Année politique Suisse 1969 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
Kollektive Arbeitsbeziehungen
Die Erneuerung oder Abänderung der Gesamtarbeitsverträge verlief nicht überall reibungslos. So wurde in der keramischen Industrie eine Offerte der Arbeitgeber als ungenügend abgelehnt und die Einigung der Sozialpartner kam erst mit Verspätung zustande
[9]. Der seit 1967 schwelende Streit in der Bekleidungsindustrie konnte durch einen neuen gesamtschweizerischen Vertrag auf drei Jahre beigelegt werden
[10]. Neue Unstimmigkeiten gab es unter den Angestellten des Schweizer Fernsehens, deren Verband den bestehenden Vertrag kündigte und die Gewährleistung eines integralen Mitbestimmungsrechts forderte
[11]. Auch in der Kartonageindustrie kam es zu einem vertragslosen Zustand, da keine Einigung zwischen den Verhandlungspartnern erzielt werden konnte
[12]. Immerhin wurde eine ganze Reihe von Vertragsrevisionen auf Anhieb und zur Zufriedenheit beider Parteien unter Dach gebracht
[13]. Von verschiedenen Gewerkschaften wurde erneut die Forderung nach einem Beitrag der Nichtorganisierten erhoben. Im neuen Landesmantelvertrag für das Baugewerbe wurde sie durchgesetzt
[14]. In der Maschinen- und Metallindustrie wurde bei der Erneuerung des Friedensabkommens um fünf Jahre ein Partnerschaftsfonds geschaffen, dessen Mittel von beiden Parteien aufgebracht und für gemeinsame Interessen verwendet werden sollen. Seitens des Metall- und Uhrenarbeiter-Verbandes wurde anerkannt, dass damit mindestens ein Anfang in der individuellen Honorierung der gewerkschaftlichen Leistung gemacht worden sei. Eine weitere grundsätzliche Neuerung brachte das revidierte Abkommen mit der Einführung der Freizügigkeit in der Personalvorsorge, wie sie in der Vereinbarung der Spitzenverbände von 1967 vorgesehen war. Die Freizügigkeitsleistungen sollen auch beim Übertritt in eine andere Branche gewährt werden. Ferner erfuhren die Arbeitsbedingungen eine wesentliche Verbesserung, indem den Ansprüchen des Arbeitnehmers in bezug auf Ferien und Sozialleistungen in vermehrtem Masse Rechnung getragen wurde
[15].
Zu eigentlichen Arbeitskonflikten kam es in zwei Fällen. Erneut wurde eine Tessiner Kugelschreiberfabrik bestreikt, wobei Lohnfragen den Streitgegenstand bildeten. Die Zahl der beteiligten Arbeiter belief sich auf insgesamt 33 und jene der verlorenen Arbeitstage auf 231
[16]. In Lausanne fand eine für schweizerische Verhältnisse aussergewöhnliche Arbeitseinstellung statt, als die Primarlehrer einen halbtägigen Proteststreik durchführten, weil der Grosse Rat des Kantons Waadt der Stadt Lausanne entgegen dem Antrag des Regierungsrates die Wiedereinführung von Gemeindezulagen verwehrt hatte
[17].
1968 hatten die eidgenössischen Räte die Zuständigkeitsordnung für die Gewährung von Teuerungszulagen an das Bundespersonal um weitere vier Jahre verlängert
[18]. Aufgrund dieser Ordnung beantragte der Bundesrat den Räten im Februar eine konkrete Regelung für die Jahre 1969-1972. Im Unterschied zur bieherigen Praxis, nach der die Höhe der Zulage für das erste Jahr der neuen Periode jeweils im Parlamentsbeschluss festgelegt wurde, beanspruchte der Bundesrat diesmal die Kompetenz, in jedem Jahr die Beträge entsprechend der Entwicklung der Lebenskosten selber zu bestimmen
[19]. Diese Vereinfachung des Verfahrens blieb unumstritten, nicht aber die Festsetzung einer unteren Besoldungsgrenze für die Berechnung der Zulagen. Auf Begehren der Personalverbände setzte der Nationalrat diese höher an als der Bundesrat und drang damit gegenüber dem widerstrebenden Ständerat durch
[20]. Die Volkskammer überwies auch ein Postulat Düby (soz., BE), welches für eine periodische Anpassung der Löhne des Bundespersonals an diejenigen der Privatwirtschaft eintrat
[21].
[9] NZZ, 29, 15.1.69; 59, 28.1.69; 104, 17.2.69.
[10] NZZ, 134, 3.3.69. Der als Solidaritätsbeitrag auch von den Nichtorganisierten zu erhebende « Friedensrappen » konnte von den Gewerkschaften nicht durchgesetzt werden. Vgl. SPJ, 1968, S. 108.
[11] Vr, 205, 3.9.69. Zur Frage der Mitbestimmung vgl. unten, S. 120 f.
[13] Vgl. NZZ, 18, 10.1.69 (Wirkerei- und Strickereiindustrie); NZZ, 23, 13.1.69 (Leinenindustrie); NZZ, 59, 28.1.69 (über 60 Vertragsrevisionen innerhalb des Bau- und Holzarbeiterverbandes); NZZ, 160, 13.3.69 (Engros-Möbelindustrie); NZZ, 190, 26.3.69 (kaufmännische Angestellte der Uhrenindustrie); Bund, 154, 6.7.69 (Buchhandel).
[14] NZZ, 693, 25.11.69; Vr, 300, 23.12.69. Zu den Forderungen vgl. ausserdem NZZ, 59, 28.1.69; 444, 23.7.69 (Schweiz. Bau- und Holzarbeiterverband); Vat., 239, 15.10.69 (Christlicher Holz- und Bauarbeiterverband); NZZ, 401, 3.7.69 (Schweiz. Metall- und Uhrenarbeiter-Verband). Vgl. auch SPJ, 1967, S. 108.
[15] NZZ, 395, 1.7.69; 401, 3.7.69. Zur Freizügigkeit in der Personalvorsorge vgl. SPJ, 1967, S. 113, u. oben, S. 119.
[16] NZZ, 214, 9.4.69; 231, 16.4.69; NZ, 168, 14.4.69; Die Volkswirtschaft, 43/1970, S. 14. Vgl. SPJ, 1968, S. 108 f.
[17] TLM, 230, 18.8.69; 247, 4.9.69; GdL, 214, 13./14.9.69; 228, 1.10.69.
[18] Vgl. SPJ, 1967, S. 110. Der NR genehmigte das Gesetz am 5.3.1968, die Schlussabstimmungen erfolgten am 15.3.1968 (Sten. Bull. NR, 1968, S. 1 f. u. 161; Sten. Bull. StR, 1968, S. 66).
[19] BBl, 1969, I, S. 357 ff.
[20] Verhandlungen des NR vom 11.6. und 29.9. (Sten. Bull. NR, 1969, S. 311 ff. u. 595 ff.), des StR vom 23.9. und 7.10. (Sten. Bull. StR, 1969, S. 171 ff. u. 200 f.). Vgl. auch NZZ, 350, 11.6.69; 556, 10.9.69; 584, 23.9.69.
[21] Verhandl. B.vers., 1969, III, S. 23; NZZ, 615, 10.10.69.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.