Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes (BRG 21.080)

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Im November 2021 präsentierte der Bundesrat die Botschaft zu einer umfangreichen Revision des Strassenverkehrsgesetzes. Im Zentrum des Revisionspakets standen die Reduktion der Treibhausgasemissionen, neue Regelungen zu selbstfahrenden Autos sowie die Stärkung der Verkehrssicherheit. So sollte etwa das zulässige Gewicht und die zulässige Länge von Fahrzeugen mit alternativen oder emissionsfreien Antrieben erhöht werden, um umweltfreundliche Technologien zu fördern, zumal diese häufig schwerer und länger sind als konventionelle Fahrzeuge. Angesichts der Digitalisierung im Strassenverkehr wollte der Bundesrat zudem das automatisierte Fahren ermöglichen. Hierzu sollte im SVG unter anderem festgelegt werden, unter welchen Bedingungen «führerlose Fahrzeuge mit einem Automatisierungssystem zugelassen werden können». Beim Thema Verkehrssicherheit schlug der Bundesrat vor, eine Velohelmpflicht für Kinder bis 16 Jahren einzuführen, um ihre Sicherheit bei einem Unfall zu erhöhen. Schliesslich sollte den zuständigen Behörden bei Raserdelikten mehr Ermessensspielraum eingeräumt werden, so sollte beispielsweise die Mindestdauer des Führerausweisentzugs von zwei auf ein Jahr gesenkt werden. Damit beantragte der Bundesrat die Entschärfung einiger Massnahmen, die mit dem Via-Sicura-Massnahmenpaket – in die auch Forderungen der zurückgezogenen Raser-Initiative aufgenommen worden waren –, eingeführt oder verschärft worden waren. Insgesamt wollte der Bundesrat mit der Vorlage sechs Motionen umsetzen und beantragte diese zur Abschreibung (Mo. 13.3572; Mo. 15.3574; Mo. 17.3049; Mo. 17.3191; Mo. 17.3632 sowie Mo. 17.4039).

Dossier: Comment traiter les délits de vitesse ?

Der Nationalrat beugte sich in der Frühjahressession 2022 als Erstrat über die umfassende Revision des Strassenverkehrsgesetzes. Die Debatte gliederte sich in drei Blöcke – erstens umweltfreundliche Technologien und automatisiertes Fahren, zweitens Anpassungen im Bereich Via sicura sowie drittens verschiedene kleinere Änderungen, quasi ein Varia-Block. Die Ziele der Revision bestanden gemäss Kommissionssprecher Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) in der Förderung umweltfreundlicher Technologien in der Mobilität sowie in der Überprüfung der Verkehrssicherheit.
Im ersten Block waren die neuen Bestimmungen für umweltfreundliche Technologien unbestritten; für etwas mehr Gesprächsbedarf sorgten die Regeln zum automatisierten Fahren: Die Grünen hatten hierzu drei Minderheitsanträge eingereicht: Eine Minderheit Schlatter (gp, ZH) wollte das automatisierte Fahren nur auf Autobahnen und -strassen sowie auf Nebenstrassen mit wenig Langsamverkehr zulassen. Eine weitere Minderheit Schlatter wollte das Inverkehrbringen von automatisierten Lieferrobotern verbieten. Eine Minderheit Trede (gp, BE) wiederum vertrat die Ansicht, dass Versuche mit Fahrzeugen mit einem Automatisierungssystem und die Erkenntnisse daraus nicht nur zu dokumentieren seien, sondern auch von unabhängiger Forschung begleitet werden sollen. Die Forschenden sollten dabei insbesondere die Konsequenzen für die nicht motorisierten Verkehrsteilnehmenden untersuchen. Allerdings fand keiner dieser drei Anträge eine Mehrheit.
Der zweite Block zu den Anpassungen von Via Sicura gab in der grossen Kammer viel zu reden. Die Mehrheit des Rates war sich einig, dass den verantwortlichen Behörden und Gerichten bei Geschwindigkeitsübertretungen mehr Ermessensspielraum gewährt werden solle. Folglich wurde gegen den Widerstand der Grünen und Teilen der SP beschlossen, bei Raserdelikten die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr aus dem SVG zu streichen. Betreffend die Mindestentzugsdauer des Führerscheins bei Raserdelikten konnte sich ein Antrag Jauslin (fdp, AG), der demjenigen des Bundesrates entsprach, durchsetzen. Damit wurde die Mindestentzugsdauer von derzeit 24 Monate auf 12 Monate halbiert. Die Kommissionsmehrheit, welche 6 Monate gefordert hatte, sowie zwei links-grüne Minderheitsanträge, die sich für 18 respektive 24 Monate Mindestentzugsdauer ausgesprochen hatten, fanden folglich keine Mehrheit.
Im Rahmen des dritten Blocks wurde gegen den Willen des Bundesrates beschlossen, dass für fahrradfahrende Kinder bis 16 Jahre keine Helmpflicht gelten soll. Matthias Aebischer (sp, BE), Präsident von Pro Velo Schweiz, freute sich über diesen Entscheid, da das Ziel darin bestehen müsse, «dass möglichst viele Leute Velo fahren». Keine Mehrheit fanden zwei Minderheitsanträge Aebischer, wonach Fahrräder nur mit einem Mindestabstand von 1.5 Metern und im Kreisverkehr überhaupt nicht hätten überholt werden dürfen. Zudem beschloss der Nationalrat gegen den Willen der geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen sowie einzelner GLP- und Mitte-Mitglieder, dass neu auch motorisierte Zweiräder auf dem Trottoir abgestellt werden dürfen, sofern den zu Fuss Gehenden noch genügend Platz bleibt. Schliesslich beschloss die grosse Kammer, dass Rundstreckenrennen von Motorfahrzeugen in Zukunft grundsätzlich erlaubt werden sollen, aber der Bewilligung des jeweiligen Standortkantons bedürfen.
In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage mit 156 zu 28 Stimmen deutlich angenommen. Die ablehnenden Stimmen stammten von der geschlossen stimmenden GP-Fraktion. Marionna Schlatter hatte schon in ihrem Eintretensvotum darauf hingewiesen, dass die Grünen die Vorlage ablehnen würden, falls nicht noch Verbesserungen vorgenommen würden. Die Vorlage würde ansonsten dazu führen, dass «die Verantwortung für die Sicherheit an die schwächeren Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer» abgeschoben werde.

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Der Ständerat setzte sich in der Sommersession 2022 als Zweitrat mit der umfassenden Revision des Strassenverkehrsgesetzes auseinander.
Viel zu reden gaben in der kleinen Kammer der so genannte Raserartikel sowie die Durchführung von Rundstreckenrennen. Die kleine Kammer schloss sich aber in allen strittigen Punkten dem Nationalrat an; Minderheitsanträge von Mathias Zopfi (gp, GL) zum Raserartikel und zu den Rundstreckenrennen und von Hansjörg Knecht (svp, AG) zum Raserartikel blieben chancenlos. Letztlich schuf die kleine Kammer lediglich zwei kleinere Differenzen zum Nationalrat: Zum einen strich die kleine Kammer einen Absatz, der es erlaubt hätte, Fahrräder und andere Zweiräder auf dem Trottoir abzustellen, falls den Fussgängerinnen und Fussgängern noch genügend Platz zum Passieren bleibt. Zum anderen wollte der Ständerat an der Regelung festhalten, dass Personen, die öffentlich vor Strassenverkehrskontrollen warnen, gebüsst werden können.
In der Gesamtabstimmung sprach sich die kleine Kammer einstimmig für die Annahme des Entwurfs aus.

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Der Nationalrat befasste sich in der Herbstsession 2022 erneut mit der Revision des Strassenverkehrsgesetzes. Wie Kommissionssprecher Bregy (mitte, VS) ausführte, hatte die KVF-NR im Juni 2022 zu den Artikeln, die den Rasertatbestand betreffen, einen Rückkommensantrag gestellt, dem ihre Schwesterkommission zugestimmt hatte. Die nationalrätliche Kommission schlug nun vor, beim Führerausweisentzug wieder zum geltenden Recht zurückzukehren. Dies bedeute, dass bei einem Raserdelikt weiterhin eine Mindestentzugsdauer von zwei Jahren vorgesehen wäre. Eine mildere Bestrafung solle aber möglich sein, wenn die Strafe auch nach Artikel 90 – der die Länge der Freiheitsstrafe betrifft – unterschritten werde. Bei ebendiesem Artikel 90 forderte die KVF-NR ebenfalls zum geltenden Recht zurückzuschwenken, was einem Freiheitsentzug von einem bis vier Jahren entspricht. Hierbei sollen Unterschreitungen der Mindeststrafe möglich sein, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB – also zum Beispiel achtenswerte Beweggründe oder schwere Drohung – besteht oder wenn die betreffende Person bezüglich Verkehrsdelikten noch keinen Eintrag im Strafregister hat. Man habe versucht, an den Regeln des geltenden Rechts festzuhalten und gleichzeitig den Gerichten einen notwendigen Ermessensspielraum zu geben, hielt Bregy fest.
In der Debatte stellte Jean-Luc Addor (svp, VS) die rhetorische Frage, ob es wichtiger sei, ein Referendum durch eine «extremistische Organisation» («organisation extrémiste») zu verhindern oder die Interessen der Verkehrsteilnehmenden zu vertreten, die «Opfer der Auswüchse von Via sicura» («victimes des excès de Via sicura») geworden seien. Er nahm damit Bezug auf die Stiftung Roadcross, die sich für Opfer des Strassenverkehrs einsetzt und die für den Fall, dass die Strafen für Raser gelockert werden sollten, mit dem Referendum gedroht hatte. Der Nationalrat nahm die Vorschläge seiner Kommission schliesslich stillschweigend an. Damit wurden zwei grosse Differenzen zum Ständerat geschaffen, kleinere Differenzen konnten jedoch ausgeräumt werden.

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Der Ständerat beugte sich in der Wintersession 2022 über die Differenzen in der Revision des Strassenverkehrsgesetzes, welche vom Nationalrat aufgrund eines Rückkommensantrags geschaffen worden waren. Die Mehrheit der KVF-SR stimmte der vom Nationalrat ausgearbeiteten Formulierung bezüglich der Raserdelikte im Grundsatz zu, wollte aber noch die entsprechenden Vorbehalte der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz berücksichtigen und hatte daher den Wortlaut zu den Raserbestimmungen präzisiert, wie Kommissionssprecher Thierry Burkart (fpd, AG) im Plenum ausführte. Dadurch sollten mögliche Rechtsunsicherheiten verhindert werden. Burkart wies auch darauf hin, dass die Stiftung Road Cross erklärt habe, auf ein Referendum zu verzichten, wenn das Parlament den vorgeschlagenen Änderungen zu den Raserbestimmungen zustimme. Die kleine Kammer nahm die angepassten Formulierungen zum Führerscheinentzug sodann stillschweigend an.
Bei den Bestimmungen zum Freiheitsentzug lag ein Minderheitsantrag Rieder (mitte, VS) vor. Der Walliser Ständerat setzte sich dafür ein, dass die kleine Kammer hierbei wieder auf die Version des Bundesrates umschwenkt, wodurch die Mindestfreiheitsstrafe wieder ganz wegfallen würde. Die Kommissionsmehrheit hatte indes neu vorgeschlagen, dass die Mindeststrafe bei einem Strafmilderungsgrund nach Art. 48 StGB – also zum Beispiel bei Handlungen aus achtenswerten Beweggründen – unterschritten werden dürfe. Rieder argumentierte, dass die Räte im Rahmen der Vorlage über die Harmonisierung der Strafrahmen beschlossen hatten, bei Raserdelikten keine Mindesthaftdauer von einem Jahr festzulegen. Die Beurteilung eines konkreten Falles solle den Richterinnen und Richtern obliegen und nicht standardmässig durch die Staatsanwaltschaft geregelt werden, so Rieder. In der Zwischenzeit empfahl jedoch Verkehrsministerin Sommaruga im Namen des Bundesrates ebenfalls, der Kommissionsmehrheit und nicht mehr der ursprünglichen Version des Bundesrates zu folgen, zumal die nun vorgeschlagene Formulierung materiell auch dem Entscheid des Nationalrates entspreche. In der Folge votierten 29 Mitglieder des Ständerates für den Antrag der Kommissionsmehrheit, 14 für die Minderheit Rieder. Somit wird sich erneut der Nationalrat mit der Gesetzesänderung befassen müssen.

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In der Frühjahrssession 2023 räumte der Nationalrat die letzten Differenzen in der Revision des Strassenverkehrsgesetzes aus und folgte dem Ständerat bei den sogenannten Raserbestimmungen stillschweigend. Diese betrafen einerseits den Führerausweisentzug und andererseits die Mindeststrafe. Der geltende Führerausweisentzug von zwei Jahren durch die Behörden bei einem Raserdelikt darf demnach nur dann unterschritten werden, wenn gleichzeitig auch die grundsätzliche Mindeststrafe von einem Jahr Geld- oder Freiheitsstrafe durch die Gerichte aufgrund von achtenswerten sowie entschuldbaren Beweggründen oder im Falle von Ersttäterinnen oder -tätern reduziert wird. Als Ersttäterinnen oder -täter gelten dabei Personen, welche innerhalb der zehn Jahre vor dem Delikt nicht wegen eines anderen ähnlichen Vergehens im Strassenverkehr verurteilt worden sind. Wie Kommissionssprecher Matthias Bregy (mitte, VS) im Rat erläuterte, könne dank der Anpassung die übermässige Sanktionierung von schnell fahrenden Personen – beispielsweise bei einer Fahrt ins Spital mit einer schwangeren Frau – durch die Gerichte angemessen modifiziert werden. Die von der Interessenverbindung Roadcross generell geforderte Mindeststrafe von einem Jahr werde damit aber nicht angetastet. Die Stiftung liess in einer Medienmitteilung verlauten, dass dank dem «verantwortungsvollen Entscheid» des Parlaments auf ein Referendum verzichtet werde, was im Rat auch den neuen Verkehrsminister Albert Rösti freute. Roadcross werde aber die Gerichte im Auge behalten und im Falle von «laschen Urteilen» mit politischen Vorstössen reagieren, schrieb die Stiftung weiter.

In der Schlussabstimmung in derselben Session nahm der Nationalrat das revidierte Strassenverkehrsgesetz mit 163 zu 9 Stimmen bei 25 Enthaltungen an. Sämtliche Gegenstimmen und der grösste Teil der Enthaltungen stammten dabei aus der Fraktion der Grünen. Der Ständerat gab der Revision mit 39 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung ebenfalls grünes Licht.

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