Die Gewerkschaft Unia legte im Oktober ihre Jahresrechnungen für die Jahre 2016 bis 2020 offen. Sie tat dies unter medialem Druck, nachdem erste Zahlen als Nebenprodukt eines Gerichtsurteils bekannt geworden waren und bereits auf ein beträchtliches Vermögen der Gewerkschaft hatten schliessen lassen. Tatsächlich wies die Unia Ende 2020 ein Nettovermögen von CHF 457 Mio. aus. Das Bruttovermögen vor Abzug der Hypothekarschulden und Abschreibungen betrug CHF 836 Mio. Die Aktivposten umfassten Immobilien im Wert von CHF 444 Mio. und Finanzanlagen im Umfang von CHF 329 Mio. Das Immobilienportfolio bestand aus 151 Liegenschaften und 2'861 Wohnungen. Würden die Immobilien nicht nach den Anschaffungskosten, sondern nach dem Marktwert eingestuft, läge das Vermögen gemäss Schätzungen des Blick sogar nochmals rund eine Viertelmilliarde Franken höher. Der Tages-Anzeiger ging angesichts dieser Grössenverhältnisse davon aus, dass die Unia «mit hoher Wahrscheinlichkeit die finanzkräftigste politische Organisation der Schweiz [ist] – potenter als alle Parteien, Wirtschaftsverbände und NGOs». Die offengelegten Zahlen gelten für den gesamten Unia-Konzern. Zu diesem gehören neben der als Verein organisierten eigentlichen Gewerkschaft Unia auch die Unia-Stiftung und sechs Aktiengesellschaften, darunter drei Immobilienfirmen. Zu ihrem Liegenschaftsbesitz erklärte die Unia, dass dieser historisch gewachsen sei, indem die Vorgängergewerkschaften GBI, SMUV und VHTL den grössten Teil ihres Vermögens in Liegenschaften investiert hätten. Ein Teil der Gebäude werde von der Unia selbst genutzt, so die beiden Hauptsitze in Bern und Zürich sowie über 100 Unia-Sekretariate im ganzen Land. Andere Immobilien würden vermietet, hauptsächlich als Wohnhäuser. Der Personalaufwand für die über 1'200 Mitarbeitenden der Unia belief sich im Jahr 2020 auf CHF 115 Mio. Dazu gehörten auch die Gehälter der sieben Geschäftsleitungsmitglieder von durchschnittlich CHF 150'930.

Die Zahlen wurden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Abgesehen davon, dass manche Bürgerliche und Medien etwas schadenfreudig die Frage aufwarfen, ob die Unia noch glaubwürdig gegen Kapitalisten und Grosskonzerne auftreten könne, wenn sie doch selbst ein solcher sei, wurden die folgenden vier Kritikpunkte geäussert:

Erstens stelle sich die Frage, ob die Höhe der Jahresbeiträge für die Gewerkschaftsmitglieder zu rechtfertigen sei, wenn die Unia auf solch hohen Vermögenswerten sitze. Die Mitgliederbeiträge der Unia, die Arbeitnehmende aus den Wirtschaftssektoren Bau, Gewerbe, Industrie und private Dienstleistungen vertritt, sind einkommensabhängig; bei einem Monatslohn von 4'000 Franken betragen sie 40 Franken im Monat. Die Kritik ging dahin, dass die Vermögenserträge auch während des Aktien- und Immobilienbooms der letzten Jahre in die Gewerkschaftsbürokratie geflossen seien, statt damit die Mitgliederbeiträge zu senken. Kritisiert wurde in dem Zusammenhang auch, dass die Vermögenslage auch den 182'000 zahlenden Mitgliedern der Gewerkschaft bisher nicht bekannt gewesen sei, sondern nur den 129 Delegierten, die einmal pro Jahr die Konzernrechnung absegneten. Die Unia hielt dem entgegen, dass es sich beim Vermögen um das gemeinsame Vermögen der Mitglieder handle. Die Erträge daraus würden vollständig für die Finanzierung von Gewerkschaftsaktivitäten verwendet und trügen dazu bei, «den hohen Standard der Mitgliederdienstleistungen und die finanzielle Unabhängigkeit der Gewerkschaft zu sichern». Niemand ziehe daraus einen persönlichen Vorteil.

Zweitens sahen bürgerliche Kritikerinnen und Kritiker sowie manche Medien einen Widerspruch darin, dass die Linke stets mehr Transparenz in der Politikfinanzierung fordere, die Unia aber bisher selbst nicht transparent gewesen war. Dabei sei es aus demokratiepolitischen Gründen wichtig, die Vermögensverhältnisse von politisch gewichtigen Akteuren wie den Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden zu kennen. Die Unia rechtfertigte die bisherige Geheimhaltung damit, dass das Vermögen gleichzeitig auch die Streikkasse der Unia sei; es würde die Verhandlungsposition der Unia bei Arbeitskonflikten schwächen, wenn die Gegenseite ihre Vermögensverhältnisse – und damit ihre Durchhaltefähigkeit in einem Streik – kenne. Unia-Chefin Vania Alleva forderte zudem, die Medien sollten mit Transparenzforderungen alle politischen Akteure mit gleichen Ellen messen; so sind die meisten Wirtschaftsverbände und anderen Gewerkschaften nicht transparenter als bisher die Unia, was ihre Finanzlage angeht. Zu den wenigen Gegenbeispielen zählt der Baumeisterverband (SBV), einer der Hauptkontrahenten der Unia in Arbeitsfragen: Dieser weist rund CHF 20 Mio. Eigenkapital aus.

Ein dritter Kritikpunkt knüpfte an eine bereits vorher laufende Debatte an und betraf die Tatsache, dass ein Teil der Unia-Einkünfte aus öffentlichen Geldern und gesetzlichen Pflichtabgaben stammt, nämlich aus dem Betrieb von Arbeitslosenkassen und aus den Entschädigungen für Vollzugskosten von allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen (GAV). Aus diesen beiden Bereichen zusammen nahm die Unia 2020 rund CHF 80 Mio. ein, während ihr die Mitgliederbeiträge CHF 58 Mio. einbrachten. Ob aber die Einnahmen aus dem Betrieb von Arbeitslosenkassen und der Kontrolle des GAV-Vollzugs für die Gewerkschaft einen Gewinn abwerfen oder lediglich den Aufwand für diese Aufgaben decken, lässt sich auch anhand der neu veröffentlichten Zahlen nicht feststellen. Bürgerliche Stimmen glauben, dass die Unia damit Gewinne erzielt und ihr Vermögen auch damit geäufnet habe. Die Unia beteuert jedoch, dass dies nicht zutreffe – das gehe aus Abrechnungen hervor, die beim zuständigen SECO hinterlegt seien. Die FDP.Liberale-Fraktion reichte in der Folge zwei Interpellationen zum Thema ein (Ip. 21.4121 und Ip. 21.4122), die vom Bundesrat Auskunft zu diesen Geldflüssen verlangten. Bereits vor dem Bekanntwerden der Zahlen zur Unia war zudem eine Kommissionsmotion der WAK-NR hängig gewesen, die eine Offenlegung der Abrechnungen über die Entschädigungen für die GAV-Kontrollen verlangte.

Ein vierter Kritikpunkt schliesslich kam von linker Seite: Es sei problematisch, dass die Unia bei der Vermietung ihrer Wohnungen nicht nur kostendeckende Mieten verlange, sondern sich bei der Festlegung der Mieten am Marktpreis orientiere – und deshalb in den letzten Jahren mit ihrem ansehnlichen Immobilienportfolio Gewinne auf Kosten von Mietenden gemacht habe. Die Unia verteidigte sich damit, dass die Mieten in ihren Liegenschaften gerade in den Ballungszentren mit besonders angespanntem Wohnungsmarkt unterhalb des Marktniveaus lägen und sie mit ihren Immobilien keine Renditenmaximierung betreibe; insgesamt lägen die Mieten in den Unia-Liegenschaften «laut einer unabhängigen Bewertung» rund 30 Prozent unter Marktniveau.