annulierung der vor gut einem Jahr getroffenen Massnahmen, nur zu froh, damit etwas von der herben Kritik an den jüngsten Hypothekarzinserhöhungen ablenken zu können.

Der letztes Jahr von der zuständigen Kommission des Ständerats erarbeitete Vorentwurf zu einem Bundesbeschluss "über die Förderung kantonaler Miet- und Hypothekarzinszuschüsse", welcher als kurzfristige und subjektbezogene Massnahme gegen die Teuerung im Bereich der Hypothekarzinsen gedacht war, wurde in der Vernehmlassung mit wenig Begeisterung aufgenommen. Zwar wurde allgemein die mit dieser Massnahme angestrebte Linderung von Härtefällen begrüsst, doch warnten insbesondere die SP und der Mieterverband davor, es bei solchen Einzelmassnahmen bewenden zu lassen, während sich mehrere Kantone, welchen der Vollzug des Beschlusses obläge, kritisch über dessen Umsetzbarkeit in die Praxis äusserten. Trotz dieser skeptischen Stellungnahmen sprach sich im November die damit betraute Kommission des Ständerates dafür aus, das Projekt weiter zu verfolgen.