Année politique Suisse 1974 : Infrastruktur und Lebensraum / Energie
 
Erdöl und Erdgas
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Erdöl
Die Schwierigkeiten in der Versorgung mit Erdöl liessen gegen das Frühjahr hin merklich nach. Aus dem Mengenproblem, das die Gemüter zu Beginn des Winters alarmiert hatte, wurde mehr und mehr ein Preisproblem. Die Zufuhr normalisierte sich, und der Bundesrat konnte die verfügten Einschränkungen bis zum 1. April wieder aufheben. Wie bereits erwähnt, nahm allerdings der Konsum, insbesondere von Benzin, deutlich ab. Den Erdölgesellschaften, die mit dem Andauern der starken Nachfrage nach ihren Produkten gerechnet hatten, bereitete es allmählich Mühe, ihre weltweiten Überschüsse loszuwerden. Nachdem der Überwachungsbeauftragte im März noch einmal eine Benzinpreiserhöhung zugestanden hatte — sie wurde namentlich als Massnahme zur Erhaltung eines unabhängigen Importhandels begründet — setzte bei den Preisen eine rückläufige Entwicklung ein [26]. Man war jedoch vorsichtig geworden, und Vertreter verschiedenster politischer Richtungen plädierten noch im Herbst für eine Beteiligung des Bundes an der Erdölversorgung, insbesondere durch die Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft, die sich unmittelbar in den ölproduzierenden Staaten eindecken sollte. Im Bundeshaus hatte man im Winter entsprechende Pläne geprüft, doch die Vertreter der Landesregierung bezweifelten, dass das angeregte Vorgehen die Versorgung sicherer und billiger zu gestalten vermöchte ; sie befürworteten vielmehr eine Zusammenarbeit mit anderen Verbraucherländern, wie sie dann im Beitritt zur Internationalen Energieagentur ihren Ausdruck fand, und verwiesen im übrigen auf die eingeleiteten Arbeiten an der Gesamtenergiekonzeption [27].
Die Ungesichertheit der Erdölversorgung steigerte das Interesse an der Erschliessung neuer Vorkommen, auch in der Schweiz. So fand die Swisspetrol Holding, die 1970 erfolglos um ein 'Bundesdarlehen ersucht hatte, im Frühjahr die Unterstützung mehrerer Erdölkonzerne für ein grossangelegtes Schürfungsprogramm zwischen Genfer- und Bodensee, insbesondere am Alpenrand und im Jura. Weitere Kantone erteilten den an der Schürfung interessierten regionalen Gesellschaften die erforderlichen Bewilligungen, und der Bundesrat stimmte trotz dem beherrschenden ausländischen Einfluss zu ; für eine allfällige Ausbeutung wurde ein schweizerischer Kapitalanteil von 51 % vorgesehen [28].
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Erdgas
In den Bemühungen, dem Gas einen grösseren Anteil an der schweizerischen Energieversorgung zukommen zu lassen, wurde im Frühjahr eine Etappe vollendet, als erstmals holländisches Erdgas durch die nach Italien führende Transitleitung strömte. Ausser dem Hauptstrang, der zwischen Möhlin (AG) und dem Griespass die Schweiz durchquert, erhielten auch Zweigstränge zur Belieferung der Gasverbünde Ostschweiz, Mittelland und Gaznat (Westschweiz) sowie der Innerschweiz die provisorische Betriebsbewilligung. Die Aussichten auf algerisches Erdgas trübten sich dagegen wieder, da die Finanzierung der in Algerien notwendigen Investitionen den Partnern des europäischen Konsortiums Schwierigkeiten bereitete ; der Bundesrat versprach immerhin der Swissgas, dass er den Räten eine direkte Garantie der schweizerischen Investitionen beantragen werde [29].
Die Einfuhr von Erdgas erlaubte den Gaswerken ein umfangreicheres und zugleich umweltfreundlicheres Energieangebot, sie wirkte sich aber auch preissteigernd aus. Angesichts. der wachsenden Kosten stellte sich weiterhin die Frage der Eigenwirtschaftlichkeit der kommunalen Gasversorgung. Die insbesondere von zürcherischen Linkskreisen vertretene Opposition gegen eine Anpassung der Gastarife an die Teuerung war jedoch weniger erfolgreich als im Vorjahr. In Zürich wie in Winterthur sanktionierten die Stimmbürger erhöhte Gaspreise ; in Zürich wurde allerdings zur Beschwichtigung der Gegnerschaft ein Teil der Erhöhung der Stadtkasse belastet [30]. Eine Gesetzesinitiative der POCH, welche die Produktions- und Verkehrsbetriebe der zürcherischen Gemeinden im Interesse des Umweltschutzes und der Siedlungsplanung von der Pflicht zur Kostendeckung befreien wollte, wurde verworfen [31].
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P.G.
 
[26] Zur allgemeinen Entwicklung vgl. TG, 43, 44, 47, 21.-26.2.74 ; BN, 285, 5.12.74. Aufhebung der Einschränkungen : AS, 1974, Nr. 8, S. 564 ff.; Nr. 12, S. 683 ff. Benzinpreiserhöhung : NBZ, 63, 16.3.74 ; TA, 63, 16.3.74 ; Bund, 63, 17.3.74 ; NZZ, 127, 17.3.74. Benzinpreissenkungen : TA, 145, 26.6.74 ; 193, 22.8.74 ; NZZ (sda), 345, 28.7.74 ; 468, 18.10.74. Ober den Energieverbrauch vgl. oben (Energieversorgung). Die Benzinpreisabschläge wurden allerdings durch die vom BR im August verfügte Zollzuschlagserhöhung mehr als wettgemacht. Vgl. oben, Teil I, 4a und 5.
[27] Vgl. Amtl. Bull. StR, 1974, S. 21 ff. (BR Brugger) ; Amtl. Bull. NR, 1974, S. 1078 ff. (Motion Schürmann-Biel, ldu, ZH) u. S. 1283 ff. (Motion Oehler, cvp, SG, Postulat Vincent, pda, GE, sowie Interpellationen Martin, fdp, VD, und Bretscher, svp, ZH) ; ferner Amtl. Bull. StR, 1974, S. 137 ; NZ, 16, 15.1.74 ; NZZ, 182, 21.4.74. Zur Internationalen Energieagentur vgl. oben Teil 2 (principes) und 4c (OECD).
[28] An den Schürfungskosten beteiligten sich Esso, Shell und die französische Société nationale des pétroles d'Aquitaine mit 90 %. Nach den im Konkordat zusammengeschlossenen Kantonen AG, AI, AR, GL, SG, SH, SZ, TG, ZG, ZH (vgl. Ostschw., 113, 16.5.74) sowie BE und VD (vgl. Gesch. ber., 1973, S. 279) erteilten nun auch BL, FR und SO Schürfbewilligungen (NZZ, 67, 10.2.74 ; 217, 12.5.74 ; VO, 110, 15.5.74 ; Gesch. ber., 1974, S. 291). Zur Begründung der Kontrollbefugnis des Bundes vgl. BBl, 1952, III, Nr. 50, S. 673 ff., zur bisherigen Entwicklung SPJ, 1968, S. 84 ; 1970, S. 102 ; 1971, S. 98 f.
[29] Gasleitungen : NZZ, 167, 9.4.74 ; 233, 21.5.74 ; GdL (sda), 85, 11.4.74 ; Gesch.ber., 1974, S. 292. Algerien : Gesch.ber., 1974, S. 291 ; NZZ, 26, 17.1.74 ; vgl. SPJ, 1973, S. 86.
[30] Kosten : NZZ (sda), 428, 15.9.74. Zürich : NZZ, 282, 21.6.74 ; 299, 1.7.74. Winterthur : Ldb, 88, 18.4.74 ; 97, 29.4.74 ; 202, 3.9.74 ; 285, 9.12.74. Vgl. SPJ, 1973, S. 86 f.
[31] Die Initiative wurde mit 164 605:85 090 Stimmen verworfen (NZZ, 299, 1.7.74 ; vgl. unten Teil I, 6b, Agglomerationsverkehr, und Teil II, 1i).