Année politique Suisse 1969 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Situation der öffentlichen Finanzen
Eine grundlegende Verbesserung der Situation der öffentlichen Finanzen konnte 1969 nicht festgestellt werden. Die Staatsrechnungen für das Jahr 1968 schlossen immerhin sowohl in den Kantonen wie in der Eidgenossenschaft besser ab als erwartet. Nur drei Kantone (Bern, Basel-Stadt, St. Gallen) wiesen höhere Defizite aus als vorgesehen. Wenn man ordentliche und ausserordentliche Rechnungen berücksichtigt, so ergab sich insgesamt eine positive Abweichung von den Voranschlägen um etwa 300 Mio Fr. Auch im Vergleich zu den Rechnungsabschlüssen des Vorjahres waren überwiegend günstigere Ergebnisse festzustellen. Trotz dieser Verbesserungen, die auf höhere Steuereinnahmen, Einsparungen und auf die verzögerte Inangriffnahme von Bauten zurückgeführt wurden, schlossen die meisten kantonalen Rechnungen mit einem Defizit ab
[1]. Auch die Voranschläge der Kantone für 1970 waren durchwegs defizitär. Von den vorgesehenen Ausgabenüberschüssen von 700 Mio Fr. entfielen 600 Mio Fr. auf die ausserordentlichen Verwaltungsrechnungen. Ein eindeutiger Trend war nicht feststellbar; 7 Kantone (Zürich, Luzern, Basel-Stadt, Basel-Land, St. Gallen, Aargau, Thurgau) rechneten mit einem schlechteren, 6 mit einem besseren Ergebnis als im Vórjahr (Bern, Obwalden, Nidwalden, Solothurn, Schaffhausen, Tessin). Für die immer noch angespannte Finanzlage wurde ein überproportionales Anwachsen der Ausgaben verantwortlich gemacht. Insgesamt sehen Kantone und Gemeinden Defizite von 1 Mia Fr. vor
[2].
Günstiger präsentierte sich die Situation für den Bund. Schon bei der Staatsrechnung 1968, die in der Sommersession nach einigen kritischen Voten von beiden Räten einstimmig genehmigt wurde
[3], resultierte in der Finanzrechnung statt einem budgetierten Defizit von 180 Mio ein Einnahmenüberschuss von 157 Mio Fr. In der Gesamtrechnung betrug der Reinertrag 558 Mio Fr., so dass der Fehlbetrag der Bilanz auf 2766 Mio Fr. reduziert wurde, was noch 4 % vom Bruttosozialprodukt oder Fr. 490 pro Kopf der Bevölkerung ausmacht
[4]. Auch die Staatsrechnung für 1969 schloss besser ab als budgetiert. In der Finanzrechnung ergab sich ein Einnahmenüberschuss von 28 Mio Fr. (budgetiertes Defizit: 434 Mio Fr.), in der Gesamtrechnung (Finanzrechnung + Vermögensveränderungen) ein Reinertrag von 446 Mio (budgetierter Aufwand: 116 Mio Fr.). Dieses günstige Ergebnis entstand durch 72 Mio Fr. Minderausgaben, wobei vor allem bei den Subventionen gespart wurde, und durch 390 Mio Mehreinnahmen, die vor allem von erhöhten Zolleinnahmen und einem grösseren Warenumsatzsteuerertrag herrührten
[5]. Im Lichte der angeheizten Konjunkturlage wurde der mit einem Ausgabenüberschuss von nur 23 Mio Fr. praktisch ausgeglichene Voranschlag für 1970 günstig beurteilt; insbesondere wurde hervorgehoben, dass die auf 7594 Mio Fr. veranschlagten Ausgaben (+4,9 % ohne Kantonsanteile an Bundeseinnahmen) weniger rasch zunehmen sollen als das Sozialprodukt (+7 %). Im Nationalrat wurde einzig ein Posten von 12 Mio Fr., der für die Personalvermehrung vorgesehen war, bestritten, allerdings ohne Erfolg. Im Differenzbereinigungsverfahren setzte sich der Ständerat mit dem Antrag durch, 10 % des Postens «Ersatz von Auslagen, Reisen usw. » für das Bundespersonal zu sperren
[6].
Die Tatsache, dass das Budget für 1970 wesentlich vom 1968 veröffentlichten Finanzplan für 1970 abwich
[7], und ein Hinweis, dass die Finanzrechnungen des Bundes seit 1960 um insgesamt mehr als 2 Mia Fr. besser abgeschlossen hätten, als jeweils budgetiert worden sei
[8], führten zu einer gewissen Vorsicht bei der Beurteilung des Finanzplanes für die Jahre 1971 und 1972. In diesem Finanzplan wurde erstmals die funktionale und die volkswirtschaftliche Gliederung der Ausgaben eingeführt. Er sieht für 1971 einen Ausgabenüberschuss von 159 Mio Fr. und für 1972 einen solchen von 108 Mio Fr. vor
[9]. Gegenüber den Prognosen der Kommission Jöhr ergeben sich, ohne Berücksichtigung allfälliger Änderungen der Steuersätze, Abweichungen von mehr als 1,4 Mia Fr.
[10]. Prof. Jöhr erklärte die grossen Diskrepanzen unter anderem dadurch, dass die Ausgaben in beträchtlichem Umfang durch politische Entscheide verändert werden können
[11]. Aus diesem Grund hielt die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände eine sinnvolle Finanzplanung nur dann für möglich, wenn sie sich auf ein Regierungsprogramm stütze
[12]. Hans Letsch, Generalsekretär des EVD, der neu zum Beauftragten für besondere Fragen im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik ernannt wurde, führte als erste Voraussetzung für die Finanzplanung aussagekräftige und vergleichbare Rechnungen der verschiedenen öffentlichen Haushalte an. Er forderte zudem einen weiteren Ausbau der Konjunkturprognose und der Kosten-Nutzen-Vergleiche. Er riet den Kantonen, ihre Finanzplanung derjenigen des Bundes anzugleichen und vermehrt auch wirtschaftspolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen
[13].
[1] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 24, 16.6.69; BN, 282, 10.7.69.
[2] Die Volkswirtschaft, 43/1970. S. 31 f.; wf, Dokumentations- und Pressedienst, 51, 15.12.69; BN, 3, 5.1.70.
[3] Tat, 101, 1.5.69; NZZ, 336, 5.6.69 (NR); NZ, 284, 25.6.69 (StR).
[4] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 13/14, 31.3.69; SPJ, 1968, S. 65.
[6] Der Voranschlag wurde in beiden Räten in der Wintersession einstimmig genehmigt. (NZZ, 695, 26.11.69; 699, 28.11.69; 719, 10.12.69; 721, 11.12.69; 723, 12.12.69; 724, 12.12.69; 731, 17.12.69). Unsere Zahlen stimmen mit den von den Räten beschlossenen (Verhandl. B.vers., 1969, IV, S. 8 und BBI, 1969, II, S. 1518 f.) überein, weichen aber von den vom Bundesrat ursprünglich vorgesehenen ab (Voranschl. Eidg., 1970), da die Kommissionen einige Änderungen vorgenommen hatten. (Bund, 259, 5.11.69; 271, 19.11.69). Vgl. auch Pressekonferenz von Bundesrat Celio zum Budget (TLM, 298, 25.10.69; BN, 446, 25./26.10.69; Tw, 25./26.10.69; NZZ, 649, 30.10.69).
[7] Der Finanzplan hatte für 1970 in der Finanzrechnung ein Defizit von 564 Mio Fr. vorgesehen (vgl. Voranschl. Eidg., 1969, S. 50 * ff.), das nun im Budget auf 23 Mio Fr. reduziert wurde.
[8] wf, Dokumentations- und Pressedienst, 13/14, 31.3.69.
[9] Voranschl. Eidg., 1970, Blaue Blätter.
[10] Vgl. SPJ, 1968, S. 66; SPJ, 1966, S. 57; wf, Dokumentations- und Pressedienst 48, 24.11.69.
[13] Vortrag vor der Vereinigung für gesunde Währung (Bund, 110, 13.5.69). Ähnliche Gedanken äusserte auch WALTER MÜLLER, « Finanzplanung und Budget in den Kantonen », in Verwaltungspraxis, 23/1969, S. 3 ff. Vgl. auch oben, . S. 22.
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