Année politique Suisse 1970 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Öffentliche Ordnung
Das Jahr 1970 war wiederum reich an politischen Demonstrationen. Gewaltakte gegen die öffentliche Ordnung ereigneten sich jedoch abgesehen von den Anschlägen auf den Luftverkehr nur bei Manifestationen, die sich gegen ein ausländisches Regime richteten; im übrigen beschränkte sich die Auflehnung gegen die etablierten Autoritäten im wesentlichen auf den Bildungssektor
[41]. Über Aufgabe und Methode der Polizei kam es wiederholt zu Kontroversen. So wurde über Beschnüffelung von Jugendlichen, über Beaufsichtigung von Kundgebungen sowie über brutales Zuschlagen bei der Auflösung nicht bewilligter Demonstrationen geklagt
[42]. In der Frage des Demonstrationsrechts entschied das Bundesgericht über die staatsrechtliche Beschwerde, die gegen ein Urteil des Zürcher Obergerichts eingereicht worden war
[43]. Es äusserte sich freilich nicht darüber, ob für den Bund ein ungeschriebenes Demonstrationsrecht existiere; es stellte bloss fest, dass ein solches auf alle Fälle nur in den Schranken der öffentlichen Ordnung ausgeübt werden dürfte, so dass die von den Zürcher Behörden geltend gemachte Bewilligungspflicht nicht zu bestreiten sei
[44]. Die zürcherischen Gerichte führten mehr als zwei Jahre nach den Vorfällen die Prozesse gegen die erwachsenen Teilnehmer an den Globus-Krawallen von Sommer 1968 durch, wobei sich keine grösseren Zwischenfälle ereigneten. Die meisten Angeklagten kamen mit bedingten Gefängnisstrafen und Beteiligung an den Gerichtskosten davon; gegen die Urteile wurden jedoch verschiedene Kassationsbeschwerden eingereicht
[45]. Die Übergriffe einer Anzahl von Polizeifunktionären wurden, wie ein Bericht des Zürcher Stadtrats bekanntgab, disziplinarisch geahndet
[46]. Zur besseren Kontrolle der einzelnen Polizeimänner führte die Stadtpolizei — mindestens für besondere Einsätze — das früher übliche Tragen von Nummernschildern wieder ein
[47].
Die Bestrebungen, die kantonalen Polizeikorps durch eine
Interkantonale Mobile Polizei (IMP) zu verstärken, die sich rechtlich auf ein Konkordat und materiell auf Bundessubventionen stützen sollte, endeten mit einem Misserfolg. Nachdem sich schon Zürich und Baselstadt dem Konkordat gegenüber desinteressiert verhalten hatten, bildeten sich in verschiedenen Kantonen, deren Parlamente einem Beitritt zustimmten, Referendumsbewegungen, die vor allem von den Sozialdemokraten, dem Landesring und der PdA getragen wurden; dabei verbanden sich Abneigung gegen polizeiliche Gewalt und Opposition gegen zentralistische Tendenzen
[48]. Der Geschäftsführer der Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit, M. Frenkel, erklärte die vorgesehene Ausstattung des Bundesrates mit der Kompetenz, die IMP in gewissen Fällen nach eigenem Ermessen einzusetzen, als verfassungswidrig
[49]. Anderseits liessen die Flugzeugentführungen im September erneut ein Bedürfnis nach einem zusätzlichen Ordnungsinstrument erkennen
[50]. Im November fand in Schwyz, im Dezember in Genf die Volksabstimmung statt; in beiden Kantonen wurde die Beteiligung an der IMP stark verworfen
[51]. Angesichts dieser negativen Reaktionen und nicht zuletzt der Tatsache, dass der Anstoss zu einer Verstärkung der kantonalen Polizeikräfte gerade von Genf ausgegangen war, betrachtete man das Projekt als gescheitert
[52]. Als Frucht interkantonaler Zusammenarbeit im Polizeisektor konnte nur die Eröffnung einer schweizerischen Polizeischule in Neuenburg verzeichnet werden
[53]. Dass jedoch Genf Mühe hat, seinen Bedarf an Polizeischutz aus eigenen Kräften zu decken, zeigten Rekrutierungsaktionen in anderen Kantonen, die dort zu Protest Anlass gaben
[54].
[41] Vgl. unten, S. 36 f., 41 ff., 136, 148, 150 u. 153 f.
[42] Lb, 86, 16.4.70; NZZ (sda), 202, 4.5.70; Bund, 107, 11.5.70; TdG, 116, 21.5.70; NZ, 326, 20.7.70; 475, 15.10.70; 481, 19.10.70; 489, 23.10.70. Vgl. auch unten, S. 150.
[43] Vgl. SPJ, 1969, S. 17.
[45] NZZ, 359, 5.8.70; 419, 9.9.70; 517, 6.11.70; 591, 19.12.70; 593, 21.12.70; AZ, 296, 21.12.70; Vgl. SFJ, 1968, S. 15 f.; 1969, S. 16 ff.
[46] NZZ, 377, 16.8.70; AZ, 190, 19.8.70.
[47] NZZ, 140, 25.3.70; NZ, 148, 2.4.70.
[48] So in Schwyz (Vat., 8, 12.1.70; 36, 13.2.70), Uri (TdG, 111, 14.5.70; NZZ, sda, 360, 6.8.70) und Genf (JdG, 144, 24.6.70; 173, 28.7.70), während für den Thurgau das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin feststellte, dass ein Beitritt dem obligatorischen Referendum unterstehe (NZZ, sda, 210, 9.5.70; 211, 10.5.70; NZZ, 432, 17.9.70). Vgl. dazu SPJ, 1969, S. 18 f.
[49] MAX FRENKEL, « Die Verfassungsmässigkeit von Art. 4/la und 4/2 der Interkantonalen Übereinkunft zur Verstärkung der polizeilichen Sicherheitsmassnahmen vom 28.3.1968 (IMPKonkordat), insbesondere im Hinblick auf BV 7/2 letzter Satz », in Schweizerische Juristenzeitung, 66/1970, S. 129 ff. Vgl. dazu anderseits Prof. H. Huber in Bund, 227, 29.9.70.
[50] Vgl. Antwort des Bundesrates auf dringliche Kleine Anfrage von NR Egli (k.-chr., LU) (Bund, 234, 7.10.70; TdG, 234, 7.10.70). Vgl. unten, S. 42 f.
[51] Schwyz: Verwerfung am 15.11. mit 8421: 4338 Stimmen, keine annehmende Gemeinde (NZZ, 543, 21.11.70; BN. 21./22.11.70); Genf: Verwerfung am 6.12. mit 25 097: 14 035 Stimmen (TdG, 286, 7.12.70).
[52] NZ, 565, 7.12.70; NZZ. 575, 10.12.70; JdG, 291, 14.12.70.
[53] TLM, 6, 6.1.70; Bund, 6, 9.1.70.
[54] TLM, 98, 8.4.70; 102, 12.4.70; GdL, 90, 20.4.70.
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